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Sprachbilder und Sprechblasen: Heitere und ernste Überlegungen eines Sachsen zum Thema Muttersprache
Sprachbilder und Sprechblasen: Heitere und ernste Überlegungen eines Sachsen zum Thema Muttersprache
Sprachbilder und Sprechblasen: Heitere und ernste Überlegungen eines Sachsen zum Thema Muttersprache
eBook238 Seiten3 Stunden

Sprachbilder und Sprechblasen: Heitere und ernste Überlegungen eines Sachsen zum Thema Muttersprache

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Über dieses E-Book

Humorvoll über die Sprachschnitzer anderer zu meditieren, hat so mancher Autor versucht und damit, wie die Erfolge zeigen, eine Marktlücke getroffen. Das Buch "Sprachbilder und Sprechblasen" knüpft nicht einfach an solche Versuche an. Es stammt von einem aus der schreibenden Zunft, der in über 60 Berufsjahren nicht nur alle journalistischen Genres von Kurznachricht und Kommentar über Glosse und Reportage bis zum Essay, sondern auch alle dabei möglichen Fehler und Irrtümer selbst kennengelernt hat. Kritisiert er lächelnd Sprachunsitten, dann schwingt immer ein Hauch von Selbstkritik mit.

Die ehrliche, aber nicht blinde Liebe zur Muttersprache ist der rote Faden durch drei ganz unterschiedliche Teile des Buches. In den ersten fünf Kapiteln wird vorwiegend erzählt und mit vielen Exempeln aus dem täglichen Leben und Lesen reflektiert. Beispielsweise über die Geheimnisse der Stilebenen und die Gefahren beim Umgang mit ihnen, mit bildhaften Redewendungen und Fremdwörtern. Oder über die wundersamen Wechselbeziehungen zwischen der deutschen Sprache und Jiddisch, gegen die am Ende selbst der Antisemitismus nicht ankam. Aber auch über Geschichte im Spiegel von Liedtexten und über Sinn und Unsinn religiöser Phrasen in unserer Umgangssprache.

Der zweite Teil, das umfangreiche Kapitel sechs, ist leichtere Kost: eine Sammlung von 20 kurzen Sprachglossen zu Denglisch, Wortbombast, Schludrigkeit und weiteren Sündenfällen, denen man jeden Tag nicht zuletzt in den Medien, in der Politik und in der Werbung begegnet. Augenzwinkernd werden dabei Mode gewordene, oft fremdsprachige Begriffe und Bezeichnungen "erklärt", die viele benutzen, ohne Herkunft und Bedeutung wirklich zu kennen.

Im dritten Teil ist das Vergnügliche mit tiefem Nachdenken verbunden. Da werden überwiegend witzige stilistische Leckerbissen von vier Schriftstellern vorgestellt, die der Autor besonders ins Herz geschlossen hat, weil er ihnen viel verdankt und weil sie in ihrem Werk der deutschen Sprache auch nach der Vertreibung aus der Heimat und im Exil treu geblieben sind.
SpracheDeutsch
HerausgeberSax Verlag
Erscheinungsdatum11. März 2013
ISBN9783867295130
Sprachbilder und Sprechblasen: Heitere und ernste Überlegungen eines Sachsen zum Thema Muttersprache

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    Buchvorschau

    Sprachbilder und Sprechblasen - Ralf Bachmann

    bedankt.

    Zum Autor

    Ralf Bachmann

    wurde am 29. Dezember 1929 in der sächsischen Industriestadt Crimmitschau geboren. Er ist Sachse in der dritten Generation: Seine Großeltern lebten in Meerane und in Falkenstein (Vogtland), seine Eltern in Crimmitschau und Leipzig, er selbst wuchs in Crimmitschau, Leipzig und Grimma auf. Den heimatlichen Dialekt hat er mit der Muttermilch aufgesogen und konnte ihn nie verleugnen, obwohl ihn sein Beruf als Journalist schon 1953 zunächst nach Frankfurt (Oder) und dann nach Berlin führte, wo er bis heute zu Hause ist. Insgesamt elf Jahre leitete er die Büros der DDR-Nachrichtenagentur ADN in Prag und in Bonn. Im Auftrag der Agentur berichtete er über politische, sportliche und kulturelle Ereignisse in zahlreichen Ländern dreier Kontinente. Er begegnete herausragenden Persönlichkeiten wie »Che« Guevara, Salvador Allende, Willy Brandt, Berthold Beitz und Egon Bahr, interviewte in Lateinamerika und Osteuropa führende Staatsmänner, in Deutschland namhafte Künstler, Schriftsteller und Sportler.

    In den Monaten der Wende wurden ihm in den kurzlebigen letzten DDR-Regierungen informationspolitische Aufgaben übertragen. Er war in der Regierung Modrow stellvertretender Pressesprecher und danach Abteilungsleiter für Medienpolitik in der Regierung de Maizière. Als sich die traditionsreiche Verlegerfamilie Bode 1990 zur Neuherausgabe der »Nachrichten für Grimma« entschloss, übernahm Ralf Bachmann die Leitung der Redaktion, aber die kleine Lokalzeitung war der übermächtigen Konkurrenz der Großverlage nicht lange gewachsen. Später belieferte er den in Bonn erscheinenden Artikeldienst Presseplan mit Reportagen vorwiegend über Berlin und die Mark Brandenburg und schrieb viele Jahre heitere Sprachglossen für Zeitschriften. Wiederholt wurden Sprache und Stil seiner Arbeiten gewürdigt, 1986 erhielt er den Journalistenpreis der DDR »für beispielgebende journalistische Leistungen, die in der DDR Maßstäbe setzten«.

    Kindheit und Jugend Ralf Bachmanns waren von den Diskriminierungen geprägt, die er als »Halbjude« erlitt. Die Faschisten ermordeten mehrere seiner Angehörigen. Eltern und Bruder überlebten KZ und Zwangsarbeitslager. 1995 erschien seine Autobiografie »Ich bin der Herr«, 2006 »Die Bornsteins. Eine deutsch-jüdische Familiengeschichte«, 2009 »Ich habe alles doppelt gesehen. Erkenntnisse und Einsichten eines Journalisten.« Er ist verheiratet mit der Journalistin Ingeborg Bachmann. Beide haben eine Tochter, einen Sohn und vier erwachsene Enkel.

    Kapitel 1

    Die Sache mit dem Sparschwein oder Der mühselige Weg über den Bemmen-Äquator

    »... es sind die Wörter, die singen, die steigen und fallen ...

    Vor ihnen werfe ich mich nieder. Ich liebe sie, ich schätze sie, verfolge sie, zerbeiße sie, lasse sie im Mund zergehen ... So sehr liebe ich die Wörter.«

    Pablo Neruda

    Im Bermudadreieck des Hochdeutschen zwischen Leipzig, Dresden und Chemnitz geboren, habe ich dort Sprechen, Lesen und Schreiben in einem ständigen Kampf zwischen Schul-, Straßen- und Familiendeutsch gelernt. Letzteres war nur eine Mischung aus Schule und Straße, anders ausgedrückt: ein Kompromiss zwischen Schädel, Birne und Nischel. Mein Weg zum Hochdeutsch war also – soll ich sagen steinig? Aber Stolpersteine im Bermudadreieck? Ein albernes Bild. Vielleicht eher windig. Oder voller Höhen und Tiefen. Schwer zu steuern. Jedenfalls ist mancher in diesem Kampf gescheitert und ward jenseits des Bemmen-Äquators nicht mehr für voll genommen und verstanden.

    Das Problem beim Hochdeutschreden war für mich zunächst weniger, dass ich es nicht konnte, sondern dass ich es nicht durfte. Man wurde im südwestsächsischen Crimmitschau bei den Gleichaltrigen als erbärmlicher Streber angesehen, wenn man außerhalb der Schulstunde so redete, wie es die Lehrer verlangten. Schon in den Pausen akzeptierte ich den mir unvergesslichen Tadel eines Klassenkameraden als ehernes Gesetz: »Hasdu ehmd ›nein‹ gesaachd statts ›ne‹? Is denn hier ärchndwo ä Lehrer? Mich gönn die ma. Ich red offm Schulhof nich wie e feiner Binkl, sondern wie mer immr redn, wemmer under uns sin. Du hoffendlich ooch?«

    Meine Eltern ermahnten mich manchmal milde, mich doch beim Reden nicht so gehen zu lassen. Aber viel mehr vermochten sie nicht zu tun, sie waren ja auch in diesem Revier aufgewachsen und konnten das all ihren Bemühungen zum Trotz nicht leugnen. Die Meinung gewisser Experten, dazu bedürfte es zunächst einer Kehlkopfoperation, teile ich allerdings nicht.

    Vermutlich nur um einer angestrebten Karriere willen, für die einwandfreies Deutsch Bedingung war, überredete mich eines Tages mein sechs Jahre älterer Bruder zu einer finanziell unterfütterten wechselseitigen Sprecherziehungsmaßnahme: Wer im Gespräch die Regeln der korrekten Aussprache verletzt, muss für jede Sünde fünf Pfennige in ein gemeinsames Sparschwein stecken. Ein beiläufig gesprochener Satz »Määr als arbeeden gannsch ooch nich« kostete insgesamt zwei Groschen Strafe. Dazu kamen täglich die Bußgelder für »Gumma her«, »Sooch das nich«, »Geb mer eens«, »Das gammer nich gloom«, »Gwadsch«. Wir merkten bald, dass wir über unsere pekuniären Möglichkeiten sächselten und gaben auf, nicht das Sächseln, aber das Zahlen.

    Zarte Liebeslyrik auf Sächsisch?

    Immerhin übten wir dann und wann unentgeltlich weiter und lachten uns bei solchen Gesprächen wegen des beim jeweils Anderen gekünstelt anmutenden Klangs der »Hochsprache« gegenseitig aus. Allmählich erwuchs aus dem Spiel schließlich doch so etwas wie Sprachgefühl. Es kostete uns aber weiter Überwindung, gelegentlich »Keine blasse Ahnung« statt »Geen blassen Dunsd« zu sagen. Bis heute passiert es mir von Zeit zu Zeit, dass ich in unkontrollierten Momenten wohlig in die Sprache meiner Kindheit zurückfalle. Ich habe allerdings das Sächsisch, das wir in meiner Gegend sprachen, nie als schön oder gar liebenswert empfunden, sondern als quasi angeborenen Straßenjargon und oft nur als bequeme Schlamperei. Die deutsche Sprache wurde von Sächsisch seit Luther kaum bereichert. Die wenigen saxonischen Eigengewächse wie Bebbermumbe und Motschegiebschen, illern und didschn, Gelumbe und ei verbibbsch haben sich selten über Pleiße und Elster hinaus ausgebreitet. Für die literarische Erhöhung des Sächsischen habe ich nur in der Satire eines Hans Reimann (1889–1969), einer Lene Voigt (1891–1962), vielleicht noch einiger der besten Pfeffermühlen-Kabarettisten und natürlich auch des unvergessenen Sing-mei-Sachse-sing-Schöpfers Jürgen Hart Verständnis. Einen Naturhymnus oder zarte Liebeslyrik auf Sächsisch mag ich mir nicht einmal vorzustellen.

    Ganz anders geht es mir mit dem Erzgebirgischen und dem Vogtländischen, deren Klang mir ebenfalls seit meiner Kindheit vertraut ist. Das sind eigene Dialekte mit streckenweise heiterer Exotik und derber Schönheit, die ich ins Herz geschlossen habe. Einmal, als wir von Crimmitschau nach Leipzig übergesiedelt waren, kam es in der Schule zu einem peinlichen Vorfall. Meine Mitschüler, mit dem anspruchsvollen Leipziger Sächsisch gesegnet, machten sich über meinen Chemnitz-Zwickauer Singsang lustig, und das auf der letzten Silbe betonte langgezogene »gellehee« (statt »nischwohr«) nach manchem Satz löste Lachsalven aus. Ich behauptete deshalb völlig zu unrecht, ich spräche eben eher Vogtländisch, weil meine Mutter von dort, aus Falkenstein, stamme. Gefährlich wurde das, als mir der zweifelnde Lehrer daraufhin auftrug, ein paar vogtländische Gedichte, die er gesammelt habe und mitbringen wolle, in der Originalaussprache vorzutragen.

    Bemüht buchstabierte ich also in der nächsten Stunde, falls mich die Erinnerung nicht trügt: »Is des e schäss Fleckl, wie kaans af dr Welt, mirs nörgnst sue gut wie im Vuegtland gefellt ...« und »Dem Kanner, dem hamse sei Hosen gestuhln ...«, ein Gedicht, das auf die Lautverschiebung zwischen »a«, »o« und »u« in dieser Mundart abzielt, »wue de Hasen Hosen und de Hosen Huesen haaßen« (wobei man ue nicht als ü spricht, sondern das e nach dem u nur anhaucht). Meine Falkensteiner Freunde mögen Fehler verzeihen, es ist über 70 Jahre her. Ich habe mich wohl trotzdem ganz geschickt aus der Affäre gezogen, denn ich bekam ein Lob.

    Warum ich nicht Schauspieler wurde

    Aber während ich das Vogtländische bei aller Liebe nie zu lernen vermochte, wurde mir der Großstadtjargon so schnell vertraut wie das Gimmelgörnergaun. In Leipzig näherte ich mich dann auch dem Hochdeutschen an. Die beiden Gründe dafür hießen Oberschule und Größenwahn. In der privaten »Teichmannschen Oberschule für Jungen«, die ich besuchen musste, weil nur sie noch bereit war, »Halbjuden« wie mich aufzunehmen, überwogen in der Schülerschaft Söhne von Fabrikbesitzern und Professoren. Sie waren zwar in der Mehrzahl miserabel erzogen und schrecklich überheblich, sprachen aber selbst auf der Toilette fast akzentfrei, da sie es von zu Hause nicht anders kannten. Ich musste mich dem anpassen, wenn ich mich nicht blamieren wollte. Ohnehin wurde Deutsch bald zu meinem Lieblingsfach, weil ich einmal in einer Stunde zwei Aufsätze statt des einen schrieb, der gefordert war, und für beide »sehr gut« erhielt.

    Darüber hinaus lernte ich ziemlich mühelos Gedichte auswendig und meldete mich munter zum Rezitieren. Eine Zeit lang träumte ich, ein großer Schauspieler zu werden. Dieser Traum platzte, als wir mit verteilten Rollen den Osterspaziergang lasen und ein anonymer Mitschüler meinen Part in der Pause danach so an die Tafel schrieb: »Dursch des Frihlinks holten beläbenten Plig.« Das war eine hundsgemeine Übertreibung. Doch sie war tödlich für meine künstlerischen Phantastereien. Ich beschloss auf der Stelle, nur ein gewöhnlicher Schreiber zu werden, bei dem es auf die Rhetorik nicht ankommt.

    Kurz vor Kriegsende war wohl ein Lied (Näheres in Kapitel 3) der Anlass dafür, dass ich von der Schule flog, ohne einen Abschluss zu haben. Trotzdem bewarb ich mich 1945 gleich nach der Befreiung als Volontär bei dem Lokalblatt »Nachrichten für Grimma«. Die ersten journalistischen Erfahrungen blieben bescheiden, da die sowjetische Besatzungsmacht, als sie die amerikanische nach ein paar Wochen in Westsachsen ablöste, keine deutsche Lokalzeitung duldete. Noch bis 1948 sollte es dauern, bis ich mein Volontariat in einer »richtigen« Redaktion, der der Leipziger Volkszeitung, fortsetzen konnte. Ungeschult und aus der Provinz kommend fühlte ich mich im Kreise gestandener Journalisten sehr unwohl. Da gab es Meister des Worts wie die späteren Schriftsteller Erich Loest, Bruno Apitz und Carl Andrießen, Redakteure, die schon in der Weimarer Republik, einer sogar im Kaiserreich, an Arbeiter- und Gewerkschaftszeitungen tätig waren, junge Leute mit Uniabschluss oder wenigstens Einserabitur – ich kam mir anfangs vor, wie sich ein Regionalligist unter Bundesligaprofis fühlen mag, schwor mir aber, fleißig zu lernen und zu üben.

    Anfänger und Ausbilder zugleich

    Doch es blieb keine Zeit für lange Lehrjahre. Ich musste mich von Anfang an jeden Tag bei kleinen und größeren Lokalterminen bewähren: Auftritt des Zauberers Marvelli in der Kongresshalle, Eröffnung einer Zierfischschau, Tauschbörse der Philatelisten, Besuch in einem Metallbetrieb, um für den von Schulabgängern abgelehnten, aber volkswirtschaftlich wichtigen Beruf des Formerlehrlings zu werben, Reportage über den Publikumsverkehr in der größten Leipziger Bibliothek. Wie man Nachrichten und Berichte schreibt, konnte ich nirgendwo nachlesen, sondern nur bei den anderen abgucken oder mir selbst beibringen. Als Lehrbücher dienten mir die zahlreichen Korrekturen der jeweiligen Redaktionsleiter an meinen Manuskripten. Mehr und mehr konnte ich mich aber auch auf meinen Sprachinstinkt und meine Phantasie, meine Freude am Feilen von Formulierungen verlassen. In jeder freien Minute las ich alle Bücher, die mir in die Hände fielen. Mit der gleichen Inbrunst, mit der ich als Schüler die Abenteuer Karl Mays, Jack Londons und Friedrich Gerstäckers und den Liebeskitsch von Hedwig Courths-Mahler und ihrer Tochter Friede Birkner verschlungen hatte, studierte ich nun auf Empfehlung unseres Kulturredakteurs Alfred M. Uhlmann den Stil und die Wortkünste der Romantiker Eichendorff, Novalis und Stifter, vor allem aber die Novellen von Gottfried Keller und immer wieder die Balladen von Goethe und Schiller.

    Die Zeitung litt unter Redakteurmangel. Von denen, die in den Nazizeitungen gedient hatten, kam niemand mehr in Frage, die meisten waren ohnehin längst im Westen. Aber auch unter den neuen Redakteuren galten strenge »Kaderkriterien« der Partei (die LVZ war von Anfang an ein Organ der SED): keine Konzentration von Kleinbürgern, keine Konzentration von Intellektuellen, keine Konzentration von früheren Sozialdemokraten und Westemigranten. Bei den Säuberungen wurden immer wieder begabte Journalisten ausgesondert. Der Ersatz sollte nach den Vorgaben der Parteiführung aus der Arbeiterklasse, vor allem aus dem Kreis der »Volkskorrespondenten«, kommen. So ergab sich, dass ich, ehe ich michs versah, vom Anfänger zum Lehrmeister wurde, indem ich einen Traktoristen, eine Putzmacherin und einen Modellbauer in die Geheimnisse des journalistischen Handwerks und der journalistischen Sprache einweihen musste, die ich doch selbst noch nicht richtig beherrschte.

    Glücklicherweise zeigte sich, dass in ihnen Talent steckte. Allen Unkenrufen zum Trotz wurden sie mit meiner Hilfe früher oder später tüchtige Redakteure. Darauf war ich als gerade mal 18-jähriger Ausbilder stolz. Es störte mich wenig, dass sie die zahlreichen Fertigteile der marxistisch-leninistischen Parteisprache am schnellsten verinnerlichten. Die brauchten sie ja schließlich. »Unter Führung der siegreichen Sowjetunion und unserer leninistischen Kampfpartei schlagen wir die amerikanischen Imperialisten und Kriegstreiber und ihre westdeutschen Handlanger und eilen einem neuen Morgen in einer Welt des Friedens und des Wohlstands entgegen, in der kein Platz für Ausbeuter und Unterdrücker ist.« Wenigstens diese eine Kostprobe soll hier nicht fehlen, sie hat ja schon wieder Unterhaltungswert. Damals war diese Sprache zu schreiben eine Qual nicht nur für mich. Freiwillig redet und schreibt wohl kein normaler Mensch in dieser Art. Aber wie sich zeigt, verlernt man es auch nicht.

    Die Sprache ist eine lebendige Sache

    Beim Fernstudium an der journalistischen Fakultät der Leipziger Universität Mitte der 1950er Jahre wurde mir ein theoretisches Gerüst für das verpasst, was ich schon fast zehn Jahre in der Praxis getrieben hatte. In Erinnerung geblieben sind mir Buchtitel wie »Wörter und Wendungen« oder »Stilistische Mittel und Möglichkeiten«. Manche davon stehen noch in meinem Bücherschrank. Ich lese schon lange nicht mehr darin, wie sehr es mir damals auch geholfen hat. Die Sprache ist eine lebendige Sache, verändert sich Tag für Tag, bricht, wenn es sein muss, alle Regeln, oft auch dann, wenn es nicht sein muss. Die stilistischen Korsettstangen dagegen bleiben steif und bleiben zurück. Als Zeitungsschreiber darf man nicht konservativ sein, sondern muss seine Schreibe in der Art weiterentwickeln wie das Volk spricht.

    Nicht anders ist Luthers berühmte Forderung zu interpretieren, man solle »dem gemeinen Mann auf dem Markt auf das Maul sehen« (Sendbrief vom Dolmetschen 1530). Dem Sinne nach riet das auch die Moskauer Germanistikprofessorin Elise Riesel, eine damals anerkannte Lehrmeisterin der DDR-Stilkundler, in ihrem Werk »Abriss der deutschen Stilistik«. Seinerzeit war es mir wie Schuppen von den Augen gefallen, als ich ihre Wertskala der Stilebenen gelesen hatte. Auch beim Wiederlesen staunte ich jetzt ein wenig. Vieles von dem, was sie geschrieben hatte, war gültig wie einst. Aber die international angesehene Philologin war noch in ihrem 1954 erschienenen Buch offenkundig zu einer Ergebenheitsadresse gegenüber dem 1953 gestorbenen großen Stalin genötigt worden.

    Schon im ersten Absatz versichert sie, Stalins Arbeit »Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft« zum Ausgangspunkt aller Begriffsbestimmungen gemacht zu haben. Dieses längst vergessene »geniale Werk des großen Lenkers des Weltproletariats« ist insofern bemerkenswert, als es Ende 1950 auf dem Höhepunkt des kalten Krieges erschienen war und alle Welt, die sozialistische voller Hoffnung, die westliche voller Unruhe, auf ein Wort Stalins zu den aktuellen Sorgen der Menschheit um Krieg und Frieden gewartet hatte.

    Stattdessen äußerte er sich mit sehr zweifelhaften Thesen – etwa mit der Behauptung, Russisch werde das Englische als Weltsprache ablösen, weil es die fortgeschrittenere Gesellschaftsordnung verkörpere - zu einem in dieser Situation so nebensächlichen Gebiet wie der Linguistik. Ich erwähne das nur deshalb, weil es ein Schock für mich und gewiss auch für die Professorin war. Wenn sich Stalin zu Wort meldete, war das so wichtig und sakrosankt, als habe Gottvater über ihn eine dritte Gesetztafel mit den Geboten 11 bis 15 auf Erden geschickt. Aber was sollte denn das jetzt bedeuten? Jedenfalls mussten alle DDR-Zeitungen den Wortlaut veröffentlichen und jeder Genosse dazu im Parteilehrjahr begeistert Stellung beziehen. Es war eine irre Hoch-Zeit des Dogmatismus, und wir wurden uns dessen nicht einmal so recht bewusst.

    Vom Dogmatismus geprägt waren auch manche Lehrmaterialien der Fakultät. Wie sollte man zum Beispiel ein wissenschaftliches Lehrbuch über die 15 Phasen beim Schreiben eines Artikels ernst nehmen? Kein Journalist denkt bei der Arbeit auch nur einen Augenblick über Phasen nach, eher schon über Phrasen. In einem Beruf, in dem es um Schnelligkeit, Beobachtungsgabe und Sprachbeherrschung geht, ist gekonnte Improvisation statt Schreibbürokratismus gefragt.

    Das Hohelied auf den Dozenten Bach

    Gott sei Dank hatte ich im Fach Deutsch einen Dozenten namens Bach, der die von mir als Fernstudent und Mann der Praxis eingeschickten Texte über mehrere Semester hinweg stets mit feinem Sprachempfinden und pädagogischem Geschick kommentierte. Seine handschriftlichen Anmerkungen habe ich mir aufgehoben. Bachs kritische Hinweise waren fast zärtliche Ohrfeigen. Mit etwas Schmeichelei schmackhaft gemacht, wirkten sie lebenslang nach. Nur drei Beispiele: »Die Lösung der Aufgabe hält sich fern von trockener und abstrakter Diktion.

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