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Stand by me – die Magie der Mitarbeiterbindung
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eBook487 Seiten4 Stunden

Stand by me – die Magie der Mitarbeiterbindung

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Über dieses E-Book

Lockmittel wie Dienstwagen und Boni-Zahlungen reichen nicht mehr aus im "War of Talents". Heute stehen die Individualität des Mitarbeiters und damit seine Bedürfnisse im Fokus jeder erfolgreichen Personalarbeit. Wie verstehst du mich, wie sprichst du meine individuellen Gefühle an? Diese Frage spielt für den Führungsstil der Zukunft eine ganz zentrale Rolle. Führungskräfte, die die intrinsische Motivation ihrer Mitarbeiter kennen, können diese konstruktiv nutzen. Verschiedene Motivationen vertragen sich gut miteinander. Andere beißen sich. Dieses Buch entschlüsselt die Chemie zwischen den Menschen und liefert das unerlässliche Wissen, um funktionierende Teams zusammenzustellen, zu halten und zu Höchstleistungen zu bringen.


SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum25. März 2020
ISBN9783658274573
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    Buchvorschau

    Stand by me – die Magie der Mitarbeiterbindung - Mira Christine Mühlenhof

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    M. C. Mühlenhof, S. LipskiStand by me – die Magie der Mitarbeiterbindunghttps://doi.org/10.1007/978-3-658-27457-3_1

    1. Einleitung

    Mira Christine Mühlenhof¹  und Sabine Lipski¹ 

    (1)

    Key to see GmbH, Berlin, Deutschland

    1.1 Der Tag, an dem ich die Kontrolle verlor

    Ich stehe am Waschbecken im Badezimmer, schaue in den Spiegel und bin in meinen Gedanken völlig klar: „Das mache ich nicht länger mit. Mir reichts. Das wars". Ich drehe den Wasserhahn auf, spritze mir einige Tropfen kaltes Wasser ins Gesicht, hole noch einmal tief Luft und kehre an den Meeting-Tisch zurück. Wenige Minuten zuvor war ich von dort regelrecht geflüchtet, mit brennenden Augen und einer so krass in mir aufsteigenden Wut, dass ich Sorge hatte, diese in den nächsten Sekunden überhaupt nicht mehr kontrollieren zu können. Ich war während eines Team-Events (mal wieder) mit einer meiner Mitarbeiterinnen aneinandergerasselt. Auslöser war ihr unbedachter und in meinen Augen respektloser Umgang mit der gemeinsamen Zeit, die wir als Team zusammen verbringen wollten. Am ersten Tag hat sie das Team über eine Stunde warten lassen, am zweiten Tag ebenfalls und wollte nun auch noch mitteilen, dass sie früher gehen muss, weil sie wichtige Termine habe. Mir hatte sie im Vorfeld erklärt, sie müsse mit ihrem Sohn den Keller aufräumen … In der aus dieser Situation entstandenen hitzigen Diskussion über Teamgeist begann sie, mich anzugreifen. Ich wehrte mich, versuchte Grenzen zu ziehen – und machte damit alles nur noch schlimmer. Die Beiträge wurden zu Schlägen bis deutlich unter die Gürtellinie, jeder Satz ein Treffer, jedes Wort ein Sieg, weil es gelungen war, die gegnerische Seite zu verletzen. Ich konnte es nicht mehr aushalten und flüchtete ins Bad.

    Also. Ich setze mich langsam wieder auf meinen Stuhl, innerlich und äußerlich ruhig, und kündige die Zusammenarbeit mit meiner Mitarbeiterin auf. Vor allen anderen. Schweigen. Meine Mitarbeiterin ist geschockt, reagiert wütend und gleichzeitig hilflos, wie ein verwundetes Tier. Sie greift mich erneut an, ich sie auch, es nimmt kein Ende. Dann plötzlich herrscht nur noch Traurigkeit. Eine andere Mitarbeiterin übernimmt die Moderation, sie bittet uns, dass wir uns gegenseitig mitteilen, was wir aneinander geschätzt haben und wofür wir dankbar sind. Ich teile meine Gedanken mit und lasse auch meine Gefühle sprechen. Meine Mitarbeiterin weigert sich, von ihr kommt kein Wort. Das Team reagiert mit Betroffenheit. Alle sind bemüht, nicht parteiisch zu werden und sind es letztlich doch. Das Meeting ist vorbei, ich bringe meine (nun Ex-) Mitarbeiterin zum Auto und verabschiede sie auf sehr emotionale Art und Weise. Ich fühle mich wie in Watte gehüllt, nichts erreicht mich mehr, ich bin innerlich wie taub. Das Team-Meeting endet mit bedrückter Stimmung. Still.

    Ich bin Führungskraft. Gemeinsam mit meinem Team unterstütze ich Unternehmen und Privatpersonen dabei, Führung neu zu denken. Geplant hatte ich das nicht, es ist mir – wie man so schön sagt – zugefallen. Meine ersten Führungserfahrungen, die ich mit Ende 20 sammeln durfte, habe ich leider in unguter Erinnerung. Damals sollte ich ein Team von teils älteren, teils deutlich besser ausgebildeten Personen führen und das war für mich nur eins: Purer Stress. Mit Führung wollte ich danach erst mal nichts mehr zu tun haben. Zehn Jahre später habe ich meinen Kindheitstraum verwirklicht und ein eigenes Unternehmen gegründet. Und so holte mich auch das Thema Führung wieder ein …

    Die skizzierte Situation der Kündigung meiner Mitarbeiterin lässt mich übrigens bis heute nicht los. Ich bin zwar immer noch der Meinung, dass die Entscheidung, mich von ihr zu trennen, in jedem Fall richtig war. Ich hätte die Kündigung nur nicht in Gegenwart der anderen aussprechen dürfen. Das schürt Ängste und ist – ich kann es drehen und wenden wie ich will – schlechter Stil. Was mir bis heute allerdings am meisten daran aufstößt ist die Erkenntnis, dass ich nur dachte, in meiner Entscheidung emotionslos und in vollem Besitz meines Verstandes gewesen zu sein. Ich habe mir selbst einen Streich gespielt. Natürlich habe ich mich in der Situation von Emotionen leiten lassen! Ich hätte doch sonst nie und nimmer die Kündigung vor den anderen Kolleginnen ausgesprochen. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle. Und dann will ich anderen Menschen erklären, wie Führung funktioniert? Ja klar. Der Schuster trägt doch die schlechtesten Schuhe … Und doch nagt eine Frage an meinem Ego: Mir als Coach und Trainerin hätte das nicht passieren dürfen. Oder etwa doch?

    1.2 Willkommen im Kindergarten

    Wenn Sie Führungskraft sind, kennen Sie bestimmt Situationen, in denen Sie den Eindruck haben, einen Sack Flöhe hüten zu müssen. Vielleicht haben Sie manchmal auch das Gefühl, in einem Kindergarten gelandet zu sein – was doppelt ärgerlich ist, denn Sie haben Ihre Führungsposition ja sicher nicht eingenommen, weil Sie den dringenden Wunsch hatten, Mitarbeiter zu erziehen.

    Führungskräfte kennen sich mit den folgenden drei Gefühlen bestens aus:

    Das Gefühl, allein zu sein

    Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren

    Das Gefühl der Hilflosigkeit/Ohnmacht

    Egal, ob Sie eher zu den extrovertierten oder den introvertierten Persönlichkeiten zählen: Es gibt Situationen im Führungsalltag, da kommen Sie an Ihre (inneren oder äußeren) Grenzen. Dann würden Sie am liebsten alles hinschmeißen, abhauen, wegrennen, ausrasten, Mitarbeiter sprichwörtlich an die Wand klatschen oder Sie haben schlicht und ergreifend den Wunsch und die Vorstellung, zu Ihrer eigenen Führungskraft zu gehen und ihm/ihr alles vor die Füße zu schmeißen. Können Sie aber nicht. Sie dürfen nicht aus der (Führungs-)Rolle fallen, müssen die Contenance oder zumindest Ihr Gesicht (be)wahren – auch wenn Ihnen überhaupt nicht danach zumute ist. Und eins dürfen Sie heutzutage schon gar nicht mehr: Mitarbeitern kündigen. Weil bald keine mehr da sind.

    1.3 Ich darf das?!

    Auch wenn ich mich in der eingangs dargestellten Situation bei weitem nicht mit (Führungs-)Ruhm bekleckert habe, befand ich mich doch in einer Luxussituation: Zum einen konnte ich der Kollegin „einfach so" kündigen, weil sie eine freie Mitarbeiterin war, sprich ich keine Sorge haben musste, sie vor dem Arbeitsgericht wiederzusehen. Zum anderen musste ich diese Entscheidung mit niemandem abstimmen, weil ich alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin meines Unternehmens bin. Es gibt niemanden, der mir reinredet. Die meisten Führungskräfte, die ich coache oder in Seminaren kennenlerne, können das nicht. Ihnen sind die Hände gebunden. Sie müssen ihre Emotionen aushalten und können diese nicht so ausagieren, wie ich es getan habe. Zumindest nicht bis zum Äußersten: der Kündigung. Ich beobachte seit einiger Zeit, dass von Führungskräften mehr und mehr erwartet wird, sich beherrschen zu können. Immer mehr Führungskräfte berichten mir von ihrem Frust, ihre Emotionen im Zaum halten zu müssen um bloß niemandem auf die Füße zu treten. Die Macht verschiebt sich: weg von den Führungskräften, hin zu den Mitarbeitern. Das frustriert und macht hilflos. Schlimmer noch: unterdrückte Emotionen machen krank. Kein Wunder, dass viele Führungskräfte unter Depressionen leiden (Burnout ist ja nichts anderes als eine Form von Depression und somit eine Krankheit). Ich führe diese Entwicklung zu einem großen Teil darauf zurück, dass wir uns in Deutschland von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt entwickeln (siehe Abb. 1.1).

    ../images/478079_1_De_1_Chapter/478079_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Zunahme der Frustration bei Führungskräften durch unterdrückte Emotionen

    In vielen Branchen herrscht nicht nur ein Fachkräftemangel, sondern zusätzlich eine hohe Fluktuation von Mitarbeitern. Der Druck auf Führungskräfte wird immer größer, sie sollen Mitarbeiter führen, entwickeln und an das Unternehmen binden. Gelingt das nicht, liegt es an der Führungskraft. Was ja auch stimmt. Bedingt.

    1.4 Zeit für Führung

    Wieviel Zeit haben Sie für Ihre Führungsaufgaben, wieviel Prozent Ihrer täglichen Arbeitszeit widmen Sie der Herausforderung, Ihre Mitarbeiter zu begleiten und zu motivieren? Nehmen Sie sich doch ein paar Sekunden Zeit, um diese Frage ganz ehrlich für sich zu beantworten:

    Meine Zeit für Führung/pro Tag/pro Woche/pro Monat

    In einem Konzern, in dem ich beratend tätig bin, hatten die Führungskräfte eines Geschäftsfeldes die Aufgabe, mittels eines Fragebogens genaue Angaben zu dieser Fragestellung zu machen. Diese wurden statistisch ausgewertet. Was denken Sie, war das Ergebnis? Über 80 Prozent der Befragten gaben an, nur rund 20 Prozent ihrer Arbeitszeit für Führung zur Verfügung zu haben. Die restliche Zeit sei bestimmt durch operative und strategische Aufgaben.

    Was meinen Sie: Ist das viel? Oder eher wenig? Wie erleben Sie Ihren Führungsalltag? Stehen Sie ständig unter Druck, werden Sie an Ihren operativen Aufgaben gemessen und fallen Ihre Führungsaufgaben im Alltag sprichwörtlich „hinten runter"? Willkommen im Club, kann ich da nur sagen. Die Zeit für Führung reicht nie. Und Sie bekommen sie auch nicht geschenkt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich das eines Tages von selbst ändert. Es ist auch eine Illusion zu glauben, dass irgendwann irgendjemand kommt, der Ihnen mehr Zeit für Führung zur Verfügung stellt. Die müssen Sie sich selbst nehmen. Zeit hat man nicht, man nimmt sie sich. Diese einfache Formel, die so schwer in die Praxis umzusetzen ist, gilt (leider) auch für Führung. Wir kommen jetzt nur nicht mehr darum herum! In Zeiten, in denen ganze Branchen händeringend nach Mitarbeitern suchen, müssen wir mehr Zeit in Führung investieren. Darüber hinaus: Die Generation Y hat den Arbeitsmarkt teilweise schon längst eingenommen. Führungskräfte, die versucht haben, sich auf diese Generation einzustellen, werden nun erneut damit konfrontiert, dass deren Nachfolger, die Generation Z, einen ganz anderen Anspruch an Führung hat. Was beide verbindet? Sie sagen: „Gib meinem Leben einen Sinn. Gib mir eine Bedeutung. HALT MICH."

    Dieses Buch ist dazu gedacht, Ihnen den Führungsalltag zu erleichtern. Es beinhaltet einen neuen, innovativen Ansatz zur Mitarbeiterbindung und ist gefüllt mit Beispielen aus der Praxis, die Sie inspirieren mögen, die Beziehung zu Ihren Mitarbeitern neu zu denken. Dazu braucht es Mut und den Willen zur Veränderung. Aber den setze ich bei Ihnen einfach mal voraus, sonst hielten Sie dieses Buch nicht in den Händen.

    Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und maximale Erkenntnisse. Ihre Mira Christine Mühlenhof

    Teil IDer Schlüssel zum Sehen

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    M. C. Mühlenhof, S. LipskiStand by me – die Magie der Mitarbeiterbindunghttps://doi.org/10.1007/978-3-658-27457-3_2

    2. Key to see® definiert Beziehungen neu

    Mira Christine Mühlenhof¹  und Sabine Lipski¹ 

    (1)

    Key to see GmbH, Berlin, Deutschland

    2.1 Nun also: Mitarbeiterbindung

    Waren es vor einigen Jahren nur vereinzelte Branchen, in denen verstärkt über Mitarbeiterbindung gesprochen wurde, hat das Thema in kurzer Zeit an Brisanz zugenommen. Der sogenannte „War of Talents" hat sich wie ein Flächenbrand über Deutschland ausgebreitet, der demografische Wandel wird spürbar und nimmt in einigen Bereichen der Wirtschaft schmerzhafte Ausmaße an. Wir sprechen inzwischen nicht mehr über einen Fachkräfte-, sondern einen Mitarbeitermangel. Dass die Generationen Y und Z deutlich andere Vorstellungen davon haben, wie sie ihr Arbeitsleben gestalten wollen, macht es nicht leichter: Studium statt Werkbank, abgebrochene Ausbildungen und ein generell größerer Mut zur Lücke im Lebenslauf haben dazu geführt, dass neue Mitarbeiter das Unternehmen wieder verlassen, bevor überhaupt ein E-Mail-Account für sie eingerichtet wurde. All diese Faktoren zusammengenommen haben dazu geführt, dass – quer durch alle Branchen – Stellen unbesetzt bleiben und es teilweise Monate dauert, bis neue Mitarbeiter gefunden werden. Wenn überhaupt. Ein zusätzlicher beeinflussender Faktor ist sicherlich auch die hohe Fluktuation von Mitarbeitern bzw. deren Bereitschaft, nach kurzer Zeit den Arbeitsplatz wieder zu wechseln. Die Zeiten, in denen Mitarbeiter ihre Lebensarbeitszeit in einem einzigen Unternehmen ableisten, scheinen endgültig vorbei zu sein. Zeitverträge haben auf diese Entwicklung sicherlich auch einen nicht unerheblichen Einfluss.

    Und es wird noch schlimmer. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass bis zum Jahr 2030 zwischen 5,8 und 7,7 Millionen Arbeitskräfte in Deutschland fehlen werden. Die Generation der Babyboomer (mit einem Peak im Geburtsjahr 1964, also die heute 55-jährigen) werden bis dahin den Arbeitsmarkt verlassen haben (Destatis 2019). Das bedeutet, dass über 20 Prozent der aktuellen Arbeitsplätze nicht mehr besetzt werden können (vgl. Abb. 2.1).

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    Abb. 2.1

    Arbeitskräfteangebot in Deutschland. (Quelle: Strack 2018, eigene Darstellung)

    Eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) belegt, dass diese Entwicklung weltweit stattfindet. Rainer Strack, Global Leader des Bereiches Human Resources der BCG, empfiehlt in seinem TED-Talk sowohl Unternehmen als auch Ländern, rechtzeitig eine „Menschen-Strategie" zu entwickeln. Dazu gehöre auch, die Potenzialträger an das Unternehmen zu binden (Strack 2018) (Abb. 2.2).

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    Abb. 2.2

    People Strategy. (Quelle: TED/YouTube 2014)

    Warum ist das so wichtig? Unternehmen verlieren durch unbesetzte Stellen nicht nur an Umsatz und Chancen für Wachstum, sondern müssen auch in Kauf nehmen, dass die bestehende Mannschaft die fehlende Manpower ausgleichen muss. Es kann ja kein Zufall sein, dass Belastungskrankheiten rasant zunehmen, egal welche Krankenkassenzahlen man anschaut. Wie hat es der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens letztens formuliert? „Wir haben zu viele Häuptlinge und zu wenig Indianer. Inzwischen muss man leider ergänzen: „Und die Indianer haben keine Lust mehr, sich wie Zitronen auspressen zu lassen.

    Da neue Mitarbeiter nicht auf Bäumen wachsen und die Zuwanderung nur einen Teil der Bedarfe decken wird, rückt das Thema Mitarbeiterbindung mehr und mehr in den Fokus – egal ob bei Personalmanagern, Geschäftsführern oder Vorständen. Oder allen zusammen.

    Häufig wird dann argumentiert, dass durch die Digitalisierung ja auch zahlreiche Arbeitsplätze wegfallen würden. Das ist sicherlich richtig. Doch ehrlicherweise müssen wir dagegenhalten, dass durch die Digitalisierung auch neue Arbeitsplätze entstehen: Berufsbilder, die es vor zehn Jahren überhaupt nicht gegeben hat.

    Per Definition geht es nun darum, Mitarbeiter mittel- bis langfristig an das Unternehmen zu binden. Schaut man dabei auf die Leistungsträger, handelt es sich zunächst einmal um eine selektive Mitarbeiterbindung. Doch nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen sind wir über dieses Stadium bereits hinaus: Es geht nicht mehr darum, die Leistungsträger zu halten, sondern alle Mitarbeiter. Dass das schwierig wird, bestätigen die Zahlen des aktuellen Engagement Index des Beratungsunternehmens Gallup: Laut der Studie von 2018 haben von 100 befragten Mitarbeitern

    15 Personen eine hohe emotionale Bindung an den Arbeitgeber

    71 Personen eine eher geringe emotionale Bindung an den Arbeitgeber

    14 Personen gar keine emotionale Bindung an den Arbeitgeber

    Da liegt es auf der Hand zu fragen, wie hoch deren Bereitschaft ist, bei ihrem Arbeitgeber zu bleiben. Ein weiteres Ergebnis: Die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund von innerer Kündigung und dementsprechend unmotivierten Mitarbeitern lagen im Jahr 2018 bei einer Summe zwischen 77 und 103 Milliarden Euro (Gallup 2019).

    Ein weiteres Ergebnis der Studie besagt, dass Mitarbeiter, die emotional an ihr Unternehmen gebunden sind, dem Unternehmen nicht nur länger treu bleiben, sondern auch als Markenbotschafter für ihren Betrieb tätig sind – Stichwort Mitarbeiter werben Mitarbeiter.

    Mitarbeiterbindung gehört also für fast alle Unternehmen in Deutschland zu einer der größten Herausforderungen der näheren Zukunft. Nur wie kann sie gelingen? Viele Unternehmen versuchen es mit positiven Anreizen. In teils hektischer Betriebsamkeit wird in die hinlänglich bekannten Instrumente zur Mitarbeiterbindung investiert, als da wären (die Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

    Gesundheitsfördernde Maßnahmen, z. B. in Form von Gutscheinen für Fitnessstudios, Massagen am Arbeitsplatz, Obstkörbe oder Catering mit gesundem Essen

    Incentives und Betriebsfeiern

    Wohlfühlatmosphäre am Arbeitsplatz schaffen durch Kickertische, Lounge-Bereiche oder mehr Grünpflanzen

    Flexible Arbeitszeiten

    Homeoffice

    Weiterbildungsmaßnahmen

    Sabbaticals

    Finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten am Unternehmen

    Prämien

    Firmenwagen, Firmenparkplätze

    Benzingutscheine, Urlaubszuschüsse

    Betriebliche Altersvorsorge

    An dieser Stelle mag ein Einwand erlaubt sein: Wenn es darum geht, die emotionale Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen zu fördern, kann das mittels extrinsischer Anreize überhaupt gelingen? Und wenn ja: Wie lange hält sie an?

    Wir haben auch nicht die Lösung für all die Herausforderungen, vor denen Führungskräfte derzeit stehen. In diesem Buch werden Sie einen neuen Ansatz kennenlernen, wie Sie die emotionale Bindung Ihrer Mitarbeiter fördern können. Ob der für Sie passend ist? Schaun’ mer mal.

    2.2 Emotionale Bindungen entstehen durch: emotionale Bindungen!

    Menschen wurden erschaffen, um geliebt zu werden.

    Dinge wurden geschaffen, um benutzt zu werden.

    Der Grund, warum sich die Welt im Chaos befindet, ist,

    weil Dinge geliebt werden und Menschen benutzt werden.

    Dalai Lama

    Ich bin seit Jahren ein großer Fan des Carsharing-Projektes „DriveNow. Und ich erzähle gern eine kleine Erfolgsgeschichte des Unternehmens, nämlich wie es den Betreibern gelungen ist, Kratzer und Beulen an den Fahrzeugen zu reduzieren und die User zu motivieren, ihren Müll nicht im Auto liegen zu lassen und generell mehr auf Sauberkeit zu achten. Die Lösung klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Seitdem die Fahrzeuge „getauft, sprich mit Namen versehen wurden, hat sich der Umgang der User mit den Autos verändert: Es gibt weniger Beulen, kaum Kratzer und es ist auffällig, dass die Fahrzeuge deutlich sauberer sind. Das Unternehmen bestätigt das. Es ist eben nicht egal, ob ich mit irgendeinem Auto durch Berlin fahre oder mit Ben oder Sarah (mal abgesehen davon, dass die Namensgebung zu charmanten Beziehungstelefonaten führt: „Was machst du gerade? – „Ich fahre mit Ben nach Steglitz – „Wer ist Ben?"). Die User bauen eine sogenannte Objektbeziehung auf. Diese verleitet sie dazu, achtsamer mit den Leihfahrzeugen umzugehen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel: Meine Kollegin Sabine zum Beispiel merkt sich – gemäß ihrer Persönlichkeitsstruktur – nicht den Namen, sondern das Nummernschild …

    Macht es nicht auch Sinn, mit Mitarbeitern achtsamer umzugehen? Damit diese keine Kratzer und Beulen bekommen? Dazu ist eine Subjektbeziehung von Nöten, und diese können nur Menschen leisten, Kollegen und/oder Führungskräfte. Aus diesem Grund ordne ich das Thema Mitarbeiterbindung klar dem Handlungs- und Verantwortungsbereich von Führung zu. Extrinsisch wirkende Motivatoren sind für mich nur schmückendes Beiwerk. Wenn Mitarbeiter eine emotionale Beziehung zum Unternehmen aufbauen sollen, kann dies nur über Beziehungspflege gelingen und dadurch, dass der Fokus der Führung auf die intrinsische Motivation der Mitarbeiter gelenkt wird. Dazu später mehr.

    2.3 Führung muss radikal umdenken

    Der Hirnforscher Gerald Hüther hat auf dem Personalmanagementkongress 2018 eine vielbeachtete Rede gehalten. Seine Kernaussage: Es werde im 21. Jahrhundert um zwei Schlüsselbegriffe gehen, und zwar um Selbstorganisation und Potenzialentfaltung. Dazu sei Wissen um den Menschen notwendig, um sich selbst und andere führen zu können. Hüthers provokante, hitzig diskutierte These: „Der Chef von morgen muss ein Liebender sein." Ein Mann, ein Satz. Rums.

    Dabei ist die Herleitung von Hüther denkbar einfach und sehr schlüssig. Er spricht von zwei Grundbedürfnissen, die in jedem Menschen verankert seien: nach Verbundenheit und nach Autonomie. Würde nur eines dieser Bedürfnisse verletzt, reagiere der Mensch mit (emotionalem) Schmerz. Und das geschehe allein dadurch, dass man den Menschen/Mitarbeiter in seiner Subjekthaftigkeit nicht ernst nehmen und zum Objekt von Zielvorgaben und Maßnahmen machen würde. So kommt Hüther in seinem Plädoyer, welches er nach seiner Rede noch auf der Bühne hielt, zu folgendem Schluss: Der Chef der Zukunft werde nicht mehr von oben nach unten auf seine Mitarbeiter schauen. „Er wird aus der Perspektive der Mitarbeiter schauen, was diese brauchen. Dann wird er ein Ermöglicher sein. Und ein Ermöglicher ist ein Liebender" (Wellnitz 2018).

    Die Wortwahl von Gerald Hüther gefällt mir deshalb so gut, weil sie extrem polarisiert. Das Wort Liebe im Kontext von Führung löst bei vielen Führungskräften, mit denen ich gesprochen habe, massiven Widerstand oder zumindest Abwehr aus. Abwehr und Widerstand sind übrigens nicht das Gleiche: Bei Abwehr handelt es sich um eine innere Reaktion, Widerstand wird auch nach außen sichtbar, in den meisten Fällen zumindest hörbar. Hüther provoziert mit seiner Aussage nicht nur, er fordert Führungskräfte zum Äußersten heraus. Das finde ich ganz großartig, möchte jedoch seine Forderung auf ein realistisches Maß herunterbrechen. Aus meiner Sicht muss Führung radikal-empathisch werden. Damit ist nicht gemeint, alle Wünsche der Mitarbeiter zu erfüllen. Wie der Name es schon sagt: Es geht darum, sich in Mitarbeiter einzufühlen, ihre Persönlichkeit zu verstehen und ihre individuellen Bedürfnisse zu kennen. Umgangssprachlich, aber treffend formuliert: Sie dort abzuholen, wo sie stehen. So entsteht Verbundenheit, ohne dass das Bedürfnis nach Autonomie verletzt wird.

    2.4 Die extrinsische Motivation ist tot

    Dass Führung radikal umdenken muss, zeigt sich anhand eines weiteren Phänomens, von dem mir Klienten im Führungskräfte-Coaching berichten: Die extrinsische Motivation funktioniert nicht mehr. Insbesondere Vertreter der Generationen Y und Z (Jahrgänge 1981–1995 und ab 1996) springen auf herkömmliche extrinsische Tools nicht mehr an.

    Zeit ist der neue Firmenwagen!

    Dienstwagen? – Ich fahre gar nicht Auto und will auch keins.

    Gehaltserhöhung? – Ist ja ganz nett, aber nur, wenn ich nicht noch mehr arbeiten muss.

    Beförderung? – Nein danke, ich bin ganz zufrieden. Karriere bedeutet ja: mehr Stress und weniger Freizeit.

    So erlebe ich häufig, dass Führungskräfte an ihre Grenzen kommen und einfach nicht mehr weiterwissen. Sie haben bereits alles versucht, um ihre Mitarbeiter zu motivieren und zu halten. Doch wenn das mit extrinsischen Tools nicht (mehr) geht: was dann? In diesem Buch werden wir Sie einladen, Ihre Führung auf die intrinsische Motivation Ihrer Mitarbeiter auszurichten.

    2.5 Menschen arbeiten für Menschen

    Wenn Sie auf Ihre bisherige Karriere zurückblicken: Welche Führungskraft hat Sie besonders motiviert? Bei welcher Person fühlten Sie sich gut aufgehoben, gefordert und gefördert? In welcher Beziehung zu einer Führungskraft konnten Sie wachsen, weil Sie das Gefühl hatten, dass diese Ihnen vertraut hat?

    Nehmen Sie einen Stift zur Hand und notieren Sie die Namen von drei Führungskräften, die Ihnen auf Ihrem eigenen Karriereweg nachhaltig in Erinnerung geblieben sind.

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    Dieses Gedankenspiel ist insofern hilfreich, weil es aufzeigt, dass Menschen für die Menschen etwas tun, zu denen sie eine positive Bindung aufgebaut haben. Das beginnt ja schon in der Schule: Bei den Lieblingslehrern waren die Noten gut, bei anderen im Keller. Die größte Rolle spielt die Anziehung, die sogenannte zwischenmenschliche Chemie. Diese folgt einer mysteriösen Formel. Sie wirkt wie zufällig, ist es aber nicht. Kein Mensch kann wirklich erklären, was da zwischen zwei Menschen geschieht.

    Mich hat diese Chemie zwischen Menschen schon immer interessiert. Ich wollte das Geheimnis der unsichtbaren, unerklärbaren Anziehung ergründen. Dieses Interesse hat mich überhaupt erst dazu motiviert, Sozialpsychologie zu studieren. Antworten habe ich im Studium nur wenige gefunden. Die kamen erst später, als ich mich intensiv mit Persönlichkeitsstrukturen auseinandergesetzt habe. Darin fand ich den Schlüssel, um die tiefere Dynamik von Beziehungen zu

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