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Freundinnen: oder solche, die es nur manchmal sind
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Freundinnen: oder solche, die es nur manchmal sind
eBook256 Seiten3 Stunden

Freundinnen: oder solche, die es nur manchmal sind

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Über dieses E-Book

Zwei Frauen, geboren im Berlin der zwanziger Jahre, lernen sich 1965 als verheiratete Mütter im Westen der Stadt kennen und begleiten sich seither. Zwei unterschiedliche, daneben auch recht ähnliche Frauen gehen parallel durch das jeweils eigene Leben, das bei beiden sowohl bieder als auch aufregend sein kann. Zwei fleißige und rechtschaffene, das Leben begehrende Frauen, deren Leben ohne Männer nicht denkbar zu sein scheint. Sie gehen oft nicht sehr freundlich miteinander um, obwohl beide Ähnliches vom Leben erträumen. Sie ziehen einander an und stoßen sich wieder ab, aber sie bleiben beieinander. Trotz großer Zuneigung füreinander schwelt im Hintergrund stets mehr Neid und Missgunst, als sie tatsächlich sagen. Die eine still, die andere laut manchmal ist es unerwartet umgekehrt. Nach dem Tod der einen, lebt die andere deren Leben in erstaunlich ähnlicher Form weiter.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Mai 2022
ISBN9783347564763
Freundinnen: oder solche, die es nur manchmal sind
Autor

Jutta Kindler

JUTTA KINDLER ist 1952 in Berlin geboren und lebt in dieser bunten, überaus lebendigen und vielschichtigen, seit 1990 wiedervereinten Stadt. Die Diplom Ingenieurin und Architektin erzählt Geschichten über das Leben, das immer alles für und gegen jeden bereithält. "Freundinnen" ist ihr zweiter Roman nach zwei Erzählungen. Die erste „Liebe in Grenzen“ ist 2017 im lulu Verlag erschienen und erzählt von dem Südbadener Jungspund, den es 1964 nach Westberlin verschlägt, um sein Glück zu finden. Die zweite „EIN MANN EIN ZEBRA EINE UMARMUNG“ ist 2020 im tredition Verlag erschienen und handelt von dem Augsburger Tour d‘ Afrique Teilnehmer, der mit dem Rad in 120 Tagen von Kairo nach Kapstadt fährt, diese Tour trotz eines schweren Unfalls beendet und sich von diesem Kontinent umarmen lässt. Der erste Roman "WOHL und ÜBEL", ebenfalls 2020 im tredition Verlag veröffentlicht, handelt von einem Mädchen, einem Untermieter in der elterlichen Wohnung und einem Kommissar. Missbrauch und Schweigen lassen alle einen langen Weg gehen, um sich schließlich aus den bösen und nachhaltigen Zwängen zu befreien.

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    Buchvorschau

    Freundinnen - Jutta Kindler

    Inge Fiedler ist eine Frau Mitte Fünfzig, die nie etwas anderes im Sinn hat, als mit oder auch durch einen Mann ein sorgloses Leben führen zu können. Nicht, dass sie selbst keinen Anteil dazu beitragen würde, ganz im Gegenteil, doch sind die finanziellen Voraussetzungen mit einem gut verdienenden Mann eine viel bessere Lebensgrundlage, wie sie unumstößlich zu wissen meint. Nur darauf sind stets alle ihre Sinne ausgerichtet, nichts sonst zählt wirklich. So ist sie zum vierten Mal verheiratet und hat ihrer Voraussage nach endlich den Richtigen. Die drei Kinder aus der ersten Ehe bekommen diese Art und Ausrichtung der Mutter zeit ihres Erwachsenwerdens deutlich zu spüren. So haben sie das Elternhaus sofort verlassen, als sie nur einen Tag offiziell dazu berechtigt waren. Inge Fiedlers Aufmerksamkeit gilt weiterhin ihren jeweiligen Männern und ihrem Haushalt. Beides lenkt sie akribisch und ganz nach ihrem Willen, was hier eben ausschließlich in ihrer Macht steht.

    Eine neugierige Anwandlung hatte fast zwanzig Jahre vor diesem jetzigen Vierten eine Frau in Inges Dunstkreis geführt. Eine um vier Jahre ältere, mit einem auf den ersten Blick gänzlich anderen Wesen. Eine, die mit ihr über die dubiosen Männergeschichten streitet, die aber dennoch mit ihr verbandelt bleiben will. Helga Winter ist tatsächlich immer da, wenn sich Inge ausweinen will, doch zieht sie sich auch länger zurück, wenn ihr das Gezeter dieser Frau zu viel wird. Ohnehin kümmert sich Helga lieber um ihr eigenes ordentliches Leben, um ihren guten Ehemann, um eine wunderbare Tochter und um ihre alle Kraft benötigende gutgehende Druckerei.

    Schon morgens um vier Uhr dreißig ist für die Winters die Nacht vorbei. Horst wird aus dem Bett geschubst, ins Bad gedrängelt und Helga verschwindet in der Küche. Der Kaffee ist wichtig zum Wachwerden, danach ist das Frühstück vorzubereiten. Eine Stunde nehmen sich beide jeden Morgen Zeit für das gemeinsame Frühstück, mit dem zweiten und dritten Pott des frisch Gebrühten, den selbstgebackenen Brötchen, feinstem Belag und der täglichen Zeitung, die neben seinem Teller liegt. Gegen sechs bricht Horst als erster auf, um die Maschinen für die abzuwickelnden Aufträge anzuwerfen.

    Ist Helga mit der Wohnung fertig, so dass alles wieder wie unbenutzt vorzufinden ist, hat sie sich selbst für den Tag hergerichtet, den Einkauf von Lebensmitteln erledigt, und die Notizen für die nächste Fahrt zum Großmarkt verlängert, geht es gegen elf auch für sie ins Geschäft. Die gemeinsame Arbeit geschieht ohne Worte, beide wissen genau, was zu tun ist, jeder Handgriff sitzt. Sie ergänzen sich und für beide ist es immer wieder eine Freude, den Betrieb gemeinsam ein paar Stunden am Tag florieren zu lassen. Am Nachmittag geht Horst zu Altkunden, liefert fertige Produkte aus oder bespricht neu anstehende Aufträge. Er besucht die noch nicht zu ihren Kunden gehörenden Berliner Restaurants, Kneipen und Bars, sowie Hotels und Pensionen. Sie alle wollen sich präsentieren und ihre Geschäfte bewerben. So klappert Horst diese Betriebe nacheinander ab und hat gut zu tun damit. Schließlich gibt es in diesem aufstrebenden Berlin überaus viele Etablissements für gastliche Unterkünfte oder für das nächtliche Vergnügen.

    Es ist Helgas Aufgabe, den Betrieb am frühen Abend abzuschließen, nach Hause zu gehen, das Abendessen zu richten und dann und wann auf ihren Mann zu warten. Die Wartezeiten füllt sie gerne mit den buchhalterischen Aufgaben aus, wenn nicht die Freundin plötzlich auf der Matte steht und sie nach draußen holt.

    Wenn für Helga schon der Bettzipfel zieht, wird Inge allerdings erst richtig munter, schließlich beginnt Inges Dienst zwar auch am sehr frühen Morgen, doch wird ihr abgebrochener Nachtschlaf sofort nachgeholt, kaum dass sie nach getaner Arbeit gegen zehn Uhr vormittags nach Hause kommt. So ist sie am Nachmittag für alle Aufgaben bereit und am Abend nahezu hellwach. Inge hat sich längst an diesen Rhythmus gewöhnt, doch sind diese überschüssigen allabendlichen Kräfte der Freundin für Helga immer wieder gewöhnungsbedürftig.

    Allerdings gibt es Tage, an denen sich die beiden Frauen schon am frühen Nachmittag für ein schönes Vorhaben verabreden und dafür gerne mal alle fünf gerade sein lassen. Helga mag diese Atempausen von dem Alltag, obwohl sie nach ihrer Zusage zu einem Treffen noch mindestens eine halbe Stunde darüber nachdenken muss, was alles noch vorher zu erledigen ist. Die quirlige Freundin sorgt aber schnell dafür, dass die wunderbaren Angebote der Läden, die Einkäufe oder das Bierchen zwischendurch im Biersalon am Kudamm wichtiger als die vermeintlich unterlassenen Erledigungen zu Hause sein dürfen. Es sind gänzlich unterschiedliche, dennoch sehr ähnliche Frauen, viele Jahre werden miteinander vergehen.

    Es gibt mal wieder Stress im Hause Fiedler, Uneinigkeit liegt in der Luft. Günter ist noch nicht zu Hause und zudem auf stumm geschaltet. Er kann nicht anders, wenn seine Frau anfängt rumzuzanken. Dann zieht er sich erst einmal zurück und beeilt sich nicht, nach Hause zu kommen. In solchen Momenten bleibt er lieber an seinem Arbeitsplatz. Er bietet sich dann gerne für Ersatzdienste an oder räumt Lager und verteilt notwendige Materialien für den täglichen Gebrauch an den Schaltern.

    Inge schafft es im Handumdrehen, schlechte Laune um sich herum zu verursachen. Für sie ist es ein Leichtes, Günter durch Schikanen zu vergraulen. „Mach dies, „mach jenes, „stell dich nicht immer so an, „so wird das doch nichts, „ach, du immer mit deinen ungelenken Händen, „kannst du nicht endlich auch mal…!

    Ist sie erst einmal so drauf, wird sie nicht müde, an ihrem Mann herumzunörgeln. In solchen Phasen ist Günter nur froh, wenn er sich intensiv um seinen Postschalter kümmern kann! Dort kann er ganz nach seinem Wesen zeigen, was er für ein freundlicher Dienstleister ist. Und das ist er in der Tat!

    Er liebt seine Arbeit und wickelt die überaus umsichtig und beflissen ab. Dienstanweisungen hat er im Blut, sie werden von dem korrekten Beamten stets beachtet. Die Kollegen, die manches nicht so genau nehmen, es aber tun sollten, wissen seine Hilfe diesbezüglich zu schätzen! Er schafft es spielend, auf dem schmalen Grat zwischen Besserwisserei und Kollegialität spazieren zu gehen, ohne als unsolidarisch empfunden zu werden.

    Die Leitung der Postfiliale zeigt sich äußerst zufrieden. Sie findet so manches Mal entsprechend anerkennende Worte. Die gesamte Belegschaft mag ihren eifrigen und stets hilfsbereiten Kollegen. Die Kunden stehen gern mal länger an seinem Schalter, nur um sich von dem netten Postbeamten mit dem besonderen Humor bedienen zu lassen. Hier gefällt er sich selbst und weiß sich bestätigt, spätestens, wenn er wieder in eine höhere Gehaltsklasse aufsteigt. Was natürlich nichts mit dem liebenswürdigen Charakter zu tun hat, sondern ganz automatisch passiert!

    Eigentlich wünschte er sich diese Eintracht auch mit seiner Frau, doch macht sie ihm die überaus schwer. Nichts gelingt ihm zu ihrer Zufriedenheit, bei ihr hat er meistens zwei linke Hände. Nur manchmal ist das ganz anders, dann ist sie plötzlich eine Zuckersüße, ein zauberhafter Engel. Günter wird nie herausfinden, wann und warum welche ihrer Eigenarten gerade angesagt sind!

    Günter Fiedler steht kurz vor dem Fünfzigsten. In seinem früheren Leben war er einmal verheiratet und ist mit zwei Kindern gesegnet. Er fragt sich allerdings oft, ob das tatsächlich ein Segen ist. Umso geschmeichelter fühlt er sich, dass er unter seinen Postkolleginnen immer noch als der begehrteste Junggeselle, der begehrteste unter den noch freien Beamten gilt.

    Er lernt Inge Weigelt, wie sie nach dritter Ehe offiziell heißt, auf einer betrieblichen Feier kennen. Sie fällt ihm sofort auf, so adrett und hübsch wie sie ausschaut. Zu seinem Erstaunen hat er sie nie zuvor gesehen oder auch nur bemerkt. Sie kann nicht zu den Kolleginnen an den Schaltern oder in den Büros gehören, das hätte er sofort gewusst. Schließlich kennt er sie alle – nur diese Frau nicht.

    Er bringt schnell in Erfahrung, dass sie die Räume der Postfiliale ganz außerhalb seiner Dienstzeiten putzt. Ein gutes Omen? Er weiß es nicht. Doch an diesem Abend lässt er sie nicht mehr aus den Augen. Auch Inge ist von ihm ähnlich angetan. Sie läuft ihm auf dieser Feier über den Weg, sieht ihm in die Augen und wittert sofort ihre Chance. Endlich könnte sie jemanden angeln, durch den sie tatsächlich einer anderen, einer besseren Schicht angehören würde. Mit einem Beamten in gesicherter Position würde sich ihr Leben endgültig verbessern, das weiß sie von der ersten Minute an! Sie blüht förmlich auf, wenn sie daran denkt, ein schönes Leben mit mehr Geld führen zu können. Diesbezüglich hatte sie nämlich bisher keine so guten Karten.

    Inges erster Mann und Vater ihrer drei Kinder, muss sie seinerzeit heiraten, weil die Große unterwegs ist. Dieser immer fleißig und korrekt arbeitende Mann wird von den unterschiedlichen Betrieben zwar gern genommen, aber sein Verdienst wird nicht etwa der Leistung entsprechend angepasst oder erhöht, nur weil die Firmenchefs so zufrieden sind. Also wechselt Werner die Arbeitsstellen immer dann, wenn woanders mehr Lohn lockt.

    In den wirren Zeiten des Krieges und danach muss er anderes im Sinn haben als eine ordentliche Ausbildung. Der Vater verschollen, die Mutter zu unterstützen, und später ist dazu seine recht schnell anwachsende Familie zu ernähren. Ausbildungsplätze sind zu der Zeit ohnehin nicht so dicht gesät und eher nur mit guten Beziehungen zu bekommen.

    Damit ist er zwar ein guter Arbeiter, aber eben keiner in einem gut bezahlten Fachbereich. Fast zwei Jahrzehnte haben die Menschen mit dem Wiederaufbau zu tun, treiben das Wirtschaftswunder voran und profitieren bis zur Mitte der sechziger Jahre immer mehr davon. Selbst der ungelernte Arbeiter wird bald schon besser bezahlt und Werner sorgt mit seiner Vielseitigkeit für eine immer gute Wahl seiner Arbeitgeber. Jedenfalls gelingt es ihm, die monatlichen Einnahmen arbeitsam, fleißig und beflissen, ohne Krankenstand und mitunter eben auch ein wenig vermehrt in der Lohntüte nach Hause zu tragen. Neben ihm ist es den Fähigkeiten seiner Inge zuzuschreiben, dass die recht schnell auf fünf Personen angewachsene Familie mit Vaters Lohn immer gut zurechtkommt. Außerdem kümmert sie sich um einen kleinen steten Zuverdienst. Ganze einundzwanzig Jahre schaffen die beiden ein gemeinsames Leben und ziehen am gleichen Strang. Doch neben all den Mühen um die Familie und um bestes Gelingen verlieren sie sich schließlich doch. Die Trennung ist nicht abzuwenden. Wenn auch beide versuchen aneinander festzuhalten, sind da längst andere Menschen im Spiel, die den Neustart in eigener Sache zu verhindern wissen.

    Inges neuer Gefährte Toni ist bezüglich eines besseren und sicheren Lebens zwar zu Beginn eine sehr große Hoffnung, dann aber doch ein Reinfall. An diesem Mann stimmt nämlich gar nichts, wie sich herausstellt!

    Toni ist ein Blender, ein Mann mit Großmannsallüren als komme er aus der Hochfinanz, doch eigentlich ist er ein Müllwerker, was ihm niemand abnehmen würde. Immer gut und teuer ausstaffiert, geschniegelt und gebügelt, mit einer nicht zu leugnenden Extravaganz. Doch das soll wohl jeden erst einmal hinters Licht führen, niemandem etwas von der vermeintlich anrüchigen Arbeit verraten. Bei Inge gelingt das jedenfalls und sie ist ihm im Nu verfallen, träumt sich sofort in eine bessere Welt.

    Dieser Kerl lässt sich allerdings niemals in die Karten schauen, er bleibt stets sein eigener Regisseur! Gibt es zwischendurch finanzielle Engpässe, erklärt er die so überzeugend, dass seine Inge ihm immer zur Seite steht und durch Umsicht oder durch die eine oder andere Einschränkung zu helfen weiß, ohne sich in größere Zweifel versetzt zu sehen.

    Manchmal füttert er sie nur für solche Fälle an, wenn er zwischendurch gut bei Kasse ist. Dann führt er seine Frau in erstklassige Restaurants, bestellt vom Feinsten und bezahlt alles mit großen Scheinen. Anschließend geht es in irgendwelche Bars, die Inge nicht kennt, in denen er aber als ein offensichtlich gern gesehener Gast überschwänglich begrüßt wird. Stets ist eine Flasche des teuersten Whiskys für ihn zurückgestellt, wird nach Eintreten der beiden sofort hervorgezaubert und neben Eis gefüllten Gläsern auf dem Tresen platziert. Es scheint jedes Mal aufs Neue, als seien die gemütlichsten Plätze, in welcher Bar auch immer, nur für ihn und seine jeweilige Begleiterin freigehalten worden. Er lädt sie in seine feudale Wohnung ein und Inge ist total hingerissen. Er präsentiert ihr eine gänzlich andere Welt, glänzend, schillernd, abgehoben, mondän, eben völlig anders als ihre. Sie genießt dieses luxuriös anmutende Leben, wenn sie auch manchmal ein ganz klein wenig skeptisch ist.

    Nach ihrer Scheidung von Werner haben sie auf Tonis Wunsch hin schnell geheiratet. Anfänglich denkt Inge noch über den Altersunterschied von zwanzig Jahren nach, was sie aber eigentlich stolz macht und Zweifel schnell verwerfen lässt. Niemals hätte sie geglaubt, dass der größte Teil seiner Welt eine Scheinwelt sein könnte, dass nur die Arbeit bei der Müllabfuhr die einzige Realität ist. Eine Realität, die er versteckt, die ihm aber mit dem monatlichen Lohn eine gewisse Sicherheit garantiert und ihm seine Spielchen erlaubt. Inge wird nie auch nur eine Lohnabrechnung ihres Mannes zu sehen bekommen.

    Diese wunderschöne Wohnung, die Inge kennenlernt, verkauft er samt Inventar nur für sie, für ihre gemeinsame Zukunft, wie er erklärt. Nie wieder hätte er einen solchen Gewinn erzielt, der doch schließlich jetzt ihnen beiden zugutekäme. Mit dieser Erklärung versucht er Inge zu überreden, sich darüber zu freuen. Und er zieht schnell bei ihr ein. Erst viel später wird sie erfahren, dass er diese Wohnung gar nicht hatte verkaufen können – sie gehörte ihm nicht.

    Inge soll erst spät herausfinden, wann und warum ihre finanzielle Situation mal so überaus bedenklich sein kann, dann wieder kurzfristig sehr sorglos hinzunehmen ist.

    In ihrer ersten Ehe hat sie sich allein um die Einteilung der vorhandenen Gelder gekümmert. Werner hat seinen Lohn bedenkenlos auf Heller und Pfennig abgeliefert und ein festgelegtes Taschengeld akzeptiert. Schließlich teilte seine Frau gekonnt ein, sparte eisern und wusste immer genau, wie es um das übrige Geld nach Abzug aller Kosten bestellt ist.

    Mit Toni gibt es für Inge keine Vollmachten und damit auch keinerlei Durchblick. Nicht einer ihrer weiblichen Tricks hätte das je ändern können! Was immer sie versucht, Toni vermeidet es strikt, seiner Frau Einblick zu gewähren. Er hat es sehr nötig, diesen Nimbus eines Mannes aus reichem Hause aufrechtzuerhalten und zu pflegen, hätte dieser Gernegross, dieser Angeber doch sonst einiges mehr zu erklären. So flunkert er immer wieder glaubhaft über die Phasen, in denen sehr viel Geld vorhanden ist, wie über die Durststrecken, die mitunter Monate anhalten können.

    Er habe einem Kumpel eine große Summe geborgt oder Verliehenes plötzlich in einem Betrag zurückerhalten. Einem anderen Freund habe er einen hohen Geldbetrag vorgeschossen, den der gerade unbedingt benötigt, aber erst Wochen später selbst aufbringen kann. Dringend notwendige Ausgaben für sein eigenes krankes Kind, die Unterstützung für die Mutter des Kindes oder auch bedürftige Kollegen werden als Alibi für die Phasen mit finanziellen Nöten herangezogen.

    In guten Zeiten sind das verkaufte Aktienpaket aus dem Familienbesitz oder auch ein größerer Lottogewinn erklärend im Spiel. Erst während der Scheidung wird sich herausstellen, dass jede dieser Geschichten frei erfunden ist. Weder finden sich Belege für den Familienbesitz, für Kredite an Freunde, für Zahlungen an eine Mutter, geschweige denn für einen Lottogewinn! Das Kind gehört zu den nur ausweichend erörterten Details im Leben dieses Mannes. Inge soll dieses angebliche Kind nie kennenlernen. Fünf Jahre nimmt sie diese unzähligen Ungereimtheiten hin, zweifelt, vertraut wieder, beantwortet sich Fragen selbst, um ihr Gemüt zu beschwichtigen, und hofft erneut, dass doch alles völlig normal ist. Sie hört die Lügen, die Beteuerungen, die Schwüre und Erklärungen dieses Mannes und erlebt, wie monatlich immer wieder sehr unterschiedliche Gelder zur Verfügung stehen. Das alles treibt Inge im Laufe der Zeit an den Rand des Wahnsinns und sie will ihm nichts mehr glauben.

    Sie beginnt ihren Mann zu verfolgen, seine Feierabende zu überprüfen, die Kollegen heimlich vor dem Werkstor abzufangen und zu befragen, nach seiner Familie zu forschen. Selbst seine Kleidung wird durchsucht, um Antworten auf ihre Fragen zu bekommen und irgendeine Wahrheit aufzudecken. Es sind sehr viele Aktionen nötig, bis sie aus den zusammengetragenen Puzzleteilen die Spielsucht von Toni erkennen muss. Für Inge nicht zu fassen!

    Es braucht noch einige Zeit, einige Antworten und Hilfe von außen, bis sie das Problem ganz und gar begriffen hat. Sie ist völlig hilflos und überfordert damit, schließlich kann es das in ihrer Welt nicht geben! Nicht eine Sekunde hätte sie sich eine derartige Lebensgrundlage ausdenken können! Und weil es einen solchen Weg für sie nie gegeben hätte, ist es auch so schwer, ihn überhaupt zu erkennen und hinter das Geheimnis ihres Mannes zu steigen. Ein solches Resultat hätte sie nicht erwartet! Letztlich bringt sie eine Mischung aus Angst vor dieser Sucht und dem Bedürfnis, die eigene Existenz zu sichern, dazu, die Verbindung konsequent und schnell zu beenden.

    Wie es sich für Toni gehört, zieht er eigens für diesen Schlussstrich Spendierhosen an, wenn er die Trennung schon nicht ändern kann. Schließlich will er die nun von ihm Geschiedene direkt nach Verlassen des Gerichts, gönnerisch wie eh und je, ins feinste Restaurant zu einem fünf Gänge Menü einladen. Inge ist natürlich sofort einverstanden, ist ihr doch jetzt die Herkunft des Geldes egal und liebt sie diese Extravaganzen ja dennoch sehr. Danach ward Toni wie vom Erdboden verschluckt. Die wenigen Sachen bewahrt Inge noch einige Zeit lang auf, kann sie dann aber von einem seiner Kollegen abholen lassen, wofür sie sich mit einem guten Essen aus eigener Zubereitung bedankt.

    Dieser Kollege ist zwar nett, versucht auch, ein wenig anzubändeln, doch ist das kein Mann für ein weiteres Geflecht mit der Berliner Stadtreinigung, wie Inge schon während des Essens feststellt. Viel zu alt, zu rigide und rechthaberisch, irgendwie knurrig und dazu, für Inge am schlimmsten, stolzer Besitzer einer Gartenlaube auf einem gepachteten Grundstück. Völlig ungeeignet für ihre Zukunftspläne! Sie liebt ihre Wohnung und ihren Balkon viel zu sehr, als dass sie in einem Holzhäuschen übernachten wollte, geschweige denn, in einem Garten Unkraut zupfen oder Kürbisse ernten und IHN dabei dickbauchig mit kurzen Hosen, Socken und Sandalen, im Klappstuhl sitzend, betrachten zu müssen. So ist besser an anderer Stelle ein neuer Anwärter zu suchen.

    Der neue, blitzschnell gefundene und verehelichte Dritte im Bunde ist nur sechzehn Jahre jünger als sie. Alfred Weigelt ist Bauarbeiter, Eisenflechter, um genau zu sein. Ein hartgesottenes Mannsbild hat Inge da in einer der Kneipen kennengelernt, die sie so gerne ansteuert, wenn sie unstet nach Abwechslung sucht. Er ist kleiner als sie, überaus muskulös, ein Pulverfass mit großer Klappe, die auch gerne mal den Inhalt von fünf bis fünfzehn Flaschen seines Lieblingsbrauers in sich aufnimmt.

    Dieser kraftvolle Kerl jagt seine Inge nach einem Streit um einen vermeintlichen Rivalen im Nachthemd durch die kleine Wohnstraße des Wilmersdorfer Bürgertums. Inge rennt zwar schreiend vor Angst die Straße entlang, doch geschieht das sehr früh am Morgen und sie hat niemals später erfahren, ob das irgendein bereits wacher Nachbar gehört oder sie gar erkannt haben könnte. Jedenfalls schämt sie sich noch lange. Das ist nur einer der Exzesse, die sich die beiden in ihrer Ehezeit liefern. Die Eifersucht dieses kleinen starken Mannes steigt in kürzester Zeit ins Uferlose und vergiftet die vermeintliche Liebe bis in die letzten Winkel beider Herzen. Er braucht nur eine winzige Ahnung von einem Mann in Inges Nähe zu haben, verbeißt er sich schon in die Idee, sie könne fremdgehen. Er ist ohnehin felsenfest davon überzeugt, dass sie das Wildern in Nachbars Garten grundsätzlich nicht von sich

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