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Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte: Von Leuthen bis Stalingrad
Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte: Von Leuthen bis Stalingrad
Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte: Von Leuthen bis Stalingrad
eBook692 Seiten9 Stunden

Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte: Von Leuthen bis Stalingrad

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Über dieses E-Book

Der Autor, promovierter Historiker und Generalleutnant a. D., schildert in seinem neu überarbeiteten Werk wichtige Wendepunkte der jüngeren deutschen Militärgeschichte anhand von acht Schlachten: Leuthen (1757), Valmy (1792), Waterloo (1815), Vionville-Mars la Tour (1870), Tannenberg (1914), der Schlacht am Skagerrak (1916), dem Westfeldzug (1940), Kreta (1941) und Stalingrad (1942/43).

Dabei begnügt der Verfasser sich jedoch keineswegs mit der Beschreibung längst vergangener Schlachten. Im Vordergrund steht für ihn die Einordnung in die deutsche Geschichte. Stets zitiert der Autor auch diejenigen Wertungen, die der eigenen entgegenstehen, und ermöglicht dem Leser so ein eigenes Urteil.

Dieses Buch ist bereits ein eingeführtes und populäres militärhistorisches Werk (von Hase & Köhler, 1984; E.S. Mittler, 2000), das für die Neuauflage umfangreich bebildert und mit einem zusätzlichen Kapitel über die Seeschlacht am Skagerrak im Ersten Weltkrieg ergänzt wurde.
SpracheDeutsch
HerausgeberAres Verlag
Erscheinungsdatum27. Aug. 2020
ISBN9783990810620
Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte: Von Leuthen bis Stalingrad

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    Buchvorschau

    Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte - Franz Uhle-Wettler

    Quellenbelege

    Vorwort

    zur dritten Auflage

    Die erste Auflage dieses Buches ist 1984 erschienen. Das Buch wurde 2000 für die zweite Auflage überarbeitet und durch ein Kapitel über die Schlacht um Kreta 1941 erweitert. In diese dritte Auflage wurde wiederum die inzwischen erschienene neue Literatur eingearbeitet oder in die Literaturangaben aufgenommen. Vor allem aber wurde diese Auflage durch ein Kapitel über die Skagerrak-Schlacht und den Bau der Flotte des Kaiserreichs erweitert. Das erschien notwendig. Seit das Paulskirchenparlament 1848/49 von einer starken Reichsflotte träumte, ist in Frieden und Krieg viel Kraft und Hingabe des deutschen Volkes in die Marine geflossen, und viele tapfere Männer sind gefallen. Eine lediglich Tätigkeit des Heeres und der Luftwaffe schildernde Skizze der deutschen Militärgeschichte würde dem nicht gerecht werden.

    Dennoch bleibt die Frage, was die Neuauflage eines im wesentlichen vor mehreren Jahren erschienenen Buches rechtfertigt. Dabei fällt erschwerend ins Gewicht, daß das Buch Schlachten schildert. Besonders in der Bundesrepublik ist jedoch „Operationsgeschichte, die Schilderung militärischer Operationen, umstritten. Wie wenig Bedeutung sogar das deutsche Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) der Operationsgeschichte zumißt, ist leicht zu erkennen. Sein „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg ist als bewußtes Gegenstück zum Generalstabswerk über den Ersten Weltkrieg konzipiert, das vom MGFA wegen des Übergewichts der Operationsgeschichte als „eindimensional bewertet wird. Dem will das Amt eine „Geschichte der Gesellschaft im Kriege entgegensetzen, indem es soziologische, wirtschaftliche und politische Gesichtspunkte stärker berücksichtigt.¹ Doch das Werk ist nur für zehn Bände konzipiert – obwohl die amtlichen Darstellungen der anderen Nationen viele Dutzend Bände umfassen. Mithin bleibt für eine Betrachtung der militärischen Operationen in dem Werk des MGFA kaum Raum. Rezensionen schon des den Polen-, Norwegen- und Frankreichfeldzug behandelnden Bandes haben denn auch geurteilt, die Schilderung der Operationen sei „mager und biete kaum mehr als „grobe Überblicke

    Die Zweifel am Sinn der Operationsgeschichte sind nicht grundlos. Nicht etwa, weil die deutschen Militärhistoriker sich heute oft lieber mit Fehlern der deutschen militärischen Führung sowie mit Untaten deutscher Streitkräfte im 1. und 2. Weltkrieg beschäftigen – es ist der Amerikaner Dennis Showalter, der von „moralisierenden Bedenkenträgern" spricht.³ Sondern Zweifel an der Operationsgeschichte sind berechtigt, weil sie gelegentlich zur Schilderung einer scheinbar sinnlosen Massenprügelei degeneriert. Es kann höchstens Spezialisten noch interessieren, daß irgendein Heerführer in einer längst vergangenen Schlacht rechts statt links um einen Berg oder einen Sumpf angriff, was der Gegner dann unternahm, wann der Heerführer mit welchem Erfolg seine Reserve einsetzte – u. s. w.

    Eine Schlacht ist jedoch stets auch ein geistiger Wettkampf der Opponenten. Operationsgeschichte kann demnach interessant und zugleich lehrreich werden, wenn sie herausarbeitet, wie die Heerführer und auch die ihnen nachgeordneten Führer versuchten, ihre Gegner geistig zu überwinden, sie also „auszutricksen". Die brutale Gewalt der Waffen sollte nur verlustsparend vollenden, was die taktische Kunst vorbereitet hatte. Auch zeigt jede Schlacht, was Volk und Regierung aufzubieten gewillt waren, also die Erziehung der Jugend, die Ausbildung der Streitkräfte und ihrer Führer, die Leistungsfähigkeit der Wissenschaftler, der Techniker, der Ingenieure sowie der Rüstungsindustrie – wiederum im Wettstreit mit allen geistigen Kräften der opponierenden Nation.

    Es tritt hinzu, daß manch ein ausländischer Historiker die deutschen Heere als die militärisch leistungsfähigsten Heere der beiden letzten großen Kriege gewürdigt hat.⁴ Andere Nationen würden wohl die militärische Leistung ihrer Väter achten – auch ohne dunkle Seiten zu verschweigen. Dem tritt heute manch ein Bilderstürmer entgegen. Doch das braucht man nicht als Maßstab zu nehmen; Maßlosigkeit der Urteile und Bilderstürmerei sind selten dem Urteil der Nachwelt entgangen.

    Schließlich zeigen Schlachtschilderungen auch die Sittlichkeit der Heere und ihrer Feldherrn. Seit altersher haben die Völker versucht, der Kriegsfurie Zügel anzulegen, damit der Krieg nicht gänzlich der Menschlichkeit entgleitet. Vor allem in der außereuropäischen Antike ist das gelegentlich in erstaunlichem Maße gelungen. Im ausgehenden 17., im 18. und 19. Jahrhundert sind die Kriege der europäischen Staaten mit einer Ritterlichkeit, mit einer Achtung vor Recht und Würde auch des Gegners geführt wurden, die heute wie eine Sage aus fernen Zeiten anmutet.⁵ Erst im 20. Jahrhundert wurde es wieder möglich, den Auftrag des Soldaten als „to kill, to kill and to kill" zu beschreiben und so den Soldaten sowie sein Tun zu entmenschlichen.⁶

    Aus den genannten Gründen halten Verlag und Autor es für berechtigt, die Beschreibung einiger Schlachten, also einen Ausschnitt aus der deutschen Operationsgeschichte, in dritter Auflage zu veröffentlichen.

    Vorwort

    zur ersten Auflage 1984

    Urteile über das deutsche Militär und seine Geschichte sind stärker umstritten als Urteile über manche andere geschichtliche Erscheinungen. Das betrifft das Ganze ebenso wie seine Teile, die geschichtliche Rolle des deutschen Militärs insgesamt ebenso wie zahlreiche Ereignisse oder bestimmte Personen. Die Spanne der Urteile reicht auch heute noch von unbefangener Glorifizierung bis zu ebenso unbefangener vollständiger Verdammung.

    Die kontroverse Bewertung der deutschen Militärgeschichte ist mehr als ein Akademikerstreit, weil zur Begründung politischer Entscheidungen recht häufig auch Lehren der Geschichte herangezogen werden. Damit wird freilich eine Gesellschaft zur Stellungnahme aufgefordert, die keineswegs mehr selbstverständlich über diejenigen Geschichtskenntnisse verfügt, die ein selbständiges Urteil ermöglichen.

    Dieses Buch macht mit einigen herausragenden Ereignissen sowie mit einigen wichtigen Personen bekannt und stellt einige der umstrittenen Urteile vor. Es will dadurch helfen, Zugang zum militärischen Teil der deutschen Geschichte zu gewinnen. Die bewußt sehr kurz gehaltenen Literaturhinweise haben nur den Zweck, den Übergang zur weiterführenden Literatur zu erleichtern.

    Der Verfasser dankt Herrn Garrod von der Militärischen Fachbibliothek des Obersten NATO-Hauptquartiers Europa (SHAPE) für seine Hilfe bei der Literaturbeschaffung sowie Herrn Oberfeldwebel Höhn und Herrn Obergefreiten Wenninger vom Stab der 5. Panzerdivision für das Zeichnen der Skizzen.

    Vorwort

    zur zweiten Auflage 2000

    Für die Neuauflage wurden die bisherigen Kapitel überarbeitet. Vor allem wurde das Werk um ein Kapitel erweitert, das die Schlacht um Kreta 1941 schildert.

    Seit der ersten Auflage dieses Buches hat sich das Klima in der Bundesrepublik bedeutsam verändert. Die Geschichte des deutschen Militärs, insbesondere der Wehrmacht, wird von manch einem heute negativer als vor fünfzehn Jahren gesehen.

    Der Verfasser ist sich, zudem nicht erst seit heute, durchaus der Beteiligung auch der Wehrmacht an den das 20. Jahrhundert kennzeichnenden Untaten sowie an denen der Hitlerzeit bewußt. Angesichts der heute oft anzutreffenden Darstellung dieser Beteiligung fühlt er sich allerdings lebhaft an die Klage erinnert, die schon Goethe äußerte: „Daß der Deutsche doch alles zu einem Äußersten treibet … Die gleiche Klage gibt es sogar von Friedrich Engels, aber auch sie ist selten beachtet worden. Ein bedeutender deutscher Soldat, Tirpitz, hat zudem von der „Selbstmörderecke im deutschen Charakter gesprochen.

    In einer durchaus nicht unkritischen Besprechung der ersten Auflage dieser Studie urteilte 1985 ein amerikanischer Historiker, Dennis Showalter, es sei geradezu „ironic, daß die ausgewogenste Beurteilung der militärischen Leistungen der Wehrmacht ausgerechnet von einem israelischen Historiker (Martin van Creveld) geschrieben wurde. Hingegen konzentrierten sich die Historiker sowohl der DDR als auch der Bundesrepublik im Dienst einer neuen Staatsordnung (new order) nur auf die Fehler und das Versagen des deutschen Militärs. Diese „Tendenz aber berge die Gefahr beträchtlicher Übertreibung und Verdrehung (overkill and distortion).⁸ Dem ist nichts hinzuzufügen.

    General de Gaulle, der in zwei Weltkriegen gegen Deutschland gekämpft hat, hat den Deutschen 1962 bei seinem Staatsbesuch zugerufen: „Gott, vor dessen Angesicht so unendlich viele Männer hingestreckt auf der Erde in unseren großen Schlachten gestorben sind, weiß, wie schrecklich sie und wir gekämpft haben … Dennoch will jedes der beiden Völker die Erinnerung an den entfachten Mut und an die erlittenen Opfer bewahren, weil die Ehre der Kämpfenden hierbei unangetastet geblieben ist. Denn wenn auch eine schlechte Politik zu Verbrechen und Unterdrükkung führt, so gehört doch die Hochachtung, die sich die Tapferen entgegenbringen, zum sittlichen Erbe des Menschengeschlechts."

    Auch dem ist nichts hinzuzufügen.

    Leuthen 1757

    und das Heer Friedrichs des Großen

    An einem Dezembertag des Jahres 1757 schlug bei Leuthen, in der Nähe der schlesischen Stadt Breslau (heute Wrocław), ein von Friedrich dem Großen, König von Preußen, persönlich geführtes Heer weit überlegene österreichische Truppen. Wer mit dieser Schlacht einen Gang durch die deutsche Wehr- und Kriegsgeschichte zu beginnen unternimmt, muß diesen Anfang begründen, denn vieles spricht gegen ihn. Leuthen entschied den Krieg nicht; der Friede kam erst sechs Jahre später. Beide beteiligte Staaten sind untergegangen, Preußen vollständig, und von Österreich blieb kaum mehr als der verstümmelte Rumpf. Auch Schlesien gibt es nicht mehr; die deutschen Bewohner sind fast alle ermordet oder vertrieben worden. Zugewanderte Polen haben sie ersetzt, denen Name und Geschichte von Leuthen, heute Lutynia, wohl gleichgültig sind.

    Zudem beginnt nicht einmal die preußische Heeresgeschichte mit Leuthen, geschweige denn die deutsche. Beide sind älter. Es gibt auch keinen Grund, eine deutsche Militärgeschichte unbedingt mit einer Schlacht zu beginnen, die aus preußischer Sicht wichtig war. Als Leuthen geschlagen wurde, war Österreich mindestens in gleichem Maße Teil des deutschen oder, wie man auch sagte, Römischen Reiches wie das Königreich Preußen, das zudem Namen und Königstitel von einer abgelegenen, nicht einmal zum Reich gehörenden Provinz bezog. Österreichs Heeresgeschichte aber kennt zwar trotz des Prinzen Eugen kein so leuchtendes Genie wie Friedrich, aber auch keine so schmähliche Niederlage wie die von Jena und Auerstedt und auch kein so schandbares Versagen der Offiziere wie das der preußischen Offiziere 1806. Kurzum: Österreich war zur Zeit von Leuthen ebenfalls Teil des Reiches, und seine Heeresgeschichte ist ebenso ruhmreich wie diejenige Preußens. Schließlich war es Österreich, nicht Preußen, das dreihundert Jahre lang das Reich gegen den Angriff Frankreichs und oft auch der Türken verteidigte – selten von den Reichsfürsten großzügig unterstützt und oft genug von ihnen verraten. Auch von Preußen.

    Also gäbe es manchen Grund, dieses Buch weiter in die Vergangenheit zurückzuführen und früher einsetzen zu lassen, vielleicht mit einer der großen Schlachten österreichischer Heere, mit Belgrad oder mit Pavia. Oder noch früher, mit der Schlacht am Lech, an der Unstrut oder gar mit der Schlacht am Teutoburger Wald. Aber bereits die Namen machen deutlich, daß diese Schlachten ganz der vergangenen Geschichte angehören. Nur spezielles Geschichtsinteresse kann sie in unsere Zeit zurückholen. Von ihnen wirken keine geistigen Kräfte herüber zu uns. Hingegen haben viele, die im Kampf gegen Hitler fielen, die preußische Tradition beschworen; es kann kein Zufall sein, daß eine Liste der Gefallenen des 20. Juli sich streckenweise wie eine Namensliste preußischer Offiziere des 18. Jahrhunderts oder gar der Schlacht von Leuthen liest.

    Nach dem Ersten Weltkrieg waren nicht zuletzt sozialdemokratische Politiker um das Fortbestehen Preußens bemüht; Ministerpräsident Braun warnte: „Wir sollten Preußen erhalten, wenn wir zu einem geschlossenen, einheitlichen deutschen Reich kommen wollen." Walter Rathenau urteilte, wer Preußen zerstöre, mache Deutschland zu einem klerikalen Rheinbundstaat.

    Andererseits trugen nach 1945 die Sieger Bedacht, Preußen aufzulösen. Solch tiefer Eingriff in die Ordnung eines niedergeworfenen Staates war völkerrechtswidrig, doch das hat die Sieger nicht gestört. Ihr Argument: Preußen sei „seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen. Folglich sei die Auflösung notwendig, „um die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens auf demokratischer Grundlage zu sichern; so der Kontrollratbeschluß, auf den sich die Besatzungsmächte noch 1947 einigen konnten. Ein bezeichnendes Detail: Die Sieger zerstörten die Berliner Denkmäler der Kurfürsten von Brandenburg und der Könige von Preußen; das sollte helfen, dem Besiegten ein neues Bild seiner Geschichte aufzudrängen. Schon damals und bis heute haben nur wenige gefragt, welche Unterschiede zwischen der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten und der Denkmalzerstörung der Sieger bestehen könnten.

    1989, mit dem Fall der Mauer, wurde Preußen wiederum gegenwärtig. Als Berlin Hauptstadt werden sollte, warnte manch einer, eine demokratische deutsche Regierung müsse sich von der ehemaligen Hauptstadt Preußens fernhalten, und manche Stimme warnte laut, den „Junkern" das von Stalins sowie von Ulbrichts Kommunisten geraubte Eigentum zurückzugeben.

    So haben sich bis in unsere Tage viele derjenigen, die Deutschland liebten oder haßten, die es stärken oder schwächen wollten, auf Preußen berufen. Daran wird deutlich, daß die preußische Geschichte lebendiger geblieben ist als diejenige anderer Teilstaaten des alten Deutschen Reiches. Das mag das Recht geben, einen Gang durch die deutsche Militärgeschichte mit einer Schlacht zu beginnen, die ein Preußenkönig gewonnen hat. Es ist eine Schlacht, von der Napoleon sagte, sie allein genüge, Friedrich den Großen „unsterblich zu machen; einer der bedeutendsten und unkonventionellsten Militärhistoriker unserer Tage, der Amerikaner Trevor Dupuy, hat sie das „taktische Meisterwerk der Geschichte genannt.¹⁰

    Leuthen ist die bekannteste der Schlachten des Siebenjährigen Krieges, der auch der Dritte Schlesische genannt wird. Im ersten der Kriege hatte Friedrich II., König von Preußen, Kaiserin Maria Theresia gezwungen, ihm die Provinz Schlesien abzutreten. Im zweiten Krieg hatte Friedrich die Beute erfolgreich verteidigt. Doch Österreich gibt nicht auf. 1755 setzt Maria Theresias Staatskanzler, Wenzel Graf Kaunitz, als „Grundaxiom österreichischer Politik fest: „Preußen muß übern Hauffen geworffen werden, wann das durchlauchtigste Ertzhaus aufrecht stehen soll.¹¹ Seit 1756 kämpfen Preußen und Österreich zum drittenmal um die schöne Provinz. Preußens einziger Verbündeter ist England. Aber England ist Seemacht und kämpft vor allem in Übersee, vorzüglich in Kanada und Indien. Allerdings ist der englische König eigentlich vor allem Kurfürst von Hannover und sogar des Heiligen Römischen Reiches Erzschatzmeister, denn die Hannoveraner haben vor einigen Jahrzehnten den englischen Thron geerbt. So steht wenigstens England auf seiten Preußens – bis es 1761 seinen Verbündeten im Stich und damit in tödlicher Gefahr lassen wird, woran sich die Preußen lange bitterlich erinnern werden.

    Um so größer ist in allen vier Himmelsrichtungen die Schar der Gegner: Im Norden Schweden, das als Herrscher über Vorpommern schon einen Brückenkopf am Südufer der Ostsee besitzt. Im Westen Frankreich und fast alle Staaten des Deutschen Reiches. Im Süden Österreich und Sachsen. Damit im Osten auch Polen, denn der Kurfürst von Sachsen ist zugleich König von Polen. Und schließlich Rußland. Wahrlich: Eine Welt von Feinden.

    So beginnt ein Kampf, von dessen Wirkung sogar in der fernen Freien Reichsstadt Frankfurt, der Krönungsstadt der deutschen Kaiser, Goethe später erzählen wird: „Die Siege, die Großtaten, die Unglücksfälle, die Wiederherstellungen folgten aufeinander … Immer aber schwebte die Gestalt Friedrichs, sein Name, sein Ruhm, in kurzem wieder oben … Der Enthusiasmus seiner Verehrer ward immer größer und belebter, der Haß seiner Feinde immer bitterer."

    Goethe war damals acht Jahre alt; er wird also schon manches selbst beobachtet und miterlebt haben: „So war ich denn auch preußisch oder, um richtiger zu reden, fritzisch gesinnt, denn was ging uns Preußen an. Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüter wirkte. Ich freute mich mit dem Vater unserer Siege, schrieb gern die Siegeslieder ab, und fast noch lieber die Spottlieder auf die Gegenpartei, so platt die Reime auch sein mochten."

    Freilich hat schon damals sogar in einer dem Krieg so fernen Stadt wie Frankfurt die Gestalt des „großen Königs (Goethe) den Meinungsstreit heftig entzündet: „Die Welt, die sich nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Richter aufgefordert fand, spaltete sich sogleich in zwei Parteien, und unsere Familie war ein Bild des großen Ganzen … Man stritt, man überwarf sich, man schwieg, man brach los … Die Frauen versuchten vergeblich, das Feuer zu tüschen … Alles, was zum Vorteil der Gegner angeführt werden konnte, wurde geleugnet oder verkleinert; und da die entgegengesetzten Familienmitglieder das Gleiche taten, so konnten sie einander nicht auf der Straße begegnen, ohne daß es Händel setzte wie in ‚Romeo und Julia‘.¹²

    Im ersten Halbjahr des Krieges, 1756, erobert Friedrich Sachsen und marschiert in Böhmen ein, das er aber nach der schweren Niederlage von Kolin wieder räumen muß. Nun rücken von Westen auch die Franzosen heran, verstärkt durch die Reichs-Exekutionsarmee. Friedrich operiert auf der inneren Linie. Einen Teil seiner Armee läßt er unter den Generalen Prinz von Bevern und v. Winterfeldt in Schlesien; er selbst eilt mit dem anderen Teil nach Sachsen und Thüringen, um sich auf die Franzosen zu werfen. Im November kommt es bei Roßbach, in der Nähe von Merseburg, zur Schlacht. Franzosen und Reichsarmee werden auseinandergesprengt, schon dies ein glänzender, weithin bewunderter, in neunzig Minuten gegen doppelte Übermacht erfochtener Sieg. Noch hundert Jahre später beschreibt ein englischer Historiker, wie der Sieg sogar im fernen England gefeiert wurde: „Die Begeisterung in Deutschland reichte kaum an die Begeisterung in England heran. Der Geburtstag unseres Alliierten wurde mit ebensoviel Begeisterung gefeiert wie der unseres eigenen Herrschers. Nachts waren die Straßen in London hell erleuchtet. Bilder des Helden von Roßbach, mit seinem Zweispitz und Zopf, waren in jedem Hause."

    Doch während Friedrich in Sachsen siegt, haben die Österreicher in Schlesien seine Abwesenheit gut genutzt. Winterfeldt wird geschlagen und fällt. Dann nehmen die Österreicher Schweidnitz (heute Świdnica), eine der größten schlesischen Festungen, in deren Magazinen zudem wichtige Vorräte lagern. Aber Friedrich steht noch Schlimmeres bevor. Die Österreicher erringen weitere bedeutende Siege, über deren Wirkung in Wien Maria Theresias Obersthofmeister Graf Khevenhüller in seinem Tagebuch notiert: „Den 28. (November) kame der Duc (Herzog) d’Ursel mit 16 Blasenden (Trompetern) um 12 Uhr, da man eben bei der Hauptwach zum Ave Maria-Gebet das Spiel rührte (die Musik anstimmte), und überbrachte die erste förmliche Relation (Bericht) von der Viktori (Sieg) bei Breslau nebst der weiteren Nachricht, daß den Surlendemain de l’affaire (zwei Tage nach dem Gefecht), den 24., der kommandierende General der preußischen Armee, Prinz August Wilhelm von Bevern, als er in der Finster die Vorposten recognoszieren (aufklären) geritten, von unseren Kroaten aufgehoben und als Kriegsgefangener in das Hauptquartier geführet worden wäre. Nach 2 Uhr folgte der aggregierte (zugeteilte) Fürst-Waldeggische Obrist-Wachtmeister, Baron von Reizenstein, mit acht Blasenden und brachte die weitere importante Botschaft, daß den nämlichen (gleichen) 24. die Stadt Breslau mit Akkord übergegangen (sich ergeben) und der Rest der feindlichen Armee nach Glogau marschieret seie. Den 30. nach gehobener Tafel kame der Generalmajor Fürst Christian von Löwenstein in einer Postkalesche und überbrachte nebst dem Detaglio (Detail) der letzteren Aktion die dabei eroberten Fahnen … Er soupierte heut nebst mir bei dem Kaiser, wo er uns bis nach halb 12 Uhr nachts – als einer der bekanntermaßen nicht ungern sprichet – daherschwätzte."¹³

    Über die preußischen Truppen ist in Schlesien eine Katastrophe hereingebrochen. Friedrichs Sieg bei Roßbach erscheint zu teuer erkauft. Wie manch einer die Lage Preußens beurteilt, zeigt der Bericht des englischen Berliner Botschafters an seine Regierung: „Ich fürchte, die Franzosen und Österreicher werden bis Weihnachten nicht bloß im Besitz von Berlin, sondern des größten Teils der preußischen Erblande sein."¹⁴ Vielleicht ist das Ende des Königreichs Preußen gekommen.

    In Schlesien fluten die Reste des geschlagenen Heeres Friedrich entgegen. Der König mußte Truppen in Sachsen zurücklassen, so kann er nur mit 14.000 Mann herbeieilen, um seine schlesischen Truppen aufzunehmen. Es sind nur noch 18.000 Mann. Einer von ihnen, der Rittmeister (Hauptmann bei berittenen Truppen) v. Logan-Logejus, schildert das Zusammentreffen des siegreichen mit dem geschlagenen Heer: „Und dennoch näherten wir uns dem Monarchen in tiefster Beschämung … Die Unruhe, welche uns an unseren Heerführern auffiel und von der sogar nicht einmal ein (General v.) Zieten sich freizumachen vermochte, verscheuchte in unserem Herzen die Freude, die sich stets dann einzustellen pflegte, sobald wir die Aussicht hatten, unter den Befehl des Königs zu treten. Aber jetzt war es ganz anders. Still und ernst, wie bei einem besonders feierlichen Leichenbegängnis, ritten wir der für uns furchtbaren Stunde entgegen."

    Doch Friedrich weiß, wie man Soldaten führt, die geschlagen wurden, obwohl sie ihr Bestes gegeben haben: „Kaum aber befand sich der König vor unserem Regiment, als sich auch schon sein ernster Blick aufheiterte und er, ganz gegen allen Brauch, seinen Hut vor uns Weißen Husaren (Husarenregiment 4) mit dem Worten zog: ‚Guten Tag, Kinder! Ihr habt viel gelitten, aber alles soll gut werden‘ … Wir Befehlshaber und unsere Schwadronen (Kavallerie-Kompanien) hatten jetzt das allerschönste Schaustück, denn kaum fünfzig Schritt vor unserer Front zog das siegreiche Königsheer vorüber. Manche Truppenteile sangen ganz laut geistliche Lieder, andere dagegen lustige Marsch- und Soldatenlieder … Unser Kommandeur, der Oberst v. Krockow, kam in höchster Begeisterung zu uns geritten. Unter Freudentränen berichtete er jedem, wie der Monarch allen Chefs und Kommandeuren nicht nur nicht einen einzigen Vorwurf gemacht, sondern wie er ihren Mut, ihre Pflichttreue und Umsicht ausdrücklich anerkannt und belobt hätte."¹⁵

    Friedrich ist offenbar ein Meister nicht nur der taktischen, sondern auch der inneren Führung, der militärischen Menschenführung. So gelingt ihm das Meisterstück: Binnen weniger Tage formt er aus den entmutigten Resten der schlesischen Armee wieder kampffähige Regimenter. Das war eine Leistung, die hinter seinen strategischen und taktischen Leistungen kaum zurücksteht. Friedrich selbst schreibt dazu in seiner Geschichte des Krieges: „Der König sprach mit den Soldaten; er ließ unentgeltlich Lebensmittel unter sie austeilen. Kurz, man erschöpfte alle ersinnlichen Mittel, um in den Truppen dasjenige Vertrauen wieder zu erwecken, ohne welches die Hoffnung auf den Sieg vergebens ist. Ein zeitgenössischer Bericht: Friedrich lagerte sich „wie ein gemeiner Soldat unter freiem Himmel, wärmte sich am Feuer und machte hernach den herumstehenden Soldaten Platz, sich an demselben Feuer zu wärmen. Er ging mit den Soldaten wie seinesgleichen um, redete mit ihnen von ihren ausgestandenen Ermüdungen und ermunterte sie auf die freundschaftlichste Art.¹⁶

    Die Österreicher waren mit 90.000 Mann in Schlesien einmarschiert. Hiervon stehen wenigstens 65.000 Mann dicht westlich von Breslau, um Friedrich den Zugang zum Inneren der reichen und schönen Provinz zu verwehren. Der König verfügt nur über 32.000 Mann. Dabei sind immerhin schon 167 Geschütze, darunter auch große „Brummer", nach dem Gewicht ihrer Kugeln 12-Pfünder benannt, die von zehn oder gar zwölf Pferden gezogen werden müssen. Die Preußen haben also auf 200 Mann ein Geschütz. Das zeigt, welche Rolle Artillerie und Waffentechnik schon spielen; wer will, kann darauf verweisen, daß die Brigaden der Bundeswehr noch ein ähnliches Verhältnis von Personal zu Geschützen haben, so unterschiedlich auch vieles andere sein mag.

    Am 3. Dezember erhält Friedrich Meldung, daß die Österreicher ihre feste Stellung vor Breslau verlassen haben und ihm dreist entgegengezogen sind. Abends ruft er die höheren Offiziere zu sich. Den schlachterprobten Männern könnte er keine Phrasen bieten, sogar wenn er es wollte. Friedrich wählt einfache Worte und spricht ganz offen. Er dankt für die bereits der preußischen Krone geleisteten Dienste und gibt dann seinen Entschluß bekannt: „Ich werde gegen alle Regeln der Kunst die beinahe dreimal stärkere Armee des Prinzen Carl angreifen, wo ich sie finde. Es ist hier nicht die Frage von der Anzahl der Feinde, nicht von der Wichtigkeit ihres gewählten Postens; alles dieses hoffe ich, wird die Herzhaftigkeit meiner Truppen und die richtige Befolgung meiner Dispositionen zu überwinden suchen. Ich muß diesen Schritt wagen, oder es ist Alles verloren; wir müssen den Feind schlagen, oder uns alle vor seinen Batterien begraben lassen. So denke ich – so werde ich handeln."

    Die Offiziere wissen aus eigener Erfahrung, daß die Schlachten zuweilen ein Drittel der Soldaten und noch mehr der Offiziere als Tote oder Verwundete fordern. Sie wissen also, daß einige, vielleicht viele von ihnen die kommende Schlacht nicht überleben werden. Angesichts der Schwere der bevorstehenden Schlacht stellt ihnen der König sogar den Abschied frei: „Ist aber der eine oder der andere unter Ihnen, der sich fürchtet, alle Gefahren mit mir zu teilen, der kann noch heute seinen Abschied erhalten, ohne von mir den geringsten Vorwurf zu leiden."

    Wichtig: Der König will, daß auch die anderen Offiziere sowie die Unteroffiziere und Mannschaften offen unterrichtet werden: „Gehen Sie nun ins Lager und wiederholen Sie ihren Regimentern, was Sie jetzt von mir gehört haben. Versichern Sie ihnen dabei, ich würde ein jedes genau bemerken. Das Regiment Cavallerie, wenn es nicht gleich, wenn es befohlen wird, sich à corps perdu (ohne Zögern) in den Feind stürzt, lasse ich gleich nach der Bataille (Schlacht) absitzen und mache es zu einem Garnison-Regiment (Ersatztruppenteil). Das Bataillon Infanterie, was, es treffe auch, worauf es wolle, nur zu stocken anfängt, verliert die Fahnen und die Säbel, und ich lasse ihnen die Borten von den Montirungen (Uniformen) schneiden."

    Der König droht also nicht Strafen an, sondern er appelliert an Stolz und Ehrgefühl – nicht nur der Offiziere, sondern auch der Unteroffiziere und Mannschaften. Das ist nur für Unwissende verwunderlich. Immerhin hat der König selbst in seinen „Generalprincipia, der geheimen Führungsvorschrift, seinen Generalen eingeschärft: „In einem Lande, wo der Militair-Stand der vornehmste ist, wo der beste Adel in der Armee dient, wo die Officiers Leute von Naissance (guter Geburt) und selbst die Landes-Einwohner, nämlich die Söhne derer Bürger und deren Bauern, Soldaten seynd, da kann man sich versichert halten, daß bey dermaßen eingerichteten Trouppen ein point d’honneur (Ehrgefühl) seyn müsse. Auch ist solches würklich groß unter ihnen, denn ich habe selbst gesehen, daß … selbst gemeine Soldaten diejenigen nicht unter sich leiden wollen, welche einige Schwachheit blicken lassen, die man bey anderen Armeen gewiß nicht releviert (weggeschickt) haben würde. Ich habe Officiers und gemeine Soldaten stark blessiert (verwundet) gesehen, die dem ohnerachtet ihren Posten nicht verlassen.¹⁷

    Friedrich hat nicht eine schriftlich ausgearbeitete Rede verlesen, sondern er hat frei gesprochen. So kennen wir die Ansprache nur aus der späteren Niederschrift einiger Zuhörer; der genaue Wortlaut ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, daß die einfachen und offenen Worte, zusammen mit Person, Ansehen und Ruhm des Königs, großen Eindruck gemacht haben. Einer der Offiziere berichtet: „Die alten Krieger, die so manche Schlacht unter Friedrich gewonnen hatten, reichten sich wechselseitig die Hände, versprachen einander treulich beizustehen und beschworen die jungen Leute, den Feind nicht zu scheuen."¹⁸

    Am folgenden Tag, dem 4. Dezember 1757, beginnt der Vormarsch, den westlich von Breslau verhaltenden Österreichern entgegen. Am Abend biwakieren die Preußen bei Neumarkt (heute Środa Slaska). Die Nacht ist kalt; Schnee liegt auf den Feldern. Der 5. Dezember bringt die Schlacht. Die Preußen brechen früh ihre Zelte ab; die Soldaten werden froh über den zeitigen Aufbruch gewesen sein, denn sie dürften erbärmlich gefroren haben. Die Armee zieht dem Feinde entgegen. Noch in der Morgendämmerung trifft ihre Vorhut bei dem Dorf Borne auf die feindlichen Sicherungen. Die österreichischen Husaren und die sächsischen Dragoner werden im ungestümen Angriff schnell geworfen. Friedrich führt, wie immer, von vorn; er befiehlt nun 50 Husaren zu sich und schärft dem führenden Offizier ein: „Er verläßt mich nicht und giebt acht, daß ich nicht der Kanaille in die Hände falle. Bleib‘ ich, so bedeckt er den Körper mit seinem Mantel und läßt einen Wagen holen. Er legt den Körper in den Wagen und sagt keinem ein Wort. Die Schlacht geht fort, und der Feind – der wird geschlagen."¹⁹ Dann reitet der König, seiner Armee voraus, auf die Höhen ostwärts von Borne. Drüben brechen nun auch die Österreicher die Zelte ab und beziehen ihre Verteidigungsstellungen.

    Der König verhält auf der Höhe, um sich einige Generale und Adjutanten, rückwärts die Kavalleriesicherung. Von hinten rückt die Armee heran; Friedrich bleibt nicht viel Zeit für seinen Entschluß.

    Die preußische Armee marschiert natürlich nicht mehr auf einer einzigen Straße, denn dann würde es Stunden dauern, bis die hintersten Teile in ein Gefecht der vordersten eingreifen können. Die Infanterie marschiert in mehreren Kolonnen nebeneinander, also zum Teil schon jetzt querfeldein, und zwischen ihr sechs-, acht-, zehn- und sogar zwölfspännig die Artillerie. Die Kavallerie schützt beide Flanken. Die Infanterie singt, wie Mitkämpfer berichten, aus alten Chorälen, dabei auch:

    Gib, daß ich tu mit Fleiß, was mir zu tun gebühret,

    Wozu mich Dein Befehl in meinem Stande führet

    Gib, daß ichs tue bald, zu der Zeit, da ichs soll,

    Und wenn ichs tu, so gib, daß es gerate wohl.

    Schlichte Verse. Ausdruck des frommen Glaubens, daß alles Geschehen in Gottes Ordnung eingebettet ist, Geburt und Tod, Krieg und Frieden, der Soldat ebenso wie alle anderen Stände.

    Vor dem König, weiter im Osten, haben sich die Österreicher verschanzt. Ihre etwa acht Kilometer breite Stellung sperrt die nach Breslau führende Straße, auf der die Preußen heranziehen. Die Dörfer sind befestigt, und zwischen ihnen liegen Schanzen für die Infanterie und für die Geschütze. Dahinter, nicht zu erkennen, aber sicher anzunehmen, stehen die aus schnellen Truppen, vor allem aus Kavallerie und berittener Artillerie gebildeten Reserven. Die Feindtruppen sind wenigstens um das Doppelte überlegen, zudem wird ihre Kraft durch die Feldbefestigungen gestärkt. Es sind kampferprobte Truppen, ausgeruht und durch die vorangegangenen Siege zuversichtlich. Meist sind es Österreicher, dazu einige Sachsen sowie Reichstruppen, bei letzteren ein württembergisches Kontingent, in dem auch der „Fähndrich und Chirurgus" Johann Kaspar Schiller, der Vater des Dichters, dient.

    Nun ist die Zeit gekommen, zu der ein heutiger Betrachter innehalten, sich in die Lage des Königs versetzen und sich fragen sollte, welchen Entschluß er wohl gefaßt hätte. Angriff war eigentlich unmöglich, das braucht keine Begründung. Aber der Schlacht auszuweichen, war ebenfalls unmöglich. Es würde einer schweren Niederlage gleichkommen. Die Österreicher würden dann weiterhin den Zugang zu den reichen Hilfsquellen Innerschlesiens versperren und würden sich bald mit dem russischen Heer zu einer gewaltigen Übermacht vereinen können. Friedrich muß zudem seinen Entschluß rasch fassen, und der Entschluß muß rasch in Befehle und Maßnahmen umgesetzt werden; das heranrückende Heer zwingt zur Eile, und der kurze Wintertag wird bald verdämmern.

    Friedrich läßt sein Heer weiter auf die Mitte der österreichischen Stellung zumarschieren. Aber wenige Kilometer, bevor die Vorhut in den Feind einbrechen würde, biegt sie rechtwinklig nach Süden ab. Bald marschieren die Preußen parallel zur österreichischen Front, nur hin und wieder durch Gehölze und Bodenwellen der Sicht entzogen. Prinz Karl von Lothringen, der Bruder des Kaisers und Heerführer der Österreicher, wird unsicher. Ziehen die Preußen ab? Verweigern sie die Schlacht? Oder ist das, was er sieht, nur eine Täuschung?

    Da kommt von seinem rechten Flügel Meldung auf Meldung: Das Gros der Preußen ist, gedeckt durch Bodenwellen und Wäldchen, vor dem österreichischen rechten Flügel aufmarschiert und wird gleich angreifen! Prinz Karl zögert, seine Reserve so früh aus der Hand zu geben. Aber die Meldungen werden dringender. Da gibt der Prinz seinem Unterfeldherrn nach; er führt nicht, wie Friedrich, von vorn, und er überzeugt sich nicht selbst. So schickt er seine Reserve nach Norden, zu seinem nur scheinbar bedrohten rechten Flügel. Der Preußenkönig hat seinen ersten Erfolg errungen, noch bevor die Schlacht begonnen hat. Ein Scheinangriff seiner Kavallerie hat die österreichische Reserve an den falschen Flügel gelockt. Sie wird dem Prinzen Karl bald bitter fehlen.

    Mittlerweile zieht das preußische Heer vor der österreichischen Front nach Süden. Ein Augenblick größter Gefahr. Eben so waren gerade erst die Franzosen und die Reichsarmee bei Roßbach vor dem preußischen Heer vorübergezogen. Sie wähnten sich im sicheren Schutz ihrer doppelten Übermacht – bis die Preußen wie ein Sturm über sie herfielen. Nun wagt Friedrich das gleiche Manöver, sogar näher am Feind und mit unterlegenen Truppen. Doch bevor Prinz Karl die günstige Gelegenheit erkennt, ist sie schon wieder vergangen. Die Preußen sind an der österreichischen Front vorübergezogen und scheinen tatsächlich abziehen zu wollen – niemand weiß wohin.

    Aber als die Spitze der Preußen die österreichische linke Flanke passiert hat, schwenkt sie nach Osten ab. Schon nach kurzem weiteren Marsch zieht die Armee – wie durch Magie zu einem langen Heerwurm mit der Kavallerie vorn und hinten umgegliedert – am österreichischen linken Flügel entlang, als sie daran zur Hälfte vorbeimarschiert ist, bleibt sie stehen, macht linksum, schiebt ihre schwere Artillerie zum starken Feuerschutz auf den Kiefernberg und den Judenberg vor – und ist, ehe die Österreicher es sich versehen, bereit, sich auf die ungeschützte Flanke des Gegners zu stürzen.

    Man muß es in Erinnerung rufen: Der Anmarsch vollzog sich in parallelen Kolonnen, der erste Teil des Flankenmarsches mitsamt der Artillerie, den Gefechtstrossen, den Karren für die Verwundeten und den Munitionswagen wiederum querfeldein und in Kolonnen, und beim letzten Teil des Anmarsches war die preußische Armee als langer Heerwurm gegliedert. Richtungsänderungen erschwerten die Umgliederungen. Diese komplizierten Bewegungen waren nicht einmal vorgeplant und vorbesprochen. Also mußten sie durch Dutzende von Befehlen gelenkt werden, durch Befehle, die alle zeitgerecht vom König erlassen, weitergegeben, richtig verstanden und verständig ausgeführt wurden.

    Das Gelingen eines solchen Manövers, zudem dicht vor dem Feind und in unbekanntem Gelände, setzte eine sorgfältige Ausbildung, präzise Befehle, Mitdenken aller Beteiligten und eine Disziplin voraus, von der Friedrich schrieb, man könne auf seine Armee anwenden, was Vegetius, ein antiker Militärschriftsteller, von den römischen Legionen sagte: „Durch ihre Disziplin triumphierten sie über die List der Griechen, über die Kraft der Germanen, über den hohen Wuchs der Gallier und über alle Völker der Erde."²⁰ Nur so konnten die Preußen nach einem komplizierten Querfeldeinmarsch und einem plötzlichen Linksum am beabsichtigten Ort in Schlachtordnung stehen.

    Die Erstürmung des Kirchhofs von Leuthen durch das 3. Battaillon Garde (nach einem Gemälde von C. Röchling).

    Die Österreicher befinden sich nun in schwieriger Lage, ohne daß schon ein einziger Schuß gefallen ist. Hastig versucht Prinz Karl, beiderseits von Leuthen eine neue, nach Süden gerichtete Verteidigung aufzubauen. Aber die Österreicher sind zu langsam. Kurz vor ein Uhr reitet General Fürst Moritz von Anhalt mit der Uhr in der Hand zum König: Die Armee ist aufmarschiert, die Artillerie feuerbereit. Nur noch vier Stunden Tageslicht. Friedrich befiehlt den Angriff.

    Im Schwerpunkt und der Armee etwas voraus greifen die Pommern und Lausitzer des Infanterieregiments v. Meyerinck (Nr. 26) an; die Uniformlitzen dieses Regiments zieren noch heute die Kragenspiegel der deutschen Generalsuniform. Von diesem Truppenteil hat der Fürst von Anhalt dem König gesagt: „Ihro Majestät können dem Regiment ihre Krone und Zepter anvertrauen, wann die vor dem Feinde lauffen, so mag ich dortten auch nicht bleiben."²¹ Im Regiment dient ein junger Fahnenjunker, Ernst v. Barsewisch. Er trägt die Fahne eines der Bataillone. Das Bataillon richtet sich nach seiner Fahne aus, und da das Regiment vor der ganzen Armee angreift, wird sich die preußische Schlachtordnung nach den Fahnen dieses Regiments richten. Deshalb ist während des Artillerieaufmarsches der König zu Barsewisch geritten: „Nachhero waren Se. Majestät so gnädig und kamen zu mir und dem von Unruh als vormarschierenden Frei-Corporals mit der Fahne und sagten: ‚Junker von der Leib-Compagnie, sieht Er wohl, auf den Verhack soll er zu marschieren. Er muß aber nicht zu stark avancieren (vorgehen), damit die Armee folgen kann.‘ Dann wandte sich der König an die Soldaten des Bataillons: ‚Burschen, seht Ihr dorten wohl die Weißröcke? Die sollt Ihr aus der Schanze wegjagen! Ihr müßt nur stark auf die anmarschieren und sie mit dem Bayonnet daraus vertreiben. Ich will Euch alsdann … mit der ganzen Armee unterstützen.‘"

    Beim Kampf um Leuthen wird dem Fahnenjunker durch den Hals und ins Bein geschossen, aber er wird die schweren Verwundungen überleben und wird in seinem Tagebuch vermerken: „Man kann sich nichts Vortrefflicheres und Regulaireres in der Welt vorstellen als den Anblick von dieser kleinen Anhöhe, voran die gantze Kaiserliche Armee, über deren Menge das forschende Auge ermüdet, und hinter uns, die Fronte gegen den Feind, die gantze Preußische Armee, in besagter Schlacht-Ordnung. Unsere Armee avancirte mit klingendem Spiel en Parade. Die Ordnung war ebenso vortrefflich als bey irgend einer Revue (Besichtigung) in Berlin, die Armee bewegte sich unter den Augen ihres großen Monarchen … Sobald als Marsch commandiret ward, avancirte ich gerade auf den Verhack zu. Es war eben halb 1 Uhr."²² Es ist bemerkenswert, daß mehr als die Hälfte der hier einem schweren Sieg entgegenstürmenden Truppen noch vor wenigen Tagen entmutigt aus Schlesien zurückgeströmt war. Diese Truppen sind nun imstande, sich nicht nur im Schutz einer festen Stellung zu verteidigen, sondern sogar einen überlegenen Feind anzugreifen. Das wäre ohne eine vorzügliche innere Führung nicht möglich. Der Fahnenjunker von Barsewisch bestätigt das zwischen den Zeilen seines Berichts: „Der Feind stand ganz ruhig und störte uns in unserer militairischen Ordnung nicht ehender, bis wir etwan 200 Schritt von ihm entfernt waren. Hier bey ist noch zu bemerken, daß Seine Majestät uns während dem avanciren einige Mahl einen Adjutanten schickten, wir sollten nicht so stark, sondern gantz langsam avanciren. Unsere Soldaten hätten aber lieber den Feind im vollen Laufe sogleich angegriffen, sodaß dahero der Obrist Lieutenant von Bock und die übrigen Commandeurs derer Bataillons genug zu thun hatten, die Trouppen von dem allzu starken avanciren zurück zu halten, welches Theils mit Güte und Theils mit Gewalt geschehen mußte."

    Über die Mannschaften seines Regiments schreibt der Fahnenjunker: „Hierbey will ich noch anführen, daß unser Regiment mehrentheils aus Wenden aus der Nieder-Lausitz besteht … einer vorzüglich braven (tapferen) Nation, so ihrem König und dahero ihren Officirs ganz besonders zum Gehorsam ergeben, und welches sich bey keiner kriegerischen Begebenheit, so wenig in denen ersten Schlesischen Kriegen als in dem gefährlichen 7jährigen zaghaft bezeiget haben."

    Preußen und Österreicher kämpfen nach den Grundsätzen der Lineartaktik. Die kleinste Einheit ist der Zug, das Peloton, meist von einigen 25 Mann und Unteroffizieren. Ins Gefecht zieht der Zug etwa acht oder neun Mann breit, und hinter jedem dieser Soldaten marschieren zwei weitere. Daneben marschieren weitere Züge, dann Kompanien, bis das Bataillon aufmarschiert ist: drei Mann oder, wie man sagt, drei „Glieder tief und Hunderte breit, die höheren Offiziere vor der Front – am nächsten dem Feind und oft auch dem Tod. Zwischen den Bataillonen werden kleine Geschütze zur unmittelbaren Feuerunterstützung mitgezogen. So marschiert Bataillon neben Bataillon, Regiment neben Regiment, bis das erste „Treffen der Armee drei Mann tief und viele Tausende breit „deployiert", aufmarschiert ist.

    Manchmal, vielleicht beim Angriff auf eine Artilleriestellung, sind die Verluste so hoch, daß ganze Kompanien oder sogar Bataillone aus der Front gezogen werden müssen. Dann würde sich eine gefährliche Lücke öffnen und die feindliche Kavallerie zum Durchbruch geradezu einladen. Deshalb folgt dem ersten Treffen meist noch ein zweites, schwächeres, das Lücken im ersten Treffen schließen soll, und manchmal folgt sogar ein drittes. Das hinterste Treffen ist zugleich die Reserve des Heerführers; meist sind es besonders gute Truppen, bei Napoleon immer die Garde.

    Die langen, dünnen Infanterielinien sind sehr empfindlich gegen Flankenangriffe, und noch gefährlicher wäre ein Kavallerieangriff in den Rükken. Zudem braucht die eigene Kavallerie Raum. Also reitet die Kavallerie an den beiden Flügeln der Armee, die Flanken schützend und bereit zum Kavallerieangriff, zur „Attacke".

    Bei Leuthen greift die preußische Armee in zwei Treffen an. Das zweite ist wesentlich schwächer; da Friedrichs Truppen weit unterlegen sind, muß der König möglichst viel von seiner Kampfkraft sofort an den Feind bringen. Am linken Flügel reiten Kavallerieregimenter unter General v. Driesen, am besonders gefährdeten rechten Flügel greift eine aus Infanterie und Kavallerie gemischte Kampfgruppe unter General v. Zieten an. Die Artillerie hat Friedrich auf einige beherrschende Höhen vorgeschoben.

    Man kann Barsewisch glauben, daß das Heer auf den schneebedeckten Feldern ein „vortreffliches" Bild abgab. Tarnung gibt es noch nicht. Vielleicht auch, weil das Zeitalter das Gepränge liebt und Wert sowie Würde auch äußerlich zeigen will. Aber wohl vor allem, weil Tarnung nutzlos ist. Sogar die gewaltigen 24-Pfünder-Geschütze (Kaliber 15 cm) haben beim Kartätschenschuß (Verschuß von Eisensplittern) kaum mehr als tausend Schritt Reichweite. Die Gewehre kann man erst ab etwa 100 Metern einsetzen; die Kugel fliegt zwar weiter, aber man trifft nichts mehr.²³

    Bei solch geringen Kampfentfernungen kann Tarnung kaum Vorteile bringen. Es tritt hinzu, daß die Infanterie ohnehin stehend kämpfen muß; die Musketen und Büchsen, Vorderlader, kann man liegend oder kniend nicht laden. Auch ist das rauchschwache Pulver noch nicht erfunden. Folglich ist bald nach Gefechtsbeginn alles in weißen Pulverdampf gehüllt, so daß schon die Unterfeldherrn kaum sehen können, wo ihre Truppen sich befinden. Da erleichtern die auffallenden Uniformen dem Feldherrn die Führung.

    Als die Preußen an Leuthen heranstürmen, flammt der Kampf auf und wird bald erbittert. Das Dorf ist befestigt; besonders der Friedhof trotzt mit seiner starken, nun von Schießscharten durchbrochenen Mauer den Angreifern entgegen. Der König läßt deshalb hier die Garde angreifen. Aber sogar sie stockt; der Kommandeur zaudert. Da schiebt der junge Hauptmann v. Möllendorff, der spätere Generalfeldmarschall, den Vorgesetzten zur Seite, reißt die Führung an sich und stürmt als erster. Bald darauf ist das Dorf in preußischer Hand und wird gegen alle Gegenangriffe der Österreicher gehalten.

    Um das Schlachtenglück zu wenden, werfen die Österreicher mehr und mehr Truppen ihres ursprünglichen rechten Flügels und ihres Zentrums in den Kampf um Leuthen. Aber unter den dichtgedrängten, schlecht geordneten und deshalb kaum zur taktischen Bewegung fähigen Massen wüten die preußischen Batterien, die Schritt für Schritt der Infanterie folgen und deren Kampf mit ihrem Feuer unterstützen.

    Der österreichische General Graf Lucchesi rafft siebzig Schwadronen zusammen; er will die preußische Infanterie von deren linkem Flügel her niederreiten. Aber wiederum genügen Ausbildung und Führungskunst nicht, den Plan zu verwirklichen. Der Angriff entwickelt sich zu langsam, und die Aufklärung versagt, übersieht die Kavallerie des preußischen linken Flügels. Noch bevor die Österreicher Raum gewinnen, fallen ihnen die 35 Schwadronen des Generals v. Driesen in die Flanke.

    Der Kampf der Kavallerie ist weniger hart und blutig als der Kampf der Infanterie. Zwar gilt die Kavallerie in allen Heeren als die vornehmste Waffengattung; die Vorstellung, das Ritterliche und das Reiterliche seien eng verbunden, wird bis zum Ende der Kavallerie lebendig bleiben. Aber die Kampfform der Kavallerie ist die Attacke – und die verläuft oft unblutig. Da reiten Hunderte, oft Tausende Bügel an Bügel, vielleicht sogar Knie an Knie, anfangs im Trab, aber schließlich muß doch jeder die Zügel schießen lassen. „In diesem Getümmel, Brausen und Toben, wenn viele 100 Pferde in einem dichten Klumpen vorwärts jagen, bleibt auch der beste Reiter nicht Herr seines Pferdes – sie gehen alle durch. Behielte aber auch einer oder der andere das seinige in der Gewalt, so ist dennoch an Aufhalten nicht zu denken, denn er würde augenblicklich von den hinter ihm Durchgehenden überritten", wie General v. d. Marwitz aufgrund eigener Erfahrung berichtet.²⁴

    Natürlich kommt es auch zum Einzelkampf Reiter gegen Reiter. Aber das ist selten, und man sucht den Einzelkampf zu vermeiden. „Offiziere sind im Nahkampf nicht wertvoller als einzelne Reiter, und Ordnung sowie Zusammenhang gehen verloren", urteilt Friedrich. Bei der Kavallerie soll, ebenso wie bei der Infanterie, nicht der einzelne, sondern die Wucht des Ganzen wirken.

    Wenn allerdings eine Attacke in einen Hohlweg hineinreitet, so können Hunderte den Hals brechen, und noch schlimmer könnte es kommen, wenn zwei Attacken aufeinanderprallen. Aber das geschieht, wenn überhaupt, nur sehr selten. Eine der beiden Seiten hat stets die schwächeren Nerven und weicht dem Zusammenprall aus. Eben deshalb droht Friedrich Kavalleriekommandeuren, die sich attackieren lassen, die „infame Cassation, Entlassung mit Schimpf und Schande an. Er läßt die Schwadronen in schnellem Galopp attackieren, „weil dann die Furcht die Feigen mitreißt – sie wissen, daß das geringste Zögern sie unweigerlich unter die Hufe der nachfolgenden Teile der Schwadron bringt. Meine Absicht ist hierbei auch, den Gegner zum Weichen zu bringen, bevor es zum Handgemenge kommt.²⁵

    Jahrzehnte nach Leuthen schreibt der französische Graf Mirabeau, gestützt auf einen langen Aufenthalt in Berlin sowie auf die Mitteilungen des Hauptmanns v. Mauvillon, der das preußische Heer jahrzehntelang aus nächster Nähe beobachtet hatte: „Erfahrene und intelligente Kavallerieoffiziere haben uns erzählt, daß von zwei einander attackierenden Kavallerieverbänden meist einer die Flucht ergreift, bevor es zum Zusammenprall kommt. Ähnlich urteilt ein russischer General: „Der moralische Eindruck des einen der Gegner wirft immer den anderen ein bißchen früher … Vor dem ersten Säbelhieb ist die eine Partei schon geschlagen und wendet sich zur Flucht … In der Praxis verliert der Sieger kaum einen Mann.²⁶

    Friedrich der Große führt seine Garden über das Schlachtfeld von Leuthen zur Verfolgung des Feindes vor (nach einem Gemälde von C. Mattschatz).

    Auch bei Leuthen führt die preußische Attacke nicht zu einem Handgemenge der Kavallerie. Die österreichischen Reiter, in der Flanke gefaßt, werden auf ihre Infanterie geworfen und das trägt, wie bei vielen Schlachten vorher und nachher, wesentlich zur Entscheidung bei. Auch die österreichische Infanterie verliert nun den Mut und wendet sich zur Flucht. Damit besiegelt sie freilich ihr eigenes Schicksal; nun kann die preußische Kavallerie in sie einbrechen und über die aufgelösten Scharen herfallen.

    Mit Recht kann Friedrich in seinem Schlachtbericht sagen, eine einzige zusätzliche Stunde hätte genügt, die österreichische Niederlage zur Vernichtung zu steigern. Doch diese Stunde fehlt; die frühe Abenddämmerung des Winters deckt die Flucht des geschlagenen Heeres.

    Der König will wenigstens die Brücke bei Lissa im Rücken der Österreicher sperren. In Eile rafft er selbst eine Gruppe Soldaten zusammen und verfolgt den Feind in die dunkelnde Nacht hinein. Auf schmaler Straße eilt der Trupp vorwärts, geführt von einem ortskundigen Gastwirt. Ab und an fallen Schüsse aus dem Dunkel, doch die österreichischen Sicherungen werden rasch zersprengt. Als der Widerstand heftiger wird, sendet Friedrich einen Offizier zurück, Verstärkung zu holen. Der König reitet weiter. Lissa ist noch feindbesetzt. Ein kurzes Gefecht flammt auf, Artillerie greift ein, dann sind die Österreicher auch hier geworfen.

    Friedrich reitet zum Schloß. Schon im Schloßhof kommen ihm österreichische Offiziere entgegen, begleitet von Adjutanten, Meldern sowie Dienern und aufgestört durch die nächtliche Schießerei. Der König, mittlerweile fast ohne Begleitung, fragt gelassen, ob er hier noch Quartier finden könne. Verblüfft, verwirrt leuchtet man ihm hinauf in den ersten Stock, man stellt sich vor, man tauscht Höflichkeiten aus, man plaudert – während sich der Schloßhof mit preußischen Truppen füllt.

    Als sich herumsprach, daß der König in Gefahr sei, sind manche Truppenteile noch einmal aufgebrochen, ihren König zu schützen. Hauptmann v. Retzow: „Dieser Marsch geschah mit einer Stille, die nur das Bewußtseyn, diesen großen blutigen Tag überlebt zu haben, dem Nachdenken einflößen konnte; plötzlich unterbrach aber solche ein Grenadier, indem er das bekannte Lied ‚Nun danket alle Gott‘ anstimmte. Wie aus einem tiefen Schlaf erwacht, fühlte sich jeder zum Dank gegen die Vorsicht (Vorsehung) für seine Erhaltung hingerissen, und mehr als 25.000 Menschen sangen diesen Choral einstimmig bis zum Ende. Die Dunkelheit der Nacht, die Stimme derselben um das Grausende eines Schlachtfeldes, wo man bei fast jedem Schritt auf eine Leiche stieß, gaben dieser Handlung eine Feierlichkeit, die sich besser empfinden ließ, als sie beschrieben werden kann."²⁷

    „Nun danket alle Gott!": Der Choral nach der Schlacht von Leuthen (nach einem Freskogemälde von A. Kampf).

    In Wien löst die Nachricht von Leuthen, so unvermutet nach den Siegen von Schweidnitz und Breslau, tiefe Bestürzung aus. Graf Khevenhüller notiert: „Die Kaiserin depeschierte damit nach Möglichkeit, um ihre wegen denen von der Armee erwartenden ferneren höchst wichtigen Nachrichten innerlich verspürenden Unruhe vor der Welt zu verbergen; und weilen ihr das Herz nichts Gutes vorsagen wollen, ließe sie vorläufig auf der nächsten Poststation anbefehlen, die von der Armee einlaufende Journaliére-Estafette (tägliche Lagemeldung) anheut nicht mehr weiteres nach Wien laufen zu lassen, damit nicht etwann, wie es mit den Berichten der Trautenauer und Loboschützer Affäre (Gefecht) geschehen, dergleichen betrübte Zeitung (Nachricht) an des Kaisers Galatag bekannt würde; wie dann auch in der Tat den 9. gegen 11 Uhr der Kurier mit der ersten Nachricht der unglücklichen Bataille unweit Lissa eingetroffen ist, worauf das heutige Diner abgesaget worden und beide Majestäten den ganzen Tag über retirieret (zurückgezogen) geblieben. Die Kaiserin tate nichts als weinen und ware fast nicht

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