Weißkittelphobie: XXL Leseprobe
Von Aenne Dornbusch
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Über dieses E-Book
Aenne Dornbusch
Aenne Dornbusch schreibt unter anderen Namen eher heiter-ironische Romane. Nun hat sie mit "Weißtkittelphobie" ihre eigene, höchstpersönliche Geschichte einer langen "Schmerzkarriere" und den damit verbundenen Hoffnungen und Verzweiflungen veröffentlicht.
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Buchvorschau
Weißkittelphobie - Aenne Dornbusch
Nur ein harmloses Schleudertrauma
Ein Verkehrsunfall ist im Grunde genommen so überflüssig wie ein Kropf. Kein Mensch braucht einen, aber manche haben halt doch einen.
Kismet, sagt der Araber. Schicksal, nennt es der Europäer. Zufall nennt es der Ungläubige. Mist, sagen die meisten, denen so etwas passiert. Für mich galt letztere Variante. Doch es kam noch schlimmer – einfacher Mist wäre da glatt untertrieben. Pech? Ich weiß nicht, ob das das richtige Wort ist. In jedem Fall ist es so, dass einem ein winziger Moment, eine Sekunde nur, das ganze restliche Leben durcheinanderwirbeln kann.
Bei mir, Aenne Dornbusch, war es jedenfalls so…
Doch beginnen wir von vorne, wir schreiben das Jahr 1995: Ich war Ende zwanzig und saß als Beifahrerin in einem stattlichen Geländewagen mit Stern. Gerade erst war das Gefährt komplett restauriert worden. Jetzt sah er wieder aus wie neu! Und musste natürlich einmal ausgefahren werden… Es sollte eine harmlose, abendliche Spritztour werden, die neuen Sitze und der neue Lack mussten ja endlich eingeweiht werden. Dieser Wagen war ein bisschen wie ein „Panzer". Ich habe dieses Auto immer gerne gefahren, es machte Geräusche wie ein kleiner Traktor, es ruckelte und man hatte das sichere Gefühl, tatsächlich einen Motor unter dem Hintern zu haben. Solide, deutsche Wertarbeit mit ordentlicher Knautschzone, was sich später als wahrer Glücksfall herausstellen sollte.
Bei Glatteis und unter zu hoher Geschwindigkeit hatte uns ein anderes Auto frontal gerammt, es flog sozusagen direkt in unseren Wagen hinein. Beide Autos waren Schrott, im Endeffekt. Von dem anderen Wagen war allerdings nicht mehr viel übrig, es wurde beim Aufprall wie eine Ziehharmonika zusammengequetscht. Die Fahrerin hatte die Straßenverhältnisse wohl falsch eingeschätzt und wollte wahrscheinlich nur schnell nach Hause. Zu schnell – so nahm man an. Ein verheerender Fehler, bei dieser Witterung einen LKW bergab zu überholen.
Ich war im Moment des Aufpralls nur sauer, stinksauer. Wie konnte man bei diesem Glatteis auch noch einen Laster überholen? Auf abschüssiger Straße – und dann noch vor einer Kurve? Wir hatten keinerlei Chance auszuweichen, das Auto raste einfach so ungebremst in uns hinein. Alles spielte sich in absoluter Zeitlupe ab - und ich fühlte mich wie in einem Film. Man nimmt alles anders wahr, ist in einem vollkommen veränderten Zustand. Die Zeit steht still und rast gleichzeitig mit einem wahnsinnigen Tempo dahin. Im ersten Moment wusste ich nicht einmal, ob ich vielleicht schon tot war – Luft bekam ich jedenfalls keine mehr. Meine Lungen fühlten sich an, als seien sie komplett zusammengequetscht. Dann stieg ich wie ferngesteuert aus und ging in die eiskalte Nacht. Doch im Grunde genommen spürte ich gar nichts. Keine Kälte, keine Schmerzen, kein Gefühl.
Die Insassen des anderen Fahrzeugs waren tot. Kein schönes Ende für einen fröhlichen Abend, kamen sie doch gerade von einer Musikveranstaltung… Was wir aber erst später erfahren haben.
Ich hatte „nur" Brandwunden am Hals, von dem Sicherheitsgurt, der auf einige Meter Länge ausgedehnt worden war und sich mit rasender Geschwindigkeit in die Haut gefressen hatte – sonst konnte man auf den ersten Blick jedoch nichts feststellen. Ich verbrachte also einige Zeit im Rettungswagen – wie lange, weiß ich nicht mehr, denn das Zeitgefühl war mir abhanden gekommen. Für einen Krankenhausaufenthalt sah bei mir niemand eine Veranlassung. Und irgendwann meinte der Notarzt, wir könnten jetzt gehen. Also wurden wir von einem netten Autofahrer, der als Erster an der Unfallstelle eingetroffen war, freundlicherweise direkt nach Hause gefahren. Mein Freund in seine Wohnung, ich in meine. Aber von einer Guten Nacht konnte keine Rede sein.
Was Schüttelfrost genau ist, wusste ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Nach dieser Nacht aber kannte ich mich damit aus: Denn es schüttelte nicht nur meinen Körper ordentlich durch, nein, ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass mein ganzes Metallbett mit durchgerüttelt wurde. Es kam mir vor, als würde das Bett unter mir hüpfen, so hat es gewackelt. Das Ganze musste wohl über mehrere Stunden gegangen sein. Und ich konnte nichts dagegen tun, es lief völlig automatisch ab und ohne mein bewusstes Zutun. Stoppen konnte man hier nichts mehr.
Dann entdeckte ich, dass meine Zunge blutete. Sie war wohl gerissen, weil ich mir beim Aufprall heftig darauf gebissen hatte. Noch mehr Blut kam ebenfalls zum Vorschein, als ich auf die Toilette ging. Von Gehen kann man jedoch nicht sprechen, jede kleinste Bewegung war ein Kraftakt, ein schmerzhafter. Alles ging nur millimeterweise, was immer ich auch versuchte. Irgendwann am frühen Morgen wurde mir klar: Ich muss ins Krankenhaus! So easy, wie es im ersten Moment wohl ausgesehen hatte, war die Sache anscheinend doch nicht.
Irgendwie konnte ich mich auch noch dumpf an die Worte des Notarztes erinnern: „Doch, SIE haben auch was abbekommen. Sie merken es nur jetzt noch nicht…" Tja, da hat er wohl absolut recht gehabt.
Ich landete in einem der nächstgelegenen Krankenhäuser, der diensthabende Arzt war ein „entfernter Bekannter" von mir – und alleine deshalb vertraute ich ihm. Was sich hinterher als nicht ganz glücklich herausstellen sollte. Aber in dem Moment dachte ich, ich sei in den besten Händen.
Diese Hände, die mich behandelten, waren die eines ausgebildeten Chirurgen. Aber auch die eines begeisterten Chiropraktikers. Das sogenannte Einrenken von angeblich verschobenen oder ausgerenkten Wirbeln war sozusagen seine Leidenschaft – und ein jeder, der ihm begegnete, wurde, wenn irgend möglich, erst einmal eingerenkt. Die meisten Leute fühlten sich nach dieser Prozedur, die ja nur Bruchteile von Sekunden dauerte, wie neugeboren. Angeblich konnte man fast alles damit beeinflussen. Mitte der neunziger Jahre war man noch der Ansicht, dass es eine gute Sache ist, das Einrenken.
So wurde diese Methode auch bei mir, der frisch Verunglückten mit dem akuten Schleudertrauma, angewandt. Und zwar mehrfach. Im Abstand von wenigen Tagen. Heute hat man da eine andere Einstellung gewonnen und setzt zunehmend auf