Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Alte Krug: Warum wir uns in der Lobbykratie verlieren
Der Alte Krug: Warum wir uns in der Lobbykratie verlieren
Der Alte Krug: Warum wir uns in der Lobbykratie verlieren
eBook231 Seiten3 Stunden

Der Alte Krug: Warum wir uns in der Lobbykratie verlieren

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Joschi ist tot. Und was geschieht mit ihrem legendären Alten Krug? Joschis Testament hat verwirrende Folgen, nicht nur für die bis dato ahnungslosen Erben, für Tommy, den abgebrochenen Studenten und erfolglosen Rockmusiker, für Döhlke, den zitatenschwangeren Studienrat und für Giesbert, den Computerfreak mit Schweißfüßen. Von allen Seiten werden den Erben Hindernisse in den Weg gelegt. Was steckt dahinter? Wer steckt dahinter? Was wusste Joschi von wem? Haben die drei eine Chance? – Dedektivischer Spürsinn und glückliche Zufälle sind nötig, um das Labyrinth aus Filz und dessen Geheimnis zu durchdringen – bis zum erleuchteten Schluss.
Irgendwo zwischen Philip Marlowe und Henscheids "Vollidioten" beansprucht Christian Kuhnkes Roman literarische Heimat. Der Leser wird zu einer so spannenden wie vergnüglichen Schnitzeljagd eingeladen und unterwegs wird er sich nicht nur immer wieder fragen, ob er diesen Herren oder jene Dame nicht vielleicht doch persönlich kennt, er wird am Ende manche wertvolle Einsicht davontragen – über die Uneigennützigkeit und Unbestechlichkeit unserer politischen Vertreter, die Durchsichtigkeit von öffentlichen Entscheidungen, die hehren Motive eines Unternehmers, die Notwendigkeit von Stammlokalen, das Arbeitsethos von Anwälten, das Ausführen von Hunden, den Umgang mit Jungunternehmerinnen und vieles andere mehr.
Lachen Sie über Christian Kuhnkes enormen Sprachwitz und leiden Sie mit den Akteuren an dem täglichen Aberwitz der Zerstörung von Lebenszusammenhängen zum Wohle der Steigerung des Bruttosozialproduktes zugunsten einer politikbeherrschenden Lobbykratie in einer Amigogesellschaft. Ein Kriminalfall der besonderen Art.
Dr. Peter Schütze
Autor, Regisseur, Schauspieler, Vortragskünstler
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Nov. 2018
ISBN9783742716378
Der Alte Krug: Warum wir uns in der Lobbykratie verlieren

Ähnlich wie Der Alte Krug

Ähnliche E-Books

Noir für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Der Alte Krug

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Alte Krug - Christian Kuhnke

    Der Aufreißer

    Christian Kuhnke

    DER ALTE KRUG

    oder

    Warum wir uns in der Lobbykratie verlieren

    Roman

    Alle Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder tatsächlichen Geschehnissen wären rein zufällig und sind vom Autor auf keinen Fall beabsichtigt. Alle Rechte beim Autor.

    PERSONEN

    Tommy Krümel: Ich-Erzähler, abgebrochener Student und ehemaliger Taxizentralentelefondienstler, dazu zunächst erfolgloser Rockmusiker

    Heinz Döhlke: Oberstudienrat und Zitatenhai, versteht etwas von Dramen

    Giesbert Romanowski: Computerhacker und Webdesigner, der auf die passende Gelegenheit wartet

    Joschi: Die verblichene Wirtin des Alten Kruges Anna Magdalena Josephine Beuteler trieb die Gäste systematisch in den Alkohol und hinterließ ein schweres Erbe.

    Siegel: Joschis Hund, der seinen Namen nicht von ungefähr bekam

    Heinrich Müller: Bürgermeister, geliebt auf Schützenfesten, misstrauisch beäugt im Alten Krug

    Friedrich Hohl: Partei- und Fraktionsvorsitzender, glaubt immer alles in der Hand zu haben

    Oskar von Schmollenberg: Notar und Rechtsanwalt, ist irgendwie immer im Geschäft

    Theodor Klarmann: Molkereibesitzer, redet nicht viel, hat aber eine beredte Vergangenheit

    Michaela Klarmann: mehr als nur die blonde Tochter von Theodor Klarmann

    Lola: Leiterin eines Altenheimes, eigentlich Liselotte Braunschweiger, liebt Teddybären und kann kochen

    Oskar Breiheim und Frau Mona: Wohnen in dem Altenheim. Er Hobbyschauspieler und Schnapsnase, sie relativ uninteressant

    Jonny Buchart: ewiger Psychologiestudent, der kurz davor war, seine Diplomarbeit anzugehen

    Samuel Trunkheim: übergewichtiger Arzt, der selbst Oberstudienrat Döhlke einen Gelben Schein ausstellt

    Arnold Brandes: Fahrlehrer und Hinterbänkler, der irgendwann seinen politischen Frust im Alten Krug loswerden muss

    Schimmelpfennig: Mann mit Mantel und gewissen Interessen

    Wilhelm von Schliepstein: alternder Forstsekretär und Doppelkopfspieler, der über den Tod von Franz Josef Strauß nicht hinwegkommt

    Kommissar Gundermann: unbeugsamer Profi, der von Vermutungen nichts hält

    Litschkowski: braungebrannter Lokalredakteur der Tagespost, der sich in sein Handwerk pfuschen lässt

    Benno Hohl: Rechtsanwalt, spezialisiert auf Lärmbelästigung durch Rasenmäher und Sohn des Fraktionsvorsitzenden

    Die einzige Möglichkeit, seiner natürlichen Freiheit zu entraten und die Fesseln der bürgerlichen Gesellschaft anzulegen, besteht darin, dass er zusammen mit anderen Menschen sich freiwillig einem Gemeinwesen anschließt und eingliedert, damit alle behaglich, ruhig und friedlich miteinander leben, sich sorglos ihres Eigentums erfreuen und sich besser gegen jene schützen können, die ihrer Gemeinschaft nicht zugehören.

    Locke, Bürgerliche Gesellschaft und Staatsgewalt

    Ich habe diesen Roman geschrieben damit wir uns unterhalten können. Ich beim Schreiben, Sie hoffentlich beim Lesen. Hierzu müssen wir allerdings erst einmal durch eine größere Bierlache gehen, die im Alten Krug nach einem Begräbnis auf dem Fußboden schwimmt. Doch dann scheint irgendwann das helle Licht am Ende des Ganges.

    Die Roman 'Alter Krug' handelt vom und im gewöhnlichen Alltag. In diesem kleinstädtischen Alltagswahnsinn werden wir gemeinsam dem heute immer seltener anzutreffenden Gleichgewicht von Klarheit und Verneblung – manche Kritiker sprechen vielleicht vereinfacht auch von Cappuccino und Bier - auf der Spur sein. Hinter der Fassade der Trunkenbolde im Alten Krug werden wir schon bald verbissene Anstrengungen um eine klare Linie erkennen, eingebettet in die Wechselspiele von Ruhe und Verwirrung, Entspannung und Verdruss, Beharrung und Weiterentwicklung. Momente und Vermutungen werden uns kriminalistisch eine ziemliche Strecke begleiten, bis wir den Weg in die klare Einfachheit des Neuen dank der Möglichkeiten und Ideen Anderer gefunden haben.

    Auf diesem Weg in der Zeit von gut vierzehn Tagen werden wir vornehmlich von drei Personen begleitet. Es ist dies einmal Tommy Krümel, ein Student ohne Abschluss, der mit über dreißig Jahren immer noch von einer Karriere als Rockmusiker träumt. Dann haben wir den frischgebackenen Oberstudienrat Heinz Döhlke, dessen analytischer Geist uns einige überraschende Entdeckungen bescheren wird und schließlich Giesbert Romanowski, Computerfachmann und Webdesigner, der auf seine Gelegenheit wartet und sie schließlich auch bekommt. Aber nicht nur er. Bis dahin ist es allerdings ein verzwickter Weg.

    Oder was würden Sie denn sagen, wenn Sie plötzlich aus ihrem wohlsortierten Alltagsleben herausgerissen würden? Dem morgendlichen Weckerklingeln, der ergebnislosen Suche nach den Puschen, dem ersten trüben Kaffee und der ekligen Zahnpasta. Schlimmer noch wenn sie auf ihrem Smartphone die neusten Meldungen über den Weltuntergang, die wenig erfreuende Entwicklung ihrer Aktienwerte oder schlimmer noch ihrer Zinsen auf dem Tagesgeldkonto oder den Stand ihres Girokontos abrufen? Und dann noch ihr Partner schon seit drei Tagen unterwegs ist um Brötchen zu holen? Wenn nach einem erwarteten, aber dennoch plötzlichen Tod der alte und ungeliebte Beruf während des Grabbesäufnisses auf dem Müll der Individualgeschichte landet und man in ein zunächst verwirrendes und undurchschaubares Machtgezerre hineingerissen wird? Vermutlich Einbruch, Erpressung, ominöse Liebeswallungen und Ehebruch, typische Politiker und Verwaltungsbeamte oder zumindest so was Ähnliches in`s Spiel kommen? Und das in unserer beschaulichen deutschen Provinz und nicht nur in vergleichbaren Bananenrepubliken? Alles schon erlebt? Gut, dann sind Sie in der Realität angekommen. Ich auch.

    Somit können wir ja gemeinsam in den ersten Plot zischen. Denn dieses Begräbnis war ja nun wirklich reineweg zum Heulen.

    ERSTER TAG

    Trunken müssen wir alle sein! Jugend ist Trunkenheit ohne Wein; Trinkt sich das Alter wieder zu Jugend, so ist es wundervolle Tugend.

    Goethe,Westöstlicher Divan

    Das bierselige Begräbnis von Joschi. Ein nicht vermutetes Testament sorgt für Aufsehen

    Alle Kampftrinker, wehmütige Versicherungsagenten, leidenschaftslose Lastwagenfahrer, verhärmte Ehemänner, der Bürgermeister Müller mit seinem Fraktionsvorsitzenden Hohl und die leichte Lola standen ganz benommen vor dem klaffenden Erdloch. Der Pastor mit seiner rosigen Nase stammelte pathetisch vom ewigen Leben und den reichlichen Verfehlungen der Toten im hiesigen – nur weil sie einige Jahre lang mit einer anderen kultischen Gottesanbetung geliebäugelt hatte. Dieser Infame! Es war wirklich reineweg zum Heulen. Ich wusste allerdings nicht genau warum.

    Mit dem Tod der Wirtin Anna Magdalena Josephine Beuteler – kurz Josephine oder für engste Stammgäste „unsere Joschi - war für uns alle eine Ära endgültig zu Ende gegangen. Schließlich hatte sie mit ihrem Bier, ihren Schnäpsen, fettigen Frikadellen und ihren ausschweifenden Erzählungen im Alten Krug bei allen Gästen beträchtliche Löcher in den Geldbeutel gerissen und uns pompöse Erheiterung, aber auch etliche Blackouts beschert – von persönlichen Zerwürfnissen, Verbrüderungen und Eheanbahnungen gar nicht zu reden. Für uns ging das Leben aber doch noch ein Stück weiter – wie für Joschis Mischlingsköter Siegel. Während die Glöcklein der nahen Seelenabschussrampe genüsslich bimmelten, spürte ich auf meiner rechten Wange eine eiskalte Krokodilsträne. Unglaublich. Das komische Gefühl in der Magengrube wurde noch durch Yankos Requiem verstärkt, die er kurzfristig für diesen Abschied fertig gestellt hatte und die nun von CD abgespielt wurde. Yanco war kein Stammgast des Alten Kruges, aber ein begnadeter Musiker. Man musste ihn nur anrufen uns sagen: „Junge, hau rein. Wir brauchen für das Begräbnis von Joschi noch eine passende Musik – schon saß er an seinen Computern und werkelte los. Meine Stimmung hatte er mit seinem Requiem für Joschi umfassend getroffen.

    Als danach aber noch der Frauengesangsverein unseres Ortes langmähnig und kurzröckig ein Lied irgendwo zwischen F und Fis anstimmte, benetzte sich auch meine zweite Kopfbacke mit einem salzwässerigen Tropfen. Herrje, was würde der Umtrunk mit begleitendem Schmaus gleich für aussichtslose Perspektiven erbringen! Ich trocknete meine Tränen und richtete meinen Blick entschlossen über die Friedhofsmauer in Richtung des Alten Kruges, der schwarze, silber melierte Schnauzermischling Siegel folgte meinen Augen nicht weniger entschlossen. Schließlich hatten wir die Schlüsselgewalt. Ha! Irgendwie würde ich wenigstens für einen Abend Joschi auferstehen lassen und einen persönlichen Schlusspunkt setzen können.

    Wenn die Damen vom Chor noch etwas zum Besten geben sollten, würde ich sie in ihren Übungskeller neben der Kegelbahn verbannen. Der Pastor wird gleich abgefüllt und der Fraktionschef mitsamt seiner Pappnase an den Tisch neben dem Klo verbannt. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht für einen Abend das Erbe von Joschi würdig übernehmen könnte. Doch wohin dann am Sonntag zum Frühschoppen? Etwa in die „Ilse oder den „Wilden Eber. Unvorstellbar. Die Zukunft musste neu sortiert werden.

    Die Zeremonie hätte gut und gerne noch Stunden weitergehen können. Glücklicherweise war es jetzt ausgestanden. Irgendwie ist Joschi auch ein Ekel gewesen. Diese sinnlosen Intrigen, dieses aufreizende Schmatzen bei der letzten kalten Frikadelle am Abend und diese ewigen ominösen Verweise auf die totale Erfahrung des Alters und die dunklen Andeutungen über ihre Wirtschaft und die Notwendigkeit des Gleichgewichtes. Endlich war dies alles ausgestanden. Bei dem Gedanken an den Senf im Alten Krug überfuhr mich eine Gänsehaut. Würde ich ihn missen können? Woher hatte Joschi ihn bezogen? Momentan unwichtig. Siegel wurde vorahnungsvoll unruhig.

    Aufbruch. Das betretene Schweigen löste sich allmählich in leichtes Raunen auf, Lola hörte man schon am Friedhofstor kichern. Dies war unserer Joschi bestimmt recht. Stolz und Steil hielt ich den Schlüssel zum Alten Krug in meiner Rechten. Irgendwie bin ich der rechtmäßige Erbe, nicht die Stadt mit ihrem Vorkaufsrecht. Ruhe! Was soll dieser Quatsch. Hier wird jetzt etwas absolut zu Ende gebracht. Ich bin nur der Vollzugsbeamte. Basta.

    Demütig verbeugte sich der Pastor, als ich ihn mit einem höflichen, dennoch leicht angetäuschten ironischen Schlenker durch die Tür des Alten Kruges bat. Immer auf Seelenfang. Der Fraktionsvorsitzende und der Bürgermeister reichten mir unmotiviert, aber überzeugend fotoreif beim Eintreten die Hand. Immer auf Stimmenfang. Endlich bin ich wer. Zumindest heute – selbst für unseren galligen Besitzer der Molkerei. „Ausnutzen!," schoss es mir durch den Kopf. Besonders bei dem adretten Töchterlein.

    Geschwind und etwas unsicher drehte ich den Zapfhahn um und zapfe ein Probebier. Unsere Joschi ist tot, aber das Bier läuft wie eh und je. Das wird über den ersten bizarren Schmerz retten. Schon nach einigen Probeschnäpsen schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Wie konnte ich denn jetzt auch schon ahnen, dass mir und der ganzen Trauergemeinde noch eine große Rede des Bürgermeisters, des Fraktionsvorsitzenden und des Notars drohten und einigen Trunkenbolden ein zukunftsweisender Plan offeriert würde? Ein Angebot mit apokalyptischen Folgen.

    Noch einmal das Frühschoppenritual. Gierig saugte ich die altbekannte abgestandene Luft und den angemufften Flair ein. Vor mir am Tresen hatten sich die üblichen Spezialisten aufgebaut. Zu erwähnen sind insbesondere der Forstsekretär Wilhelm von Schliepstein, der ewige Psychologiestudent Jonny Buchart, der Großmolkereibesitzer Theodor Klarmann und natürlich die ausufernde Lola.

    Die Reihenfolge an der Bar war rituell festgelegt. Lola stand in ihren engen Jeans und den unzähligen Ringen an ihren Fingern immer am Ende des Tresens und hatte stets ein halbvolles Glas mit süßem Landwein vor sich. Sie mochte so um die dreißig sein und arbeitete irgend etwas mit Alten Menschen. Solch einer war ihr Nachbar Wilhelm von Schliepstein. Auch heute trug er seine grüne Forstjacke mit etlichen Ehrennadeln der hiesigen Feuerwehr und des Schützenvereins von 1642. Sie waren wie immer blitzblank geputzt. In seinen Hut hatte er sich aus dem feierlichen Anlass eine neue Feder gesteckt. Neben ihm stand die geballte Wirtschaftsmacht unseres Ortes, der ehrwürdige Molkereibesitzer Klarmann. Er hatte ein ähnliches Alter wie der Forstwirt, war aber nicht so aus dem Leim gegangen. Stets gut gebräunt, trug er einen grauen Anzug und sprach sehr wenig. Ganz im Gegensatz zu seinem Nachbarn auf dem Barhocker direkt neben dem Zapfhahn, Jonny Buchart. Der sabbelte in der Regel unermüdlich, wobei er jeden zweiten Tag weitschweifig das gerade aktuelle Thema seiner anvisierten Examensarbeit im Fach Psychologie den Tresennachbarn auseinanderlegte.

    „Es ist doch wirklich fast wie immer. Man könnte denken, dass unsere Joschi gerade in der Küche neue Frikadellen zubereitet," trällerte Lola gefasst frohgemut, um gleich darauf in gekonnter Manier das Pudergesicht in leidende Halbjungfalten zu legen.

    „Hätte sie mehr Milch getrunken statt diese ewigen Doppelkörnchen, würde sie bestimmt auch gleich aus der Küche kommen, rückte der Kleinmolkereibesitzer Klarmann aus seiner Standessicht die Verhältnisse gleich wieder ins rechte Licht und schaute dabei bedeutsam in die Runde, während der bärtige Wilhelm von Schliepstein schon seine Gehirnschubladen emsig nach der forstpolitischen Dimension dieses Todes durchstöberte. „Der alte Strauß ist an der Ehrfurcht der Ärzte gestorben, flüsterte der alternde Forstsekretär schließlich. „Als Franz-Josef dalag ist kein Quacksalber entschlossen hingesprungen und so erstickte er in seiner Größe an ordinärer Kotze. Er hätte doch noch so viel machen können, wie die Homo-Ehe verhindern und und ...."

    „Genau wie Jimmy Hendrix. Der Kerl spielte einfach zu gut Gitarre, kein Arzt hat sich an ihn rangetraut, es war aber auch gar keiner da, fiel Jonny Buchart wie gewöhnlich dem trauernden Tattergreis ins Wort und holte schon Luft, um noch einen freudschen Psychologieklassiker draufzusetzen. Entschlossen griff ich nach einem hastigen Schluck Bier ein. „Aber unsere Joschi war doch einfach alt. Da hätte der Doktor – dabei nickte ich bedeutsam in Richtung Stammtisch, wo unser Kurpfuscher gerade sein zweites Körnchen an die Wulstlippen führte – „auch nichts machen können. Ihre Uhr war einfach abgelaufen."

    Lola griente unmotiviert aber überzeugend, während der Molkereibesitzer expertenhaft seine abgekauten Fingernägel studierte.

    Hastig orderte unser Waldkenner Pils und Korn für den ganzen Tresen, um sich dann sogleich erneut an die frisch Gekauften zu wenden. „Das schon, aber sie hatte auch eine gewisse innere Größe. Nicht ganz so pompös wie Franz-Josef... - „Oder Jimmy Hendrix, ergänzte der werdende Psychologe trotzig. „Ja, aber diese innere Größe lässt die Ärzte nun einmal in Ehrfurcht erstarren und das – bedrohlich reckte er seinen Zeigefinger gegen die Thekenfunzel – „ist der Nachteil des Genies, beharrte der Altersstarrsinnige und forderte damit den Psychologenanwärter Buchart endgültig heraus.

    Na ja, das lief ja ganz wunschgemäß an. Beruhigt konnte ich den nun anstehenden Freudeneskapaden entfliehen und den Zapfhahn der inzwischen neben mir stehenden emsigen Michaela, der Tochter des Molkereibesitzers, überlassen. Keine schlechte Partie, dieser betörende Schmollmund. Ich müsste sie nur irgendwann irgendwo mal alleine stellen! Doch dazu später. Mich trieb es jetzt trotz der milchmolkeverlockenden Michaelanähe an den Stammtisch, wo die Stimmung nach der dritten oder vierten Runde schon ein erstes bedenkliches Hoch erreicht hatte. Es galt nichts Obszönes und Unwesentliches an diesem Gedenktag zu verpassen.

    Unser Medizinmann Samuel Trunkheim – nomen est omen – hatte schon erste rührige Schweißperlen auf seiner immensen brillenbestückten Nase, eine ideale Rutschbahn für das altertümliche Nasenfahrrad. Kaum sah er mich mit dem Tablett Bier nahen, unterbrach er seine Exegese über den natürlichen Tod der Wirtin Anna Magdalena Josephine Beuteler. „Wieso ist ein Vagabund und Possenreißer wie du hier der Schlüsselgewaltige?," polterte er mich unvermittelt an, während seine rechte Fettflosse einladend auf den einzigen freien Platz neben sich zeigte. Seine Augen fixierten dabei entschlossen das Tablett. Kein Körnchen fürs Wohlergehen signalisierten seine kurz zusammenzuckenden Augen.

    Die Frage hatte ich befürchtet und sehnlichst erhofft. „Franz. Franz heißt die Canaille. Schillers Räuber. Haha. Schlimm sind die Schlüssel, die nur schließen auf, nicht zu, prustete der frisch gebackene Oberstudienrat Heinz Döhlke in seinem cappuccinofarbigen Anzug, bevor ich antworten konnte, und lieferte die Quelle gleich nach: „Rückert, Weisheit der Brahmanen. Ich werde das mal nachprüfen, schwor ich mir. Wenn es stimmt, hat er seine Beförderung ja vielleicht sogar verdient.

    Übermäßig sorgsam und bedächtig verteilte ich die Biere. Da ich jetzt spontan die Zitate von Heinz Döhlke – gelernter Altphilologe - nicht nachprüfen konnte und Lehrern schon seit meiner Schulzeit misstraue, bekam er seine Trinkration zuletzt. Unser Doktor Trunkheim, der selbsternannte Kulturattaché und Zitatenhai Döhlke, der Hobbyschauspieler Breiheim und seine aufgedonnerte, aber wie auch er nicht speckfreie Gemahlin Mona und der blasse Computerhacker Giesbert Romanowski zogen an Zigaretten oder zerkauten Strohhalmen oder schlabberten aber einfach nackt an ihren Getränken und starrten mich neugierig irgendwie zwischen hinterhältig und unverhohlen an.

    In diesem Moment ging die Tür auf. Wie jeden Tag durchmaß Schimmelpfennig den Raum, ohne das Gesicht irgendwo hin zuwenden, noch jemanden zu grüßen. Eilig verschwand er im Mantel auf der Herrentoilette, durchquerte nach zwei Minuten im gleichen raumfassenden Schritt den Schankraum und verschwand wie er gekommen war.

    „Tja," begann ich langsam. „Äh, unsere Joschi hat mir vor zehn Tagen ihren Hausschlüssel gegeben, weil sie sich nicht mehr so gut auf den Füßen fühlte und ich mich bereit erklärt hatte, Siegel

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1