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7pfeiffer: Der Demokratie-Rebell
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eBook386 Seiten4 Stunden

7pfeiffer: Der Demokratie-Rebell

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Über dieses E-Book

Historien-Roman anhand wahrer Begebenheiten
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. Sept. 2021
ISBN9783347387225
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    Buchvorschau

    7pfeiffer - Dieter Bischoff

    Vorwort 1

    1828

    An seinem 39. Geburtstag, am 12. November, stand Philipp Jakob Siebenpfeiffer nicht der Sinn zum Feiern. Sein Ehrentag erwischte den Homburger Landcommissär quasi auf dem falschen Fuß. Erstens lag sein geliebtes Töchterchen Cornelia erkältet, fiebernd in ihrem Bettchen und litt erbärmlich; zweitens war er die Nullnummer seiner künftigen Kampf-Zeitschrift »Rheinbayern«, gegen die bayrische Obrigkeit zum geplanten Termin – seinem Geburtstag – trotz größter Bemühungen schuldig geblieben. Die Druckereien, mit denen er über die Herstellung des Druckwerkes verhandelte, zögerten. Darunter der Zweibrücker Verleger und Drucker Georg Ritter, obwohl der sein Buch »Baden-Baden oder Rudolph und Helmina ein episches Gedicht in zwölf Gesängen« verlegt hatte. Mit diesem Werk konnte der umtriebige Doktor der Jurisprudenz zwar seine romantisch literarische Ader bedienen, aber nicht sein rebellisch aufmüpfiges Wesen. Philipp Jakob Siebenpfeiffers Ego lechzte nach politischem Widerstand, nach Aufklärung und nachhaltigem Aufrütteln des darbenden Volks. Jetzt war sein Töchterchen schlimm erkrankt und sein »Rheinbayern« immer noch ein Traum. Im Keller seines stattlichen Amts-Hauses im Zentrum Homburgs lagerten genug in Faschen abgefüllte Rebensäfte aus seinem Homburger Weinberg, aber mit wem sollte er aus welchem Grund anstoßen?

    Wenigstens kümmerte sich seine Gattin Emilie aufopfernd um die Kleine. Sie nahm sogar die Hilfe eines Arztes und eines Apothekers in Anspruch. Dank seines hohen Amtes konnte sich der am Fuße des Schwarzwalds, in Lahr gebürtige mit Saarbrücker Familien-Wurzeln die Gesundheits-Spezialisten leisten. Sein Töchterchen und seine Gemahlin betete er an. Seine Liebe zu E-milie – die Tochter seines Freiburger Doktorvaters – hatte sogar dazu geführt, dass in seinen Manifesten die Frauen-Gleichberechtigung im patriarchalisch denkenden Europa immer breiteren Raum annahm. Der zürnende Rebell war auch ein Romantiker, was seine Gattin von Anfang an verzauberte. Und so fragte er sich, wenn auch zweifelnd, ob er anlässlich seines Wiegenfestes nicht wenigstens ein Gläschen Eiswein mit ihr trinken sollte?

    Jener besonders edle, aus Trauben gewonnene Tropfen, stammte zwar aus einem anderen Anbaugebiet, aber Emilie liebte das honigsüße, seimige Getränk und neigte dazu nach dessen Genuss sogar verwirrend anschmiegsam zu sein.

    Vorwort 2

    1978

    Es war tiefe Nacht. Roman Riminian bewegte in der schmalen Dunkelkammer sachte die DIN A-3-Entwicklerschale, die er mit beiden Händen hielt. Augenblicklich färbten sich die belichteten Teile des Films in der Entwickler-Flüssigkeit pechschwarz ein. Selbst im schwachen Dunkelkammer-Rotlicht war der ihn immer wieder faszinierende Vorgang deutlich zu sehen. Das Repro stammte von einem Papier-Klebe-Layout eines Juwelier-Prospektes und schien in Ordnung zu sein. Seit ihm der Densitometer seiner neuen vertikalen Agfa-Reprokamera elektronisch präzise Belichtungszeiten vorgab, entwickelte Riminian nur noch perfekt belichtete Offset-Filme. Jetzt noch die mitbelichteten Dreckpunkte auf dem Leuchttisch retuschieren und er konnte mittels Kontaktkopie einen Positiv-Papierabzug vom Negativ ziehen.

    Im gleichen Augenblick schoss ihm ein Gedanke so kristallklar und unmissverständlich durch den Kopf, dass er erschrocken innehielt. Für einen magischen Augenblick verschlug es ihm den Atem, weil er gleichzeitig mehr musste, als ihm schwante, seine Eingebung würde bahnbrechend für ihn sein – ein Quantensprung in seiner Vita. Ein eigenes Blatt gründen! war ihm – wie ein greller Blitz – durch den Kopf gezuckt. Eine Gratis-Monatszeitung in Magazin-Qualität. Vierfarbig!

    Roman Riminian war plötzlich klar, was er mehr als alles andere wollte: den Werbetreibenden der Region Qualitäts-Marketing in allen Facetten anbieten – also auch in gedruckter Form; leider waren die in der Saarpfalz angebotenen Printmedien in ihrer Qualität eine einzige Zumutung.

    Roman Riminian konnte sich ein Urteil erlauben. Wenige Monate zuvor war dem 26-jährigen Schriftsetzer-Meister an der »Akademie für das graphische Gewerbe München« auch das Diplom »Staatlich geprüfter Drucktechniker« überreicht worden. Solcherart geschult, war er in seiner Geburtsstadt Zweibrücken mit einer Werbeagentur in die Selbständigkeit gestartet – ein tollkühnes Unterfangen, fehlte ihm doch für das Basis-Thema »Werbung und Marketing« eine adäquate Ausbildung. Immerhin war als Schriftsetzermeister ein kreativer Typograf und Layouter; und noch etwas war er: gierig. Wissbe-gierig und neu-gierig auf geradezu alles. Des Weiteren lag ihm das Schreiben im Blut; leider mit der Tendenz damit seine Bereitschaft zum Rebellieren zu formulieren. Im Grunde genommen war Roman Riminian ein potenzieller Anarchist, ohne es auch nur zu ahnen. Angesichts dieser charakterlichen Disposition war ihm eine investigativ journalistische Tätigkeit quasi in die Wiege gelegt; dazu kam sein Fachwissen, das ihn befähigte seine Texte quasi im gleichen Arbeitsgang als reprofähigen Vorlagen zu erstellen. Einmalig lieferte Roman Riminian von der Text-Idee bis zur Druckvorlagenherstellung alles aus einer Hand. Darüber hinaus hätte er seine Zeitung auch selbst drucken können. Als Drucktechniker war er zudem berechtigt Lehrlinge – so nannte man Azubis einst – aller Berufe des grafischen Gewerbes auszubilden. Sogar die neuen Berufe Fotosetzer und Druckvorlagenhersteller, die Ende der siebziger Jahre im Zuge der Desktop-Publishing genannten technischen Genre-Revolution, geschaffen wurden. In die neuen Techniken hatte der junge Unternehmer voller Überzeugung nicht nur sein Erspartes, sondern auch einiges Geliehenes investiert.

    Roman Riminian war deshalb in der Lage seine Texte mittels Fotosatz-Maschine selbst zu erfassen, Papierfahnen zu belichten, zu entwickeln, mit Reprobildern auf Fotopapier zu ergänzen, die Teile zu layouten und von den Papiermontagen Offsetfilme zu ziehen, die er der Offset-Druckerei seiner Wahl zur Verfügung stellte. Diese brauchte nur noch die Druckplatten zu belichten, zu drucken und die bedruckten Papierbögen buchbinderisch zu verarbeiten. Solcherart entlastet, konnte man Roman Riminian günstige Herstellungs-Kosten anbieten. Auf dieser Basis war er in der Lage preiswert das erste vierfarbige Anzeigenblatt Deutschlands herzustellen und auf den Markt zu bringen. Als ihm dieses Licht in der Dunkelkammer ultimativ aufging – wie paradox – musste er sich erst einmal beruhigen. Zwar war Zweibrücken, neben Mainz, eine der ältesten Druckerstädte der Welt, aber in keiner der örtlichen sechs Druckereien stand eine Millionen teure 70 x 100 Zentimeter-Fünffarben-Offset-Druckmaschine, die er zum maßgeschneiderten Realisieren seines Vorhabens brauchte.

    In der alten Herzogstadt druckte ein gewisser Jörg Geßner schon zu Lebzeiten Gutenbergs, erfand Christian Dingler später die Kniehebelpresse und wurde im gleichnamigen Werk – nach einer Idee von Cašpar Hermann – die erste Offset-Druckmaschine der Welt gebaut. Dennoch konnte sich keine der einheimischen Druckereien adäquat zu diesem Vermächtnis entwickeln. Was Roman Riminian in diesem atemberaubenden Augenblick nicht interessierte. Irgendwo in der Nähe – war er überzeugt, würde eine von ihm benötigte Druckmaschine – quasi maßgeschneidert – schon auf seinen Auftrag warten.

    Dieser schicksalhafte Vorgang – eruierte er Jahre später – widerfuhr ihm am 12. November 1978; außerdem stellte er fest, dass an einem 12. November auch ein gewisser Philipp Jakob Siebenpfeiffer geboren wurde.

    Die Nullnummer von Roman Riminians »Zweibrücker Journal« erschien zwei Wochen vor Weihnachten, nachdem er drei Tage und Nächte nonstop durchgearbeitet hatte. Das Konzept, mit Inhalts-Ideen, Themen und Layout hatte er nur abrufen und umsetzen müssen. Irgendwie und irgendwo war alles geheimnisvoll in seinem Gehirn abgespeichert gewesen.

    Zwei ‚Jahre später würde er in seinem dann in der Saarpfalz bewunderten und gefürchteten Blatt zürnen und eifern, ja wüten – wie einst Doktor Siebenpfeiffer in seinen Kampf-Schriften »Rheinbayern« und »Der Bote aus dem Westen«.

    Kapitel 1

    Ritters Ritterschlag

    „Werter Herr Ritter, großer Meister der »Schwarzen Kunst«. Betrachten sie sich herzlich in Homburg in meinem Haus von mir und meiner Gattin Emilie begrüßt. Mir ebenbürtig, wird sie mich bei unseren Erörterungen klug unterstützen. Ihre geschätzte Beratung nehme ich immer öfter in Anspruch. Im Übrigen werde ich – auch in meinen Schriften – künftig die Gleichstellung von Mann und Frau betonen und von den allerhöchsten politischen Herrschaften auch verlangen. Auch deshalb drängt es mich zu einer eigenen Zeitschrift, ist zu erwähnen."

    „Zu großzügig", erwiderte Ritter mokant zweideutig, unsicher nur in den Mundwinkeln schmunzelnd. Eine Frau ihrem Gatten ebenbürtig?! Und als nächstes auch Kinder?!, durchzuckte es ihn zynisch, bevor er den Gedanken verjagte. Er war mit seiner Kutsche aus Zweibrücken gekommen, um über den Druck einer Zeit-Schrift zu sprechen, nicht über Zeit-Erscheinungen, und schon gar nicht über eine so irrwitzige: Gleichberechtigung der Geschlechter?!

    Die Frau, die den Mumpitz wohl bei ihrem Gemahl auslöste – Emilie Siebenpfeiffer – schien dabei voll hinter diesem zu stehen. Gottlob beschränkte sich seine Gattin – Friederike Barbara – darauf hinter dem Herd zu stehen und tat auch ansonsten brav, was man von ihresgleichen erwartete.

    Aus den Augenwinkeln beobachtete er die kühl selbstbewusst auftretende Siebenpfeiffer-Gattin, unter deren Hut ähnlichem Kopftuch üppig schwarze Locken hervorquollen. Die Gemahlin des Akademikers war keine klassische Schönheit, aber sehr … apart? Sei’s drum … sollte sie so nachhaltig auf ihren Gatten – den Homburger Landcommissär – Einfluss haben, musste er ein Auge auf sie haben. Es ging um so vieles, letztlich sogar um sein »Zweibrücker Wochenblatt«, mit dem er sich, wenn auch nicht erkennbar, zuweilen in das kommunale Geschehen einmischte, aber vor allem seinen Unterhalt bestritt.

    Keineswegs durfte er riskieren seiner Haupteinnahmequelle amtlicherseits verlustig zu werden. Der seit 1825 inthronisierte bayerische König Ludwig I., dem seit dem »Wiener Kongress« (1814 - 1815) auch die Region Homburg und Zweibrücken unterstand – war nicht zimperlich. Seine wären nicht die ersten Druckerpressen die von der bayrischen Obrigkeit versiegelt wurden …

    Kapitel 2

    Roman Riminians »Yorktown zum Grau’n«

    Der Zweibrücker Roman Riminian war so konsterniert, dass ihm der Mund offenstand. Dann mischte sich in seine Konfusion unverhohlene Wut. Wie von einer Tarantel gestochen, sprang er auf. „Hat man denen ins Gehirn geschissen!" schreiend, fegte er die aufgeschlagenen, großformatigen Tageszeitungen »Palatia« und »Saarpfalz« vom Tisch.

    „Was ist denn los?", fragte Else erschrocken.

    „Die Deppen feiern ein Champagner-Frühstück auf einem Schlachtfeld, wo zig deutsche Soldaten fielen. Zweibrücker vom Regiment »Royal Deux Pont« auf der einen, und ein Kasseler Kontingent auf der anderen."

    „Wie? Wer feiert wo was?"

    „Fast der gesamte Zweibrücker Stadtrat in Yorktown."

    „Ich verstehe nur Bahnhof."

    „Dann noch einmal nach der Abfahrt vom Bahnhof, knurrte Roman Riminian. „Der Zweibrücker Stadtrat weilt auf Einladung der US-Regierung in Yorktown, das ist eine Stadt im US-Bundesland Virginia, wo vor zweihundert Jahren die entscheidende Schlacht um die Unabhängigkeit zwischen den amerikanischen Nord- und den Südstaaten stattfand. Okay?

    Else nickte.

    „Auf Seiten der Südstaaten kämpften auch Engländer mit deutschen Söldnern, und für die Nordstaaten Franzosen mit dem Zweibrücker Regiment »Royal Deux Ponts. Das Jubiläum wird derzeit bejubelt, dass die Schwarte kracht. Die Yankees feiern gerne ihre Schlacht-Siege in irgendwelchen Kriegen. Und weil bei der in Yorktown das Zweibrücker Regiment auf französischer Seite besonders erfolgreich Feinde abmurkste, ballert der heutige Zweibrücker Stadtrat mit. Äh … jubelt der mit."

    Else runzelte die Stirn. „Echt jetzt? Deutsche Soldaten kämpften in Amerika gegeneinander? Das verstehe ich nicht."

    „Ich verstehe generell nicht, dass Menschen sich bekriegen."

    „Ja. Ich weiß, dass du ein Pazifist bist. Trotzdem. Die Nord-Amis gewannen also diesen Krieg?"

    „Ja. Und das lag angeblich vor allem an besagtem Zweibrücker Regiment, das solcherart übrigens die ersten französischen Fremdenlegionäre stellte." Roman Riminian prustete angeekelt. „Was zweihundert Jahre später Zweibrücker Stadträte – als eine Art Fanclub dieses Regiments – zum Anlass nimmt auf blutgetränktem Boden mit den Amis anzustoßen. Gewissermaßen Prost mortem. Pervers! Oder? Man begießt, dass Zweibrücker in der Ami-Schicksals-Schlacht die besseren Schlächter waren?" Er stockte.

    „Was?", bohrte Else nach.

    „Zweibrücker Stadträte feiern auf einem amerikanischen Schlachtfeld, dass just dort, zweihundert Jahre vorher, Zweibrücker Legionäre erfolgreicher töteten als der ausgegebene Feind. Geht’s noch?!" brauste er noch einmal auf, bevor er seufzend schwieg.

    Roman Riminian schrieb die Glosse »Yorktown zum Grau‘n«, ohne eine Sekunde an mögliche Reaktionen der Zweibrücker politischen Obrigkeit zu verschwenden. Seine Chuzpe in seinem Monatsblatt auch brisante Themen unverblümt zu benennen, war erstaunlich. Mit der über Yorktown übertrat er auf seinem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg die Mut-Stufen Übermut und Hochmut. Fingerspitzengefühl hatte er nur am Anfang als auch redaktionell Verantwortlicher für sein Anzeigenblatt.

    Sich in der Sache immer noch berechtigt wähnend, räumte er später ein den Yorktown-Skandal hätte er journalistisch eleganter abwickeln müssen. Fakt war, dass er die Glosse aus dem Stegreif, hoch emotionalisiert und unter Zeitdruck schrieb. Zudem war er da noch Einzelkämpfer und niemand da, der ihn hätte beraten können, oder ihm den allzu spitzen Griffel aus der Hand nahm.

    So aber geriet die Oktober-Ausgabe des »Zweibrücker Journal« 1981 zu einem Wendepunkt in Roman Riminians Zweibrücker Achterbahn-Karriere. Just da, wo sich rund 150 Jahre vorher mit ähnlichem Sendungsbewusstsein und heiligem Zorn, auch Philipp Jakob Siebenpfeiffer, Friedrich Schüler und Johann Georg August Wirth, um Kopf und Kragen schrieben und die Texte drucken ließen. Auch sie entschlossen, gegen überdimensionale Stachel zu löcken.

    Obwohl der undiplomatische »Rebell« seine Journale zu Jahres-Büchern binden ließ, kam ihm im Laufe der Zeit die Ausgabe mit der ominösen Glosse abhanden. Vermutlich fiel sie dem Furor seiner Gattin Else zum Opfer, als sie alle Ausgaben seines zweiten Blattes »Saarpfalzjournal« verbrannte. Weniger in einem Anfall heiligen Zorns, als unheilig bekloppt. Weil der Text jener Yorktown-Glosse einen entscheidenden Einschnitt seines Lebens einleitete, vergaß Roman Riminian den Kern deren Wortlauts aber nie:

    Regiment Royal Deux ponts. Das muss man sich auf der Zunge und in den Ohren zergehen lassen. Royal hört sich in englischer Sprache fast nach Gräuel an, während man das französische Ponts Po ausspricht. Also Hintern. In Deutsch vulgo auch Arsch. Und weil Kriegs-Gräuel seit jeher genau für diesen – für den Arsch – waren und sind, bleibt für mich zum Thema Yorktown nur das Fazit: Gräuel für den Arsch …

    Drei Tage später erstickte er fast beim Frühstück, als ihm die Überschrift zum Leserbrief einer Stadträtin ins Auge fiel, den beide Tageszeitungen abgedruckt hatten. Die wütende Verfasserin – gewiss mit stolz geschwellter Brust dabei, als man beim Champagner-Umtrunk an Redoute 9 der Yorktowner Schlacht-Toten gedachte, hatte sich provoziert gefühlt, ihre Text-Überschrift sogar zu dichten: »Diese Glosse reimt auf Gosse«.

    Ja, das reimt sich, aber die in ihrer Ehre gekränkte Schlachtfeld-Feierin aus Deux Ponts wurde deswegen keine Poetin; aber Jahre später ihr Gatte – ein bekannter Lokal-Politiker – unverhofft Roman Riminians guter Freund.

    Als der Tage später, wegen des Leserbrief-Abdrucks, von seinen Eltern die Kündigung ihres Tageszeitungs-Abos verlangte, zeigten die ihm die kalte Schulter. Weil ihm dies förmlich die Sprache verschlug, konnte er zunächst nur ungläubig die Schulter zucken. Später holte er nach, was ihm auf der Zunge lag. „Ihr akzeptiert, dass man mich aus der Gosse kommend bezeichnen darf?! Bravo! Dann sind wir es aber gemeinsam. Ich bin euer Sohn, verdammte Scheiße!"

    Seine Erzeuger – notorisch anderer Sichtweise – wollten sich schlicht nicht mit Gott und der Welt anlegen, wie er offensichtlich am laufenden Band. „Was willst du überhaupt?", schnaubte sein Vater; weshalb es seinem Sohn in der Causa Yorktown zum dritten Mal die Sprache verschlug. Deshalb erfuhren seine Eltern nie, dass er nur stinknormal geliebt werden wollte, oder wenigstens akzeptiert. Und er sich Gerechtigkeit für alle auf sein Panier geschrieben hatte. Leider ließ Roman Riminian in seinen Texten, mit denen er dies vehement einforderte, oder darüber philosophierte, zu oft das nötige Augenmaß vermissen. Bis kaum noch jemand seine Ansichten einzuschätzen vermochte. Mit einer Ausnahme: Romans Ausbilder Kurt Karl, der sensitiv genug war, seinem einstigen »Stift« zuweilen hinter die Stirn schauen zu können. Bei dem wollte er sich nach der Veröffentlichung der Glossen-Kritik-Lesebriefe zwar ausweinen, stieß aber diesmal auf kein Verständnis. Roman Riminian, der Überraschungs-Polarisierer, hatte schreibend sowohl die scheinbare, als auch die tatsächliche Zweibrücker Elite gespalten. Die Einen waren bereit ihn sogar zu feiern, die anderen wollten ihm nur noch das Maul stopfen. Auf einem Stadtfest jener Jahre wurde er sogar – im Auftrag, wie sich herausstellte – krankenhausreif zusammengeschlagen. Die Staatsanwaltschaft ließ ihn schriftlich wissen, es käme zu keiner Klageerhebung, weil aus Exekutive-Sicht kein öffentliches Interesse vorläge. Ihm stünde jedoch der Weg zu einer Privatklage offen.

    Kapitel 3

    Siebenpfeiffers Pakt mit einem Ritter

    In der holzgetäfelten, luxuriös ausgestatteten guten Stube der Siebenpfeiffers herrschte jene angenehme Atmosphäre, die sich ergibt, wenn sich gerade noch eher Fremde unmissverständlich näherkamen. Die gute Stimmung ging von Emilie Siebenpfeiffer aus, die unmerklich die Gesprächsführung übernahm und dafür sorgte, dass die dralle Dienerin Lina, im hohen irdenen Krug Wein und auf einem Holzbrett knusprig gebackenes Brot, geräucherten Schinken und einen halben Laib Käse, servierte.

    „Dieser gute Tropfen wuchs auf eigenem Weinberg", merkte Siebenpfeiffer an, als die Magd die Gläser vollschenkte.

    „Der Wingert ist gar preisgekrönt", merkte Georg Ritter an und erwähnte dies in seinem Wochenblatt verkündet zu haben.

    Siebenpfeiffer nickte eifrig. „Es ist mir bekannt. Vielen Dank. Trotz unserem Temperatur-Minus im Vergleich zur Rhein-Ebene, kann sich mein Wein sehen lassen", verkündete Homburgs Landcommissär ein weiteres Mal stolz.

    „Vor allem kann er sich schmagge losse", gluckste Georg Ritter und hob sein Glas. „Salute. Uff e noch besseres Zammeschaffe, wie ma es sowieso schun hann. Trotz der Zwockel, die uns es Lewe so schwer mache." Und dann, in ausnahmsweise gelungenem Hochdeutsch: „Mit ihrer Unterstützung – Madame – scheint mir dies sogar weniger ein Wunsch zu sein, als eine gesicherte Tatsache."

    „Sie sind zu liebenswürdig, Meister Ritter. Merci. Aber im Hinblick auf ihre Skepsis Richtung Bavaria, möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass mir eine bestens informierte Freundin schrieb, unser, pardon, euer angesehener Freund Friedrich Schüler, schlüge sich bei den Bazis in München bravourös für unsere Herzens-Sachen", erwiderte Emilie Siebenpfeiffer. „Er träte nicht nur vehement für die Frauenrechte ein, er würde die Royalen verbal auch oft schmerzend abwatschen. Ähnlich wacker streite er für unsere heilige Pressefreiheit. Dieser König treibt es aber auch zu bunt mit den Abgaben für die Rheinbayern, wie man uns nennt. Unsere Steuern wären an Rhein und Saar nötiger. Aber er und der Adel verprassen sie an der Isar für umstrittene Bauwerke. Vergaß der Kini – wie die Bayerischen ihren Monarchen nennen – was den französischen Feudalisten unter seinem Namensvetter Ludwig, beim Sturm auf die Bastille, widerfuhr? Der war zwar der sechzehnte und der Münchner ist der erste seiner Art, aber Ludwig ist Ludwig. Nein?", reizte sie Ritter zu einer Antwort, die er prompt lieferte.

    „De Kini is so missdrauisch, weil er ned vegess had, wie ma medem Ludwig XVI. korzer Prozess gemach had", gewichtete er das Verhalten der bayerischen Majestät. Um dann wohlwollend breit lächelnd – am Rande zur Überheblichkeit – zu fragen, wo sie die speziellen Begriffe Bazi und Kini aufgeschnappt hätte?

    „Sind sie womöglich falsch?", fragte Siebenpfeiffers Gattin stirnrunzelnd.

    „Werglisch ned. Awwer die Begriffe kennd doch bei uns ken Mensch …"

    „Ich schreibe viele Briefe und werde in gleicher Menge solcherart bedient", erklärte Emilie Siebenpfeiffer, nun selbst herablassend. „Aber mir kommt da eine Idee. Veröffentlichen sie doch in ihrem »Zweibrücker Wochenblatt« ein bayrisches Wörterbuch für Pfälzer, pardon Rheinbayern. Sind wir den Bazis schließlich doch untertan."

    „So had‘s de Anschein, awwer des muss ma differensiere. Aus unsre Reihe hogge genuuch ambidionierde Abgeordnete im Landdaa in Minsche. Mer regiere dort orndlich med. Sie han de Adwokad Schüler angeschbroch. Der is geschiggd. Un mudisch. Dem sei Ansichde ziehe Kreise. Genau wie unsre. Im neie Bund sin mer durchaus wer."

    „Wir sind vielleicht wer, wollen aber noch mehr!", rief Siebenpfeiffers Frau so schrill dröhnend, dass ihr Gatten die extrem hohe Stirn krauste.

    „Sie derfe gere e entsprechendi Annos in meim Wuchebladd uffgewwe", lächelte der Zweibrücker Drucker und Verleger.

    „Wäre das nicht zu dreist für eine … Madame", erwiderte Emilie Siebenpfeiffer süffisant.

    „Vielleicht momentan noch. Indes werden sich die Zeiten ändern", glaubte ihr Gatte. „Die Impulse, die uns mit der französischen Revolution und danach durch Napoleon Bonaparte über die Grenze wehten, beflügelten ja nicht nur unseren Geist. Seitdem bildete sich gerade in unserer Region jener Humus, in dem freiheitliche Gedanken bestens gedeihen können. Der Boden ist gut bestellt, die Früchte gedeihen trefflich und reifen zur baldigen Ernte."

    „De bayrische … Kini, ahmte Georg Ritter Siebenpfeiffers Gemahlin nach, „werd genau des ned dulde wolle. Aus Staats-Räson kann er des velleichd gar ned. Do misse mer uns druff inschdelle. Mer kennde uff emol – sogar vun unerwardede Seide – Huddel grien. Also Probleme. Im Momend siehds neemlisch grad aus, als däd unser Region, wie e Magned, Freidenker von iwweral anziehe.

    „Joseph Savoye, Ferdinand Geib und auch Johann Georg August Wirth, wurden von mir persönlich sogar eindringlich eingeladen, sich hier vor Ort unserer Sache anzuschließen. Ich bin der Überzeugung, dass wir die liberalen Kräfte der deutschen Nation bündeln müssen. Wohnungen organisierte ich in Zweibrücken für sie. Aber bin ich deshalb ein Magnet?"

    „Ja. Das bist du, mein lieber und treusorgender Ehemann", rief Emilie Siebenpfeiffer ernst. „Du bist der Mann mit der Fahne, der voranschreitet. Ein Pionier. Mein Pionier. Ich werde dir immer folgen."

    „Was e scheener Anschborn, lobte Ritter, ohne es anzüglich klingen zu lassen. „Iwwrischens. Ich han entschied ihr Schriffd se drugge, erklärte er dann ohne Umschweife. „In de Hoffnung, dass mei Press deswee ned vesiescheld werd. Mer sollde awwer Vorkehrunge dreffe. Velleichd solld mer sogar iwwer e Standort-Wechsel nodenke?"

    Siebenpfeiffer nickte. „Hier bei mir wäre Platz in Hülle und Fülle", entfuhr es ihm und dass er dabei wäre. Seine Augen im intellektuellen, schmalen Adler-Gesicht mit einer vollen Unterlippe, funkelten unter krausem Haupthaar, während seine Gattin scharf nach Luft schnappte. Manchmal war es schwierig ihrem Mann zu folgen, obwohl sie seine Ziele vorbehaltlos teilte. Für die wertvolle Freiheit der Gedanken, muss man zuweilen auch steinige Wege beschreiten, seufzte sie in Gedanken.

    „Ich brauch awwer a Blatz fa e Regaal und die Setzkäschde, fuhr Georg Ritter im gleichen Moment fort. „Um des ganze Blei und die Lettere zu laachere. Med de Bress alleen isses jo ned geduun.

    „Reicht ein Raum, halb so groß wie dieser?", fragte Emilie.

    „Verdel so groß langd digge, erwiderte Georg Ritter. „Zeh Quadratmeder duns logger.

    Emilie Siebenpfeiffer nickte. „Dann können wir Abhilfe schaffen. Aber wir müssen auf uns achtgeben!, warf die streitbare Frau des Homburger Landcommissärs ein. Das energische Kinn reckte sie dabei kämpferisch vor. „Sie sind ebenfalls Vater, stellte sie Richtung Georg Ritter fest. „Deshalb wissen sie, dass unsere erste Fürsorge den Kindern gelten muss. Da stellt sich die Frage, wer sich kümmert, sollten die Eltern inhaftiert werden?"

    „Das wird sich die Exekutive nicht erdreisten", sagte Philipp Jakob Siebenpfeiffer, betont trotzig.

    Excusez-moi, dass ich des bezweifel, sagte Georg Ritter. „De Jurischd sin awwer sie. Meines Erachdens kend ma awwer devun ausgehn, dass mer vun Minsche aus e Exembel statuiere will. Grad in Erinnerung an die Revoludion, kennde die Herrschaffde vesuuche, sich neier Anfenge erwehre se wolle. Die sin jo ned bleed, die Leid – nur skrupel- und charakterlos.

    „Nicht alle Leute von Stand sind so", wandte Emilie Siebenpfeiffer, für ihre Verhältnisse eher zaghaft, ein.

    Ritter schüttelte den Kopf. „Nee, nee, des sieh ich annerschd. Die polidisch Intressierde sin allesamd so. Die, wo es med de Machd an de digge Bagge han, sin vun Haus aus so. Gehts fer die Audoridäde um die Herrschaft, siehn se rot, weil se fa ihr Pfrinde schwarz siehn."

    „Weshalb wir künftig schwarz-rot-gold sehen – die neuen Freiheitsfarben für unsere Pfründe. Wie gedeihlich arbeiten sie eigentlich mit ihrem neuen Druckverfahren?", mischte sich Siebenpfeiffer wieder ein.

    Georg Ritter fuhr mit blitzenden Augen hoch. „Sie menne mei Stereotypie-Abformunge? Des is awwer wenischer e Druggvefahre, als e weiderführendi Art Druggstegg – also Druckstöcke – heerseschdelle. Dodemed drugg ich wesentlisch höhere Auflache in prima Qualidäd. Uff die Ard han ich grad dreißischdausend Gsangbiescher fa die Proddeschdande gemacht. Iwwrischens med vier eiserne Druggpresse vun meim geniale englische Kolleesch Charles Stanhope."

    Als Emilie erkannte, wie stolz der Zweibrücker Verleger und Drucker darauf war – ihm schwoll beim Erwähnen des Vorgangs schier der Kamm – setzte sie nach. Längst war ihr klar, dass der außerordentliche Zweibrücker das Zünglein an der Waage für den Erfolg ihres Mannes sein konnte. Ihn sich gewogen zu machen, würde zumindest kein Fehler sein. Sie blickte ihn großäugig an. „Sie sind ein großer Meister vor dem Herrn, Meister Ritter, sagte sie dann. „Vor ihrem Können und ihrer Kunst verneige ich mich. Sie knüpfen sogar international Bande, um ihr ohnehin großartiges Angebot zu vervollkommnen. Mein Glückwunsch. Wie heißt diese Abformung gleich noch mal?

    „Stereotypie, gnädige Frau. Merci fa ihr Indresse, das mich überrascht und mir – des geb ich geere zu – schmeicheld. Nor am Rand … mei Wisse iwwer dene Krom … han ich a dem Englänner abkaaf. Mer braucht Gibbs dezu. Gibbs un Gribbs. De Gudebersch häd sich iwwerschlaa. Vor Freid, menn ich."

    „Das klingt sehr aufregend", erwiderte Emilie. „Erzählen sie mir mehr davon. Bitte. Auch, wenn ich nur eine Madame bin. Philipp Jakob, bist du nicht auch neugierig?"

    „Peripher. Mir ist wichtig, was gedruckt wird; nicht wie. Der Inhalt. Der Sinn. Das, was das Volk wissen und deshalb lesen muss.

    Weil man von diesen Aufklärungen nicht genug drucken kann – am besten in hunderttausender Auflagen – interessiert mich das indes dennoch. Ansonsten ist mir Technik mehr Verdruss als Pläsier, wie du weißt. Reicht es nicht, dass Meister Ritter von diesen technischen Wundern entzückt ist?"

    „Sein Entzücken hat damit zu tun, dass er sein Metier beherrscht", rundete Emilie Siebenpfeiffer ihr Urteil lobend ab. „Wäre Blei nicht so schwer, würde ich übrigens diese Arbeit für dich übernehmen. Ich

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