Vogelfrei: 18 Jahr, wildes Haar
Von Fritz Sauer
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Buchvorschau
Vogelfrei - Fritz Sauer
Vorwort
Dies ist eine fiktive Geschichte, aber der Freistaat Christiania wurde 1971 in Kopenhagen gegründet und es gibt ihn noch bis heute. Nach der kleinen Meerjungfrau und dem Tivoli ist er zum dritten Wahrzeichen von Kopenhagen geworden. Das historische Segelschiff „Vasa" hat ein eigenes Museum in Stockholm bekommen und ist eine große Touristenattraktion ge-worden. Auch das Rockmusikfestival in Turku besteht weiterhin und jedes Jahr trifft sich dort die Jugend des Landes. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig, wenn auch erwünscht.
Personen
Felix Kreis, (18), Abiturient auf der Suche nach seinem Lebensweg.
Regina Söderhof, (18), Gymnasiastin, hat zwar das Abitur nicht bestanden, aber sexuelle Erfahrungen.
Holger, (20), Einzelhandelskaufmann aus Kiel, macht einen Wochenendtrip nach Kopenhagen.
Andreas Fischer, (18), Gymnasiast und Freund von Felix Kreis, ist auch schon mal sitzen geblieben.
Dieter Papst, (19), Bankkaufmann in der Ausbildung, Freund von Felix und Andreas, hat zwangsweise einen kurzen Haarschnitt.
Björn Peterson, (18), Abiturient aus Oslo, hat sich gerade entschlossen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und Arzt zu werden.
Dr. Peterson und Frau, (50 und 49), Eltern von Björn aus Oslo, haben ihren Sohn nicht immer verstanden, wollen ihn aber unbedingt rehabilitieren.
Dr. Lund, (40), Pathologe an der Uni-Klinik in Kopenhagen.
Henning Paulsen, (30), Star-Reporter aus Hamburg, mit dem Erfolgsrezept „Trinkgeld, Schmiergeld, Alkohol".
Herr Hannen, (49), Vertriebschef des „Star-Magazins" in Hamburg, seriöser Geschäftsmann.
Knut Sörenson, (30), Redakteur von TV Norge in Oslo, ambitionierter Fernseh-Journalist.
Sven Bründland, (28), Redakteur von Politiken Bladet, Kopenhagen, ist seinem Chefredakteur hörig.
Helmström, (55), Chefredakteur von Politiken Bladet, Kopenhagen, ist mit allen Wassern gewaschen.
Der Oberbürgermeister von Kopenhagen, (41), kurz OB, wendiger Politiker mit höheren Ambitionen.
Der Polizeipräsident von Kopenhagen, (61), ergraut im Polizeidienst mit geschwächtem Herz.
Uschi Meyer, (19), Abiturientin aus Bonn, ist noch Jungfrau.
Birgit Meyer, (18), ihre jüngere Schwester, ist nicht flippig und hat genaue Vorstellungen von einer Beziehung.
Abi 1971.
Der Abgang des Abi-Jahrgangs 71 von der Schule war spektakulär undramatisch. Keine dunkelblauen Anzüge, keine Cocktail-Kleidchen, keine rührseligen Dankesreden, kein versöhnlicher Händedruck zwischen Lehrern und ehemaligen Schülern - man hatte sich gegenseitig gründlich satt. Nicht einmal ein Klassenfoto wurde gemacht, die Abiturienten verließen einfach die Schule. Sie holten sich ihre Reifezeugnisse aus dem Sekretariat ab und gingen ihrer Wege ohne Wehmut über die vergangene Schulzeit wie Gefängnisinsassen nach Verbüßung der Strafe.
„Jetzt beginnt das Leben, dachte Felix, „endlich frei!
Aber so frei, wie er sich zunächst glaubte, war er nicht. Geld war jetzt der regulierende Faktor, „ohne Moos nichts los" der gängige Spruch. Und um Geld zu bekommen, musste er seine Freiheit verkaufen und irgendeine Arbeit verrichten. Töpfe waschen in einer britischen Offiziers-Messe war sein erster richtiger Kontakt zur Arbeitswelt und dort begriff er zwischen angebrannten Pötten und wandernden Kakerlaken, dass nicht nur Schule, sondern auch Arbeit ziemlich öde sein kann.
Auf nach Finnland.
Mit dem sauer verdienten Geld kaufte er sich einen Bundeswehr-Schlafsack nebst Rucksack und Regenponcho. Seine beiden Freunde aus Kindertagen machten das ebenfalls, und dann stellten sie sich gemeinsam an die Straße und hielten die Daumen hoch zum Zeichen für die Autofahrer, dass sie mitgenommen werden wollten.
Aber niemand wollte gleich drei junge Burschen von 18 Jahren in seinem Auto mitnehmen und so trennten sie sich und verabredeten einen Treffpunkt an ihrem Reiseziel. Auf dem Campingplatz in Turku wollten sie aufeinander warten und dort aus ihren drei Regenponchos ein gemeinsames Zelt bauen. Und dann das Rockmusikfestival Ruissalo besuchen und Mittsommernacht feiern...
„Wer zuletzt kommt, muss ein Bier ausgeben", meinte Andreas grinsend und ging 30 Meter voraus. Dieter, der gerade eine Banklehre angefangen hatte und zwangsweise einen ordentlichen Haarschnitt hatte, ging 30 Meter zurück.
Felix sah zu, wie ein Wagen langsam an ihm vorbei fuhr und bei Andreas hielt. Lächelnd und winkend stieg der Freund ins Auto. Dann klappte es auch bei Dieter, in einem blauen BMW brauste er grüßend an Felix vorbei.
Jetzt stand er allein an der Autobahnauffahrt und reckte den Daumen in die Höhe. Er war der größte von den drei Freunden, mit schulterlangem Haar und wildem Vollbart, was die meisten Autofahrer davon abhielt, ihn mitzunehmen, denn man konnte ja nicht wissen, wen man sich da ins Auto holte. Die 68er Studenten-Revolte hatte viele Ältere verschreckt, obwohl ihre Generation in der Nazi-Zeit viel Schlimmeres getan hatte.
Nach zwei Stunden frustrierenden Wartens in der Morgensonne fuhr ein Citroen 2CV auf die Autobahnauffahrt und hielt neben Felix an. Überglücklich öffnete er die dünne Blechtür und sah einem jungen Mann ins Gesicht mit wildem Lockenkopf und dunklem Vollbart. „Hi, wo willst Du hin?, fragte er Felix, „ich fahre nach Berlin.
„Kopenhagen, antwortete Felix, „und dann weiter nach Finnland.
„Dann komm rein, bis Hannover haben wir den gleichen Weg."
Gut zwei Stunden saßen sie nebeneinander in dem genial improvisierten Kult-Auto und fuhren über die Autobahn gen Osten.
Felix verstand sich auf Anhieb mit dem Fahrer der „Ente, der sich als „Jan
vorstellte und in Berlin Publizistik, Germanistik und Anglistik studierte.
„In Berlin ist echt was los, meinte er lächelnd, „die APO (Außerparlamentarische Opposition) hat etwas in Bewegung gesetzt an der Uni und in der Stadt.
Dann erzählte er Felix von der Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien, an der er teilgenommen hatte und vom Tod seines Kommilitonen Benno Ohnesorg durch eine Polizeikugel am 2. Juni 1967. Das war vor gut vier Jahren gewesen, aber für Jan war es noch wie gestern. „Die Schlägertruppen des Schahs haben mit Knüppeln auf die Demonstranten eingeschlagen, es entstand ein Handgemenge und dann erfolgte der tödliche Schuss durch einen Polizisten. Danach gab es viele Demonstrationen in Berlin und Sit-ins und Blockaden. „Ho Ho Ho Chi Minh" war unser Kampfruf. Das war eine wilde Zeit, bis Rudi Dutschke, unser Anführer und politischer Kopf, angeschossen und schwer verletzt wurde durch einen Attentäter, der von der Bild-Zeitung und ihren Hetz-Parolen beeinflusst war. Danach haben wir das Springer-Hochhaus abgeriegelt und einige Lieferwagen der Bild- Zeitung umgekippt und in Brand gesteckt.
Er schwieg eine ganze Weile und kämpfte mit seinen Emotionen, dann fügte er hinzu: „Danach hat sich die ganze Bewegung aufgesplittert und zerstreut."
„Und was wird jetzt?", fragte Felix interessiert.
„Manche sind in den Untergrund gegangen, antwortete Jan geheimnisvoll, „andere wollen eine politische Partei gründen.
„Was wurde aus Rudi Dutschke?"
„Nach seiner langsamen Genesung ging er nach London, aber dieses Jahr haben sie ihn ausgewiesen. Er ist nach Dänemark gezogen."
„Und was willst Du jetzt machen?", hakte Felix nach.
„Ich weiß es noch nicht, antwortete Jan, „ich habe viel Zeit und Energie in die politische Arbeit gesteckt, jetzt muss ich ganz dringend die Zwischenprüfung machen, sonst bekomme ich kein Geld mehr von meinem Alten, obwohl er genug davon hat.
Er lachte: „Ohne Moos nichts los, das weißt Du ja. In Berlin kann man zwar ganz günstig wohnen, vor allem in einer Wohngemeinschaft, aber trotzdem braucht man auch Geld. Was machst Du denn so?
Felix erzählte ihm, dass er gerade sein Abitur hinter sich hätte und nicht so recht wüsste, was er nun anfangen solle, erstmal reisen und die Welt anschauen. Drei Monate hatte er für seine Skandinavienreise geplant, alles andere würde sich dann hoffentlich ergeben.
„Du musst dir auch überlegen, ob Du zur Bundeswehr gehen willst", sagte Jan, „oder ob Du den Militärdienst verweigerst, das könnte allerdings schwierig werden. Manche müssen durch alle Instanzen bis vor Gericht gehen, bis sie anerkannt werden.
Wenn Du deinen Hauptwohnsitz nach Berlin verlegst, dann bist Du vom Militärdienst befreit, denn West-Berlin gehört nicht zur Bundesrepublik, es hat einen Sonderstatus und unterliegt dem Viermächte-Abkommen."
Dann waren sie auch schon in Hannover und Felix ließ sich an der Raststätte Garbsen absetzen. Zum Abschied gab Jan ihm seine Adresse in Berlin und Felix schrieb sie säuberlich in sein neues Adressbuch, dass er eigens für die Reise gekauft hatte. Es war der erste Eintrag.
„Viel Glück und melde dich, wenn Du nach Berlin kommst. Für ein paar Tage könntest Du immer bei uns in der WG wohnen, vielleicht sogar einziehen, wenn gerade ein Zimmer frei ist", meinte Jan lächelnd und reichte ihm die Hand zum Abschied.
Felix winkte der grünen „Ente" nach und war in Hochstimmung. Was für ein Auftakt seiner Reise! Er nahm es als gutes Omen. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, es war heiß geworden und Felix musste erstmal einen Schluck Zitronentee aus seiner Feldflasche nehmen.
Auf der Raststätte waren noch andere Tramper, die nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau hielten, aber seine Freunde waren nicht dabei. Dafür entdeckte er zwei Mädchen, die ein Schild gemalt hatten mit der Aufschrift: „Kopenhagen". An ihren Rucksäcken hatten sie kleine Teddy-Bärchen befestigt und Felix dachte sich, dass die auch für ihn eine gute Begleitung sein könnten.
Er winkte ihnen zu und grinste breit: „Hi, habt ihr eure Kuscheltiere von zu Hause mitgenommen oder gibt es die hier zu kaufen?"
Die beiden Schwestern lächelten zurück und erwiderten, sie hätten sie gerade an der Tankstelle erstanden und es sei auch noch ein weiterer Teddy vorhanden gewesen.
„Ich will auch nach Kopenhagen und dann weiter nach Finnland", meinte Felix und erfuhr, dass die beiden Schönen das gleiche Ziel ansteuern wollten.
„Na, dann haben wir ja den gleichen Weg, stellte er erfreut fest und stellte sich vor: „Ich bin Felix aus Gütersloh, ich will mich mit meinen Freunden in Turku auf dem Campingplatz treffen.
„Ich heiße Uschi und das ist meine Schwester Birgit", sagte Uschi und lächelte ihn an, dass ihre weißen Zähne blitzten. Die jungen Frauen waren aus Bonn und wollten ihre Brieffreundin in Turku besuchen.
„Und dann gehen wir zum Rock-Festival Ruissalo am nächsten Wochenende", sagte Birgit und lächelte ebenfalls. Sie war