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Die blöde Schuberten: Roman
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Die blöde Schuberten: Roman
eBook278 Seiten3 Stunden

Die blöde Schuberten: Roman

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Über dieses E-Book

Als erstes von fünf Kindern hatte Hanna eine schwierige Kindheit auf dem Bauernhof der Großeltern. Trotz einer verkorksten Schulzeit meisterte sie mit Erfolg ihre Berufsausbildung und gründete eine Familie. Nicht nur ihre Ehe ging in die Brüche. Viele Auf und Abs hatte sie zu bewältigen und an deren Folgen bis ins Rentenalter zu tragen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum31. Aug. 2022
ISBN9783347702332
Die blöde Schuberten: Roman

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    Buchvorschau

    Die blöde Schuberten - Gudrun Bernhagen

    Nichts ahnend von all dem, was das Leben bringen würde, erblickte am 31. August 1957 ein kleines Mädchen im sächsischen Leipzig das Licht der Welt. Seine Eltern, Ella und Walter Schubert, waren überglücklich, nachdem auch die Entbindung in der Frauenklinik komplikationslos verlaufen war. Voller Stolz registrierte die junge Mutter das Lob der Hebamme: „Das haben Sie gut gemacht." Und sie wollte auch weiterhin alles gut machen. Die tatkräftige Unterstützung ihres Mannes sollte dabei nicht fehlen.

    Eine Woche nach der Geburt ihres ersten Kindes wurde Ella mit ihrem Töchterchen nach Hause entlassen, wo sie von nun an alle Hände voll zu tun haben würde, das Kind gut zu versorgen. „Mach’s gut, kleine Hanna, und komm gut durch die Welt!", gaben die Schwestern der neuen Erdenbürgerin mit auf den Weg.

    Da Ella zum ersten Mal Mutter geworden war, fühlte sie sich noch recht unsicher im Umgang mit dem Baby. Sie war froh darüber, dass sie in den ersten Tagen nach der Entbindung von den Schwestern der Klinik die wichtigsten Pflegehinweise erhalten hatte. Wie dankbar war sie dann auch noch ihrer Mutter, dass diese ihr mit ihren Erfahrungen noch drei Wochen zuhause zur Seite stehen konnte.

    Bei ihr wohnten sie am Stadtrand in einem kleinen Holzhaus, in dem es sich trotz der kleinen Zimmer durchaus gut leben ließ. Aber mit einem Kind war es dann doch sichtlich enger geworden. Zum Glück bot sich ihnen die Aussicht auf ein geräumigeres Zuhause und auf eine Arbeit mit einem höheren Verdienst als bisher. Diese Möglichkeit ergab sich aus der Notwendigkeit, dass Walters Eltern dringend Hilfe brauchten. Somit gaben sie nun ihre Arbeit in der Leipziger Wollweberei, wo sie sich einst kennengelernt hatten, auf und verließen vier Wochen nach der Geburt ihrer Tochter die Stadt.

    Walters Eltern, Martha und Arthur Schubert lebten in der Oberlausitz, in Niesky. Als Vertriebene noch im zweiten Weltkrieg aus Schlesien kommend, hatten sie in diesem Ort eine neue Heimat gefunden. Da Arthur Fleischer war, und sein Handwerk dringend gebraucht wurde, verdankte er seinem Beruf eine vorzeitige Rückkehr von der Front und somit vielleicht sein Leben und auch das seiner Frau und der beiden Söhne.

    Nach dem Krieg sah Walters Vater für seine Familie eine Möglichkeit für einen Neuanfang. In den ländlichen Regionen der sowjetischen Besatzungszone wurde eine Bodenreform durchgeführt. Die damit verbundene Umwandlung der Besitzverhältnisse von Grund und Boden und die baldige Gründung der LPG, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, boten Ella und Arthur eine günstige Gelegenheit, sich gemeinsam einen Bauernhof zu kaufen.

    Während Martha und Arthur mit dem Bauernhof in der Lausitz heimisch wurden, zog es ihre Söhne, als sie erwachsen waren, in die weite Welt hinaus.

    Ganz so weit wie gedacht kamen die beiden Brüder jedoch nicht, denn bereits in Johanngeorgenstadt fanden sie eine Arbeit als Kohlenträger. Während sein Bruder dort sesshaft wurde, zog es Walter schon nach kurzer Zeit weiter nach Leipzig, wo es mehr und bessere Arbeitsangebote gab, und … wo er schließlich seine große Liebe fand.

    Obwohl Arthur und Ella in der Fleischerei stets viel und schwer arbeiten mussten, hatten sie keine wirkliche Vorstellung davon, wie viel Arbeit so ein Bauernhof mit allem Drum und Dran machen würde. Hinzu kam, dass sie auch nicht mehr die Jüngsten waren, sodass ihnen die Arbeit auf den Feldern, im Wald und mit den Tieren mit zunehmendem Alter immer schwerer fiel.

    Da zu Walters Bruder jeglicher Kontakt verloren gegangen war, bot es sich regelrecht an, dem ihnen verbliebenen Sohn mit seiner kleinen Familie ein neues Zuhause zu geben. Auf dem Bauernhof wurden fleißige Hände gebraucht, und im Haus gab es genügend Platz für alle. Ella und Arthur boten als stolze Großeltern auch an, sich um das Kind zu kümmern, wenn die Eltern anderweitig beschäftigt sein sollten. Mittlerweile gab es in der Region genug Arbeitsangebote, sodass auch der Unterhalt für die Familie gesichert sein würde.

    Und so zog die kleine Hanna mit ihren gerade mal vier Wochen zum ersten Mal in ihrem Leben um. Noch war Hanna nicht getauft. Ellas Mutter gehörte keiner Kirche an, und Walters Eltern sollten dafür nicht extra nach Leipzig kommen. Die Taufe wurde dann gleich an einem der ersten Tage in der evangelischen Kirchengemeinde, in der die Familie Schubert Mitglied war, nachgeholt. Schließlich sollte das Kind unter Gottes Schutz aufwachsen.

    Nachdem sich Mutter und Vater mit ihrem Kind auf dem Bauernhof häuslich eingerichtet hatten, ging Walter auf Arbeitssuche. Er konnte sofort in der LPG als Traktorist anfangen zu arbeiten. Und als das Töchterchen aus dem Gröbsten heraus war und durchaus von den Großeltern betreut werden konnte, folgte auch Ella seinem Beispiel. Sie wurde in der Gärtnerei der LPG eingesetzt. So verdienten nun beide Eltern den Lebensunterhalt für ihre kleine Familie, halfen aber auch täglich noch nach der eigentlichen Arbeitszeit auf dem elterlichen Bauernhof. Das war sehr anstrengend. Bei der Doppelbelastung blieb ihnen selbst am Wochenende kaum Zeit, um mit ihrem Töchterchen kindgerecht zu spielen.

    Hanna war inzwischen schon über ein Jahr alt, hatte laufen gelernt und eroberte sich die bäuerliche Welt. Da war der große Hof zum Spielen, der Stall mit den vielen Tieren, der Gemüsegarten für erste kleine „Arbeiten" und zum Naschen, aber auch der Wald und die Felder, wohin sie von ihren Eltern oder Großeltern immer mitgenommen wurde, und wo es ebenfalls viel zu helfen gab. Noch war vieles davon für sie ein Spiel. Am liebsten half sie bei der Fütterung der Tiere, wobei Oma, Opa, Mama oder Papa sie stets im Auge behielten, denn noch war Hanna zu klein, um sie allein zu den Tieren gehen zu lassen.

    Diese Aufmerksamkeit bekam dem kleinen Mädchen sehr gut. Stand es doch dann wenigstens im Mittelpunkt des familiären Geschehens.

    Als Hanna jedoch zwei Jahre alt war, änderte sich das schlagartig, denn ihre Mutter gebar ihr zweites Kind. „Du bist nun die große Schwester, sagte ihr die Mutter bedeutungsvoll und jedes Wort betonend, und Hanna erzählte überall, wo man es hören oder nicht hören wollte: „Ich bin die große Schwester von meiner kleinen Schwester. Deren Namen auszusprechen, fiel ihr noch sehr schwer. Statt Bärbel, nannte sie ihre Schwester einfach nur Babel.

    Wiederum ein Jahr später bekam Hanna ein weiteres Schwesterchen, Gisela, von Hanna liebevoll Gesi genannt. Während sich alle um die kleineren Mädchen kümmerten, war Hanna nun zunehmend sich selbst überlassen und musste mit ihren inzwischen fast vier Jahren schon kräftig mit zupacken und kleinere Arbeiten in Haus und Hof regelmäßig erledigen.

    Die Tiere gemeinsam mit dem Opa zu füttern, das machte ihr Spaß. Die Schweine schmatzten zufrieden, wenn sie das Futter aus dem Eimer in den Trog schüttete.

    In den Hühnerstall durfte sie sogar schon ganz alleine gehen und die Eier einsammeln. Wenn alle heil geblieben waren, kehrte sie dann stolz mit dem vollen Eierkorb in die Küche zurück. Dort musste sie anschließend noch den Hühnerdreck abwaschen und die gesäuberten Eier stempeln, da ein großer Teil der Eier an die LPG abgeliefert werden musste.

    Auch das Füttern der Hühner gehörte mittlerweile zu ihren Aufgaben. Die Trinknäpfe mussten mit frischem Wasser gefüllt werden, und die Fressnäpfe mit Getreidekörnern. Die Körner stellte ihr der Opa in einem Eimer bereit. Mit Hilfe einer kleinen Schaufel sollte sie die Futterschalen auffüllen. Sie mochte es jedoch, die Körner für die Hühner gleich neben ihre Füße zu streuen, liefen diese doch dann aufgeregt darauf herum. Mit leichtem Schuhwerk im Sommer oder gar barfuß pikten die Krallen der Hühnerfüße, was sie nicht störte, da sie so auch immer mal wieder ein Huhn streicheln konnte. Am liebsten hätte sie jedem Huhn einen Namen gegeben, aber sie zu unterscheiden, das fiel ihr schwer. Dafür waren es einfach zu viele.

    Nur der einzige Hahn, der immer erhaben herumstolzierte, kam in den Genuss, von ihr liebevoll „Großer" genannt zu werden. Hüpfte er auf eine Henne, mischte sich Hanna unvermittelt ein und scheuchte ihn weg. In ihrer kindlichen Naivität wollte sie nicht, dass der Hahn ihren Hühnern Schmerz zufügte. Warum sich die Erwachsenen darüber lustig machten, wusste das kleine Mädchen nicht und fühlte sich dann unverstanden.

    Es gab für Hanna aber auch durchaus Aufgaben, die sie überhaupt nicht mochte. Schon im Kleinkindalter gehörte es zu ihren Pflichten, den Müll oder die Küchenabfälle auch bei Wind und Regen täglich herauszubringen. Im Frühling, Sommer und Herbst bereitete ihr das keine große Mühe. Im Winter sollte sie jedoch zusätzlich, vor dem morgendlichen Heizen, die Asche vom Vortag hinausbringen. Das war für das kleine Mädchen eine der unangenehmsten Aufgaben, war es doch nicht nur mitunter eisig kalt draußen, es war auch noch rabenschwarz dunkel. Das spärliche Hoflicht reichte nicht einmal bis zum Komposthaufen, geschweige denn bis zur Aschentonne, die noch weiter vom Haus entfernt stand.

    So kämpfte sich die kleine Hanna jeden Morgen tapfer durch die Kälte und Dunkelheit. Ins Haus zurückgekehrt, hätte sie sich sicherlich über ein „Dankeschön oder „Gut gemacht! gefreut, aber die Eltern waren so beschäftigt, dass sie für diese selbstverständliche Pflichterfüllung keinen Blick hatten.

    Während im ersten Winter auch alles so weit gut ging, wurde ihr im darauffolgenden Jahr diese Aufgabe gründlich verleidet. Ihren Wintermantel übergeworfen und die Füße in die Stiefel gesteckt, näherte sie sich wie immer noch schlaftrunken mit dem Ascheeimer ihrem Ziel, wo sie plötzlich von einem großen schwarzen Hund angegriffen wurde. Reflexartig hob sie den Arm, um ihr Gesicht zu schützen. Das war Glück im Unglück. Wollte der Hund ihr wohl ins Gesicht beißen, so war es nun nur der Unterarm. Vor Schmerz, Angst und Entsetzen ließ sie den Ascheeimer fallen und rannte schreiend zum Haus zurück. Ihr Vater, der durch den Lärm alarmiert war, kam ihr auch schon entgegen und konnte den Hund, der ihm nicht unbekannt war, mit einem schnell ergriffenen Spaten vertreiben.

    Es war für Walter nun wichtig, sich sofort um seine Tochter zu kümmern. Er beruhigte Hanna und entschied nach Begutachtung der stark blutenden Bisswunde, dass sie dringend einen Arzt brauchte.

    Während Ella ihrer Tochter notdürftig einen Verband anlegte, um die Wunde vor Schmutz zu schützen und möglichst zu stillen, rannte Walter zur nächst gelegenen öffentlichen Telefonzelle, um einen Notarzt zu rufen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis das Signal des näherkommenden Martinshorns zu hören war und der Krankenwagen endlich vor dem Tor stand. In der Zwischenzeit hielt Ella ihre Tochter tröstend in den Armen. Hanna genoss diese Umarmungen und Zärtlichkeiten ihrer Mutter, sodass der Schmerz gelindert wurde und nur noch halb so schlimm war.

    Gemeinsam mit ihren Eltern wurde Hanna im Krankenwagen ins nächste Krankenhaus gebracht, wo ihr Arm fachgerecht medizinisch versorgt wurde. Die gereinigte und desinfizierte Wunde wurde genäht und steril verbunden. Leider musste die kleine Hanna auch noch eine Spritze über sich ergehen lassen, als ob der Schmerz und Kummer nicht schon groß genug waren. Die Ärzte hielten es für sehr wichtig, sie vorsichtshalber noch gegen Tollwut zu impfen.

    Nach der Behandlung wurde Hanna für ihre Tapferkeit während der ärztlichen Behandlung noch von ihren Eltern mit einem großen Eis belohnt. Drei Kugeln durfte sie sich sogar aussuchen. Sie nahm von jeder Sorte eine: Schoko, Erdbeere und Vanille. Auch auf dem Heimweg mit dem Bus genoss sie sichtlich die neugierigen Fragen und das Mitgefühl der anderen Fahrgäste, die auf ihren dick verbundenen Arm aufmerksam wurden. „Oh, das tat ja bestimmt ganz doll weh, bekam sie zu hören. „Ach, das war alles gar nicht so schlimm, erklärte Hanna mit kindlichem Stolz. Nach so viel Zuwendung konnte Hanna dem Hundebiss momentan sogar etwas Positives abgewinnen.

    Auch wenn die Eltern und später die Großeltern Hanna über die Schmerzen hinwegtrösten konnten, und die Bisswunde nach wenigen Wochen bereits verheilt war, so würden Hanna die Angst vor Hunden und die Narbe am Unterarm ein Leben lang begleiten.

    Noch am gleichen Tag machte sich ihr Vater auf den Weg zum Hundebesitzer und forderte ihn auf, seinen Hund nicht mehr frei herumlaufen zu lassen. Der Bauer bestritt natürlich, dass es sein Hund gewesen war, denn dieser sei nicht aggressiv. „Sollte ich deinen Hund noch einmal frei rumlaufen sehen, zeige ich dich an!" Mit diesen Worten ließ er den Bauern stehen und hoffte inständig, dass dieser seinen Hund ab sofort anleinen würde. Zudem leerte der Vater seit diesem Vorfall jeden Morgen den Ascheeimer selbst, um seine Tochter nicht wieder einer solchen Gefahr auszusetzen. Hanna war darüber sehr froh, und ihre kindliche Seele liebte den Vater daraufhin noch mehr, glaubte aber auch, dass es Gott war, der ihre kleinen Gebete erhört hatte.

    Zur Geburt ihrer ersten Schwester hatte Hanna eine Puppe geschenkt bekommen, damit sie wie ihre Mutter ein Baby hatte. Diese Puppe liebte sie über alles. Und obwohl sie ihr ständiger Begleiter war, vergaß sie es wenige Tage nach der Hundeattacke, diese abends mit in ihr Zimmer zu nehmen. Als sie im Bett lag und die Oma ihr eine Gute-Nacht-Geschichte erzählte, fiel ihr die fehlende Puppe auf. Sie wagte es jedoch nicht, ihre Oma zu bitten, noch einmal aufstehen zu dürfen. Auch wollte sie nicht ihre Oma die Treppe runter- und wieder raufschicken, um ihr die Puppe zu bringen. Und so blieb diese über Nacht im Hof auf dem Fensterbrett sitzen.

    Als Hanna am nächsten Morgen wieder mit ihrer geliebten Puppe spielen wollte und auf den Hof hinausging, war sie bei deren Anblick schockiert. Die Puppe lag entsetzlich entstellt und zerbissen auf dem Boden. Sie rief sofort nach ihren Eltern, die jedoch diesmal für das Geschrei und die Tränen wegen einer Puppe nicht so viel Verständnis aufbrachten. Dennoch versprach ihr Vater: „Das kriegen wir wieder hin. Der Puppendoktor wird das schon richten."

    Bedauerlicherweise konnte der Vater dieses Versprechen nicht halten, denn die Puppe war so stark zerbissen, dass eine Reparatur nicht mehr möglich war. Der Schäferhund hatte ganze Arbeit geleistet. „Na, dann bekommst du sicherlich zum Geburtstag eine neue Puppe geschenkt", hörte Hanna einen der Erwachsenen sagen. Sie hingegen fragte sich schon, warum sie nicht sofort eine neue bekommen könnte, aber das laut zu sagen, traute sie sich nicht. Hanna hatte keine Zeitvorstellung davon, wann sie wieder Geburtstag haben würde. Sie wusste nur, dass es irgendwann im Sommer sein müsste, und bis dahin würde es noch sehr lange dauern.

    Wenn es auch für Hanna erst einmal keine neue Puppe gab, so machte ihr Vater wenigstens seine Ankündigung wahr, denn das war er seiner Tochter schuldig, und ging zur Polizei, um den Bauern und seinen Hund anzuzeigen. Zufriedenstellend konnte die Familie in den darauffolgenden Wochen und Monaten feststellen, dass der Hund nicht mehr zu sehen war. Somit war die Anzeige wohl erfolgreich gewesen.

    Die Angst vor Hunden war nicht nur die einzige Sorge, da Hanna schon überhaupt ein recht ängstliches Kind war. Leider trugen die Erwachsenen nicht gerade dazu bei, ihr die Ängste zu nehmen. Ganz im Gegenteil, sie schürten sie oft noch.

    Seit ihrer Geburt war Hanna ein klassischer Daumenlutscher. Während der Daumen im Mund steckte, hatte der Zeigefinger die darüber liegende Nase fest im Griff. Da kam es dann auch schon mal vor, dass der Daumen wund gebissen war. Um das Lutschen möglichst zu unterbinden, wickelte ihre Mutter den Daumen in Mullbinden ein und klebte alles mit einem Pflaster an der Hand fest. Vergeblich … Denn trotz aller Sorgfalt, die die Mutter beim Verbinden walten ließ, fand sie am darauffolgenden Morgen Pflaster und Mullbinde stets auf dem Fußboden liegend vor.

    Onkel Otto, der eigentlich nicht ihr Onkel, aber ein guter Freund der Großeltern war, fühlte sich besonders schlau und drohte dem kleinen Mädchen damit, das Problem zu lösen, indem er ihr den Daumen mit einer Schere abschneiden würde. Was für ihn sicherlich ein Spaß war, erschütterte Hannas kindliches Gemüt. Die Vorstellung vom abgeschnittenen Daumen ließ diesen erst recht Schutz suchend in den Mund wandern.

    Ihre Oma, die sie eigentlich sehr mochte, war da genauso ungeschickt, wenn es darum ging, das Kind zum Schlafen zu bewegen. Wie oft hörte Hanna von ihr den Hinweis: „Wenn du nicht schläfst, dann wird das Käuzchen rufen. Und jedes Mal, wenn es ,Kewitt‘ ruft, stirbt jemand. Möchtest du das?" Verängstigt und tief in ihr Bett versunken, schüttelte Hanna den Kopf. Nachdem die Oma dann das Zimmer verlassen hatte, bekam das kleine Mädchen Angst vor dem Käuzchen und versteckte sich unter der Bettdecke.

    Unter „Jemand konnte sich Hanna nichts vorstellen. Für sie hörte es sich immer so an, als ob ein Mitglied der Familie sterben sollte. Also sendete sie unter der Bettdecke schnell ein Gebet zu Gott: „Lieber Gott, bitte lass Mama, Papa, Oma, Opa, Babel und Gesi nicht sterben! Wenn dann am nächsten Morgen alle wieder am Frühstückstisch saßen, war die Welt für sie wieder heil, und sie bedankte sich leise bei Gott für seine Hilfe.

    Hannas Schwestern wuchsen heran und wurden damit auch ihre ständigen Spielgefährten. Da sie nun für die großelterliche Obhut alle drei alt genug waren, ging ihre Mutter wieder arbeiten. Und obwohl die Oma und der Opa immer wieder mal ein Auge auf die Mädchen warfen, waren sich die drei sehr oft selbst überlassen. Während allerdings Babel und Gesi eher ruhig und pflegeleicht waren, war Hanna ein echter Zwirbel, ein kleiner Wirbelwind, der die meiste Aufmerksamkeit der Erwachsenen forderte.

    Die Altersunterschiede zwischen den drei Geschwistern waren eigentlich nicht so groß, trotzdem fühlte sich Hanna oft als das dritte Rad am Wagen. Ihre beiden Schwestern hielten zusammen wie Pech und Schwefel, vor allem wenn es um Schuldzuweisungen ging. Immer schoben sie die Ältere vor, sodass sie trotz ihrer Geschwisterliebe oft in Streit gerieten. Unterstützt wurden die jüngeren Schwestern auch durch ihre Eltern, die den Kleineren nicht so viel Unfug zutrauten. Schließlich hatte Bärbel einen Herzfehler und war damit sowieso schon die Schwächere, während Gisela von Natur aus ein sehr ruhiges Kind war. Und Hanna, der kleine Freigeist, trug nun auch noch als Älteste immer die größte Verantwortung. Sie musste für den Blödsinn, den die drei Mädchen zusammen oder die beiden Schwestern allein ausheckten, oft die Schelte der Eltern ertragen. Diese verbalen Vorhaltungen und handgreiflichen Strafen empfand Hanna meist als ungerecht. „Warum immer ich?, wehrte sie sich wiederholt und bekam als profane Antwort meist nur zu hören: „Weil du die Älteste bist.

    Hanna fühlte sich mit ihren Sorgen oft allein gelassen. Wenn sie sich wehren oder verständlich machen wollte, bekam sie immer ein abfälliges „Ach, du …!" zu hören. Und so fühlte sie sich in ihrem Kummer meist nicht ernst genommen. Wie schön wäre es für sie gewesen, wenn sie für die ordentliche Erledigung ihrer Aufgaben ein wenig Anerkennung erhalten hätte. Aber wehe, sie erfüllte eine Aufgabe mal nicht zur Zufriedenheit ihrer Eltern … Dann gab es sogar Schläge.

    In ihrer Hilflosigkeit hielt sich Hanna für dumm. Und es gab niemanden in der Familie, der ihren Kummer ernsthaft wahrnahm. Als sie es eines Tages nicht mehr aushielt, suchte sich ihr kindliches Gemüt ein Ventil. Sie kletterte auf den Apfelbaum und schrie so laut sie konnte. Und … endlich wurde sie erhört! Ihr Geschrei wurde wahrgenommen. Doch als die Eltern sahen, dass nichts passiert war, riefen sie ihr zu: „Hörst du auf zu schreien! Komm da sofort runter! Oh, oh …! Dieser Ton verhieß nichts Gutes. Sie wurde vom Baum geholt und bekam den Hintern versohlt. „Du hast wohl ne Meise! Was ist los mit dir?! Was sollen denn die Leute denken?!, warf ihr die Mutter vor. Doch wie sollte das Mädchen ihren Eltern ihr Verhalten erklären?!

    Es gab aber auch schöne Momente, Momente der völligen Freiheit. Da das Grundstück nicht eingezäunt war, waren die Mädchen in ihrem Bewegungsradius nicht eingeschränkt. Wenn alle Aufgaben erledigt waren, ging es unter der Aufsicht und Verantwortung der älteren Schwester früh raus und nur zum Essen und abends, wenn es

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