Liebe ist wie ein Vogel: Laß ihn frei und wenn er zurück kommt, gehört er dir
Von Andrea Jakob
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Über dieses E-Book
Das mitzuerleben ist wohl das Extremste was einem Menschen widerfahren kann.
Ist es überhaupt möglich, mit diesem Alptraum weiterzuleben, wenn man gerade auch noch eine der schwersten medizinischen Therapien die es gibt hinter sich hat?
Nach Blutkrebs und Gewalttat trotzdem ja zum Leben sagen.
Als Mischung zwischen Autobiographie und Tagebuch werden die Ereignisse als Mutter und Zeugin des Mordes geschildert.
Die Suche nach dem Warum führt zu Reisen in die eigene Vergangenheit. Die Tochter litt am Asperger Syndrom, nicht als einzige in der Familie, wie sich herausstellt.
Instinktiv weiß die hinterbliebene Familie, daß es für sie jetzt nur einen Weg gibt: Sie nimmt zwei junge Mädchen aus Bosnien und Ungarn in ihre Familie auf, die sich hier eine Zukunft aufbauen wollen.
Die Gewalt überall auf der Welt verdient nur eine Antwort:
Liebe und Toleranz! Jetzt erst recht!
Andrea Jakob
04.01.1961 geboren in Ulm 1967 - 1974 Besuch verschiedener Schulen in Ulm 1974 - 1980 Internat bei Schwäbisch Hall 1980 Abitur 1980 - 1982 Studium Ethnologie und Kunstgeschichte an der FU Berlin 1982 - 1988 Studium freie Malerei an der Hochschule der Künste in Berlin 1988 - 1995 Tätigkeit als freie Malerin in derAteliergemeinschaft Stettiner Strasse seit 1982 Tätigkeit als Pflegekraft im ambulanten Dienst zunächst ohne Diplom 1994 Diplom als staatlich anerkannte Altenpflegerin 1995 Umzug nach Ulm 22.08.1997 Geburt der Tochter Isabel 28.12.2000 Geburt der Tochter Viola Mai 2013 Diagnose Plasmozytom 04.01.2015 Ermordung der Tochter Isabel
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Buchvorschau
Liebe ist wie ein Vogel - Andrea Jakob
Inhalt
Liebe ist wie ein Vogel...
Was wäre, wenn
Liebe anstatt Tod
Weiterleben
Impressum
Liebe ist wie ein Vogel...
Liebe ist wie ein Vogel...
...laß ihn fliegen und wenn er zurück kommt, gehört er dir (frei nach Lao tse)
Ungefähr so wahrscheinlich wie sechs richtige im Lotto zu haben ist es, ermordet zu werden.
So plötzlich wie ein Flugzeugabsturz kam das Unglück über uns. Innerhalb von Sekunden hatte jemand über Leben und Tod entschieden. Niemand wurde gefragt .Niemand wußte etwas von dem seltsamen Gedankengebäude des Mörders das in seiner eigenartigen Logik in der Katastrophe gipfelte. Isabel vertraute ihm bis zum Schluß .Sie schlief neben ihm und ahnte nichts von dem Verrat, der in seinem Kopf schon beschlossene Sache war. Wäre sie nur einen Moment früher aufgewacht!... der Täter sagte aus, er hätte sie nicht töten können, wenn er in ihre Augen hätte blicken müssen.
Ich will nie wieder in seine Augen blicken .
Es hätten zufällig Kleinigkeiten passieren können, die es nicht zur Ausführung hätten kommen lassen. Wir waren schließlich nur wenige Schritte von dem Menschen entfernt, der hinter verschlossener Tür lautlos mit der Tatwaffe dasaß und das Für und Wieder messerscharf abwog. Es hätte das Telefon klingeln können, Isabel hätte schlicht und einfach aufwachen können, oder eine sonstige Störung hätte eintreten können. Leider geschah nichts dergleichen. Das ganze Haus blieb ruhig. Der Mörder konnte seine Gedankengänge ohne Unterbrechung zu Ende bringen mit dem für uns alle, aber besonders für unsere Tochter verheerenden Ergebnis.
Er kam nach längerem Überlegen zu der Überzeugung, daß die für ihn positiven Auswirkungen der Tat überwiegen und zögerte nicht bei der brutalen Durchführung. Uns allen ließ er keine Chance.
In meiner Familie gibt es zwei auffällig unterschiedliche Wesenszüge. Bei uns sechs Kindern ist ein Teil extrovertiert und redselig, während andere eher schweigsam veranlagt sind. Das entspricht in der Aufteilung genau dem mütterlichen (Hans Dampf in allen Gasse) und väterlichen (der Keller ist mein Reich) Erbteil. Dies zieht sich offenbar weiter in der nächsten Generation. Die Schneckenhauseinstellung ging über mich an meine Tochter Isabel weiter. Im heutigen medizinisch diagnostischen Zeitalter sucht man häufig nach Zuordnungen in Krankheitsbilder, wenn vermehrt Probleme auftreten. Hätte man dies früher schon getan, wäre mit ziemlicher Sicherheit bei meinem Bruder Matthias das Aspergersyndrom festgestellt worden. Er war kontaktarm und extrem wenig mitteilsam und ebenso extrem inselbegabt in Sachen Mathematik. Immer war er in dieser Disziplin der Beste und bestand Studium und siebenundzwanzigjährig seine Doktorarbeit mit Auszeichnung. Wäre er nicht mit 40 Jahren gestorben (und mit Mitte 30 an Aids erkrankt) hätte er heute mit Sicherheit an irgendeiner Universität eine Professur inne.
Hilfreich kann eine Diagnose durchaus sein, weil man Strategien im Umgang mit solch einer Störung entwickeln kann. Hat man keine Probleme, braucht man natürlich auch keine pathologische Festlegung.
Ob ich Asperger bin , weiß ich nicht, aber in der Teenagerzeit hatte ich jedenfalls sehr große Schwierigkeiten im zwischenmenschlich-kommunikativen Bereich. Es ist mir gelungen , viel dazuzulernen sodaß ich heute problemlos im Alltag zurechtkomme. Allerdings liegt mir nach wie vor Smalltalk überhaupt nicht und ich verstehe auch nicht, wie manche Menschen sich endlos über irgendwelche Themen verbreiten können, wobei ich diese Gabe durchaus bewundere.
Machmal fehlt es mir tatsächlich an Mitteilsamkeit. Ich setze voraus , daß mein Gegenüber Dinge weiß, die ich tatsächlich nur gedacht habe und merke es erst an der erstaunten Reaktion. Außerdem habe ich das Gefühl, bei langen Ausführungen meine Gesprächspartner zu langweilen. Davon abgesehen höre ich aber gerne zu und will mich auch ungern schnell auf eine Meinung festlegen. Es gibt schließlich zahlreiche Sichten der Dinge.
Ich führte jedenfalls bis vor ein paar Jahren durchaus ein zufriedenes unauffälliges Leben, es gab nichts Herausragendes. An Karriere war ich nie interessiert, ich wollte einfach nur die Dinge tun, die mir Freude machen. Das war nach dem Schulabschluß die Malerei und auch immer das Klavierspielen. Im Allgemeinen war ich ausgeglichen und kaum etwas brachte mich aus der Fassung. Und irgendwie lief alles gut und nach Wunsch. Vielleicht hatte ich Glück, vielleicht war es einfach Zufall. Fest steht, trotz einer gewissen Gleichförmigkeit ging es mir meistens wirklich gut. Da ich mit der Malerei kein Geld verdiente, wurde ich Altenpflegerin, aber auch das macht mir Freude, da ich alte Menschen mag und gut mit ihnen umgehen kann.
Im Frühjahr 2013 trat das erste mal etwas ein, was statistisch nur wenige Menschen betrifft, weshalb man lange Zeit ärztlicherseits abgewiegelt und wenig Handlungsbedarf gesehen hatte. Jahrelang hatte ich immer wieder starke Schmerzen an verschiedenen Stellen im Skelettbereich gehabt, die man nicht zuordnen konnte. Da oberflächlich alles in Ordnung schien, versuchte ich mir das auch so einzureden. Erfolglos. Trotz wiederkehrender Schmerzen erbrachten Röntgenbilder oder Blutbild nichts, also fühlte ich mich langsam wie ein Hypochonder. Allerdings wurden die Schmerzen, die ich mir ja nicht einbildete, immer stärker und die Unterbrechungen immer kürzer. Schließlich hatte ich pausenlos irgendwelche Probleme, es krachte z. B. immer wieder im Rippenbereich und ich kam mir vor, wie wenn ich mit gebrochenen Rippen herumlief (wie sich später herausstellte kam es mir nicht nur so vor). Schnelle Bewegungen, die eine Erschütterung des Skelettes zur Folge hatten versuchte ich mehr und mehr zu vermeiden, da dies schmerzfrei gar nicht mehr möglich war. Auch die Wirbelsäule tat im Gegensatz zu früher immer wieder weh und als ich während der Arbeit plötzlich beim Vornüberbeugen einen stechenden Schmerz bekam und mich nicht mehr vor- und zurückbewegen konnte war Schluß. Nichts ging mehr.Typischerweise denkt man bei diesen Beschwerden an einen Bandscheibenvorfall und mein Mann Ulf versuchte mich kopfüber an Seilkonstruktionen aufzuhängen. Das Ergebnis waren entsetzliche Schmerzen und Notarzteinsätze.
Die Bemerkung des Hausarztes beim Besuch in der Praxis war später: Ein Bandscheibenvorfall kann es nicht sein, da kämen Sie ganz anders daher! Er schickte mich aber doch endlich zum MRT, wonach der Befund lautete: mehrere z. T. alte Wirbelkörpereinbrüche deren Ursache entweder in einem Plasmozytom oder `ossären Fillialen`eines unbekannten Primärkrebses zu finden sind. Ich saß in der Sprechstunde und glaubte nicht richtig zu hören. Ich rang mich nicht durch zu der eigentlich fälligen Frage wie viel Zeit mir noch bleibt. Der Hausarzt hätte da aber wohl auch nichts dazu sagen wollen und können.
Beides klang wenig erfreulich. Von Plasmozytom hatte ich noch nie gehört, Metasthasen eines was weiß ich Krebses wollte ich erst recht nicht haben, ich entschied mich also für das Plasmozytom (oder Multiples Myelom ) . Nach Bluttests stand diese Diagnose dann auch fest. Multiples Myelom, Stadium IIIa. Ich informierte mich erst mal im Internet über dieses unerfreuliche Krankheitsbild . Es handelt sich hier um eine hämmatologische Krebserkrankung bei der sich die entarteten Plasmazellen in den Knochen ansiedeln und vermehren. Es entstehen dann mehr und mehr Löcher im Skelett (sog. Osteolysen) und schließlich kommt es zu Frakturen. Behandelbar, aber nicht heilbar, heißt es da, Prognose je nach Statistik wenige bis mehrere Jahre. Ich erinnerte mich jetzt an viele Jahre zurückliegende Schmerzereignisse die genau dem entsprachen. Ich hatte das erste mal untypischerweise im Brustwirbelkörperbereich einen „Hexenschuß , eben so wie jetzt, im Jahr 1995, dann erst wieder 2009, dazwischen war nichts. Natürlich heilte es beim ersten mal noch weitaus schneller ab. Beim zweiten mal dauerte es schon länger. Aber schon damals haben die Ärzte den Kopf geschüttelt, weil sie nichts im Röntgenbild fanden. Alles wunderbar, hieß es. 2009 war allenfalls die Rede von Morbus Scheuermann. Meine Mutter sagte immer:
Du hast die guten Knochen von deinem Vater geerbt!"
Was bleibt also anderes übrig als die Zähne zusammenbeißen und die Therapie durchstehen. Therapie , so informierte ich mich, heißt Chemotherapie, Chemotherapie, Hochdosischemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation , und das gleiche noch mal. Alles in allem dauert das dann so fast ein Jahr. Ob es anschließend eine Remission gibt oder nicht, weiß keiner.
Da man keine Wahl hat, wappnet man sich und fügt sich . Abgesehen von den Knochenschmerzen fühlte ich mich eigentlich kerngesund und verstand gar nicht, wieso mein Körper mich auf diese Weise im Stich ließ. Einen leisen Verdacht hegte ich in Richtung Tschernobyl.
Damit meine irrsinnigen Schmerzen erst mal besser würden erhielt ich neben Morphin in Form von Pflastern und Sublingualtabletten sowie Bestrahlungen an der Uniklinik.
Am ersten Abend klebte ich mir ein Pflaster und nahm nach Anweisung der Ärztin aus der Uniklinik eine Tablette zusätzlich. Zum ersten mal schlief ich wieder eine Nacht durch ohne Schmerzen. Das böse Erwachen kam am nächsten Morgen. Ich wollte aufstehen und es haute mich glatt wieder um. Den ganzen Tag konnte ich mich nicht aufrecht halten oder ich mußte mich gleich wieder übergeben. Also doch lieber Schmerzen, beschloß ich.
Es war eine schwere Zeit. Bis ich es morgens aus dem Bett schaffte verging viel Zeit und ich konnte mich nur langsam und vorsichtig bewegen.
In der Uniklinik setzte sich der nachdiagnostische Verfahrensablauf standardmäßig in Gang und ich mußte ich die vorgesehenen Untersuchungen über mich ergehen lassen, wurde in alle möglichen Apparate geschoben,bekam literweise Blut abgezapft sowie Knochenmark wurde punktiert. Das war unter anderem auch sehr schmerzhaft, aber vor allem fühlt man sich entsetzlich hilflos und ausgeliefert. Trotzdem empfindet man Dankbarkeit über die medizinischen Fortschritte die diese hochkomplizierten Geräte hervorgebracht haben.
Gleichzeitig wurde regelmäßig die akute Wirbelkörperfraktur bestrahlt und die Schmerzen wurden zusehends besser. Jeden Tag mußte ich hierfür in die Klinik. Da ich in der Nähe des Krankenhauses wohne, ging ich zu Fuß. Die Ärzte rieten mir dringend davon ab, durch den Wald zu gehen und gaben mir eine Kostenübernahmebescheinigung für den Taxifahrer mit. Ich habe sie nicht in Anspruch genommen, weil für mich von Anfang an und