Nagelprobe 31: Preisgekrönte Texte des Jungen Literaturforums Hessen-Thüringen
Von Allitera Verlag
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Buchvorschau
Nagelprobe 31 - Allitera Verlag
Preisrede
Das Was und das Wie
Ist es nicht eine gute und schöne Sache, wenn sich junge Leute schreibend mit ihrer Welt auseinandersetzen und dem, was sie bewegt, ihre eigene Sprache geben? Natürlich ist da von Liebe die Rede, weniger von erfüllter, mehr von Abschied und Einsamkeit. »Einsam« heißt der kürzeste Text in der »Nagelprobe«. »In der Stadt sind alle Lichter aus / Bis auf eins.« Da ist von Gewalt und Zärtlichkeit die Rede, von Zuwendung und Egoismus, von Arbeitslosigkeit und Sehnsucht nach einem erfüllten Leben. Na und, sagt da einer mit gerunzelter Stirn, ist doch eh nichts Neues, immer diese Beziehungskisten. Doch überschaut man die reiche Literaturgeschichte, gibt es da nicht eine ständige Wiederkehr von Themen und Motiven, bei all den unterschiedlichen zeitgeschichtlichen Umwandlungen? Immer wieder dieses »Willkommen und Abschied«. »Es schlug mein Herz. Geschwind, zu Pferde! / Und fort wild wie ein Held zur Schlacht«, dichtet der junge Goethe 1771 in der ersten Fassung seines berühmten Gedichtes. Das hat er dann später gemildert. Es klang ihm wohl etwas zu martialisch. »Sie hat mir Treu versprochen«, schreibt Eichendorff »Gab mir ein’ Ring dabei, / Sie hat die Treu gebrochen. / Mein Ringlein sprang entzwei.«
Auch in unserer Anthologie ist von »Willkommen und Abschied« die Rede: »Ich habe nie gesagt, dass ich dich vergessen will, aber wenn ich dich vergessen wollte, müsste ich etwas anziehen, was du nie berührt hast.« Eine andere Erzählung endet ganz schlicht: »Du hast mich und die gute Zeit. Gute Momente, mit denen du deine leeren Blicke füllen solltest. Denk nächstes Mal daran, Glück steht dir so verdammt gut. Gib nicht auf. Denn wenn du gehst, tu ich es auch.« Und dann gibt es auch ein schlimmes Erwachen. Die kurze Erzählung »Wodka ahoi« ist hart und unerbittlich. »Lea wacht auf, weil da irgendetwas zwischen ihren Beinen ist. Sie blinzelt. Ein Männerkopf?! Fuck, was ist hier eigentlich los«, lauten die ersten Sätze. Kunst wird ja oft genug aus einem Defizit geboren. Aus all dem, was da einer an Ärger und Schmerz empfindet, oder auch aus einer Sehnsucht nach einer Balance zwischen sich und der Welt, vor allem aber nach Mitmenschlichkeit. Wohl wissend, dass man eben nicht in der besten aller Welten lebt.
Man schreibt sich etwas von der Seele, heißt es. Aber Literatur ist eben mehr. Es geht nicht allein um eine »Verlusterfahrung«. Zu Literatur wird sie erst durch den spielerischen Umgang mit ihr. Der leider viel zu früh verstorbene Thüringer Dichter Harald Gerlach (1940−2001) sagt, sich an Friedrich Schiller anlehnend: »Das ist eine existentielle Sache, seit Menschen ihr Dasein reflektieren. Die nicht aushaltbaren Konflikte werden im Spielvorgang zum Material. Spielend nehmen wir den Schmerz aus uns heraus, stellen ihn vor uns hin und vollführen damit Kunststücke.« Schiller schreibt in seiner »Ästhetischen Erziehung des Menschen«: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung Mensch ist, und er ist nur da Mensch, wo er spielt.« Und so hat dieser Spielbegriff bei aller Heiterkeit, den er im Umgang mit Sprache in sich birgt, zugleich den ernsten Grund der Freiheit. Spielerisch meint auch, sich wehren gegen Sprachverflachung und -vermüllung, gegen Wortgeklingel, gegen hohle Verlautbarungen und Phrasen, mit denen der Alltag und die Welt mit ihren scharfen Konflikten zugedeckt werden. Spiel bedeutet zudem, Mut zu haben, neue Wörter zu finden und mit ihnen den Dingen Leben einzuhauchen. Ja, manchmal fliegt einem ein neues Wort zu oder eine ungewöhnliche Wendung. Man sollte sie behüten wie einen kleinen verletzlichen Vogel, bis sie flügge werden.
Gerade in solchen Zusammenhängen möchte ich eine Lanze für die Lyrik brechen. Wer heute ernsthaft Gedichte schreibt, hat Mut. Werden wir doch zugedeckt von banalen Schlagerversen und Werbetexten. Wer dem etwas entgegensetzt, hat Selbstbewusstsein. Mag er doch in wenigen Versen das unterbringen, wozu ein Roman 300 Seiten braucht. Neun Gedichte wurden von der Jury in die Anthologie aufgenommen. Sie leben bei aller Unterschiedlichkeit nicht zuletzt von einem bemerkenswerten Formbewusstsein. Bis hin zu dem für manchen ungewohnten Fließtext. So das Gedicht »fahrten«.
Wenn wir vom Formbewusstsein sprechen, möchte ich am Ende noch ein kleines Plädoyer für das Komma halten. Jenes unscheinbare Zeichen mit großer Sinnhaftigkeit. Es gliedert, strukturiert und lässt verweilen. Etwa in Satzverbindungen mit »und«. Da gibt es in den eingesandten Texten endlose Reihungen, wo man sich geradezu nach diesem Komma sehnt. Schönes Komma, wo bist du, möchte man rufen. Es fehlt. Das hat ja immer auch etwas mit einem Gefühl zu tun. Vergesst es nicht ganz, dieses kleine Zeichen. Nehmt Rücksicht auf den Leser, der auch einmal Luft holen will und sagen: Toll, dass hier ein Komma steht. Von dem Thüringer Schriftsteller Siegfried Pitschmann (1930−2002), einem Meister geschliffener kurzer Prosa, wird erzählt, dass er nach mehreren Mahnungen dem Lektor einen Text zurückgeschickt hat, und zwar mit der Bemerkung, er habe nach reiflichem Überlegen noch eine Änderung gemacht. Ich habe nichts gemerkt, sagte der Lektor. Doch, entgegnete Pitschmann, ich habe noch ein Komma gesetzt. Dazu hatte er mehrere Wochen gebraucht.
»Man ist nicht Schriftsteller, weil man gewählt hat, bestimmte Dinge zu sagen, sondern weil man gewählt hat, sie auf eine bestimmte Weise zu sagen«, so Jean-Paul Sartre. Allen Preisträgern die besten Wünsche. Und schreibt weiter, mit und ohne Komma. Aber schreibt.
Im April 2014
Martin Straub
Hauptpreise
Nils Fabian Brunschede
Ihr Zimmer
Wie Sie merken werden,
ist über den Eichendielen die Luft stehen geblieben.
Der Staub im Teppich ist kaum auszuschlagen.
Würde jemand eine Frage in diesen Raum stellen,
sie würde sich scheinbar verflüchtigen
und später von den Wänden bröckeln.
Stören Sie sich bitte nicht an der,
die noch dort am Tisch sitzt, das ist die Seele,
die sitzt öfter mit dabei und bedient sich der Reste,
wenn man schon aufgestanden ist.
Es gibt keine Nebeninteressenten.
Ich habe selber einmal hier gewohnt, bin selbst
millionenfach über diese Schwelle getreten.
Machen Sie mir bis übermorgen ein Angebot.
Tempelcafé
Das andere, abgeschabte Blau
des Polsters,
Sätze, in den Zigarettenqualm geritzt,
auf den Tischen sind einige Münzen
einfach immer dort liegen geblieben,
die Fußabdrücke im Treppenhaus
wie eine Folie auf den Stufen.
Eine Stimme befragt sich, eine andere
hebt die Stirn aus den Falten,
man begrüßt sie als Täufling.
Das Flussaufwärtsrücken der Stühle.
Nils Fabian Brunschede, geboren 1991 in Bochum, studiert Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Frankfurt am Main. Er war 2006 Preisträger beim »Treffen Junger Autoren«. Veröffentlichungen: Beitrag in der Anthologie »Nagelprobe 26« sowie Gedichte und Prosa in den Literaturzeitschriften »Neue Rundschau« und »BELLA triste«.
Charlotte Fritsch
Wodka ahoi
Lea wacht auf, weil da irgendwas zwischen ihren Beinen ist. Sie blinzelt. Ein Männerkopf?! Fuck, was ist hier eigentlich los? Und warum stinkt es hier so nach …? – Lea sieht sich hilflos in ihrem neuen Zimmer um – Knoblauch-Wodka- Ahoi-Kotze vor ihrem Bett. Na geil. Und warum ist sie nackt? Und dieser Typ?