Apoll und Daphne: Geschichte einer Verwandlung
Von Burkhard Müller
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Über dieses E-Book
Ovids Text ist heute jedoch mehr denn je eine Herausforderung: Allein schon das antike Versmaß bereitet im Deutschen Kopfzerbrechen. Auch wenn das mythische Geschehen klar erscheint, erweist sich Ovids Sprache als so komplex, dass sich Generationen von Schülern daran die Zähne ausgebissen haben. Wie ist mit einer Sprache umzugehen, die niemandes Muttersprache mehr ist, mit einer literarischen Form, die wir kaum noch durchschauen?
Für Burkhard Müller schafft erst die Einsicht in das, was uns von den Zeiten Ovids trennt, die Voraussetzung für eine Annäherung an sein Werk. Indem Müller den Geist der antiken Vorlage einzufangen versucht, bietet er uns einen Schlüssel nicht nur zur lateinischen Dichtkunst, sondern auch zu der von ihr inspirierten abendländischen Kunstgeschichte.
Burkhard Müller
Burkhard Müller, geboren 1959, ist Dozent für Latein an der TU Chemnitz. Er schreibt regelmäßig für die »Süddeutsche Zeitung« und »Die Zeit«. 2008 erhielt er den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik. Im zu Klampen Verlag sind erschienen: »Schlussstrich« (1995, 2004), »Verschollene Länder« (1998, 2013), »Der König hat geweint« (2005), »Die Tränen des Xerxes« (2006), »Lufthunde« (2008) und »Fälschungen, Verwandlungen« (2016).
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Buchvorschau
Apoll und Daphne - Burkhard Müller
Reihe zu Klampen Essay Herausgegeben von Anne Hamilton
Burkhard Müller,
geboren 1959, ist Dozent für Latein an der Technischen Universität Chemnitz. Er schreibt regelmäßig für die »Süddeutsche Zeitung« und »Die Zeit«. 2008 wurde er mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet. Im zu Klampen Verlag sind von ihm erschienen: »Schlußstrich. Kritik des Christentums« (2004); »Der König hat geweint. Schiller und das Drama der Weltgeschichte« (2005); »Die Tränen des Xerxes. Von der Geschichte der Lebendigen und der Toten« (2006); »Lufthunde. Portraits der deutschen literarischen Moderne« (2008); »Verschollene Länder« (2013) und »Fälschungen, Verwandlungen. Vom schönen Schein der Bilder, Häuser und
Menschen« (2016).
BURKHARD MÜLLER
Apoll und Daphne
Geschichte einer Verwandlung
zu Klampen Essay
2020
zu Klampen Verlag
Röse 21 · D-31832 Springe
info@zuklampen.de · www.zuklampen.de
Reihenentwurf: Martin Z. Schröder, Berlin
Satz: textformart, Göttingen
Gesetzt aus Baskerville Ten
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH
ISBN 978-3-86674-754-8
Bibliographische Information der
Deutschen Nationalbibliothek :
Die Deutsche Nationalbibliothek
verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliographie;
detaillierte bibliographische Daten
sind im Internet abrufbar:
http://dnb.d-nb.de
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Der Dichter
Die Geschichte
Die Sprache
Die Bilder
Der lateinische Text
Der deutsche Text
Bildnachweise
Textnachweis
Vorwort
EIN Gott verfolgt eine Nymphe, die er begehrt, über Stock und Stein; und sie entzieht sich, indem sie sich in einen Strauch oder Baum verwandelt (denn der Lorbeer kann beides sein) – mehr passiert eigentlich nicht in dieser kleinen mythologischen Geschichte von Apoll und Daphne, die Ovid in seinen »Metamorphosen« erzählt. Sie umfasst kaum mehr als hundert Verse, lässt sich in einer Viertelstunde lesen, alles darin scheint auf der Hand zu liegen.
Und doch bündelt sich unter dieser klaren Oberfläche wie in einem Brennglas das, was uns die Antike zu einer fernen und fremden Zeit macht. Wer sind diese Götter und Nymphen? Glaubt denn der Spätling Ovid noch an sie? Und wie wäre seine Frömmigkeit beschaffen, wenn er sich so offenkundig über sie lustig macht? Welche Rolle spielt in den Reden, die er schwingt, die Schule der Rhetorik? Was besagt dieser Doppellauf über die Beziehung der Geschlechter, über das Verhältnis von Verführung und Gewalt? Wie kann es als Rettung gelten, wenn aus einer Frau ein Baum wird? Und warum kennt jenes Zeitalter keinen Wald, nur Bäume? Wie konnte aus dem uralten Animismus plötzlich die Allegorie erwachsen? Und wieso kam der Autor in seinem Dichten und Denken nicht los von seinem großen Feind, dem Kaiser Augustus?
Ovid schöpft bereits aus einer tausendjährigen Überlieferung; seither sind zwei weitere Jahrtausende vergangen, in denen sein Text auf vielfältige Weise fortgewirkt hat. Es geht darin um Verwandlung; und verwandelt hat er auch sich selbst. Haben wir heute noch eine Chance, in die Sprache dieses Werks einzudringen? Wie kann es gelingen, für die Gegenwart eine literarische Form zu retten, deren Voraussetzungen uns kaum noch begreiflich sind? Oder was bliebe, wenn wir die alte Form preisgeben müssen? Glückt uns die neue? Kann von einer Kontinuität der Kultur die Rede sein, wenn uns so viel vom Überkommenen trennt? Wollen wir dieses Erbe denn überhaupt haben? Da ist es jedenfalls, denn heute geht in einem materiellen Sinn nichts mehr verloren. Und wenn ja, was sind wir bereit dafür zu bezahlen? Jedes Erbe, mag es auch aussehen wie ein reines Geschenk, hat seinen Preis. Ovid ist bis heute lateinischer Schulautor; aber die Schüler schaffen ihn nicht, und kaum die Lehramtsstudenten, die ihn hassen, wenn er im Staatsexamen drankommt. Für das historische Selbstverständnis einer Gesellschaft ist es wichtig, ob sie im Rahmen der allgemeinen Bildung auch weiterhin für eine Sprache Platz finden will, die keiner mehr mit der unbedachten Instinktsicherheit des native speaker spricht; über die er also nachzudenken hat. Bleibt Latein, das heißt: bleibt es als Schulfach? Das wird sich nicht zuletzt am Umgang mit Ovid entscheiden.
So viele Fragen! Antworten gegeben hat die bildende Kunst, für die in ihren längsten und möglicherweise besten Zeiten die »Metamorphosen« des Ovid, gleich nach den biblisch-christlichen Themen, zur wichtigsten Quelle der Anregung wurden. Gerade Daphne und Apoll haben es ihr angetan. Wie aber kann man eine Verwandlung malen, die Zeit braucht, wo doch ein Bild still stehen muss? Da haben sich die Künstler einiges einfallen lassen. Nicht alles funktioniert; doch interessant ist es immer, es kommen dabei Gesetze und Grenzen der Kunst überhaupt zum Vorschein. Und manche Maler wuchsen über den Schriftsteller hinaus.
Die »Metamorphosen« des Ovid haben zwei Kernsätze: Keinem bleibt seine Gestalt; und: Jeder Ort hat seine Geschichte. Zusammen umreißen sie das, was Tradition bedeutet. Wo sie lebt, da tut sie es in beiden Reichen zugleich, Raum und Zeit, folgenreich selbst dort, wo wir sie kaum mehr erkennen, und substantiell entfremdet gerade in ihren stolzesten Altertümern. Der schmale Korridor, worin Apoll und Daphne spielen, öffnet im perspektivischen Sturz den Blick in die Tiefe.
Der Dichter
VOR einiger Zeit bekam ich in meinem Büro an der Universität Besuch vom erzürnten Vater einer Zehntklässlerin. Diese hatte in einer Latein-Schulaufgabe einen Vierer kassiert, genaugenommen sogar einen