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Mein Gott, warum?: Als ein Schuss alles veränderte. Mein Leben zwischen Schuld, Vergebung und Freiheit
Mein Gott, warum?: Als ein Schuss alles veränderte. Mein Leben zwischen Schuld, Vergebung und Freiheit
Mein Gott, warum?: Als ein Schuss alles veränderte. Mein Leben zwischen Schuld, Vergebung und Freiheit
eBook280 Seiten3 Stunden

Mein Gott, warum?: Als ein Schuss alles veränderte. Mein Leben zwischen Schuld, Vergebung und Freiheit

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Über dieses E-Book

Es war nur eine einzige Sekunde, die alles veränderte: ein Schießunfall bei der Bundeswehr, der einen jungen Mann das Leben kostete. Ein anderer junger Mann lebt weiter, konfrontiert damit, Schuld am Tod des Kameraden zu tragen. Fortan quält Heiko Bauder die Frage: Warum? Stück für Stück kämpft er sich zurück ins Leben, trotz wiederkehrender Schicksalsschläge. Authentisch beschreibt er seinen Weg aus der Schuldfalle und macht allen Mut, die sich nach einer Antwort auf ihr eigenes »Warum« sehnen.
SpracheDeutsch
HerausgeberSCM Hänssler
Erscheinungsdatum15. Jan. 2024
ISBN9783775176309
Mein Gott, warum?: Als ein Schuss alles veränderte. Mein Leben zwischen Schuld, Vergebung und Freiheit
Autor

Heiko Bauder

Heiko Bauder (Jg. 1971) lebt in einer kleinen Gemeinde am Fuße der Schwäbischen Alb. Er liebt es, das Potenzial junger Menschen zu fördern. Beruflich arbeitet er als Ausbilder angehender Industriemechaniker. Dabei ist ihm nicht nur die fachliche Entwicklung wichtig, sondern auch die Persönlichkeitsbildung. Seine Leidenschaft für junge Menschen sowie für viele Outdooraktivitäten führten ihn außerdem zu einer Weiterbildung zum Erlebnispädagogen und Personal Coach. Seine Basis bei der Arbeit mit Jugendlichen bildet hierbei das biblisch-christliche Wertebild. Beheimatet ist er selbst in der landeskirchlichen, örtlichen Gemeinde. Auch dort bringt er sich ehrenamtlich in der evangelischen Konfirmandenarbeit ein. Privat schlägt sein Herz für seine Frau und seine drei Kinder. Outdoor ist ihr Thema und so genießen sie allerlei Abenteuer - sei es beim Klettern, Wandern, Radfahren, im Hochseilgarten, beim Abseilen usw. Es gibt fast nichts, was man nicht gemeinsam ausprobieren würde. Sein Mechanikerherz schlägt auch in der Freizeit, am liebsten beim Schrauben an den Oldtimermotorrädern.

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    Buchvorschau

    Mein Gott, warum? - Heiko Bauder

    Porträt von Heiko Bauder

    Heiko Bauder (Jg. 1971) lebt am Fuße der schwäbischen Alb, wo er sich in der evangelischen Konfirmandenarbeit engagiert. Beruflich ist er Ausbilder angehender Industriemechaniker sowie Erlebnispädagoge und Personal Coach. Privat schlägt sein Herz für die Familie, Berge und Oldtimer.

    Von einem Moment auf den anderen kann es so ganz anders kommen

    Es war nur eine einzige Sekunde, die alles veränderte: ein Schießunfall bei der Bundeswehr, der einen jungen Mann das Leben kostete. Ein anderer junger Mann lebt weiter, konfrontiert damit, Schuld am Tod des Kameraden zu tragen. Fortan quält Heiko Bauder die Frage: »Warum?« Stück für Stück kämpft er sich zurück ins Leben, trotz wiederkehrender Schicksalsschläge. Stück für Stück kämpft er sich auch zurück zu Gott. Zu dem Gott der Vergebung, der auch dann, wenn alle Säulen zusammenbrechen und man nichts mehr auf die Reihe bekommt, sagt: »Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!«

    »Ein außergewöhnliches Hoffnungsbuch für Menschen, die durch erdenschwere Zeiten gehen. Es lässt aufatmen, wo einem unerwartete Lebenskatastrophen die Luft zum Atmen genommen haben. Durchlebt, tiefgründig und geistlich inspirierend.«

    DIETER BRAUN, Fachlicher Leiter im Ev. Jugendwerk in Württemberg

    »Was für eine Geschichte: aufwühlend, authentisch, ermutigend!«

    CORNELIUS HAEFELE, Theologe und Berater

    »Es passiert meistens nur in Albträumen. Heiko Bauder ist es wirklich passiert. Eine Reihe unglücklicher Zufälle, ein tragischer Unfall, Heiko ist schuld. Dieses Buch fesselt, wühlt auf, zeugt aber von göttlichen Lichtstrahlen, die auch in die schlimmste Finsternis hineindringen und Trost bringen.«

    NICOLA VOLLKOMMER, Autorin und Referentin

    HEIKO BAUDER

    Mein Gott,

    warum?

    Als ein Schuss alles veränderte.

    Mein Leben zwischen Schuld,

    Vergebung und Freiheit

    SCMSCM | Stiftung Christliche Medien

    SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

    Einige Namen in diesem E-Book wurden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert.

    ISBN 978-3-7751-7630-9 (E-Book)

    ISBN 978-3-7751-6198-5 (lieferbare Buchausgabe)

    Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

    © 2024 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH

    Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

    Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: info@scm-haenssler.de

    Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

    Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006

    SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen.

    Weiter wurde verwendet:

    Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LUT).

    Lektorat: Christina Bachmann

    Umschlaggestaltung: Stephan Schulze, Stuttgart

    Autoren- und Titelbild: Heiko Bauder – © privat

    Bildteil: Heiko Bauder – © privat

    Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

    INHALT

    Einleitung

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Nachwort

    Dank an besondere Menschen

    Anmerkungen

    EINLEITUNG

    Stellen Sie sich vor, sie gehen morgens aus dem Haus zu ihrer Arbeit, in die Schule, an die Uni oder wohin Sie sonst auch gehen müssen. Alles ist wie immer. Sie verabschieden sich von ihrem Partner oder ihrer Familie, setzen sich ins Auto und fahren ihrem Ziel entgegen. Die Gedanken sind schon bei ihren Aufgaben oder Sie sind im Kopf noch bei den Ereignissen des Vortages. Die Strecke kennen sie im Schlaf, viele Jahre fahren Sie hier schon.

    Doch heute scheint es irgendwie anders zu sein. Das Fahrzeug vor ihnen, das scheinbar keine Eile kennt. Dann auch noch der Lieferwagen, der mitten in der Einbahnstraße, am hellen Morgen schon, Möbelstücke abliefert. Plötzlich drängt die Zeit. Die Gedanken fixieren Ihren ersten Termin und Sie müssen schauen, dass Sie jetzt nicht zu spät kommen. Sie sehen auf die Uhr und stellen fest, dass sie gegenüber sonst deutlich später dran sind. Sie merken es auch am Verkehr, der heute doch stärker ist als sonst. Irgendwie sind mehr Menschen unterwegs als an den anderen Tagen.

    Ja, Sie sind ein paar Minuten später weggekommen, aber sollte das so viel ausmachen? Sie schauen nochmals auf die Uhr. Wenn alles glattgeht, wird es doch noch für den Termin reichen, ja, vielleicht sogar noch für einen Kaffee davor. Ihr Vordermann ist jetzt zum Glück kein Langweiler mehr und es dürfte ab jetzt vollends zügig gehen.

    Plötzlich reißt Sie ein dumpfer, aber lauter Schlag aus Ihren Gedanken, etwas schlägt auf ihrer Windschutzscheibe auf. Sie treten voll auf die Bremse, wissen nicht, was da gerade los war. Aber dann wird Ihnen schnell klar, dass Ihnen ein Unfall passiert ist.

    Sie steigen aus und stellen fest, dass der Schlag auf Ihrer Scheibe ein Radfahrer war, der jetzt reglos im Straßengraben liegt. Andere Autofahrer haben bereits angehalten und leisten erste Hilfe. Sie stehen unter Schock, fragen sich, wo der Radfahrer herkam. Hier waren doch noch nie Radfahrer unterwegs! Warum haben Sie ihn bloß nicht gesehen? Sie blicken zum Radfahrer und sehen, dass die Helfer verzweifelt versuchen, ihn wiederzubeleben. Ihnen wird klar, dass gerade etwas Furchtbares passiert ist, an dem Sie Schuld haben.

    So oder in ganz ähnlichen Situationen, mitten in unserem Alltag, spielen sich Tag für Tag Tragödien ab, bei denen Menschen verunglücken und sterben. Auf der Straße, im Beruf, in der Freizeit. Meistens lesen wir in der Zeitung darüber, sind oft entsetzt und fassungslos, wie das passieren konnte, um dann doch zur Tagesordnung überzugehen. Keiner von uns denkt daran, dass schon heute vielleicht er derjenige sein könnte, der am Tod oder einer schweren Verletzung eines anderen Menschen beteiligt sein könnte. Und ich denke, das will sich auch niemand freiwillig vorstellen. Doch was, wenn der unwahrscheinliche Fall dann doch eintritt?

    Plötzlich ist man schuldig. Schuld am Tod eines Menschen. Gerade war doch alles noch in Ordnung! Plötzlich ist nichts mehr, wie es noch vor ein paar Augenblicken war. Plötzlich hat die Schuld das Leben fest im Griff, im Würgegriff!

    Mein Buch möchte einen Einblick geben in das, was nach so einer »Stunde null« kommt. Was kommt, wenn man realisiert, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war. Wenn sich die Schuld am Tod eines Menschen über einen legt wie eine bleierne Weste. Wenn einen die Frage nach dem Warum nicht mehr loslässt! Wenn das Leben, das eben noch prall und voll und lebensfroh war, plötzlich sinnlos zu sein scheint.

    Und dann die Frage nach Gott. Wo war er in diesem Moment? Warum hat er das zugelassen? So hatte ich mir ein Leben mit Jesus nicht vorgestellt!

    Aber in Gottes Wort steht auch: »Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken«, sagt der Herr, »und meine Wege sind nicht eure Wege. Denn so viel der Himmel höher ist als die Erde, so viel höher stehen meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken« (Jesaja 55,8-9).

    Das bedeutet aber auch, sich auseinanderzusetzen mit dem, was passiert ist, die Schuld anzunehmen und um Vergebung zu bitten. Man kann nur darum bitten – ob sie einem zuteilwird, liegt nicht in unserer Hand. Und Vergebung heißt nicht automatisch Vergessen. Vergessen wird man so etwas nie, es wird einen begleiten, das ganze Leben lang. Und zwar beide Seiten, den Unfallverursacher wie das Opfer oder die Angehörigen.

    Ich möchte Sie hineinnehmen in meine ganz persönliche Geschichte. Eine Geschichte von tiefster Verzweiflung, Not, Leid, Trauer und Schmerzen. Aber auch eine Geschichte voller Hoffnung. Hoffnung, dass neues Leben gelingen kann. Hoffnung, dass die dunklen Schatten weichen und neues Leben möglich wird. Ja, dass sogar reich gesegnetes Leben wieder möglich wird.

    Und ich möchte Mut machen, dass es eine Vergebung der Schuld gibt, dass es einen neuen Anfang geben kann und wir wieder in dieses Leben finden können, das Freude macht und uns ein Lachen auf die Lippen zaubert. Mut machen, dass wir mit unserem Leben anderen zum Segen werden können.

    Und wenn wir am Ende des dunklen Tales zurückschauen, stellen wir fest, dass Gottes Wege nicht unsere Wege sind, seine Gedanken nicht unsere Gedanken. Aber dass seine Gedanken und Wege für uns die richtigen sind.

    KAPITEL 1

    24. Juni 1992

    Es war ein warmer Junitag. In den frühen Vormittagsstunden waren mein Truppführer und ich, beides Wehrpflichtige, gerade mit einem der letzten Fahrzeuge auf den Truppenübungsplatz eingebogen und parkten unseren Unimog hinter all den anderen Militärfahrzeugen, die in einer langen Schlange am Wegesrand standen.

    Nach einer insgesamt dreitägigen Militärübung sollte auf dem Standortübungsplatz der Kaserne im Raum Oberschwaben die Manöverkritik stattfinden, bevor wir dann endlich Dienstschluss hatten. Wir waren völlig übermüdet und froh, dass es bald vorbei sein würde und wir uns ausschlafen konnten. In den Nächten hatten wir immer wieder wechselnden Wachdienst gehabt: zwei Stunden Ruhe, dann wieder Wache. Mit scharfer Munition. Ich hatte immer die Hosen voll gehabt: Wenn du allein dort im Wald stehst, mitten in der Nacht, da fangen die Bäume an zu laufen und du erschrickst dich bei jedem kleinsten Geräusch. Jedes Mal war ich froh gewesen, wenn der Dienst zu Ende war und ich ausruhen konnte. An Schlaf war nicht zu denken gewesen, man war viel zu aufgewühlt, als das man hätte schlafen können. Und so hatten wir bis zum Ende der Übung nicht mehr als insgesamt vier Stunden richtig geschlafen.

    Ich machte meinem Kameraden also den Vorschlag, dass er doch allein gehen könne, es würde sicher nicht auffallen, wenn ich in der Unimog-Kabine eine Mütze Schlaf nehmen würde. Es war nicht wirklich ernst gemeint, da ich ja auch wusste, dass auf dem Übungsplatz durchgezählt würde und mein Kamerad als Truppführer die Verantwortung hatte. Er drängte seinerseits zur Eile, da wir doch recht spät dran waren. Er beschloss, schon vorauszugehen und unsere Einheit zu melden, und ich versicherte ihm, dass ich noch den Unimog abtarnen würde, da wir uns ja immer noch in der Übung befanden.

    Schnell warf ich das Tarnnetz über die Fahrerkabine und folgte dann zügig meinem Kameraden. Unser Weg ging entlang der parkenden Fahrzeugkolonne. Beim Vorübergehen an einem Unimog mit Anhänger bemerkte ich, dass an der Deichsel ein G3-Schnellfeuergewehr angelehnt war. Ich wunderte mich, dass doch tatsächlich einer der Kameraden seine Waffe vergessen hatte. Ich nahm das Gewehr auf und mir war klar, dass jedes Gewehr als geladen anzusehen war. In dem Moment wusste ich noch nicht, dass sich in den nächsten Sekunden mein Leben und das Leben anderer Menschen dramatisch und für immer verändern würde.

    Versagen

    Ich machte einen Fehler, den man wohl mit menschlichem Versagen begründen würde. Ich tat das, was beim Reinigen einer Waffe Hunderte Male durchgespielt wird: Man reinigt die Waffe, setzt sie zusammen und muss eine Funktionsüberprüfung machen. Das heißt durchladen, entsichern und abdrücken, um die korrekte Funktion zu überprüfen. Natürlich weiß man in dem Moment, dass keine Munition in der Waffe ist. Dies wird zum Automatismus ähnlich dem, dass man beim Gangschalten im Auto auch nicht mehr auf die Zeichen auf dem Schalthebel schaut.

    Ich war während der Übung so unterwiesen worden, dass Magazine mit scharfer Munition einen gelben Klebestreifen haben müssen. Dieses Magazin, das ich jetzt in der Hand hielt, hatte das nicht, wohl aber die Waffe selbst. Zusätzlich dazu wurde bei uns immer morgens nach dem Wachdienst auf der Übung die scharfe Munition eingesammelt bzw. die Magazine mit scharfer Munition gegen leere Magazine getauscht.

    Ich stand also mit dem Gewehr in der Hand zwischen Lkw und Anhänger. Um die Waffe besser bedienen zu können, setzte ich den Gewehrkolben auf meinem Oberschenkel auf. Doch anstatt den Ladehebel des Gewehres so weit aufzuziehen, um im Lauf des Gewehres nachsehen zu können, ob sich dort eine Patrone befand, zog ich den Hebel durch, entsicherte und drückte ab. Ein laut gellender Schuss löste sich und ich war völlig perplex, dass tatsächlich Munition in der Waffe war.

    Das gibt mächtig Ärger, schoss es mir sofort durch den Kopf. Ich hatte die Waffe nicht richtig überprüft in dem Glauben, dass es keine scharfe Waffe sei. Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Stille. Ich wollte mich schon innerlich vorbereiten auf das Donnerwetter, das gleich über mich hereinbrechen würde, doch da sah ich, wie ein Kamerad von oben herab direkt vor mir auf den Boden fiel.

    Ich verstand zuerst überhaupt nicht, was los war. Doch im nächsten Augenblick durchfuhr es mich siedend heiß: Der Schuss, verdammt, wo kommt er plötzlich her, wo war er?! Erst jetzt sah ich nach oben und sah die offene Funker-Kabine, durch die er im Moment des Schusses gekommen sein musste. Das ist eine Art viereckiger, geschlossener Container mit Ausgangsluke auf der Ladebordwand des Lkw. Durch diese Luke musste er im Moment des Schusses gekommen sein. Er hatte mich wohl ebenfalls nicht bemerkt, sonst hätte er sich doch sicher bemerkbar gemacht!

    Später erfuhr ich, dass mein Kamerad sich bereits auf dem Übungsplatz befunden hatte, aber zurückgeschickt worden war, um eine Warnweste zu holen. Er sollte damit eventuellen Verkehr auf dem Übungsplatz regeln, der nichts mit der Übung zu tun hatte.

    Als mir bewusst wurde, was hier gerade passiert war, begann ich zu schreien. Ich schrie um Hilfe. Mein Kamerad stöhnte und ich schrie, so laut ich konnte, um Hilfe.

    Schock

    Trotz meiner Hilfeschreie konnte ich das Ganze irgendwie noch nicht fassen. Ich war in totaler Schockstarre und auch nicht in der Lage, meinem Kameraden selbst zu helfen. Mein Truppführer, mit dem ich angekommen war, kam zurückgeeilt und kurz darauf trafen auch schon die sogenannten Dienstgrade, also meine Vorgesetzten, ein. Sie versorgten meinen Kameraden und veranlassten den schnellen Abtransport.

    Ich konnte noch einen Blick auf ihn werfen und sah, dass er nicht mehr in der Lage war, zu reagieren. Ich schrie immer noch. Ich schrie so laut und hoffte, das Schreien könnte irgendetwas bewirken.

    Einer der Dienstgrade nahm mich zur Seite, drückte mich und versuchte mich zu trösten. Aber da gab es nichts zu trösten.

    Ich wollte das nicht, Scheiße, was ist hier passiert! Warum, das kann doch nicht sein! Ich wechselte vom Schreien ins bitterliche Heulen und wieder ins Schreien. Nein, nein, nein.

    Ich wurde in die Kaserne gebracht. Dort kam ich in einen Raum, gemeinsam eingeschlossen mit einem anderen Kameraden, der mich mit scharfer Waffe bewachen musste. Dieser Kamerad tut mir noch heute leid. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mit ihm allein war, aber ich schrie ihn die ganze Zeit über an. Nicht ihn direkt, ich schrie einfach.

    Nein, nein, das darf nicht sein! Dazwischen versuchte ich, Gebete zum Himmel zu schicken. Bitte lass ihn nicht sterben, bitte, bitte nicht. Im nächsten Moment schrie ich Gott an: Warum!!!

    Ich denke heute, dieser Kamerad wird diese Zeit in dem Raum mit mir sein Leben lang nicht vergessen. Wenn er gefragt werden würde, was Schuld sei, könnte er antworten, er könne vielleicht nicht genau erklären, was Schuld im Einzelnen sei, aber er wisse seit damals, wie sich Schuld anhöre.

    Schuld

    Ich war schuldig. Noch wusste ich nicht genau, wie schwer meine Schuld wiegen würde. Vielleicht hatten wir beide Glück gehabt und der Kamerad war nicht schwerer verletzt. Aber genauso konnte es sein, dass er schwerstverletzt war oder sogar sterben könnte.

    Ich hatte das alles nicht gewollt! Warum hatte das blöde Gewehr bloß da rumgestanden? Warum war verdammt noch mal scharfe Munition drin gewesen? Aber es brachte alles nichts. Ich hatte den Auslöser gedrückt. Ohne diese Aktion hätte ich jetzt nicht hier gesessen. Vor allem wäre der Kamerad jetzt nicht verletzt, schwer verletzt oder gar tot.

    Es war qualvoll: Ich wusste nichts, keiner sagte mir etwas. Und wieder kamen diese Schreianfälle in Abwechslung mit Weinkrämpfen. So etwas hatte ich nie erleben wollen, nie, niemals! Ich wollte doch nur meinen Wehrdienst tun, so wie Tausende andere vor mir auch.

    So viele Fragen schossen mir durch den Kopf, so viel Verzweiflung, und alles mündete in diesen einen verdammten Gedanken: Warum?

    Dieser Gedanke brachte mich fast um den Verstand und er ließ mich ohne Antwort allein – nicht nur für den Moment, sondern über viele Jahre. Auch heute noch beschleicht sie mich immer wieder, die Frage nach dem Warum. Dass sie mich gefangen hält, habe ich erst sehr viel später verstanden und auch, welchen Ausweg es daraus gibt.

    Gewissheit

    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich in dem Raum allein war, mit meinem bemitleidenswerten Kameraden, mit meiner Verzweiflung, meiner Ohnmacht und Angst. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde die Tür aufgeschlossen, es kamen verschiedene Dienstgrade in den Raum und mit ihnen der katholische Standortpfarrer. Er war als Militärseelsorger zuständig für unsere Kaserne.

    Schon an seinem Gesichtsausdruck sah ich, dass meine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren. Sven hatte nicht überlebt. Er war kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus an seinen schweren inneren Verletzungen gestorben. Die Verletzungen kamen von der speziellen Munition, die bei unserer Übung verwendet worden war. Sie hatte die verheerende Wirkung, dass sie sich beim Auftreffen auf einen harten Gegenstand verformte und somit alles zerriss, war ihr in den Weg kam. Diese Munition, eine Weichkernmunition, war darauf ausgelegt, sicher zu töten. Sven hatte keine Chance gehabt. Der Schuss hatte sich in dem Moment gelöst, als er die Kabine seines Lastwagens in gebückter Haltung verlassen hatte. Die Munition war beim Auftreffen auf das Schlüsselbein verformt und ins Innere des Körpers abgelenkt worden, dort hatte sie ihre schreckliche und tödliche Wirkung entfaltet.

    Warum gerade diese Munition hatte verwendet werden müssen, konnte niemand aus dem Verantwortungsbereich der Bundeswehr beantworten. Es hätte auch die Möglichkeit anderer Munition gegeben, sogenannter Hartkernmunition. Diese wird auch bei der Polizei verwendet und ist darauf ausgelegt, einen Angreifer lediglich kampfunfähig zu machen. Wäre diese verwendet worden, wäre Sven vermutlich mit einem Durchschuss am Leben geblieben.

    Aber jetzt war Sven tot, er war gerade einmal zwanzig Jahre alt geworden. Wie sinnlos war doch dieses Sterben! Wieder kam in mir die Frage hoch, warum um Himmels willen das alles nur so hatte passieren können. Vor Kurzem noch hatten wir zusammengesessen, hatten den Alltag der Bundeswehr gemeinsam durchlebt, uns angefreundet und wertgeschätzt.

    Zum ersten Mal kam mir der Gedanke: Warum musste er sterben und nicht ich?

    Ich sollte also den Rest meines Lebens damit leben müssen, dass durch mein Dazutun ein Mensch gestorben war. Das konnte nicht Ziel meines Lebens gewesen sein! Von einem Moment auf den anderen fühlte sich alles sinnlos an. In diesem Augenblick wäre ich bereit gewesen, für Sven zu sterben, damit er wieder leben konnte.

    All das jagte mir in Sekundenbruchteilen durch den Kopf, als mir der Pfarrer die schreckliche Nachricht überbrachte. Hatte ich vorher noch die Kraft gehabt, zu schreien, ja, mich damit irgendwie gegen das Unheil zu stemmen, war alles plötzlich weg. Ich brach in den Armen des Pfarrers zusammen und konnte nur noch bitterlich weinen.

    Vernehmung

    Als ich mich einigermaßen stabilisiert hatte, wurde mir eröffnet, dass die Kriminalpolizei mich zur Vernehmung auf das Präsidium mitnehmen wollte. Ich wurde gefragt, ob ich einen Rechtsbeistand bräuchte. Mir war gar nicht bewusst, was ich mit dieser Frage anfangen sollte. Was sollte ich mit einem Rechtsbeistand? Ich hatte doch nicht im Geringsten gewollt, dass so etwas passierte. Ich konnte mir auch nicht erklären, warum es passiert war. Ich wusste lediglich, wie alles abgelaufen war.

    Das alles hatte sich zu dem Zeitpunkt schon fest in meinen Gedanken eingebrannt. Und genau das wollte ich den Polizeibeamten sagen. Ich wollte alles so sagen, wie es gewesen war, dann würden sie sicher verstehen, dass ich in keinster Weise gewollt hatte, dass so etwas passierte.

    Doch was dann geschah, werde ich bis heute nicht vergessen. Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so hilflos, so

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