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Siebenmal geplagt: Französisch von Unten
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Siebenmal geplagt: Französisch von Unten
eBook307 Seiten4 Stunden

Siebenmal geplagt: Französisch von Unten

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Über dieses E-Book

Arnaud ein idyllisches französisches Fischerdorf in der Normandie. Ein Mordermittler aus Paris hat noch nicht den ersten Mord aufgeklärt, als die blutige Hand das nächste Opfer niederstreckt.Derweil stellt sich die Frage, woher das Geld für den Ausbau des Kindergartens kommen soll. Kann Jesus dabei helfen? Wird der Pfarrer die finsteren Umtriebe Satans verhindern?Mittendrin der verwilderte Kater Merlin, der seine Katzengöttin Isis verärgert und in wenigen Tagen die sieben kätzischen Plagen durchleidet. Wird Isis über den Machokater siegen? Auch die Dorfbewohner um Kater Merlin herum plagen sich mit irdischen wie überirdischen Problemen: Erpressung, Bordellverhältnissen und der Suche nach der wahren Liebe. Wer um himmlische Hilfe bittet, bekommt vielleicht eine Antwort
SpracheDeutsch
HerausgeberKarina Verlag
Erscheinungsdatum30. Apr. 2021
ISBN9783985517572
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    Buchvorschau

    Siebenmal geplagt - Wolfgang A. Gogolin

    Impressum:

    Teil 2 der Trilogie ›Französisch von unten‹

    © Karina-Verlag, Wien

    www.karinaverlag.at

    Text: Wolfgang A. Gogolin

    Lektorat: Karina Moebius

    Layout und Covergestaltung: Karina Moebius

    Coverbild: Pixabay/Arlouk/lilianecaliste/Glavo

    © 2021, Karina Verlag, Vienna, Austria

    ISBN: 9783985517572

    Logo Karina-Verlag_klein_Titelei.jpg

    KAPITEL 1

    Mittwoch

    Der erste Herbststurm hatte leichtes Spiel in der regnerischen Nacht. Er umtoste die Häuser, spielte mit den Apfelbäumen und stob durch die leeren Gassen von Arnaud. Trotz Nässe wirbelte er das orangefarbene Laub empor, Dachziegel vibrierten, Fensterläden klapperten. Die kleine Stadt in der Normandie wehrte sich nach Kräften, aber die Ruhelosigkeit, die am Abend des vorherigen Tages begonnen hatte, wich auch in der Morgendämmerung nicht. Nur zaghaft löste Arnaud sich von den Fesseln der Dunkelheit, erste Helle kroch über die Häuser. Der Wind als Widersacher; er schwoll an und säuselte ein unbekanntes Lied in einem scharfen Ton. Er flüsterte der noch schlafenden Stadt zu: Erst wenn alle Schuld beglichen ist, die Mühsal endet.

    Tod, Trennungen, Liebe und Lust. Arnaud und seine Bewohner hatten in den vergangenen Monaten viel erlebt; mehr als ein kaum erwähnenswerter Ort auf der Landkarte verkraften konnte. Doch nun war die Stadt ruhig geworden. Woher die Pause in der Seelenverwerfung kam, hätte niemand erklären können. Ruhe schien in jedem Fall unpassend für einen Flecken, der noch Geheimnisse aufzudecken hatte.

    Ungelöste Rätsel: Wann würde das sonderbare Gleichgewicht, das Aufruhr und Emotion kanalisierte, wieder ins Wanken geraten? Oder gab es eine stabile Lage? Eine Lage, die für immer alles bedecken würde? Was würde das Schicksal sich für Arnaud wünschen? Etwas, das einen Teppich anhob, den Schmutz darunter kehrte, ihn fallen ließ und nie wieder anhob?

    Nach dem Mord an Arnauds Bürgermeister hatte es Tage gegeben, in denen jeder als Mörder verdächtigt wurde und Momente, die das Gift in den Emotionen derart zu Tage förderten, dass ein weiterer Mord nicht undenkbar schien. Der mickrige Punkt in der Geografie wurde durchgeschüttelt. Es wurde ermittelt, Gendarmen suchten, Sachverständige wurden hinzugezogen. Dessen ungeachtet blieb der Mörder im Dunkeln und Arnaud begann, sich die Normalität zurück zu erkämpfen. Tag für Tag, Stunde um Stunde, ein sturer Lauf. Niemals aufgeben, so das Credo, das unausgesprochen über dem Ort schwebte. Doch in den schwebenden Leitsatz mischte sich ein säuselndes Lüftchen, das um die Häuser glitt und einschmeichelnd fragte:

    Wie lange noch?

    Im Garten hinter dem weiß getünchten Haus in der Rue Suffren zog der Wind eine kräftige Bahn. Dahlien, deren lange dünne Blütenblätter an einen vollendeten Seestern erinnerten, bogen sich. Die Roséfärbung der Blätter leuchtete in das erste Licht des Tages, geradezu elegant wichen die Dahlien den Böen aus. Der Duft von durchgeschüttelten Apfelbäumen durchtränkte die Atmosphäre und das Versprechen lag in der Luft, dass aus den Äpfeln ein hervorragender Calvados und ein brillanter Cidre werden würde. Alles sah aus wie der normale Beginn eines stürmischen Herbsttages. Einige Blausterne mit ihren weiß-lila Blüten hielten sich an der Böschung fest, die den Garten begrenzte und ein zerzauster Buntspecht schimpfte vor sich hin.

    In der zweiten Etage des weißen Hauses wurde eine Balkontür geöffnet, eine Gardine flog ins Freie und blähte sich auf. Rasch erschien ein Unterarm und zog sie wieder zurück. Der fleischige Arm arretierte die Tür mit einem Haken und verschwand wieder. Nach einer Weile zwängte sich ein kleiner weißer Kopf durch den entstandenen Spalt, grüne Nachtaugen sondierten das Terrain. Es gab viel zu sehen. Bäume bogen sich, Blätter fielen, Regen hatte das Rasengrün in ein noch satteres Grün verwandelt und der Buntspecht pfiff.

    »Sissi, komm da weg. Draußen ist Wetter!« Die Stimme gehörte zum Gardinen-Unterarm, zu dem sich auch noch ein passender Körper gesellte, der gerade eine Schürze umband und dessen Kopf ein breites Band trug. Madame Boucher bevorzugte sowohl in der Haarbandmode als auch im Schürzentrend bunte Muster, wobei bunt nicht hieß, dass die Stoffe wie aus einem Guss waren. Polyesterrock und Satinbluse schlossen sich der individuellen Stilregel an, die bei näherem Hinsehen ein Flimmern vor den Augen erzeugte, das nur durch gezieltes Wegsehen oder Mentalbeherrschung wich.

    Sissis Pfote drückte sich durch den Spalt. War draußen wirklich Wetter? Und was genau bedeutete Wetter überhaupt? Die rosa lackierten Krallen spreizten sich, als würde die Kätzin sämtliche Sensoren ausfahren, um zu erahnen, welch ungeahntes Leben sich vor der Balkontür abspielte. Das Dasein als feine Wohnungskatze war nicht einfach, insbesondere dann nicht, wenn Abenteuer und Erlebnisse hinter der gläsernen Tür lockten. Die Pfote spürte Wind, wurde bepustet, zerzaust. Die rosa Krallen blieben weit gespreizt. Was für eine Wonne! Wind im Fell und Eskapaden im Kopf.

    »Sissi! Hab’ ich dir nicht gesagt, dass draußen schlechtes Wetter ist?« Die Vielfarbige drückte die Kätzin beiseite, das weiße Köpfchen folgte nun erst recht der Neugier. Bot das Leben vielleicht doch noch mehr, als sich den ganzen Tag die rosa Krallen zu lecken? Was lag Wunderbares hinter dieser Tür? Zerzaustes Fell und Kühle waren doch schon interessant, aber es musste einfach noch mehr geben. Bei Erkundungsausflügen hatte sie es bislang nur bis in den Hausflur geschafft. Zwei Etagen zu beschnuppern und zu erforschen hatten ihr die Erkenntnis gebracht, dass Silberfische nicht schmeckten, dass man besser auf sein Frauchen hörte und dass ihr strafender Wischmopp nicht freundlich war. Sissi drückte die Nase an die Fensterscheibe und wurde abermals weggeschubst. Ein nasser Fleck blieb an der Scheibe kleben, das Frauchen entrastete den Riegel und knallte die Tür zu. »Wenn ich sage, dass draußen Wetter ist, dann hast du zu parieren!«

    Die Kätzin starrte ihr Frauchen mit aufgerissenen Augen an. Was geschah nur Tolles da draußen? Noch mehr als Wind? War das Ding im Federkleid ein Leckerli? Auf jeden Fall lief ihr bei seinem Anblick automatisch das Wasser im Mäulchen zusammen. Dieses dumme Wetter, konnte es nicht auch hier drinnen sein? Außerdem: Was hieß ›parieren‹? Madame Boucher fuchtelte mit dem Finger, was bedeutete, dass ›parieren‹ nichts Gutes war.

    »Das nächste Mal machst du gleich, was ich dir sage!«

    Sissi legte die Ohren an und senkte den Blick. Hatte irgendjemand gesagt, was sie machen sollte, wann sie es machen sollte, weshalb, warum – und das in verständlicher Form? Geheimnisse waren schön und sie mussten erkundet werden. Frauchen war heute aber auch in übler Laune. Warum verstand sie das alles nicht und wurde laut? Sissi schloss die Augen zur Hälfte. Etwas, das man nicht sah, existierte auch nicht. Madame Boucher war auf die Füße reduziert. Hoffentlich würde sie nicht wieder mit dem stinkenden Wischmopp drohen.

    »Du brauchst gar nicht so scheinheilig wegzusehen!«

    Sissi wünschte sich nebst der Verdunkelung auch Taubheit. Für eine feine Hauskatze war lautes Schelten und Rügen ein unerträglicher Zustand. Katzenklo für die Ohren. Für lautes Keifen sollte jede Wohnung über ein gesondertes Zimmer verfügen – eines, in dem keine Katze war. Sissi strich an Madame Boucher vorbei. Lieber Schweigen im Schlafzimmer als Radau in der Stube. Mit einer gehörigen Portion Reststolz schritt sie tapfer den Flur entlang.

    Sissi betrat das leere, ruhige Schlafzimmer und ganz tief im Inneren ihrer Seele rührte sich etwas; ein Geist im Geiste. Gleichzeitig heulte eine Sturmböe auf, die langen Äste des Baumes im Garten klatschten ans Haus. Nasse Blätter des Birnbaumes hatten Spuren am Fenster hinterlassen, Regennässe schlierte darüber. Das Dunkel der Nacht war in das Grau des jungen Tages übergegangen. Sechs Mal schlug die Turmuhr der Kirche Sankt Catherine an. Das ungehörte Wesen – es erwachte. Ein Kater in der Katze. Wunderlich genug.

    Strecken und lang anhaltendes Gähnen. Sechs Uhr war nicht die richtige Zeit – für niemanden. Auch nicht für Kater Merlin, dem Gast in Sissis Hirn. Merlin reckte sich erneut, dabei fühlte er seinen Körper nicht, es kam ihm vor wie geistiges Gewohnheitsrecken. Dass es zu früh war, bemerkte er hingegen. Schlafen konnte er derzeit besser, als das Elend des Lebens ertragen. Ein Gast in einem Frauenkörper zu sein, war grausam. Nur ein Umstand hätte die Situation etwas erträglicher gemacht. Nur einer! Wenn es irgendwo Sardinen gegeben hätte; doch in diesem Haushalt gab es keine Sardinen. Merlin wollte endlich wieder sein eigenes Leben und die beste Speise aller Speisen genießen: fettfleischige saftige Sardinen. Nahrung konnte er derzeit nur aus zweiter Reihe durchkosten. Aber lieber dabei zusehen und das zarte Sardinenfleisch erträumen, als gänzlich ohne Genuss zu sein. Auch Geister haben Bedürfnisse.

    Sar-di-nen, das unglaubliche Wort zog sich durch Sissi Leib, ohne dass es eine Reaktion hervorrief, doch der Untermieter in ihrem Körper wäre am liebsten aufgesprungen, zum Hafen gerannt und hätte den Engländer mit dem Fischerboot um diese Köstlichkeit angeschnorrt; oder Madame Galabru, die in ihrem Delikatessenladen ganz besonders zarte Exemplare des Gaumenschmaues vorrätig hielt. Der Magen des Untermieters knurrte. Vielleicht war die Gier mit Schlaf zu betäuben? Merlin versuchte zu dösen, aber ein unbestimmtes Unbehagen ließ ihn nicht schlafen. Das Unbehagen tobte weiter. Was-ist-denn-nun-schon-wieder-los?, fragte er sich biestig. Warum wurde er wachgehalten? Gab es schon wieder einen Grund für die weiße Hauskatzenziege zu schmollen? Wenn das der Fall war, zog sich die weiße Perle, aus welchem Anlass auch immer, beleidigt in irgendeinen Winkel der Wohnung zurück. Ah, ja … er war im Schlafzimmer. Schmollzeit und stundenlanges Lecken der Pfote war angesagt. Wie öde!

    Außer Bockigkeit, Räkeln und die lackierten Krallen zu bewundern, hatte dieses dumme Ding nichts im Kopf. Gelegentlich ein kleines bisschen Unvernunft und eine klitzekleine Abenteuersehnsucht, das war es dann auch schon. Fast hätte er das verabscheuungswürdige Dosenfutter vergessen. Die weiße Schönheit liebte es wirklich: Pute mit Karotte, Hühnchen mit grünen Bohnen oder Ente mit Spinat. Damit waren Elend und Erbärmlichkeit gepaart. Gemüse? Wer auf sich hielt, drückte sich kein Grünzeug in den Alabasterkörper. Kernige Kater taten das auf jeden Fall nicht. Gemüse war schwul oder weiblich, für Kätzinnen war das in Ordnung, aber nicht für einen gestandenen Kerl.

    Entsprechend verhielt es sich mit dem Kernstück der Sättigung: Pute, Hühnchen und Ente. Niemand, der alle Sinne beieinanderhatte und ein Ding zwischen den Beinen trug, aß etwas, das im Staub wühlte und Körner pickte. Wozu auch? Lebten nicht genügend Sardinen auf der Welt? Thunfische oder Lachse? Waren die Meere leer? Flossen die Flüsse aufwärts und hatten sich die Lachse verirrt? Nein! Also, wozu staubiges Federvieh in sich hineinquetschen, wenn es leckeren saftigen Fisch gab? Oder gar Sar-di-nen.

    Genauso unmöglich wie Sissis Speisekarte, genauso leer war das feine Hauskätzinnenleben. Merlin erlebte es Tag für Tag. Er durchlitt eine Strafe von Katzengöttin Isis, die ihn dazu verdammt hatte, das Leben der Kätzin Sissi im Huckepackverfahren zu erfahren. Und das nur wegen ein paar winziger Äußerungen über Kätzinnen, die noch nicht einmal richtig schlimm gewesen waren. Eher Wahrheiten ohne Schnörkel. Isis mochte keine Wahrheit. Stattdessen liebte sie es, zu bestrafen, und diese Strafe war hart. Er erlebte nichts mehr. Jedenfalls nichts, was ihn als Streuner und echten Kater jemals interessiert hätte.

    Das Nullum des Kätzinnenlebens als Strafe für die Feststellung, dass ein Kater ein Kater war und alle Kätzinnen einem einzigen Zweck in dieser Welt dienten: den Katern ein Wohlgefallen zu sein. Was war falsch an ein bisschen Wohlgefallen? Oder an der Wahrheit? Kätzinnen waren aus der Rippe eines Katers geformt. Was sollte man schon von ihnen erhoffen? Genau: nichts – außer schön, willig, rollig und lieb zu sein. Kein Kater dieses Universums würde je mehr von einer Kätzin erwarten.

    Auch Sissi sah schön aus. Was wollte die Welt mehr? Sissi war ein Wohlgefallen für jeden Kater. Gut, sie war ein bisschen leichthirnlich. Aber bei dem Aussehen durfte sie sogar stockblöd sein! Deshalb fragte er sich, warum er das harte Kätzinnen-Nullum erleben musste.

    Es hätte gereicht, wenn Katzengöttin Isis ihm theoretisch erläutert hätte, dass ein rattenscharfes Muschileben durchaus ein Nützliches für die Katerwelt sein konnte. Das hätte er ihr geglaubt! Aber Isis war ebenso weiblich wie ihre Geschlechtsgenossinnen. Unlogisch, launisch und ohne Geduld für echte Kerle. Isis wollte tatsächlich, dass er ein Kätzinnenversteher wurde, einer, der Weibchen als gleichrangig ansah und ihr schweres Los bemerkte. Merde! Sie hätte sich auch gleich wünschen können, dass es Puten und Hühnchen regnete.

    Gut, sinnierte er, das mit dem Nullumleben war tatsächlich nicht einfach. Doch Kätzinnen verstehen lernen? All das müsste nicht sein. Er liebte Kätzinnen. Er liebte sie aufrichtig. Gerne sogar. Und nicht nur in der Nacht. Jede hatte ihren einzigartigen Charme, ob weiß, getigert oder eine rassige Rothaarige. Besonders die heißen weißen Kätzinnen hatten es ihm angetan. So wie Sissi eine war. Die weißen Perlen brachten ihn zum Glühen. Gerne etwas mollig, dann rollte es sich weicher, und mit einem schönen Hinterteil versehen. Und gut duften mussten sie auch. Konnte ein Kerl nicht einfach etwas unglaublich Süßes lieben, ohne es gleich verstehen zu müssen?

    Merlin seufzte und durchblickte die Welt nicht mehr. Isis forderte Verständnis von ihm. Vermutlich sollte er bald mit Mäusen vor dem Schmaus reden und Bewusstsein für die Umwelt entwickeln, wenn er sein Reich markierte. Was passierte eigentlich, wenn er nicht gehorchte und bei dieser Prüfung durchfiel?

    Er würde mit Sicherheit nicht in den Katzenhimmel kommen, in dem ein immervoller Napf mit Sardinen stand, sondern in der Wasserhölle schmoren. Schwimmend in stinkendem Nass, mit einem laufenden Duschkopf über dem Haupt und einem Pfeifton in den Ohren. Merlin schüttelte sich. Eine grauenhafte Vorstellung!

    Derzeit allerdings schien es auf Erden auch nicht viel schöner; Ödnis und Gemüse konnten Folter sein! Merlins Denken durchzischte ein tiefer, gnadenflehender Wunsch: Warum konnte er nicht einfach wieder ein Kater sein? Ganz für sich allein. Die Wucht dieser Bitte traf das Herz. Er hatte es satt, in Sissis Kopf zu wohnen, er wollte wieder Merlin und ein Kerl sein und all die wundervollen Möglichkeiten eines Streuners haben. Freiheit, Luft, Liebe und Sardinen. Die aufgebaute männliche Seelenschutzwand senkte sich ab. Ich-will-wieder-ein-Kater-sein, jaulte er in das fremde Hirn, doch niemand hörte ihn. Merlins imaginärer Körper sank zusammen. Am liebsten hätte er geweint, aber das war undenkbar für einen kernigen Kater.

    Sissi hingegen starrte sinnentleert in den länglichen Spiegel im Schlafzimmer, der auf dem Fußboden stand. Plötzlich wurde es ruhig. Merlin hob den Kopf, er fühlte etwas Unglaubliches nahen. Etwas, das sogar den Wunsch nach Gnade und Barmherzigkeit beiseiteschob. Es war der Vorbote einer Empfindung, die er noch nie erlebt hatte. Sissi schien ebenfalls erschrocken. Die Erregung zog sie und ihn völlig in den Bann, vereinnahmte und zerrte beide weiter, hinab in einen Strudel von Gefühlen. Heulen war keine Frage des Anstandes mehr, er sehnte sich nach Tränen. Sturzbächen von Augennass, am liebsten hätte er auch ein rosa Halsband getragen und Spinatkekse vertilgt. Was zur Hölle war das? »Oh, Boy!«, dachte er, als er die weiße Perle im Spiegel sah. »Empörend! Was für ein Luder!«

    Sissi ließ sich abrupt fallen und rollte. Entsetzt riss er die Augen auf, rollte mit ihr weiter. Merlin wurde schwindelig. »Meine Güte!«, schrie er. »Das ist also Weiberlust!« Gleichzeitig drang ein kläglicher Jammerlaut durch Sissis Kehle.

    ***

    Juste Simon, der Stadtbuchhalter von Arnaud, erwachte im eichenen Doppelbett, bevor der Wecker klingelte. Der Geruchsinn schlug als Erstes die Augen auf. Juste Simon nahm den Duft von frischem Holz und Vanille wahr. Regen prasselte auf das Dach, wohltuend umschmiegte ihn die warme Bettdecke – ein Gefühl der Geborgenheit durchströmte den Buchhalter. Einfach herrlich! Juste holte tief Luft. Angesichts dieser Wonne war er nicht bereit, seine Augen zu öffnen. All die bösen Gedanken, mit denen er in den letzten Monaten erwacht war, flohen für einen Moment, lösten sich auf und taten so, als hätte es sie niemals gegeben. Behütet im kuscheligen Bett, neben Blanche, vergaß er für Augenblicke, dass die Welt sich ständig veränderte und dass er das nicht mochte.

    Die angenehme Schutzwärme bedeckte das Schicksal und hielt ihn fern vom Allerschlimmsten in der letzten Zeit; Mamie, seine Großmutter, hatte vor zwei Monaten die Welt verlassen. Ganz still und leise war sie gegangen, im Schlaf. Die Leere, die sie hinterließ, spürte er täglich. Der Wunsch, Großmutters Geist zu bewahren, hatte ihn dazu bewogen, das alte Backsteinhaus zu beziehen. Das rote Häuschen in der Nähe des Rathauses mit den gewellten schwarzen Dachpfannen, dem Fundament aus Naturstein und der Kletterrose im Garten war nun sein Heim. Er liebte das Haus, das so winzig wirkte, als würde es ins Land der Zwerge passen und er wäre darin ein Riese. Doch Großmutters Tod war nicht das einzige Desaster, das er wegzukuscheln hatte: Marguerite, seine Ex-Frau, war mit der gemeinsamen Tochter Flora ins ferne Paris gezogen. Ein Leben ohne Marguerite erschien ihm mehr als verkraftbar, aber Flora in dieser unmenschlichen Großstadt zu wissen, fernab von ihm, war eine Unerträglichkeit, die er zu erdulden hatte. Ebenso unterlag es der stillen Duldung, dass Arnaud sich wandelte. Er liebte die Stadt, in der er geboren worden war und immer noch lebte. Veränderungen waren scheußlich. Umso mehr, wenn Neues mit Verschlechterung einherging.

    Arnauds Bürgermeister Laval hatte sich als Meister von Verschlimmbesserungen erwiesen. Kindergarten sowie Kirche sollten geschlossen werden; die baufällige Kirche Sainte Catherine war moralisch im Weg. Der Kindergarten dagegen stand auf interessantem Bauland. Beides sollte verschwinden, um das Bordell zu begünstigen, ein zweites zu eröffnen und viel Geld einzufahren. Laval hatte überall die schmutzigen, korrupten Hände im Spiel gehabt. Es war zum Verrücktwerden. Erstaunlicherweise gab es in letzter Minute eine gute Wendung. Die Kirche blieb – dank einer Spende. Nun wurde sie renoviert und ein neuer Kindergarten im Innenhof der Kirche war in Planung. Und Laval war eine Leiche. In jedem Bösen steckt auch ein Kern Gutes. Arnaud hatte einen Bürgermeister weniger und dafür einen Mörder mehr.

    Juste Simon drehte sich schnaufend um, gab sich der Nähe seiner Gefährtin hin, von der er vermutete, dass sie noch neben ihm lag. Blanche, säuselte das Hirn. Wolken der frischen Liebe umwehten ihn und ein breites Lächeln erschien auf dem Gesicht des Schlaftrunkenen. Mit Blanche fühlte er sich gut, alles schien warm und rosarot, seitdem sie beschlossen hatten, eine Bindung einzugehen. Justes Schnauzbart zuckelte. Das heimelige Gefühl endete abrupt – der Wecker klingelte. Der Buchhalter erledigte den Quälgeist, ohne die Augen zu öffnen, mit einem Handkantenschlag. Da war es wieder: Mamie. Flora. Arnaud. Gerade noch in Morpheus‘ Armen und schon wieder in der Suppe des Bewusstseins.

    Indignum est! – Es ist abscheulich!, dachte er und entschuldigte sich bei sich selbst: Das war kein Fluch, es war Latein.

    Juste Simon drehte sich noch einmal um. Das neue Möbelstück knarrte. Er griff zur zweiten Betthälfte, tastete auf dem gestärkten Betttuch herum und überlegte, wo Blanche sein mochte. Er grummelte. Gelegentlich stand sie früher auf, um Warenlieferungen im Bistro anzunehmen. Vermutlich war heute wieder so ein Tag. Als Wirtin eines Bistros hatte sie es auch nicht einfach. Langsam hob Juste den Kopf, öffnete die Augen, als ob doch noch ein Fund zu machen wäre. Mitnichten! Ein leeres Bett. Unwiderruflich! Dabei wünschte er sich, dass kein Tag ohne Blanche anfangen und keiner ohne sie enden solle. Die vertrauten Momente des gemeinsamen Einschlafens und Erwachens machten ihn glücklich. Gespräche über Wichtiges oder Unwichtiges und das Lachen, welches das Schlafzimmer belebte. Und vieles mehr. Er wurde bald zweiundfünfzig und hatte noch eine neue Liebe gefunden. Das allein bedeutete schon Glück. Hinzu kam, dass Blanche wundervoll war. Liebe war wundervoll. Alles war wundervoll. Nur Aufstehen nicht.

    Zeit, den Morgen zu begrüßen; ein Kaffee im Bistro, Arbeit im Rathaus und ein pflichtbewusster Stadtbuchhalter sein. Juste knurrte und hievte sich aus dem Bett. Mit Arbeit konnte man sich den ganzen Tag verderben, überlegte er völlig unbuchhalterisch.

    Was für Gedanken. Bevor er mit Blanche zusammenkam, hatte er nie so frevlerisch gedacht. Früher musste er eine Familie ernähren und Pflichtbewusstsein war fester Bestandteil des Lebens. Und jetzt? Justes Gedanken durchliefen die Werteliste. Der Beruf blieb wichtig, aber nicht mehr das Zentrum des Lebens. Mit zweiundfünfzig Jahren begann er, anders zu bewerten. Beruf und Geldverdienen hingen eng miteinander zusammen. Geld war wichtig. Absolut. Dennoch besah er sich in letzter Zeit von außen und fand erstaunlich, was er für Geld alles tat: mit Zahlen jonglieren, langweilige Kassenberichte schreiben, öde Ratssitzungen ertragen und dem Staat dienen, der dies kaum wertschätzte. Die Zeit zerlief im Alltag. War Zeit nicht mehr wert als Geld?

    Skurrilerweise schlug Justes Denken einen Salto. Er dachte an das Bordell in der Stadt. Absonderlich, wieso ihm gerade jetzt das Etablissement einfiel. ›Warum wird über Huren schlecht geredet und über Buchhalter gut?‹, spuckte das Gehirn als Frage aus. Er verkaufte tagtäglich seinen Kopf für wenig Geld und eine Lebedame ihren Schoß für wesentlich mehr. Ganz offensichtlich waren Freudenmädchen die besseren Buchhalter und Kaufleute. Lebensnäher war ihr Beruf auf alle Fälle. Die böse Mathematik des Lebens forderte ihn auf, Callboy werden. Der Verstand erteilte ihm eine Ohrfeige.

    Juste schnaufte durch den grau melierten Schnauzbart, bis das Bärtchen vibrierte. Callboy?! Was für ein schlaftrunkener Unsinn! Er hätte einfach nur gerne mehr Zeit mit Blanche. Und es war zu früh am Tage. Krude Gedanken kamen nur vor dem ersten Grand noir. Kein Wunder, dass das Denken merkwürdig wurde.

    Juste Simon wankte zum Badezimmer, öffnete die Tür. Kaum durchschritten, erwischte ihn eine Wolke aus Haarspray, Parfum, Deodorant und Namenlosem, das zweifellos krebserregend und gleichzeitig atombestrahlt war. Justes Überlebenswille sog kontrolliert den letzten Happen Luft ein. Mit Wucht riss er das kleine Fenster in der Dachschräge auf und hielt den Kopf in die Freiluft. Wind und Regen – die Natur machte vor Justes Haupt nicht halt. Er wurde nass. Bei Gott! Wie schafften Frauen es, in einem Vakuum zu existieren?

    »Monsieur Simon! Juhu!«

    Auch das noch! Madame Galabru, die dralle Delikatessenhändlerin im graublauen Kittel winkte ihm zu. Sie stand, mit Regenschirm in der Hand, direkt vor dem Haus.

    »Was machen Sie denn da, Monsieur Simon?«, rief sie hinauf.

    Justes hochroter Kopf glutete aus den schwarzen Dachziegeln hervor.

    »Nichts!«, brüllte er zurück und atmete schwer gegen den Wind.

    »Und warum keuchen Sie so?« Die helle Stimme von Madame Galabru wurde exzellent durch die Luft übertragen.

    Justes Körper spannte an. Das grau melierte Haar stand in alle

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