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Führen lernen: Der Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie
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Führen lernen: Der Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie
eBook1.124 Seiten11 Stunden

Führen lernen: Der Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie

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Über dieses E-Book

Führen kann man nicht unterrichten, aber lernen. So lautet das Credo des Coachingexperten Peter Gräser. Er schildert, was Führung von Menschen und Leitung von Organisationen heute bedeutet und wie der Leser die notwendigen Führungskompetenzen erwerben kann. Die Darstellung der Lernziele, -Settings und Methoden schafft die Basis für die persönliche Führungs- und Karriere-Strategie. Der Autor verfolgt einen integralen Ansatz, der Führungskompetenz und Karriere-Strategie umfasst. Er beschreibt alle zentralen Aspekte der individuellen Führungskompetenz und stellt dar, wie sie entwickelt und gestärkt werden kann. So erhält der Leser praktische Modelle und Methoden für die eigene lebenslange Weiterentwicklung von Kompetenz und Karriere.
SpracheDeutsch
HerausgeberGabler Verlag
Erscheinungsdatum24. Jan. 2013
ISBN9783834971357
Führen lernen: Der Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie

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    Buchvorschau

    Führen lernen - Peter Gräser

    Teil 1

    Grundprinzipien der Führung

    Peter GräserFühren lernen2013Der Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie10.1007/978-3-8349-7135-7© Springer Gabler | Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

    Peter Gräser

    Führen lernenDer Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie

    Gabler Verlag

    Peter Gräser

    Rigaer Str. 63, Berlin, 10247, Germany

    p.graeser@meine-passage.eu

    ISBN 978-3-8349-3263-1e-ISBN 978-3-8349-7135-7

    © Springer Gabler | Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

    No man is an Iland, intire of it selfe; every man is a peece of the Continent, a part of the maine; if a Clod bee washed away by the Sea, Europe is the lesse, as well as if a Promontorie were, as well as if a Mannor of thy friends or of thine own were; any mans death diminishes me, because I am involved in Mankinde; And therefore never send to know for whom the bell tolls; It tolls for thee.

    John Donne

    Peter GräserFühren lernen2013Der Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie10.1007/978-3-8349-7135-7_1© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

    1. Führung begreifen

    Peter Gräser¹ 

    (1)

    passagen: Coaching - Beratung - Training, Berlin, Deutschland

    Zusammenfassung

    Um uns mit der Frage beschäftigen zu können, wie Führung erlernt werden kann, ist es notwendig zu klären, was denn gelernt werden soll. Präziser müssen wir formulieren: wie wir den Lerngegenstand verstehen, sowohl aus praktischer wie aus theoretischer Perspektive. Dabei begreifen wir Theorie im ursprünglichen Sinn als Betrachten, als gedankenvolle Schau. Keinesfalls kann es darum gehen, eine „Theorie der Führung im Sinne eines systematischen Regelwerkes zu erstellen, denn eine solche Theorie kann und wird es niemals geben. „It’s as Braque once said about art is also true of leadership: ,The only thing that matters in art is the part that cannot be explained‘.1, stellen Bennis undNanus nach intensiver Beschäftigung mitTheorien von Führung fest.

    Um uns mit der Frage beschäftigen zu können, wie Führung erlernt werden kann, ist es notwendig zu klären, was denn gelernt werden soll. Präziser müssen wir formulieren: wie wir den Lerngegenstand verstehen, sowohl aus praktischer wie aus theoretischer Perspektive. Dabei begreifen wir Theorie im ursprünglichen Sinn als Betrachten, als gedankenvolle Schau. Keinesfalls kann es darum gehen, eine „Theorie der Führung im Sinne eines systematischen Regelwerkes zu erstellen, denn eine solche Theorie kann und wird es niemals geben. „It’s as Braque once said about art is also true of leadership: ‘The only thing that matters in art is the part that cannot be explained’.¹, stellen Bennis und Nanus nach intensiver Beschäftigung mit Theorien von Führung fest.

    Führung ist ihrem Wesen nach nicht Wissenschaft, sondern Praxis. Ihre Meisterschaft manifestiert sich in der Beherrschung der Kunst in dem Bereich, in dem die legis artis ² Anwendung finden, aber erst Recht da, wo uns keine eindeutigen Regeln zur Verfügung stehen. Denn genau dort, wo es wirklich etwas zu entscheiden gibt, weil keine „Standard-Prozeduren" uns die Entscheidungen abnehmen, kommt Führung eigentlich zur Geltung.

    Die intensive Beschäftigung mit der Theorie, das heißt die Betrachtung und das Nachdenken über das, was wir wahrnehmen, ist für Führende conditio sine qua non ihres Erfolges. Theorie und Praxis gehörten [in der Antike] zusammen wie in der Ermahnung „Denke, bevor Du handelst". Die Theorie entsprach dem Blick eines bewusst beobachtenden Auges, und in diesem klaren hellenistischen Sinn war jeder vernünftige Mensch ein Theoretiker, sofern ihm daran gelegen war, seine geistigen Kräfte zu nutzen. Der Theorie im Sinne eines solchen gedankenvollen Blicks bedürfen aber auch all jene Militärbefehlshaber und Führungskräfte […], die inmitten stürmischer Ereignisse und zunehmender Unsicherheit den richtigen Kurs zu bestimmen versuchen.³

    Wir werden in diesem Buch verschiedene Modelle verwenden, um die Komplexität des Themas so weit zu reduzieren, dass es für unser Denken überhaupt zugänglich wird. Dies sollte jedoch niemanden dazu verführen, solche Modelle oder auch (rein heuristisch ⁴ gültige) Definitionen als hinlängliche Beschreibungen der Wirklichkeit selbst anzunehmen. Sie sind immer nur Krücken. Führung ist in eben solchen Situationen wichtig, in denen reduktionistische Modelle keine Hilfe, sondern Denk- und Handlungshindernisse sind, weil sich die Wirklichkeit den Akteuren in ihrer ganzen Komplexität und Widerspenstigkeit präsentiert. Auf dem Weg des Führenden zur Meisterschaft können Modelle ihm also nicht mehr sein als vorübergehende Hilfsmittel, die er mit Freuden aus der Hand gibt, wenn er ihrer nicht mehr bedarf.

    Fußnoten

    1

    Bennis und Nanus (1985, S. 5).

    2

    Regeln der Kunst.

    3

    Oetinger et al. (2006, S. 24).

    4

    Heuristik : Lehre vom Erkennen unter ungünstigen Bedingungen und Ressourcen-Mangel, vor allem dem Mangel an Wissen und dem Mangel an Zeit. Zentrale Kompetenz, die nicht nur von herausragenden Philosophen, sondern auch von Führungskräften regelmäßig und erfolgreich angewandt wird. Sie sollte immer dann eingesetzt werden, wenn es nicht um absolute Wahrheiten, sondern gute bis sehr gute, zuweilen auch extrem gute Ergebnisse geht.

    Peter GräserFühren lernen2013Der Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie10.1007/978-3-8349-7135-7_2© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

    2. Führung als soziales Emergenz-Phänomen

    Peter Gräser¹ 

    (1)

    passagen: Coaching - Beratung - Training, Berlin, Deutschland

    Zusammenfassung

    Führung ist ein soziales Phänomen. Sie emergiert1 immer und überall dort, wo Menschen eineGemeinschaft bilden, umzusammen Ziele zu erreichen, die ihnen als einzelnHandelnde verschlossen sind. Führung existiert nicht losgelöst von lebendigenMenschen und ihrer Organisation. Dabei meint Organisation nicht irgendein Abstraktum, ein Unternehmen oder eine Institution, sondern besteht ausschließlich im andauernden, lebendigen Prozess menschlichen sich Organisierens.

    Damit wird klar: Führung ist selbst ein ebenso permanenter wie persistenter Prozess. Führung entsteht nicht nur immer wieder – nicht notwendigerweise neu! –, sondern sie ist selbst aktiver, richtunggebender Teil des sozialen Ordnungsprozesses.

    Führung ist ein soziales Phänomen. Sie emergiert¹ immer und überall dort, wo Menschen eine Gemeinschaft bilden, um zusammen Ziele zu erreichen, die ihnen als einzeln Handelnde verschlossen sind. Führung existiert nicht losgelöst von lebendigen Menschen und ihrer Organisation . Dabei meint Organisation nicht irgendein Abstraktum, ein Unternehmen oder eine Institution, sondern besteht ausschließlich im andauernden, lebendigen Prozess menschlichen sich Organisierens.

    Damit wird klar: Führung ist selbst ein ebenso permanenter wie persistenter Prozess. Führung entsteht nicht nur immer wieder – nicht notwendigerweise neu! –, sondern sie ist selbst aktiver, richtunggebender Teil des sozialen Ordnungsprozesses.

    Das klingt in diesen Worten reichlich abstrakt, aber der Praxisalltag in vielen Unternehmen und Organisationen macht dies immer wieder deutlich, besonders dort, wo eine gewisse „organisatorische Turbulenz" und – in der Regel damit verbunden – eine hohe Fluktuation bei Führungskräften herrschen. Oder anders formuliert: Was Führung eigentlich ist, lässt sich am einfachsten dort erkennen, wo sie diskontinuierlich, inkonsequent oder gar nicht stattfindet.

    Organisation bedeutet (u. a.) die Strukturierung und Koordinierung von Arbeitsabläufen entsprechend den herrschenden intra- und extra-organisationalen Umständen. Ändern sich die Umstände, passt sich die Organisation an. Zu den Umständen gehören nicht nur sogenannte „harte Faktoren, sondern wesentlich auch kulturelle, mentale und psychosoziale. Sowohl Führung als auch Organisation sind von deren Wirkung betroffen, einer Wirkung, die mindestens so stark ist wie die anderer Faktoren. Gleichzeitig beeinflussen und gestalten Führung und die Eigendynamik der Organisation diese Faktoren (oder sollten dies im ersten Falle zumindest tun). Wenn wie in unserer heutigen Zeit diese Faktoren – besonders die „weichen – stark variabel sind, und kein allgemeiner Konsens über ihre Bewertung und Behandlung (mehr) existiert, wird Führung besonders wichtig – und schwierig. In Teil II dieses Buches werden wir besonders auf die Notwendigkeit und die Bedingungen von Führung im 21. Jahrhundert eingehen.

    Fußnoten

    1

    Emergenz , emergieren – von lat. emergere, auftauchen, entstehen: Spontanes Erscheinen eines Phänomens oder einer Ordnung, die sich nicht aus Anfangsbedingungen bzw. den Eigenschaften vorher bestehender Teile bzw. Unterordnungen ableiten oder gar vorhersagen ließe.

    Peter GräserFühren lernen2013Der Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie10.1007/978-3-8349-7135-7_3© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

    3. Führung und Organisation

    Peter Gräser¹ 

    (1)

    passagen: Coaching - Beratung - Training, Berlin, Deutschland

    3.1 Wille und Vision

    3.2 Gestaltungsraum

    3.3 Führungskraft und individuelle Wirksamkeit

    3.4 Ein Beispiel wirksamer Führung: Ferdinand Graf von Zeppelin

    3.5 Mensch – Ὄργανον

    Zusammenfassung

    Führung und Organisation bedingen sich nicht nur, sie bringen sich gegenseitig hervor. Daher ist zum Verständnis von Führung ein Blick auf das Wesen von Organisation hilfreich.

    Führung und Organisation bedingen sich nicht nur, sie bringen sich gegenseitig hervor. Daher ist zum Verständnis von Führung ein Blick auf das Wesen von Organisation hilfreich.

    3.1 Wille und Vision

    Sehen wir einmal vom oft sehr beeindruckenden äußeren Erscheinungsbild ab, das viele Organisationen bieten: Sie sind im Kern nichts anders als Gemeinschaften von Menschen, die zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Dabei geht es aber nicht allein darum, die aktuellen Handlungen arbeitsteilig zu koordinieren . Beides: Führung und Organisation beginnen, bevor überhaupt ein Handschlag getan wird. Denn beide zusammen müssen als ineinander verschränkte Prozesse den Willen der vielen Einzelnen zu einem gemeinsamen, zielgerichteten Willen fokussieren.

    Voraussetzung dafür ist eine gemeinsame Vision – eine Vorstellung nicht allein davon, was wir erreichen wollen, also unseres gemeinsamen Zieles, sondern eine Vorstellung eines den Kontext einschließenden Zielzustandes. Nur innerhalb dieses Gesamtbildes bekommt die Leistung, die wir erbringen, das Gut, das wir schaffen wollen, erst seine Bedeutung für uns selbst und andere. Durch unser gemeinsames Handeln wollen wir unsere eigene und die Lebenswelt anderer verändern, ja verbessern. Das heißt, wir müssen eine Vorstellung davon haben, wie diese Lebenswelt in Zukunft aussehen wird, wie sie sich positiv (und vielleicht auch in mancher Hinsicht negativ) verändert, dadurch, dass wir unser Ziel erreichen (etwas bauen, herstellen, eine Dienstleistung erbringen etc.).

    In den Fällen, in denen wir durch unser gemeinschaftliches, also das organisationale Handeln lediglich Bestehendes reproduzieren, wurde die Vision als solche bereits realisiert, und wir können uns, sofern notwendig, auf inkrementelle¹ Verbesserungen konzentrieren. Wer als Produktmanager in einer Brotfabrik für eine bestimmte Brotsorte oder Produktlinie verantwortlich ist, muss sich keine Gedanken darüber machen, wofür Brot überhaupt gut ist, und inwiefern dessen Existenz zur Verbesserung der Lebensqualität der potenziellen Brot-Konsumenten beitragen kann. Und zwar deshalb, weil andere das bereits lange vor ihm getan haben.

    Aber ebenso, wie es eine Zeit vor Baguette und Pumpernickel gab, gibt es eine Zeit vor X – und diese ist die Gegenwart. Wir wissen nicht, was dieses X für Sie sein kann – ein Kinofilm, ein Mikrochip, eine mobiler Informationsdienst, ein Konzept zur Resozialisierung jugendlicher Straftäter, eine spezifische Art elektrischer Installation oder eine besondere Frisur – was immer es ist, wenn Sie selbst als Verantwortlicher den Einsatz von Zeit, Geld und Know-how für Entwicklung und Marktpositionierung dieses X rechtfertigen wollen, brauchen Sie dazu eine klare, positive Vorstellung, inwiefern X das Leben der Menschen bereichert oder verbessert. Diese Zukunftsvision ist niemals identisch mit der Gegenwart plus X. Eine derart einfache Gleichung lässt weder die wirklichen Potenziale noch die möglichen negativen Aspekte von X erkennbar werden. X ist ein Teil der Zukunft – und damit per se mehr als Gegenwart + X.

    Wir werden später auf den wichtigen Aspekt der strategischen Visionierung als Führungsaufgabe zurückkommen. Wesentlich ist zunächst, dass die Vision einer erstrebenswerten Zukunft das vorzügliche Führungsinstrument ist, viele, immer divergente, immer auch in Aspekten gegensätzliche Einzelwillen auf das zu erreichende Ziel – die Konzeption, Produktion und Distribution von X – zu fokussieren.

    3.2 Gestaltungsraum

    Eine Organisation ist ein sozialer Raum besonderer Art: Sie ist ein sozialer Gestaltungsraum, wie in Abb. 3.1 dargestellt, und sie ist dies in dreierlei Hinsicht:

    Erstens stellt sie einen Raum dar, in dem die Menschen etwas gestalten (wollen). Das bedeutet nicht, dass an diesem Ort permanent bahnbrechende Innovationen entstehen müssen. Es bedeutet zunächst einmal, überhaupt etwas zu schaffen, und das den Umständen entsprechend gut.

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    Abb. 3.1

    Organisation als Gestaltungsraum

    Organisationen existieren nur aus dem einen Grund, etwas zu bewirken, das für Nichtmitglieder nützlich, sinnvoll, hilfreich oder auch einfach nur angenehm (im Idealfall alles vier) ist und dafür etwas zurückzuerhalten, das die Existenz der Organisation, also ihrer Mitglieder und Teilhaber mindestens sichert, besser noch deren Lebensqualität verbessert.² Der primäre Zielraum organisationalen Handelns liegt außerhalb der Organisation selbst.³ Auch eine selbstverwaltete Fischerei-Kooperative an der nord-norwegischen Eismeerküste ist nicht einfach da, um da zu sein. Die Fischer wollen damit ihren Lebensunterhalt erwerben. Aber es geht – lassen wir die kaum wahrscheinliche Annahme außen vor, dass es sich um eine zölibatäre und asexuelle Lebensgemeinschaft handelt – dabei nicht nur um die Organisationsmitglieder selbst, sondern auch um deren Familien. Da sie außerdem mit großer Wahrscheinlichkeit keine Subsistenzwirtschaft⁴ betreiben, fangen sie Fisch, um ihn nicht nur selbst zu verspeisen, sondern ihn zu verkaufen, d. h. damit andere, die nicht fischen (können), auf diese Weise in den Genuss des Verzehrs von Meeresfrüchten kommen.

    In diesem Beispiel bietet der Fisch, das materielle Gut, das die Organisation den Menschen beschafft, wenig Spielraum zur Gestaltung, denn die Organisation stellt ihn nicht her. Dies sieht in Sektoren, in denen Güter produziert werden, anders aus – dort existieren prinzipiell unendliche Freiheitsgrade für die Güter-Gestaltung. Allerdings ergibt nicht jede Modifikation oder Neuschöpfung wirklich einen Sinn, und nicht alles, was tatsächlich sinnvoll ist, ist auch auf dem Markt erfolgreich.

    Doch bleiben wir noch einen Moment an den eisigen Gestaden Nordeuropas. Wenn sich schon am Fisch wenig gestalten lässt, dann bleibt immer noch eine Menge Gestaltungsraum beim Fischfang selbst. Damit sind wir beim zweiten Aspekt angekommen, nämlich dass jede Organisation der Gestaltungsraum ihrer selbst ist.

    Auf den ersten Blick könnten wir denken, dieser Raum wäre schon vollständig vermessen und ausgeschöpft. Schließlich ist Fischfang in Norwegen nicht gerade eine Branche, die sich erst in den letzten Jahren entwickelt hat. Außerdem ist diese Profession von vielen variablen Faktoren betroffen, auf die sie wenig oder gar keinen Einfluss hat: Wetter und Klima, Meeresströmungen, Wassertemperatur und Nährstoffgehalt, Energiepreise, EU-Administration und nationale Politik, Wettbewerb und Überfischung, Ernährungsmoden usw. Alle diese Faktoren kann man als determinierend und lähmend oder als Herausforderungen begreifen bei der Frage, was wir bei unserer Fischkooperative verändernd gestalten können, um die Qualität unserer Dienstleitung, unser Einkommen, unsere Lebenszufriedenheit , unsere Überlebenswahrscheinlichkeit oder was wir sonst für erstrebenswert halten, zu verbessern. Schön, wenn uns die Wirklichkeit dazu Zeit und Gelegenheit gibt, noch schöner, wenn wir sie uns als Führungskräfte wirklich nehmen. Das ist gute Führung in Form progressiver Gestaltung der Organisation.

    Es könnte ebenso gut sein, und das ist zumindest in unserer Wahrnehmung seit ca. 40 Jahren die Regel, dass uns einer oder mehrere der oben beschriebenen Faktoren dazu zwingen, uns – d. h. die Organisation – veränderten oder sich in absehbar naher Zukunft verändernden Kontext-Bedingungen anzupassen.

    Die erste Variante hängt von uns selbst ab – wir können, aber wir müssen nicht. Hier liegt eine echte Entscheidungssituation vor und deshalb eine Frage guter oder schlechter Führung. Bei der zweiten Variante müssen wir handeln, wenn wir das Überleben der Organisation erhalten wollen. Auch wenn viele Menschen und gerade Führungskräfte sich von der derzeitigen Dynamik des sehr umfassenden Wandels der Bedingungen organisationalen Handelns überfordert fühlen, ist doch dieser Wandel historisch gesehen die Regel und nicht die Ausnahme. Überraschung ist eine Variable u. a. der weitsichtigen Vorausschau und damit der Führungskompetenz, wie wir an anderer Stelle zeigen werden.

    Unsere Fischfang-Kooperative kann sich nun in vielfacher Hinsicht gestalten und weiterentwickeln. Methoden, Instrumente, Fanggründe, Fischarten, Arbeitsorganisation, Aus- und Weiterbildung, Zielmärkte und Zielgruppen, Wertschöpfungstiefe – Führung und Organisation haben weite Gestaltungsräume. Worauf es ankommt, ist, sie als Führende zu erkennen und zu nutzen. Dabei bewegen wir uns im Wesentlichen noch gestaltend innerhalb der Organisation. Sie bleibt primär sowohl Akteur als auch Gegenstand des Veränderungsprozesses. Das kann so weit führen, dass unsere Organisation sich von Grund auf modifiziert, sei es, dass aus der Fischereikooperative eine Fisch- oder Krillzucht⁵-Kooperative wird. Denkbar wäre es auch, dass die Kooperative aus gegebenem Anlass nicht nur die Branche, sondern den Markt wechselt. Stellen wir uns z. B. vor, vor der Küste des Dorfes würde Öl gefunden, und die Gemeinde als Eigentümer vergäbe die Förderrechte nicht an einen Konzern, sondern an die kleine Kooperative, die sich darum beworben hätte. Dann würden aus der selbstverwalteten Fischerei-Kooperative zunächst eine selbstverwaltete Ölförderungskooperative, wahrscheinlich ziemlich bald eine Ölförderungsgesellschaft und vielleicht sogar ein neuer Öl-Konzern. Das wäre zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.⁶ Aber auch dieser Extremfall betrifft primär die Veränderung der Organisation selbst, auch wenn dieses Beispiel sehr weitreichende Konsequenzen hätte. Wir bewegen uns also nach wie vor innerhalb eines relativ engen Horizontes – s. Abb. 3.2.

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    Abb. 3.2

    Intra-organisationaler Gestaltungsraum

    Der dritte Aspekt eröffnet sich uns, wenn wir die Organisationsgrenzen perspektivisch insoweit überschreiten, dass wir die Organisation denken als Raum für die Gestaltung ihres Außenraums, ihres Kontextes (s. Abb. 3.1). Das ist weniger weit hergeholt, als es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag. Es ist nur eine Frage der Wirkungsmacht der Organisation, genauer, dessen, was sie her- oder bereitstellt.

    Dass Organisationen nach außen wirken, haben wir oben bereits erwähnt. Nichts anderes ist ihr Sinn. Dass sie den Kontext massiv beeinflussen, wird jeder sofort akzeptieren, wenn wir das Wort Kontext durch das Wort Umwelt und das Wort Organisation durch das Wort Ölkonzern ersetzen. Jetzt schreiben wir nur noch statt gestalten zerstören, und sehr viele Menschen werden der Aussage: „Ölkonzerne zerstören die Umwelt!" sofort zustimmen. Hier geht es nicht um den Sinn oder Unsinn einer solchen Behauptung. Tatsache ist jedenfalls, dass Öl- und andere Konzerne in ihren Märkten unsere Lebenswelt massiv mitgestaltet haben, und dies durchaus sehr zum Nutzen sowohl ihrer Kunden als auch der Gesamtgesellschaft. Ohne die Verfügbarkeit äußerst preiswerter Energie in ungeheurer Menge wäre der Wohlstand unserer Lebenswelt undenkbar. Nicht nur unsere gesamte Wirtschaftsverfassung, auch wesentliche Teile unserer Sozialverfassung und des individuellen Lebensvollzugs sind nur möglich unter der Voraussetzung individueller, kollektiver und virtueller Mobilität.

    Die Behandlung dieses Aspektes ist für aktuelle oder angehende Führungskräfte sehr wichtig. Zum einen ist es elementar, sich gegen die Zumutung aggressiver Pressure Groups erwehren zu können und – besonders – zu vermeiden, sich selbst in der Gesellschaft herrschenden, simpel polarisierenden Moralkonstrukten zu unterwerfen. Meinungen werden nicht durch Mehrheitsfähigkeit zu Tatsachen. Aber es gilt ebenso, einer anderen Versuchung zu widerstehen: der großen Versuchung, sich selbst in seiner eigenen Wirkungsmacht zu überschätzen. Das betrifft sowohl die eigene Macht als Führungskraft nach innen als auch die Macht der Organisation(seinheit) nach außen. Damit kommen wir zu einem dritten Aspekt: Jede relevante Außenwirkung von Organisationen schafft Veränderungen unserer Lebenswelt, die in ihrer Gänze und mit ihren langfristigen Konsequenzen kaum oder gar nicht absehbar sind. Betrachtet man die so ausgelösten Veränderungsprozesse in größeren historischen Zusammenhängen, so lässt sich feststellen, dass sie in der Regel von den Generationen begrüßt wurden, die sie aus guten Gründen bewirkt haben, von nachfolgenden Generationen jedoch zunehmend kritisch beurteilt werden. Die Ursache dafür ist klar: Nachfolgende Generationen kennen nicht aus eigenem Erleben die Lebensbedingungen, die in der Vergangenheit den Zeitgenossen eine Veränderung als notwendig bzw. erstrebenswert erscheinen ließen. Je nach Gestimmtheit können sich Kinder und Enkel nun auf tatsächlich oder vermeintlich negative Folgewirkungen fokussieren – bis hin zur Totalverweigerung weiterer Veränderungen ihrer Lebenswelt. Dies als Forderung nach „Nachhaltigkeit" zu etikettieren, ist zwar modisch, aber geht am Wesen aller historischen Prozesse vorbei, die notwendigerweise immer Veränderung bedeuten. Für die Führung von Organisationen folgt daraus statt eines Weniger ein Mehr an Innovation und Veränderungsbereitschaft im Sinne von Adaptionsfähigkeit an sich wandelnde Kontext-Bedingungen.

    Der Kontext einer Organisation lässt sich nicht gegen seinen Willen beliebig gestalten. Wir können weder die Natur noch die Menschen „steuern. Marketing, „Kulturindustrie etc. sind erstens keine Instrumente in den Händen eines „Establishments, eines angeblichen „militärisch-industriellen Komplexes oder – wie es heute oft heißt – der „Eliten ". Zweitens sind diese (Funktions-)Bereiche überhaupt keine Instrumente, die man handhaben kann wie einen Hammer, eine Produktionsstraße für Gabelstapler oder ein Lichtstellwerk in einem Theater. Menschen und ihre Einstellungen zu beeinflussen ist ohne ihre eigene Mitwirkung, zumindest ihre positive Offenheit, unmöglich. Kultur und Marketing sind Kommunikation . Kommunikation ist ein wechselseitiger kreativer Prozess, weder ein steuernder, noch ein steuerbarer Botschaft-Senden|Empfangen|Wie-gewünscht-Handeln-Dreischritt.

    Die Gestaltung von Organisationen ist ein Prozess, bei dem die Organisation immer, in der dritten Hinsicht mit besonders großer Wirkung, mit ihrem Kontext interagiert und kommuniziert. Ein Blick auf die Geschichte der letzten 200 Jahre macht deutlich, dass die verschiedenen Bereiche einer Gesellschaft – Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur etc. – und damit die darin agierenden Organisationen und Personen in einem sehr komplexen Prozess des wechselseitigen Aufeinander-Einwirkens stehen. Bis Mitte der 1970er Jahre waren die vielen Einzelwillen und Einzelmomente dabei fokussiert und konvergierten bei wesentlichen Grundwerten. So wurden die vorhandenen individuellen, organisationalen und gesellschaftlichen Energien gebündelt wirksam und konnten etwas schaffen, das man – bis dahin grundsätzlich positiv konnotiert – Fortschritt nannte und was uns einen in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit einzigartigen Wohlstand und eine ebensolche Verbesserung der materiellen und damit materialen Lebensqualität beschert hat. Die historische Zäsur der 1970er Jahre – von Historikern als basaler Strukturbruch bewertet – stellt in vieler Hinsicht auch einen Kulturbruch dar. Kollektive Mythen und gesellschaftliche Werte haben ihre Verbindlichkeit verloren; nahezu jede Einzelentscheidung muss vor dem Hintergrund einer „kritischen Grundhaltung" immer wieder neu legitimiert werden. Dabei tendiert das mentale Klima insgesamt – nicht nur in Deutschland – zu einem rückwärtsgewandten Romantizismus. Diese Situation stellt besondere Anforderungen an die Qualität der Führung und damit an die Ausbildung unserer Führungskräfte in allen gesellschaftlichen Sektoren.

    3.3 Führungskraft und individuelle Wirksamkeit

    Stellen wir die Frage nach den Beiträgen Einzelner zu den großen historischen Prozessen, so stellen wir damit die Frage nach der individuellen Wirksamkeit von Führungskräften überhaupt (s. Abb. 3.3). Diese Frage ist gerade in der heutigen Zeit enorm wichtig für Führende. Die Berufsrealität vieler Menschen – nicht nur von Führungskräften – in großen, komplexen Organisationen scheint mittlerweile jedem Wunsch nach individueller, positiv wahrgenommener Wirksamkeit Hohn zu sprechen. Die jedes Jahr durchgeführten Studien zur Mitarbeiter-Zufriedenheit zeigen nicht nur alarmierend negative Werte, auch die Tendenz über den ganzen Zeitraum der Studien ist seit ihrem Erscheinen negativ. Entsprechende Studien für die Gruppe der Führungskräfte würden nach unserer Erfahrung aus dem Coaching von Führungskräften mit großer Wahrscheinlichkeit zu den gleichen Ergebnissen kommen. Parallel dazu ist eine starke Zunahme psychischer Erkrankungen zu beobachten. Depression wird mittlerweile als Volkskrankheit gehandelt; Burn- und Boreout gelten als weit verbreitete Krankheitsbilder. Burnout zumindest wird von vielen als eine Vorstufe zur klinischen Depression angesehen. Dieser Zusammenhang ist nicht zufällig. Schließlich teilen wir Menschen alle das Grundbedürfnis (überlebens)wirksam auf unsere Lebensumstände einzuwirken – im psychologischen Fachjargon nennt man dies Selbstwirksamkeitserwartung. Je mehr wir uns in dieser Erwartung getäuscht sehen, desto ohnmächtiger fühlen wir uns – und reagieren je nach individueller Disposition und vorherrschender Gestimmtheit unserer sozialen Umgebung aggressiv oder depressiv.

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    Abb. 3.3

    Wechselwirksamkeit von Führung

    Gleichzeitig gibt es besonders in der deutschen Führungsforschung massive Tendenzen, die Bedeutung individuell-personaler Führung und damit der individuellen Führungskraft wenn nicht ganz zu leugnen, so doch im Kontext „systemisch-sozialer Abhängigkeiten und Interdependenzen so weit wie möglich zu destruieren. Dies geschieht vor dem Hintergrund aktueller kultureller Entwicklungen und mentaler Strömungen, die die Entwicklung des Individuums und die Möglichkeiten seiner Einflussnahme auf sein eigenes Schicksal und seine Lebensumstände mehr oder weniger vollständig reduzieren (möchten) auf äußere oder innere „Verhältnisse, je nach ideologischer Position auf soziale und politische Strukturen oder genetische Dispositionen und neuro-biologische Determinanten.

    Selbstverständlich gehört es zu den Schlüssel-Lektionen, die uns das Leben erteilt, dass wir nicht in der Lage sind, jederzeit und überall die Welt aus den Angeln zu heben. Auch das Bäume-Ausreißen wird (mit zunehmendem Alter) zu Recht als schwierig angesehen. Bei manchem setzt sich sogar die Erkenntnis durch, dass, wer die Welt verändern will, diese doch tunlichst nach ihrem Einverständnis fragen sollte. Allein – die durchaus angemessene Wahrnehmung der eigenen Begrenztheit zu übersteigern in die eigene, grenzenlose Unwirksamkeit und – für die psychische Verfassung und Handlungsfähigkeit fast noch schlimmer – Bedeutungslosigkeit, ist weder tatsachengerecht noch hilfreich. Vollends kontraproduktiv wird eine solche innere Selbstverstümmelung dann, wenn man nicht nur sich selbst, sondern allen (oder bestimmten) sozialen Gruppen mit dem Mittel der Wissenschaftlichkeit jede Möglichkeit der wirksamen Handlungsfähigkeit abstreitet. Dabei ist der weitverbreitete Hang zur (Selbst-)Viktimisierung primär Ausdruck des kollektiven Unwillens zur Übernahme von Verantwortung .

    Wenn wir von der sinnvollen Annahme ausgehen, dass Einzelne zwar den Gang der Geschichte (so es einen solchen im Sinne eines zielgerichteten Vom-Fleck-Kommens überhaupt gibt) nicht gesteuert, wohl aber entscheidend mitgestaltet haben, gibt uns das eine Chance, uns zumindest ein kleines Stück dem Verständnis der Wechselwirkung zwischen Führenden und Geführten, historischen Prozessen und deren Protagonisten und Akteuren anzunähern. So können wir deutlich zu machen, was gute Führung zu erreichen vermag.

    3.4 Ein Beispiel wirksamer Führung: Ferdinand Graf von Zeppelin

    Für mich steht naturgemäß niemand ein, weil keiner den Sprung ins Dunkel wagen will. Aber mein Ziel ist klar und meine Berechnungen sind richtig.

    Mit diesen Worten beschrieb Ferdinand Graf von Zeppelin die Situation, als er gegen den Widerstand und das Unverständnis seiner Zeitgenossen konsequent seine Vision verfolgte. Zu jener Zeit vor der Wende von 19. zum 20. Jahrhundert begann Zeppelin mit dem Bau der ersten Starr-Luftschiffe. Zeppelin war nicht nur ein ausgezeichneter, vielleicht sogar ein genialer Konstrukteur und ein guter Unternehmer. Er war auch ein herausragender Führender. Es gelang ihm nicht nur, eine hervorragende Gruppe von Geschäftsführern, Prokuristen, Konstrukteuren, Ingenieuren und Erfindern aufzubauen, sondern dauerhaft in eine stetig wachsende Unternehmensgruppe zu integrieren. Bei aller notwendigen Diversifikation in unterschiedliche Geschäftsbereiche und Unternehmen blieb dabei die Fokussierung so lange erhalten, wie dies unter den jeweiligen Bedingungen überhaupt möglich war.

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    Abb. 3.4

    Graf Ferdinand von Zeppelin (Quelle: Wikimedia)

    In gewisser Hinsicht ist die Geschichte von Ferdinand Graf Zeppelin und seiner Vision einer weltweiten Passagier- und Cargo-Luftschifffahrt eine Geschichte des Scheiterns . (Halb-)Starr-Luftschiffe werden zwar heute noch produziert und genutzt⁸, haben aber für den Lufttransport keine Marktbedeutung. Der letzte Versuch des kommerziellen Baus von Groß-Luftschiffen, das CargoLifter-Projekt, endete im Jahre 2002 schmachvoll. Allerdings: Die Zeppelin Luftschifftechnik GmbH & Co. KG mit Sitz in Friedrichshafen, selbst am CargoLifter CL160 nicht beteiligt, kaufte aus der Insolvenzmasse die immateriellen Güter – Archive und Aufzeichnungen – der CargoLifter AG .

    Tatsächlich ist die ZLT Zeppelin Luftschifftechnik GmbH & Co. KG nur eines von vielen heute noch existierenden Unternehmen, die ihre Existenz zu einem wesentlichen Anteil den Aktivitäten des „Alten vom Bodensee" verdanken.

    Im Juli 1908 ging das von Zeppelin gebaute Luftschiff nach einem sehr erfolgreichen PR-Rundflug in Echterdingen in Flammen und Zeppelins Eigenmittel damit in Rauch auf. Das Unternehmen stand vor dem Abgrund. Spontan entwickelte sich vor Ort eine Spendensammlung für die Fortführung des Luftschiffbaus, die von den Medien aufgegriffen, schließlich sogar Kaiser Wilhelm II.  – alles andere als ein Freund des Grafen Zeppelin und seiner Ideen – zwang, sich symbolisch an die Spitze der nunmehr organisierten Sammlung zu stellen. Insgesamt kamen 6.096.555 Spenden-Mark zusammen und ermöglichten die Gründung der Luftschiffbau Zeppelin GmbH am 8. September 1908 und der Zeppelin Stiftung drei Monate später.

    Rund um die Erfordernisse des Groß-Luftschiffbaus entstanden etliche Einzelunternehmen, zum Teil mit direkter Beteiligung, zum Teil mit Unterstützung Graf Zeppelins. 1909 wurde die Carbonium GmbH für die Produktion von Wasserstoff gegründet. Ebenso die Luftfahrzeug Motoren GmbH , gegründet von Wilhelm Maybach und Graf Zeppelin. Technischer Leiter wurde Maybachs ältester Sohn Karl . Ebenso 1909 entstand die DELAG – Deutsche Luftschiffahrts-Aktiengesellschaft . Gegründet wurde sie von Zeppelins Generaldirektor Alfred Colsman , dem Prokuristen der Zeppelin Luftschiffbau Hugo Eckener und von Franz Adickes , Bürgermeister von Frankfurt a. M. 1912 gründete Zeppelins Konstrukteur Theodor Kober mit dessen Unterstützung die Flugzeugbau Friedrichshafen GmbH . Drei Jahre später entstand die Zahnradfabrik GmbH zur Entwicklung und Produktion geeigneter Getriebe für den Luftschiff-Antrieb. Noch einmal zwei Jahre später – 1917 – wurde die Zeppelin Werk Lindau GmbH geschaffen. Ihre Leitung übernahm ein Ingenieur, der 1910 in der Versuchsabteilung der Zeppelin Luftschiffbau begonnen hatte und sich speziell für „Flugzeuge schwerer als Luft" – die konventionellen Flugzeuge aus heutiger Sicht – engagierte: Claude Dornier .

    1945 war es mit den Deutschen Luftschiffen endgültig – endgültig? – vorbei. Die Alliierten untersagten dem Unternehmen am Bodensee den Bau weiterer Luftschiffe. Ein ähnliches Verbot im Versailler Vertrag hatte man nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg noch geschickt umgehen können. Doch die grundsätzlich andere Situation nach dem Zweiten Weltkrieg ließ dies nicht zu. Außerdem hatte die Entwicklung der Flugzeug-Technik einen ganz anderen Stand erreicht.

    Zeppelins große Vision wurde nicht dauernde Wirklichkeit – aber ist er deswegen tatsächlich gescheitert? Wenn man betrachtet, was aus Zeppelins, Colsmans , Eckeners , Kobers , Dorniers , der Maybachs und vieler anderer Leistungen in einem Jahrhundert entstanden ist, kann von einem Scheitern eigentlich keine Rede sein. Die technischen Verfahren bei der Fertigungstechnik und in der Konstruktion von Fluggeräten, die bei Zeppelin entwickelt wurden, flossen in den Flugzeugbau ein. Die Dornier GmbH  – entstanden aus der Zeppelin Werk Lindau GmbH und der Flugzeugbau Friedrichshafen GmbH  – bestand in eigenständiger Form bis 1985. Um das Unternehmen vor dem eskalierenden Streit der Erbengemeinschaft Claude Dorniers und der daraus resultierenden Führungslosigkeit zu retten, vermittelte der damalige baden-württembergische Ministerpräsident die Übernahme der Anteilsmehrheit und Unternehmensleitung durch den Daimler-Benz-Konzern . Daimler fusionierte Dornier mit MBB und Telefunken zur Dasa , die später wiederum mit der französischen Aérospatiale-Matra und der spanischen CASA zur EADS fusioniert wurde.

    Aus dem Informationstechnik-Bereich von Dornier entstand das debis Systemhaus , das später an die Deutsche Telekom verkauft wurde. Diese bildete aus der Fusionierung des Daimler-Benz Systemhauses mit diversen Konzern-Töchtern und -Geschäftsbereichen die T-Systems .

    Die von Zeppelin und Maybach gegründete Luftfahrzeug Motoren GmbH aus dem Jahre 1909 wurde bekannter unter dem Namen Maybach-Motorenbau GmbH . Ihre Motoren kamen nicht nur in Luftschiffen zum Einsatz, sondern auch in den legendären Maybach-Fahrzeugen, in Booten und Schiffen, in Panzern und Lokomotiven. Daimler-Benz übernahm Maybach 1960 und fusionierte es mit der eigenen Großmotorensparte, 1969 kam es zu einer Vereinigung mit der MTU Friedrichshafen GmbH .

    Die Zahnradfabrik GmbH gibt es noch in Friedrichshafen. Sie heißt heute ZF Friedrichshafen AG und ist ein weltweit führender Hersteller von Getriebetechnik. Nach wie vor befindet sie sich im Eigentum der Zeppelin-Stiftung⁹.

    Seit 1950 existiert eine Zeppelin GmbH . Sie hat mit Luftschiffen direkt wenig zu tun – in den beiden Sparten Handel und Produktion umfasst ihr Portfolio Baumaschinen, Energieerzeugung, Industrieanlagen, Gabelstapler und Landmaschinen, die man nicht nur kaufen, sondern auch mieten kann –, und sie ist in ihren Sektoren sehr erfolgreich.

    Schließlich gibt es seit 2003 mit der Zeppelin University eine der interessantesten und innovativsten Hochschulen in Deutschland. Als gemeinnützige GmbH von ZF Friedrichshafen AG , der Zeppelin Luftschifftechnik GmbH & Co. KG sowie der Max Weishaupt GmbH gegründet, ist sie seit 2007 Stiftungshochschule. Als erster privater Hochschule in Deutschland wurde ihr im September 2011 das Promotionsrecht verliehen.

    Weitet man also ein wenig die Perspektive von den „fliegenden Zigarren auf das Weiterwirken entscheidender Impulse in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, kann man von einem Scheitern Zeppelins und seiner Mitstreitern sicher nicht sprechen. Wesentliches haben wir an dieser Stelle ausklammern müssen, z. B. die besondere Unternehmenskultur bei „Zeppelin & Co, die vielen sozialen Projekte und Errungenschaften, die besondere Bedeutung für die Region und in der Region. Vielleicht nur ein Hinweis dazu: Wenn Menschen, die heute noch für eine Zeppelin-Organisation arbeiten, der Überzeugung sind, dass dies ein ganz besonderes Privileg ist, nachgerade ein Luxus, dann spricht das für sich.

    Organisationen sind gestaltbare Handlungsräume. Es macht einen fundamentalen Unterschied aus, ob wir solche Strukturen als Produkte menschlichen Wirkens wahrnehmen oder – fälschlicherweise – als vom Menschen losgelöst existierende, quasi determinierte Entitäten. So selbstverständlich, wie historische Entwicklungen nicht allein von Menschen beeinflusst werden, so sicher ist auch, dass sie sich ergeben als Produkt menschlichen Denkens, Empfindens und Handelns. Je größer der Anteil der Theorie als „denkender Betrachtung" (s. o.) in diesem Prozess ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir Menschen damit sinnvolle und produktive Strukturen – Organisationen – schaffen.

    Führende spielen dabei eine herausragende Rolle. Wenn sie selbst die vorhandenen Organisationen bzw. deren Einheiten als nicht-wandelbare begreifen, wie wollen sie ihrer Aufgabe , eben diese zu gestalten, nachkommen? Und wie wollen sie Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzte dazu bringen, ihre eigene, eminent wichtige Rolle bei der Gestaltung von Organisationen und deren kontextuellen Räumen wahrzunehmen? Bestimmte Rahmenbedingungen lassen sich in der Tat gar nicht oder kaum beeinflussen. Aber waren in den 100 Jahren seit der Gründung der Zeppelin Luftschiffbau GmbH die Rahmenbedingungen für die Gestaltung von Organisationen wesentlich besser als heute? Existieren Komplexität , Dynamik des Wandels und Globalisierung tatsächlich erst seit etwa 1980?

    Der Mentalitätswandel im westlichen Kulturraum, den man früher Abendland genannt hat¹⁰, hat in Teilen der Kultur- bes. der Sozial- und Geschichtswissenschaften dazu geführt, die Rolle einzelner Menschen in sozialen und historischen Prozessen möglichst gering zu schätzen. Tatsächlich ist es einerseits eine Errungenschaft, wenn sich nach einer langen Phase der Konzentration einer Personen-Geschichtsschreibung auf die „welthistorischen Persönlichkeiten die Perspektive der Geschichtswissenschaften auf soziale Gruppen und Strukturen ausweitet. Allerdings kann man es kaum als Erkenntnisgewinn betrachten, wenn aus letztlich politischen Motivationen heraus der einzelne Mensch – und besonders herausragende Menschen – in der Konsequenz zu von sozio-ökonomischen und mentalen Systemen determinierten Automaten reduziert werden. Solche Konstruktionen entbehren nicht nur der Sachhaltigkeit, sie sind auch für die Entwicklung und Praxis des Einzelnen, von Organisationen und – wie das Beispiel des „historischen Materialismus (Marxismus) in einem einzigartigen historischen Feldversuch erwiesen hat – ganzer Gesellschaften sehr hinderlich. ¹¹

    Menschen agieren miteinander. Sie wirken auf ihre Lebenswelt ein, von deren Entwicklung sie wiederum beeinflusst werden. Manche Menschen wirken dabei signifikant stärker und bedeutsamer als andere. Dass aus ihrem Wirken Macht und Privilegien erwachsen, dass Macht und Privilegien andererseits Voraussetzung ihrer Wirkung sind, liegt in der Natur der Sache. Egalitaristische Bestrebungen, die darauf abzielen, allen Menschen die gleiche Macht und die gleichen Privilegien zukommen zu lassen, ignorieren die Tatsache, dass Macht und Privilegien stets mit entsprechenden Verantwortungen und sozialen Aufträgen verbunden sind. Vor allem führen solche Bestrebungen dazu, dass in letzter Konsequenz keine fokussierten Momente und damit keine Wirkungen und Entwicklungen mehr möglich sind. Ob dies sozial, ökonomisch und politisch erstrebenswert ist, darf getrost bezweifelt werden.

    Die Entwicklung der Luftschifffahrt und des Flugzeugbaus, der Motoren- und Getriebetechnik wäre ohne das Wirken von Ferdinand Graf Zeppelin, Alfred Colsman , Claude Dornier , Ludwig Dürr , Hugo Eckener , Wilhelm und Karl Maybach und vieler anderer nicht so verlaufen, wie sie verlaufen ist. Die Entwicklung der Bodensee-Region um das Zentrum Friedrichshafen, eine Vielzahl vorbildhafter sozialer und kultureller Projekte hätte nicht stattgefunden. An eine Zeppelin University wäre nicht zu denken. Auch wenn es heute keine weltweiten Großluftschiff-Linien gibt, verdanken wir diesen Männern Entwicklungen, die weit über die Zeppeline hinausreichen. Und niemand kann heute voraussehen, ob angesichts von Energiekosten, Umweltschutzauflagen und anderen Faktoren es nicht noch einmal zu einer Renaissance der Zeppeline kommen wird.¹² 1993 wurde die Zeppelin Luftschifftechnik GmbH (heute GmbH & Co. KG) gegründet. Ihr Geschäftszweck ist die Entwicklung und Produktion des Zeppelin NT – Neue Technologie. Seit 2001 hat sie eine hundertprozentige Tochter, die wieder gegründete Zeppelin Reederei GmbH . Man kann dies für einen wirtschaftlich wenig Erfolg versprechenden Anachronismus halten, für einen von vornherein gescheiterten Versuch ewig Gestriger, einen Mythos in eine Realität zurückzuholen, der von dieser längst überholt worden ist. Aber vielleicht ist es auch ein sehr weitsichtiges Handeln, das heute Lösungen für Bedürfnisse (oder Probleme) entwickelt, die wir, während wir in den Hamsterrädern des Alltags drehen, noch gar nicht wirklich wahrnehmen. Wie sagte Ferdinand Graf Zeppelin: „Für mich steht naturgemäß niemand ein …"

    Das Beispiel „Zeppelin et al. macht auch etwas anderes Wesentliches deutlich. Moltke formulierte es sinngemäß in der Aussage, dass jeder strategische Plan nur bis zur ersten Feindberührung, bis zur Konfrontation mit der Realität standhalte. Ohne visionäres strategisches , zugleich sehr planvolles und taktisches Handeln wäre nichts von dem entstanden, was uns heute an Zeppelin erinnert, und nichts von dem, was daraus erwachsen ist. Zugleich ist es nicht so gekommen wie geplant. Dieser Möglichkeit haben „Zeppelin & Cie. aktiv Rechnung getragen. Jedes neu gegründete Unternehmen, auch wenn es aus der Notwendigkeit entstand, Zulieferer für den Luftschiffbau zu schaffen, war so angelegt, dass es auf seinen jeweiligen Märkten unabhängig und profitabel agieren konnte – und agiert hat. Der Wegfall des „Kerngeschäftes" hat gerade nicht zum Zusammenbruch der eigens geschaffenen Zuliefer-Industrie geführt. Das ist zu einem wesentlichen Anteil der Verdienst des Zeppelin-Generaldirektors Alfred Colsman , des Architekten des Zeppelin-Konzerns.

    Colsmans Organisationsgestaltung war ein ebenso visionärer Entwurf wie Zeppelins gigantische „Luftzigarren". In dieser Hinsicht steht er auf gleicher Ebene mit Steve Jobs . Die meisten visionären Entwürfe werden von Zeitgenossen als Spinnerei und/oder Unmöglichkeit klassifiziert. Tatsächlich führen auch längst nicht alle Visionen ein langes erfolgreiches Leben in der Wirklichkeit (sofern sie überhaupt realisiert werden). In der Rückschau betrachtet, sind sie zu einem Produkt, einer Dienstleistung, zu einer Struktur konkretisierte Antworten auf prophetisch-seismografische Trendwahrnehmungen, Wahrnehmung von etwas, das latent, als zukünftige Möglichkeit bereits existiert. Das gilt nicht nur für das, was Organisationen gestalten, sondern ebenso für das Gestalten der Organisation selbst. Niemand kann ernsthaft annehmen, dass Organisationsgestaltung langweilig und unkreativ sei. Genau das Gegenteil ist der Fall. Für Führende ist es eine Königsdisziplin, die zu beherrschen Bedingung ihres Erfolges ist. Grundlage und Gegenstand in einem ist der Umgang mit Menschen.

    3.5 Mensch – Ὄργανον

    Der heutige Begriff der Organisation kommt aus dem antiken Griechenland. Ὄργανον – organon ist das altgriechische Wort für Werkzeug. Und in der Tat: Praktiker und (viele) Theoretiker sind sich auf seltene Weise einig in der Einschätzung, dass die Organisation die wichtigste Erfindung in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit ist. Dass es sich dabei um ein sogenanntes sozialtechnisches Werkzeug handelt, bringt vielleicht etwas umständlich das Wesentliche zum Ausdruck: Dieses Werkzeug, anders als ein Hammer, ein Kernspinn-Tomograf oder ein Cloud-Host, existiert nicht gegenständlich für sich. Es ist auch nicht virtuell, d. h. existent ohne jede physische Existenz. Es existiert – und zwar ausschließlich – in und durch den gemeinschaftlichen, koordinierten Handlungsvollzug von Menschen. Eine Organisation besteht im Kern aus Menschen und aus nichts sonst. Das Bürogebäude darum herum macht ebenso wenig die Organisation aus wie die Netzwerk-Infrastruktur. Selbst die nicht geringe Zahl der Dienstvorschriften der Bundeswehr macht nicht diese Organisation aus. Es sind die Organisationsmitglieder, die Mitarbeiter, die Menschen, durch die und durch deren Handeln die Organisation überhaupt existieren und erfolgreich sein kann.

    Im Vorwort zum Field Manual No. 22-100 (dem zentralen Dokument für das Führungsverständnis der US Army) benennt J. Lawton Collins, kommandierender General des VII. US-Armeekorps im Zweiten Weltkrieg, einen zentralen Grund, warum die Qualität der Führung von zentraler Bedeutung für die US-amerikanischen Streitkräfte ist:

    [Y]our people deserve nothing less. When you took your oath, when you agreed to be a leader, you entered into a pact with your subordinates and your nation. America has entrusted you with its most precious resource, its young people. Every person serving with you is someone’s son or someone’s daughter, a brother, mother, sister, father. They are capable of extraordinary feats of courage and sacrifice – as they have proven on GA MacArthur’s hundred battlefields and on every battlefield since then. They are also capable of great patience and persistence and tremendous loyalty, as they show every day in thousands of orderly rooms and offices, in tank parks and on firing ranges around the world. They show up and they do the work, no matter how frightening, no matter how boring, no matter how risky or bloody or exhausting. And what they ask in return is competent leadership.

    The most precious commodity with which the Army deals is the individual soldier who is the heart and soul of our combat forces.¹³

    Es kann gar nicht stark genug betont werden, dass Führen vor allem bedeutet, Verantwortung für die Geführten zu übernehmen. Daraus resultiert eine ethische Verpflichtung zu guter Führung. Dabei sind Zielkonflikte nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Sie lassen sich nie mit einfachen Regeln und Modellen lösen, wie manche Entscheidungsmatrix zu Ziel- und Mitarbeiterorientierung suggerieren will. Solch simple Instrumente taugen nur im Bereich der „Schönwetter-Führung" und versagen genau dann, wenn man sie eigentlich bräuchte. Das einzige, was Ihnen nützlich ist, wenn es darauf ankommt, ist Ihre eigene ethische Orientierung, sind Ihre persönlichen Werte .¹⁴

    Fußnoten

    1

    Schrittweise zunehmend.

    2

    Ausnahmen bestätigen die Regel: Interessengemeinschaften, die sich organisieren, um ausschließlich ihrer eigenen Klientel nützlich zu sein. Aber auch diese Organisationen wurden und werden nur geschaffen, um im Raum außerhalb der Organisation in irgendeiner Weise wirksam zu sein – im Zweifelsfall als Grenze zwischen „feindlicher Außenwelt und „innerem Schutzraum. Grundsätzlich ist der Charakter jeder Organisation aufgespannt im Raum der konfligierenden Interessen der Organisationsmitglieder und -teilhaber einerseits und der Nicht-Mitglieder bzw. Nicht-Teilhaber andererseits.

    3

    In der Praxis vor allem großer Organisationen scheint dieses Verhältnis oftmals umgekehrt zu sein. Je größer die Energieanteile sind, die Organisationsmitglieder für intra-organisationale Prozesse aufbringen müssen, desto geringer ist die Wirksamkeit der Organisation – ihre Wertschöpfung – nach außen. Und desto größer ist damit das Optimierungspotential der Führung der betreffenden Organisation.

    4

    Subsistent wirtschaftet eine Gemeinschaft, die alle Bedürfnisse aus eigener Produktion deckt und keine Überschüsse produziert bzw. solche, sollten sie ungeplant entstehen, nicht vermarktet. Als typische Subsistenzwirtschafter werden Jäger- und Sammler-Gemeinschaften, die keinen Kontakt zu anderen Gruppen haben, postuliert. Ob subsistent wirtschaftende Gruppen tatsächlich der Standard in der Epoche vor der Sesshaftwerdung des Menschen gewesen sind, kann angesichts der hohen Mobilität der Menschen in dieser wie auch bereits in früheren Phasen bezweifelt werden. In der seit den 1970er Jahren virulenten, nicht-marxistischen Kapitalismus-Kritik wird Subsistenzwirtschaft als Möglichkeit zur Verwirklichung individueller Autonomie postuliert.

    5

    Wir wissen nicht, ob man Krill überhaupt züchten kann, aber dies ist ein rein fiktives Beispiel. Für den Fall, dass jemand diese Anregung aufnimmt, übernehmen wir dafür keine Haftung – machen allerdings auch keine Urheberrechts-Ansprüche auf die Idee geltend.

    6

    Wie das Beispiel der Elektrizitätswerke Schönau zeigt. Die EWS entstanden aus einer Bürgerinitiative und entwickelten sich zum kommerziellen Energieunternehmen mit idealistischer Ausrichtung. Ein Aufstieg in die Liga der regionalen Großversorger durch Teilhabe an der Übernahme der TüGA-Gruppe von Eon ist vorerst jedoch gescheitert.

    7

    Ferdinand Graf von Zeppelin; zit. n. Geiling und Sauter (2000, S. 36).

    8

    Der Zeppelin NT (NT: „Neue Technologie") wurde von 1993 bis 1997 von der Zeppelin Luftschifftechnik GmbH & Co. KG entwickelt. Das neuartige, halbstarre Luftschiff absolvierte seinen Jungfernflug 1997 und wird seitdem in Deutschland und den USA für touristische, wissenschaftliche und Unterhaltungszwecke (Team Events, Incentives) sowie zur Werbung genutzt.

    9

    Die selbst allerdings 1947 auf Betreiben der Besatzungsmächte als juristische Person des Privatrechts aufgelöst wurde, de facto also enteignet. Die Stadt Friedrichshafen übernahm das Stiftungsvermögen und führt die Zeppelin-Stiftung seitdem als nicht rechtsfähige örtliche Stiftung weiter.

    10

    Ein Begriff, der heute, frisch Endzeit-konnotiert, eine neue Aktualität gewonnen hat: Abendland als Region, in dem nicht nur die Sonne untergeht, sondern ein „Land das an seinem Lebensabend angekommen ist. Die Idee vom Untergang des Abendlandes dürfte ungefähr so alt sein wie das Abendland selbst und erfreut sich je nach Stimmungslage unterschiedlicher Konjunktur. Seit den Zeiten Oswald Spenglers hat es lange keinen Untergangs-Hype wie denjenigen auf und um das Weltwirtschaftsforum 2012 in Davos mehr gegeben. Angeregt von der Session „Global Risks 2012: The Seeds of Dystopia ergeht sich, wie Daniel Lenz’ Übersicht zeigt, die (Wirtschafts-)Presse in ausgeprägter „Sehnsucht nach der Endzeit (Lenz 2012). Bemerkenswert ist besonders die Verwendung des Dystopie -Begriffs, wie sie sich im Global Risks Report 2012 des WEF präsentiert: „The word ‘dystopia’ describes what happens when attempts to build a better world unintentionally go wrong. (World Economic Forum 2012a, S. 16). Nouriel Roubini, einer der Beiträger zur o. g. Session, äußert sich in ähnlichem Sinn: „Dystopia  – the opposite of Utopia  – is quite a fitting term to represent our times in which so many utopias have disappeared and we face so many uncertainties and risks. (World Economic Forum 2012b). Betreiben wir in wenig sprachliche Haarspalterei, um dem eigentlichen Untergangsproblem auf die Spur zu kommen. Utopie beschreibt einen Idealzustand – wörtlich einen Ort, den es nicht gibt und nie geben wird (wie es bei Idealen so üblich ist). Utopien sind Wunschvorstellungen, die nicht Realität werden können, die aber ihre Anhänger trotzdem als erstrebenswert empfinden. Dystopien sind, hier liegt Roubini noch richtig, das Gegenteil davon – aber: sie beschreiben ebenfalls nur Vorstellungen – von dem, was wir uns gerade nicht wünschen – und niemals Wirklichkeiten. Die gegenwärtige Krise in Europa ist nicht die erste, sicher nicht die bedrohlichste und ganz bestimmt nicht die letzte. Sie als „Dystopie zu bezeichnen, sagt nichts über ihren wirklichen Charakter, aber viel über die Einstellungen (und enttäuschten Erwartungen) derer aus, die – mit oder ohne „Endzeitsehnsucht – diesen Begriff allzu leichtfertig im Munde führen. Im wahrsten Sinne utopisch war die lang und weit verbreitete Vorstellung, in Europa (oder irgendwo sonst) eine Region von Gewissheit und Sicherheit aufbauen zu können, so verständlich das Bedürfnis danach auch ist. Die Herausforderung durch „so many uncertainties and risks dürfte für eine gute Führung kein Problem darstellen – denn genau dafür gibt es Führung als psycho-soziales Phänomen überhaupt. Eine gute Führung enthält sich aller larmoyant-sehnsüchtigen Dystopien, deren wesentliche Gefahr darin liegt, zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden. Eine solche hat Klaus Schwab vielleicht im Sinn, wenn er darauf hinweist: „Es besteht dringender Handlungsbedarf. Wir müssen nicht nur neue Modelle finden, um unsere weltweiten Herausforderungen gemeinsam anzugehen, sondern darüber hinaus ein neues Leadership-Modell entwickeln, das in der modernen Welt greift: Leadership, basierend auf Visionen und Werten, um die derzeitigen Probleme zu überwinden. Diese Kombination kann Führungspersönlichkeiten als Kompass dienen, der ihnen bei der Entscheidungsfindung die Richtung weist." (Schwab 2012). Zu den führungsrelevanten Ursachen der Dystopie-Falle.

    11

    Der Frage nach der historischen Wirksamkeit von Individuen ist auch Simonton nachgegangen und dabei zu sehr interessanten Ergebnissen gelangt (Simonton 1994). Vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe konnte ich seine Forschungen nicht mehr angemessen berücksichtigen, weshalb ich hier nur allgemein darauf verweisen kann. Herzlichen Dank an Günter Trost für diesen Hinweis. Zur Fragestellung ebenfalls beachtenswert, wenn auch in einzelnen Bewertungen und historischen Parallelisierungen fragwürdig (Kissinger 2011; Steinberg 2011).

    12

    Eschbach (Eschbach 2007) bietet dazu ein interessantes Szenario.

    13

    US-Army Headquarters 1999.

    Anmerkung 1: Militärische Führungs- und Strategie -Konzepte sind nicht eins zu eins auf nicht-militärische Organisationen und Operationen zu übertragen. Die für einen sinnvollen Transfer notwendigen Reflexions- und Adaptionsfähigkeiten setzen wir als Grundlage guter Führung voraus.

    Anmerkung 2: Es sei explizit darauf hingewiesen, dass der Rekurs auf ein Dokument der US-Army nicht Ausdruck einer abwehrenden oder gar abwertenden Haltung der Bundeswehr gegenüber ist, sondern sich allein der Tatsache verdankt, dass ähnliche Dokumente bei unserer eigenen Armee nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt sind. Aus der Verwendung eines Zitats aus dem Field Manual der US-Army sollte nicht der Schluss gezogen werden, dass in der Bundeswehr eine andere Führungshaltung gelte.

    14

    Vielleicht mag es für manchen Leser überraschend erscheinen, dass ausgerechnet im militärischen Bereich, dem man gerne „Menschenverachtung und Schlimmeres unterstellt, das Ideal der Orientierung am Menschen, der Führung für Menschen – im Zivilbereich in der Regel verkürzend „Mitarbeiter-Orientierung genannt – einen derart hohen Stellenwert hat. Allerdings helfen auch ernst oder zynisch gemeinte Verweise auf ein mögliches Auseinanderklaffen von Ideal und Wirklichkeit nicht weiter, um diesen Scheinwiderspruch aufzulösen. Denn das Ideal abzuschaffen oder nur die „Latte tiefer zu hängen, führt nicht dazu, die Zustände in der Wirklichkeit zu verbessern oder höher zu springen – ganz im Gegenteil. Entscheidend ist allein, was alle dafür tun, um dem Ideal in der Wirklichkeit möglichst nahezukommen. Führende stehen hier an „vorderster Front – oder sollten es zumindest. Denn sie sind die Vorbilder für alle anderen.

    Peter GräserFühren lernen2013Der Weg zur Führungskompetenz und zur persönlichen Karriere-Strategie10.1007/978-3-8349-7135-7_4© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

    4. Führen: Wirken durch andere

    Peter Gräser¹ 

    (1)

    passagen: Coaching - Beratung - Training, Berlin, Deutschland

    4.1 Interaktion

    4.2 Delegation

    4.2.1 Zum Führenden werden

    4.2.2 Beweggründe

    4.2.3 Der Organisation dienen

    4.3 Transaktion

    4.4 Kollaboration

    4.5 Kommunikation

    4.5.1 Deutungshoheit und Machtanspruch

    4.5.2 Unsicherheitsbewältigung

    4.5.3 Im Stande der Ungewissheit

    4.5.4 Vertrauen

    4.5.5 Fürwahrnehmen – eine sachliche und eine ethische Entscheidung

    4.5.6 Vollzug der Verbundenheit

    4.5.7 Zuversicht schaffen

    4.5.8 Theorie der Verkündigung

    4.5.9 Stimmig Führen

    4.5.10 Kommunikationskompetenz: aktive Lösungskompetenz

    4.5.11 Der Mehr-Mehrwert gelungener Kommunikation

    4.5.12 Sprachkompetenz: kreative Lösungskompetenz

    4.5.13 Induktive Rationalität – Muster und Geschichten

    4.5.14 Kommunikation schafft Sinn und Bedeutung

    Zusammenfassung

    Neben den ethischen Aspekten hat die Führung für Menschen einen ganz praktischen Sinn: Führen heißt nichts anderes, als durch andere zu wirken. Das heißt, die Aufgabe des Führenden ist, andere wirksam werden zu lassen, damit gemeinsame Ziele erreicht werden. Dies betrifft in erster Hinsicht die Mitarbeiter, aber bei näherer Betrachtung ebenso auch Kollegen und Vorgesetzte, Lieferanten und Kunden, also alle, die unmittelbar oder mittelbar durch dasWirken einer Führungskraft betroffen sind.

    Damit kommen wir wieder zurück zum Kern von Führung, den interpersonalen Prozessen, wie in Abb. 4.1 symbolisiert. Führung als Wirken durch andere bedeutet zwangsläufig, durch Führung auf Andere einzuwirken – so, dass das organisationale Handeln tatsächlich ein gemeinschaftliches wird, das stetig dem Erwirken der gemeinsamen Ziele dient.

    Neben den ethischen Aspekten hat die Führung für Menschen einen ganz praktischen Sinn: Führen heißt nichts anderes, als durch andere zu wirken. Das heißt, die Aufgabe des Führenden ist, andere wirksam werden zu lassen, damit gemeinsame Ziele erreicht werden. Dies betrifft in erster Hinsicht die Mitarbeiter, aber bei näherer Betrachtung ebenso auch Kollegen und Vorgesetzte, Lieferanten und Kunden, also alle, die unmittelbar oder mittelbar durch das Wirken einer Führungskraft betroffen sind.

    Damit kommen wir wieder zurück zum Kern von Führung, den interpersonalen Prozessen, wie in Abb. 4.1 symbolisiert. Führung als Wirken durch andere bedeutet zwangsläufig, durch Führung auf Andere einzuwirken – so, dass das organisationale Handeln tatsächlich ein gemeinschaftliches wird, das stetig dem Erwirken der gemeinsamen Ziele dient.

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    Abb. 4.1

    Führung – ein interpersonaler Prozess

    Bevor wir tiefer in die Einzelheiten dessen eindringen, was soziale Prozesse und damit den Kern von Führung ausmacht, noch eine Vorbemerkung. Die im Folgenden beschriebenen Kernbegriffe unseres Modells stellen einzelne Aspekte des Führungsprozesses heraus. Diese Begriffe sind notwendigerweise unscharf bzw. „weich. Sie überschneiden sich zum Teil, je nach Art der Beschäftigung scheinen sie ineinander überzugehen. Das liegt in der Natur der Sache. Nicht umsonst nennt man all diejenigen Faktoren des organisationalen Handelns „weich. Sie lassen sich nicht wie die sogenannten „harten Fakten" ordnen, hierarchisieren oder gar mathematisieren. Lange Zeit hat man deshalb versucht, sie aus den wissenschaftlichen Modellen, mit denen man versuchte, die Welt zu erklären, auszugliedern. Das trifft besonders auf ökonomische Modelle zu. Wir werden in Teil II auf den (Un-)Sinn und die Effekte solchen Verfahrens noch zurückkommen. An dieser Stelle sei nur noch einmal dringend davor gewarnt, sich das Thema mit einem Übermaß an szientistischer Logik und cartesianischem Rationalismus erschließen zu wollen. Ein solcher Ansatz der Präzisierung¹ führt letztendlich nur dazu, dass man sich das Erkennen dessen, um das es eigentlich geht, unmöglich macht. Alternative, ober besser noch: ergänzende Verfahren stehen uns Menschen durchaus zur Verfügung.

    4.1 Interaktion

    Unter Interaktion verstehen wir das wechselseitige Aufeinander-Einwirken, hier speziell als soziale Interaktion das wechselseitige Aufeinander-Einwirken von Menschen und – auf anderer Ebene – sozialen Gebilden (Gruppen, Gemeinschaften , Organisationen etc.).

    Soziale Gebilde entstehen durch Interaktion, aber nicht nur diese. Auch der Prozess, den wir Individuation nennen, die Entwicklung der Persönlichkeit , des Charakters des Einzelnen als eines sozialen Wesens, kommt überhaupt nur durch Interaktion mit anderen zustande. In der Interaktion entwickeln wir unsere sozialen Fähigkeiten , allen voran unsere Bindungsfähigkeit . Durch Interaktion werden wir sozialisiert.

    Wenn also von Führenden besondere soziale Kompetenzen gefordert werden, hat das seinen guten Grund. Dabei sind Führende ausgezeichnet beraten, niemals ein Spezifikum dieser Interaktion zu vergessen: Sie ist wechselseitig. Jede Führungshaltung, die auf der bewussten oder unbewussten Annahme einer einseitigen oder auch nur dominierenden Einwirkung des Führenden auf die Geführten beruht, geht an der Wirklichkeit vorbei. Sicher, Führende haben eine Sonderstellung innerhalb der Gemeinschaft , die sie führen. Aber das Mehr an Macht , Verantwortung und Privilegien, über das sie verfügen (müssen), um ihre soziale Funktion wahrzunehmen, kommt ihnen nicht qua „individueller Grandiosität" zu, sondern erwächst aus der hierarchischen Fokussierung in und durch die Gemeinschaft. Führende stehen also nicht außerhalb, schon gar nicht über der Organisation, deren Kräfte und Institutionen sie repräsentieren.

    In der Interaktion konstituieren sich die sozialen Beziehungen innerhalb einer Gemeinschaft – also gerade auch die Führungsbeziehungen. Diese sind immer Beziehungen zwischen konkreten Menschen, nicht zu „Faktoren". Auch wenn Führungsbeziehungen aus praktischer Notwendigkeit vielfach – durch Kultur, Organisationsstruktur, durch Regeln, Prozesse und Symbole – vermittelt sind, so bleiben es ihrem Sinn und ihrer Funktionalität nach doch immer Beziehungen zwischen Menschen und müssen als solche anerkannt und gelebt werden.

    Durch die Interaktion entstehen (und entwickeln sich fort) unser Selbstbild , unsere Vorstellungen von den anderen, die uns umgeben, und unser Weltbild (eine Nummer kleiner: unsere Vorstellung von der Organisation bzw. deren Einheit, die wir führen). Interaktion ist immer auch Darstellung und Wahrnehmung unserer selbst wie des Anderen. Dadurch entsteht ein Komplex von Symbolen und Bedeutungen, die wir Sinn nennen. Gelingt es uns nicht, einen gemeinsamen und bei aller inneren Widersprüchlichkeit hinlänglich konsistenten und kohärenten Sinnhorizont zu entwickeln, nehmen wir unsere Welt als sinnlos und uns selbst als bedeutungslos wahr.

    Die Implikationen für und Anforderungen an Führung, die sich daraus ergeben, sind klar. Führende müssen sich bewusst sein, dass alle ihre Handlungen von Bedeutung sind und dass für sie als Vorbilder besondere, d. h. verschärfte Regeln gelten. Sie repräsentieren nicht nur sich selbst, sondern ihre Organisation(seinheit). Jedes Handeln von Führenden wird immer auch als Symbol wahrgenommen. Die Wahrnehmung wird ähnlich wie bei einem Laser innerhalb der Organisation fokussiert und verstärkt. Führungshandeln erfordert einen außerordentlich hohen Grad an Achtsamkeit und Bewusstheit  – besonders auch Bewusstheit seiner selbst. Diese ist Grundlage der eigenen Selbstbeherrschung .

    Selbstbeherrschung ist elementar. Denn Führende sind aufgrund der Wechselseitigkeit der Interaktion von allen Prozessen mittelbar und unmittelbar selbst betroffen. Sie stehen nicht außerhalb oder darüber, aber sie müssen die – wenigstens imaginierte – Außenperspektive auf das Gesamtgeschehen wahren, um die Übersicht nicht zu verlieren. Nur so sind sie in der Lage, sich Urteilskraft , Entscheidungsfreiheit und Handlungsfähigkeit zu erhalten.

    Mit Blick auf jede Art der Gestaltung, Entwicklung , Veränderung von Organisationen müssen sich Führungskräfte darüber im Klaren sein, dass sich die Organisation und die Individuen, die sie bilden, in einem fortwährenden Prozess der Koevolution befinden – sie entwickeln sich mit und durch einander. Veränderungsprozesse, die dieser Grundtatsache nicht auf allen Ebenen von der strategischen Konzeption bis zur operativen Realisierung Rechnung tragen, haben eine geringe Aussicht auf Erfolg. Dabei ist besonderes Augenmerk auf die Tatsache zu richten, das Menschen etwas sehr Konkretes, direkt Ansprechbares, Organisationen jedoch etwas reichlich Abstraktes sind, mithin Veränderungen einer Organisation nur durch die Menschen bewirkt werden, die sie bilden.

    Diese Überlegungen sollten nicht dazu verleiten, die Menschen verändern zu wollen, um ein „Change Management durchzuziehen". Vielmehr sind die Menschen, Mitarbeiter, die Träger der Veränderung (oder eben auch nicht). Sie sind als erste zu adressieren – als Akteure der Veränderung, als deren Subjekte, nicht als deren willfährige oder gezwungene Objekte. Das kann die Sache unter Umständen kompliziert machen. Aber das Bewusstsein der naturgemäß zu erwartenden Komplexität sollte dazu führen, dass Führende im Vorfeld von auf den ersten Blick vielversprechenden, umfangreichen organisationalen Veränderungen sich intensiv mit der Frage beschäftigen, ob eine Reorganisation tatsächlich das beste Mittel ist, um die identifizierten Probleme bzw. Herausforderungen gut zu bewältigen.

    4.2 Delegation

    Delegation als spezifischen Aspekt von Führung zu sehen, dürfte uns auf den ersten Blick sehr viel näherliegen als die oben beschriebene Interaktion. In der Praxis findet Delegation häufig nicht in dem Maße statt, wie es für alle Beteiligten und die Organisation gut wäre. Denn Delegation ist neben allem anderen Loslassen. Führenden, die ihre genuine Aufgabe primär in der Kontrolle  – der Organisation, der Mitarbeiter, der Prozesse, der Zielerreichung etc. – sehen, fällt dies naturgemäß besonders schwer.

    Ein eher naives Verständnis von Führung wird davon ausgehen, dass Delegationen im Führungsprozess ausschließlich vertikal und unidirektional seien: Ich als Führender delegiere Sach-Aufgaben und aufgabenbezogene Verantwortung nach unten. Das ergibt und fundiert meine Macht und mein Privileg. Ganz so einfach sollte man es sich als Führungskraft jedoch nicht machen, wenn man erfolgreich sein möchte.

    Delegationen zwischen Menschen finden sowohl in der vertikalen als auch in der horizontalen Ebene statt – in Führungsprozessen ebenso wie in allen sozialen und psychosozialen Prozessen. Dabei ist schon die einfache Unterscheidung zwischen vertikal und horizontal in der Praxis kaum zu halten. Tatsächlich gibt es in der Realität Delegationen in jedem Winkel, in der ganzen Spannweite von Anweisung bis zur Bitte um Unterstützung. Gute Führung weiß das ganze Spektrum situationsangemessen zu nutzen.

    Mit der Delegation einer Aufgabe, egal ob „nach unten oder „zur Seite, delegiere ich als Führender nicht nur eine Aufgabe und die damit verbundene Verantwortung , sondern auch die zur Ausführung notwendigen Ressourcen (zumindest sollte ich das tun) – und damit auch Macht . Dies ist ganz besonders dann der Fall, wenn, wie in unserer Zeit, die Ausführung von Aufgaben nicht mehr nur ein Abarbeiten vordefinierter Prozesse mit dem Mittel der körperlichen Arbeit ist. Einen Sandhaufen mit der Schaufel vom Punkt A zum Punkt B zu schippen, ist nicht das typische Beispiel für eine Aufgabe in der Arbeitswelt von heute. Führung als ein konstitutives Element organisierter Arbeitsteilung ist also auch hinsichtlich der (Ausführungs-)Macht per se partizipativ  – die Frage ist lediglich wie und wie sehr.

    Dabei muss sich die Führungskraft sehr klar darüber sein, dass sie zwar innerhalb des von ihr zu verantwortenden Organisationsbereichs die Durchführungsverantwortung delegieren kann (und muss), dass sie damit jedoch „nach oben" bzw. nach außen hin in der Verantwortung bleibt. Natürlich kann eine Teamleiterin oder ein Unternehmensvorstand den Misserfolg der Gruppe oder des Konzerns damit begründen, dass die Mitarbeiter nicht das getan haben, was sie hätten tun sollen. Was die Abteilungsleitung oder die Öffentlichkeit zu Recht darauf antworten wird, liegt auf der Hand. Dass eine so handelnde, ihre Unfähigkeit unter Beweis stellende Führungskraft damit ein für alle Male die aktive Unterstützung ihrer Mitarbeiter verliert, ist auch klar.

    Delegationen beruhen wie alle sozialen Interaktionen auf Wechselseitigkeit . Nicht nur Führende delegieren, sondern auch Geführte. Alle notwendige Macht und alle notwendigen Privilegien (auch die nicht notwendigen übrigens) beruhen auf Delegationshandlungen. Arbeitsteilung bleibt Arbeitsteilung – egal in welcher Richtung sie erfolgt. Delegationen, die – flacher oder steiler – von unten nach oben erfolgen, sind mit konkreten Erwartungshaltungen verbunden. Führende werden von den Geführten ermächtigt  – erst das macht sie überhaupt zu Führenden –, um etwas sowohl für die einzelnen Geführten wie für die geführte Gemeinschaft zu tun, etwas, zu dem sich die jeweiligen Individuen als solche nicht in der Lage fühlen und das nicht als „Gruppen-Prozess" erledigt werden kann. Damit kommen wir zu einer entscheidenden Frage: Wie wird man überhaupt Führungskraft? Naheliegende Antwort: durch Beförderung oder Berufung . Frage: Wer befördert oder beruft? Antwort: der bzw. die Vorgesetzte, die Auswahlkommission, der Aufsichtsrat. Frage: Wirklich? Sind es nicht in Wirklichkeit die Geführten, die sich ihre Führenden wählen? Nicht notwendigerweise in einem institutionalisierten, aber nichtsdestotrotz wirkungsvollen Prozess?

    Es ist ein äußerst weit verbreiteter Mythos anzunehmen, dass man deshalb eine Führungskraft sei, weil man seinen Namen in einem bestimmten Kästchen im Organisationsdiagramm wiederfindet und einen entsprechenden Titel auf Visitenkarte und Türschild führt. In vielen Fällen kann man diesen Mythos nur als verhängnisvoll bezeichnen, sowohl für die persönlich Betroffenen als auch für die Organisation. Es gibt einen guten Grund dafür, dass es in der Sprache zwei unterschiedliche Worte für zwei unterschiedliche Phänomene gibt: „Vorgesetzte(r) und „Führende(r). Ein(e) Vorgesetzte(r) wird „von oben" bestellt – zur Führung wirklich ermächtigt jedoch wird sie oder er jedoch erst durch die Geführten.

    4.2.1 Zum Führenden werden

    Führung wird konstituiert durch das Prinzip der vertikalen Delegation zwischen Führenden und Geführten. Dies schafft die eigentliche Führungssituation in Form einer Führungsbeziehung.

    Insofern tun wir gut daran, sehr genau zwischen einer Führungsposition und einer Führungssituation zu unterscheiden. Denn eine Führungsposition mit einer dafür geeigneten Person zu besetzen, reicht nicht aus, um wirkliche Führungsbeziehungen herzustellen. Noch deutlicher formuliert: Die Tatsache, in einer Organisation ein Vorgesetzter zu sein, bedeutet noch lange nicht, dass diejenige Person tatsächlich führt. Sie wurde lediglich einer Gruppe von Menschen hierarchisch vor (die Nase) gesetzt. Als Führende ist sie damit noch nicht akzeptiert. Wirksam werden, ihre Funktion ausfüllen und ihre Führungsaufgaben lösen kann eine Führungskraft dann – und nur dann –, wenn sie in ihrer Position als Führende anerkannt wird – und zwar vor allem von den Geführten, ihren Mitarbeitern. Sie sind es, die einen Menschen auf einer Führungsposition zu ihrem Führenden machen – oder auch nicht.

    Dabei muss natürlich in Rechnung gestellt werden, dass mit einer Führungsposition Machtbefugnisse verbunden sind, mit denen eine Führungskraft diesen Prozess durchaus beeinflussen kann. Man kann in gewissem Maße Delegationen erzwingen und zuweilen muss man das auch. Aber ein solcher Zwang kann weder die ausschließliche noch die primäre Basis für die (Genese der) Führungsbeziehung sein.

    Zwang als Basis von Führung schränkt die Wirksamkeit meines Handelns als Führungskraft stark ein. Der daraus resultierende Klimamix aus Aversion, Misstrauen und Angst mag bestimmten Persönlichkeitsprofilen gefallen, ist aus organisationspsychologischer Sicht jedoch für Unternehmen kontraproduktiv, wenn deren Wertschöpfung auf mehr basiert als der koordinierten Ruderbewegung von angeketteten Galeerensklaven. Früher oder später kommt es zur Meuterei. Nicht unbedingt zu einer offenen, aber sicher zu einer untergründigen. Die Organisationseinheit, die und deren Ergebnisse ich als Führungskraft zu verantworten habe, wird auf Dauer gelähmt. Die Notwendigkeit, permanent Zwang auszuüben, treibt die intra-organisationalen Transaktionskosten in eine Höhe, die den Sinn des sich Organisierens konterkariert. Dies sind die pragmatischen Argumente dagegen, die vertikalen

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