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Salim - Ein syrischer Flüchtling bei mir zu Gast: Eine wahre Geschichte
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eBook257 Seiten3 Stunden

Salim - Ein syrischer Flüchtling bei mir zu Gast: Eine wahre Geschichte

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Über dieses E-Book

Dieses Buch beruht auf einer wahren Begebenheit und berichtet über die Flucht eines jungen Syrers, der sein Heimatland aufgrund des anhaltenden Bürgerkriegs mit 19 Jahren verlässt und in Kauf nimmt, in eine ungewisse Zukunft zu flüchten. Das Ziel lange nicht vor Augen wartet ein weiter und steiniger Weg auf ihn.
Salim bewältigt viele scheinbar unüberwindbare Hürden, bevor ihn das Schicksal letztlich nach Deutschland bringt. Die ersten Wochen erlebt er einsam, bis er durch Zufall auf den Autor trifft, der ihm Hilfe anbietet und auch dafür sorgt, dass ihm ein jahrelanger Traum erfüllt wird. Je mehr Zeit die beiden verbringen, desto intensiver wächst ihr gegenseitiges Vertrauen und Salim beginnt schon bald schrittweise von den Erlebnissen seiner Flucht zu erzählen. Dass Flüchtlingshilfe nicht überall gleichermaßen gut aufgenommen wird, zeigt sich schon bald in öffentlichen Netzen. Doch unbeirrt machen sie weiter, erhalten beispielhafte Unterstützung und sehr viele emotionale Ereignisse folgen. Tauchen Sie ein in die rührende Geschichte über eine besondere Freundschaft zwischen einem syrischen Flüchtling und seinem Helfer, eine Geschichte, die aktueller nicht sein könnte …
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. Feb. 2016
ISBN9783734511059
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    Buchvorschau

    Salim - Ein syrischer Flüchtling bei mir zu Gast - Peter Granzow

    Einleitung

    Liebe Leserin,

    Lieber Leser,

    irgendwann im Sommer 2015 war die Griechenlandkrise für die Medien nicht mehr das Thema Nummer 1, stattdessen beherrschten wieder Flüchtlinge aus Rumänien, Afghanistan, Syrien und anderen Ländern die Schlagzeilen. Keine Nachrichtensendung, kein Polit-Talk und kein Magazin kam mehr um dieses Thema herum.

    Sprach der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere im Juli 2015 noch von 400.000 Flüchtlingen, die einen Asylantrag in Deutschland stellen würden, musste die Zahl bereits nach wenigen Wochen auf 800.000 und schon bald auf eine Million erhöht werden. Im Januar 2016 war es dann ganz offiziell: 2015 kamen insgesamt rund 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland.

    Während europäische Politiker wochenlang scheinbar nur mit der Rettung von Griechenland beschäftigt waren, hatten sie die Zahl von Flüchtlingen, die sich bereits auf den Weg nach Europa gemacht hatten, offenbar völlig unterschätzt. Auch konnte man so gut wie keinen Handlungsbedarf erkennen. Das Einzige, was in den Medien noch wahrgenommen wurde, war der Finanzpoker mit dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, der nicht einmal einen Sommer lang tanzen sollte.

    Diejenigen aber, die handelten, waren deutsche Bürger, die sich durch die Vielzahl der zu erwartenden Asylanten bedroht fühlten. Getreu dem Motto Wir sind das Volk handelten sie auf ihre ganz persönliche Art und Weise, und so sah man sie abends, bepackt mit Schildern, auf denen ihre Parolen standen, durch die Straßen ziehen.

    Immer öfter konnte man in den Fernsehnachrichten Bilder von in Brand gesteckten Asylantenheimen sehen und in sozialen Netzwerken schien es, als wäre das Internet ein rechtsfreier Raum geworden. Vorurteile, Ängste und auch Hasstiraden wurden ohne Scham veröffentlicht. Ausländische Medien berichteten wieder einmal vom bösen Deutschen, der sich kurz zuvor schon bei der Rettung von Griechenland zur Zielscheibe Europas gemacht hatte.

    Nachdem dann endlich auch positive Berichterstattungen über private Hilfsaktionen in den Medien zu sehen waren, wurde nicht Halt davor gemacht, freiwillige Helfer an den Pranger zu stellen. Schauspieler, Regisseur und Produzent Til Schweiger, der ein ganzes Asylantenheim im Harz eröffnen wollte, sah sich sogar mit Einbrechern in seinem Haus in Hamburg konfrontiert, sodass schon bald der Staatsschutz ermitteln musste.

    Was war nur plötzlich los in Deutschland und vor allem, mit einigen Deutschen?

    In genau dieser Zeit, es war Ende Juli 2015, traf ich auf den 22-jährigen Flüchtling Salim, der ohne seine Eltern, im Alter von 19 Jahren, aus seinem Heimatland Syrien, zunächst in den benachbarten Libanon geflohen war.

    Hätte er dies nicht getan, wäre er schon bald durch das Assad-Regime in die Armee einberufen worden, um dort als Kanonenfutter an die Front geschickt zu werden. Vielen seiner gleichaltrigen Freunden und Nachbarn war es bereits so ergangen. Keiner von ihnen ist bis heute aus dem Krieg zurückgekehrt.

    Solange das Assad-Regime noch an der Macht ist, hat Salim auch keine Chance seine Eltern je wiederzusehen, denn die Flucht aus dem eigenen Land hat ihn zum Staatsfeind gemacht. Jetzt, da seine Daten in Syrien registriert sind, würde er beim Versuch in sein eigenes Land einzureisen sofort festgenommen und ins Gefängnis gesteckt werden. Folter und Demütigungen wären die Folge.

    Dieses Buch beschreibt das Kennenlernen zweier Menschen, die unterschiedlicher nicht sein können. Auf der einen Seite der junge und im syrischen Bürgerkrieg groß gewordene Salim, auf der anderen Seite ein mehr als doppelt so alter Mann, der wohlbehütet in einem Land aufgewachsen ist, in dem es seit über 65 Jahren keinen Krieg mehr gab.

    Lesen Sie die Geschichte zweier Menschen, die sich in einer Zeit kennenlernten, als die Medien voll von negativer Berichterstattung waren, und wie sich zwischen den beiden, trotz aller Höhen und Tiefen, langsam ein Vertrauensverhältnis bildete und Salim letztendlich dazu brachte, offen und ehrlich die ganz persönliche Geschichte seiner Flucht zu erzählen.

    Der erste Kontakt

    Es war ein schöner sonniger Tag im Juli 2015. Wie so oft traf ich mich mit meiner besten Freundin Katja in unserem Lieblingscafé, um uns auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen. Katja arbeitete genau wie ich freiberuflich, hatte zwei Kinder im Alter von sieben und vierzehn Jahren zu versorgen und auch ihr Ehemann wollte nach der Arbeit noch ein offenes Ohr von ihr. Ein Treffen war somit meist nur spontan möglich und zeitlich oft begrenzt – entweder kam ihre Tochter Mia früher aus der Schule zurück oder Benny, ihr Sohn, hatte mal wieder etwas ausgefressen.

    Auch an diesem Montag gab es wieder einmal viel zu besprechen und es war schön, eine Freundin wie Katja zu haben, die ich inzwischen seit über 17 Jahren kannte. Nachdem wir auch an diesem Montag aus zeitlichen Gründen gezwungen waren unser Treffen zu beenden, nahmen wir uns noch einmal kräftig in die Arme und gingen danach unserer Wege; Katja in ihre Wohnung, die nur wenige Minuten vom Café entfernt war, und ich in Richtung U-Bahn-Station.

    Auf dem Weg dorthin hielt mir plötzlich ein dunkelhaariger, sehr jung wirkender Mann einen zerknitterten Zettel entgegen und sprach mich in gebrochenem Englisch an. Da man schon lange nicht mehr durch die Kölner Innenstadt gehen konnte, ohne um finanzielle Hilfe gebeten zu werden, war mein erster Gedanke, dass der junge Mann natürlich ebenfalls Kleingeld von mir wollte. Die Frage war nur: wofür dieses Mal? Für ein Essen, eine Fahrkarte oder doch nur für eine Zigarette? Ohne ihn groß zu beachten war ich kurz davor kommentarlos an ihm vorbeizugehen. Zwar trafen sich kurz unsere Blicke, da aber alles so schnell ging, hatte ich ihn schon fast passiert.

    Offensichtlich merkte er, dass ich ihm keine weitere Beachtung schenkte und so versuchte er sein Glück erneut. Nachdem er noch einen Schritt näher auf mich zugekommen war, hörte ich ihn in schlechtem Englisch so etwas wie Help, Please und Office sagen.

    Aus irgendeinem Grund legte das Wort Office in meinem Gehirn einen Schalter um und wie von selbst stoppte ich neben ihm und fragte auf Englisch, wie ich ihm weiterhelfen könne.

    Erst jetzt, als ich so dicht vor ihm stand, nahm ich ihn richtig wahr: Der junge Mann wirkte nun eher wie ein älterer Teenager, war mehr als einen Kopf kleiner als ich und brachte höchstens 60 Kilogramm auf die Waage. Noch einmal hielt er mir seinen Zettel zum Lesen hin und in gebrochenem Englisch versuchte er mir klarzumachen, dass er ein syrischer Flüchtling sei, der ohne Eltern nach Köln gekommen war und nun das Büro der Syrienhilfe suchte.

    Da es in den Nachrichten kaum noch ein anderes Thema als Flüchtlinge gab, sie auch das Stadtbild immer mehr prägten, schaute ich mir den Zettel nun etwas genauer an und verglich die Adresse, die darauf stand, mit dem Haus, vor dem wir uns gerade befanden. Da wir aber vor einem ganz normalen Wohnhaus standen, wurde mir schnell klar, dass hier ein Fehler vorlag und kein Büro zu finden war; offensichtlich war dies die Privatadresse der Betreiberin der Website.

    Bevor ich ihm das erklären konnte, lief völlig unerwartet mein eigenes Leben vor meinen Augen ab. Auch ich hatte mein Elternhaus mit jungen Jahren verlassen und war aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Hameln nach Hannover gezogen, um dort eine Ausbildung zum Konditor zu beginnen. Auch ich musste mich von heute auf morgen ganz alleine durchschlagen und mein Leben meistern. Zwar waren meine Eltern nur 50 Kilometer von mir entfernt, doch den Alltag galt es fortan ohne sie zu bestreiten.

    Nun sah ich den jungen Mann vor mir, offensichtlich ein Flüchtling, der ganz alleine in einem fremden Land und einer fremden Stadt war, die Sprache nicht konnte und Hilfe brauchte. Plötzlich wurde mir klar, dass ich ihn nicht einfach stehen lassen konnte, sondern zumindest erklären musste, dass hier nicht das Büro der Kölner Syrienhilfe war, sondern lediglich eine Privatadresse. Da er nur wenig Englisch und noch weniger Deutsch sprach, empfahl ich ihm, sich per E-Mail bei der Leiterin zu melden und dann machte ich etwas, was ich mir bis heute nicht erklären kann: Völlig spontan bot ich meine Telefonnummer an und erklärte ihm, dass er sich gerne wieder bei mir melden könne, sofern er noch einmal Hilfe benötigen würde.

    Sein Gesichtsausdruck entspannte sich nun merklich, offenbar kostete es ihn zuvor große Überwindung mich überhaupt anzusprechen, so holte er unverzüglich sein Smartphone aus der Hosentasche und bat mich darum, meine Handynummer in sein Gerät einzutippen.

    Kaum hatte ich sein Smartphone in der Hand, schoss mir ein Zeitungsartikel durch den Kopf, der mit dem Vorurteil aufräumen wollte, dass Asylanten sich solche kostspieligen Geräte erst in Deutschland zulegen würden, und zwar von dem ersten Geld, das sie von den Behörden zugeteilt bekamen. Laut dem Zeitungsartikel sah die Wahrheit in Wirklichkeit ganz anders aus, denn solche Geräte legten sich Flüchtlinge bereits vor der Flucht zu, um so immer in Verbindung mit den zurückgebliebenen Angehörigen zu bleiben, dank Skype und WhatsApp war dies heutzutage alles kostenlos möglich. Aber auch während der Flucht war so ein Gerät Gold wert: wurde man als Gruppe voneinander getrennt, so konnte man sich Dank Smartphone wiederfinden. Oder besser noch: wurde ein Fluchtweg über Nacht gesperrt, bestand die Möglichkeit, solche Informationen binnen kürzester Zeit an andere Flüchtlinge weiterzuleiten.

    Nachdem ich ihm sein Gerät mit meiner Nummer zurückgegeben hatte, tippte er ein wenig darauf herum, zeigte mir das Display und fragte, ob ich die Person auf dem Foto wäre. Ich schaute auf sein Smartphone und zu meiner großen Überraschung sah ich ein Foto von mir. Fragend sah ich ihn an und er erklärte mir sofort, dass er geschaut hätte, ob ich bei WhatsApp angemeldet sei, was ich war. Da ich in Sachen Neue Medien aber eine absolute Null bin, staunte ich nicht schlecht, wie schnell so etwas doch ging. Dann hörte ich meinen eigenen Namen und mir fiel ein, dass wir uns noch gar nicht vorgestellt hatten. »Ja, ich bin Peter«, bestätigte ich seine Frage, denn meinen Namen konnte er nun auf seinem Display sehen, woraufhin er sich mir als Salim vorstellte.

    In diesem Moment vibrierte mein eigenes Smartphone. Da ich es aber als unhöflich empfand, sofort auf das Display zu schauen, sobald sich das Handy bemerkbar machte, hatte ich es mir schon vor langer Zeit abgewöhnt, sofort nachzusehen, wer mir da gerade eine Nachricht geschickt hatte. Salim bemerkte mein offensichtliches Desinteresse und versuchte mir klarzumachen, dass er es war, der mir da gerade eine Nachricht geschickt hatte. Ich sah also nach: Als Profilbild hatte er ein Foto, auf dem er neben einer recht gutaussehenden Frau meines Alters stand. Ich vermutete, dass das seine Mutter war, die er bestimmt nicht aus den Augen verlieren wollte. Auf diese Weise hatte er wohl ein wenig das Gefühl von Nähe zu seiner Familie.

    Nachdem wir unsere Kontaktdaten ausgetauscht hatten, erklärte ich ihm noch einmal auf Englisch, dass es das Beste wäre, wenn er sich per E-Mail an die Adresse der Kölner Syrienhilfe wenden würde, schließlich war allein dies der Grund, warum wir überhaupt ins Gespräch gekommen waren. Danach verabschiedete ich mich von ihm und ging weiter zur U-Bahn-Station.

    Als ich kurze Zeit später in meiner Bahn saß um nach Hause zu fahren, griff ich noch einmal nach meinem Handy und schaute mir das WhatsApp-Profil des syrischen Flüchtlings an, den ich erst vor wenigen Minuten kennengelernt hatte. Hatte ich in der Eile und der für mich absolut neuen Situation vielleicht etwas übersehen?

    Nein, es war ein Profil wie jedes andere auch, nur dass der meiste Text in arabischer und nur ganz wenig in deutscher Sprache zu lesen war, welche auch noch voller Fehler steckte. Aber was sollte an dem Profil auch schon anders gewesen sein, fragte ich mich, steckte mein Handy wieder ein und fuhr nach Hause.

    Die ersten Treffen

    Die nächsten drei Tage vergingen ohne besondere Vorkommnisse. Ich erfüllte meine beruflichen Termine, besuchte mein Sportstudio, traf Freunde und überlegte, ob ich meinen Geburtstag, der am kommenden Wochenende anstand, bei meinem besten Freund in Berlin feiern oder doch in Köln verbringen sollte. Geburtstagsfeiern hatte es schon in meiner Kindheit nicht oft gegeben. Das lag einfach daran, dass ich mitten im August Geburtstag hatte, was oft in den Sommerferien war und Freunde zu dieser Zeit meist mit ihren Eltern im Urlaub und meine potenziellen Gäste somit verreist waren. Da es aber gerade ein schöner Sommer mit herrlich warmen Abenden war, würde wahrscheinlich alles darauf hinauslaufen, dass man sich wieder wie gewohnt mit Freunden im Biergarten traf und das Leben genoss.

    Am Donnerstag der ersten Augustwoche, ich kam gerade frisch geduscht vom Sport, erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht, deren Absender mir erst unbekannt erschien, jedenfalls konnte ich mit dem Namen wenig bis gar nichts anfangen. Als ich sie öffnete, bekam ich nur ein Hey, wie geht ’s zu lesen. Ich muss gestehen, dass ich kein Freund solcher für mich belanglosen Nachrichten bin, denn wenn man darauf das obligatorische Gut antwortete, kommt als zweite Frage meist Was machst du? Um also schneller auf den Punkt zu kommen, könnte man meiner Meinung nach gleich beide Fragen in eine Nachricht verpacken. Und mal ehrlich, hat je ein Mensch auf die Frage Wie geht’s mit Ooooh, ganz schlecht geantwortet? Ich habe dies einmal mit dem Ergebnis getan, dass der Fragesteller völlig irritiert war, hatte er doch auf den üblichen Small Talk spekuliert. Da ich aber guter Dinge und neugierig war. fragte ich höflich wer da sei und bekam als Antwort: English please! Dies ging so lange, bis es endlich Klick bei mir machte und ich begriff, dass die Nachricht von dem syrischen Flüchtling kam, den ich erst vor wenigen Tagen kennengelernt hatte.

    Durch die tägliche und teilweise auch immer grausamer werdende Berichterstattung über Flüchtlinge in den Medien, hatte ich zwar noch gelegentlich an den jungen Mann gedacht und mich auch gefragt, ob er sein Ziel erreicht hatte, dass er sich aber tatsächlich noch einmal bei mir melden würde, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Er wollte wissen, ob er mich, da er Hilfe benötigen würde, einmal treffen könne. Ich gebe zu, nun fühlte ich mich ein wenig in der Bredouille. Klar, ich hatte ihm meine Hilfe angeboten, sah dies aber eher als eine Höflichkeitsfloskel an, als würde man am Ende eines missglückten Dates bei der Verabschiedung sagen, dass man telefonieren werde, obwohl beide Parteien genau wussten, dass dies ohnehin nicht passieren würde. Mein Date war doch tatsächlich anders: es rief zurück.

    In diesem Moment fielen mir wieder die gleichen Gedanken über meine Situation ein, als ich in Salims Alter gewesen war, und genau diese Gedanken hatten mich vor ein paar Tagen dazu bewogen, ihm meine Nummer zu geben. Was hatte ich schon zu verlieren? Ich schrieb ihm, dass ich ihn gerne treffen wolle, sehr zentrumsnah wohnen würde, zeitlich flexibel sei und wir uns in einem Café treffen könnten, es wäre nur noch die Frage wann. Da sein Englisch nicht sehr gut war, bekam ich als Antwort des Öfteren nicht verstehen, sodass es immer eine Weile dauerte, bis er wirklich alles verstanden hatte. Seine Reaktion überraschte mich danach ein weiteres Mal, bekam ich doch zu lesen, dass er mich jetzt gleich treffen wollte. Er schrieb mir, dass sein Unterricht gerade beendet und er in der Nähe seiner Sprachschule am Friesenplatz, also mitten in der Kölner Innenstadt sei.

    Nun fühlte ich mich wirklich überrumpelt und eigentlich hatte ich gerade überhaupt keine Lust, mich mit einer fremden Person zu treffen, die offensichtlich kaum Englisch und noch weniger Deutsch sprach. Alles klang für mich recht anstrengend und nach einer eher komplizierten Angelegenheit. Doch völlig synchron zu meinen negativen Gedanken schrieb ich ihm, dass mir das wunderbar passen würde und schlug vor, dass ich in 20 Minuten am Friesenplatz wäre.

    Auf dem Weg dorthin versuchte ich mir noch einmal sein Gesicht vor Augen zu führen und nahm mir als Hilfe das Foto aus seinem WhatsApp-Profil. Ich wollte auf alle Fälle vermeiden, dass ich ihn nicht erkennen würde.

    Salim erschien pünktlich am verabredeten Treffpunkt, gekleidet war er mit einer kurzen roten Shorts, die eher aussah wie eine Turnhose, und einem hautengen weißen T-Shirt mit einem schwarzen Druck darauf. Ich erkannte ihn sofort und wieder fiel mir seine schlaksige dünne Figur auf. Noch bevor wir uns begrüßen konnten, schoss mir durch den Kopf, wie lange dieser zart gebaute junge Mann wohl an der Front des syrischen Bürgerkrieges überlebt hätte? Bildlich gesehen dachte ich, dass er sofort nach vorne überkippen würde, wenn ihn die Armee mit einem großen schweren Gewehr ausgestattet hätte. Auch wenn ich persönlich nie gedient hatte, so wusste ich doch, dass einer wie Salim Kanonenfutter gewesen wäre. Sein äußeres Erscheinungsbild entsprach so gar nicht dem eines syrischen Flüchtlings, wie man sie täglich in den Medien zu sehen bekam. Meist waren diese Männer etwas dunkelhäutiger und bärtig, Salim dagegen war hellhäutig und um sich einen Dreitagebart wachsen zu lassen, benötigte er wahrscheinlich über drei Wochen.

    Als Salim vor mir stand, lächelte er mich an. Wir begrüßten uns mit Handschlag und ich stelle mich ihm erneut als Peter vor.

    Da standen wir nun, er, ein syrischer Flüchtling und ich, der weder wusste was Salim eigentlich von mir wollte, noch ob ich ihm überhaupt helfen konnte.

    Nur zögerlich kamen wir ins Gespräch, was zum einen mit den Sprachschwierigkeiten zu tun hatte, zum anderen aber auch mit dem fehlenden Gesprächsstoff. Um die Situation etwas zu entkrampfen, schlug ich vor, dass wir uns gleich in das Café setzen könnten, vor dem wir gerade standen und wo man auch wunderbar draußen sitzen konnte. Außerdem standen die Tische dort nicht ganz so eng nebeneinander und boten etwas Privatsphäre. Bei dem Gedanken, dass fremde Personen an einem der Nachbartische mitbekommen würden, dass ich den jungen Mann weder kannte, noch irgendetwas mit ihm zu besprechen hatte, fühlte ich ein gewisses Unbehagen.

    Eher schweigend setzten wir uns an einen Tisch und kaum hatten wir Platz genommen, kam auch schon die Bedienung und erkundigte sich nach unseren Getränkewünschen. Wie gewohnt bestellte ich eine Apfelsaftschorle und fragte Salim auf Englisch, was er trinken wollte. Nun steckte ich genau in der Situation, die ich versucht hatte zu vermeiden: offensichtlich verstand er mich nicht und in einem Gemisch aus Deutsch und Englisch kamen nur vier Worte aus seinem Mund: »Sorry? Isch nischt verschtehe!«

    Nach einem kurzen Übersetzungsintermezzo kam heraus, dass er nichts trinken wollte. Da wir aber nun mal in einem Café saßen und es fast 30 Grad waren, bestellte ich einfach auf gut Glück ein Wasser für ihn.

    Sobald die Bedienung unseren Tisch verlassen hatte, machte ich ihm klar, dass ich ihn natürlich einladen würde und er das Wasser nicht bezahlen müsse; mein Gefühl sagte mir, dass er aus Kostengründen nichts bestellen wollte.

    Das folgende Gespräch mit Salim, welches aufgrund der enormen Sprachschwierigkeiten tatsächlich über zwei Stunden dauerte, entpuppte sich für mich als eines der anstrengendsten, frustrierendsten, gleichzeitig aber auch als eines der interessantesten, die ich seit Langem geführt hatte.

    So erfUhr ich, dass Salim mithilfe der Vereinten Nationen am 29. April 2015 von Beirut nach Hannover ausgeflogen wurde, von wo aus es dann zunächst für zwei Wochen nach Friedland in der Nähe von Göttingen ging, dem wohl bekanntesten deutschen Auffanglager für Flüchtlinge. Mitte Mai ging es dann weiter nach Köln, wo er in einem Asylantenwohnheim in Mühlheim untergebracht wurde, mit ihm circa 120 andere Flüchtlinge unterschiedlichster Herkunft. Seit Ende Juni besuchte er die Sprachschule, also gerade einmal sechs Wochen.

    Mir ging durch den Kopf, dass er ganz alleine in Köln war und vielleicht war das der Grund, warum er sofort Zeit hatte sich mit mir zu treffen. Offenbar war er über jeden neuen

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