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Mit ihnen ritt der Tod: Die erste Kosakendivision
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Mit ihnen ritt der Tod: Die erste Kosakendivision
eBook359 Seiten16 Stunden

Mit ihnen ritt der Tod: Die erste Kosakendivision

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Über dieses E-Book

Als die deutschen Truppen im Sommer 1942 die Siedlungsgebiete der Kosaken sowie die der verschiedenen kaukasischen Stämme erreichten, stellten sich diese Völker, aus ihrem glühenden Freiheitsdrang heraus, der deutschen Führung zum Kampf gegen den Bolschewismus zur Verfügung. Der damalige Oberst Helmut v. Pannwitz erkannte die Bedeutung, die die Einheiten dieser Stämme im Kampf gegen Russland haben könnten. Er schuf, trotz des absoluten Unverständnisses und des Misstrauens der obersten deutschen Führung, aus kleinen Anfängen heraus die 1. Kosakendivision. Diese überaus spannende Handlung füllt lebendig den Rahmen der geschichtlichen Gegebenheiten und politischen Verhältnisse in den Jahren 1944/45 auf dem Balkan.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Förg
Erscheinungsdatum8. Feb. 2018
ISBN9783933708557
Mit ihnen ritt der Tod: Die erste Kosakendivision

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    Buchvorschau

    Mit ihnen ritt der Tod - Franz Taut

    Balkan.

    1

    »Es war ein gewaltiger Plan, Herr Oberst, die kühnste Angriffsoperation der Neuzeit – ein gigantisches Unternehmen …«

    Der breithüftige, gedrungene Mann mit den hängenden Schultern und dem teigigen, zerfurchten Gesicht gestikulierte fahrig, während er dozierte. Den feldgrauen halbmilitärischen Uniformrock hatte er am 1. September 1939 angelegt, um ihn erst »nach dem Endsieg« wieder gegen die braune Partei-Litewka zu vertauschen. Der Mann hieß Adolf Hitler und hielt sich für den größten Feldherrn aller Zeiten.

    An dem runden Tisch, auf dem der obligate Tee aufgetragen war, dem »Führer« gegenüber, saß steif Oberst Helmut von Pannwitz. Es irritierte ihn, dass Hitler so weitschweifig und in Superlativen über die Operationen des vergangenen Sommers sprach, anstatt sich mit der gegenwärtigen prekären Lage zu befassen.

    Erst drei Wochen zuvor, am 2. Februar 1943, hatte sich das Leichentuch über die letzten Kämpfer von Stalingrad gesenkt. Die 1. Panzerarmee hatte sich aus dem Terekgebiet über die Steppe und das Eis des Asowschen Meeres abgesetzt, die 17. Armee war aus dem Westkaukasus in den Kubanbrückenkopf zurückgefallen. Die Truppe, die Pannwitz in der Stunde der Katastrophe aus dem Nichts aufgestellt hatte, retirierte derzeit zur Mijus-Linie – zur Mijus-Linie, von der man sieben Monate zuvor, im Juli 1942, zum Vormarsch aufgebrochen war.

    Oberst von Pannwitz war vom Schlachtfeld nördlich des Asowschen Meeres ins Führerhauptquartier beordert worden. Vor seinem inneren Auge standen Bilder des Grauens und der Vernichtung. Erst vor zwei Tagen, auf der Fahrt zu einer Kosaken-Sotnja, hatte der Tod nach ihm gegriffen. Hitler jedoch redete in einem fort von dem, was längst zu Asche geworden war.

    Das breite bäuerische Gesicht des Obersten blieb unbewegt. Er vermisste die Zigarre, die er sonst fast ständig zwischen den Lippen hatte.

    Hitler war Nichtraucher. Er trank auch nicht. Das Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes, das er Oberst von Pannwitz zu Beginn der Audienz mit pathetischem Wortschwall überreicht hatte, begoss er mit dünnem Tee. Endlich unterbrach er seine Schilderung verspielter Siege. Fragend, mit skeptischem Unterton, sagte er, indem er mit abwesender Geste zwei Finger an die dunkle Schnurrbartbürste legte:

    »Diese Russen, Herr Oberst, diese Ostmenschen, die Sie in Ihren Verband eingegliedert haben – sie haben sich also bewährt?«

    »Jawohl, mein Führer«, antwortete Pannwitz mit knarrender Stimme. »Es sind vorwiegend Kosaken vom Don, vom Kuban, vom Terek, auch Sibierier. Sie haben sich hervorragend geschlagen – ebenso wie die Karatschaier, die Kabardiner, Tscherkessen, Turkmenen und Kalmücken. Zweifellos haben sie entscheidend zur Stabilisierung der Lage beigetragen. Ich erlaube mir zu wiederholen: Man sollte diese Leute zu einem großen Verband zusammenfassen. Es wäre eine fühlbare Erleichterung für unsere hart ringenden Soldaten, mein Führer.«

    Vor dem Betreten des Führerbunkers war Pannwitz, der erst am Morgen vom Frontflugplatz Taganrog abgeflogen war, von einem der hier massenhaft umherschwirrenden Generalstäbler gewarnt worden.

    »Sie werden mit Ihren Plänen einen schweren Stand haben, Herr Oberst«, hatte der Major mit den roten Hosenstreifen ihm vertraulich zugeraunt. »Er hält starr an seiner Untermenschen-Theorie fest. Sie werden ins Fettnäpfchen treten, Herr Oberst, wenn Sie ihn vom Gegenteil überzeugen wollen.«

    Trotz dieses wohlgemeinten Rates hatte Oberst von Pannwitz mit der ihm eigenen Beharrlichkeit seinen Vorschlag, einen Reiterverband, möglichst eine Division, aus Freiwilligen des Ostens aufzustellen, nun zum zweiten Mal vorgebracht.

    Da Hitler, scheinbar in tiefes Nachdenken versunken, schwieg, fuhr Pannwitz lebhaft und drängend fort:

    »Trotz aller Mechanisierung entscheidet letzten Endes auf dem Schlachtfeld der Mensch, mein Führer. An Menschen herrscht drüben bei den Bolschewiken Überfluss. Rücksichtslos werden sie ins Feuer geworfen. Wir könnten mit den Ostfreiwilligen, die uns zweifellos in Massen zuströmen werden, ein Gegengewicht schaffen, ganz zu schweigen von den politischen Möglichkeiten.«

    Pannwitz war Kavallerist. Im Zuge der Technisierung des Heeres war er zu den motorisierten »Schnellen Truppen« übergewechselt; im Herzen jedoch war er der Mann des Sattels, der Attacke mit blankem Säbel, geblieben. In den letzten Wochen hatte er mit den Steppenreitern des Ostens die Auswirkungen der Katastrophe von Stalingrad eingedämmt. Für diese Tat war er vom »Führer« mit dem Eichenlaub ausgezeichnet worden. Warum zog der Oberste Befehlshaber nicht von sich aus die naheliegenden Konsequenzen aus diesen doch offenkundigen Erfolgen? Warum antwortete er nicht?

    Plötzlich hob Hitler den Kopf. Seine fahle, weiche Hand strich das strähnige Haar aus der Stirn. Sein unstet flackernder Blick musterte sekundenlang die straffen, derbknochigen, von ständiger Überanstrengung und schlaflosen Nächten gezeichneten Züge des Obersten.

    »Sie wollen diese Horden dem deutschen Soldaten gleichstellen?«, sagte er mit finster gerunzelten Brauen. Doch schon schien er an dem Thema »Kosaken« und »Ostfreiwillige« desinteressiert. Mit der ihm eigenen Sprunghaftigkeit murmelte er: »Stalingrad. Die sechste Armee könnte heute noch an der Wolga stehen. Man hintergeht mich. Meine Befehle werden nicht ausgeführt …«

    Immer noch schien er vom Glauben an seine Größe und seine Sendung erfüllt zu sein. Pannwitz starrte ihn ebenso ungläubig wie verstört an. Dieser Mann schien sich auf eisigen Höhen zu bewegen, auf die ihm niemand folgen konnte. War er wirklich ein Genie oder, wie man sich heimlich hinter der vorgehaltenen Hand zuflüsterte, ein von Wahnideen besessener Scharlatan?

    Unvermittelt brach Hitler ab, trank von seinem Tee und erklärte dann mit abschließender Gebärde, ohne ein klares Ja oder Nein verlauten zu lassen:

    »Kehren Sie zu Ihrer Kampfgruppe zurück, Herr Oberst. Wenn Sie Wünsche haben – meine Operationsabteilung und der Generalquartiermeister werden Ihnen nach Möglichkeit entgegenkommen.«

    Die Teestunde im Führerbunker, die zum Zeremoniell der Verleihung des Eichenlaubes gehörte, war damit beendet.

    Pannwitz erhob sich. Er grüßte mit erhobenem Arm. Hitler schien nicht daran zu denken, ihm die Hand zum Abschied zu reichen. Mit exakter Kehrtwendung wandte Pannwitz sich um. Der dicke Teppich, mit dem der komfortable Bunker ausgelegt war, dämpfte das Klirren seiner Sporen.

    Als er ins Freie trat, füllte er seine Lungen mit der frischen Frostluft des kalten, trüben Tages. Dieses Führerhauptquartier, unter Bäumen getarnt und überreichlich mit den an der Front fehlenden Flakgeschützen bestückt, war eine riesige Baustelle. Überall waren neue Bunker im Entstehen.

    Auf dem Weg zur Abteilung I a begegnete Oberst von Pannwitz einem ergrauten General, den er seit Langem kannte.

    »Na, wie war er?«, fragte der vertrocknet wirkende Messtischblatt-Stratege und fuhr sich mit zwei Fingern hinter den mit Goldstickerei geschmückten Uniformkragen.

    Pannwitz stieß ein kurzes Lachen aus.

    »Er hat eigentlich nur immer vom Vormarsch im vergangenen Sommer gesprochen. Immerhin hat er mich beauftragt, einen Reiterverband aus Kosaken aufzustellen.«

    Der General nahm den Arm des Jüngeren.

    »Phänomenal, mein Lieber. Gratuliere. Sie haben das erreicht, was der Russengeneral Wlassow vergeblich anstrebt! Kommen Sie mit ins Kasino! Wir wollen einen verlöten auf den Reiterverband von Pannwitz.«

    Der Oberst fühlte sich auf einmal unbehaglich. Was hatte er mit seiner unbedachten Erklärung heraufbeschworen? Doch rasch schüttelte er die Bedenken ab. Vollendete Tatsachen waren das Einzige, womit man den »Führer« überrumpeln konnte. Er würde einen Kosakenverband aufstellen, gründlich und nach seinem Kopf, von dem viele behaupteten, es sei ein typisch pommerscher Dickschädel, den er sich eines Tages einrennen werde.

    Hätte Pannwitz gewusst, dass er sich in dieser Stunde die Schlinge um den Hals legte – er wäre gewiss Kommandeur bei den »Schnellen Truppen« geblieben und niemals der Feldataman aller Kosaken geworden …

    »Wann fliegen Sie nach Taganrog zurück?«, fragte der in der Nähe des »größten Feldherrn« verkümmernde General.

    »Erst mal drei Tage nach Hause. So einen Heldenurlaub lässt man sich nicht entgehen.«

    »Und wer schmeißt so lange Ihren Laden?«

    »Ein angesehener alter Kosaken-Ataman zusammen mit dem Führer meiner Stabsschwadron und mit Rittmeister Hosfeld, meinem Adjutanten. Die beiden kommen von der Kavallerie wie ich. Mit unseren Kosaken verstehen sie sich glänzend.«

    Der Ataman mit dem buschigen weißen Schnauzbart schleppte sich an zwei Stöcken auf seinen Beinprothesen durch den Schnee. Die Prothesen waren aus Buchenholz. In seinem selbst gewählten Gewahrsam hatte Ignatij Wassiljewitsch Kulakow sie eigenhändig geschnitzt.

    24 Jahre lang hatte der legendäre Kosaken-Ataman sich in seinem zwischen Felsen versteckten Heimatdorf am Terekfluss in einem tiefen Kellerschacht seines Hauses verborgen gehalten. Im Jahre 1918 hatten Granatsplitter dem damals noch jungen Offizier eines zarentreuen Kosaken-Garderegiments beim Sturm auf eine bolschewistische Batterie beide Beine abgerissen. Seine treuen Kosaken hatten den Schwerverwundeten auf Schleichwegen in seine Staniza gebracht und der Obhut seiner Frau übergeben. Die unerschrockene Kosakenfrau hatte ihren Lebensgefährten in aller Heimlichkeit gepflegt und versorgt. Selbst die findigsten Spitzel Moskaus glaubten an seinen Tod.

    Im Spätsommer 1942, beim Vormarsch der deutschen Truppen zum Terek, war Kulakow zum ersten Mal wieder ans Tageslicht gekommen. Beim nächsten deutschen Kommandostab hatte der vorzeitig gealterte und verbrauchte Invalide sich zur Verwendung im Kampf gegen die Sowjets zur Verfügung gestellt.

    Die Isba, zu der Kulakow sich auf seinen Stöcken mühsam hinarbeitete, trug wie die übrigen stroh- und schilfgedeckten Hütten des Dorfes eine dicke Schneehaube. Dünner Rauch stieg aus dem Schornstein in die frostklare Luft. Es waren dreißig Grad unter null – der kälteste Tag seit Wochen. Im Osten, wenige Kilometer vom Stabsquartier der »Kampfgruppe Pannwitz« entfernt, detonierten in unregelmäßiger Folge die Granaten der feindlichen Artillerie. Dazwischen schnarrten blechern die Maschinengewehre.

    Mit einem seiner Krückstöcke stieß Kulakow die Tür der niedrigen Lehmkate auf. Wie Nebel wogte ihm die abgestandene warme Luft aus dem kleinen Raum entgegen. Die winzigen Fenster der Hütte waren dick vereist.

    Von dem Tisch, an dem er beim trüben Lichtschein einer Kerosinlampe geschrieben hatte, erhob sich Oberleutnant Steinhoff, der Führer der Stabsschwadron. Er schob Kulakow seinen Stuhl hin.

    »Sie sollten sich mehr schonen, Ataman. Bitte, setzen Sie sich!«

    Unbeholfen ließ Kulakow sich auf den Stuhl nieder. Unter dem dicken Mantel aus Schafpelz trug er die schwarze Tscherkesska, den Waffenrock aus der alten Zeit. Die silbernen Patronenhülsen und der Krummdolch in der ziselierten Silberscheide schimmerten matt im Lampenlicht.

    Steinhoff reichte ihm eine Zigarettenschachtel.

    Mit ruhiger Hand zündete sich Kulakow eine Zigarette an, nahm die schwarze Kubanka aus Karakulfell ab und strich das schüttere weiße Haar zurück.

    »Haben Sie Nachricht von Rittmeister Hosfeld und Essaul Sirotä, Oberleutnant?«, fragte er mit rauer Stimme, die wie eingerostet klang.

    Steinhoff schüttelte den Kopf.

    »Die Fernsprechverbindung ist leider unterbrochen, Ataman. Ich denke, sie sind auf dem Marsch.«

    Draußen auf dem vereisten Weg wurde der Hufschlag eines müde galoppierenden Pferdes laut. Die beiden horchten auf. Steinhoff öffnete die Tür.

    Durch aufstiebenden Schnee kam ein Reiter auf einem abgetriebenen Gaul heran, ließ sich mit katzenhafter Behändigkeit aus dem Sattel gleiten und trat in die Stube. Er hob die Hand an die tief über die Ohren gezogene Fellmütze.

    »Meldung von Leutnant Bondar«, brachte er heftig atmend hervor. »Michailowskaja ist von feindlichen Kräften in Stärke von zwei Bataillonen eingeschlossen. Leutnant Bondar bittet dringendst um Verstärkung und Munition.«

    »Wie lange glaubt Leutnant Bondar durchhalten zu können?«, fragte Steinhoff, der wie alle deutschen Offiziere der »Kampfgruppe Pannwitz« die russische Sprache hinlänglich beherrschte.

    »Diese Nacht noch, Gospodjin Oberleutnant, länger nicht«, antwortete der Kosak.

    Steinhoff nickte.

    »Charascho. Werden sehen, was sich tun lässt. Versorgen Sie Ihr Pferd, Kosak!«

    Der Melder salutierte stumm und ging hinaus.

    Steinhoff wandte sich zu Kulakow.

    »Ataman, wir müssen Bondar noch in dieser Nacht heraushauen.«

    Kulakow fuhr sich über die faltige Stirn.

    »Die deutsche Führung wiederholt ständig ihre Fehler. Auf das Gerücht hin, dass die Bolschewiken im Norden angreifen, hat man die Hauptmasse unserer Reiter voreilig in Marsch gesetzt. Polkownik Pannwitz hat immer wieder betont, dass bei uns der Durchbruchsversuch zu erwarten ist. Warum hat man ihm nicht geglaubt? Unsere Kräfte sind für einen Entlastungsangriff zu schwach, Oberleutnant. Wir müssen Rittmeister Hosfeld und Essaul Sirotä einen Meldereiter entgegenschicken.«

    Steinhoff griff schon zu Mantel und Mütze. Während er dem Ataman beim Aufstehen half, sagte er:

    »Wir wollen hoffen, dass die Abteilung rechtzeitig eintrifft. Ich alarmiere die Stabsschwadron und verständige den Korpsstab. Viel wird das freilich nicht nützen. Sie wissen ja, hinter uns liegen keine Reserven mehr.«

    Er folgte dem schwerfällig humpelnden Ataman ins Freie. Die Kälte traf ihn wie ein Schlag. Während Kulakow sich zum Quartier seiner Leibwache begab, lief er eilig zum Haus des einstigen Dorf-Sowjets, in dem der Gefechtsstand untergebracht war. Im Näherkommen hörte er das Läuten des Feldtelefons.

    Steinhoff betrat das würfelförmige, hässliche Gebäude und riss die Tür zum Geschäftszimmer auf. Ein Nachrichten-Unteroffizier hielt ihm den Handapparat eines der auf einem Tisch aufgereihten Fernsprecher entgegen.

    »Herr Oberleutnant, hier ist der Chef der leichten Batterie.«

    Wieder eine Alarmnachricht, dachte Steinhoff bitter, während er den Hörer ans Ohr presste. Er meldete sich.

    »Hier Ziegelschutt – Oberleutnant Steinhoff.«

    Der Leutnant, der die einzige Batterie leichter Feldhaubitzen befehligte, über die die »Kampfgruppe Pannwitz« verfügte, meldete vom anderen Ende der Leitung:

    »Hallo, Herr Steinhoff, hören Sie: Hier ist was los. Vor uns muss eine üble Schweinerei passiert sein. Seit einer halben Stunde fangen wir Versprengte auf – Italiener und Rumänen, viele ohne Waffen. Verständigung gleich null. Die wenigen, die Deutsch verstehen, geben wirres Zeug von sich. Muss sich um einen Einbruch oder einen Durchbruch bei der Frontnase weiter südlich handeln. Ist der Kommandeur noch nicht zurück?«

    »Nein«, sagte Steinhoff, »wir erwarten ihn in drei oder vier Tagen. Haben Sie Verbindung mit Bondar?«

    »Bis heute Früh. Dann muss das Funkgerät ausgefallen sein. Böse Geschichte, Herr Steinhoff! Wie steht’s mit Feuererlaubnis für mich?«

    »Nichts zu machen. Sie wissen ja Bescheid. Munitionsnachschub fällt vorerst flach. Halten Sie das Volk auf, das bei Ihnen zusammenläuft. In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen. Ende!«

    Steinhoff läutete ab und legte den Hörer auf. Er warf einen Blick auf die an der Wand angebrachte Karte und wandte sich dem Hauptwachtmeister zu.

    »Weber, in zehn Minuten steht die Stabsschwadron marschbereit. Lassen Sie die Fahrzeuge volltanken und geben Sie Handgranaten aus. Ein Portepeeträger und zehn Mann bleiben als Wache hier.«

    Der Hufschlag von mehr als sechshundert Pferden dröhnte wie dumpfer Trommelwirbel auf dem hart gefrorenen Schnee. Schattenhaft trabte die Reiterabteilung unter dem hohen, sternübersäten Himmel durch die früh hereingebrochene Dunkelheit. Sattelleder knirschte, und Pferde schnaubten, Karabiner schlugen im Takt gegen die hinter den Sätteln aufgeschnallten Kochgeschirre. Unter den Reitern waren Kosaken vom Don, vom Kuban, vom Terek, aber auch asiatisch aussehende Kalmücken aus den Steppen um Elista und Astrachan, dazu Kabardiner und Tscherkessen aus der Gegend von Mosdok und Grosny sowie dunkelhäutige Karatschaier, die ihre Schafherden in den Tälern des oberen Kuban und der Laba verlassen hatten.

    »Ist dieser Krieg nicht voller merkwürdiger Widersprüche?«, sagte der an der Spitze trabende deutsche Rittmeister Alfred Hosfeld zu seinem gleichrangigen Begleiter, dem Kosaken-Essaul Sirotä. »Als wir im Juni einundvierzig gegen die Sowjets antraten, standen viele der Männer, die jetzt mit uns reiten, als Gegner auf der anderen Seite. Aber die Zeit hat uns gelehrt, dass wir unter den Völkern dieses Riesenlandes mehr Freunde als Feinde haben. Was wussten wir von euch und eurem Russland. Bis heute ist es für uns ein unlösbares Rätsel geblieben.«

    »Stalin ist euer großer Werber«, entgegnete Sirotä mit dem Sarkasmus, den er immer zur Schau trug, wenn Hosfeld auf die Politik zu sprechen kam. »Der Tyrann im Kreml treibt euch nicht nur die Kosaken, sondern auch Russen, Ukrainer, die Turkvölker und die Stämme des Kaukasus als Freiwillige zu. Vergessen Sie aber nicht, Alfred Pawlowitsch, wir stehen im Kampf gegen unsere Brüder. Sie sind nicht nur mein Waffenkamerad, Sie sind mein Freund. Deshalb spreche ich offen mit Ihnen. Aber glauben Sie nicht, dass unserer Reiter euch Deutsche lieben! Sie wollen frei werden! Sie hassen das Stalinregime. Es gefällt ihnen, dass sie wieder die alte Uniform und die alten Abzeichen aus der zaristischen Zeit tragen können. Auch die Wehrmachtsverpflegung sagt ihnen zu. Was eure Führung mit uns vorhat, wissen die meisten von ihnen nicht. Aber merken Sie sich: Wir sind kein Kolonialvolk! Wir bekämpfen nicht die eine Tyrannei, um uns einer anderen zu beugen. Ihr Soldaten habt keine Schuld, ich weiß. Ja, wenn alle Deutschen so wären wie Polkownik Pannwitz, wie Sie und Oberleutnant Steinhoff!«

    Der Essaul gab seinem Pferd einen leichten Schlag mit der Nagaika. Er starrte nach Osten, wo grelles Mündungsfeuer aufzuckte. Schließlich fuhr er erregt fort:

    »Aber eure Reichskommissare und eure Landwirtschaftsführer sind nicht besser als die Politruks von Väterchen Stalin. Warum lassen die Einsichtigen unter euch das zu? Sie wissen, Alfred Pawlowitsch, als der Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion ausbrach, musste ich als Zwangsarbeiter in den Tundren am Eismeer Gold für die Herren im Kreml waschen. Ich bin Kosak, und das Kosakentum passt nicht ins Programm der Gleichmacherei. Ich wurde rehabilitiert, weil man ausgebildete Offiziere für die Front brauchte. Als Kapitän der Roten Armee ließ ich mich mit meiner Kompanie bei Isjum von euren Panzern überrollen, weil ich damals ebenso wie General Wlassow eurer Propaganda glaubte. Jetzt reite ich an Ihrer Seite, weil ich meine Heimat liebe, weil sie frei werden soll von ihren Unterdrückern. Aber das Kriegsziel eurer Führung billige ich nicht.«

    Die Spitze des langen Reiterzuges erreichte den Kirchplatz eines kleinen, halb im Schnee vergrabenen Dorfes.

    Rittmeister Hosfeld gab nach rückwärts den Befehl zu kurzer Rast. Erst als er abgesessen war, sagte er zu Sirotä:

    »Unser Ziel ist das gleiche wie das eure. Sie werden es bald erfahren, Anatolij Feodorowitsch. Oberst von Pannwitz setzt durch, was er sich vorgenommen hat. Ich glaube an unsere Waffenbrüderschaft.«

    Ein einsamer Reiter sprengte im fahlen Schneelicht heran, sprang aus dem Sattel und reichte dem Rittmeister eine schriftliche Meldung.

    Hosfeld las beim Schein seiner Taschenlampe Oberleutnant Steinhoffs Notruf. Bestürzt wandte er sich zu Sirotä, der im schwarzen Filzumhang, der Burka, und mit schwarzer Schaffellmütze neben seinem Rapphengst stand.

    »Michailowskaja ist eingeschlossen.«

    Wortlos schwang sich Sirotä wieder in den Sattel. Rittmeister Hosfeld folgte seinem Beispiel. Kommandos wurden laut. Der große Reiterpulk trabte an.

    Im Hof der abgebrannten Schule von Dimitrowskaja stand die dampfende Feldküche der Stabsschwadron. Elendsgestalten, die mehr Vogelscheuchen als Soldaten glichen, bildeten einen dichten Kreis, um ein wenig Wärme abzubekommen. Andere stapften gebeugt umher und schlugen mit den Armen. Einzelne trugen Karabiner, etliche hatten nur noch Seitengewehre oder Spaten am Koppel, die übrigen waren unbewaffnet. Ihre Gesichter waren bärtig und mit dem Schorf von Frostwunden überzogen. Das Schuhwerk war brüchig. Einige hatten zerschnittene Decken um ihre erfrorenen Füße gewickelt. Es waren Rumänen und Italiener. Die einen hatten hohe, braune Lammfellmützen auf dem verfilzten Haar, die anderen trugen über den Kopfschützern die grauen Filzhüte der Alpini.

    Der einzige Offizier des verlorenen Haufens, ein Alpini-Leutnant, stand abseits im Gespräch mit Oberleutnant Steinhoff. Sein rechter Arm hing in einer verschmutzten Verbandschlinge. Sein abgemagertes graues Gesicht mit der vorspringenden Adlernase sah müde und verbittert aus.

    »Damals, im August vorigen Jahres«, sagte er, und der stumpfe Ausdruck seiner hellen Augen belebte sich, »damals hatten wir die Berge des Kaukasus vor uns. Das Alpini-Korps war ein Eliteverband der italienischen Armee. Und was geschah? Ihr Führer Adolf Hitler gab uns den Befehl, nach Nordosten abzudrehen. Das Alpini-Korps mit seinen bergerfahrenen Soldaten, seinen Tragtierkolonnen und seiner Gebirgsartillerie marschierte durch die Manytschsteppe gegen Stalingrad. Dort ist es untergegangen.«

    Mit der gesunden Linken wies der Leutnant auf die gebeugten Gestalten im Schein des Feldküchenfeuers, die gierig heißen Tee aus ihren Kochgeschirren schlürften.

    »Porco di Madonna! Das, Kamerad, sind die Letzten des ruhmreichen Alpini-Korps.«

    Oberleutnant Steinhoff erwiderte nichts. Er blickte in die vom Schneelicht schwach erhellte Dunkelheit. Stalingrad! In den Trümmern der zerschossenen Stadt an der Wolga und am Don waren mit der deutschen 6. Armee auch die italienischen Gebirgssoldaten sinnlos verblutet. Warum hatte der »Führer« nicht zur rechten Zeit den Rückzug befohlen?

    Ataman Kulakow humpelte auf seinen Stöcken über den Hof heran.

    »Ataman, ist Nachricht von Hosfeld und Sirotä eingetroffen?«, fragte Steinhoff.

    Der Alte schüttelte den Kopf.

    »Njet, Oberleutnant.«

    »Dann bleibt mir keine andere Wahl«, murmelte Steinhoff. »Ich muss diese armen Teufel wieder ins Feuer jagen.«

    Er kramte eine Weile in den Taschen seines Schafpelzes, brachte eine Packung Zigaretten zum Vorschein und reichte sie dem Italiener.

    »Tenente, kennen Sie die Lage im Nordosten?«

    »Nein, Kamerad. Wir sind aufs Geratewohl marschiert, nachdem die Stellung meines Bataillons überrannt worden war. Die Rumänen habe ich unterwegs aufgesammelt. Sie wollen nicht mehr kämpfen.«

    »Wer fragt schon danach?«, warf Steinhoff ein. »Wer, zum Teufel, fragt denn uns, ob wir wollen? Nach Michailowskaja sind zwei Bataillone der Roten Armee durchgebrochen. Eine Kosaken-Sotnja unserer Kampfgruppe ist in dem Dorf eingeschlossen. Wenn wir sie heute Nacht nicht heraushauen, bricht die Front in unserem Abschnitt zusammen. Sie begreifen, was das bedeutet.«

    Er gab dem Italiener Feuer, zündete sich selbst eine Zigarette an und fuhr fort:

    »Tut mir leid, Tenente, aber ich muss Ihnen befehlen, gemeinsam mit mir den Entlastungsangriff zu führen.«

    Tenente Locatelli verbeugte sich leicht. Seine aufgesprungenen Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln.

    »Es wird mir ein Vergnügen sein, Kamerad.«

    Er grüßte mit der Linken, begab sich zu seinen Leuten und richtete ein paar italienische Worte an sie. Die Antwort waren Flüche.

    Steinhoff verließ mit Kulakow den Schulhof. Auf der Straße warteten die Fahrzeuge der Stabsschwadron und Kulakows berittene Leibwache aus zwanzig ausgewählten Kosaken.

    Steinhoff rief einen Wachtmeister heran.

    »Sorgen Sie für die Bewaffnung der Italiener und Rumänen, sobald die Lkw-Kolonne eintrifft! Folgen Sie uns dann schnellstens in den Bereitstellungsraum südwestlich von Michailowskaja!«

    Die Fahrzeuge der Stabsschwadron und Kulakows Reiter verschwanden nordostwärts in der Dunkelheit.

    In unregelmäßigen Abständen drang von Zeit zu Zeit anschwellender Gefechtslärm durch die Stille der Winternacht. Eine Feuerpause war eingetreten – die Ruhe vor dem Sturm.

    In einer tief eingeschnittenen Balka im Norden von Michailowskaja waren zwei Kompanien des 3. sowjetischen Schützen-Bataillons angetreten. Die Soldaten in den erdfarbenen Mänteln und den pelzbesetzten, mit dem roten Stern versehenen Wintermützen trampelten frierend im tief zusammengewehten Schnee. Mit Wodkadunst vermischter Atemhauch schlug sich als Reif an den Bartstoppeln und den Mantelkrägen nieder. Warme Verpflegung hatte es seit Tagen nicht gegeben. Ebenso lang war es her, seit sie die letzte geheizte Unterkunft verlassen hatten. Nitschewo! Der Ausdruck ihrer breiten Gesichter zeigte stumpfe Ergebenheit.

    »Towarischtschi!«, Metallisch dröhnte die Stimme des Politkommissars durch die Schlucht bis hinüber nach Michailowskaja. »Soldaten der unbesiegbaren Roten Armee! Der historische Sieg an der Wolga weist uns den Weg nach Westen. Euch fällt in dieser Stunde die heroische Aufgabe zu, den Feind vom Boden des sozialistischen Vaterlandes, der unsterblichen Sowjetunion, zu vertreiben. Die anmaßenden Söldlinge des Faschismus sind am Ende. Doch vor euch stehen jetzt nicht die irregeleiteten Soldaten Hitler-Deutschlands, sondern deren Mordkomplizen, russische Menschen, die zu fluchwürdigen Verrätern an der Partei der Werktätigen und am Sowjet-Vaterland geworden sind. Wollt ihr durch diesen Abschaum das Dorf Michailowskaja weiter verpesten lassen? Wollt ihr in der bitteren Kälte frieren, während die Helfershelfer der Aggressoren in den warmen Stuben sitzen? Vorwärts, Rotarmisten, zertretet die giftige Brut der Abtrünnigen! Vorwärts – sa Rodinu – sa Stalina – für unsere Heimat – für unseren Stalin!«

    Laut grölend wiederholten dreihundert Mann die Parole.

    »Sa Rodinu – sa Stalina!«

    Stille trat ein. Doch plötzlich dröhnte vom Rand des Dorfes her eine andere Stimme überlaut und blechern durch die Winternacht.

    »Perechoditje! Lauft zu uns über, russische Brüder! Kommt zu den Kosaken, den Befreiern von Unterdrückung und Sklaverei! Kommt zu uns! Kämpft mit uns gegen Stalin, den Totengräber der Völker Russlands!«

    Wütend feuerte der Politruk, der droben am Rand der Schlucht stand, mit seiner Maschinenpistole in Richtung der Stimme. Dann rauschte eine Salve Granaten über die Schlucht hinweg gegen das Dorf.

    Der Feuerschlag der russischen Artillerie verstärkte sich. Abschüsse und Einschläge vermischten sich zu donnerndem Getöse. Pulverqualm hüllte alles in dichte Schwaden ein. Dazwischen flammten grelle Blitze.

    Zahlreiche Häuser des Dorfes waren bereits zerstört. Jetzt brachen weitere unter den Schlägen donnernd berstender Granaten zusammen. In den unversehrten Katen drängten sich die Kosaken der Sotnja Bondar in Erwartung des feindlichen Angriffs. In den Hausgärten und auf Staßen und Wegen war der Schnee gerötet vom Blut zerfetzter Männer und Pferde. Im Eisenhagel der herumschwirrenden Splitter zerrten hilfreiche Hände Verwundete in den fragwürdigen Schutz der Lehmhütten.

    Leutnant Alexej Iwanowitsch Bondar hatte nach der Kampfrede des Politkommissars die Besatzung am Nordrand des kleinen Dorfes verstärkt. Mit seinem schwarzbärtigen Leibkosaken Grischka lag er hinter einem Schneewall am einzigen MG, für das noch Munition vorhanden war. Seine ganze Sorge galt dem Maschinengewehr. Würde es wieder versagen in der grausamen Kälte, wie es schon mehrmals

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