Tot in München: Friedhofsgeschichte(n) aus acht Jahrhunderten
Von Michael Kubitza
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Buchvorschau
Tot in München - Michael Kubitza
Zum Buch
„In München möchte man nicht tot überm Zaun hängen? Das muss man auch nicht: Die Stadt hat 29 Friedhöfe mit etwa 200 000 „Liegeplätzen
– und ähnlich vielen Geschichten. Wussten Sie zum Beispiel, wie der alte Südfriedhof vom Leichenacker für Pestopfer zum posthumen Hot Spot der feinen Gesellschaft wurde? Oder wieso der Nordfriedhof Thomas Mann an Venedig denken ließ? Und dass der Waldfriedhof der erste seiner Art in Europa war?
Michael Kubitza erzählt die Geschichte der Münchner Friedhöfe von den Anfängen der Stadt bis heute, lädt zum Friedhofsbesuch ein und nähert sich ganz nebenbei dem sehr speziellen Verhältnis der Münchner zum Tod.
Zum Autor
Michael Kubitza, geb. 1969 in Landshut, studierte Geschichte und Germanistik. Er arbeitet als Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, als Dozent und freier Autor.
MICHAEL KUBITZA
Tot in München
Friedhofsgeschichte(n) aus acht Jahrhunderten
VERLAG FRIEDRICH PUSTET
REGENSBURG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eISBN 978-3-7917-6019-3 (epub)
© 2014 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg
Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2558-1
Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf www.verlag-pustet.de
Kontakt und Bestellungen unter verlag@pustet.de
»MÜNCHEN WILL GAR NICHT ERÖRTERT, MÜNCHEN WILL GELEBT UND GELIEBT SEIN.« Wer möchte Ernst Heimeran (1902–1955), dem dieses so urmünchnerisch klingende Leitmotiv zugeschrieben wird, ernsthaft widersprechen? Doch vielleicht wird man ihn ergänzen dürfen, ihn, den großen Verleger und Autor, der in Schwabing das Gymnasium besuchte und wie viele als „Zuagroaster" in München Wurzeln schlug: Die Liebe zur ersten oder zweiten Heimat schließt die Kenntnis über sie nicht aus – und umgekehrt.
Die Geschichte einer Stadt ist ebenso unerschöpflich wie die Geschichten, die in ihr spielen. Ihre Gesamtheit macht sie unverwechselbar. Ob dramatische Ereignisse und soziale Konflikte, hohe Kunst oder niederer Alltag, Steingewordenes oder Grüngebliebenes: Stadtgeschichte ist totale Geschichte im regionalen Rahmen – zu der auch das Umland gehört, von dem die Stadt lebt und das von ihr geprägt wird.
München ist vergleichsweise jung, doch die über 850 Jahre Vergangenheit haben nicht nur vor Ort, sondern auch in den Bibliotheken Spuren hinterlassen: Regalmeter über Regalmeter füllen die Erkenntnisse der Spezialisten. Diese dem interessierten Laien im Großraum München fachkundig und gut lesbar zu erschließen, ist das Anliegen der Kleinen Münchner Geschichten – wobei klein weniger kurz als kurzweilig meint.
So reichen dann auch 140 Seiten, zwei Nachmittage im Park oder Café, ein paar S- oder U-Bahnfahrten für jedes Thema. Nach und nach wird die Reihe die bekannteren Geschichten neu beleuchten und die unbekannteren dem Vergessen entreißen. Sie wird die schönen Seiten der schönsten Millionenstadt Deutschlands ebenso herausstellen wie manch hässliche nicht verschweigen. Auch Großstadt kann Heimat sein – gerade wenn man ihre Geschichte(n) kennt.
DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, lehrt Neuere/Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und forscht zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.
Der Münchner und der Tod: Gar net erst ignorieren!
Es gibt Städte, da fühlt der Tod sich zuhause. Wien zum Beispiel, wo das Jenseitige naturgemäß in jeder zweiten Lebensäußerung mitschwingt und die Stadtgesellschaft sich nach ihrem Ableben auf einer Fläche von 2,5 Quadratkilometern neu zusammenfindet – es lebe der Zentralfriedhof! Venedig, die seit Jahrhunderten sterbende Schöne, die sich in der Friedhofsinsel San Michele eine blasse Doppelgängerin erschaffen hat. Paris, wo der Himmel den prominenten Toten von Montmartre, Montparnasse und Père Lachaise rote Teppiche aus Marmor und wildem Wein ausrollt. Und am Ende der Welt (!) wartet Sydneys Totenstadt Rookwood Necropolis mit einer Million Einwohnern, Picknickplätzen und Honig aus friedhofseigenen Bienenstöcken. Sogar in der ziemlich diesseitig gestimmten deutschen Hauptstadt mit ihrem unübertrefflich mittigen Dorotheenstädtischen Friedhof ist das Rübermachen durchaus ein Thema – auch wenn man es meist mit jenem Pragmatismus anfasst, den Otto Reutter in seinem 1921er Couplet „Bevor de sterbst zelebriert: „Leg dich bequem, befreit von jedem Zwange / du liegst in dieser Lage ziemlich lange. / Nimm ’n Kissen untern Kopf mit weißen Bündchen / und mit der Aufschrift ,Nur ein Viertelstündchen‘
.
Die heimliche Hauptstadt? Die hält sich im Umgang mit den letzten Dingen bedeckt. Geht darüber hinweg. Lässt sich nicht aus dem Takt bringen. „Diese Münchner Art, so locker, so leicht, so vollkommen ohne Knirschen in den Gelenken, so ganz ohne Blei an den Füßen einherzugehen – mich verstört das, schrieb 1969 der Berliner Reiseliterat Horst Krüger, der seinerseits schon zufrieden war, wenn er auf dem Laufsteg Leopoldstraße nicht stolperte. Die deutschen Mentalitätsunterschiede finden sich konserviert in berüchtigten Redewendungen und Redundanzen, Münchnerischen und anderen. „Watt mutt, datt mutt
heißt es protestantisch streng im Norden. Die katholischen Religionsverwandten aus dem Rheinland haben den Tod auch schon eingepreist: „Et kütt, wie et kütt – denn schließlich: „Wat fott es, es fott.
Die Münchner? Wenn wir das oberhalb der Grasnarbe schon überstrapazierte „Mia san mia weglassen, bleibt immer noch „Wer ko, der ko!
Der Spruch geht auf den Rosshändler, Pferderennveranstalter und Lohnkutscher Franz Xaver Krenkl zurück, der ihn dem gar nicht amüsierten König Ludwig I. ins Gesicht schleuderte, nachdem er die royale Karosse mit seinem PS-stärkeren Gespann dreist überholt hatte. Die Anekdote hat den begnadeten Selbstdarsteller Krenkl unsterblich gemacht – einerseits; andererseits liegt er, seit er 1860 bei einem Theaterbesuch das Zeitliche segnete, auf dem Alten Südfriedhof.
Der Münchner an sich (immer mitgedacht die Münchnerin) lässt sich ungern dreinreden – nicht von oben, nicht von unten. In Umfragen und Städte-Rankings erklärt er bis zur Erschöpfung, wie gern er lebt, nämlich in München; vom Sterben ist in den Umfragen nicht die Rede. „Der Tod, der Gläubiger, der Regen / kommen immer ungelegen, dichtete Eugen Roth (heute Friedhof Nymphenburg). Der Münchner hält es da mit dem Brandner Kaspar, der dem Boandlkramer, als dieser ihn abholen kommt, klar macht, dass ihm das jetzt im Frühling überhaupt nicht passt; auch nicht im Sommer, im Herbst oder gar im Winter. „Aber i glaab’, es is g’scheiter als die Rederei da, wann D’ mit mir a Glaasl Kersch’ngeist trinkst, i hon an recht an guat’n und Du schaugst ja so elendi’ aus …
Wie die Geschichte ausgeht, konnte man im Münchner Residenztheater in über 1000 Aufführungen verfolgen – die Titelrolle spielte Fritz Straßner (Friedhof Unterhaching), den „Boandlkramer Toni Berger (Ostfriedhof). Längst gibt es Neuinszenierungen im Volkstheater und im Kino. Und wenn jetzt der Einwand kommt, dass der Brandner Kaspar laut Textbuch am Tegernsee, also nur „im Münchner Umland
zuhause ist: Sein Erfinder, der Mineraloge Franz von Kobell, ist ein geborener und gestorbener Münchner (Alter Südfriedhof). Genau wie Josef Ruederer (Waldfriedhof), Autor der feinen Novelle „Das Grab des Herrn Schefbeck (1911). Der Titelheld hat in seiner Tarockrunde „das schönste Herzsolo
auf der Hand, als ihn der Tod ereilt – was seine Beobachtungsgabe im weiteren Fortgang der Geschichte nicht im Mindesten beeinträchtigt. „Au weh! Sakra! Den hat’s!‘ So tönte es aufgeregt an sein Ohr. Und in das unverfälschte Münchnerisch der Freunde und Kaffeehausbesucher mischt sich aus den höheren Sphären das tadellose Hochdeutsch der singenden Engel und Cherubime." Preißn, engelische!
Es sind aber nicht nur die Zugereisten, denen am Ende der Tod zu schaffen macht, und zwar zu Zehntausenden und zu jeder Zeit. Massenhaft bei Feuersbrünsten und Brückeneinstürzen, Pest und Cholera, Schwedensturm und Bombenhagel, Sendlinger Mordweihnacht, Naziterror, Neonaziterror. Meist aber individuell. Denn wer ist schon ein „Münchner an sich? Der populäre Volksbelustiger Max Griesser? – Hat sich das Leben genommen. Die Beinwurf- und Gesangs-Granate Margot Werner? – Dito. Der Paradegrantler Walter Sedlmayr? Der Schickeria-und-Boulevard-Beglücker Rudolf Moshammer? – Beide Opfer grausamer Gewaltverbrechen. Der kraftgenialische Filmemacher und Leuteschinder Fassbinder? – Ausgelebt nach 37 Jahren, sein Star Barbara Valentin mit 61. Der Monaco Franze – wenn wir den wunderbaren Helmut Fischer so ansprechen dürfen – hielt sein Krebsleiden jahrelang geheim, deutete der Presse nur einmal dezent an: „Das Leben macht sich ja mehr und mehr aus dem Staub.
„Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist": Auch Karl Valentin, der Münchnerischste unter den (Anti-)Münchnern, von dem dieser Satz stammt, ist leider schon tot. Gestorben an Auszehrung und Unterkühlung am Rosenmontag 1948, nachdem ihn erst sein Münchner Publikum vergessen hatte und dann noch der Zuschließer in einer eiskalten Theatergarderobe in Haidhausen. Das Theater ist heute ein Lebensmittelmarkt (sic!). Karl Valentin, zu Grabe getragen auf dem Ostfriedhof, liegt inzwischen in Planegg, Barbara Valentin unweit von Moshammer am Ostfriedhof, Fassbinder, Fischer und Sedlmayr in Bogenhausen. Griesser und Werner sind dem Tod, der Georg Kreisler zufolge ja ein Wiener sein muss, ein Stück entgegengekommen und liegen in Österreich.
Was zu beweisen war: Auch in München wurde und wird gestorben, bisweilen unter mörderischen Umständen. Nur dass man – darauf einen Kersch’ngeist! – nicht so gern über die Konsequenzen seines möglicherweise doch irgendwann bevorstehenden Ablebens redet. So wie man nicht über Hautunreinheiten oder die soziale Ungleichheit in der Stadt redet. 29 Friedhöfe gibt es in München, mehr als in den meisten Städten vergleichbarer Größe, fünf große, viele kleine und zwei „tote" Gottesäcker mit zusammen an die 200.000 Einwohnern. Da ist der romantisch überwucherte Alte Südfriedhof: ein Stein und Bein gewordenes Panoptikum Münchner Geisteslebens im 19. Jahrhundert. Der neue Nordfriedhof: Inspiration und Schauplatz von Weltliteratur. Der Ostfriedhof: Zeuge blutigster deutscher Geschichte. Der Westfriedhof: eine italienische Fantasie kurz vor Moosach. Der Waldfriedhof: erster seiner Art in Europa und ein echtes Kulturereignis. Um nur die wichtigsten zu nennen.
Abb. 1:
Bäume, Frieden, klassenloses Miteinander: der Alte Südfriedhof.
Fast alle Münchner Friedhöfe sind umgeben von einer Mauer, die sie aus den Augen, aus dem Sinn schafft. Schade drum und letzten Endes unverständlich: Hat nicht auch der Lieblingsort der lebenden Münchner – der Biergarten – so manches mit einem Friedhof gemein? Die Bäume. Den Frieden. Ein beinahe klassenloses Miteinander. Schlichtes, meist hölzernes Mobiliar. Das Vergießen von Flüssigkeiten. Und liegt nicht der Hauptzweck, weshalb man Friedhof und Biergarten besucht, hier wie dort kühl gelagert unter der Erde? Darüber scheint, so Gott will, die Sonne. „Friss nur! Mensch, friss und sauf! Wir hängen sowieso schon halb am Galgen, schreibt Oskar Maria Graf (Friedhof Bogenhausen) in „Wir sind Gefangene
. Das Münchner Credo aber lautet: Der Tod soll sich gefälligst aus unserem Dasein raushalten, sonst