Andreas Hofer und der Tiroler Freiheitskampf von 1809: Ereignisse. Hintergründe. Nachwirkungen
Von Michael Forcher
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Über dieses E-Book
Andreas Hofer: Volksheld oder religiöser Fanatiker?
Für Gott, Kaiser und Vaterland: Im Jahr 1809 kämpft Andreas Hofer für die Freiheit Tirols - über 200 Jahre später wird er dafür immer noch verehrt. Für viele ist der Wirt vom "Sandhof" aus St. Leonhard in Passeier ein Held, der Anführer eines tapferen Kampfes am Bergisel. Doch er muss auch Kritik einstecken: War er nichts als ein erzkonservativer, dem Trunke nicht abgeneigter religiöser Fanatiker? Wird er zu Recht als Freiheitsheld und Idol gefeiert? Oder sollte man ihn lieber als Fundamentalisten bezeichnen?
Die Tiroler und das Jahr 1809: Heldenjahr oder reaktionärer Aufstand?
Kaum ein Ereignis ist in Tirol mehr mit Legenden und Mythen umrankt als der Freiheitskampf 1809 gegen die Bayern und Franzosen. War dieses Jahr ein "Heldenjahr", ein "Schicksalsjahr"? Oder war "Anno Neun" der Aufstand hinterwäldlerischer Reaktionäre gegen moderne Entwicklungen? War es ein unsinniges, weil von vornherein aussichtsloses Kräftemessen von Schießstandkönigen, Wirten, Raufbolden und Wilderern gegen die gedrillten Heere Napoleons und seiner Vasallen? Oder sind die Leistungen der Tiroler, die damals ganz Europa erstaunt haben, auch heute noch zu bewundern?
Neueste Erkenntnisse zur Biographie des Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer
Es herrscht Aufklärungsbedarf: Michael Forcher, ausgewiesener Kenner der Tiroler Geschichte, durchleuchtet in seinem Buch Vorgeschichte, Hintergründe und Nachwirkungen des Freiheitskampfs. Spielerisch entlarvt er Klischees und lässt Raum für die persönliche Meinungsbildung. Anlässlich des 250. Geburtstags von Andreas Hofer erweitert Michael Forcher seinen Bestseller "Anno Neun" in einer Neuauflage um biografische Aspekte zum bis heute bewunderten und streitbaren Tiroler Freiheitskämpfer. Ein unverzichtbares Buch zu Andreas Hofer und dem Tiroler Freiheitskampf: umfassend, tiefschürfend und spannend wie ein Roman!
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Rezensionen für Andreas Hofer und der Tiroler Freiheitskampf von 1809
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Buchvorschau
Andreas Hofer und der Tiroler Freiheitskampf von 1809 - Michael Forcher
Forcher
»Ein bewaffnet Volk in den Bergen …«
Die freud-leidvolle Nachbarschaft der Länder
Tirol und Bayern, der Krieg von 1703
und die Folgen
Alle hundert Jahre einmal schlagen sie sich die Schädel ein, sonst sind sie fast zu gute Freunde. So hat einmal ein Kabarettist das Verhältnis zwischen Tirolern und Bayern charakterisiert. Die Wirklichkeit ist freilich vielschichtiger, komplizierter. Die manchmal zitierte »Erbfeindschaft« beschränkt sich im Grunde auf wenige – allerdings sehr leidvolle – Kriegsjahre im Mittelalter, zu Beginn des 18. und im frühen 19. Jahrhundert. Dazwischen waren die Beziehungen der beiden Länder trotz mancher politischer Spannungen und trotz gelegentlicher Streitigkeiten der Menschen beiderseits der Grenzen durchaus freudvoll, ja sie waren so intensiv und vielfältig, dass der Begriff »Freundschaft« nicht ausreicht, vielleicht sogar falsch ist. Man muss eher von Verbundenheit sprechen, von Gemeinsamkeiten. Deren Eckpunkte sind der intensive Bevölkerungsaustausch, starke wirtschaftliche Beziehungen nicht nur in grenznahen Regionen und vor allem die gegenseitige Befruchtung in Kunst und Alltagskultur.
Und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen wollte die überwiegende Mehrheit der Tiroler nicht unter bayerischer Herrschaft leben. Der Tiroler Freiheitskampf von 1809 richtete sich nicht – wie immer noch viele meinen – gegen Napoleon, sondern gegen die aufgezwungene Angliederung des Landes an Bayern, das damals allerdings ein treuer und folgsamer Vasall des Franzosenkaisers war, und gegen die verhassten Maßnahmen der Münchner Regierung. Der Versuch, die Fremdherrschaft abzuschütteln, war – aus damaliger Sicht der Tiroler – kein revolutionärer Akt, sondern erfolgte im Rahmen des von Österreich an Bayern erklärten Krieges und in Absprache und mit Billigung, teilweise sogar mit militärischer und moralischer Unterstützung des habsburgischen Kaiserhauses, dem sich die Tiroler seit 450 Jahren zugehörig fühlten.
Die bayerischen Herzöge hatten im 13. Jahrhundert die Herauslösung ihres »Landes im Gebirge« und die Entstehung der reichsunmittelbaren Grafschaft Tirol hinnehmen und 1369 deren kurz zuvor vollzogene Verbindung mit den österreichisch-habsburgischen Ländern anerkennen müssen. Im Jahr 1500 gewann König Maximilian I. als Belohnung für seine Vermittlerrolle im innerbayerischen Erbfolgestreit die Gerichte Kufstein, Rattenberg und Kitzbühel für Tirol. Bald bildete sich auch hier eine tirolische Identität heraus, was der bayerische Kurfürst Max Emanuel bitter erfahren musste, als er 200 Jahre später im Verlauf des europaweit ausgetragenen Spanischen Erbfolgekrieges als Verbündeter Frankreichs in Tirol einmarschierte und wenigstens in den ehemals bayerischen Gebieten auf wiedererweckte altbayerische Gesinnung und entsprechende Unterstützung von Seiten der Bevölkerung hoffte. Sein Versuch, Tirol zu erobern, endete nach anfänglichen Erfolgen in einer schmählichen Niederlage – nicht gegen reguläres Militär, sondern gegen »ein bewaffnet Volk in den Bergen«, wie der Kurfürst seiner Frau nach München schrieb.
Die kriegerischen Ereignisse von 1703, von den Tirolern verharmlosend »Boarischer Rummel« genannt, hinterließen auf beiden Seiten tiefe Wunden. Und weil die Erinnerung daran auch über hundert Jahre gegenseitiges Misstrauen wachhielt, gehören sie zur Vorgeschichte der Geschehnisse von 1809.
Der »Boarische Rummel«
Im Streit um das spanische Erbe war Bayern auf die Seite Frankreichs getreten. Kurfürst Max Emanuel erwartete sich davon größere Chancen auf Land- und Machtgewinn und holte die alten Ansprüche auf Tirol hervor. Dass kaum reguläre Truppen im Land standen und die Behörden sich trotz der offensichtlichen Gefahr eines bayerischen Angriffs nicht zu wirkungsvollen Verteidigungsmaßnahmen aufraffen konnten, musste ihn in seinem Vorhaben ermutigen.
Als am 15. Juni 1703 in Innsbruck die Nachricht eintraf, der Kurfürst ziehe mit 10.000 Mann eigener Truppen und 2500 Franzosen von Rosenheim gegen Tirol, war es natürlich zu spät, obwohl sich sofort tausende Bauern sammelten, um Munition zu fassen und Befehle entgegenzunehmen. Doch da stand das bayerische Heer schon vor Kufstein. Die starke Festung fiel durch einen Handstreich, kurz darauf war auch Rattenberg im Besitz der Angreifer. Das schwache österreichische Militär floh über den Brenner, und als der siegreiche Feldherr am 2. Juli mit großer Pracht in der Tiroler Hauptstadt einzog, huldigten ihm Regierung und Beamtenschaft als dem neuen Landesfürsten.
Die über das Verhalten der Obrigkeit empörte Landbevölkerung ließ sich aber nicht einschüchtern und stoppte am Brenner den bayerischen Vormarsch nach Süden. Da sich gleichzeitig im Inntal das Volk gegen die Besatzer erhob und in der Schlucht zwischen Landeck und Prutz eine bayerisch-französische Abteilung von den Schützen und Landstürmern der Umgebung aufgerieben wurde, musste der Kurfürst eilends umkehren, um sich den Rückweg offenzuhalten. Dies gelang durch die Eroberung von Tiroler Schanzen bei Kematen und am Fuß der Martinswand bei Zirl.
Die Vernichtung einer bayerisch-französischen Einheit an der Schlucht vor Prutz im Oberinntal auf einem zeitgenössischen Stich (1703)
Aus Zorn über die bei diesen Kämpfen erlittenen Verluste brannten Max Emanuels Truppen die Dörfer dieser Gegend und zahlreiche Einzelhöfe nieder, vor dem Rückmarsch ins Innsbrucker Lager wurde geplündert und sinnlos gemordet. Angesichts der kampfbereiten Bauernscharen und einer anrückenden österreichischen Heeresabteilung entschloss sich der Kurfürst zum Rückzug über Seefeld und den Scharnitzpass. Am Abend des 26. Juli war Innsbruck wieder frei. Es war der Feiertag der hl. Anna, weshalb die Tiroler Landstände die später zum Dank für die Befreiung in der Innsbrucker Neustadt (heute Maria-Theresien-Straße) errichtete Mariensäule auch mit einer Statue der hl. Anna schmückten und eine jährliche Prozession dorthin am St.-Anna-Tag gelobten. So erhielt die Mariensäule im Volk den Namen Annasäule.
Tiroler Plünderungen im bayerischen Grenzland
Bei der Verfolgung der bayerischen Truppen fielen Tiroler Sturmscharen im Gefolge des kaiserlichen Militärs nun ihrerseits in Bayern ein, um zurückzuholen, was ihnen vorher die Bayern genommen hatten. Natürlich traf es völlig Unschuldige, als nun vom Tegernsee bis zum Lech Klöster, Dörfer und Höfe in Flammen aufgingen, Viehherden weggetrieben und Häuser ausgeraubt wurden. Wenn jemand um Gnade und Erbarmen bettelte, sollen die Tiroler – so wird überliefert – ungerührt zur Antwort gegeben haben, das Rauben und Stehlen habe man nur von den Bayern gelernt. Als Landstürmer und Soldaten nach drei Tagen das Plündern beendeten, brachten sie viel Geld, wertvolle Sachgüter und 8000 Stück Rindvieh mit nach Hause, die allerdings zum Großteil zur Versorgung der Truppen verwendet wurden.
In der Kufsteiner Gegend dauerte die Schreckenszeit bis Herbst 1704, weil die Festung noch in bayerischer Hand blieb und beide Kriegsparteien abwechselnd über die Grenze zogen, um Dörfer zu zerstören und Beute zu machen. Dann kehrte zumindest in Tirol wieder Friede ein, als Bayern den Krieg gegen Österreich verlor und der Kurfürst ins niederländische Exil ziehen musste. Am 29. November 1704 verließ die unbesiegte bayerische Festungsbesatzung Kufstein. Die folgende Besetzung Bayerns durch die Österreicher mit all ihren negativen Auswirkungen hat mit der damals sehr leidvollen bayerisch-tirolischen Nachbarschaft nichts mehr zu tun. Der berühmte Bauernaufstand von 1705/06 mit der legendären Heldentat des Schmieds von Kochel richtete sich gegen das österreichische Besatzungsregime in München, und an der Niedermetzelung der bayerischen Freiheitskämpfer in der Sendlinger Mordweihnacht waren keine Tiroler beteiligt.
Kurfürst Max Emanuel und sein Stab vor dem bayerischen Lager in Wilten bei Innsbruck (Ausschnitt eines Freskos in der Wiltener Stiftskirche)
Unsichere Nachbarschaft
Die Tiroler Landstände richteten in den folgenden Jahren mehrmals an den Kaiser den Wunsch, er möge doch als Ausgleich für die erlittenen Schäden vom besetzten Bayern die fruchtbaren Landstriche am Inn abtrennen und sie mit Tirol vereinen, damit das Land seinen Bedarf an Getreide nicht länger im Ausland decken müsse. Trotz verschiedener Tauschpläne blieben jedoch im endgültigen Friedensschluss von 1714 die Grenzen zwischen Österreich und dem einem Staatsbankrott nahen Bayern unverändert. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern normalisierten sich zwar bald, Max Emanuels Sohn Karl Albrecht vermählte sich sogar mit einer Tochter Kaiser Josefs I., doch das gegenseitige Vertrauen war erschüttert. In Tirol versuchte man, die Grenzfestungen gegen Bayern in Ordnung zu halten, auch neue wurden gebaut, zum Beispiel im bisher fast ungeschützten Achental. Als Kurfürst Karl Albrecht während des Polnischen Erbfolgekrieges (1733–1735) eine unklare Haltung einnahm und mit Truppenaufmärschen die Unsicherheit vergrößerte, rückte das Tiroler Schützenaufgebot an die bayerische Grenze, was für das Land eine arge Belastung bedeutete, auch wenn es zu keinen Kampfhandlungen kam.
Schon ein paar Jahre später gab es wieder Krieg, da Karl Albrecht nach dem Tod des österreichischen Herrschers Karl VI. und dem damit verbundenen Aussterben der Habsburger im Mannesstamm Erbansprüche auf ganz Österreich stellte. 1741 drang der Kurfürst mit eigenen und französischen Truppen in Oberösterreich ein. Natürlich war auch Tirol in Gefahr, das Landesaufgebot wurde an die Grenze geschickt. Zu Kämpfen kam es jedoch zunächst nirgends. Karl Albrecht konnte Prag erobern und wurde zum deutschen Kaiser gewählt, doch sein Land war wieder einmal österreichischen Angriffen und Verwüstungen ausgesetzt. Die Tiroler überschritten die Grenze nicht, konnten sich also zugutehalten, an den Gräueln, die über ihre Nachbarn hereinbrachen, nicht schuld zu sein.
Dann wendete sich das Kriegsglück, 1744 kehrte Karl Albrecht als Kaiser Karl VII. nach München zurück. Damit wurde es auch an der Tiroler Grenze wieder brenzlig. Bei Windhausen wehrten die Schützen einen bayerischen Angriff ab. Am 20. Jänner 1745 starb Karl Albrecht, sein Nachfolger Max III. Joseph schloss in Füssen Frieden mit Österreich – und für das nächste mehr als halbe Jahrhundert wurden die tirolisch-bayerischen Beziehungen durch keine diplomatisch-dynastischen Verwicklungen und kriegerischen Ereignisse mehr getrübt.
Als von 1796 bis 1800 die europäischen Kriege gegen das revolutionäre Frankreich Tirol in Mitleidenschaft zogen, waren Bayern und Österreich noch verbündet. Fünf Jahre später stand das inzwischen mit der Pfalz vereinte Kurfürstentum auf der Seite des neuen französischen Kaiserreichs. Max IV. Joseph aus der pfälzischwittelbachschen Nebenlinie Zweibrücken hatte mit Napoleon ein Schutz- und Trutzbündnis abgeschlossen, als Siegespreis im bevorstehenden Krieg winkte – Tirol. Aber noch sind wir nicht so weit.
Gegen revolutionäre Ideen und Armeen
Das Herz-Jesu-Gelöbnis, der Krieg
von 1796/97 und die Ereignisse von 1805,
als deren Folge Tirol zu Bayern kam
Ereignisse und Gedankengut der Französischen Revolution wurden auch in Tirol bekannt und heftig diskutiert. Dann brachten die revolutionären Armeen den Krieg ins Land. Als im Frühjahr 1796 der junge General Napoleon Bonaparte die Österreicher zum Rückzug aus der Lombardei gezwungen hatte, folgten zahlreiche Schützenkompanien dem Aufruf der beliebten Erzherzogin Maria Elisabeth, die als Äbtissin des adeligen Damenstifts in Innsbruck sozusagen das Herrscherhaus in Tirol vertrat, und zogen an die bedrohte Südgrenze. Am Monte Baldo zwischen Gardasee und dem Etschtal kam es Ende Juni 1796 zu den ersten Gefechten zwischen französischen Einheiten und den Tiroler Landesverteidigern. Hauptsächlich waren es Kompanien aus Lana, Villanders-Kastelruth, Brixen, Vintl und Taufers, die hier ihre Feuertaufe erlebten und dem vielfach skeptischen kaiserlichen Militär bewiesen, dass ihr Einsatz durchaus eine wichtige Verstärkung darstellte.
Den Feind von Tirol fernzuhalten, geboten nicht nur Freiheitsliebe und Patriotismus, sondern auch die Treue zu Religion und Kirche, die unter der Revolution in Frankreich und in den von ihren Armeen eroberten Ländern zu leiden hatten. Bezeichnend für die Stimmung im Land ist das am 1. Juni 1796 auf Anregung des Stamser Abtes Sebastian Stöckl von den in Bozen zusammengetretenen Ständevertretern beschlossene Gelöbnis, in Zukunft das Herz-Jesu-Fest besonders feierlich zu begehen. Die Verehrung des heiligsten Herzens Jesu war seit Mitte des 18. Jahrhunderts von den Volksmissionaren gefördert worden, wurde jedoch später von staatlichen und kirchlichen Aufklärern möglichst unterdrückt, ja sogar mit Verboten belegt, was viel Unmut auslöste. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Herz-Jesu-Gelübde, das bald schon als »Gottesbund« im alttestamentarischen Sinn aufgefasst wurde, größere Bedeutung. Offenbar ging es nicht nur darum, den Beistand Gottes im Kampf gegen äußere Feinde zu erflehen. Es war auch der Höhepunkt einer Auseinandersetzung mit Andersdenkenden im eigenen Land und an der Spitze des Staates.
Das Herz-Jesu-Bild aus dem Bozner Dom hat wegen des Gelöbnisses von 1796 historische Bedeutung.
Abt Sebastian Stöckl von Stams, der den Antrag für das Herz-Jesu-Gelöbnis stellte
Im Herbst 1796 entschloss sich Napoleon, seine Stellungen rund um die belagerte österreichische Festung Mantua durch einen Angriff auf Tirol abzusichern. Er marschierte nordwärts und besetzte Trient, erst bei Salurn konnte der Vorstoß von Militär und Schützen aufgehalten werden. Dass die französischen Soldaten bei ihrem Vorrücken nicht nur mehrere Ortschaften niederbrannten und landwirtschaftliche Güter verwüsteten, sondern auch Kloster und Kirche von Deutschmichel (San Michele all’Adige) plünderten, liturgische Geräte zerstörten, in frevelhafter Weise den Tabernakel aufbrachen und mit den heiligen Hostien ihre gotteslästerlichen Späße trieben, bestätigte den Tirolern die schlimmsten Gerüchte, die den Revolutionstruppen vorauseilten.
Anfang 1797 wurde die Lage für Tirol durch die Niederlage der Österreicher bei Rivoli am Fuße des Monte Baldo und den Fall Mantuas wieder bedrohlich. Denn Napoleon rückte jetzt mit der Hauptarmee über Friaul in Richtung Wien vor und ließ General Joubert zum Flankenschutz über das Etschtal, Eisacktal und Pustertal nach Kärnten marschieren. Die Abwehrlinien bei Salurn hielten dem neuerlichen Angriff nicht stand. Am 23. März erreichte Joubert Bozen, am Tag darauf Brixen, wo man einige Tage Rast einhalten wollte. Die kaiserlichen Truppeneinheiten und die einheimischen Landesverteidiger zogen sich nach Sterzing zurück, ließen von dort aus dem Feind keine Ruhe und verzögerten auf diese Weise dessen Weitermarsch.
Gefährlich wurde es für die Franzosen im Talkessel, als sie am 2. April von oben herab bedroht wurden. Der Tiroler Kommandant Philipp von Wörndle hatte nämlich am frühen Morgen an die 3000 Schützen und Landstürmer aus Innsbruck und den umliegenden Dörfern über das Valser Joch geführt, was General Joubert veranlasste, ihm drei starke Kolonnen entgegenzuschicken. So kam es zu jenem berühmten Gefecht beim Dorf Spinges, das nach anfänglichen Schießduellen zu einem blutigen Ringen Mann gegen Mann wurde und auf beiden Seiten große Verluste forderte. Die Landstürmer mit ihren »Mordwaffen« – so nannte man deren Ausrüstung aus Morgensternen, Nagelkeulen, Lanzen, nach vorn gebogenen Sensen, Knüppeln und Spießen – stürzten sich mit Todesverachtung in die »erschröckliche Bataglie«, wie der Kurat Thomas Leimgruber in seinem Bericht an den Brixner Bischof das Gemetzel nannte. Aber auch die den Schießstand gewohnten Scharfschützen mussten, weil das Nachladen viel zu lange dauerte, ihre Stutzen umdrehen und mit den Kolben auf die anstürmenden Soldaten dreinschlagen. Die meisten der gefallenen Franzosen – die Schätzungen schwanken mangels genauer Aufzeichnungen zwischen 600 und 1800 – starben auf diese Weise. Die Tiroler hatten 103 Tote zu beklagen, mehr als während aller späteren Bergiselschlachten.
Das Gefecht von Spinges (Aquarell des Zeitgenossen Jakob Placidus Altmutter)
Der Ausgang war im Grunde unentschieden. Zwar mussten sich die Tiroler schließlich vor der anrückenden französischen Verstärkung zurückziehen, doch hatten sie den Feind entscheidend geschwächt und ihm Angst und Schrecken eingejagt. Vom berühmten »Mädchen von Spinges«, der ladinischen Magd Katharina Lanz, die mit einer Heugabel in den Kampf beim Friedhof eingegriffen hat und die ermüdeten Männer zu neuer Entschlossenheit anspornte, weiß man wenig Gesichertes. Sie ganz in den Bereich der Legende zu verweisen, wie dies heute oft geschieht, negiert ihre Erwähnung in den schriftlich festgehaltenen Erinnerungen des Tiroler Kommandanten Philipp von Wörndle.
Nahkampf mit dem Gewehrkolben (zeitgenössische Radierung)
Das »Mädchen von Spinges« in einer zeitgenössischen Darstellung, erschienen im »Tiroler Almanach auf das Jahr 1802«
In den folgenden Tagen bedrängten die Tiroler den Feind aus allen Seitentälern heraus und vor allem über die Berghänge herab. Als die Lage für Napoleons General unhaltbar wurde, zog er mit seinen rund 1000 Mann in Richtung Lienz ab, um in Kärnten zur Hauptarmee zu stoßen. Auch in Lienz war es inzwischen zu Kämpfen gekommen, als von Kärnten aus französisches Militär die Stadt besetzte. Bauern der Umgebung wagten am Abend des 3. April einen Überraschungsangriff, vertrieben die Eindringlinge und besetzten die Schanzen am Kärntner Tor, um eine Rückkehr der Feinde zu verhindern. Doch die kamen nun von der anderen Seite, aus dem Pustertal. Es waren schlimme Tage für Lienz. Die Soldaten plünderten, und offiziell wurde die Lieferung von 36.000 Portionen Brot, 10.000 Rationen Fleisch, 30 Ochsen und 20.000 Maß Wein gefordert. Wegen der Vorfälle vom 3. April sollte die Stadt außerdem 100.000 Gulden Kontribution bezahlen. Als nur 24.000 Gulden aufgebracht werden konnten, nahmen die Franzosen bei ihrem Abzug am 13. April den Bürgermeister Josef Oberhueber und einige andere Lienzer als Geiseln mit.
Bürgermeister Josef Oberhueber von Lienz
Nachrichten aus Welschtirol, dass die Franzosen auch den Süden des Landes wieder geräumt hatten, steigerten Stolz und Selbstbewusstsein der am Kärntner Tor stehenden Landesverteidiger. Sie weigerten sich, die im Vorfrieden von Leoben zwischen Erzherzog Karl und Napoleon ausgehandelten Waffenstillstandsbedingungen anzuerkennen, weil die den Franzosen eine Wiederbesetzung des Lienzer Talbodens gestatteten. Fast wäre es wieder zu Kämpfen gekommen, doch das Läuten der Sturmglocken und