Wie ich aus der Hüfte kam: Und andere Erzählungen
Von Gudrun Bernhagen
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Die Redewendung "aus der Hüfte kommen" ist für sie aber auch synonym für andere hier vor allem humorvoll erzählte Ereignisse aus ihrem Leben.
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Buchvorschau
Wie ich aus der Hüfte kam - Gudrun Bernhagen
Wie ich aus der Hüfte kam
Demokrit (gr. Philosoph):
„Mut ist der Tat Anfang, doch das Glück entscheidet über das Ende."
Dass zu meiner Entscheidung sicherlich auch Mut gehörte, dem wird jeder zustimmen. Ob für den Ausgang jedoch nur allein das Glück entscheidend war, möchte ich bestreiten. Denn an dem Ergebnis waren viele Personen beteiligt: Ärzte, Pflegepersonal, mein sich liebevoll um mich kümmernder Mann, meine mich aufmunternde Familie und Freunde. Und natürlich ich selbst. Alle haben mir die Daumen gedrückt. Und der Daumen waren es wirklich viele! Meine eigenen mitgerechnet. Ich bin von Anfang an optimistisch an die Sache herangegangen und habe mich so vernünftig wie möglich verhalten, um sicher und heil wieder aus der Hüfte zu kommen. Die Chancen stehen immer fifty-fifty. Entweder Hopp oder Flop!
Natürlich hatte ich schon darüber nachgedacht, was sein würde, wenn … Behindert? Oder gar tot? Auch von dieser Chance wurde in den Vorgesprächen gesprochen. Unter anderem sprachen auch viele von der Gefahr des mysteriösen Krankenhauskeims. Aber nichts konnte mich von meinem Vorhaben abbringen. Es wird schon gut gehen. Vielleicht war ich mit meinen braunen Augen auch etwas blauäugig. Aber man muss ja nicht immer gleich schwarz sehen. Schließlich kann ich mich ja auch nicht in den öffentlichen Verkehr begeben und ständig an die Möglichkeit eines Unfalls mit den unmöglichsten Folgen denken. Optimismus mit einer Portion Humor lautet schließlich meine Zauberformel.
Die Schmerzen kamen schleichend. Mal weniger, mal mehr. Hauptsächlich nach sportlichen Aktivitäten wurde es immer schlimmer. Schmerztabletten brachten eine Linderung, waren jedoch für mich auf Dauer keine Lösung, denn davon hatte ich früher schon einmal über einen langen Zeitraum zu viele genommen. Vor fünf Jahren schränkte ich zunehmend alle sportlichen Aktivitäten ein, bis vor einem Jahr gar nichts mehr ging. Hier war der Punkt erreicht, wo endlich festgestellt werden sollte, welches Gelenk hinüber ist, das Knie oder die Hüfte. Vielleicht auch beides. Ein nicht unbedingt angenehmes Gefühl, denn durch eine Untersuchung hätte auch etwas entdeckt werden können, was man lieber nicht hätte wissen wollen.
Röntgenaufnahmen reichten aus, um festzustellen, dass es meinem Knie gut geht, die Schmerzen vom kaputten Hüftgelenk jedoch bis dahin ausstrahlen. Was für eine Erleichterung! Nur noch eine halbe Sorge, aber auch Gewissheit, dass eine Operation nicht mehr vermeidbar ist. Ebenso eine gewisse Erleichterung, weil eine Hüft-OP sicherlich die weniger komplizierte ist. Die Gewissheit jedoch, sich jetzt aufschnippeln lassen zu müssen … Kein schöner Gedanke! Die bloße Vorstellung daran, reichte mir schon.
Mein behandelnder Orthopäde hätte die Operation lieber noch ein wenig hinaus gezögert. Böse Zungen behaupteten, dass er gerne noch etwas Geld an mir verdienen wollte. Aber lassen wir das gleich. Ich hatte immer noch die Worte meines Vaters im Ohr, der sich ebenfalls ein neues Hüftgelenk einsetzen lassen musste: „Hätte ich die OP nur eher machen lassen und mich nicht so lange rumgequält!" Aber wie das so ist … Hätte, hätte, Fahrradkette … Unabhängig davon, hatte er mit seiner Prothese ein wenig Pech. Eines Tages, seine Operation war noch gar nicht so lange her, standen wir beide in der Küche und bereiteten das Abendbrot vor, als es plötzlich in seinem Bein laut hörbar knackte. Es stellte sich heraus, dass die Keramikkugel seiner Hüftprothese gebrochen war. Materialfehler?! Zum Glück gab es Ersatzteile. Er musste sich noch einmal unters Messer begeben, um die Kugel austauschen zu lassen.
Das hätte auf mich eher abschreckend wirken können, hat es aber nicht, da es schon sehr lange her ist. Dass es der Zufall will, dass mir genau das Gleiche wiederfährt, ist so gut wie ausgeschlossen. Oder nicht? Da ich mich endlich möglichst schnell wieder schmerzfrei bewegen wollte, fasste ich kurz und entschlossen den Beschluss, mich diesem chirurgischen Eingriff zu stellen. Allerdings wurde hier meine Geduld gefordert, denn „Gut Ding braucht Weile"!
Es begann mit der Anmeldung für einen Termin zu einem Vorgespräch in der Klinik, wo ich die Operation durchführen lassen wollte. Dieses Gespräch fand erst ein halbes Jahr später statt, wo ich dann meinen verbindlichen OP-Termin erhielt. Einige Monate später war es dann soweit.
Erster Tag:
Aufnahmetag. Ich bin bereit. Mein Mann bringt mich und mein Köfferchen mit dem Auto in die Klinik. An der Rezeption werden die formellen Sachen geklärt. Dann heißt es noch einmal: Blutentnahme, Krankenhauskeimkontrolle, verschiedene Messungen, unter anderem auch meine Sitzhöhe. Wozu das gut sein soll, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber es wird schon seine Bedeutung haben. Nichts ist umsonst oder gar dem Zufall überlassen. Alles wirkt sehr professionell. Bei dem Pfeil, der auf meinen Oberschenkel gemalt wird, bin ich mir da jedoch nicht so sicher. Er soll die zu operierende Seite markieren. Manche Fragen, die man mir stellt, irritieren mich, da ich sie bestimmt schon mehrfach im Vorgespräch beantwortet hatte. Eine ist neu für mich: „Haben Sie Angst vor Stürzen?" Ich stutze kurz, denn ich kann mit der Frage nicht viel anfangen, und verneine schließlich. Ich bekomme noch ein, nicht gerade schmückendes, Armband mit den wichtigsten Daten, dem Namen, das Geburtsdatum, der Station und der Zimmernummer. So kann ich nicht verwechselt werden oder verlustig gehen und bin als all-inclusive-Patient erkennbar.
Bei der Zimmereinweisung erfahre ich alle wichtigen Dinge. Um acht, zwölf und siebzehn Uhr gibt es Frühstück, Mittagessen beziehungsweise Abendbrot. Mein erster Gedanke ist: Oh …, fünfzehn Stunden zwischen Abendbrot und Frühstück, da nehme ich ja sogar ab. Ich darf nur noch heute Abendbrot essen, meine Henkersmahlzeit sozusagen, am nächsten Morgen gibt es kein Frühstück mehr. Zur Operation muss ich nüchtern sein.
Ebenfalls muss ich heute noch mit einer dekontaminierenden Waschlotion duschen. Nach dem Wecken am nächsten Morgen das Ganze noch einmal. Dann dürfte ich bakterienfrei und nicht mehr verstrahlt sein.
Als nächstes packe ich meinen Koffer aus. Ich habe nur wenige Sachen mitgenommen.
Mein Mann nimmt mich in seine Arme, schenkt mir ein Küsschen und wünscht mir viel Glück und dem Operateur ein sicheres Händchen. Mehr kann er für mich nicht tun. Durch den Rest muss ich alleine durch.
Ein wenig lesen, ein wenig fernsehen, zwischendurch Abendbrot. Nachtruhe. Es ist auch wirklich sehr ruhig in der Klinik. Trotzdem kann ich nicht schlafen. Die Nachtschwester lässt sich blicken. Kontrolle, ob alles in Ordnung ist. Sie tröstet mich damit, dass alle Patienten in der Nacht vor der Operation nicht oder nur schlecht schlafen können. „Sie können sich ja dann unter der Narkose ausschlafen", bekomme ich zu hören. Schwesternhumor!
Zweiter Tag:
Um sechs Uhr werde ich geweckt und bekomme nochmals gesagt, dass ich nichts mehr essen dürfe. An meinem „Galgen über dem Bett hängt nun ein großes Schild mit dem Hinweis, „Nüchtern
zu bleiben. Ich kann in Ruhe duschen, ziehe das hochmodische OP-Hemd an und warte. Hin und wieder kommt eine Schwester ins Zimmer. Ich werde wiederholt nach meinem Namen und dem Geburtsdatum gefragt. Sollte ich mich über Nacht so verändert haben?! Meine Temperatur wird gemessen, die Essenswünsche für den kommenden Tag werden notiert, und ich darf mir eine Tageszeitung aussuchen. Das verbreitet Hoffnung. Man geht also davon aus, dass ich die Operation überleben werde. Ein wenig Sorgen mache ich mir, weil durch das zweimalige Duschen der Pfeil auf meinen Oberschenkel komplett verschwunden ist. Aber siehe da, es kommt auch noch ein Arzt und erneuert die Markierung, sodass auch ja nicht die falsche Hüfte operiert wird.
Dann bin ich wieder allein und warte auf die Dinge, die da kommen. Eine angenehme Ablenkung ist das Damwild, das im Wald unter meinem Fenster vorbeizieht. Elf Tiere zähle ich. Leider ist kein Hirsch dabei.
Gegen elf Uhr werde ich endlich abgeholt. Die obligatorische Frage nach dem Namen und dem Geburtsdatum hat die Kontrolle meiner Antwort mit den Angaben auf meinem Armband zur Folge. Hat man hier Angst, dass sich eine andere Person einschmuggelt und sich an meiner Stelle operieren lassen will. Na ja, Vorschriften aus welchen Gründen auch immer. Nichts ist nach wie vor umsonst und dem Zufall überlassen.
Auf meinem Bett liegend werde ich nun durch endlos erscheinende Krankenhausflure geschoben, bis ich mich nach einer gefühlten Erdumrundung im Vorraum zum Operationssaal befinde. Während mit mir noch diverse Kontrollen wiederholt und Flexülen, sogenannte Venenverweilkanülen, am Arm und am Handgelenk gelegt werden, bekomme ich mit, dass im OP-Saal gerade noch operiert wird. Muss ich hier etwa noch irgendwo eine Wartemarke ziehen …?! Irgendwann, wahrscheinlich ist die vorangegangene Operation gerade beendet, stellt sich mir auch schon der operierende Arzt vor. Er beruhigt mich und kündigt mir den Beginn des Eingriffs in wenigen Minuten an. Zeitgleich beginnen die Aufräumungs- und Vorbereitungsarbeiten für die nächste Operation, also für meine.
Und plötzlich geht alles ganz schnell. Ich werde in den OP-Saal geschoben. Vor Aufregung oder vor Kälte zittere ich am ganzen Körper. „Haben Sie Angst?, werde ich gefragt. „Nein, ich bin nur aufgeregt
, entgegne ich. „Das dürfen Sie auch. Das sind alle, werde ich wiederum beruhigt. Das medizinische Personal ist sehr nett. Langsam werde ich ruhiger. Wir unterhalten uns noch kurz über meinen Beruf und plötzlich wird mir eine Atemmaske übers Gesicht gehalten. Ich sehe die Uhr an der Wand. Es ist Punkt zwölf Uhr. Ich höre noch: „Jetzt atmen Sie frische Havelländer Luft ein und werden gleich ins Kissen fallen …
. ? . ? . ? .
Irgendwie bin ich wach. Oder nicht? Ich merke, dass ich auf eine andere Unterlage gehoben werde. Ich höre eine Stimme sagen: „Heben Sie bitte den Kopf! Irgendwie fühle ich mich angesprochen und hebe automatisch meinen Kopf. Muss wohl richtig gewesen sein, denn ich werde gelobt: „Ja, gut gemacht!
Ich? Oder doch irgendjemand anderer?
. ? . ? . ? .
Als ich erneut, diesmal richtig, wach werde, befinde ich mich in einem anderen Raum, dem Aufwachraum, wie ich später mitbekomme. Ich öffne die Augen und sehe wieder eine Uhr an der Wand. Vierzehn Uhr.
Mein erster Gedanke: Ich lebe!!!
Sofort beginnt um mich herum ein emsiges Treiben. Die Schwestern sind sehr besorgt um mich. Mir werden die üblichen Kontrollfragen gestellt. Ich kann auf alle für sie zufriedenstellend antworten. Mehrere Gerätschaften werden an mir angeschlossen. EKG, Tropf, Pulsmesser am Zeigefinger, Sauerstoffzufuhr in der Nase und was weiß ich noch. Ich sehe bestimmt aus wie in den besten Krankenhausfilmen. Jedenfalls bekomme ich alles, nur nicht mein versprochenes Eis. Aus dem Informationsfilm der Klinik ging hervor, dass die Patienten nach der Operation ein Eis bekommen. Ich warte auf die alles entscheidende Frage nach der Sorte. Natürlich Vanille! Aber die Frage wird mir einfach nicht gestellt und ich fühle mich ein wenig betrogen. Vielleicht später …?
Zwischen den ständigen Blutdruckmessungen, die Manschette wird ungefähr alle zwanzig Minuten aufgepumpt, werde ich umsorgt und dämmere währenddessen immer wieder vor mich hin. Zum Wasserlassen bekomme ich einen Schieber. Die Urinmenge und die Uhrzeit werden abgelesen und wie die anderen ständigen Messungen in die Patientenakte am Fußende meines Bettes eingetragen.
Pünktlich vier Stunden nach dem Erwachen erfolgt die von mir gefürchtete erste Aufsteh- und Laufprobe. Vor Kälte, Aufregung oder Schwäche bebt mein ganzer Körper und ich darf letztendlich nur auf der Stelle laufen. Mit meinem schwachen Kreislauf werde ich an diesem Abend nicht „entlassen", sondern muss noch die ganze Nacht im Überwachungsraum bleiben. Zwei Frauen teilen sich dieses Los mit mir. Über die Männer im anderen Raum habe ich keinen Überblick.
Die eine Patientin ist wesentlich älter als ich. Zwischen uns liegt eine jüngere Frau, die ich bewundern muss. Sie hat jetzt die dritte Operation in diesem Jahr hinter sich. Sie hatte vor zwei Jahren Leukämie, die sie erfolgreich überstand. Allerdings hatten die Medikamente ihre Gelenke angegriffen. Beide Schulter- und beide Hüftgelenke. Das eine Schultergelenk und eine Hüfte waren schon erneuert. Nun wurde das andere Hüftgelenk ausgetauscht. Für das kommende Jahr steht noch das andere Schultergelenk auf dem Plan. Alle Achtung! Da fühle ich mich völlig bedeutungslos mit meiner einen Hüfte.
Nach der Laufprobe wird mir nun auch … nein, leider nicht das Eis … dafür aber das Abendbrot gebracht. „Stulle mit Brot" sagt