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NOVA 33: Magazin für spekulative Literatur
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eBook304 Seiten3 Stunden

NOVA 33: Magazin für spekulative Literatur

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Über dieses E-Book

NOVA Storys
Thomas Grüter: Freie Wildbahn
J. A. Hagen: Yuggoth
Anke Hüper: Außerirdische Daten
Karsten Kruschel: Kurz nach dem Einmarsch der Befreiungsarmee
Dieter Rieken: Jonas und der Held Terranovas
Glen Sedi: Kobo, das Wunschkind
Lukas Schneider: Alina
Rafael Torra: Die Spinne
Erik Wunderlich: Unearthing
Álex Souza: Unsichtbare Körper

NOVA Sekundär
Tanine Allison: Woran man einen Kriegsfilm erkennt. Der zeitgenössische Science-Fiction-Blockbuster als militärischer Rekrutierungsfilm

Mit einem Titelbild von Oliver Engelhard und Illustrationen von Uli Bendick, Klaus Brandt, Mario Franke, Gerd Frey, Frank G. Gerigk, Christian Günther, Detlef Klewer, Dieter Rieken und MIchael Wittmann.

Erik Wunderlichs Kurzgeschichte »Unearthing« gibt es auch als Hörspiel zu hören: https://www.swr.de/swr2/hoerspiel/unearthing-swr2-krimi-2022-12-03-100.html
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum1. Sept. 2023
ISBN9783957657510
NOVA 33: Magazin für spekulative Literatur

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    Buchvorschau

    NOVA 33 - Team NOVA

    NOVA 33

    Magazin für spekulative Literatur

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © dieser Ausgabe: September 2023

    p.machinery Michael Haitel

    Titelbild: Oliver Engelhard

    Illustrationen: Uli Bendick, Klaus Brandt, Mario Franke, Gerd Frey, Frank G. Gerigk, Christian Günther, Detlef Klewer, Dieter Rieken, Michael Wittmann

    Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

    Redaktion NOVAstorys: Michael K. Iwoleit, Marianne Labisch

    Redaktion NOVAsekundär: Thomas A. Sieber, Dominik Irtenkauf

    Redaktion Grafik: Christian Steinbacher

    Korrektorat: Michael Haitel

    Herstellung: global:epropaganda

    Verlag: p.machinery Michael Haitel

    Norderweg 31, 25887 Winnert

    www.pmachinery.de

    www.nova-sf.de

    www.facebook.com/novamagazin

    www.twitter.com/novamagazin

    ISSN: 1864 2829

    ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 351 2

    ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 751 0

    Editorial

    Nova 33 ist die letzte Ausgabe unseres Magazins, die ich als Storyredakteur betreue, bevor ich meinen Posten an die kompetenten Hände von Marianne Labisch übergebe, unterstützt von Yvonne Tunnat, die zunächst bis Nova 34 Redaktionsluft schnuppern und dann über ihre weitere Beteiligung entscheiden will. Als letzter verbliebener Mitbegründer von Nova, der nicht ganz aus der Redaktion ausscheiden, aber doch deutlich kürzertreten wird, bringt mich dieses Editorial in eine Position, in der man gewöhnlich feierlich wird, die gesammelten Weisheiten (obwohl auch die Torheiten aufschlussreich wären) von über zwanzig Jahren Arbeit zusammenfasst und kommenden Generationen kluge Ratschläge mit auf den Weg gibt. Ich möchte gern erklären, warum mir dies schwerfällt.

    Vor einigen Jahren erhielten die beiden Protagonisten des populären und durchaus witzigen Youtube-Kanals Our Stupid Reactions den Tipp, sich einen Auftritt des indischen Tabla-Virtuosen Zakir Hussain anzuschauen und ihre Reaktion aufzunehmen. Wie viele andere vor ihnen waren sie vollkommen fassungslos über Hussains schier übermenschliche Fertigkeiten, die zuweilen den Eindruck erwecken, einer der indischen Götter sei persönlich auf die Erde gekommen, um uns Sterblichen für einige Minuten zu zeigen, wie Musik gemacht wird. Wenig später war Hussain so freundlich, den beiden Youtubern in seinem engen Terminplan ein Zeitfenster für ein persönliches Interview einzuräumen. Der Mann, der von Millionen Musikliebhabern weltweit und Generationen von Mitmusikern geradezu hymnisch verehrt wird und den Anspruch erheben könnte, einer der virtuosesten Instrumentalisten der Musikgeschichte zu sein, entpuppte sich als ganz lockerer, humorvoller, bescheidener und anregender Gesprächspartner, ohne eine Spur der selbstbeweihräuchernden Exzentrik, die man von europäischen klassischen Musikern wie Herbert von Karajan oder Arturo Benedetti Michelangeli kennt. An einer Stelle überraschte Hussain seine Interviewer mit der Aussage, dass er sich selbst gar nicht als Meister betrachte, sondern stattdessen immer einen Rat seines Vaters, des legendären Allah Rakha (der als langjähriger Begleiter von Ravi Shankar die indische klassische Musik im Westen bekannt machte), beherzigt habe: »Versuche nicht, ein Meister zu sein. Versuche einfach, ein guter Schüler zu sein, und du wirst zurechtkommen.«

    Wer immer sich in einer kreativen Disziplin betätigt, sei es Literatur, Musik oder bildender Kunst, und erlebt hat, wie leicht einem die Gäule der persönlichen Eitelkeit durchgehen und zu einer krassen Selbstüberschätzung führen können, müsste die tiefe Weisheit dieser Aussage erkennen. An anderer Stelle habe ich einmal geschrieben, dass es sich mit der Literatur ähnlich verhält wie mit der Philosophie: Man bleibt ein ewiger Anfänger – es sei denn, man hieße Shakespeare oder James Joyce. Zu meiner eigenen bescheidenen Entwicklung als Autor hat nicht nur beigetragen, dass ich gute Lehrer wie Horst Pukallus, Ronald M. Hahn und Wolfgang Jeschke hatte, die mir buchstäblich über Jahrzehnte hinweg handwerkliche Grundfertigkeiten und professionelle Standards eingebläut haben, sondern überdies als Herausgeber die Ehre hatte, mit Autoren wie Justin Isis, Pasi Ilmari Jääskeläinen oder Greg Egan zusammenzuarbeiten, deren überragende Talente meine eigenen Fortschritte deutlich relativiert haben. Dabei ist mir immer mehr bewusst geworden, dass ich als Storyredakteur eines Magazins eine Position bekleide, die mir eigentlich nicht zusteht: Ich muss die Werke anderer beurteilen, über Veröffentlichung, Ablehnung oder Überarbeitung entscheiden, obwohl nur ein Teil meiner eigenen Produktion den Ansprüchen genügt, die ich im Idealfall an ein SF-Magazin stelle. Es ist vielleicht am vernünftigsten, wenn man in einer solch prekären Position die Arbeit mit der melancholischen Lässigkeit eines Privatdetektivs im klassischen Film Noir angeht: »Es war eine schmutzige Stadt und ein schmutziger Job. Irgendjemand musste diesen Job tun. Dieser Jemand war ich.« Nachdem mir von Kollegen bescheinigt wurde, dass ich einen gewissen Qualitätsstandard für Geschichten in Nova etabliert und aufrechterhalten habe, darf ich hoffen, dass ich meinen Job nicht ganz so schlecht gemacht habe.

    Das macht die Sache mit den klugen Ratschlägen für kommende Generationen nicht einfacher. Ich versuch’s trotzdem einmal.

    Im Vorwort zur Neuauflage ihres bedeutenden Romans The Golden Notebook (1962) zeigte Nobelpreisträgerin Doris Lessing, die selbst einen eher autodidaktischen Bildungsweg abseits eines konventionellen Schulsystems hinter sich hatte, einige Empörung darüber, wie kulturinteressierten Jugendlichen durch den Schulunterricht jegliche Leidenschaft für Kunst und Literatur eher ausgetrieben als nahegebracht wird. Wer sich als Neuling, gleich welchen Mediums, mit dem Wunsch trägt, selbst kreativ zu werden, und in den Kulturbetrieb hineinschnuppert, wird besonders in Deutschland leicht abgeschreckt von der Feiertagsstimmung und der Neigung zu abgehobenen Intellektualisierungen, die oft nur inhaltsleere Posen sind. Professionelle Kulturschaffende wissen, dass die Wahrheit der Kunst eine andere ist: Sie ist zunächst einmal ein Handwerk, eine Arbeit, die leicht in eine üble Plackerei ausarten kann. Könner in der Literatur, Musik, bildenden Kunst usw. zeichnen sich nicht durch schieres Talent oder den Empfang einer wundersamen göttlichen Gabe aus, sondern indem sie sich nie mit einer Arbeit zufriedengeben, solang sie wissen, dass sie es besser machen könnten und sollten. Charlie Chaplin trieb seine Schauspieler und Kameraleute schier zur Verzweiflung, als er eine Szene seines Meisterwerks City Lights (1931), noch nach Ende der eigentlichen Dreharbeiten, unzählige Male neu drehen ließ, bis er endlich die richtige Pointe für eine Einstellung gefunden hatte, die im Film nur wenige Sekunden dauert. Von Leonard Cohen wird berichtet, dass er Hunderte Textrevisionen seines berühmtesten Songs »Hallelujah« anfertigte, bisweilen auf dem Boden eines Hotelzimmer hockte und verzweifelt mit dem Kopf gegen den Boden hämmerte, bis er endlich gesagt hatte, was er sagen wollte. Eines der erhabensten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte, die Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle im Vatikan, war nur möglich, weil sich ihr Schöpfer unerschrocken dem gestellt hat, was man die Unausweichlichkeit des Profanen nennen könnte: Für Michelangelo Buanarroti muss es weniger ein erhabener Akt als eine brutale physische und mentale Anstrengung gewesen sein, mehrere Jahre lang Tag für Tag auf einem klapprigen Holzgerüst zu liegen und mit ungesunder Farbe zu hantieren. Auch in unserem Lieblingsgenre sind Beispiele dafür bekannt, auf welches Niveau der Ernsthaftigkeit die Arbeit an Werken, die solchen Aufwand rechtfertigen, getrieben werden kann: C. L. Moore hat ihr Meisterwerk »Vintage Season« (1946), eine der anerkannt besten Erzählungen des SF-Genres, unzählige Male umgeschrieben, um zu der schillernd perfekten Fassung zu gelangen, die bis heute immer wieder nachgedruckt und mit Genuss gelesen wird.

    Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Man kann nicht von jedem verlangen, der hobbymäßig oder nebenberuflich schreibt oder einfach Freude daran hat, Geschichten in einem kleinen Magazin wie Nova zu veröffentlichen, dass er seine Arbeit mit einem exzessiven Perfektionsanspruch betreibt, und das erwarten wir auch nicht. Aber Beispiele wie die oben genannten könnten als Ansporn, als Inspiration dafür dienen, sich genau zu überlegen, wie wichtig es einem ist, innerhalb des eigenen bescheidenen Rahmens sein Bestes zu geben, das Genre gründlich genug zu studieren, um neue und interessante Geschichten erzählen zu können, sich eine handwerklich saubere Darstellung, eine Grundfertigkeit an Stil, Grammatik, Orthografie und Interpunktion anzueignen und zu begreifen, dass zu all dem Arbeits- und Lernwilligkeit gehört und der Spaß, die Freude am Erreichten, erst ganz am Schluss kommt. Geschichten, die ein solches Mindestmaß an Ernsthaftigkeit erkennen lassen, suchen wir für Nova. Der Großteil aller Einsendungen, die wir erhalten, erfüllt bis heute diese Mindestanforderungen nicht – was keineswegs an der altmodischen Einstellung des Redakteurs Iwoleit liegt, wie gelegentlich gemunkelt wurde. Wer die Hoffnung hat, dass nun alles lockerer, die Zugangsschwelle in unser Magazin gesenkt wird, den wird Marianne Labisch, einige Jahre älter als ich und zumindest in dieser Hinsicht genauso »altmodisch«, sicher schnell eines Besseren belehren.

    Als Ronald M. Hahn, Helmuth W. Mommers und ich im Sommer 2002 Nova gründeten, war uns von Anfang an bewusst, dass wir in einer Szene mit begrenzten Möglichkeiten operieren. Nur wenigen Autoren in der Szene war zuzutrauen, stante pede erstklassige Storys abzuliefern, wie wir sie gern lesen wollten. Es war uns von vornherein klar, dass wir es zu einem überwiegenden Teil mit Amateur- und Hobbyschreibern, Anfängern und SF-Quereinsteigern zu tun haben würden, die entwicklungsbedürftig sind. Wer die ersten Nova-Ausgaben mit dem Produktionsstandard vergleicht, den Nova heute bei p.machinery erreicht hat, wird auf den ersten Blick erkennen, wie viel auch wir selbst als Magazinmacher lernen mussten. Es wird nichts Ehrenrühriges damit verraten, dass Nova in der Form, wie sich das Magazin entwickelt hat, einen Kompromiss darstellt. Wir versuchen, ein lesenswertes Kondensat aus der deutschen Science-Fiction zu destillieren, wie sie sich zu einem gegebenen Zeitpunkt darstellt, und die geschrumpfte SF-Leserschaft und die Überalterung der Szene wird es in Zukunft nicht einfacher machen. Innerhalb der Grenzen, die uns gesetzt sind, wollen wir aber das erreichte Niveau halten und wenn möglich sogar steigern. Zuversichtlich stimmt uns, dass immer wieder neue Talente auftauchen, wie in jüngster Zeit Aiki Mira, die hoffen lassen, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. Ich habe keinen Zweifel, dass meine geschätzte Kollegin Marianne Labisch unseren Lesern auf dem weiteren Weg unseres Magazins eine verlässliche Begleiterin sein wird.

    Michael K. Iwoleit

    Juni 2023

    P.S.: Michael Iwoleit wird sich zukünftig noch mit verschiedenen Tätigkeiten an der Entstehung der NOVA-Ausgaben beteiligen. Er wird die Gaststoryrubrik betreuen, die Einleitungen zu den Kurzgeschichten schreiben und sich um verschiedene Tätigkeiten im Hintergrund kümmern. (Der Verleger)

    Redaktionswechsel

    Thomas A. Sieber präsentiert in diesem NOVA letztmalig seine NOVAsekundär-Sparte. Ab NOVA 34 erfolgt die Zusammenstellung der einschlägigen Themenbeiträge durch Dominik Irtenkauf. Dominik, geb. 1979 im Remstal, ist freier Wissenschafts- und Kulturjournalist und Autor in Berlin. Er studierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster Germanistik, Philosophie und Komparatistik. 2007 verbrachte er im Rahmen eines MUSA-Stipendiums des georgischen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft drei Monate in Tbilissi (Georgien). 2017 führte ihn ein FONDS-Stipendium der Kulturstiftung des Bundes für eine Recherchereise nach Botswana und Namibia. Er schreibt regelmäßig für »Das Science Fiction Jahr«, »Telepolis«, »Raumfahrt Concret«, »Zukunft. Diskussionszeitschrift für Politik, Gesellschaft und Kultur« (Österreich) u. a. Gemeinsam mit Hardy Kettlitz (Memoranda Verlag) betreibt er den »Memoranda Science Fiction Podcast«. Seine Interessen beziehen sich auf Climate Fiction, Erkundung des Weltraums, Hermetik als Kunst & Philosophie, Science-Fiction (Studies), Theory Fiction, planetare Ökologie, anthropologische Aspekte der Popkulturen (www.anthropop.de). Science-Fiction-Literatur ist für ihn ein Möglichkeitsraum, wissenschaftliche Erkenntnisse und soziale Experimente in ansprechender Sprache auszudrücken.

    NOVAstorys

    Thomas Grüter: Freie Wildbahn

    »Die weisesten Menschen sind die Clowns, so wie Harpo Marx, der nicht sprechen wollte«, schrieb Philip K. Dick in der Einleitung zu seiner Kurzgeschichtensammlung Der Goldene Mann. »Wenn ich alles haben könnte, was ich wollte, würde ich mir wünschen, dass Gott auf das hört, was Harpo Marx nicht gesagt hat.« Man mag ein Paradox darin sehen, dass die Weisheit des Komischen eine Kunst ist, die ernsthafte Hingabe erfordert. Selbst erfahrene Autoren haben immer wieder darauf hingewiesen, wie schwierig es ist, humoristische Geschichten zu schreiben, ohne in Albernheiten zu verfallen. Mit seiner neuen Kurzgeschichte hat Thomas Grüter, wie wir finden, ein gelungenes Beispiel dieser Gattung abgeliefert. Sie greift eines der klassischen Themen der Science-Fiction auf: den Erstkontakt zwischen Menschen und Aliens. Nicht zum ersten Mal erscheint der Menschen hier als eine primitive Spezies, die zum Forschungs- und Zerstreuungsobjekt einer außerirdischen, scheinbar überlegenen Zivilisation wird. Allerdings stellen sich beide Seiten bei der Beobachtung wilder Tiere so tölpelhaft an, dass sich am Ende nur noch die Frage stellt, welche der beiden Spezies die dämlichere ist.

    Klewer grueter-gefahr-klewer

    Thomas Grüter: Freie Wildbahn

    Der Unterstand war eindeutig zu eng. Sie saßen zu viert darin und mussten sechs ihrer acht Tentakel eng an den Körper pressen. Die Wasseraufbereitung arbeitete mehr schlecht als recht, und so atmeten ihre Kiemen unangenehm stickiges Wasser. Die Kameras hatten sie vor ihr Führungsauge geschnallt und benutzen die beiden freien Tentakel für die Steuerung.

    »Bei dem Preis dieser Expedition hatte ich etwas mehr Komfort erwartet«, maulte Viifalura. »Warum beobachten wir die Krächzer nicht einfach vom Shuttle aus? Und natürlich in ihren Städten, wo sie massenweise herumwuseln?«

    »Du verwöhnter Schnösel!«, dachte der Gelehrte zweiter Klasse Flosiidij. Er hatte den Planeten mit einem Video der Krächzer mit ihrer rauen Sprache und den schwerfälligen Bewegungen berühmt gemacht. Aber der Planet stand unter Naturschutz und die Teilnahme an der Forschungsexpedition galt als ein seltenes Privileg. Flosiidij vermutete, dass Viifalura nur mitgekommen war, um hinterher vor seinen adeligen Freunden damit angeben zu können. Wissenschaftliche Ambitionen hatte der Kerl jedenfalls nicht. Er war durch die Eingangsprüfung der Akademie gefallen, und sein Antrag auf Wiederholung war wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit verworfen worden. Aber der Reiseveranstalter hatte von Viifaluras Familienoberhaupt eine großzügige Zuwendung für die Expedition erhalten.

    Heeriidoo, der ehrwürdige Gelehrte erster Klasse, antwortete auf Viifaluras Unverschämtheit: »Die landlebende pseudointelligente Lebensform dieses Planeten, die Sie Krächzer nennen, neigt dazu, alles anzugreifen, was ihr unbekannt oder bedrohlich vorkommt. Deshalb ist es ausdrücklich verboten, ihren Bevölkerungszentren nahe zu kommen, und wir müssen uns darauf beschränken, kleine Gruppen an entlegenen Orten zu beobachten.«

    Heeriidoo benutzte für seinen Tadel die klassische harmonische Sprache, eine vielfach verschlungene Melodie von Brumm- und Pfeiflauten. Flosiidij bezweifelte, dass Viifalura viel davon verstanden hatte.

    Heeriidoo fuhr fort: »Nach meiner Theorie ist die Ausbildung einer Intelligenz, die zu interstellarer Raumfahrt befähigt, nur für Wasserwesen möglich, wobei Kopffüßler wie wir natürlich außerordentliche Vorteile haben, weil wir kein Hartgewebe unterhalten müssen, das einer evolutionären Vergrößerung des zentralen Nervensystems enge Grenzen setzen würde. Bei landlebenden Tieren liegt der Fall noch eindeutiger: Sie brauchen derart viele Knochen und Muskeln, dass ihr Nervensystem niemals eine für echte Intelligenz ausreichende Größe erreichen wird. Also können sie nur eine Art Pseudointelligenz aufbauen, ähnlich wie Staaten bildende Insekten. Wenn sie, wie hier, in kleinen Gruppen auftauchen, muss ihr Verhaltensrepertoire also extrem eingeschränkt sein. Diese Theorie wollen wir mit dieser Expedition dokumentieren und nur dafür hat der Rat seine Genehmigung gegeben.«

    »Es ist meine Theorie. Ich habe die Genehmigungen besorgt«, dachte Flosiidij wütend. »Und dann hat sich dieser geringelte Tentakelspreizer einfach reingedrängt.«

    Er schirmte die Gedanken sorgfältig gegen die Nerven seiner Farbzellen ab, weil sich sein Ärger sonst in einer blaufleckigen Verfärbung gezeigt hätte. Und das konnte er sich nicht leisten. Noch nicht jedenfalls. Heeriidoo war aber mit Viifalura noch nicht ganz fertig: »Auch von Teilnehmern, die ihren Platz dem Mäzenatentum ihrer Familie verdanken, erwarte ich ein ehrenhaftes Benehmen, selbst wenn der enge Genpool ihrer Ahnenreihe einen negativen Einfluss auf ihre kognitiven Leistungen ausüben mag.«

    »Au weia, das hat gesessen!«, dachte Flosiidij. Nach Heeriidoos Tirade herrschte peinliches Schweigen, bis Vooraial, ihr Reiseführer, das Wort ergriff: »Exzellenzen! Im Namen von Galactic Wildlife Tours, dem führenden Anbieter von Expeditionen zur Beobachtung von Lebewesen in freier Wildbahn, begrüße ich Sie ganz herzlich zum Höhepunkt unserer Tour auf diesem Planeten. Zunächst möchte ich ausdrücklich zur Vorsicht mahnen. Der Unterstand ist von einem hochenergetischen Protektionsfeld umgeben. Das ist unvermeidlich, denn der Tunnel, der vom Meer zu diesem Unterstand führt, wäre sonst nur bis zur Höhe des Meeresspiegels mit Wasser gefüllt. Sollen Sie mit zwei Tentakelspitzen gleichzeitig in das Feld geraten, würden Sie damit einen Stromkreis schließen. Das wäre sehr schmerzhaft und könnte Sie schlimmstenfalls lähmen.

    Wir haben eine Sicherheitsschaltung, die das Feld aufhebt, bevor Sie ernsthaft Schaden nehmen, aber glauben Sie mir: Das wollen Sie nicht erleben. Seien Sie also bitte angemessen vorsichtig.«

    »Natürlich!«, murmelte Viifalura. »Mit zwei Tentakeln auf etwas zu deuten, ist sowieso vulgär.«

    »Die Aliens sind im Anmarsch«, erklärte Vooraial. »Ich möchte jetzt um absolute Ruhe bitten. Das Protektionsfeld gibt unsere Töne an die Gashülle weiter, und man würde uns hören.«

    Bob Mansfield, mit vollem Titel ›The Honorable Robert Charles Mansfield‹, hatte sich nie wirklich dazu berufen gefühlt, die Biologie von Pinguinen, Walen oder Pelzrobben zu erforschen. Dennoch stolperte er an diesem südlichen Sommertag eilig den felsigen Weg entlang, um nicht hinter den anderen Teilnehmern der Fotosafari zurückzufallen.

    Nachdem Mansfield vor zwei Jahren seinen Posten im Foreign Office aufgegeben hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass anspruchsvolle Fotosafaris zu entlegenen Orten dieser Welt eine angemessene Beschäftigung für einen Gentleman im Ruhestand seien, und die standhafte Weigerung seiner Frau, ihn zu begleiten, erfüllte ihn mit der Gewissheit, richtig entschieden zu haben. Die Wildtierfotografie war die erste Beschäftigung in seinem Leben, die sowohl ästhetisch ansprechende als auch dauerhafte Ergebnisse hervorbrachte. In seiner beruflichen Laufbahn war ihm solches nie vergönnt gewesen und so hatte er sich innerhalb von zwei Jahren in einen leidenschaftlichen und glücklichen Menschen verwandelt, eine Veränderung, die er vom Leben nicht mehr zu erhoffen gewagt hatte.

    Er nahm billigend in Kauf, dass er sein Hobby im Wesentlichen mit neureichen Ärzten, Rechtsanwälten und Ex-Managern teilte, und quälte sich, beladen mit dem sperrigen Fotokoffer, ohne Murren im tropischen Regen steile Pfade hoch, um Berggorillas zu beobachten, oder kletterte, wie jetzt, in Südgeorgien einen Hügel aus glitschigen, moosbewachsenen Steinen hinab. Das Wetter entsprach den Erwartungen eines subarktischen Sommertages: acht Grad über null, steife Brise und plötzliche Schauer. An dem felsigen Strand der kleinen Bucht lagen Seebären, riesige Robben, die fast nur in Südgeorgien vorkamen. Der Reiseleiter versammelte die zehn verschwitzten und unter der Last ihrer Kameraausrüstung keuchenden Naturfotografen, sobald die Gruppe schwerfälligen Schrittes den Strand erreicht hatten.

    »Im Namen von Wildlife World Tours, dem führenden Anbieter von Expeditionen zur Beobachtung von Tieren in freier Wildbahn, begrüße ich Sie ganz herzlich zum Höhepunkt unserer diesjährigen Südatlantikexpedition. Ich hoffe, unser kleiner Morgenspaziergang hat Ihnen ebenso gefallen wie mir«, begann er vergnügt seine Ansprache. Wie Mansfield etwas säuerlich bemerkte, wirkte ihr Führer weder kurzatmig noch erhitzt.

    »Wir werden hier die antarktischen Seebären – Arctocephalus gazella – fotografieren. Die Bullen erreichen ein Gewicht von mehr als hundertfünfzig Kilogramm und zählen damit zu den größten Robben der Welt. Auf Südgeorgien haben sie die Raubzüge der Robbenjäger zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts nur knapp überlebt. Heute stehen sie unter strengem Schutz und deshalb gibt es hier wieder mehr als eine Million Tiere. Die Bedingungen sind hier fast ideal. Wie Sie wahrscheinlich bereits wissen, wohnen auf der Insel trotz ihrer Größe von dreitausendsiebenhundertfünfzig Quadratkilometer weniger als hundert Menschen. Zurzeit tragen die Bullen ihre Revierkämpfe aus und sind ziemlich aggressiv. Auch wenn Menschen nicht auf ihrem Speiseplan stehen, empfehle ich doch dringend, einen großzügig bemessenen Sicherheitsabstand einzuhalten.«

    Mansfields Gedanken wanderten ab. Er sah sich um: Achtzehn Bullen lagen in respektvollem Abstand voneinander am Strand. Gelegentlich hob einer von ihnen den Kopf, sah sich um und ließ ein dumpfes Brüllen hören, was sowohl eine Warnung wie auch eine Herausforderung sein konnte. Zwischen den Bullen wuselten die deutlich kleineren Kühe herum. Sie warfen sich ins Meer, schoben sich an Land, sonnten sich und schienen die unbeweglichen Bullen weitgehend zu ignorieren.

    Eine helle Stimme fragte: »Wie entstehen eigentlich solche Steinhaufen?«

    Das war wieder Mahmood Irgendwas, der achtundzwanzigjährige pakistanische Softwareunternehmer, nein, der britische Softwareunternehmer mit pakistanischen Vorfahren – man musste schließlich korrekt sein, ermahnte sich Mansfield. Mahmood hatte seine Softwarefirma für einen zweistelligen Millionenbetrag an Google verkauft. Und jetzt brauchte er, wie er seinen Mitreisenden bereitwillig erzählt hatte, eine Auszeit. Mit dieser exklusiven Fotosafari hoffte er, seinen Horizont zu erweitern, um eine breitere Grundlage

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