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Angst: Erkennen – Verstehen – Überwinden
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Angst: Erkennen – Verstehen – Überwinden
eBook290 Seiten3 Stunden

Angst: Erkennen – Verstehen – Überwinden

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Über dieses E-Book

Angst ist ein Grundgefühl des Menschen, doch sie sollte nicht über den Menschen bestimmen. Jeder empfindet sie zeitweise: Angst. Dieses Urgefühl kann unser Leben dominieren. Nichts ist so bestimmend wie psychische Beklommenheit. Angst lähmt uns. Macht uns krank. Treibt uns aber auch zu Höchstleistungen an. Angst öffnet die Tore der menschlichen Psyche für viele Irritationen des Seelenlebens: Panik, Phobien und persönliche Sorgen, Depressionen, Zwangsstörungen und Süchte. Was ist das Wesen der Angst? Welche Funktion hat sie? Wie kann man Angst nutzen oder überwinden? Woraus erklärt sich die Lust an der Angst, die Menschen bei Horror-Thrillern oder Extremsportarten empfinden? All diese Fragen beantworten Georg Psota und Michael Horowitz in ihrem neuen Buch und zeigen Wege aus der Angst.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum9. Okt. 2018
ISBN9783701745920
Angst: Erkennen – Verstehen – Überwinden

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    Buchvorschau

    Angst - Georg Psota

    BIBLIOGRAFIE

    DER DÄMON ANGST

    EIN PROLOG VON ADELE NEUHAUSER

    Der Dämon Angst hatte mich viele Jahre fest im Griff. Ich will damit nicht sagen, dass ich heute keine Angst mehr habe, aber ich kann meinen Ängsten begegnen und sie manchmal auch lächelnd überwinden. Das war ein langer Weg, und hätte ich in meinen jungen Jahren professionelle Hilfe gehabt, wäre ich sicher schneller meinem bedrückenden Gefängnis entkommen.

    Angefangen hat alles mit der Trennung meiner Eltern. Mein Bruder und ich sollten weiter bei unserem Vater aufwachsen, doch es war damals noch üblich, dass die Kinder nach der Trennung der Eltern zur Mutter kamen. Deshalb kamen oft und in unregelmäßigen Abständen die Damen der Fürsorge zu uns in die Wohnung und stellten mir immer wieder dieselbe Frage: »Magst du nicht doch lieber bei deiner Mama sein?«

    Es war aber bloß eine scheinbare Wahl, vor die ich gestellt wurde. Mein Vater hatte nur in die Scheidung eingewilligt, wenn seine Kinder weiter bei ihm bleiben durften. Das wusste ich natürlich nicht, ich war damals neun Jahre alt, und meine Eltern hatten mir diesen Umstand nicht kommuniziert.

    Ich entschied mich auf die Fragen der Fürsorgerinnen immer wieder für meinen Vater. Ich war ein Papa-Kind und fühlte mich sehr zu ihm hingezogen. Mit ihm war es oft sehr lustig und auch aufregend. Etwa wenn er mich aus dem Büro anrief und meinte, ich solle schnell ein paar Sachen packen, weil wir einen kleinen Ausflug machen würden, er dann aber spontan mit mir nach Venedig fuhr. Das war Aufregung pur. Oder aber, wenn wir an einem Sonntag ins Kino gingen und dann nicht nur einen sondern gleich noch einen zweiten Film anschauten. Auch davon war ich stets mehr als begeistert.

    Mit der Entscheidung, bei meinem Vater zu bleiben, wollte ich aber natürlich nicht meine geliebte Mutter verletzen oder sie vielleicht sogar traurig machen.

    Die immer stärker wachsenden Schuldgefühle führten dann in meinem zehnten Lebensjahr zu meinem ersten Suizidversuch. In den folgenden elf Jahren sollte ich noch weitere fünf Versuche unternehmen. Mein Umfeld hatte allerdings wenig Chancen, zu erkennen, in welch auswegloser Situation ich mich damals befand, denn ich war zugleich auch ein sehr aufgewecktes und fröhliches Mädchen. Das Lachen fiel mir gar nicht schwer, mit jedem Blödsinn konnte man mich dazu bringen, ich trug jedoch zugleich auch eine große Sehnsucht nach liebevoller Wahrnehmung in mir.

    Dass ich aus diesem dunklen Labyrinth meiner seelischen Verwirrungen herausgefunden habe, lag an mehreren Faktoren. Letztendlich musste ich mir eingestehen, dass die »Erlösung« nicht in meiner Auslöschung lag, sondern im bewussten Durchleben meiner Ängste. Sie zu ergründen, zu benennen und ihnen Aug in Aug zu begegnen, um sie dann effektiv bekämpfen zu können oder auch einfach nur zu akzeptieren und als gegeben anzunehmen, führten mich schließlich ins Leben zurück.

    Mein in frühen Jahren gefasster Entschluss, Schauspielerin zu werden, half mir dabei entscheidend. Durch die Auseinandersetzung mit anderen Charakteren und Lebensfallen lernte ich zu begreifen, dass ich nicht alleine war in meinem Kampf. Das relativierte meine Ängste und machte sie weniger bedrohlich für mich. Ich will damit nicht sagen, dass jeder Schauspieler werden solle, um angstfrei leben zu können, sich jedoch in der Gesellschaft zu spiegeln und zu begreifen, dass wir alle Menschen sind und mit ähnlichen Dingen zu kämpfen haben, macht es wesentlich leichter.

    Auch sollte uns klar sein, dass Ängste zu unserem Leben gehören wie die Sehnsucht nach aufrichtiger Liebe und der Wunsch nach einem erfüllten Dasein. Wir leben in einer aufregenden Zeit. Unsere Gesellschaftsformen verändern sich. Gleichgeschlechtliche Ehen setzen sich in vielen Ländern durch. Wir erleben eine Renaissance des Feminismus. Politisch eingefahrene Systeme brechen auf. All das ist positiv, verhindert jedoch nicht den weltweiten enormen Rechtsruck. Offenbar sind wir also doch noch nicht reif genug für eine offene Gesellschaft und vor allem nicht für die Freiheit des Individuums. Freiheit macht Angst.

    Viele Ängste werden uns auch eingeredet, etwa von machtbesessenen Politikern und verantwortungslosen Medien. Sie sprechen von der Angst vor dem Fremden, vor anderen Kulturen, die unsere (angeblich so) heile Welt bedrohen – manchmal tatsächlich, und das ist verabscheuungswürdig, aber zumeist doch nur angeblich. Ich kann verzweifelten Menschen, die sich zu vielen Tausenden auf einen gefährlichen Weg zu uns machen, nicht vorwerfen, dass sie ihre unmenschlichen Lebenssituationen verlassen haben, um bei uns ihren verdienten Frieden zu finden.

    Ein einfaches und zufriedenes Leben zu führen, ist gar nicht so leicht. Oder doch? Ich war 25 Jahre verheiratet und habe es nicht geschafft, diese Ehe noch weitere Jahre aufrechtzuerhalten. Ich habe einen wunderbaren Sohn, der mich sehr glücklich macht. Trotzdem war ich viele Jahre getrieben von mir selbst und der idealen Vorstellung von einer glücklichen Existenz. Es mussten mich erst ein paar heftige Schicksalsschläge treffen, bis sich mein Blick auf die Welt und meine Situation verändern konnte, er sich neu geschärft hat. Ich verlor innerhalb von eineinhalb Jahren meine Eltern und meinen Bruder. Ein völlig neuer Lebensabschnitt begann. Beängstigend! Aber nein, ich fing an, mein Leben und das Leben an sich neu zu betrachten.

    Der britische Astrophysiker Stephen Hawking meinte, wir sollten mehr in die Sterne schauen und unsere Existenz nicht überbewerten. Dieser Gedanke ist so klug wie hilfreich. Trotzdem ist es mir ein Anliegen – so habe ich es gelernt –, durch meine Trauer und den Schmerz bewusst zu gehen und sie nicht zu verdrängen oder zu unterdrücken.

    Alles, was uns bedrückt, kann sich irgendwann in eine scheinbar »unbegründete« Angst wandeln, wenn wir nicht versuchen, in unserem Herzen Ordnung zu schaffen. Wenn wir das nicht mutig immer wieder aufs Neue versuchen, kann es passieren, dass die Angst zum Motor für unser Leben wird, zu einem Motor, der nicht mehr recht zu funktionieren scheint. Dieser Umstand kann uns in eine Starre versetzen, der wir oft aus eigenem Antrieb nicht mehr entkommen können.

    Dieser Stillstand – die Starre – könnte uns doch auch genauso gut anspornen, unseren Ängsten neu und frisch gegenüberzutreten. Denn jede überwundene Angst macht uns reicher und stärkt uns für neue Herausforderungen in unserem Leben. Wir werden mit positiver Energie versorgt, die ungleich stärker ist als jede noch so unaussprechliche Angst. Ja, das kann ein sehr schmerzlicher Prozess sein, aber eben auch ein äußerst heilsamer und befreiender – wie ich am eigenen Leib erleben durfte.

    Herzlich, Ihre

    Adele Neuhauser

    KEINE ANGST!

    EIN VORSPIEL VON MICHAEL HOROWITZ

    Steven und Bill.

    Steven, ein kleiner, zarter Bub ohne Freunde. Seine Mitschüler verspotten und verprügeln ihn – Mobbing in der Schule gab es auch schon vor sechzig Jahren. Steven wäre am liebsten unsichtbar, seine Nase erscheint ihm monströs. Der Einzelgänger fürchtet sich vor fast allem: »Ich war mein eigenes Monster. Ich hatte vor allem Angst, denn mein Vorstellungsvermögen war enorm. Da konnte sich jeder Stuhl ganz schnell in eine Spinne verwandeln. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Fünfjähriger in den Himmel schaute. Aus einer Wolke wurde ein schöner Schwan und daraus plötzlich ein Saurier. Und ich rannte schreiend nach Hause. Meine Eltern dachten, mit meiner Psyche sei etwas nicht in Ordnung«, erinnert sich Steven Jahrzehnte später. Und Stevens Mutter Leah weiß: »Wenn Äste gegen das Haus schlugen, verkroch er sich bei mir im Bett.«

    Auch die Kindheit von Bill ist ungewöhnlich. Sein besorgter Vater William, Anwalt und Philanthrop, schickt den Zwölfjährigen zum Psychologen, weil er extrem schüchtern und schutzbedürftig – aber auch streitsüchtig ist. Am liebsten verschanzt sich Bill im Keller, um immer wieder Lexika zu durchforsten. Doch die Psychotherapie hilft nicht: Als der Schulball bevorsteht, traut sich der Eigenbrötler mit schriller Stimme und zu großen Füßen nicht, ein Mädchen einzuladen. Als ihn der Vater doch dazu überreden kann, gibt ihm die Mitschülerin einen Korb.

    Die Ängste von Steven und Bill halten die beiden aber nicht davon ab, in ihrem späteren Leben angesehen und erfolgreich zu werden: Hollywood-Legende Steven Spielberg ist, gemessen am Einspielergebnis seiner Filme, der bis heute erfolgreichste Regisseur. Und Computer-Nerd Bill Gates galt lange als der reichste Mann der Welt. Seine »Bill & Melinda Gates Foundation« ist die bei Weitem mächtigste private Wohltätigkeitsstiftung, die jährlich Milliarden Dollar für Armutsbekämpfungs-, Gesundheits- und Bildungsprojekte spendet.

    Kann das mächtige Urgefühl der kindlichen Angst bei Steven Spielberg und Bill Gates Ansporn und Ursache ihres beispiellosen Erfolgs sein? Das »Lob der Angst« von Genetikern, Hirnforschern und Psychologen ist eine überraschende Erkenntnis der letzten Jahre. Mit revolutionären Untersuchungsmethoden und immer wiederkehrenden Experimenten haben sie ergründet, wie extrem dieses Urgefühl unsere Psyche, unsere Persönlichkeit und unser Leben prägt. Vor allem Langzeitstudien der amerikanischen Harvard University belegen diesen Umstand.

    Weltweit sind sich Wissenschaftler inzwischen einig, dass es überlebenswichtig ist, in bestimmten Situationen Angst zu empfinden – solange sie einen nicht überwältigt und zu einem beklemmenden Gefühl wird. Angst schärft die Sinne, fungiert als Warnfunktion und ermöglicht, dass der Körper schneller reagiert als der Verstand. Mitunter sind es dann diese Millisekunden, die Leben retten können – die Schrecksekunden.

    Würden Kinder nie das Fürchten lernen, könnten sie nicht gesund aufwachsen. Während seiner frühkindlichen Entwicklung stellt sich der Mensch verschiedensten Ängsten: der vor der Dunkelheit oder der vor dem Fremden. Wenn Eltern ihre Kinder immer nur bei Licht schlafen lassen, entwickeln sie sich wahrscheinlich später zu überängstlichen Persönlichkeiten.

    Angst gehört zum Leben. Sie kann plötzlich über uns hereinbrechen oder sich langsam in unsere Seelen schleichen. Sie schützt davor, sich in gefährliche Situationen zu begeben. Niemals Angst zu empfinden, ist abnormal. Jeder Mensch hat Angst, manchmal mehr, manchmal weniger, doch kaum jemand spricht gerne darüber. Dabei ist Angst eine der mächtigsten Triebfedern des menschlichen Lebens: Sie kann den Körper völlig überwältigen, man empfindet sie stärker als Freude oder Glückseligkeit. Viele Charakterzüge des Menschen hängen mit seinen Ängsten zusammen. Die schwierige Aufgabe besteht darin, sie zuzulassen, richtig damit umzugehen und sie zu überwinden, sobald sie zerstörend wird.

    Die Angst ist wie vieles in der Welt unserer Empfindungen ein Tabuthema – ein Zeichen der Schwäche. Und es stimmt: Sobald Angst zu viel Einfluss auf den Menschen nimmt, kann sie lähmend und leistungshemmend, belastend und zerstörerisch sein. Und sie macht krank. Auch gesunde Menschen, die entspannt und ansonsten furchtlos leben, können Angst in extremer Form empfinden.

    Die Angst vor Schlangen oder Spinnen, vor Aufzügen, Flugzeugen und Menschenmassen, die Angst, verlassen zu werden oder in der Öffentlichkeit sprechen zu müssen: Angst lähmt uns, wenn wir wach sind, und sie hält uns wach, wenn wir schlafen wollen. Dabei wäre es so befreiend, wenn wir uns nur vor dem fürchteten, was wirklich gefährlich ist: Schon der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt meinte in seiner Antrittsrede: »Das Einzige, was wir wirklich fürchten müssen, ist die Furcht selbst.« Denn keine Angst zu haben bedeutet, frei zu sein.

    Plötzlich aufziehende Nebelschwaden der Angst, ein Gefühl der Unheimlichkeit, des Ausgesetztseins in der Welt. Elias Canetti beschreibt diese beklemmende Situation: »Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes … nachts oder im Dunkeln überhaupt kann der Schrecken über eine unerwartete Berührung sich ins Panische steigern.«

    Das Unbehagen in der Dunkelheit, das Erschrecken vor einem vorbeihuschenden Schatten, die Sorge vor dem nächsten Morgen. Angst! Panik! Schrecken! Die Gedanken kreisen unkontrolliert im Kopf, der Körper verkrampft sich und reagiert: Atemnot, Herzrasen, Beklemmungsgefühl, Schwindel und Schweißausbrüche.

    Angst ist ansteckend, bestätigen Wissenschaftler immer wieder – zuletzt am »University College« in London –, und sie kann sich wie ein Virus ausbreiten. Das Gefühl der unterschwelligen Bedrohung steigert sich rasant, sobald Themen wie Flüchtlinge, ein Amoklauf oder eine Messerattacke zur Sprache kommen, und natürlich Terror. Nach den IS-Anschlägen am 13. November 2015 mit 130 Toten und fast 700 Verletzten in Paris wehrten sich die Franzosen allerdings gegen diese kollektive Angst: Sie riefen »Meme pas peur!« und schrieben es auf Hauswände, Plakate und T-Shirts. Wir haben keine Angst, wir lassen uns keine Angst machen! Ein Zitat, das sonst französische Kinder einander zurufen, um einander beim Spielen gegenseitig Mut zu beweisen.

    Lange Zeit galt der Verstand als höchstes Gut der Menschen, Gefühle wurden als unzuverlässig abgetan. Inzwischen weiß man, dass den Menschen nichts so stark prägt wie seine Gefühle. Sie entscheiden, wie wir mit unserem Leben umgehen. Für viele ist es nicht leicht, mit der Intensität der Emotionen umzugehen. Oft ist man überwältigt – von Freude und Liebe, aber auch von Angst, Einsamkeit oder Wut. Wer seine Gefühle nicht zulässt, wer nicht versucht, sie zu verstehen, versteht die Welt nicht. Die eigenen Gefühle zu kennen, ist wichtig für die seelische Gesundheit.

    Der Mensch kann nur schnell und richtig reagieren, weil die Emotionen Träger unserer Erfahrungen sind, meint einer der bekanntesten Gefühlsforscher der Welt, der portugiesische Neurowissenschaftler António Damásio, denn rund achtzig Prozent der menschlichen Entscheidungen basieren auf Emotionen. Gefühl und Verstand sind nicht voneinander getrennt, sondern hängen miteinander zusammen, die Gefühlswelt ist symbiotisch mit dem Körper verbunden: Unsere Handlungen beeinflussen die Hormone – und die Hormone beeinflussen, was wir tun.

    Auch für die Wissenschaft bleiben Gefühle eines der großen Rätsel: Wie entstehen sie, was löst sie aus, wozu brauchen wir sie, warum beherrschen sie uns so stark? Inzwischen wissen Hirnforscher, dass sie unser Leben und unsere Persönlichkeit prägen. Wir durchleben das von neuronalen Synapsen, Botenstoffen und Hormonen gesteuerte »Wechselbad der Gefühle«, wir sind Freude und Traurigkeit, Liebe und Angst ausgeliefert. Für den schwedischen Psychiater Poul Bjerre stellt die Liebe die höchste, die Angst die tiefste Unlust dar.

    Auch der Blick ins Gehirn, der seit einigen Jahrzehnten durch bildgebende Verfahren möglich ist, hat nicht alle Rätsel gelöst. Wann und ob das Gehirn zur Gänze erforscht und verstanden sein wird, bleibt weiterhin unklar, doch der rätselhaften Schaltzentrale im Kopf konnten Neurowissenschaftler bereits einige Geheimnisse entlocken: Das Gehirn hat auf allen Entwicklungsebenen Bereiche, die für Gefühle zuständig sind und miteinander kommunizieren. Die Hoffnung, in der grauen Masse, deren Länge aller Nervenbahnen etwa 5,8 Millionen Kilometer, dem 145-fachen Erdumfang, entspricht, das Glückszentrum zu finden, ist unerfüllt geblieben. Es wäre zu schön gewesen, Glück im Gehirn lokalisieren zu können …

    Einblicke in das gewaltige Netzwerk der Gefühle: 86 Milliarden Nervenzellen, die in hundert Billionen Synapsen verschaltet sind, arbeiten im Gehirn, um Informationen wie das Angstgefühl, eine fundamentale menschliche Sinneswahrnehmung, zu übertragen. Was bei Angstzuständen im Gehirn passiert, wollte der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux schon immer wissen. Er gilt als einer der Begründer der biologischen Emotionsforschung. Seine Laufbahn als Hirnforscher begann er mit Studien zu Epilepsie-Patienten, deren Gehirne in der Mitte durchtrennt worden waren. Seither beschäftigt ihn, wie sich emotionale Informationen im Gehirn verbreiten. Ratten helfen ihm bei der Erforschung des Angstgefühls. Diese hat er darauf konditioniert, vor einem bestimmten Geräusch Angst zu haben. Für das Verständnis menschlicher Emotionen und die Entwicklung von Therapien gegen Angststörungen sind solche Versuche wichtig, denn Ratten und Menschen haben ein kleines Hirnareal gemein, den Mandelkern mit seiner uralten, primitiven Struktur, die sich im Laufe der Evolution kaum verändert hat. Diese Region, wissenschaftlich Amygdala genannt, setzt bei Gefahr Prozesse in Gang, die uns erstarren lassen und Puls und Blutdruck in die Höhe treiben. Sie sorgt auch dafür, dass wir unangenehme oder belastende Situationen nicht so schnell vergessen.

    Lassen sich Gedanken an schmerzhafte Erlebnisse manipulieren oder gar ausradieren wie im Hollywood-Liebesdrama »Vergiss mein nicht!« mit Jim Carrey und Kate Winslet? Der Hirnforscher Joseph LeDoux von der New York University in Manhattan, gerne als »Doyen der Furchtkonditionierung« bezeichnet, erkundet seit dreißig Jahren die neuronalen Grundlagen eines der mächtigsten Gefühle – der Angst. Er untersucht, wie das Gehirn auf Gefahr reagiert und sich negative Erlebnisse ins Gedächtnis einbrennen. Um Ängste und Ratten für kurze Zeit vergessen zu können, spielt er in seiner Rockband Amygdaloids Gitarre und Schlagzeug – und singt dazu Songs über das Gehirn, die er selbst geschrieben hat.

    Die Geschichte der Angst ist lange: Der griechische Arzt Hippokrates meinte im vierten Jahrhundert vor Christus, ein plötzlicher Ausfluss von schwarzer Galle ins Gehirn rufe Angst hervor. Demnach ließe sie sich behandeln, indem man die Körperflüssigkeiten wieder ins Gleichgewicht brächte. Und der Philosoph Platon meinte, für die Heilung der Ängste seien vor allem Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung notwendig. Im 17. Jahrhundert hielt der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza Angst für ein reines Logikproblem. »Geistiges Unvermögen« sei schuld daran, dass wir Dinge fürchteten, die sich unserer Kontrolle entzögen.

    Charles Darwin ist der Erste, der die Evolution der Empfindungen systematisch erforschte. Der Naturwissenschaftler litt selbst massiv unter Angststörungen, vor allem Schlangen versetzten ihn in Panik und Schrecken. Darwin berichtet von einer beängstigenden Situation im Tiergarten, als er sich Auge in Auge – getrennt nur durch eine dicke Glasscheibe – mit einer tödlichen Schlange befand: »Mein Wille und mein Verstand waren kraftlos gegen die Einbildung einer Gefahr, welche ich niemals direkt erfahren hätte können.« Daraus schloss Charles Darwin, dass bestimmte Ängste nicht aufgrund negativer Erfahrungen entstehen würden, sondern automatische körperliche Reaktionen auf eine Bedrohung seien.

    1919 entwickelte der amerikanische Physiologe Walter Cannon Darwins Vorstellung einer Stressreaktion weiter und führte dafür den Begriff »Fight or Flight«, »Kampf oder Flucht«, ein. Anhand von Versuchen mit Katzen dokumentierte er als Erster, dass bei der Fight or Flight-Reaktion Blut in

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