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Der Krimscher: Spektakuläre Fälle aus Norddeutschland, Erinnerungen eines Kriminalisten
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eBook224 Seiten2 Stunden

Der Krimscher: Spektakuläre Fälle aus Norddeutschland, Erinnerungen eines Kriminalisten

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Über dieses E-Book

Das Buch ist kein Roman, sondern schildert in 18 Fällen die harte Wirklichkeit der kriminalistischen Arbeit bei Aufsehen erregenden Kriminalfällen oder spektakulären Ereignissen. Die Berichterstattungen in den Medien waren gewaltig, egal, ob es sich um Morde an einem Piloten, einem Polizeibeamten, mehreren jungen Frauen oder die »Hinrichtung« einer ganzen Familie handelte. Flugzeugabstürze, von 1971 in Hasloh bei Hamburg bis zu dem Absturz des damaligen Ministerpräsidenten Dr. Dr. Uwe Barschel 1987 in Lübeck, geben Einblicke in die Zusammenarbeit mit dem Luftfahrtbundesamt. Von zeitgeschichtlicher Bedeutung dürften auch heute noch die fremdenfeindlichen Brandanschläge in Mölln und die Brände der Lübecker Synagoge sein.
Vielleicht erinnern sich Autofahrer noch an die Anschläge auf der Autobahn A 24, als schwere Gullydeckel von Brücken geworfen oder wahllos Fahrzeuge mit großkalibrigen Waffen beschossen wurden, um das Land SH zu erpressen. Die äußerst seltenen Taten eines Nekrophilen wie auch den Versuch einer DDR-Rockband, ein ehemaliges Bandmitglied aus dem Westen zu entführen, gehören zu den Besonderheiten der Einsätze.
Da Manfred A. Sahm in verschiedenen Funktionen, vom Anwärter bis zum Kriminaldirektor, an allen Fällen beteiligt war, versteht es sich, dass es auch gewisse autobiografische Züge enthält, ohne aber nur eine Biografie zu sein.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum25. Aug. 2020
ISBN9783347119673
Der Krimscher: Spektakuläre Fälle aus Norddeutschland, Erinnerungen eines Kriminalisten

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    Buchvorschau

    Der Krimscher - Manfred A. Sahm

    »Aller Anfang ist schwer«

    Deutsches Sprichwort

    Vorwort

    Das Wort »Kriminalpolizei« wird meist mit schweren und schwersten Verbrechen, mit Mord, Totschlag, Entführungen, Geiselnahmen bis hin zum Terrorismus in Verbindung gebracht. Dieses in der Gesellschaft vorhandene Bild beruht zu einem großen Teil auf der Darstellung von entsprechenden Straftaten in den Medien, in Spielfilmen und im Fernsehen, aber auch von der Veröffentlichung einer unübersehbaren Zahl belletristischer Schöpfungen.

    Auch aus der Werbung kann die Kriminalität – vor allem spektakuläre Straftaten – nicht mehr weggedacht werden, eben: »Crime sells« (genauso wie »Sex sells«). Das Produkt selbst ist dabei Nebensache, es kommt vielmehr darauf an, emotionale oder auch erregende Verbindungen zu schaffen oder mindestens zu suggerieren und damit einen Werbe-/Verkaufserfolg zu erzielen.

    Kriminalbeamter – früher wusste ich kaum, wie man das Wort schreibt (wurde immer spaßeshalber gesagt) – und dann war ich selbst einer. Ich war, wie es im norddeutschen Sprachgebrauch heißt, ein »Krimscher«.

    Zwar noch als Kriminalanwärter, der eine duale Ausbildung zu durchlaufen hatte, aber immerhin. Ich war stolz, als ich 1969 den Eid ablegen durfte, ich war stolz, als mir eine Kriminaldienstmarke und der Ausweis überreicht wurden.10 Die Aushändigung einer Dienst-Pistole allerdings betrachtete ich mit gemischten Gefühlen! Das erste Mal im Leben eine scharfe Waffe in der Hand zu halten, war zumindest gewöhnungsbedürftig und mit dem Gewehr an der Schießbude auf dem Jahrmarkt nicht zu vergleichen. Obwohl ich in meinem früheren Beruf manchmal Kontakte zu kriminalpolizeilichen Behörden und Dienststellen hatte und dabei die Kriminalisten kennengelernt und festgestellt hatte, dass auch sie nur Menschen »wie Du und ich« waren, war die Berufsbezeichnung für mich doch immer noch faszinierend.

    Meine Ausbildung bestand aus »learning by doing«, einem aktiven Mitwirken an der Fallbearbeitung in den Kommissariaten der verschiedenen Deliktsbereiche, die durch theoretischen Unterricht ergänzt wurde. In dieser Form war sie, wie ich ohne falsche Bescheidenheit sagen kann, sehr erfolgreich und hat mir geholfen, die kommenden Fachlehrgänge zu bestehen. Nebenbei bemerkt: Es gab noch keine Computer, Papier und unser Gehirn waren unsere beruflichen Arbeitsmittel. Ich begann in dem Kommissariat, dass sich mit der Aufklärung von Einbruchsdiebstählen befasste, man wusste aber auch , was die Kollegen in den anderen Kommissariaten beschäftigte.

    Ich war erst wenige Monate im Dienst, als ich auch schon aus der Ermittlungstätigkeit heraus»gerissen« wurde. Alle Kriminalanwärter gehörten bei einem Tötungsdelikt automatisch zu der neu ins Leben gerufenen Mordkommission. Als absoluter Neuling wurde ich zwar mangels spezieller Fachkenntnisse nicht direkt in der Tatort- und Ermittlungstätigkeit eingesetzt, gehörte aber immerhin zu einer Mordkommission!

    Mein Start in einen Beruf, für den ich einen sicheren Job in der freien Wirtschaft aufgegeben hatte, fing ja gut an! Dieser Fall, bei dem ein Täter 5 Personen – eine ganze Familie – wegen einer gescheiterten Beziehung erschoss, hatte nicht nur bei mir einen starken Eindruck hinterlassen.

    Ich habe dann fast 30 Jahre meinen Dienst als Kriminalbeamter geleistet, ein norddeutscher »Krimscher« vom Anwärter bis in leitende Funktionen in einem Beruf, den ich aus innerer Überzeugung jederzeit wieder ergreifen würde. Dieser Beruf war eine Berufung im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich im Laufe von 3 Jahrzehnten zusammen »an der Verbrechensfront gekämpft hatte«, zeichneten alle – wie auch mich – eine emotionale Bindung zu dieser Tätigkeit aus. Wir waren mit den Herzen dabei und überzeugt, einen Dienst an unserer Gesellschaft zu leisten. Auch wir haben in bestimmten Fällen selbstverständlich Gefühle entwickelt, ohne aber dabei die gebotene Objektivität zu vernachlässigen! Dafür hatten wir alle einen Eid geschworen, dem wir uns verpflichtet fühlten. Selbst als im Laufe der Zeit sprachlich aus der »Verbrechensbekämpfung« offiziell verordnet und abmildernd eine »Kriminalitätskontrolle« geworden war (wer glaubt schon, dass die Polizei wirklich die Kriminalität kontrollieren kann?!), änderte das nichts an unserer Einstellung und an unserem Engagement. Wie sagte schon der römische Geschichtsschreiber Publius Cornelius Tacitus (55 – 120 n. Chr.):

    »Früher litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen!«

    Es scheint so, als wenn dieser Spruch immer noch Gültigkeit hat.

    Dieses Buch ist weder ein Kriminalroman noch eine erschöpfende Aufzählung der Ereignisse, an deren Bearbeitung oder Aufklärung ich mitgewirkt habe und ist auch nicht chronologisch aufgebaut. Es soll weder ein Tagebuch noch eine Biografie sein, sondern der Unterhaltung dienen. Ich habe mir die (künstlerische) Freiheit genommen, Namen, Orte, Zeiten usw. und auch Einzelheiten oder Zusammenhänge dort wegzulassen oder zu verändern, wo es nicht zum unbedingten Verständnis erforderlich ist oder um auch heute noch Unschuldige oder Zeugen zu schützen.

    Und trotz dieser sehr ernsten Thematik gab es auch immer wieder Fälle, die mit ihrem humorigen Inhalt intern für gute Laune sorgten. Das war dann der Ausgleich für erschütternde oder brutale Bilder, der dafür sorgte, dass wir von einem psychischen »Knacks« verschont blieben.

    Manfred A. Sahm

    Mölln, 2020

    Ȇberall lauert Gefahr -

    das Glück hält oft nicht lange an.«

    Hieron, König von Syrakus,

    (269 – 215 v.Chr.)

    Notlandung auf der Autobahn

    Die Bandbreite der Unfälle von oder im Zusammenhang mit Luftfahrzeugen ist sehr groß. Das reicht von missglückten Starts oder Landungen ohne größere Schäden, über Störungen oder schwere Störungen beim Betrieb des Fluggeräts bis hin zu Abstürzen mit einer großen Anzahl von Getöteten und Verletzten. Im letzteren Fall wird meist von einer »Flugzeugkatastrophe« gesprochen.

    In den Kapiteln »NATO-Übung Bold Guard« und »Mord in der Luft« werde ich mich mit einigen Besonderheiten dieser Thematik befassen. Im Laufe meines Berufslebens waren diese beiden Fälle schon etwas Herausragendes. Über andere Ereignisse, die ebenfalls in diese Kategorie eingeordnet werden müssen, lohnt eine ausführliche Darstellung nicht, waren sie doch bei der Bearbeitung im Vergleich zu den wirklich spektakulären Vorfällen weder zeit- noch arbeitsintensiv und interessierten letztlich nur die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung.

    Dazu gehörten z.B. der missglückte Start eines WESTWIND-Jets vom Lübecker Flughafen Blankensee, der zu militärischen Zieldarstellungen über der Ostsee fliegen sollte. Er bekam zu wenig Schub und konnte nicht abheben, andererseits gelang es den Piloten auch nicht, das Flugzeug noch vor dem Ende der Startbahn abzubremsen. Also rollte er in das angrenzende unbefestigte und mit Büschen bewachsene Gelände und kam erst dort zum Stehen. Auch wenn der Flieger äußerlich kaum Beschädigungen aufwies, war der Sachschaden doch erheblich.

    Ein anderer Vorfall an demselben Flughafen, der ebenfalls nur Sachschäden zur Folge hatte, ereignete sich im August 1991. Nach einem Rundflug war für den Piloten der Piper-Sportmaschine und seine beiden Fluggäste der Flughafen schon in Sicht, als plötzlich der Motor stotterte. Durchstarten brachte nichts, der Motor fiel plötzlich ganz aus, kein Wunder bei Benzinmangel. Was folgte, war eine Bruchlandung im hohen Gras einer angrenzenden Wiese. Dabei wurden das Fahrwerk und der Propeller des einmotorigen Flugzeugs zerstört, der Pilot und seine beiden Fluggäste entstiegen dem Wrack unverletzt.

    Doch nun zu dem Ereignis 20 Jahre zuvor, das ich mit »Notlandung auf der Autobahn« betitelt habe. Es war der schlimmste Unfall in der Fluggeschichte Schleswig-Holsteins, in Anbetracht der 22 Todesopfer kann man durchaus von einer Flugzeugkatastrophe sprechen (auch, wenn ich mit dem Wort »Katastrophe« stets sehr sparsam umgegangen bin). Der 6. September 1971 war ein Montag, das Wetter durchaus herbstlich, tagsüber manchmal etwas sonnig, aber nachts schon empfindlich kalt. Als der Anruf kam, wollte ich mich gerade auf den Weg zu meinem Friseur machen, um mein damals noch volles Haupthaar etwas stutzen zu lassen. Daraus wurde allerdings nichts! Die Mitteilung: »Flugzeugabsturz in Norderstedt!« veranlasste mich, erst einmal tief durchzuatmen. Ich hatte zwar schon Erfahrungen in der »normalen« Kriminalitätsbekämpfung, aber es war das erste Mal, dass ich mit einem Flugunfall zu tun haben sollte. Was würde die Kollegen und mich erwarten? Ich war noch Sachbearbeiter in dem Kommissariat für Todesermittlungen aller Art und für Kommissionsarbeiten (Mordkommission, Flugunfall-Kommission), hatte demzufolge noch keine Führungsentscheidungen zu treffen, und durfte darauf vertrauen, dass die Führungskräfte der Kriminalpolizei mir schon sagen würden, was ich im Einzelnen zu tun hätte.

    Also machte ich mich schnellstens (ich gebe hier zu, unter Missachtung von Geschwindigkeitsregelungen) mit meinem Pkw auf den Weg von meinem Wohnort zur Behörde in die Landeshauptstadt Kiel. Das moderate Überschreiten von erlaubten Geschwindigkeiten konnte ich damals mit der Wichtigkeit des Einsatzes und dem zu heute nicht vergleichbaren geringen Verkehrsaufkommen mir selbst gegenüber rechtfertigen.

    Mit zwei anderen Kollegen besetzten wir unseren Tatortwagen, einen blauen Opel-Blitz-Kastenwagen, und fuhren Richtung Süden nach Norderstedt im Kreis Segeberg, das in unserem Zuständigkeitsbereich lag. Heute wäre diese Fahrt einfach gewesen, aber damals gab es die Autobahn A 7 von Kiel nach Hamburg noch nicht. Sie war noch im Bau und erst wenige Kilometer von Hamburg aus in Richtung Norden fertiggestellt. Wir mussten über Bundesstraßen, durch Dörfer und Städte fahren und konnten uns leider wegen fehlender Warneinrichtungen (Blaulicht und Martinshorn) keine Vorfahrt verschaffen. Nachdem wir nach ca. 40 km die Stadt Neumünster passiert hatten, versuchten wir, Funkkontakt zu der Einsatzleitstelle in Bad Segeberg, Rufname »Kalkberg«, herzustellen. Wir wollten uns ordnungsgemäß in ihrem Funkkreis anmelden und das Ziel unserer Fahrt mitteilen.

    Aber »Kalkberg« wollte nicht mit uns sprechen sondern wies uns an, uns bei »Rose« anzumelden. Rose?? Wieso Rose? »Rose« war der Rufname der Polizei im Landkreis Pinneberg, für den wir aber nicht zuständig waren. Waren wir evtl. auch für den Flugunfall nicht zuständig? Das klärte sich sofort, als wir uns daraufhin bei der Einsatzleitstelle in Pinneberg meldeten und durchgaben, dass wir auf der Fahrt zum Flugzeugunglück in Norderstedt waren. Wir erhielten die Bestätigung und wurden zugleich dahingehend korrigiert, dass das Geschehen sich nicht in Norderstedt, sondern in Hasloh im Kreis Pinneberg abgespielt hatte! Irgendwie machte sich bei uns Dreien so etwas wie Erleichterung breit! In der Tat war es so, dass sich die Kreisgrenze zwischen Segeberg und Pinneberg auf der Autobahn befand. Die westliche Richtungsfahrbahn nach Hamburg, also nach Süden, befand sich in Pinneberg, der in Richtung Norden führende östliche Autobahnteil gehörte zum Kreis Segeberg. Glück gehabt!! Aber trotzdem fuhren wir weiter, weil wir den Kollegen unsere Unterstützung und unseren Tatortwagen anbieten wollten. Und – ich gebe es gern zu – wir waren auch interessiert, zumal wir noch nie den Ort eines Flugzeugabsturzes (außer im Fernsehen) gesehen hatten. Man konnte ja immer dazulernen!

    Wir nutzten zuletzt die fertiggestellte Strecke auf der Autobahn A 7 ab Kaltenkirchen und fuhren direkt »in ein Chaos«. Der Anblick war schlimmer, als wir erwartet hatten! Schon auf der Autobahn lagen Flugzeugtrümmer eines größeren Passagierflugzeugs der Fluggesellschaft »PanInternational«, darunter ein großes Teil des Leitwerks. Der total zerstörte Rumpf der im rechten Seitengraben liegenden Maschine qualmte noch, das abgerissene Cockpit lag auf einer Wiese neben der Autobahn; bis auf die Tatsache, dass es abgerissen war, waren keine Zerstörungen zu erkennen. Nicht nur Rettungsfahrzeuge aller Art von Feuerwehren und Rettungsdiensten waren in sehr großer Anzahl vorhanden, Kraftfahrzeuge einer unzählbaren Menge von Schaulustigen verstopften Straßen und Zufahrtswege, diese Leute standen auf und neben der Autobahn, also unmittelbar am und selbst im Geschehen, und befriedigten ihre Neugier, wobei sie alle Einsatzkräfte behinderten. Gaffer waren und sind auch heute noch ein großes Problem. Es war nicht ganz einfach, von der Autobahn zu einem Ort zu fahren, der nahe genug an der Unfallstelle lag und doch die noch folgenden Arbeiten nicht behinderte. Mehr als einmal hatten wir die Schaulustigen verflucht, die uns die Weiterfahrt versperrten, und nicht bereit waren, uns den Weg freizugeben. Ihre Neugier hatte für sie absolute Priorität!

    Es waren Tausende von Katastrophentouristen, die bis in die tiefe Nacht dem Unglücksort zuströmten. Der riesige Rauchpilz und die heulenden Martinshörner der zu dem Ort eilenden Einsatzfahrzeuge waren auch in der nahegelegen Hansestadt Hamburg sehr gut zu vernehmen. Also lohnte sich ein Ausflug mit Kind und Kegel, mit Säuglingen in Tragetaschen und Kindern auf dem Arm oder auf den Schultern. Und nicht nur, dass man interessiert zugeschaut hätte, nein – einige dieser Leute nutzten das Chaos, um sich direkt zwischen den Trümmern, zwischen Flugzeug- und Leichenteilen und verstreutem Gepäck mit »Andenken« zu versorgen! (Ich behaupte, dass Sie es nicht nur auf Andenken abgesehen hatten, sondern auch um zu stehlen, was stehlenswert war!) Sie alle zu vertreiben gelang erst, als die inzwischen durch die Bereitschaftspolizei verstärkten Sicherheitskräfte und herbeigerufene Bundeswehreinheiten das Gelände weiträumig abriegelten. Da die Truppe auch über ein Stromaggregat verfügte, das ich auf Anfrage mitbenutzen durfte, konnte ich unseren Tatortwagen beleuchten und ihn betriebsbereit zur Verfügung stellen.

    Wie immer in solchen Fällen, wenn die ganze Szene von Unübersichtlichkeit geprägt ist, vor allem, weil noch niemand der beteiligten Polizei- und Rettungskräfte einen derartigen Einsatz zuvor zu bewältigen hatte, gab es viel Leerlauf im Bereich der Polizei. Zunächst musste geklärt werden, dass die Hamburger Polizei, auch wenn die Beamten wegen der kürzeren Entfernung schneller am Ereignisort waren, außerhalb des »Ersten Angriffs« für die weiteren Maßnahmen nicht zuständig waren und keine Befehlsgewalt über alle eingesetzten Kräfte hatten. So langsam kehrte Ordnung ein. Als der Leiter des schleswig-Holsteinischen Landeskriminalamts dann die Leitung aller kriminalpolizeilichen Tätigkeiten übernahm, ging es zunächst darum festzustellen, wie viele Menschen bei diesem Unfall verletzt und ums Leben gekommen waren. Das war umso notwendiger, als auch noch Stunden nach dem Absturz keine Passagierlisten vom Flughafen zu bekommen waren. Also wurden alle Angehörigen der Kriminalpolizei unseres Landes über den Ereignisort, der wie ein Schlachtfeld aussah, geschickt, um Leichen zu zählen. Das war zum einen eine makabre, psychisch sehr belastende, aber notwendige Aufgabe, die sehr schwer zu bewältigen war. Es lagen ja nicht nur komplette Körper auf dem Boden, sondern auch alle möglichen Leichenteile. Als nach dem dritten »Durchgang« immer noch unterschiedliche Ergebnisse zu verzeichnen waren, kam die Weisung, nur noch Köpfe, einzelne oder noch an den Körpern befindliche, zu zählen. Auf Einzelheiten dieser Tätigkeit will ich hier verzichten. Das Resultat: Es waren 22 Opfer zu beklagen. Um die Erfassung der Verletzten, die in Hamburger Krankenhäuser eingeliefert worden waren, kümmerte sich derweil die Hamburger Polizei. Aber auch das war nicht völlig problemlos. Der Katastrophentourismus mit riesigen Mengen von Fahrzeugen und rücksichtslosem Fahren führte natürlich auch zu Verkehrsunfällen, bei denen Fahrzeuginsassen verletzt und in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Auch diese wurden zunächst als Opfer des Flugunfalls angesehen und in Obhut genommen (weil sie aus Hasloh kamen) und entsprechend aufgelistet!

    Es war schon dunkel und herbstlicher Nebel legte sich über die inzwischen beleuchtete Szene, als die ersten Leichen abtransportiert und in die Leichenhalle des Friedhofs Hamburg-Öjendorf gebracht wurden. Dort war die sog. Leichensammelstelle eingerichtet worden; es war die seinerzeit größte Einrichtung im Norden, die diese Menge von Verstorbenen aufnehmen konnte. Meine und die Arbeit meiner Kieler Kollegen war für diese Nacht beendet, wir fuhren zurück.

    Noch am Abend und in der Nacht wurde weltweit von Rundfunk- und Fernsehsendern über den Crash berichtet. Beginnend mit dem nächsten Tag überschlugen sich dann auch die Meldungen in den Printmedien. Und wie immer dauerte es gar nicht lange, bis sich insbesondere die auf den sog. investigativen Journalismus spezialisierten Presseorgane in Vermutungen, Verdächtigungen, Beschuldigungen, kurz in Besserwisserei »vom Feinsten«, tummelten. Es war natürlich für jedermann verständlich – und sollte es eigentlich auch für die Presse gewesen sein – dass die Klärung der Ursachen und der kausalen Zusammenhänge nicht binnen weniger Stunden erfolgen konnte. Aber bevor weder die technischen Fragen geklärt noch

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