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Lehrjahre in St. Wendel und St. Augustin: Fragmente der Erinnerung
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eBook329 Seiten4 Stunden

Lehrjahre in St. Wendel und St. Augustin: Fragmente der Erinnerung

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Über dieses E-Book

Der Bericht schildert die Schulzeit des Autors in St. Wendel von 1954 bis 1963 und seine Jahre auf der Philosophisch-theologischen Hochschule in St. Augustin von 1963 bis 1969. Die Zwischenbetrachtung enthält ein Porträt von P. Ferdinand Quack, Onkel und Vorbild des Autors.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum9. Nov. 2018
ISBN9783746992525
Lehrjahre in St. Wendel und St. Augustin: Fragmente der Erinnerung

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    Buchvorschau

    Lehrjahre in St. Wendel und St. Augustin - Josef Quack

    Mottos

    Zum Tagebuch: Es gibt nichts, was zu gering wäre für ein so geringes Wesen wie den Menschen. Durch die Beobachtung von Kleinigkeiten bringen wir es am Ende zu der hohen Kunst, unser Leben so schmerzlos als möglich zu gestalten.

    DR. JOHNSON

    Alle fleißig walteten sie des Lehramts;

    Schmal nur war der Sold ja und dünn der Vortrag;

    Aber da sie lehrten zu meinen Zeiten,

    Will ich sie nennen.

    AUSONIUS

    Aber die Macht des Unterrichts übt selten einen großen Einfluß aus, außer auf jene glücklich begabten Gemüter, bei denen er fast überflüssig ist.

    E. GIBBON

    Die braven Kinder… Sie sagen nichts, sie verstecken sich nicht unter dem Tisch, sie essen immer nur ein Bonbon auf einmal, aber später muß die Gesellschaft teuer dafür zahlen. Trauen Sie um alles in der Welt den braven Kindern nicht.

    J.P. SARTRE

    Kein Mensch weiß, was in den Köpfen von Halbwüchsigen vor sich geht, am allerwenigsten die Besitzer der Köpfe selbst.

    R. KIPLING

    Die Zeit trägt einen Ranzen auf dem Rücken,

    Worin sie Brocken wirft für das Vergessen.

    Dies große Scheusal von Undankbarkeit.

    Die Krumen sind vergangne Großtat, aufgezehrt

    So schleunig als vollbracht, so bald vergessen

    Als ausgeführt.

    SHAKESPEARE

    Die Zeit eilt

    die Zeit weilt

    die Zeit teilt

    die Zeit heilt.

    INSCHRIFT AUF SONNENUHR

    I. Schulzeit in St. Wendel (1954 - 1963)

    Als ich im März 1963 nach dem Abitur von St. Wendel nach Hause kam und wir beim Abendessen saßen, fragte mich Thomas, mein jüngster Bruder, ein Junge von sechs Jahren: „Meinst du, du hättest was gelernt?" Ich hielt die Frage für altklug und wir lachten darüber. In den folgenden Jahren eines ausgedehnten Studiums, zunächst Theologie in St. Augustin, dann Germanistik und Philosophie in Frankfurt, kam ich öfter auf die Frage zurück, was wir in St. Wendel eigentlich gelernt haben, habe sie aber nie zusammenhängend bedacht und begründet beantwortet.

    So will ich hier Rechenschaft zu geben versuchen, was ich damals gelernt habe, und da die Sache mit den Lehrern zu tun hat, werde ich mich, so gut es geht, an die Lehrer jener Jahre zu erinnern versuchen. Leider habe ich in diesen frühen Jahren keine Tagebuchaufzeichnungen gemacht, so daß ich auf mein lückenhaftes und nicht immer zuverlässiges Gedächtnis angewiesen bin – mit Ausnahme eines kleinen Berichts, den ich 1961 unmittelbar nach einem Gespräch aufzeichnete, das ich mit P. Benedikt Schmidt am Südausgang des Schülerbaus geführt habe, und einiger Briefe, die sich aus der Zeit erhalten haben. Wie wenig verläßlich das Gedächtnis ist, zeigte sich schon, als ich die Liste der Lehrer zusammenstellte, die wir in den neun Jahren hatten. Trotz der Mithilfe eines Kollegen gelang es nicht, die Lehrer der unteren und mittleren Klassen vollständig zu ermitteln. Diese Lücken in unserer Erinnerung sind andererseits aber ein sicherer Beweis, daß einige Lehrer uns nicht beeindruckt und wahrscheinlich auch nichts beigebracht haben.

    Dabei wäre an die Besonderheit zu erinnern, daß das Missionshaus eine Privatschule war und die wenigsten Lehrer, die wir in den ersten Jahren hatten, ihre Lehrfächer studiert hatten. Die besten von ihnen verfügten aber über eine lange Schulerfahrung, die sie den jungen Studienräten überlegen machte; so Zettelmeier und Benedikt Schmidt, der ein natürliches Sprachtalent hatte, oder Schöndorf, der auch ohne Staatsexamen das Privileg besaß, das Abitur abzunehmen. Nicht zu vergessen der hochbegabte Theodor, der in Mathematik und Biologie mehr leistete als mancher ausgebildete Fachlehrer. Was anderen von ihnen fehlte, war weniger das Sachwissen als das pädagogische Geschick. Mir jedenfalls ging es so, daß ich erst dann zu einem Schüler mit annehmbaren Leistungen wurde, als wir bessere Lehrer bekamen, und das waren meist Lehrer mit einer Universitätsausbildung. Freilich wäre dabei auch die Entwicklung zu berücksichtigen, daß die Leistungen sich erst einstellten, als die Pubertätsschwierigkeiten überwunden und die Intelligenz ausgebildet war.

    Klar geworden ist mir inzwischen auch, was ich an entscheidender Förderung einzelnen Lehrern verdanke, und diese Erinnerungen haben auch den Zweck, diese Schulden abzutragen. Was die Genauigkeit und die Treue der Erinnerungen angeht, muß man natürlich in Anschlag bringen, daß mein Gedächtnis auf den Gebieten am besten ist, wo ich mich später fortgebildet habe, in Literatur und Deutsch. Hätte ich Mathematik oder Naturwissenschaften studiert, was ich einmal kurz erwogen habe, so könnte ich heute weit besser beurteilen, was wir damals in Mathe, Physik und Chemie gelernt haben.

    Bei einem solchen Rückblick fragt man sich natürlich auch, welche Lehrer mehr oder weniger unfähig waren oder versagt haben. Ich werde darüber kein Blatt vor den Mund nehmen, kann aber feststellen, daß der von ihnen angerichtete Schaden sich in Grenzen hält. Am meisten bedaure ich, daß wir in den unteren und mittleren Klassen keine guten, begeisterungsfähigen Lehrer in der beschreibenden Naturkunde hatten. Pflanzen, Bäume oder Vögel zu bestimmen, lernte ich erst im späteren Alter, und Vogelbeobachtung ist inzwischen für mich eine entspannende Beschäftigung geworden, für die ich keinen Ersatz wüßte.

    Schließlich kann ich nicht genug betonen, daß diese Erinnerungen meine persönliche Sicht wiedergeben, meine Erfahrungen, die sich in vielem, jedoch keineswegs in allem für meine Klassengenossen verallgemeinern lassen. Ich gebe nur meine persönliche Sicht der Dinge; die Tatsachen, die ich berichten werde, sind zwar wahr, aber ich schildere sie im Lichte meiner Sympathie und Antipathie. Ich wollte meine intellektuelle Entwicklung von den naiven Anfängen bis zu den Reflexionen des Erwachsenen so gut, wie es geht, d. h. fragmentarisch nachzeichnen.

    Soweit das Vorwort vom Dezember 2000. Dem möchte ich hinzufügen, daß ich nicht gut über meine Zeit in St. Wendel schreiben kann, ohne meinen Onkel, P. Ferdinand Quack, vorzustellen. Denn ohne sein Vorbild wäre ich nicht in das Haus eingetreten. Deshalb ist ihm die Zwischenbetrachtung gewidmet. Sie stammt vom Februar 1968; die biographischen Daten hatte mein Bruder Anton (1946-2009) zusammengestellt.

    Annalen

    1954

    Brief des Präfekten P. Klaholt vom 23.6.1954 an meine Eltern: „P. Quack teilte mir vor einiger Zeit mit, daß sein Neffe Josef Missionsschüler werden möchte. Inzwischen ist das Schulzeugnis eingetroffen, das zu guten Hoffnungen berechtigt. (…) Am 14. Juli um 9 Uhr ist für die Neuen die Aufnahmeprüfung. Es wird geprüft in Deutsch, Rechnen und Französisch. Der Prüfer in Französisch war P. Schmitt Bruno. Brief Klaholts vom 21.8.: „Ihnen die Nachricht, daß Ihr Junge nun doch nach St. Wendel und nicht nach St. Paul kommen muß. Wichtige Gründe haben diese Änderung veranlaßt. / Eintrittstag: 31.August 1954. Es war der 2.434.986. Julianische Tag (J.D.), ein Mittwoch. Ich kam auf Sexta b, wo wir 21 Schüler waren, von denen nur drei zusammen das Abitur machen sollten. Der erste Besuchstag war um den Wendelinustag, 20.Oktober, herum. Die ersten Zeugnisse gab es am 21.Dezember, die ersten Heimatferien nach Weihnachten dauerten ganze fünf Tage!

    1955

    Das Ostertrimester begann am 7. Januar. Die Zeugnisse wurden am 2. April, J.D. 2.435.200, dem Donnerstag vor Palmsonntag verteilt. Die Karwoche und Ostern, 12. April, verbrachten wir wie üblich in St. Wendel. Heimatferien bekamen wir frühestens am Ostermontag, sie dauerten eine Woche. Am 21. April, dem Dienstag nach Weißen Sonntag dürfte das Sommertrimester angefangen haben. Es endete am 16. Juli, wo es Zeugnisse gab und die Versetzung in die Quinta stattfand. Vor den Heimatferien mußten wir noch mindestens eine Woche im Missionshaus bleiben, bevor wir für ungefähr fünf Wochen nach Hause durften. Anfangs September begann dann das Weihnachtstrimester. Im Oktober war wieder Besuchstag. Am 6. Dezember wurde aufwendig Nikolaus gefeiert mit Vorboten und einer Vorstellung in der Aula, die, wie üblich, die Unterprima auszurichten hatte. Am 22. Dezember bekamen wir die Zeugnisse, heimfahren konnten wir erst am 29. Dezember und, wie gewohnt, mußten wir am 5. Januar 1956 zurückkommen.

    1956

    Anfangs März fand eine Papstfeier statt, was immer das bedeutete, und dafür bekamen wir einen freien Nachmittag. Das Trimester endete am 24. März mit der Zeugnisvergabe. In der Karwoche wurden die Gottesdienste vom Radio übertragen, am Gründonnerstag um 17 Uhr, am Karfreitag um 15 Uhr und am Karsamstag um 23 Uhr. Am 3. April begannen die heimatlichen Osterferien. Gut acht Tage später waren wir wieder zurück, um die Schulbank bis zum 19. Juli zu drücken, wo wir die Jahreszeugnisse erhielten und in die Quarta versetzt wurden.

    Weil in dem Schuljahr 1956/57 wegen der politischen Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik das Ende des Schuljahres auf den Ostertermin verlegt wurde, hatte die Quarta nur zwei Jahresdrittel. In diesem Jahr bekamen wir auch Zuwachs von St. Paul, Wengerohr; ein halbes Dutzend Jungs von der Mosel und aus der Eifel kam auf unsere Klasse. Die Weihnachtszeugnisse gab es wie üblich am 22. Dezember.

    1957

    Die nächsten Zeugnisse waren am 13. April fällig und damit die Versetzung auf die Untertertia. Ostern war am 21. April, das neue Schuljahr fing um den 30. April an. Die ersten Zeugnisse, „Giftblätter" genannt, bekamen wir aus mir heute unbekannten Gründen erst am 10. Oktober, die zweiten am 21. Dezember. Anfangs Oktober erreichte eine Grippewelle das Haus, das damals 270 Schüler beherbergte. Zunächst waren 120 Jungs erkrankt, auf dem Höhepunkt zählte man kaum mehr als 30 Schüler, die nicht als krank firmierten. Bei der anschließenden naßkalten Kartoffelernte wurden ein paar Tropfen Schnaps in die heißen Getränke gemischt, um die Schülers zu stärken.

    1958

    Es war ein strenger Winter. Am 16.Februar schrieb ich nach Hause: „Der Schnee ist geschmolzen. In den letzten Tagen schien hier die Sonne wohltuend auf uns herab. Aber heute regnet es schon wieder. Dies war der Wetterbericht. Am 27. Februar hieß es: Hier liegt wieder einmal Schnee. Aber trotzdem blüht hier im Steingarten von Pater Zettelmeier schon ein Blümchen." Ostern fiel wieder früh, auf den 6. April. Die Jahreszeugnisse erhielten wir am 29. März, mit der Versetzung auf die Obertertia. Anfangs Mai besuchten wir das Motorradrennen, das zeitweilig über die Straße an Haus und Hof entlang geführt wurde. Ein heißer Frühsommer mit Temperaturen um 30 Grad Ende Mai. Das er ste Jahresdrittel schloß am 23. Juli, das zweite am 23. Dezember. Ganz ungewohnt durfte ich wegen der Silberhochzeit meiner Eltern gegen Ende September für ein, zwei Tage nach Hause fahren.

    1959

    Am 8. Januar schrieb ich: „Dann möchte ich Euch bitten, daß in nächster Zeit kein Besuch kommt. Denn hier in der Umgebung ist Maul- und Klauenseuche ausgebrochen. Auf unserem Hof ist sie noch nicht. Für Menschen ist sie zwar nicht ansteckend, aber übertragbar. / Bis Ostern ist es ja nicht mehr lange. Wir haben noch 60 Schultage und insgesamt 85 Tage bis zu den Heimatferien." Am 2. März starb mein Onkel Ferdinand Q. bei einer Volksmission in Neunkirchen/Nahe an einem Herzinfarkt. Ostern fiel auf den 29. März, die Versetzung auf die Untersekunda fand am 21. März statt: von nun an wurde das Schuljahr in zwei Halbjahre geteilt. Auf Untersekunda bekamen wir wieder Zuwachs, diesmal Schwaben und Badener aus St. Johann/ Blönried.

    Um den 18. Juli begannen die Sommerferien zu Hause. Anfangs September besuchte der Generalsuperior das Haus, er gab den Schülern am

    10. September frei. Es waren neue Oberen eingesetzt worden: Dier wurde als Rektor von Klaholt abgelöst, auch die Amtszeit Franz Werners als Provinzial endete in diesem Jahr. Präfekt wurde Theodor Pulch, als Studiendirektor folgte Werner Eiswirth seinem Vorgänger Johannes Heisters.

    Wie üblich durften wir um den Wendelinustag herum Besuch bekommen, für den übrigens das Haus kein Essen zur Verfügung stellte. Die ersten Zeugnisse bekamen wir am 30. Oktober. Am 29. November schrieb ich: „Wir kommen sehr wahrscheinlich nicht vor Weihnachten in Ferien, sondern erst nach Weihnachten. Die Schüler von Blönried, St. Johann, dürfen schon am 22. Dez. nach Hause. / Wir dürfen deshalb nicht früher heim, weil wir den feierlichen Gottesdienst über die Festtage gestalten müssen."

    1960

    Am 24. Januar meldete ich: „Jetzt stehen wir wieder in vollster Arbeit; denn Ostern, und somit die Versetzung, kommt mit Riesenschritten näher. Wenig später seufzte ich: Jetzt stecken wir wieder bis zum Hals im Studium wegen der baldigen Versetzung. Jeder Lehrer denkt, er könne aus uns das letzte Bißchen Wissen herausholen. Zugleich berichtete ich: „Seit Januar sind wieder zwei Brüder gestorben: Der ältere an einem Schwächeanfall. Der andere war der Gärtnermeister und Bienenzüchter Br. Raimund. Er war nach dem Bericht von Vater schon in unserem Saal und hatte dort einen Vortrag gehalten. Er starb nach einer Magenoperation. Sein Begräbnis war fast so groß wie Onkels Begräbnis. Am 8. April gab‘s die Versetzungszeugnisse; damit hatten wir das Einjährige geschafft, die erste Etappe auf dem Weg zum Abitur. Ostern fiel auf den 17. April.

    Nach den Ferien begann für uns die Obersekunda. Am 29. Mai übertrug Radio Saarbrücken wieder eine Sendung aus St. Wendel, die aber schon vierzehn Tage vorher aufgenommen worden war. Am Pfingstdienstag, 7. Juni, machten wir einen dreitägigen Ausflug, der uns nach Burg Lichtenberg, Landstuhl und zur Burg Sickingen führte. – Die Sommerferien waren früh angesetzt, wir mußten schon am 23. August wieder in St. Wendel antreten. Vom nächsten Abend, einem Sonntag, bis zum folgenden Sonntag früh hatten wir Exerzitien und Stillschweigen. Das wird uns sicher viel nützen, lautete meine Glosse. Das erste Halbjahr der Obersekunda schloß am 29.Oktober. Weihnachten durften wir am 28. Dezember heimfahren.

    1961

    „Jetzt haben wir schon wieder 3 Schultage hinter uns, schrieb ich am 11. Januar: „Allgemeine Gesprächsthemen sind jetzt fast nur noch: Ostern und Versetzung. Alles andere ist nicht so wichtig: Gestern waren es 20 Jahre her, daß das Missionshaus von den Nazis beschlagnahmt wurde. Morgen kommt während der letzten beiden Unterrichtsstunden ein Vortragskünstler. In einem Brief vom 12.März berichtete ich, daß von den 26 Mann der Abiturklasse nur zwölf in die Gesellschaft eintraten, was die Präfekten als Mißerfolg verbuchten und die Zügel der Erziehung anziehen ließen. Und ich fügte hinzu: „Seitdem die Oberprima weg ist, darf unsere Klasse, die jetzt die zweithöchste ist, jeden Sonntag Abend mit der obersten Klasse fernsehen." Am 25. März fand unsere Versetzung in die Unterprima statt, Ostern war am 2.April. Für die älteren Schüler wurden die Elterntage gestrichen.

    Am Pfingstdienstag, 23. Mai, wurden neun Scharlachfälle unter den Schülern festgestellt, trotzdem fuhr unsere Klasse mit dem Präfekten Pulch und Alphons Martin für zwei Tage nach Schaffhausen und Stühlingen. Im Brief vom 18. Juni hieß es: „Am Donnerstag (der Pfingstwoche) überraschte uns die Nachricht, daß ein Schüler von der Quinta im Schlaf samt dem Federbett aus dem Fenster des Schlafsaals gefallen ist. Tot."

    Die Heimatferien dauerten vom 21. Juli bis zum 30. August. „‚Du hast das Spotten nicht verlernt‘ – das sind die bekannten Empfangsausdrücke, ähnlich denen, die man zu Beginn der Ferien daheim hören kann: ‚Bist du auch wieder da?‘. / Heute abend um 6 Uhr beginnen die Exerzitien. Sie dauern bis zum Montagmorgen um 8 Uhr. Am Dienstag beginnt der Unterricht. Erwähnenswert auch die Mitteilung: „In den vergangenen Ferien haben wir, 300 Schüler, im ganzen 10.800 DM für die Mission zusammengebracht. Ein einzigartiges Ergebnis. Soviel hatten wir in den letzten Jahren nur während eines ganzen Jahres zusammenbekommen. – Die Zwischenzeugnisse wurden am 28.Oktober ausgestellt. Anfangs November schrieb ich: „Zum Schluß noch ein Wunsch unseres Präfekten: Schickt keine Eßwaren! Wir denken dazu: langsam aber sicher geht man drauf bei so einem Saufraß!" Die heimatlichen Weihnachtsferien, die zehn Tage dauerten, konnten wir erst am 27. Dezember antreten. Früher hatten wir nur fünf Tage Weihnachtsferien.

    1962

    Im Brief vom 21. Januar notierte ich: „Am nächsten Freitag beginnt das schriftliche Abitur [der vorhergehenden Klasse] und mit Wissen vollgestopft warten die Oberprimaner auf diesen Tag oder warten, bis die Prüfung vorbei ist. Neun Jahre haben sie für diese Prüfung gepaukt und geschwitzt. In sechs Wochen ist für sie alles vorbei und für uns beginnt dasselbe Theater: Lernt! Lernt! Lernt! Jetzt schon klingen uns Aussprüche unserer jungen weltlichen Lehrer in den Ohren: ‚Wir liefern keinen akademischen Schrott an die Universitäten!‘, ‚Von dieser Klasse macht höchstens die Hälfte das Abitur, ‚So eine unselbständige Klasse im Denken ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet.‘ Das sind schöne Aussichten! – Am 4.März schrieb ich über den kommenden Dienstag, den 6.März: „Fasnacht kommt in diesem Jahr fast überall etwas kürzer als in den letzten Jahren. Aber es fällt doch nicht ganz aus. Diesmal müssen wir also wie immer nächtliche Anbetung halten zur Sühne. Sonst hatten wir jedes Jahr in der Aula eine Fasnachtsfeier mit eigenen Darbietungen. Das fällt diesmal aus, obwohl man keinen richtigen Grund dafür finden kann. An Stelle der Feier sehen wir heute abend einen Film. Titel und Thema sind noch unbekannt."

    Wir mußten erst einige gesalzene Klassenarbeiten absolvieren, bis wir am 12. April in die Oberprima versetzt wurden: nur zwanzig von dreißig Kandidaten schafften den Sprung. Die Stimmung war gedrückt, Karfreitagsstimmung. Am Ostermontag, dem 23. April, konnten wir heimfahren. Anfang Mai erlitt ein Obersekundaner beim Fußballspiel, zu dem man beinahe auch mich, einen demonstrativen Nichtsportler, gezwungen hätte, einen doppelten Schienbeinbruch – was meine Einstellung zum Fußball nur bekräftigte.

    Am 18.Mai berichtete ich: „Wir werden schon ein ganzes Jahr lang mit ‚Sie‘ angeredet. Nur heißt es bei uns nicht ‚Sie Esel‘, sondern: ‚Sie sind wohl verrückt geworden‘. Allerdings reden uns nur die weltlichen Lehrer mit ‚Sie‘ an. Die Patres bleiben bei dem natürlichen ‚du‘." – Acht Wochen später fand das Turnabitur statt. Das letzte Zwischenzeugnis bekamen wir am 27.Oktober; zusätzlich zu den Herbstexerzitien mußten wir am Samstag vor dem dritten Adventssonntag noch einen Einkehrtag machen.

    1963

    Ende Januar war unser schriftliches Abitur, das mündliche fand am 4.März statt, einem Dienstag. Da ich vom mündlichen befreit war, war meine aktive Schulzeit mit dem Januar zu Ende.

    Damit war die Schulzeit in St. Wendel abgeschlossen. Sie dauerte vom 31. August 1954 bis zum 4.März 1963 oder vom J.D. 2.434.986 bis zum J.D. 2.438.089, das waren achteinhalb Jahre oder 3.103 Tage.

    Deutsch lernen

    Das erste und wichtigste, was wir in St. Wendel zu lernen hatten, war Hochdeutsch. Soziologisch betrachtet, waren wir, die wir im Herbst 1954 in der Sexta der Missionsschule anfingen, eine homogene Gruppe, durchweg Kinder kleiner Leute, Söhne von Arbeitern, Handwerkern, kleinen Beamten; nur der Vater eines Schülers aus Saarbrücken war Versicherungsdirektor. In geographischer Hinsicht kamen wir aus dem Saarland, dem Hunsrück und der westlichen Pfalz, was keineswegs eine sprachlich homogene Dialektmischung ergab. Auf Quarta wurde die Sache komplizierter, da nun einige Schüler aus der Eifel und von der Mosel zu uns stießen, und auf Untersekunda wurden wir durch eine Gruppe Schwaben und Badenser bereichert.

    Was die Verbreitung der Dialekte angeht, verläuft mitten durch das Saarland die Grenze des Mosel- und Rheinfränkischen. Es ist die 'dat'- und 'das'-Grenze, die sich ungefähr von Völklingen über Quierschied bis nach St. Wendel hinzieht. Die nordwestlichen Saarländer sagen 'eich' statt 'ich', 'dau' statt 'du', 'neischt' statt 'nix' und 'Motzen' statt 'Jubbe' (Jacke). Diese kuriosen Unterschiede waren das Befremdlichste, das wir zunächst zu verdauen hatten, als wir in kindlichster Beschränktheit uns kennenlernten. Denn natürlich sprachen wir in der Unterhaltung immer unseren angestammten Dialekt, der sich nicht nur durch diese große Querlinie von anderen unterschied, sondern auch noch innerhalb des einzelnen Mundartgebiets seltsame Eigenarten aufweisen konnte. Im südlichen Saarland gab es Dörfer, wo man 'Mann' statt 'Monn' und 'Bahm' statt 'Bohm' (Baum) sagte. Eine sehr vergnügliche Sprachkunde hauptsächlich über den südsaarländischen Dialekt hat übrigens der aus Sulzbach stammende Ludwig Harig in seiner Saarländischen Lebensfreude (1979) gegeben.

    Sehr charakteristisch für das südliche Saarland ist aber, daß man 'Milsch' statt 'Milch' sagte, was anzeigt, daß diese Sprecher immer Probleme hatten, wenn es um die Unterscheidung von 'ch' und 'sch' ging. In unserer Gegend hatten wir dagegen die Besonderheit, daß wir nicht 'Milsch', sondern 'Milich' sagten, was einen sehr reinen 'ch'-Laut enthielt, so daß ich in der korrekten Aussprache des Hochdeutschen niemals durch jenes saarländische oder auch ostpfälzische Handicap benachteiligt war.

    Das erste unbekannte Dialektwort, das ich hörte, war übrigens das zentralsaarländische ‚Blödmann‘. In unserem Dorf sagten wir statt dessen ‚Dummkopp‘, ‚Dussel‘ oder einfach ‚Idiot‘. Für die westlichen Saarländer aber schien der Ausdruck unverzichtbar zu sein.

    Die Hauptmühe unserer Lehrer und Erzieher, Präfekten und Unterpräfekten bestand also zunächst darin, uns Hochdeutsch beizubringen und, was damit zusammenhängt, einigermaßen zivilisierte Manieren. Dieser Drill ging im übrigen soweit, daß zum Beispiel der Unterpräfekt Kowalski, wenn er im Speisesaal den Vorsitz führte, es nicht duldete, daß man ‚Aufwischlumpen‘ sagte; man mußte ‚Lappen‘ sagen, weil das vornehmer klang. Natürlich ist ‚Lumpen‘ genau so hochdeutsch wie ‚Lappen‘, es hat nur eine andere Bedeutungsnuance, paßte aber treffend zu dem naßgrauen Stoffetzen, für den es gebraucht wurde. Die Haupterziehungsarbeit im Gebrauch des richtigen Deutsch leisteten aber nicht die Lehrer oder Präfekten, sondern wir selbst durch Neckereien, Spott und Satire über die ärgsten mundartlichen Abweichungen, so daß am Ende jeder seine ärgsten heimatdörflichen Sprechmacken ablegte und ein Idiom sprach, das sich mehr oder weniger am Hochdeutschen orientierte. Die genaue Grammatik und den rechten Wortgebrauch des Hochdeutschen lernten wir aber keineswegs im Deutschunterricht, sondern von unseren Latein- und Griechischlehrern, in erster Linie von Otto Zettelmeier und Johannes Schöndorf, gegen die man manches vorbringen mag, deren Verdienste in der Sprachbildung aber immer anerkannt werden sollten.

    Unser erster Deutschlehrer auf Sexta b war P. Gebhard Unmuth (Jg. 1914), ein Schwabe mit gelblichem Teint, schütterem Haar, metallisch sonorer Baßstimme, asketisch hager, der es auch bei stärkster Kälte ablehnte, einen Schal zu tragen. Freilich war er im Winter mit Talar und Stoffmantel dick genug gekleidet. Aus dem Krieg brachte er einen schweren Fußschaden mit, die Füße waren ihm, glaube ich, fast erfroren; und wie Charlie Chaplin setzte er die Spitzen stark nach außen, wobei er rüstig ausschritt. Er hat uns in den unteren Klassen oft zu Wanderungen in die nahen Wälder mitgenommen, wobei er anfangs, wenn wir bergauf zum Hof gingen, mit seiner kräftigen, angenehmen Baßstimme zur Eile drängte. Bald aber ließ das Tempo nach und es ging gemütlich weiter.

    Aus seinem Deutschunterricht – wir hatten ihn anfangs auch in Latein, wo er uns die ersten Wörter, die einfachen Deklinationen und die läppischen Lehrbuchsätze beibringen mußte – habe ich nur zwei kleine Erlebnisse im Gedächtnis behalten. Es war wohl in der Quinta, als er uns einen Aufsatz über die Feldarbeit schreiben ließ, die wir ja täglich vor Augen hatten. Denn das Missionshaus lag inmitten der Felder, die vom Hof aus, einem der größten Bauernbetriebe des Saarlandes, bewirtschaftet wurden. Und wir mußten bei der Kartoffelernte, oft im Spät- herbst in der zweiten Oktoberhälfte bei naßkalter Witterung, tagelang mithelfen. Auch war der Hof selbst mit den Werkstätten und Stallungen, dem hohen Pferdestall mit den breiten und schweren Kaltblütern, dem riesigen Kuhstall, den stinkigen Schweine- und Hühnerställen, für uns immer ein Ort, an dem wir uns gern herumtrieben. Was ich in jenem Aufsatz schrieb, weiß ich nicht mehr. Es kann nichts Besonders gewe- sen sein, da ich damals noch nicht den Dreh raushatte, wie man Gesehe- nes und unmittelbar Erlebtes schriftlich festhält. Doch erinnere ich mich, daß ich von 'Ackergäulen' sprach, was aufmerken ließ, von Unmuth aber gebilligt wurde. Die anderen hatten wohl alle von 'Pferden' berichtet, da

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