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Stalingrad - Die stillen Helden: Das Schicksal der Sanitätseinheiten im Kessel
Stalingrad - Die stillen Helden: Das Schicksal der Sanitätseinheiten im Kessel
Stalingrad - Die stillen Helden: Das Schicksal der Sanitätseinheiten im Kessel
eBook876 Seiten12 Stunden

Stalingrad - Die stillen Helden: Das Schicksal der Sanitätseinheiten im Kessel

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Über dieses E-Book

Stalingrad steht für den Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges, für das völlige Versagen der deutschen Führung und für die sinn- und gewissenlose Aufopferung einer ganzen Armee. Noch heute, mehr als 75 Jahre später, ist ihr Opfer im historischen Bewusstsein präsent.

Rund 150.000 deutsche Soldaten starben in den Monaten der Schlacht um Stalingrad. 91.000 Mann gingen in sowjetische Kriegsgefangenschaft und einem ungewissen Schicksal entgegen – nur rund 6000 von ihnen sollten nach entbehrungsreichen Jahren ihre Heimat wiedersehen. In aller Not und allem Elend stets hautnah mit dabei waren die mehr als 10.000 Angehörigen der Sanitätseinheiten im Kessel, die ihren Dienst an Verwundeten und Kranken unter widrigsten Umständen bis zur völligen körperlichen Erschöpfung verrichteten – teils unter Aufopferung ihres eigenen Lebens.

Im vorliegenden Buch verbinden sich packende Zeitzeugenberichte mit zahlreichen erstmals gezeigten Privataufnahmen zu einem einzigartigen Dokument menschlicher Größe und stillen Heldentums.
SpracheDeutsch
HerausgeberAres Verlag
Erscheinungsdatum25. Juli 2019
ISBN9783990810422
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    Buchvorschau

    Stalingrad - Die stillen Helden - Reinhold Busch

    Tagebuchform.

    TEIL 1

    Aufstellung der Sanitätseinheiten im Vorfeld des Angriffs

    An und für sich war die 6. Armee unter Generaloberst Paulus⁶ mit Sanitätstruppen zunächst gut ausgestattet. Es gab nicht nur die Kriegslazarett-Abteilung 541 mit vier Lazaretten, sondern auch sechs Armee-Feldlazarette (1 bis 6/542), in denen auch etwa 120 Rotkreuzschwestern tätig waren, zwei Armee-Sanitätskompanien (1 und 2/542), vier Krankenkraftwagenzüge 542, den Armee-Sanitätspark 540 sowie die Luftwaffen-Sanitätsbereitschaft 4/XIII unter Stabsarzt Dr. Oskar Larbig⁷. Fast alle diese Einheiten waren Ende Juni 1942 zum Zeitpunkt des Angriffsbefehls und auch noch im November 1942 im großen Donbogen in genügender Entfernung vom Kampfgeschehen in der Stadt gut ausgestattet und voll einsatzfähig.

    Die Armeekorps besaßen keine eigenen Sanitätseinheiten. Diese waren Bestandteile der einzelnen Divisionen (mit Ausnahme der 9. Flak-Division). In der Regel besaß jede Division zwei Sanitäts-Kompanien – je eine bespannt, d. h. mit Zugpferden –, viele auch ein Feldlazarett. Darüber hinaus gab es noch kleinere Sanitätseinheiten: Den zahlreichen Truppenärzten, die bei Bataillonen, Regimentern und Divisionsstäben eingesetzt waren, standen mehrere Sanitätssoldaten zur Verfügung, mit denen sie Truppenverbandplätze einrichten und dort eine erste Wundversorgung und Krankenbehandlung durchführen konnten. Es soll hier auch noch ausdrücklich erwähnt werden, daß in vielen dieser Sanitätseinheiten russisches und ukrainisches Hilfspersonal tätig war, darunter nicht nur ungelernte Kräfte, sondern auch Krankenschwestern sowie sogar Ärztinnen und Ärzte.

    Dr. Erwin Paal⁸ schildert die Zusammensetzung einer Sanitäts-Kompanie am Beispiel der San.Kp. 1/16: „Hier wurde in drei Tagen im Verband der 16. Infanteriedivision die Sanitäts-Kompanie 1/16 (bespannt) aufgestellt. Zu ihr gehörten acht Sanitäts-Offiziere (zwei Chirurgen, ein Internist, ein HNO-Arzt, vier Allgemeinmediziner, ein Zahnarzt, ein Feldapotheker), ein Zahlmeister sowie 160 Unteroffiziere und Mannschaften. 17 bespannte Fahrzeuge, 46 Reit- und Wagenpferde, ein PKW und ein LKW standen für den Transport des gesamten Sanitäts-Gerätes, Operations- und Verwundetenzelte zur Verfügung. Eine Radfahrstaffel und eine Hundestaffel ergänzten die Kompanie. Die Führungsstaffel bestand aus dem Kompaniechef und allen Ärzten.

    Der 1. Zug der San.-Kompanie hatte als Krankenträgerzug die Aufgabe, Verwundete zu suchen, zu bergen, Notverbände anzulegen und für den Rücktransport zu sorgen. Der 2. Zug, der Hauptverbandplatz-Zug, richtete auf Befehl des beim Divisionsstab befindlichen Divisionsarztes (IVb) oder auch selbständig bei Bedarf einen H.V.P.-Platz ein. Hier war der wichtigste Platz für eine allgemeine Wundversorgung und der erste Ort, an dem eine vollständige, fachärztliche Hilfe geleistet wurde. Hauptaufgaben waren nach der entscheidenden Sichtung der Verwundeten, alle lebenserhaltenden Eingriffe durchzuführen und die weitere Transportfähigkeit herzustellen. Die durchschnittliche Operationszeit betrug bei einem Schwerverwundeten eine halbe bis eine Stunde. Bei nicht so großen Kampfhandlungen wurden auch Bauch-, Kopf- und Lungenschüsse erfolgreich operiert.

    Der 3. Zug, der Ergänzungs-Zug, diente als Ergänzung für die anderen Züge; er war auch mit dem notwendigen Ergänzungsmaterial ausgestattet. Später kam im Rußlandfeldzug als 4. Zug der Entlausungszug hinzu."

    Ein Feldlazarett, das entweder bespannt oder motorisiert sein konnte, zählte 50 bis 60 Angehörige.

    Armeearzt war Generalstabsarzt Dr. Otto Renoldi¹⁰, der im Oktober 1942 von seinem Quartier in der Nähe von Kalatsch aus die Sanitätseinsätze im gesamten Bereich der 6. Armee leitete.

    Die Versorgung der Verwundeten und Kranken in der Nähe der Front, an der während der Kämpfe um die Stadt Zehntausende fielen, oblag den jeweiligen Sanitätseinrichtungen der 22 im Kessel eingesetzten deutschen Divisionen. Dem Armeearzt waren fachlich die Beratenden Ärzte zur Seite gestellt. Einer von ihnen war Friedrich Gross¹¹: „Ich kam als Beratender Chirurg der 6. Armee erst am 13.11.1942 nach Stalingrad zur Ablösung des Beratenden Prof. Kuntzen¹².

    Diese Armee hatte zwei Beratende; der andere, Fick¹³, war wegen Typhus daheim. Im einzigen Kriegslazarett der 6. Armee östlich des Don in der Sowchose Woroschilow, wohin strahlenförmig alle Verwundeten der 30-km-Front, über 300 täglich, kamen und baldmöglichst nach Westen weitergeleitet wurden, arbeiteten 12 bis 14 Stunden täglich fünf Chirurgengruppen. In der Abteilung fand ich nur noch den an Ruhr schwer erkrankten Neurologen Flügel¹⁴ und den Armeehygieniker, einen Bayern, vor. Als ich fragte, wer denn der neue Armeearzt sei, hieß es: Renoldi. Mir unbekannt, wurde mir gesagt, er sei als Polizeiarzt in Nürnberg vor dem Krieg übernommen worden und habe den Spitznamen ‚Facharzt für Zentralheizung‘, weil er dafür in den Kasernenneubauten des 3. Reiches zuständig gewesen sei. Der Bayer wurde noch deutlicher: ‚Herr Kollege, do sehen’s an Zwicker und dahinter kummt nix!‘ Bei der Vorstellung war ich aber getröstet, als ich in seinem Adjutanten den Stabsarzt Dr. Seggel¹⁵ erkannte, der zu meiner Zeit in der inneren Klinik bei Prof. Morawitz als Assistent war und mit dem ich dort die Blutbank – damals Frischspender – aufgezogen hatte." Ein weiterer Adjutant von Dr. Renoldi war Oberstabsarzt Dr. Singer-Wolthaus¹⁶.

    Dr. Friedrich Gross, Beratender Chirurg der 6.Armee

    Generalstabsarzt Dr. Otto Renoldi, Armeearzt 6

    Generalarzt Dr. Siegfried Müller, Korpsarzt des VIII. A.K.

    Fachlich unter dem Armeearzt standen die Korpsärzte. Oberstarzt Dr. Kayser war Korpsarzt des IV. A.K., Korpsarzt des VIII. A.K. war Oberstarzt Dr. Müller¹⁷. Dr. Spiegelberg war Korpsarzt des XI. A.K. Generalarzt Dr. Hanspach¹⁸, Korpsarzt des XIV. Panzerkorps, fiel am 27. August 1942. Sein Nachfolger, Generalarzt Dr. Smend¹⁹, wurde am 18. Dezember 1942 krank aus dem Kessel ausgeflogen. Korpsarzt des LI. A.K. war Generalarzt Dr. Karl Arndt.

    Die vorgeschobenen Verbandplätze

    Beim raschen Vormarsch, besonders bei den Panzertruppen, erwiesen sich die Sanitäts-Kompanien und Feldlazarette jedoch als zu langsam und waren nicht unmittelbar dort, wo Verwundete anfielen. Verschiedene Ärzte machten sich daher Gedanken, wie diesem Missstand abgeholfen werden konnte. Das Ergebnis dieser Überlegungen, das mehrere Ärzte für sich reklamierten, war ein vorgeschobener Hauptverbandplatz.

    Dr. Kohler: „Die Entstehung des vorgeschobenen Hauptverbandplatzes in unserer Division ist mir dabei besonders berichtenswert, weil dies richtungsweisend für die anderen Divisionen wurde. Ich sagte mir: Wenn die Spitze der Vorausabteilung Feindberührung bekäme und Verwundete anfielen, machte deren Versorgung große Schwierigkeiten. Selbst, wenn im Idealfall der ernstlich Verwundete vorne sofort von einem Sanka (Krankenkraftwagen) aufgenommen würde, dann brauchte er – bei der für den Sanka erreichbaren Geschwindigkeit – Stunden, um an dem marschierenden I.R. 92 vorbeizufahren, und träfe dann auf eine im Marsch befindliche Sanitätskompanie. Man würde dann den Verwundeten an das noch weiter hinten marschierende Feldlazarett verweisen. Damit wäre aber die erste, wichtigste Zeit für die chirurgische Versorgung des Verwundeten verstrichen und bei ernsteren Verletzungen sein Schicksal sehr fraglich, seine Überlebenschancen sehr gering.

    Dr. Ottmar Kohler, der berühmte „Arzt von Stalingrad"

    Ich schlug deshalb dem Kommandeur der Vorausabteilung vor, es müßte schon im Verband der Vorausabteilung eine einsatzfähige Chirurgengruppe mit einem Teil der Sanitätskompanie mitmarschieren. Bei an der Spitze der Vorausabteilung entstehenden Kampfhandlungen könnte diese kleine Sanitätsformation vorne in kürzester Zeit einen Hauptverbandplatz eröffnen und die schwerer Verwundeten sofort operativ versorgen. Das Schicksal der Schwerverwundeten hing weitgehend von der frühzeitigen chirurgischen Versorgung ab. Das galt sowohl für die schweren Extremitätenverletzungen mit Verletzung großer Gefäße und starker Blutung – eine Abschnürbinde sollte nicht länger als zwei Stunden liegen –, das galt aber ganz besonders für die Verletzung der großen Körperhöhlen: Thorax, Bauch, Schädel.

    Der Kommandeur der Vorausabteilung war von der Notwendigkeit einer solchen einsatzfähigen Chirurgengruppe bei der Vorausabteilung, die ich damals als ‚vorgeschobenen Hauptverbandplatz’ bezeichnete, bald überzeugt. Bei der nächsten Kommandeurbesprechung trug er diesen Plan dem General vor. Der Divisionsarzt widersprach heftig und verwies auf die bestehenden militärärztlichen Vorschriften.

    Bei den nun folgenden längeren Auseinandersetzungen beharrte der Kommandeur der Vorausabteilung auf diesem Plan und machte schließlich die Übernahme der Führung der Vorausabteilung davon abhängig, daß ihm dieser vorgeschobene Hauptverbandplatz als Gruppe zugeteilt würde. Darauf befahl der General, zu der Vorausabteilung eine einsatzfähige Chirurgengruppe zu stellen, da er sich selber schon bald von deren zukünftiger Notwendigkeit im Balkanfeldzug überzeugt hatte.

    Das war die Geburtsstunde des ‚vorgeschobenen Hauptverbandplatzes‘. Er wurde zunächst bei der 60. I.D. (mot.) als erster Division eingeführt. Da er sich beim Balkanfeldzug bewährt hatte, wurde er auch in Rußland beibehalten. Ich bekam also den Auftrag, eine solche Gruppe für die vordere chirurgische Versorgung zusammenzustellen. Dazu wählte ich einen Zug der Sanitätskompanie mit Mannschaften, Fahrzeugen und einem ganzen Satz Sanitätsmaterial, als Ärzte einen Chirurgen und einen Internisten – zusammen mit etwa 70 Mann – und einen Krankenkraftwagenzug. Diese Aufstellung wurde mir vom Chef der Sanitätskompanie nicht gerade erleichtert. Einmal, weil der Plan so ungewöhnlich neu war; aber auch dann, weil alles, was ich für den vorgeschobenen Hauptverbandplatz forderte, auf Kosten des späteren ordentlichen Hauptverbandplatzes ging. Aber es wurde dann trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten gut. Ich hatte nicht daran gezweifelt, daß ich als Chirurg diesem vorgeschobenen Hauptverbandplatz zugeteilt und mir auch die Leitung übertragen würde. Aber die Entscheidung fiel anders aus: Als Chirurg und Leiter des vorgeschobenen H.V.P. wurde ein Chirurg des Feldlazarettes eingeteilt.

    Auch in Rußland bewährte sich dieser vorgeschobene H.V.P. erneut ausgezeichnet. Auch dort spielte das Transportproblem eine große Rolle. Die Entfernungen waren groß, die Wege bei Regen nur schwer passierbar, und zwischen Vorausabteilung und folgenden Truppen bestanden oft große Lücken.

    Sobald die Vorausabteilung Feindberührung bekam, wurde ich mit allen Einheitsführern zum Kommandeur bestellt. Nachdem alle Chefs²⁰ ihren Einsatz bekommen hatten, wurde ich gefragt, wo ich meinen Hauptverbandplatz aufmachen wollte. Noch in Gegenwart der Chefs benannte ich einen Ort in der Nähe des Befehlsstandes des Kommandeurs mit der Angabe, der H.V.P. wäre in zwei Stunden einsatzbereit. Auf diese Weise wußten alle Einheiten, wo er zu finden war. Sofort wurde mit den Vorbereitungen begonnen, und die Zufahrtswege wurden ausgeschildert. Als zweiten Arzt hatte ich in Dr. Zemitsch²¹ einen ausgezeichneten Internisten dabei. Die anrollenden Verwundeten wurden sortiert. Alle Schwerverwundeten wurden ausgesondert und erhielten vom Internisten eine Behandlung zur Schockbekämpfung mit Infusion, Kreislaufmitteln und eventuell einer Bluttransfusion. Dann kamen sie auf den Operationstisch und wurden in Lokalanästhesie oder Vollnarkose operiert. Die Erfolge waren ausgezeichnet. Da die Brust- und Bauchschüsse schon innerhalb weniger Stunden zur endgültigen Versorgung auf den Operationstisch kamen, konnte ich noch im nichtinfizierten Gewebe operieren und eine Infektion verhüten.

    Das stand freilich im Gegensatz zu allen militärärztlichen Vorschriften jener Zeit. Diese Vorschriften besagten, daß Bauch-, Thorax- und Schädelverwundungen nicht auf dem Hauptverbandplatz, sondern erst im Feldlazarett versorgt werden dürften. Man war der Auffassung, ein operierter großer Höhlenschuß dürfte nach der operativen Versorgung nicht vor Ablauf von drei Wochen transportiert werden. Ein längerer Transport vor der operativen Versorgung wäre dagegen wesentlich weniger schädlich.

    Ich war dagegen der Ansicht, daß das Schicksal dieser Verwundeten durch den Zeitpunkt der frühen Versorgung entschieden würde. Nach der geltenden Vorschrift sollte der H.V.P. nicht näher als 25 km hinter der Front liegen, das Feldlazarett aber 250 km dahinter. In Rußland war das Feldlazarett oft noch weiter entfernt. Wenn die Verwundeten mit Schädel- oder Bauchschüssen im Feldlazarett ankamen, dann hatten sie fast alle eine Hirn- oder Bauchfellentzündung. Dann half auch die beste Operation meist nicht mehr! In jener Zeit kannten wir ja noch kein Penicillin.

    Wenn ich bei einem Verwundeten mit Bauchschuß nach kurzer Vorbereitung und Schockbekämpfung den Bauch öffnete, dann war häufig der Darm an mehreren Stellen durchschlagen und der Bauchraum – das Bauchfell – überschwemmt mit Darminhalt. Durch sofortiges Vorlagern der verletzten Darmschlingen, Abklemmen der blutenden Gefäße und Spülung des Bauchraumes mit warmer physiologischer Kochsalzlösung gelang es in den meisten Fällen, die tödliche Bauchfell-Entzündung zu vermeiden. In Ruhe konnte ich dann die Darmwunden verschließen oder zu sehr zerfetzte Darmschlingen resezieren. Dasselbe galt in ähnlicher Weise für die Schädel- und Brustschüsse.

    Eine wesentliche Voraussetzung für diese rasche Versorgung der Schwerverwundeten weit vorne war die Art des Krieges. Wir führten einen Bewegungskrieg nach vorne. Wenn nach einem harten Einsatz die Vorausabteilung weiter vorstieß, dann ließ ich die versorgten Bauch-, Thorax- und Schädelschüsse in einigen Bauernhäusern mit Sanitätern und Krankenkraftwagen mit der Maßgabe zurück, sie zu versorgen und zu betreuen, sie an die aufrückende Sanitätskompanie zu übergeben und selbst wieder aufzuschließen. Aber ich ließ auch schon frisch operierte Bauchschüsse nach drei oder vier Tagen – wenn es sein mußte – abtransportieren, ohne daß dies den Verwundeten durch den frühen Transport geschadet hätte.

    Auch wurden – im Gegensatz zu den Vorschriften – alle leichteren Verletzungen der Extremitäten, wenn Knochen und Blutgefäße nicht verletzt waren, sofort nach hinten weitertransportiert. Diesen Verwundeten konnte man vor der endgültigen Versorgung ohne Gefahr einen längeren Transport zumuten; dafür benötigte ich den Krankenkraftwagenzug. Da die Versorgung der Schwerverletzten meine ganze Zeit beanspruchte, hatte ich mit meinem zahlenmäßig begrenzten Personal für die Versorgung der Leichtverwundeten nicht die erforderliche Zeit.

    Als ich im Dezember 1942 wegen eines Todesfalles in der Familie von Stalingrad beurlaubt wurde, besuchte ich auf dem Wege nach Tazinskaja die Kriegslazarette²² und ‚meine‘ Verwundeten. Ich fand sie alle in gutem Zustand. Nach freundlicher Aufnahme im Kriegslazarett nahmen mich gewöhnlich nach einiger Zeit der Chef und der Chirurg beiseite. Sie bestätigten mir den ungewöhnlich guten Zustand der auf unserem vorgeschobenen H.V.P versorgten Verwundeten mit großen Höhlenschüssen und fragten dann, nach welcher besonderen Methode ich operiert hätte. Ich konnte ihnen immer nur sagen, diese guten Erfolge beruhten nicht auf einer besonderen Operationsmethode, sondern auf dem frühen Zeitpunkt der Operation."²³

    Mobile Operationswagen bei der Panzertruppe

    Bei der 16. Panzer-Division wurden für die vorgeschobenen Hauptverbandplätze, bestehend aus vier Operationsgruppen, Operationswagen erfunden, um mit dem schnellen Tempo der Panzer mitzuhalten; auch für diese gab es mehrere Ärzte, die sich darum Gedanken gemacht hatten. Dr. Erwin Paal: „Bei dem erstmaligen Einsatz der Kompanie als Hauptverbandplatz im Frankreichfeldzug im Mai 1940 hatte sich gezeigt, daß die Einrichtung des HVP lange Zeit in Anspruch nahm und eine große Zahl von Arbeitskräften band, andererseits die Strapazen des Marsches die Kraft der Männer schon vor Beginn der eigentlichen Aufgaben erheblich verbrauchten. Daher wurde nach meinem Vorschlag und meinen Plänen von den Männern der Sanitäts-Kompanie in zwei Tagen ein fahrbarer Feld-Operationswagen geschaffen, der eine ständige, sofortige Einsatzbereitschaft gewährleistete und hervorragende Dienste leistete. Das Op-Fahrzeug wurde mit seiner Einrichtung am Großkampftag des 23. Mai 1940 eingesetzt und bewährte sich vollauf bei diesem Einsatz. Bei einer Besichtigung des H.V.P. fand der Feld-Operationswagen die volle Anerkennung des Sanitäts-Inspekteurs, Generaloberstabsarzt Prof. Waldmann. Generalarzt Prof. Sauerbruch²⁴ befürwortete ebenfalls nach einer Besichtigung den planmäßigen Bau solcher Fahrzeuge. Daher wurden nach dem Frankreichfeldzug für die Panzerdivisionen weitere Op-Wagen von der Firma Miesen in Bad Godesberg hergerichtet. Somit verfügte jede Sanitätskompanie der 16. P.D. über zwei Feldoperationswagen, die im Einsatz auf die einzelnen Kampfgruppen verteilt waren. Nun hieß es, die Operations-Teams auf ihre Aufgaben einzustimmen.

    Op-Wagen der 1. San.Kp. der 14. P.D.

    Die Leistungsfähigkeit der Op-Wagen beruhte vor allem auf der sofortigen Einsatzbereitschaft, die besonders im Bewegungskrieg erforderlich war, sowie auf der Möglichkeit, das Op-Fahrzeug möglichst nah an die Truppenverbandplätze heranzubringen, um auf diese Weise den Zeitraum bis zur ärztlichen Versorgung des Verwundeten zu verkürzen, andererseits für die Krankenkraftwagen den Rücktransport vom Truppenverbandplatz zum Hauptverbandplatz zu verkürzen und durch den hierdurch möglichen häufigeren Einsatz der Krankenkraftwagen die Überführung der Verwundeten zur Stätte der ersten chirurgischen Behandlung zu beschleunigen."

    Im Op-Wagen der 1. San.Kp. 160

    Im Op-Wagen der 1. San.Kp. der 14. P.D.

    Dazu Dr. Erwin Brennecke²⁵: „Unsere Division begann zunächst als einfache Infanteriedivision; danach wurde sie in Münster zur 16. Panzerdivision umgerüstet. Wir bei der 2. Sanitätskompanie bildeten die mobile Chirurgengruppe. Chef der Kompanie war zunächst Oberfeldarzt Dr. Poeck. Auf seine Initiative hin erhielten wir als erste Einheit der Wehrmacht einen sogenannten Operationswagen. Es handelte sich um ein ausgedientes Polizei-Mannschaftsfahrzeug, das wir liebevoll ‚grüne Minna‘ tauften. Nachfolger Dr. Poecks wurde Dr. Schattenberg²⁶. Im Rahmen der Umrüstung wurde ein schon eleganterer größerer und schönerer zweiter Wagen angeschafft, ein Opel-LKW, der bei der Firma Miesen in Bonn entsprechend hergerichtet wurde. Diesen Wagen bekam unser 1. Chirurg Dr. Weber²⁷; ich behielt die ‚Minna‘, die primitiv, aber wirksam meine Mannen und mich bis fast zum letzten Tage in Stalingrad begleiten sollte.

    Im Wagen standen mir drei Sanitäter zur Seite; einer, der die Äthernarkosen machte, und zwei Assistenten. Dazu kam der Fahrer, ein ausgebildeter Sanitäter von der Universitätsklinik Münster. Der Wagen war mit dem Nötigsten ausgerüstet, das man zum Operieren und Verbinden brauchte; Op-Lampe und Aggregat waren vorhanden. Diese Operationswagen machten uns sehr beweglich, so daß wir bei den Kämpfen immer mit der Truppe unterwegs und ganz vorne dabei und hinter den Panzern her sein konnten – für uns eine segensreiche Tätigkeit, für die Landser ein psychologisches, kräftigendes Korsett. Sie wußten immer, wo sich unsere Wagen befanden. Die Verwundeten konnten sofort gebracht, operiert und nach der Versorgung von Sanitätswagen ins Lazarett abtransportiert werden. Die Wunden wurden gesäubert, ausgeschnitten, mit einem ‚Brennapparat‘ offen gelassen und gestichelt, damit sie keine Infektionen bekamen. Zum Hauptverbandplatz hatten wir dabei keine Verbindung."²⁸

    Somit waren beide Sanitäts-Kompanien der 16. Panzer-Division mit mobilen Op-Wagen ausgestattet. Dr. Werner Gerlach²⁹, Divisionsarzt der 16. P.D.: „Die vier Op-Gruppen boten den Vorteil, daß wir mit diesen gegebenenfalls überschlagend immer in den Einsatz gehen konnten. Die Op-Gruppe blieb gemeinsam mit einigen Krankenkraftwagen – abgekürzt Krkw – in ständiger Fühlung mit den Panzern und der eingesetzten Kampfgruppe und beobachtete, wo diese in Stellung gingen. Sie setzte sich soweit ab, daß sie vor feindlichem Beschuß einigermaßen sicher war und richtete sofort den vorgeschobenen Hauptverbandplatz – HVP – ein, schilderte den Weg zu ihm deutlich aus, so daß sogar auch Panzer für kurze Zeit das Kampffeld verlassen konnten, um rasch ihre Verwundeten auszuladen; oder die Sanitäts-Mannschafts-Transportwagen gaben ihre Verwundeten ab, die sie auf dem Kampffeld gesammelt oder aus den Panzern übernommen hatten. Der praktische wie auch der große moralische Wert, daß eine sofortige chirurgische Versorgung immer zur Stelle und in unmittelbarer Nähe war, war außerordentlich wichtig für die kämpfende Truppe und wurde auch sehr dankbar anerkannt.

    Dr. Erich Weber, letzter Chef der 2. San.Kp. der 16. P.D., im Op-Wagen

    Die Op-Gruppe bestand aus einem Vollchirurgen mit ein bis zwei Assistenzärzten und dem entsprechend im Op-Dienst ausgebildeten Sanitätspersonal, einem Operationsomnibus, der mit allem Erforderlichen eingerichtet war – Op-Tisch, Op-Lampe, Op-Bestecke, Wasser und Sterilisationsanlage –, einem PKW und einem LKW für zusätzliches Sanitätsgerät und für das große Verwundetenzelt. Mit Beginn des Einsatzes wurde die hintere Tür des Omnibusses geöffnet und daran gleich das große Zelt angeschlossen, so daß die operierten Verwundeten direkt in das Zelt getragen werden konnten. Sie lagen nun meistens nicht sehr lange in dieser provisorischen Unterkunft, weil gleichzeitig der Divisionsarzt, je nach Anfall von Verwundeten, zehn bis 15 Krankenkraftwagen dahin beorderte, die sie in die nächsten Armee-Feldlazarette abtransportierten.

    Dr. Winkler im Op-Wagen

    Wenn sich der Kampf weiter nach vorwärts bewegte und die eingesetzte Op-Gruppe wegen ihrer Arbeit nicht folgen konnte, wurde überschlagend die nächste Op-Gruppe eingesetzt, und sollten beide im Verlauf des weiteren Vormarsches mit den Verwundeten beschäftigt sein, so wurde die dritte Op-Gruppe herangeholt. Damit war jederzeit eine glänzende Versorgung unserer Verwundeten gewährleistet, und zwar nicht weit vom Kampfgeschehen, sondern in seiner unmittelbaren Nähe, dabei sich immer den augenblicklichen Verhältnissen anpassend. Diese Sanitätstaktik hatte sich im Verlauf des bisherigen Vormarsches sehr bewährt, vor allem bei den schnellen Verbänden."³⁰

    Dr. Weber im Op-Wagen

    Die Sanitätseinheiten – unentbehrlich für die Moral der kämpfenden Truppe. Bericht eines Divisionspfarrers

    Neben den Ärzten waren die Divisionspfarrer besonders wichtig, die sich den größten Teil ihrer Zeit um die Verwundeten und Kranken auf den Hauptverbandplätzen und in den Lazaretten kümmerten. Der Bericht³¹ des evangelischen Pfarrers Martin Tarnow³², der hier von den Sanitäts-Kompanien der 16. Panzer-Division berichtet, sei allen Zeitzeugenberichten vorangestellt: „Hier soll davon die Rede sein, was man im Kriege nur selten sah und hörte, was bei den Eilmärschen oft verborgen blieb oder was man mit schnellem Blick kaum wahrnahm – nämlich von dem, was sich auf vorgeschobenen Verbandplätzen dicht hinter der Front abspielte, in Operationszelten oder Operationswagen, auf der Trage oder im Erdbunker, in armseligen Hütten oder Kellern; von den letzten Stunden oder letzten Augenblicken unserer Kameraden. Für unsere Verwundeten an der Front gab es zwei Lichtpunkte: die Kameradschaft und die wehende Rotkreuzflagge an den Verbandplätzen. Jeder Soldat mußte damit rechnen: Mir kann etwas passieren! Aber er durfte auch damit rechnen: Mir wird geholfen werden! Und wer unter uns als Verwundeter die Rotkreuzflagge von weitem erblickte, wußte sofort: Hilfe ist mir sehr nahe. Welch ein Licht in der dunklen Nacht des Krieges für jeden Verwundeten: diese flatternde Rotkreuzflagge an einem Verbandplatz!

    Pfarrer Martin Tarnow

    Viele Kameraden waren von tiefer Dankbarkeit erfüllt, wenn sie die Namen der beiden Stabsärzte Dr. Paal und Dr. Weber hörten, denn ihrem großen ärztlichen Können und Wirken verdankten sie ihr Leben. Aber nur wenige wußten vielleicht, daß jeder unserer beiden Ärzte allein in Rußland etwa 15 000 Operationen durchgeführt hatte! Manche unter uns würde schon längst die russische Erde decken, wären unsere Ärzte und ihre getreuen Helfer nicht gewesen.

    Es war eine ‚windige Sache‘, so dicht hinter der Front zu operieren, manchmal nur ein bis zwei Kilometer hinter der kämpfenden Truppe. In der Tat sollten auch Pfarrer Peter Mohr³³ und ich das alsbald erfahren. Wir fanden oft schwerverwundete Kameraden; in Windeseile war eine Trage zur Stelle, von tapferen Sanitätern im Eiltempo gebracht, und wenig später lagen die Verwundeten schon auf dem Operationstisch, während ringsum Granaten einschlugen.

    Welch eine Wohltat war die schmerzlindernde Spritze! Es gab schreckliche Verwundungen, und die Schmerzen waren darum oft grauenhaft. Einmal wurde ein Oberleutnant gebracht; Granatsplitter hatten seinen Oberschenkel zertrümmert, und ein Knochenteil ragte wie ein Dolch weit über das Knie hinaus. ‚Mutter, Mutter,‘ kam es vor großen Schmerzen über seine Lippen. Oberarzt Dr. Hegemann³⁴ und Dr. Paal bemühten sich um den so schwer Verwundeten. Das Erste: die Spritze, um die furchtbaren Qualen zu lindern. Der ‚Alte Fritz‘ war gelegentlich über die Schlachtfelder geritten und wenn ein Schwerverwundeter vor Schmerzen schrie, pflegte er zu sagen: ‚Sterbe er anständig!‘ So konnte nur jemand reden, dem Schmerzen erspart geblieben waren – wer aber selber einmal solche Schmerzen erlebt hatte, der wußte aus Erfahrung, was gelitten wurde. Und welche Erleichterung, schreien zu dürfen, und welche Wohltat, daß jemand einem Klagenden die Hand reichte, sei es Arzt oder Pfarrer. Auch jenem, dem ein Splitter den ganzen Unterkiefer weggerissen hatte, auch dem, dem ein Schuß quer durch beide Augen gegangen war. Manchmal falteten wir Seelsorger nur stumm die Hände, und der Schwerverwundete spürte es. Beendete aber der Tod die oft furchtbaren Qualen, dachten Pfarrer Mohr und ich an das Wort der Hoffnung: ‚Der Schmerz wird nicht mehr sein!‘ Ich sprach dieses Wort der Hoffnung an den Gräbern.

    Nun lagen Major Stock, Kommandeur der Nachrichtenabteilung, und ich einmal in jenem Operationswagen von Dr. Paal; russische Jagdflugzeuge hatten ihre höchst unsympathischen kleinen Splitterbomben über unseren Verbandplatz abgeworfen. Ihr infernalisches Geräusch beim Heruntersausen jagte den Major und mich unter einen Lastwagen. Da wir beide etwas höher lagen als die meisten Einschläge, gingen die gefährlichen Splitter in die Mulde, und nur wenige trafen uns unter dem LKW. Major Stock erwischte es an der Ferse, mich am Oberschenkel. Der Major sprach ein kurzes Gebet. Blitzschnell landeten wir im Operationswagen von Dr. Paal, die Spritze vollbrachte ihre wohltuende Wirkung, der Verband wurde angelegt, und dann ab zum Hauptverbandplatz. So also ging es im Operationswagen zu: Es wurde kaum gesprochen; was vorher eingeübt worden war, klappte wie am Schnürchen; die knappen Handbewegungen von Dr. Paal, seine sprechenden Augen, und seine Sanitäter wußten sofort Bescheid. Noch ein schnelles ‚Danke‘ kam über unsere Lippen, und schon kamen die nächsten Verwundeten auf den Op-Tisch. Einer schrie fürchterlich; ihn hatte es schwer erwischt. Welche Wohltat, diese ärztliche Versorgung einmal miterleben zu können! Nun konnte man sich in das Leiden der Verwundeten hineinversetzen.

    In pausenlosem Einsatz waren auch Dr. Weber und seine getreuen Helfer tätig. Bis zur Erschöpfung wurden die Verwundeten Tag und Nacht betreut. Am 18. August 1941 war Dr. Paal vor versammelter Sanitätskompanie in Nikolajew das EK 1 verliehen worden. General Hube³⁵, der selber so manches Mal Besucher auf den Verbandplätzen war, hatte die Verleihung der Auszeichnung empfohlen. Sie war zugleich eine Anerkennung für seine getreuen Mitarbeiter bis hin zum schlichten Sanitätsgefreiten gewesen. Kerzengrade, wie immer, war Dr. Paal vor der versammelten Sanitätskompanie gestanden und hatte die Worte der Anerkennung für ihn und seine getreuen Mitarbeiter gehört. Wir alle, die wir dabei gewesen waren, hatten uns mitgefreut. Die Auszeichnung war wohlverdient, denn wer in Gefahr operieren mußte und sich nicht wehren konnte, der mußte die Ruhe bewahren, konnte den Operationsraum nicht verlassen und durfte nichts anderes empfinden als die Betreuung der oft so schwer Verwundeten. Solche Stunden vergaß man nicht! Im Wirken unserer Ärzte und ihrer getreuen Männer lebte der wunderbare Satz von Paracelsus: ‚Der Grund der Arznei ist die Liebe‘. Sie redeten nicht viel darüber, aber was geschah, und zwar für alle Verwundeten, auch für die russischen, geschah aus dem Geiste des Paracelsus. Allein auf dem Hauptverbandplatz in Buki bei Tscherkassy waren in wenigen Tagen über 2000 Verwundete versorgt worden; die Sanitätskompanien der 16. Panzerdivision hatten Übermenschliches geleistet. Als wohlverdiente Anerkennung war Dr. Paal und mit ihm zusammen der ganzen 1. Sanitätskompanie das Deutsche Kreuz in Silber verliehen worden.

    Dr. Erich Weber, Chirurg des Feldlazaretts 297

    Wo immer es einen Verbandplatz gab, dort gab es auch Gräber von Gefallenen, und über diesen Gräbern das schlichte Holzkreuz mit Namen, Geburts- und Todestag. Sanitätsgefreiter Baumann und seine Mitarbeiter zimmerten diese Kreuze und erwiesen damit den Gefallenen das Werk der Barmherzigkeit. Das Grab mit dem Kreuz noch schnell fotografieren und das Bild alsbald heimwärts schicken, damit Trauernde getröstet würden, das gehörte selbstverständlich dazu.

    Vor allem die Panzer verursachten schwerste Verletzungen. Ich holte einmal aus einem von einer Granate durchschlagenen Panzer einen Mann mit einem vielzackigen Splitter heraus: eine grausame Verwundung! Sorgsam wurde der Verletzte mit der Zeltbahn auf die Trage gelegt, auf den Panzer gehoben und dann auf den Op-Tisch. Der Operateur und seine Helfer standen schon bereit; leider war es wieder einmal wie so oft eine schwere Kopfverletzung. Sofort wurde der Verband sorgfältig angelegt, und wir hofften, daß das Leben im Lazarett doch noch erhalten werden konnte. Später traf ich den Kopfverletzten wieder; man hatte ihm den Splitter mit einem Magneten aus der Stirnwunde herausgezogen.

    In einem russischen Dorf lagen wir wie so oft ganz plötzlich unter schwerem Artilleriebeschuß – Einschlag auf Einschlag. Nur eine Granate explodierte in einer Baumkrone, unter der einige Kameraden standen. Die meisten Verwundungen waren Gott sei Dank nicht schwer, aber ein Kamerad wurde wachsbleich, keine äußere Verletzung war zu sehen. Jetzt schnell zu Dr. Paal, der das weiße Hemd öffnete und mit einem Blick wußte: Granatsplitter tief im Bauch! Er bemerkte: ‚Hier draußen kann ich leider selber nicht operieren, so gern ich es täte. Nur sorgfältig einen Verband anlegen, dann aber sofort zum Hauptverbandplatz und vielleicht in ein Lazarett der Heimat!‘ Freundlich wies er die Sankafahrer an: ‚Äußerst vorsichtig auf der Rollbahn fahren, vielleicht kann man dem Mann dort noch helfen!‘

    Auch dieser Krieg ging leider nicht ohne Nahkämpfe ab. Einer unserer tapfersten Offiziere hatte diese Nahkämpfe nach vielen eigenen Erlebnissen verflucht. ‚Zu Ihnen darf ich ja sprechen,‘ sagte er zu mir. ‚Furchtbare Verwundungen bei Nahkämpfen durch das aufgepflanzte Bajonett, grausam der Nahkampf mit dem geschliffenen Spaten in den Laufgräben und das entsetzliche Stöhnen der gequälten Verwundeten!‘ So mancher von ihnen hatte schon dadurch das Leben behalten, weil das strömende Blut unter der geschickten Hand des Chirurgen und seiner Helfer gestillt werden konnte. Dr. Paal strahlte vor Freude über eine gelungene Rettung, und Feldwebel, Unteroffiziere und Gefreite der 1. Sanitätskompanie nicht weniger.

    Schweren Herzens mußten sich unsere Ärzte so manches Mal zu Amputationen entschließen, wenn Arme und Beine nur noch durch Fetzen mit dem Körper verbunden waren. Man sah es Dr. Paal manchmal an, wie schwer ihm eine notwendige Amputation fiel. Denn nur eine solche Amputation konnte einem Verwundeten oft das Leben erhalten. Einer unserer amputierten Kameraden sagte mir einmal bei einer späteren Begegnung: ‚Nur noch ein Rumpf ist da, aber ich lebe und kann arbeiten!‘ Die Sehnsucht, zu überleben und wieder nach Hause zu kommen, war sehr groß – um so höher war die Tapferkeit einzuschätzen. Dr. Paals reiche Erfahrung war eine rettende, und junge Ärzte lernten viel von ihm.

    Trotz aller Hilfeleistung war oft nichts mehr zu machen. Zweiter Chirurg nach Dr. Paal war Oberarzt Dr. Hegemann. Welch eine kameradschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ärzten! Einmal brachte man einen Kameraden zum vorgeschobenen Verbandplatz, der nach schwerer Beinverletzung mit seiner Qual Tag und Nacht einsam gelegen, gelitten und geschrien hatte, endlich aber gehört und gefunden worden war. Welch ein schauriger Anblick! In seinem zerrissenen Bein wühlten schon die Maden. Bei solcher Vergiftung eines Menschen war das Leben kaum noch zu retten, aber Dr. Hegemann versuchte es. Oberarzt Dr. Hegemann wies auf einen sehr jungen Schwerverwundeten; sein Blick besagte: Hier ist, menschlich gesehen, nicht viel zu machen. Wie gerne hätte er es getan – er war ja mit Hingabe Arzt –, aber er litt wie viele andere unter menschlicher Ohnmacht in dunkelsten Situationen. ‚Sprechen Sie doch mal mit ihm!‘ Ich wandte mich dem so jungen Kameraden zu. Ängstlich sagte er sogleich: ‚Es wäre doch schade, wenn ich abrutschen tät!‘ Solch ein Wort der Hoffnung bis zuletzt vergaß man nie. ‚Der Oberarzt soll mich doch noch operieren, bitte sagen Sie es ihm!‘ Und Dr. Hegemann versuchte mit seinen getreuen Helfern wirklich alles; aber der Verwundete wachte aus der Narkose trotzdem nicht mehr auf. Dr. Hegemann blickte traurig zur Seite, und ich konnte nur mit Paul Gerhard sagen: ‚Mach End, o Herr, mach Ende, mit aller unser Not!‘, auch mit diesem elenden Krieg. Einige fingen an zu fragen: Muß das wirklich sein? Sie fragten, gerade weil sie ihr Vaterland liebten.

    Dr. Gerd Hegemann, Chirurg der 1. San.Kp. der 16. P.D.

    So sagte ein Sanitätsgefreiter: ‚Und bitte kein Wasser!‘ Da wußte ich Bescheid, es handelte sich um einen Bauchschuß. Ich ging in die hölzerne Baracke, und da lag auch schon einer, mit kalkweißem Antlitz, aber beim Bewußtsein. Das irdische Ende dieses Mannes schien sehr nahe. Wir beide waren ganz allein. Jetzt nicht viel herumreden, sondern diesen Kameraden, der bei einem Spähtrupp verwundet wurde, ganz leise an ‚daheim‘ erinnern, nur nicht sagen, zwar gut gemeint und doch täuschend, aber leider oft genug gesprochen: ‚Bald wirst du wieder zu Hause sein‘ – nein, so nicht, sondern im Sinne von ‚wir werden daheim sein bei dem Herrn‘, und das auch den Angehörigen schreiben. Nur nicht von stolzer Trauer, von Ideologen am Schreibtisch ausgedacht, als ob man Tränen verdrängen könnte!

    Oft bohrten sich Granaten tief in die Erde und richteten deshalb keinen Schaden an. Aber bei einem Gang durch einen rechts und links mit Sträuchern bepflanzten Hohlweg sah ich vor mir einen Trichter und darin ein Stück Uniform. Ich blickte in die Baumkrone darüber und entdeckte in den Zweigen die Reste eines menschlichen Körpers, auch einen Teil der Kopfhaut mit den Haaren. Kameraden setzten die Reste in einem Grab neben dem Verbandplatz bei – eine schaurige Erinnerung! Ich dachte an das Wort Christi: ‚Alle eure Haare sind auf eurem Haupte gezählt,‘ auch die dieses armen Kameraden.

    Auch Dr. Weber besaß wie sein Kollege Paal eine reiche chirurgische Erfahrung, und darum blickten die Verwundeten voller Vertrauen in die Augen des Operateurs, besonders wenn die Verletzungen sehr schwer und die Schmerzen so groß waren, besonders bei einem Kameraden, dem eine Maschinengewehrsalve durch beide Hüften gedrungen war, oder einem im Panzer so furchtbar Verbrannten. Manches Mal riefen wir den tapferen Krankenfahrern mit ihrer leidenden Last für ihre einsame Fahrt zu: ‚Fahrt mit Gott!‘ Leichter Verwundete wurden an Ort und Stelle im Operationswagen operiert und kehrten bald vom Hauptverbandplatz zu ihrer Einheit zurück. Die erste und oft entscheidende Hilfe aber vollzog sich durch die Hand Dr. Webers. ‚Das haben wir sicher doch geschafft,‘ kam es oft hoffnungsvoll über die Lippen, aber leider manchmal kam der Satz, leise geflüstert: ‚Hier ist nichts mehr zu machen,‘ bei Kopfschüssen, zu großem Blutverlust oder abgerissenen Gliedmaßen. Die Gesichter der 2. Sanitätskompanie wurden mit der Dauer des Krieges immer ernster, und ermattet warf sich oft der Chef auf sein Feldbett, häufig nur für wenige Stunden Schlaf, denn auch die nächtlichen Bombenangriffe forderten ihre Opfer an Verwundung und Tod. Oft waren Sekunden für die Rettung entscheidend, aber Dr. Weber konnte sich vom Sanitätsfeldwebel bis zum Gefreiten auf seine Helfer verlassen, jeder von ihnen kannte seinen Platz und seine Aufgabe. Sie alle wußten, von Dr. Weber eingeübt: Auf dich kommt es jetzt an, wenn ich mit der Op beginne! Ich hatte es mit ihm nicht ganz leicht, denn er war, wie man damals sagte, ‚gottgläubig‘, zugleich aber unserem kirchlichen Dienst gegenüber an der Front sehr tolerant. Vier oder fünf Kapläne waren in seiner Kompanie Sanitätsunteroffiziere oder -gefreite. Sie sind außer einem alle gefallen.³⁶

    Auch der verwundete russische Soldat war nicht weniger Leidensgefährte wie unsere eigenen Kameraden, auch für ihn wurde der verdreckte Verband durch unseren Arzt erneuert. Mit einer russischen Ärztin in Artemowsk wiederum erlebte ich Folgendes: Nach meiner Verwundung sollte mir ein Bein amputiert werden, nicht wegen einer schweren Verwundung, sondern einer beginnenden Vergiftung nach einer leichten Verletzung. Die russische Ärztin sagte zu mir: ‚Nix operieren, deutscher Arzt noch zu jung!‘ Mit einer anderen geduldigen Therapie bewahrte mich diese Frau vor der Operation. Jeden Tag betreute sie auch mich in dem großen Raum mit vielen deutschen Verwundeten, denen sie die gleiche Hilfe erwies.

    Auf einem großen Verbandplatz in einer Scheune lagen viele Verwundete, neben deutschen auch russische. Angesichts des nahen Todes gab es keine feindseligen Empfindungen mehr, sondern nur noch die Nachbarschaft der gemeinsam Geängstigten. Immer wieder hörte man das laute Rufen eines schwer getroffenen Russen: ‚Wodä, wodä!‘ Er leerte meine Feldflasche mit einem Zuge. Ich hob die Decke und sah den völlig durchgebluteten Verband auf seinem Bauch; menschliche Hilfe, die ihm auch zuteil wurde, blieb hier umsonst. Verständigen konnten wir uns beide nicht, aber seine Hand umklammerte plötzlich mein silbernes Kreuz. Vielleicht hing ein Kreuz daheim an der Wand im Hause der Eltern, an dem der Gekreuzigte einmal für alle ohne Ausnahme rief: ‚Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!‘ Seine Hand ließ mein Kreuz bald los, denn er starb schnell, aber es war trotz aller Angst ein getröstetes Sterben.

    Feldlazarett 194 in Artemowsk: Verbandraum

    In Kramatorskaja, einige Kilometer hinter der Front, wo die schwersten Kämpfe tobten, befand sich ein großes Feldlazarett. Ärzte und Ärztinnen – auch russische Ärztinnen! – schufteten am Operationstisch, um Leben zu retten. Mauern der Feindschaft fielen bei der Operation zusammen, denn man sah nur noch einen Menschen, der litt und auf Hilfe hoffte. In dunklen Tälern brach sich urplötzlich verschüttete Humanität, wahre Menschlichkeit Bahn. Aber das Sterben nahm in Kramatorskaja kein Ende – zu groß war der Blutverlust bei den langen Anfahrten und zu schwer die Verwundungen. Der Marktplatz wurde mit Spaten und Spitzhacke aufgerissen, um die Verstorbenen zu bestatten. Aber wie viele starben allein, ohne ein Wort des Trostes und des Beistandes, ohne einen Händedruck im Flur, auf der Trage oder in einem Klassenzimmer auf der Pritsche! Waren aber die Sterbenden wirklich allein? Da ich selber dort verwundet lag, konnte ich niemanden besuchen und ihm ein gutes Wort sagen. Aber ER selber war ja da, wenn sonst niemand neben der Trage niederknien und ein hilfreiches Wort sprechen konnte. Wie oft sah ich auch meinen katholischen Kollegen Mohr in gleicher Weise seine Kameraden mit diesem wunderbaren ‚Er selbst ist ja da‘ aufrichten!

    ‚Wenn das nur gutgeht!‘ pflegten jene überaus mutigen Kameraden zu sagen, die einen LKW mit Minen vollbeladen über die holprigen Straßen steuerten, denn was eine Bombe oder auch nur eine Granate mitten in die gestapelten Minen bedeutete, wußte jeder dieser Kameraden hinter dem Lenkrad. So erging es einem dieser Männer: Eine von einem Flugzeug geworfene Bombe, am blauen Himmel kaum zu sehen, traf mitten in die Fülle der Minen. Helle Blitze und Explosionen waren die Folge. Zwar kam der Fahrer gerade noch aus dem Gehäuse heraus, aber wie! Der Leib war aufgerissen, und die Gedärme schleppte er mit wankenden letzten Schritten durch den Staub der Steppe; nach wenigen Metern brach er zusammen. Helfende Kameraden waren schnell zur Stelle. Aber was sollte man noch machen? Kein Arzt befand sich in der Nähe, und die Versuchung tauchte auf: Gnadenschuß? Aber nur einen Augenblick, nicht länger, denn auch im Kriege galt: ‚Ich bin der Anfang und das Ende‘, also auch das Ende unseres Lebens. Und wenn man mit einem Bewußlosen nicht mehr reden konnte, dann konnte man die Hand aufs Haupt legen und das Zeichen des Kreuzes auf die schweißnasse Stirn machen mit seiner Botschaft: ‚Es ist vollbracht,‘ nämlich Heil und Rettung auch aus der Nacht des Todes. Sterbende können hellwach verstehen, auch wenn die Lippen sich nicht mehr bewegen.

    In maßloser Qual lag ein Schwerverwundeter vor mir. Ein Geschoß hatte ihm Ober- und Unterkiefer weggerissen; nur die zerfetzten Wangen und die Nase waren noch zu erkennen. Der Menschheit ganzer Jammer konnte einen packen, wenn man in diese aufgerissenen Augen sah. Stabsarzt Dr. Paal linderte die Schmerzen, soweit möglich. Immer wieder wies der Verwundete mit der rechten Hand auf meine Pistole, die wir Divisionspfarrer zum Schutze der Verwundeten tragen mußten. Ich verstand den so schwer Verletzten sehr schnell: Machen Sie doch meiner Qual bald ein Ende, bitte! Er erhielt durch den Arzt noch eine lindernde Spritze und wurde dann vorsichtig in den Wagen mit der wehenden Rotkreuzflagge hineingetragen; das Ziel: das nächste Feldlazarett. Sein Oberleutnant erzählte mir später, der Verwundete habe die qualvolle Fahrt über die holprige Rollbahn leider nicht überstanden. Hier half nur die Erinnerung an jenes Wort des Neuen Testamentes: ‚Der Tod wird nicht mehr sein, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein.‘ Auch das Stöhnen des so schwer verletzten Kameraden wird nicht mehr sein, denn ‚das Erste ist vergangen.‘

    So wie hier beschrieben – nur wenige Ausschnitte von unzähligem Sterben – ging es weiter, Tag für Tag, auch Nacht für Nacht, wenn man z. B. in tiefster Dunkelheit jemanden rufen hörte ‚Sani, Sani!‘, und man fand ihn doch nicht. Und Tag um Tag, Nacht für Nacht wurde es noch schlimmer als bisher, denn der Krieg wurde im Laufe der Zeit erbarmungsloser. Warum sollte ich die Wirklichkeit verschweigen? Denn nur die Wahrheit kann uns freimachen! Daß es noch schlimmer wurde, merkten wir auch daran, daß das Singen ganz allmählich aufhörte. Selbst Narren sangen nicht mehr ‚kein schönrer Tod, als wer vom Feind erschlagen!‘ Wer wie wir Erschlagene mit eigenen Augen gesehen hatte, konnte vor einem solchen grauenhaften Ende nicht mehr singen, sondern nur noch verstummen …

    Mein katholischer Kollege, Pfarrer Peter Mohr, besaß eine besondere seelsorgerische Begabung. Wenn er mit seiner warmherzigen Stimme zu den Verwundeten sprach, spürten sie alsbald seelische Erleichterung, und Sterbenden machte er mit seinem tröstlichen Wort den Heimgang leichter. Wenn er knieend das ewige Leben bezeugte, dann stand dahinter die Gewißheit: Nichts kann unsere lieben Kameraden von der Liebe Gottes scheiden! In gleicher Weise nahm er sich der verwundeten russischen Soldaten an. Wenn deren Blick auf das silberne Kreuz von Mohr fiel, entspannten sich ihre zerfurchten Gesichtszüge. Sie merkten: Mir naht jetzt kein Gegner, mir naht vielmehr ein Pontifex, ein Brückenbauer zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen Gott und Mensch, auch zwischen Mensch und Mensch.

    Während schwerste Kämpfe tobten, trafen wir beide unseren Divisionsarzt. Er sagte uns: ‚Dort, wo Sie jetzt hinwollen, ist es überaus windig!‘ Wir verstanden sofort, was er meinte. Mohrs Antwort: ‚Dort aber gehören wir auch hin,‘ und meinte damit auch unsere getreuen Küster Johann Wahl und Martin Krinke. Denn wenn Männer unter Schmerzen unsäglich leiden und auch sterben mußten, konnte oft allein das geistliche Wort noch lindern und helfen. Als Mohr auf dem dortigen Verbandplatz mit den vielen Verwundeten erschien, wurde es auf dem vom Stöhnen der Verwundeten erfüllten Ort ein wenig stiller, denn von ihm gingen Segensströme aus. Wie dankbar waren ihm unsere beiden Stabsärzte Dr. Paal und Dr. Weber! Mohr war in jeder Hinsicht ein tapferer Seelsorger. Wenn er einen Soldaten getroffen stürzen sah, war er alsbald bei ihm. Unser General Hube, hervorragend begabt, war zwar kein besonderer Freund der Kirche, hatte aber vor solcher Tapferkeit höchsten Respekt. Sein warmer Händedruck bezeugte es. Wie konnten wir diesen Krieg noch verantworten? Peter Mohr sprach es einmal so aus: Immer sind es unsere tapferen Landser, die für die Sünden ihrer Politiker büßen müssen! Deshalb war Mohr ein besonderer Freund der Landser, wie sie auch ihn überaus schätzten.

    Selten, daß General Hube an einem Verbandplatz vorbeifuhr. ‚Bei der Rotkreuzflagge halten,‘ lautete sein Befehl. Auch Ärzte und vor allem Verwundete brauchten ein ermutigendes Wort des Kommandeurs in kritischer Lage! Unser einarmiger General wußte aus eigenem Leid, was ein Verbandplatz und ein gutes Wort für einen Verwundeten bedeuten konnten. Daher sein kameradschaftlicher Handschlag für Dr. Weber, einen Gefreiten oder einen Verwundeten, sobald es seine Zeit als Kommandeur erlaubte. Sein Blick streifte auch über die vielen Gräber neben dem Verbandplatz. Ob er an seinen gefallenen Sohn dachte und daran, daß der Krieg bald ein Ende nehmen würde? Überaus dankbar war Dr. Weber auch für die Besuche von Divisionsarzt Dr. Gerlach.

    Nicht immer konnten Pfarrer Mohr und ich bei unseren beiden Sanitätskompanien bleiben, denn wir durften ja auch die Truppe nicht vergessen. Welche Freude, wenn wir auch in den vorderen Gräben auftauchten oder in einem Erdbunker! Jedes Mal aber gab uns Dr. Paal ein Handzeichen, und das besagte: Der Verwundete dort braucht ein seelsorgerisches Wort! So arbeiteten Seelsorge und Medizin im Krieg eng zusammen, ein gutes Beispiel auch für die heutige Zeit. Pfarrer Mohr stand Dr. Weber und seinen Mannen in Stalingrad und während der ganzen Gefangenschaft von 5 ½ Jahren mit glaubender Zuversicht zur Seite."

    Ein einziger Divisionspfarrer war für zehn- bis fünfzehntausend Soldaten zu wenig; jedoch befanden sich in den Sanitätseinheiten der einzelnen Divisionen mehr als 20 katholische Priester, die ihren Dienst als Sanitäter verrichteten. Ihre Mithilfe war zwar von der NS-Führung nicht vorgesehen, doch Dank des Entgegenkommens der in dieser Hinsicht viel toleranteren Kommandeure und Ärzte standen an den großen Festtagen des Kirchenjahres die von verschiedenen Priestern gehaltenen Feldgottesdienste im offiziellen Divisionsbefehl, z. B. in der 297. Infanterie-Division. Alois Beck: „An Großkampftagen war es aufgrund einer Vereinbarung mit dem dafür aufgeschlossenen Divisionsarzt und natürlich auch seitens der am Verbandplatz tätigen Ärzte selbstverständlich, daß bei Abwesenheit des Divisionsarztes, der nicht überall gleichzeitig sein konnte, ein Sanitätspriester den Sterbenden seelsorgerischen Beistand leistete."³⁷

    Schwere Mängel bei der Versorgung der 6. Armee

    Es gab allerdings bereits von Anfang an mahnende Stimmen und deutliche Kritik. Oberarzt Dr. Günther Diez³⁸, nacheinander bei der 1. und der 2. San.Kp. 305, schrieb zur gesundheitlichen Situation der Soldaten: „Auf dem Vormarsch durch die Steppe litt die Truppe sehr unter Wassermangel. An manchen Tagen war kein Tropfen aufzutreiben. Kärgliche und verschmutzte Wasserstellen mußten für Mensch und Tier ausreichen. Banale Enteritis-Erkrankungen – vor allem Ruhr, Typhus abdominalis und Paratyphus – häuften sich. Geeignete Krankenkost fehlte außerdem. Auch die Truppenverpflegung war so ungeeignet wie nur möglich. Bei großer Hitze gab es entweder nur Pferdefleisch oder nur Erbsen, nur Fischkonserven oder nur Rübenmarmelade. Das Brot war derart glitschig und naß, daß es nur geröstet genießbar war. Gemüse oder Obst wurden nie herangeschafft. Etwa ab Ende Juli 1942 wurde nur noch die Hälfte der Verpflegungsration herantransportiert; im Hinterland sollten Reserven für eine Schlammperiode geschaffen, die fehlende Hälfte sollte aus dem Lande entnommen werden. Aber dieses Land war Steppe, aus der sich für die Armee wenig entnehmen ließ. Auch das Fischen am Don schloß die Lücke nicht."³⁹

    Dr. Günther Diez (links)

    Die 1. San.Kp. 305 bei der Durchquerung eines Baches

    Dr. Horst Rocholl⁴⁰ mokiert sich über fehlende Winterbekleidung: „Da standen die Russen eben da vorne; sie waren besser auf den Winter vorbereitet als wir, denn sie hatten eine sehr praktische Winterbekleidung, Jacke, Hose und Wattejacke. Unsere Winterkleidung war unpraktisch, sie half wahrscheinlich der Bekleidungsindustrie mehr als uns: Eine Überhose mit einem Hosenträger, der angenäht war. Wenn ich aus der Hose mußte – und das mußte ich auf dem Weg in die Gefangenschaft, als ich die Ruhr hatte, sehr häufig –, mußte ich meinen Mantel ausziehen, dann meine Jacke, mußte diese Überhose runterstrippen und die andere Hose öffnen. Dann, wenn ich wieder anziehen wollte, waren meine Hände derart klamm, daß ich keinen Knopf mehr zukriegte. Völlig unpraktisch!

    Die 1. San.Kp. 305 in der Donsteppe

    Die Winterbekleidung war im Kessel oder in der Nähe des späteren Kessels von Stalingrad angekommen, und Mitte November waren unsere Lastwagen hingefahren und wollten die Winterbekleidung in Empfang nehmen. Die wurde ihnen nicht ausgehändigt – es fehlte der Verteilerschlüssel, d. h., sie wußten nicht, wie viel. Merkwürdigerweise fuhren unsere Lastwagen zurück, und vier Tage später wurde das Bekleidungslager angezündet und verbrannt, damit es nicht der Roten Armee in die Hände fiel! Das bedeutete, daß wir auch im zweiten Winter nur sehr wenig Winterbekleidung hatten.

    Sehr begeistert waren wir dann von der Führung nicht mehr. Wenn in irgendeinem meiner Briefe noch Vertrauen in den ‚Führer‘ geäußert wurde, dann waren das entweder tröstende Worte für die Angehörigen, oder es war Taktik gegenüber der Zensur, der die Briefe durchaus in die Hände fallen konnten. Wer sich ganz offen ausdrückte, der gefährdete sich selbst, aber auch seine Angehörigen."⁴¹

    Nach der Einkesselung der Armee fehlte die dringend benötigte Winterbekleidung. „Die Lager waren voll von Mänteln, Pelz- und Filzstiefeln. Vom Kommandierenden General bis zur letzten Ordonnanz waren alle, einschließlich der rückwärtigen Dienste, bestens versorgt, nur der Landser in der vorderen Linie, der in offener Steppe, oder wenn er Glück hatte, in einem Loch in der hart gefrorenen Erde aushalten und kämpfen mußte, der hatte nichts, was ihn warm hielt."⁴² Das sollte sich wegen der verheerenden Erfrierungen noch bitter rächen. Noch absurder war, dass selbst beim Angriff der Roten Armee auf Verpflegungslager ohne Anforderungsschein nichts herausgegeben werden durfte. Der Soldat Sepp Wirr: „Einige Tage später wurde das ganze Lager mit Petroleum übergossen und angezündet. Bis zur letzten Minute sorgte der Stabszahlmeister mit der Pistole in der Hand dafür, daß ja keiner auch nur eine Konserve aus den Flammen holte, was gar nicht leicht war, da die halbverhungerten Landser immer wieder versuchten zu retten, was noch zu retten war. Militärisch gesehen, hätte er sich einen hohen Orden verdient; laut HDV⁴³ hatte er seine Aufgabe bis zum Letzten vorbildlich erfüllt, auch wenn er an der Menschheit zum Verbrecher wurde."⁴⁴

    Dr. Hans Dibold, der Autor von „Arzt in

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