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Trust In You
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eBook406 Seiten5 Stunden

Trust In You

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Über dieses E-Book

Die Existenz der Muni - Menschen mit speziellen Gaben - ist schon seit Jahren bekannt.
Doch nun wird das Land auf eine harte Probe gestellt, denn das Vertrauen zwischen der Regierung und den Muni zerbricht.
Das muss Nahla am eigenen Leib erfahren. Sie steht mittendrin und muss fliehen, denn keine der beiden Seiten ist eine Option für die, die anders sind.
Bald schon muss sie wählen - zwischen Risiko, Liebe, Vertrauen und dem Wahren ihres Geheimnisses.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum5. Apr. 2022
ISBN9783754966365
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    Buchvorschau

    Trust In You - Linnéa Nyberg

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    Linnéa Nyberg

    Trust In You

    Linnéa Nyberg

    Trust In You

    Roman

    Impressum

    Texte:

    © 2022 Copyright by Linnéa Nyberg

    Umschlag:

    © 2022 Copyright by Linnéa Nyberg

    Verlag:

    Linnéa Nyberg

    c/o Block Services

    Stuttgarter Str. 106

    70736 Fellbach

    Druck:

    epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

    Für

    die beste Familie der Welt

    Die SFMO

    Nahla

    Freitag, 21. August

    »So, damit haben Sie es erst mal geschafft! Ich wünsche Ihnen allen ein erfolgreiches Jahr! Versuchen Sie bitte, niemanden umzubringen. Ich weiß, dass Sie das tun werden, aber versuchen Sie Ihr Bestes, dass es nicht dazu kommt!«

    Unser Professor für operative Medizin klatscht in die Hände, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. Ein paar Studierende hören ihm noch zu, doch die meisten packen schon ihre Sachen ein.

    Wir haben alle schon ein paar Praxisphasen hinter uns und der Großteil von uns hat schon mal jemanden im Krankenhaus sterben sehen. Leider. Selbst ich.

    »Moment, Moment, Moment!«, ruft er, als die Ersten aufstehen wollen. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass zwar mein Teil vorüber ist, Sie aber für heute Nachmittag verplant sind.«

    Das lässt alle aufhorchen. Fragend sehen Casey, meine Sitznachbarin, und ich uns an. Ich runzle die Stirn. Der Professor winkt zur Hörsaaltür, bevor er fortfährt: »Die Regierung braucht für heute Ihre Unterstützung. Alles Weitere wird Ihnen gleich erklärt werden.«

    Damit geht er selbst vom Pult weg und setzt sich in die erste Reihe.

    Verdammt. Das hört sich nicht gut an.

    Mein Puls beschleunigt sich.

    Aus dem Gang neben den Reihen tritt nun ein Mann im Anzug.

    Er hat dunkelbraune Haare und kantige Gesichtszüge. Er versucht sich an einem Lächeln, als er in die Reihen der Studierenden blickt, die auf ihn hinabsehen.

    »Es tut mir sehr leid, Sie von Ihren wohlverdienten freien Tagen abzuhalten, doch am heutigen Tag können Sie Leistung für unser Land erbringen. Wir benötigen Ihre freundliche Unterstützung, um dieses Land ein wenig sicherer zu machen. Heute Morgen hat der Präsident ein Gesetz verabschiedet, welches uns ermöglicht, ein Register für alle Muni aufzustellen. Damit können wir sicherstellen, dass alle Muni so gefördert werden können, wie sie es benötigen. Und, um uns weitere Erkenntnisse zu verschaffen.«

    Das ganze Blut läuft mir aus dem Gesicht und ich brauche alle Kraft, um die Fassung zu wahren.

    Er ist von der SFMO, der vor einigen Jahrzehnten gegründeten Regierungseinrichtung Special Forces for Munus Observation, im normalen Sprachgebrauch oft Sifmo genannt.

    Vor etwas über fünfzig Jahren ist das erste Mal bekannt geworden, dass es Muni gibt. Sie sind nur ein kleiner Anteil der Menschen, doch sie haben besondere Kräfte, verfügen über spezielle Gaben.

    Es gibt verschiedene Einteilungen. Die, die durch ihre Gedanken Dinge bewegen, und die Elemente beeinflussen können: die Cogovis.

    Die, die spezielle körperliche Fähigkeiten haben, die große Stärke oder Schnelligkeit besitzen: die Corpuvis.

    Und die, die andere Menschen beeinflussen können, also Gedankenleser und -beeinflusser: die Homovis.

    Wobei Letztere sehr selten sind.

    Das ist die offizielle Einteilung. Zumindest wurde noch nicht öffentlich bekannt oder nachgewiesen, dass es noch andere Arten gibt.

    Und das soll auch unbedingt so bleiben.

    Muni lebten wohl schon immer unter uns oder zumindest schon sehr viel länger, nur waren sie immer im Verborgenen. Aber jedes Geheimnis kommt irgendwann ans Licht. Was die »normalen« Menschen ziemlich in Aufruhr versetzt hat.

    Verständlich. Doch die meisten hatten Angst vor ihnen und haben sie gejagt. Wie alles, was die Menschheit nicht kennt oder wo sie verhindern will, dass sich etwas verändert.

    Es hat ein paar Jahre gedauert, bis so etwas wie Frieden eingetreten ist. Man akzeptierte sich. Aber das Misstrauen war immer da.

    Dann jedoch hat sich eine Gruppe radikaler Muni, die REX gegründet, die mehr Rechte für die Muni verlangt. Beispielsweise hohe Positionen einnehmen zu können, in der Politik und Wirtschaft. Was momentan untersagt ist. Darauf hatten sich Vertreter der NM (Nicht-Muni, oder auch Normale-Menschen) und der Muni geeinigt, um Ruhe in die Gesellschaft zu bringen.

    Zu dem Zeitpunkt hatte die Wissenschaft herausgefunden, dass die Munus-Gaben vererbbar sind und in den Genen stecken. Sie entwickelten einen Test, um die Gaben nachzuweisen. Bei jeder Vergabe von hohen Stellen muss man seinen Blutnachweis abgeben, um zu beweisen, dass man kein Munus ist. Auch bei der Geburt im Krankenhaus wurde und wird ein Test gemacht. Ansonsten brauchte man den nicht. Nicht zwingend zumindest. Es wird empfohlen, ihn zu machen, aber es gibt Möglichkeiten, sich unter dem Radar zu bewegen. Bis heute offensichtlich.

    Seit ein paar Jahren gibt es außerdem spezielle Internate für Muni, um dort ihre »Talente« in richtigen Bahnen zu lenken. Doch auch Ältere, bei denen erst neu bekannt wird, dass sie Muni sind, müssen Kurse dort machen, die mindestens ein Jahr dauern.

    Felix bezeichnet die Internate immer als Erziehungslager. Nichts anderes sind sie. Dort wird sichergestellt, dass die Muni schön auf Seiten der Regierung bleiben und ihre Talente nicht gegen sie einsetzen.

    Felix, mein Bruder, und ich haben der Sache nie getraut. Es gibt zwar immer wieder Berichte, wie toll das funktioniere und es werden immer wieder schöne Bilder dieser Internate veröffentlicht. Aber niemand, der mal da gewesen ist, spricht darüber. Und niemand von außerhalb darf das Gelände betreten. Die ganze Zeit, die man dort verbringt, darf man auch nicht heraus.

    Die REX sind in den letzten Jahren immer stärker geworden und haben viele Anhänger im Untergrund gesammelt, die sich nie öffentlich als Muni registriert haben. Sie stellen sich klar gegen diese Umerziehungslager und sehen sie als Gefängnisse an. Sie wollen sie wieder abschaffen und gleiche Rechte für Muni, wenn nicht sogar mehr. Sie sehen die NMs als Unterdrücker der Muni und wollen den Spieß umkehren. Mit den Jahren sind sie nicht nur größer, sondern auch brutaler geworden. Vor einigen Jahren fingen sie an, Anschläge zu verüben, ihre Kräfte gegen NMs zu verwenden und Chaos zu stiften. Was natürlich die Stimmung gegen die Muni ziemlich aggressiv werden ließ.

    Vor ein paar Wochen gab es wieder einen Anschlag. Und nun fängt die Regierung an, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

    In Gedanken werfe ich den REX Beleidigungen entgegen. Anstatt ihre Forderungen durchzusetzen, haben sie nur erreicht, dass es für die Muni noch viel schlimmer werden wird. Und nicht nur für sie.

    Auch für mich.

    Ich muss auf jeden Fall verhindern, dass mein Blut in diese Datenbank gelangt. Denn es darf niemals jemand herausfinden, dass es mittlerweile noch eine andere Kategorie gibt. Dass sich inzwischen - wobei ich nicht weiß, ob es das nicht vorher schon gab - andere Kräfte entwickelt haben. Ich will nicht als Laborratte enden. Oder von irgendwem ausgenutzt werden. Weder von der einen noch von der anderen Seite. Es wäre fatal, würde ich zu Dingen gezwungen werden, die ich nicht tun will. Die ich mir geschworen habe, niemals zu tun. Deshalb habe ich mich mein Leben lang immer zurückgehalten und meine Gabe geheim gehalten. Meine Pflegeeltern, Felix‘ richtige Eltern, und Felix selbst haben mir immer eingebläut, dass niemals jemand von mir erfahren darf.

    Ich bin eine Anomalie. Felix bezeichnet es lieber als »etwas Besonderes«. Aber es kommt auf dasselbe raus. Als seine Eltern gestorben sind, hat er mich aufgezogen. Zu dem Zeitpunkt war ich dreizehn und er gerade achtzehn geworden. Er hat das Sorgerecht für mich beantragt und auf mich aufgepasst.

    Er und seine Eltern haben mir nie das Gefühl gegeben, dass ich etwas Schlechtes wäre. Ich habe mich immer beschützt gefühlt. Und mir ist das Herz zerbrochen, als die Nachricht kam, dass sie ums Leben gekommen sind.

    Ich weiß bis heute nicht, was ihnen damals durch den Kopf gegangen ist, als sie sich dachten, ein fremdes Kind zu adoptieren, obwohl sie schon ein eigenes hatten. Aber ich bin ihnen unglaublich dankbar. Ich war gerade zwei Wochen alt, als ich zu ihnen kam. Und eigentlich sind sie meine richtigen Eltern. Ich kenne keine anderen und wollte auch nie andere. Auch wenn ich mich immer gefragt habe, ob meine biologischen Eltern dasselbe konnten wie ich.

    Aber das werde ich wohl nie erfahren.

    Der Sifmo-Agent vorne spricht weiter und ich reiße mich zusammen, um alles mitzubekommen. Ich muss einen Weg finden, das zu umgehen.

    »Alle Bürger der Stadt sind soeben dazu aufgefordert worden, sich registrieren zu lassen. Wir haben die Stadthalle, das Stadion und einige andere Gebäude vorbereitet, um die Tests und die Registrierung durchzuführen. Und da kommen Sie ins Spiel: wir brauchen jede helfende Hand und Sie wissen, wie man Blut abnimmt. Deshalb bitten wir Sie, uns zu begleiten. Wir bringen Sie zu Ihrem Einsatzort. Alles Weitere wird Ihnen dort erklärt.«

    Er lächelt noch einmal in die Runde und will aufbrechen, doch jemand ruft in den Raum: »Gilt das für jeden?«

    Der Agent hält inne und nickt. »Ja. Für jeden Einwohner unseres Landes.«

    »Was, wenn man sich weigert?«, ruft eine andere Stimme.

    »Nun, wie Sie sicherlich verstehen können, dient das alles nur der Sicherheit jedes Einzelnen. Und es passiert nichts Schlimmes, wenn man als Munus registriert ist. Also gibt es auch keinen Grund, sich zu weigern.«

    Was für mich übersetzt heißt: wir haben keine Wahl. Wenn man sich weigert, wird man gezwungen.

    Ein Murmeln kommt auf und der Agent hebt den Arm.

    »Wir müssen den REX den Riegel vorschieben, bevor noch mehr Menschen zu Schaden oder gar zu Tode kommen. Und wie gesagt: es ist nur ein Nachweis. Man wird nicht gleich als Munus ins Gefängnis gesteckt. Nur, wenn man anderen Menschen schadet.«

    Ich kann mein Schnauben gerade noch zurückhalten. Und diese Umerziehungslager? Was sind die dann? Kein Gefängnis? Dass ich nicht lache.

    Der Agent nickt nur zu seinen eigenen Worten und geht dann wieder den Gang entlang.

    Das einzig Gute, dass wir zum Blutabnehmen eingeteilt sind, ist, dass ich so vielleicht bessere Chancen habe, mein eigenes nicht abzugeben oder es mit anderen zu vertauschen.

    Ich hoffe es. Ich bete darum.

    Casey neben mir seufzt. »Und ich hatte mich schon so sehr auf den ersten freien Nachmittag seit Monaten gefreut!« Sie verzieht das Gesicht zu einer enttäuschten Grimasse.

    Ich brumme nur zustimmend und hole unauffällig mein Handy heraus. Ich muss Felix eine Nachricht schreiben. Doch das Erste, was ich sehe, ist: kein Handynetz. Haben sie das etwa blockiert?

    Meine Sorge wird größer. Casey plappert noch weiter vor sich hin, während wir dem Strom unserer Kommilitonen folgen, die zum Ausgang streben.

    Das Stadion

    Nahla

    Freitag, 21. August

    Draußen bleibe ich beinahe vor Schreck stehen, als ich die Soldaten in Uniform sehe. Nicht nur von der Sifmo. Auch von der Armee. Sie sind im Flur verteilt und haben alles im Blick. Ebenso vor dem Gebäude. Die meisten tragen ihre Waffen offen.

    Jetzt bekomme ich richtig Angst.

    Das hier geht weit über ein normales Gesetz hinaus. Das hier - bedeutet nicht nur ein höfliches Auffordern, wenn man sich weigert. Das hier - wird mein ganzes Leben verändern.

    Ich bin froh, dass man nicht sieht, wie schnell mein Herz mittlerweile schlägt. Nach außen hin habe ich eine neutrale Maske aufgesetzt, als wäre alles in Ordnung.

    Ich folge den Rücken vor mir, höre Casey halbherzig zu. Doch meine Gedanken kreisen darum, wie ich hier rauskomme. Wie ich verhindern soll, dass sie erfahren, wer ich bin. Was ich kann.

    Ich muss hier raus. Unbedingt.

    Doch fürs Erste habe ich keine Wahl. Ich muss die Augen offenhalten, ob sich mir eine Gelegenheit bietet. Wobei ich gar nicht wüsste, wo ich hinsollte. Das Einfachste wäre, wenn ich mein Blut mit dem eines anderen vertauschen könnte. Oder mir ein bisschen mehr für mich abzweigen könnte. Vielleicht gelingt mir das sogar, immerhin werde ich diejenige sein, die es abnimmt. Mir muss das einfach gelingen.

    Wir werden zu Bussen geleitet, in die wir einsteigen. Ich lande mit Casey, sowie zwanzig anderen Studierenden, in einem hellgrauen.

    Casey hat aufgehört zu reden und sieht mich an. Ich blinzle kurz und fokussiere meinen Blick.

    »Nahla? Alles okay?« Sie dreht den Kopf nach hinten und sieht nach, wohin ich geschaut habe. Zu dem Soldaten, der vor dem Bus steht.

    »Ja«, sage ich schnell. »Die machen mich nur ein bisschen nervös.«

    »Mich auch«, erwidert Casey.

    Plötzlich beugt sich ein Student, auf dem Platz hinter uns, näher. Er legt die Arme auf meinen Sitz. »Voll krass, oder?«

    Weder Casey noch ich antworten, doch er redet schon weiter. Theodor heißt er, glaube ich. Wir haben im ersten Semester mal ein paar Worte gewechselt.

    »Aber eigentlich voll die gute Idee. Ich meine, ist doch endlich mal Zeit, dass man mal sieht, was da alles für Freaks rumlaufen. Ich hoffe nur, dass die REX nicht irgendwie ausrastet.«

    Sofort drehe ich mich doch zu ihm um. Das »Freak« überhöre ich einfach mal. »Wie meinst du das?«

    Er zuckt die Achseln. »Na ja, wenn die das im ganzen Land abziehen, werden die REX sich ganz schön in die Ecke gedrängt fühlen. Nicht, dass die irgendwas planen, um das hier zu stören.«

    Sein Kumpel neben ihm stößt ihm mit dem Ellbogen in die Seite. »Lass das, Theo. Verbreite nicht so eine Panik. Als ob die REX sich was trauen, bei so vielen Soldaten. Die müssen ja die ganze Sifmo und die komplette Armee im Einsatz haben.«

    Theodor zuckt wieder die Achseln und setzt sich wieder hin.

    Casey verdreht die Augen. Ich blicke aus dem Fenster.

    In dem Moment setzt sich der Bus in Bewegung.

    Ich kann beides nicht gebrauchen.

    Ich kann verstehen, dass die REX für uns Muni kämpfen. Sich für uns einsetzen. Aber ihre Mittel billige ich nicht. Sie sind für den Tod von Menschen verantwortlich und haben keinerlei Skrupel gegen NMs.

    Theodor hat aber recht. Das werden die REX nicht einfach so mit ihren Leuten machen lassen. Irgendwas wird da kommen. Und davor habe ich genauso viel Angst wie vor den Soldaten.

    Eine Viertelstunde später hält unser Bus vor dem Eishockey-Stadion. Auch hier sind überall Polizisten und Soldaten. Vor dem Stadion erkenne ich eine unglaublich lange Schlange von Menschen. Wahrscheinlich die Ersten, die sich testen lassen müssen.

    Wir hingegen werden schon in das Innere des Stadions geführt. Wir werden aufgeteilt. Das Meiste bekomme ich gar nicht so richtig mit. Meine Augen huschen ständig hin und her, auf der Suche nach einem Ausweg. Doch ich finde keine Möglichkeit. Und immer wieder fällt mein Blick auf eine Waffe.

    Keine Chance, hier irgendwie rauszukommen, sobald der Verdacht auf mich fällt.

    Also muss ich mich erst mal darauf konzentrieren nicht aufzufallen. In einem kurzen Moment, in dem ich mich unbeobachtet fühle, bleibe ich stehen, atme tief ein und aus und beruhige mich wieder.

    Es bringt nichts, jetzt in Panik zu geraten. Das würde mich nur in größere Schwierigkeiten bringen. Und außerdem gibt es noch keine Schnelltests. Selbst wenn der schlimmste Fall eintritt und sie wirklich an mein Blut kommen, kann ich immer noch hier rausspazieren und heute Nacht abhauen, bevor die Ergebnisse eintreffen.

    Was aber Plan B sein sollte. Plan A heißt, das Blut eines anderen als mein Eigenes auszugeben.

    Mich beruhigt es, dass ich wieder eine Strategie habe. Das hilft mir auch, wenn es im Krankenhaus kritisch wird. Auf die Fakten konzentrieren. Nicht darauf, was da noch kommen mag. Im Hier und Jetzt bleiben. Noch ist alles gut. Noch ist nichts passiert. Alles im grünen Bereich.

    Wenn da noch was kommt, werde ich mich damit beschäftigen, sobald es da ist.

    Schnell hole ich zu den anderen auf. Ich hebe mein Kinn. Ich habe es bis hierhin geschafft. Ich studiere Medizin. Ich werde Ärztin, was schon immer mein größter Traum war. Und ich werde es auch weiterhin schaffen.

    Ein Einweiser, der vermutlich sonst für die Fans bei Eishockey-Spielen zuständig ist, führt mich in einen Raum unter den Tribünen. Zumindest vermute ich das. Bisher sind wir nur im Inneren durch graue Gänge gelaufen.

    Meine Kommilitonen sind alle in anderen Räumen verschwunden.

    Der Einweiser hält mir die Tür auf.

    Da erkenne ich, wo wir sind: in einer der Umkleidekabinen.

    An den Wänden sehe ich die hölzernen Bänke und auch die Namen unseres Teams auf den Schränken.

    Der Einweiser schließt die Tür hinter mir mit einem lauten Knall. Ich zucke ein wenig zusammen, konzentriere mich dann aber darauf, was vor mir liegt.

    Mitten im Raum stehen drei einfache, graue Stühle. Auf der Sitzfläche des einen befindet sich eine schwarze Kiste, in der ich Spritzen und Ampullen sehe. Doch mein Blick gleitet sofort weiter zu dem Soldaten, der an der hinteren Wand neben einer weiteren Tür steht.

    Auf seiner Uniform erkenne ich das Logo der Sifmo. Seine Weste, sowie alles andere an ihm, ist schwarz. Auch das Sturmgewehr, das um seine Brust hängt. Er kann nicht viel älter sein als ich, Ende zwanzig ungefähr. Das ist gut. Vielleicht kann ich ihn ja irgendwie um den Finger wickeln. Doch dann betrachte ich in sein Gesicht.

    Ich habe kein Problem mit einem belanglosen Flirt, aber dieses Gesicht macht mich sofort nervös. Er sieht verdammt gut aus. Seine Haut ist ein gutes Stück dunkler als meine, seine Haare fast schwarz, doch seine Augen blitzen in einem ungewöhnlichen Blau auf. Die hohen Wangenknochen verleihen ihm gleichzeitig etwas Scharfes, aber auch Anziehendes.

    Ich wende dann sofort meinen Kopf ab, um meine roten Wangen zu verstecken. Konzentrier dich, mahne ich mich.

    An der linken Wandseite steht ein weiterer Soldat, der jedoch keine Waffe hat. Er sieht von dem Tablet hoch, das er in der Hand hält, als ich einen Schritt näher in den Raum gehe. Seine Gesichtszüge sind weicher als die des anderen, er scheint aber auch nicht viel älter zu sein. Seine blonden Locken stehen ihm vom Kopf ab und er grinst mich breit an. Vielleicht kann ich ihn ein bisschen bearbeiten.

    Er kommt auf mich zu und streckt mir die Hand hin. »Hi, ich bin Abel. Du bist...?«

    »Nahla. Nahla Moore.« Ich ergreife seine Hand und er schüttelt sie kurz.

    Er nickt. Dann zeigt er zu dem Soldaten hinter sich. »Das ist Officer Nazari. Er ist heute für unsere Sicherheit zuständig.«

    Ich zögere, gehe dann aber doch zu ihm und gebe auch ihm die Hand.

    Stell dich bloß gut mit ihnen, rede ich mir selbst ein. Trotzdem werde ich noch nervöser, als sich unsere Hände berühren. Ich meine, ein leichtes Lächeln zu erkennen, doch insgesamt bleibt er ernst. Schnell gehe ich zu Abel zurück, der offensichtlich weiß, was zu tun ist.

    »Wie genau läuft das jetzt?«, frage ich leise, über meinen donnernden Herzschlag hinweg.

    Abel blickt wieder hoch. Er tippte irgendwas auf das Display.

    »Ganz unspektakulär«, meint er zwinkernd.

    Als ob. Wenn die allgegenwärtige Überwachung nur nicht wäre... Verdammt! Was, wenn sie Kameras haben?!

    So unauffällig wie möglich sehe ich mich um. Nun, es ist eine Umkleidekabine. Normalerweise sollten hier keine Kameras sein...

    Aber vielleicht haben sie nachträglich welche installiert?

    »Die Leute kommen rein, ich nehme ihre Daten auf und du nimmst eine Blutprobe. Das war‘s schon.«

    Er nickt zu den Stühlen in der Mitte. Ich gehe zu der Kiste und sehe mir den Inhalt an. Ich brauche sowieso dringend etwas zur Ablenkung. Ich spüre die ganze Zeit Officer Nazaris Blick auf mir. Nicht nervös werden. Lass ihn nicht misstrauisch werden, sage ich mir immer wieder. Aber ich weiß nicht, wie ich es mit den beiden im Raum schaffen soll, meine Blutprobe zu manipulieren. Ich konnte zwar keine Kamera sehen, aber das heißt nicht, dass sie nicht da ist.

    Plan B rückt leider immer näher.

    Ich setze mich auf einen Stuhl, stelle die Kiste auf den Boden und sortiere mir die Utensilien zur Blutabnahme. Als ob das ganz normal wäre. Als ob ich im Krankenhaus wäre.

    Alles. Ganz. Normal.

    Trotzdem zittern meine Hände, was ich sofort unterdrücke. Zur Sicherheit rücke ich den Stuhl so zurecht, dass Nazari sie nicht sehen kann.

    »Okay, na dann los. Umso schneller sind wir hier durch.« Abel geht zu Tür und zieht sie auf. Er sagt etwas zu jemandem, der dahintersteht. Ich blicke noch einmal zu Nazari. Er erwidert kurz meinen Blick, doch dann sieht er an mir vorbei zur Tür.

    Abel kommt in Begleitung eines Mannes herein. Er müsste so Mitte vierzig sein. Er grüßt uns, was ich mit leiser Stimme erwidere.

    Abel weist ihn auf den Stuhl neben mir.

    »Gut. Ich brauche einmal Ihre Kontaktdaten. Voller Name. Geburtsdatum. Anschrift. Die junge Dame hier wird Ihnen währenddessen Blut abnehmen.«

    »Ja, gut«, sagt der Mann und krempelt schon sein Hemd hoch.

    Ich nehme das Gummiband zum Stauen des Blutes hoch und binde es ihm um, während er Abel seine Daten durchgibt. Dieser tippt es in sein Tablet. Dann nehme ich die Spritze und bereite den Rest vor.

    Die Routine beruhigt mich wirklich etwas. Das habe ich im Krankenhaus schon so oft gemacht. Und an mir selbst auch geübt.

    »Könnte jetzt ein bisschen piksen«, murmle ich leise, bevor ich die Nadel in seine Haut steche und eine Ampulle anschließe.

    »Habe ich gar nicht gespürt«, erwidert der Mann erstaunt.

    Ich zucke die Achseln, muss aber lächeln. Nach ein paar Sekunden nehme ich die Ampulle ab und drücke einen Wattebausch auf die kleine Wunde.

    »Hier bitte kurz draufdrücken«, sage ich.

    »Schreibst du bitte C120 auf das Röhrchen?«, befiehlt Abel mir, obwohl er es höflich formuliert.

    »C120?«, frage ich sicherheitshalber nach, während ich überlege, ob mir das die Chance gibt, vielleicht die Nummer auf meiner Probe umzustellen. Doch dann soll ich das Röhrchen mit dem Blut in einem Umschlag mit einem Barcode darauf stecken, welchen Abel mit dem Tablet einscannt und sofort zuklebt. Mist.

    Mist. Mist. Mist.

    Als wir fertig sind, steht der Mann wieder auf und geht durch die hintere Tür hinaus, die Nazari für ihn aufhält. Dann kommt der Nächste. Es sind ganz normale Bürger, die, ohne zu klagen, alles mit sich machen lassen.

    Die meisten sagen sogar noch, wie gut sie das hier finden. Irgendwann kommt mir in den Sinn, dass die Ersten alle diejenigen sind, die dem Ganzen hier zustimmen. Die, die noch kommen, die, die das nicht gut finden - Muni, so wie ich - werden sich nicht als Erstes in die Reihe gestellt haben.

    Es vergeht bestimmt eine gute Stunde, bis sich das Klientel ändert. Wir hören weniger lautes Einverständnis und mehr ängstliche Blicke.

    Und dann kommt eine Frau herein, mit einem etwa dreijährigen Mädchen auf dem Arm. Beide sehen eingeschüchtert aus. Das Mädchen vergräbt sein Gesicht an der Brust seiner Mutter.

    Aufmunternd lächle ich der Mutter entgegen. Sie erwidert es kurz, bis sich Abel meldet, der an der Wand auf einer der Bänke sitzt. Er fragt sie nach ihrem Namen.

    Tina Futon und ihre Tochter Lila. Abel nickt und notiert es sich. Die Frau setzt sich langsam auf den Stuhl neben mir zu.

    »Hallo«, sage ich leise.

    Ich weiß ganz genau, wie Sie sich fühlen, versuche ich, mit meinem Lächeln auszudrücken.

    »Wird ganz schnell gehen. Und danach«, ich spreche zu der Kleinen, die mich mit großen Augen schief ansieht, den Kopf immer noch an der Brust ihrer Mutter, »gibt es ja vielleicht ein Eis?«

    Dankbar blickt mich Tina an und meint zu Lila: »Ja, auf jeden Fall. Ich habe noch das Erdbeereis in der Kühltruhe, das du so gerne magst.«

    Ich werfe Lila einen neidischen Blick zu. Ein winziges Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Tina setzt ihre Tochter auf das andere Bein, sodass ich an ihren eigenen Arm kann. »Ich beeile mich«, versichere ich ihr leise.

    Sie nickt, blickt aber immer wieder zu Abel, der uns beobachtet und ab und zu ein paar Fragen an Tina stellt.

    Als ich fertig bin, will Tina gerade aufstehen, doch Abel schüttelt den Kopf. »Ihre Tochter auch.«

    »Aber sie wurde schon bei ihrer Geburt getestet.«

    Abel zuckt mit den Schultern. »Heute müssen leider alle noch mal.«

    Ich kann mein Missfallen nicht ganz unterdrücken, weiß aber, dass wir nicht drum herum kommen.

    Und mir wird bewusst, dass Plan B immer wahrscheinlicher wird. Aber das verdränge ich für den Moment. Jetzt gerade muss ich Lila das Gefühl geben, dass alles in Ordnung ist. Kinder merken die Stimmungen der Erwachsenen so viel mehr als die Erwachsenen selbst.

    Ich beuge mich leicht zu ihr. »Ich bin Nahla. Und ich weiß, wie du ein ganz großes Eis ergattern kannst.« Damit habe ich ihre Aufmerksamkeit und zum Glück spielt ihre Mutter mit. »Sogar mit Schokosoße.«

    »Oh, Schokosoße«, rufe ich begeistert. Ich merke, wie Abel uns einen leicht genervten Blick zuwirft, weil das so lange dauert, aber das ist mir egal. Für Kinder nehme ich mir immer Zeit. Sie verstehen das hier alles nicht. Wie sollen sie auch? Ich verstehe es selbst kaum.

    Ich nehme ein Set aus der Kiste, das speziell für Kinder ist und erkläre Lila, was ich gleich tun werde. »Genau wie bei deiner Mama. Es tut auch gar nicht weh, versprochen.«

    Doch ihre Augen werden immer größer, als ich die Nadel in die Hand nehme. Sie fängt an zu weinen und windet sich in den Armen ihrer Mutter. Diese will sie beruhigen, was aber nur mäßig funktioniert. Ich versuche, Lilas Aufmerksamkeit wieder zu gewinnen, aber sie hat den Kopf über Tinas Schulter gelegt und weint, während sie zu Nazari hinter uns blickt.

    Plötzlich wird sie ruhiger. Ich drehe meinen Kopf zu Nazari, doch er steht mit ausdruckslosem Gesicht da. Lila starrt ihn immer noch an. Ein paar Tränen fließen noch, aber sie scheint von ihm fasziniert zu sein. Da sie ruhig sitzt, ergreife ich die Chance und nehme schnell ihren Arm. Bevor ich ihr das Blut abnehme, blicke ich noch mal über meine Schulter, neugierig, wie Nazari das schafft.

    Diesmal erwische ich ihn dabei, wie er Grimassen zieht und muss ungewollt lächeln. In seiner Uniform und mit der Waffe um die Schulter sieht es so absurd aus, wie er jetzt den Mund verzieht, dass ich für einen Moment abgelenkt bin. Nazari bemerkt meinen Blick und zwinkert mir zu.

    Ich forme meinen Mund zu einem »Danke« und er nickt kurz.

    »So!«, sage ich zu Lila, die gar nicht richtig mitgekommen hat, was ich mit ihrem Arm gemacht habe. Jetzt kichert sie sogar ein bisschen.

    »Schon geschafft.« Lila dreht den Kopf zu mir.

    »War doch gar nicht so schlimm, oder?«

    Tina bedankt sich leise und steht dann auf, um schnell aus dem Raum zu kommen. Als die Tür hinter ihnen zufällt, seufzt Abel genervt auf. »Kinder.«

    Kopfschüttelnd holt er den Nächsten rein.

    Noch einmal sehe ich zu Nazari, der wieder ernst ist, aber ich sehe ein leichtes Funkeln in den Augen. Er scheint ja doch vielleicht ganz nett zu sein. Ich lächle ihm nur kurz zu und drehe mich wieder nach vorne. Auch, um wieder meine roten Wangen zu verstecken. Schon beim Reinkommen habe ich gemerkt, dass er irgendwas Anziehendes hat, aber ihn gerade mit Lila zu sehen, hat den Sog noch verstärkt. Ich weiß, dass ich das auf keinen Fall zulassen darf, aber ich bin dankbar, dass es mich ablenkt.

    Wieder vergeht einige Zeit, Menschen kommen und gehen. Aus allen Altersklassen und Schichten. Auch ein paar Muni sind dabei, die direkt beim Eintreten sagen, dass sie welche sind und das auch schon bekannt ist. Abel wird dann immer etwas angespannter, doch es verläuft alles ruhig.

    John Smith

    Nahla

    Freitag, 21. August

    Bei dem, der nun eintritt, weiß ich sofort, dass das keinen ruhigen Ablauf nehmen wird. Es ist ein junger Mann. Seine Augen huschen wild hin und her, nehmen Abel und Nazari in den Blick.

    Er ist ein Munus. Einer, der noch nicht als ein solcher eingetragen ist.

    Ich erkenne die Angst in seinen Augen. Aber auch Entschlossenheit.

    Wir warten ab, was er tut,

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