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Walküre-Alarm: Tom Sydows siebter Fall
Walküre-Alarm: Tom Sydows siebter Fall
Walküre-Alarm: Tom Sydows siebter Fall
eBook273 Seiten3 Stunden

Walküre-Alarm: Tom Sydows siebter Fall

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Über dieses E-Book

Berlin, 15. August 1966. In der Gedenkstätte Plötzensee wird der Leichnam eines erhängten Mannes entdeckt. Kurz darauf ereignet sich der nächste Mord. Wieder handelt es sich beim Opfer um ein ehemaliges Mitglied des Volksgerichtshofes, wieder wird die Abschrift eines Todesurteils gefunden. Kommissar Tom Sydow steht vor einem Rätsel. Hat der Serienmörder es auf sämtliche Mitglieder des Tribunals aus dem Jahr 1944 abgesehen? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt …
SpracheDeutsch
HerausgeberGmeiner-Verlag
Erscheinungsdatum2. Juli 2014
ISBN9783839245309
Walküre-Alarm: Tom Sydows siebter Fall

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    Buchvorschau

    Walküre-Alarm - Uwe Klausner

    Impressum

    Mit Ausnahme der in der ersten Szene des Prologs auftretenden Personen sind sämtliche Charaktere des Romans frei erfunden. Das Gleiche gilt für die Handlung des Romans. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Besuchen Sie uns im Internet:

    www.gmeiner-verlag.de

    © 2014 – Gmeiner-Verlag GmbH

    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung / E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © ullstein bild – Fritz Eschen

    ISBN 978-3-8392-4530-9

    Widmung

    Im Gedenken an die Frauen und Männer des 20. Juli 1944 

    Personenverzeichnis

    REALE HAUPTFIGUREN

    (in der Reihenfolge des Erscheinens)

    Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, 39, Chef des Stabes im Allgemeinen Heeresamt in Berlin

    Claus Schenk Graf von Stauffenberg, 36, Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres und Kopf des militärischen Widerstandes gegen Hitler

    Roland Freisler, 51, Präsident des Volksgerichtshofes von 1942-1945

    FIKTIVE HAUPTFIGUREN

    (in der Reihenfolge des Erscheinens)

    Maximilian Freiherr von Hardenberg, 36, Major im Generalstab

    Helene, 30, seine Frau

    Harro Schultze-Eckardt, 56, Jura-Professor an der FU Berlin

    Melissa Gutberleit, 21, Jura-Studentin

    Tom Sydow, 53, Hauptkommissar der Kripo Berlin

    Lea, 51, seine Frau

    Hermann Gisevius, 55, Arzt für Allgemeinmedizin

    Heribert Peters, 50, Leiter des Gerichtsmedizinischen Instituts

    Eduard Krokowski, Kriminalkommissar und Sydows Partner

    Meinrad Cramer, Kurator

    Erich Wischulke, Rentner

    Adalbert Mertens, Leiter der Spurensicherung

    Erna Schwiers, Verkäuferin im KaDeWe

    Leon Weisskirch, Jura-Student

    Sven Waldenmaier, Kriminalassistent

    Edeltraut Hamm, Sprechstundenhilfe

    Frederick Verhoeven, Redakteur

    Hans-Dietrich Lahnstein, Stellvertretender Innensenator

    Sven Berthold, Wachtmeister

    Heinz Gutberleit, Melissas Adoptivvater

    Marlies Gutberleit, seine Frau

    Anneliese Mollig, Sydows Sekretärin

    Harald Janowitz, Pastor

    Justus von Hardenberg, Sydows Jugendfreund

    Lina Pommerenke, Küsterin

    Elfriede Lehmann, Rentnerin

    SCHAUPLÄTZE

    Prolog (S. 18):

    Berlin-Tiergarten, Allgemeines Heeresamt – Berlin-Tiergarten, Hotel Esplanade am Potsdamer Platz – Berlin-Schöneberg, Kammergericht in der Elßholzstraße

    Erstes Kapitel (S. 41):

    Berlin-Charlottenburg, Gelände des Strafgefängnisses Plötzensee Berlin-Schöneberg, Sydows Wohnung in der Grunewaldstraße – Berlin-Grunewald, Koenigsallee – Berlin-Charlottenburg, Gedenkstätte Plötzensee

    Zweites Kapitel (S. 102):

    Berlin-Charlottenburg, Kaufhaus des Westens in der Tauentzienstraße – Berlin-Charlottenburg, Kolonie Emser Platz – Berlin-Grunewald, Koenigsallee – Berlin-Westend, Ebereschenallee – Berlin-Spandau, Möllentordamm – Berlin-Westend, Ebereschenallee

    Drittes Kapitel (S. 172):

    Ost-Berlin, Bezirk Lichtenberg – Berlin-Schöneberg, Polizeipräsidium in der Gothaer Straße – Berlin-Moabit, Pfarrhaus der Sankt Johanniskirche in Alt-Moabit 23-25 – Berlin-Charlottenburg, Café Kranzler am Kurfürstendamm

    Viertes Kapitel (S. 218):

    Berlin-Schöneberg, Polizeipräsidium in der Gothaer Straße – Berlin-Moabit, Pfarrhaus der Sankt Johanniskirche in Alt-Moabit 23-25- Berlin-Schöneberg, Sydows Wohnung in der Grunewaldstraße

    Fünftes Kapitel (S. 246):

    Berlin-Westend, Friedhof Heerstraße

    Epilog (S. 258):

    Eckkneipe ›Zur Quelle‹ in Alt-Moabit

    Postskriptum (S. 267)

    Auswahlbibliografie (S. 268)

    Anhang (S.271)

    Glossar (S. 279)

    VERSCHWÖRUNG

    ›Anfang September (1943, der Autor) machten sich Tresckow1 und Stauffenberg daran, genaue Pläne für einen Staatsstreich und die Zeit danach auszuarbeiten. Dabei kam es darauf an, den Putsch nicht nur in seiner Vorbereitungsphase, sondern vor allem auch während der Durchführung als »legal« zu tarnen. Ideales Instrument hierfür war das Ersatzheer. Schon im Frühjahr 1942 waren von Olbrichts2 Stab Pläne für den Einsatz des Ersatzheeres zur Küstensicherung oder im Fall der Landung feindlicher Fallschirmjäger unter dem Decknamen »Walküre« erarbeitet worden. Im Falle »innerer Unruhen im Reichsgebiet«, etwa durch die Millionen Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter, sollten Kampfgruppen aus den Ersatz- und Ausbildungstruppenteilen bereitgestellt werden. In der ersten Stufe des »Walküre«-Befehls mussten die einzelnen Einheiten innerhalb von sechs Stunden Einsatzbereitschaft herstellen. In der zweiten Stufe hatte dann die »schnellste Zusammenfassung« dieser Einheiten »unter Anwendung aller verfügbaren Mittel« zu erfolgen. Bei Auslösung des »Walküre«-Befehls sollten die Wehrkreiskommandos sofortige Maßnahmen treffen, um wichtige Objekte wie Brücken, Kraftwerke oder Kommunikationseinrichtungen zu sichern. Die »Walküre«-Planung sah also die Bekämpfung von Regimegegnern vor. Sie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und zu modifizieren, war ein geradezu genialer Schachzug der Verschwörer. Wie von selbst erhielten die Staatsstreichvorbereitungen dadurch einen legalen Anstrich, eine komplizierte Tarnung war nicht mehr notwendig.‹

    (Aus: Guido Knopp, Stauffenberg. Die wahre Geschichte, München 2008, S. 142-143)

    1 Henning von Tresckow (1901-1944), Generalmajor der Wehrmacht und einer der entschiedensten Verfechter eines Attentats auf Hitler

    2 Friedrich Olbricht (1888-1944), General der Infanterie und Leiter des Allgemeinen Heeresamtes bzw. des Wehrersatzamtes beim OKW

    DER 20. JULI 1944 – STENOGRAMM EINES MISSGLÜCKTEN STAATSSTREICHS

    Führerhauptquartier Wolfsschanze, 12:42 h: Detonation des von Stauffenberg deponierten Sprengsatzes

    Flugplatz Wilhelmsdorf/Ostpreußen, 13:15 h: Aufbruch Stauffenbergs und seines Adjutanten zum Rückflug nach Berlin

    Rangsdorf, 15:45 h: Ankunft der He 111 und Telefonat mit dem Bendlerblock

    Berlin, kurz vor 16:00 h: Auslösung der Alarmmaßnahmen im Rahmen der Operation Walküre

    Führerhauptquartier Wolfsschanze, ebenfalls kurz vor 16:00 h: Aufhebung der Nachrichtensperre

    Berlin, ca. 16:10 h: Übermittlung des Alarmstichwortes Deutschland an das Wachbataillon unter dem Kommando von Major Remer

    Berlin, 16:30 h: Eintreffen Stauffenbergs und Haeftens in der Bendlerstraße

    Berlin, gegen 19:00 h: telefonischer Befehl Hitlers an Remer, den Putsch gewaltsam zu beenden

    Berlin, 21:00 h: Besetzung des Bendlerblocks von Teilen des Berliner Wachbataillons

    Berlin, 00:15 h am 21. Juli 1944: Antreten eines zehnköpfigen Erschießungskommandos im Hof des Bendlerblocks. Exekutiert werden General der Infanterie Friedrich Olbricht, Oberleutnant Werner von Haeften, Oberst i. G. Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Oberst i. G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Stauffenberg stirbt mit dem Ausruf: »Es lebe das heilige Deutschland!«

    Berlin, kurz vor 01:00 h: Rundfunkansprache Hitlers, um die Bevölkerung über die Geschehnisse und das Scheitern des Attentats zu informieren

    PROLOG

    (Berlin, Donnerstag, 20. Juli 1944 / Dienstag, 15. August 1944)

    »Das Attentat muss erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.«

    (Aus: Bodo Scheurig, Henning von Tresckow. Ein Preuße gegen Hitler, Frankfurt/Main · Berlin 1987, S. 210)

    Kapitel 1

    Berlin-Tiergarten, Allgemeines Heeresamt und Sitz des Oberbefehlshabers des Ersatzheeres (›Bendlerblock‹) in der Bendlerstraße 11-13 │15:50 h

    »Stauffenberg? Na endlich, stellen Sie durch!« Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, gebürtiger Münchner, Oberst und Stabschef im Allgemeinen Heeresamt, hielt es nicht mehr auf seinem Stuhl. »Wurde aber auch Zeit!«, murmelte er, den Hörer am Ohr, aus dem ein durchdringendes Rauschen erklang. Jede Minute zählte, und je länger er tatenlos herumsaß, desto geringer war die Chance auf Erfolg. »Bist du’s, Claus?«

    »Nein, der Heilige Geist.« Genau das hatte er an Stauffenberg immer bewundert. Selbst in kritischen Situationen, an denen seit Kriegsbeginn kein Mangel geherrscht hatte, war der drei Jahre jüngere Freund stets ruhig und gelassen geblieben. Das war während des Studiums an der Kriegsakademie in Moabit so gewesen und das war heute, wo ihr Schicksal auf Messers Schneide stand, nicht anders. Von Quirnheim, hemdsärmelig, scharfsinnig und Prototyp des zum Sarkasmus neigenden Generalstabsoffiziers, schnitt eine schiefe Grimasse. Das Lachen war ihm mittlerweile vergangen, und wo Stauffenberg seinen Humor hernahm, wussten die Götter. »Melde mich zur Stelle, Herr Oberst!«

    »Dreimal kurz gelacht.« Von Quirnheim verrollte die Augen. »Sag mal, wo steckst du eigentlich?«

    »In Rangsdorf. Wir sind vor ein paar Minuten gelandet.«

    »Und – wie ist es gelaufen?«

    »Du kannst beruhigt sein: Er ist tot.«

    »Tot?«, entfuhr es dem nahezu kahlköpfigen Brillenträger, rein äußerlich betrachtet ein Typ, der genauso gut als Notar, Privatgelehrter oder Universitätsdozent durchgehen konnte. »Aber … Bist du dir da auch ganz sicher?«

    »Jetzt hör mir gut zu, mein Freund«, stieß der Anrufer mit der ihm eigenen Nonchalance hervor, in die sich erste Anzeichen von Ungeduld mischten, »ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Sprengsatz hochgegangen ist. Die Lagebaracke ist ein Trümmerhaufen. Kein Mensch, der zwei Meter von der Bombe weg ist, kann so etwas überleben.«

    »Bist du dir da auch …«

    »Zum Mitschreiben, Albrecht: Der Führer lebt nicht mehr. So viel Dusel, die Detonation von 750 Gramm Plastiksprengstoff zu überstehen, hat nicht mal er.«

    »Moment mal, hattest du nicht gesagt, es seien eineinhalb Kilo?«

    »Ja, Herrgott noch mal! Was kann ich denn dafür, wenn mir dieser Tollpatsch von Oberfeldwebel in die Quere kommt!« Der Anrufer schnappte nach Luft. »Sei’s drum: Die Sache ist auch so über die Bühne gegangen. Kopf hoch, alter Junge. Du wirst doch jetzt nicht schlappmachen, oder?«

    »Das ist nicht der Punkt, Claus.«

    »Sondern?«

    »Bei uns kursiert das Gerücht, der Führer sei am Leben.«

    »Am Leben? Du bist wohl nicht ganz bei Trost, was?« Das Atmen am anderen Ende der Leitung steigerte sich zu einem Keuchen. »Darf man fragen, welcher Trottel das Gerücht in die Welt gesetzt hat?«

    »Keitel.«

    »Der lügt, wenn er nur den Mund aufmacht. Selbst schuld, wenn du auf diesen Speichellecker reingefallen bist.«

    »Schuld oder nicht – sag mir lieber, was wir jetzt tun sollen!«

    »Na, was denn wohl!«, gab Claus Schenk Graf von Stauffenberg kurz angebunden zurück, unüberhörbar in seiner Ehre gekränkt. »Walküre-Alarm geben. Ich muss dir wohl nicht sagen, dass jede Minute kostbar ist.«

    Nein, das musste der Freund, mit dem er durch dick und dünn gegangen war, nicht. Wenn er eine Entscheidung fallen musste, dann jetzt. Sonst war es um ihn, Claus und all die anderen, die am Staatsstreich beteiligt waren, geschehen.

    »Bist du noch dran, Albrecht?«

    »Und was, wenn die Gerüchte stimmen? Hast du dir das schon mal überlegt, Claus? Himmler und die Gestapo und das ganze braune Gesocks warten doch nur darauf, Leute wie uns aus dem Weg zu räumen.«

    »Eben. Und genau deswegen wirst du jetzt Walküre-Alarm auslösen. Damit wir den Herrschaften auf die Pelle rücken können, bevor es zu spät ist.« Der Anrufer atmete kräftig durch. »Ich schlage vor, du trommelst jetzt sämtliche Kameraden zusammen und sagst ihnen, was Sache ist. Lass dich nicht irremachen, Albrecht, hörst du? Walküre in Gang setzen und wie geplant vorgehen, egal, welche Gerüchte in Umlauf sind. Wir müssen da durch, Kamerad, um jeden Preis. Jetzt kommt alles darauf an, dass wir einen kühlen Kopf bewahren. Je eher das Wachbataillon und das Ersatzheer mobilisiert werden, desto besser. Komme, was mag: Wir müssen die Nazis vor vollendete Tatsachen stellen, und das bedeutet, dass Goebbels, Himmler und die gesamte braune Prominenz aus dem Verkehr gezogen werden müssen.«

    »Und was ist mit Fromm?«

    »Na was wohl! Wenn er Zicken macht, müssen wir ihn zu seinem Glück zwingen.« Stauffenberg stieß einen unwirschen Seufzer aus. »Herrje, muss ich denn alles selbst machen?«

    Von Quirnheim blieb die Antwort schuldig. Genau das war der wunde Punkt gewesen. Damit das Attentat glatt über die Bühne ging, hätte man die Last auf mehrere Schultern verteilen müssen. Denker, Lenker, Antreiber, Organisator und Attentäter in einer Person, und das, obwohl Claus während des Afrika-Feldzuges das linke Auge, die rechte Hand über dem Gelenk und zwei Finger der linken Hand verloren hatte: So etwas konnte unmöglich gut gehen.

    »Was ist los, Herr Oberst? Fracksausen?«

    »Wenn ich ehrlich bin: ja.«

    »Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd, alter Haudegen. Nichts ist so heiß, wie es gekocht wird. Walküre auslösen, Olbricht und den anderen in den Hintern treten, Ämter und Posten wie besprochen verteilen. Mehr ist nicht vonnöten.«

    »Na, du hast vielleicht gut re…«

    »Von Haeften und ich machen uns jetzt auf die Socken, Albrecht. Gegen halb fünf sind wir da. Dann sehen wir weiter.«

    »Und was, wenn etwas schiefgeht, Claus?«

    Die Stille, die für Sekundenbruchteile einkehrte, hätte beklemmender nicht sein können. »Was dann passieren wird, fragst du?«, erwiderte von Stauffenberg, vom einen auf den anderen Moment todernst. »Dann, alter Freund, möge uns der Herrgott gnädig sein!«

    Kapitel 2

    Berlin-Tiergarten, Hotel Esplanade am Potsdamer Platz

    │20:45 h

    Es war fast wie früher. Wie damals, als die Nazis noch nicht für voll genommen wurden. Trotz strikten Verbots ließ es sich der Barpianist nicht nehmen, Kompositionen von Duke Ellington zu klimpern, und auch sonst hatte man das Gefühl, der Krieg spiele sich auf einem fernen Planeten ab. Am Cognac, ausschließlich für Stammgäste reserviert, war nichts auszusetzen, Prominenz aus Partei, SS oder diversen Ministerien machte sich rar, und obwohl es keinerlei Grund zum Optimismus gab, ließ sich das gute Dutzend betuchter Gäste die Laune nicht verderben. Halb Berlin lag bereits in Trümmern, aber daran, wie an die drohende Niederlage, schien kein Mensch auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Es war alles so wie früher, als sich Stars wie Charlie Chaplin oder Greta Garbo die Klinke in die Hand gaben, als der Champagner in Strömen floss, Charleston getanzt wurde und die Nazis einen Bogen um die im Belle-Epoque-Stil errichtete Nobelherberge machten.

    Alles so wie früher?

    Fehlanzeige.

    Nichts war so wie früher. Absolut nichts. Das fing mit der Bruthitze an, gegen die der Ventilator an der Stuckdecke nicht viel ausrichten konnte, setzte sich mit den Wegweisern mit der Aufschrift Luftschutzraum fort und gipfelte in den Putschgerüchten, die in Windeseile die Runde gemacht hatten. Es lag etwas in der Luft, was genau, war und blieb Gegenstand hitziger Spekulationen. Wie zum Beweis, dass etwas Außergewöhnliches im Gang war, waren überall im Regierungsviertel Militärfahrzeuge aufgefahren, die meisten vor dem Propagandaministerium, wo Ordonnanzen ein und aus gingen und an Panik grenzende Betriebsamkeit herrschte. Kein Zweifel, dies war kein Tag wie jeder andere.

    Ein Tag, über den man noch lange reden würde.

    »Bitte nimm doch Platz, Helene.« Maximilian von Hardenberg, Major im Generalstab, war sich dessen mehr als bewusst. Im Gegensatz zu den Nachtschwärmern, die sich trotz Tanzverbots amüsierten, war ihm alles andere als nach Feiern zumute. Dennoch oder gerade deswegen gab er sich betont locker, und sei es nur wegen seiner Frau, die ihn mit besorgter Miene musterte. »Ich habe mit dir zu reden.«

    »Da bin ich aber gespannt, Max«, gab die adrette, gertenschlanke, wider jegliche Konventionen rauchende und aus dem Rheinland stammende Fabrikantentochter zurück, drückte ihren Dunhill-Zigarillo aus und ließ das Mundstück in die Handtasche aus Krokodilleder gleiten. »Sag mal, was ist denn eigentlich los? Du rufst mich an, sagst, ich soll meine Siebensachen packen, veranstaltest ein Mordstamtam und machst ein Staatsgeheimnis daraus, worum es geht. Du schuldest mir eine Erklärung, findest du nicht auch?«

    Von Hardenberg, Mitte 30, 1,90 Meter groß, dunkelblond, drahtig und blauäugig, trotz Geheimratsecken durchaus nicht unansehnlich, legte den Zeigefinger auf die Lippen und rückte so nah wie möglich an seine knapp 31 Jahre alte Ehefrau heran. »So leid es mir tut, Helene«, erwiderte er in gedämpftem Ton und vergewisserte sich, ob der Kellner, der die Rechnung gebracht hatte, außer Hörweite war. »So leid es mir tut – das … das ist unmöglich.«

    »Soll das ein Witz sein, Max?«

    »Ich wünschte, es wäre so.« Von Hardenberg, eher scheu und darauf bedacht, die Worte sorgsam zu wählen, geriet ins Stocken. »Versteh doch, Helene, ich … ich tue das bestimmt nicht gern.«

    »Was tust du nicht gern, Max?«

    Um seine Verlegenheit zu überspielen, trank von Hardenberg seinen Cognac aus, an dem er eher lustlos genippt hatte, richtete den Kragen seiner Uniformjacke und schlug einen geradezu beschwörenden Tonfall an: »So nimm doch Vernunft an, Helene. Je weniger du über meine Aktivitäten weißt, desto größer die Chance, dass du über alle Berge bist, wenn sie uns in die Pfanne hauen.«

    Die Reaktion auf die Beschwichtigungsstrategie ließ nicht lange auf sich warten. »Sei so gut und spar dir deine Ausweichmanöver, Max«, erwiderte die gelernte Übersetzerin, nicht gewillt, sich einfach abspeisen zu lassen. »Entweder du vertraust dich mir an, oder ich gehe und du siehst mich so schnell nicht wieder.«

    »Nichts lieber als das, Helene«, erwiderte von Hardenberg, ergriff die Hand der Frau, auf die er so sehr fixiert war, dass er sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen konnte, und ließ die Linke auf ihrem gepflegten Handrücken ruhen. »Nichts lieber als das.«

    »Dann stimmt es also, was man sich erzählt.«

    Von Hardenberg wurde aschfahl. »Was immer man sich bei euch im Außenministerium erzählt, Helene«, stieß er in ungewohnt barschem Tonfall hervor, »sieh zu, dass du es für dich behältst. Ich will nicht, dass du für mich den Kopf hinhalten musst, ist das denn so schwer zu verstehen? Bring dich in Sicherheit, Helene, was mich angeht, mach dir keine Gedanken.«

    »Steht es denn so schlimm, Max?«

    »Schlimm?« Der Major wich dem Blick der herb anmutenden Schönheit aus. »Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich nicht, was du damit …«

    »Bist du aber nicht, Max!«, fuhr Helene von Hardenberg ihrem Mann über den Mund. Und ließ den Befürchtungen, die sie hegte, freien Lauf: »Glaubst du im Ernst, ich habe nicht gemerkt, was da am Laufen ist, Max? Seit Wochen bist du kaum noch ansprechbar, und wenn man Konversation betreiben will, muss man dir

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