Fastnacht-Mordtracht
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Buchvorschau
Fastnacht-Mordtracht - Bärbel Fotsch Jüngling
Kapitel 1: Die Vorbereitungen/ Hessen, Spätsommer 2016
Rike schlendert gerade gemütlich die Bahnhofstraße entlang. Feder-
leicht wie bei einem Ballett-Tanz schreitet sie voran, vorbei am Poli-
zeigebäude, bis sie schließlich die Ecke zur Einhardstraße erreicht.
Artig bleibt sie an der roten Fußgängerampel stehen. Sie hatte es einmal
gewagt, bei Rot schnell drüber zu huschen, da hatte auch schon der
nächste Autofahrer gehupt. Sie konnte damals ihren Hintern gerade
noch so auf die andere Seite retten. Das war ihr eine Lehre. Sie schwor
sich,nie wieder hier drüber zu huschen, denn dazu war sie sich zu scha-
de. Nachdem auch das fünfte Auto an ihr vorbei gefahren ist, geht die
Ampel endlich auf „Grün" über. Auf der anderen Seite angekommen,
sieht sie von weitem eine asiatische Gruppe. Welche Asiaten es sind,
konnte sie nicht erkennen. Vermutlich kommen sie gerade von einer
Besichtigung der Basilika oder des Klostergartens. Aber es freute sie
immer wieder, wie viele Touristen ihren Weg in die Einhardstadt finden.
Als sie das Kino passiert hat, zieht sie ihre Strickjacke enger zusammen.
Es war zwar erst September, aber man merkt langsam doch, dass der
Herbst im Anmarsch ist. Noch sind es so um die 18 Grad, aber es würde
nicht mehr lange dauern und die Kälte würde sich durchsetzen. Aber das
war auch gut so. Denn Kälte gehörte schließlich zu ihrer liebsten Jahreszeit.
Auf dem Marktplatz herrscht wieder einmal reges Treiben. Leute, die
noch gemütlich auf den Außenplätzen der Cafés sitzen, Rentner, die auf
der Bank den neuesten Tratsch austauschen und hektische Mütter, die
mit ihren Kindern offensichtlich zu ihren Terminen eilen. Doch zum Glück
gehört sie heute nicht dazu. Am kleinen Schmucklädchen wirft sie einen
Blick in das Schaufenster. Heute sind silberne Ketten mit wunderschönen
opalförmigen Anhängern und goldene Armbanduhren ausgestellt. Als
Rike noch so verträumt den Schmuck betrachtet, fällt ihr auf einmal ein,
dass sie eigentlich gar keine Zeit zum Bummeln hat. Sie dreht sich um
und schaut auf die große Turmuhr vom Rathaus. Es ist mittlerweile fünf
vor sechs. Jetzt muss sie sich aber sputen, damit sie nicht
zu spät kommt. Schnell nimmt sie die Beine in die Hand, rennt über den
Marktplatz, vorbei an dem Laden „Schaurein" und zischt die Gassen
entlang, bis sie schließlich vor einem großen Haus mit der Leuchtre-
klame „Karnevalsmission" steht. Leicht aus der Puste betritt sie das
Lokal.
„Hallo Rike!", begrüßt sie Kurt, der Wirt.
„Hallo Kurt. Wie geht es dir?"
„Eigentlich ganz gut. Und genug zu tun ist auch. Du weißt ja, wo
du hingehen musst!?"
„Na klar", sagt Rike und zwinkert ihm zu. „Bringst du mir eine Apfel
schorle?"
„Natürlich. Oder hast du schon jemals gehört, dass ich meine Gäste
verdursten lasse?"
Rike lacht und geht geradeaus auf den großen Saal zu. Als sie ihn betritt,
hebt Gregor gerade seinen Kopf und schaut Rike geradewegs an.
„Na, endlich. Das wird auch Zeit." Rike setzt sich zwischen Marion und
Dunja auf einen freien Stuhl.
„Ich bin noch pünktlich", sagt sie und nickt mit ihrem Kopf, wie ein Schul-
kind, das sich vor seinem Lehrer rechtfertigt.
„Schon gut. Das bin ja von dir nicht anders gewohnt." Er hebt die Augen-
brauen und wirft Rike einen kritischen Blick zu.
Nachdem auch Rike ihre Apfelschorle hat, schließt Kurt die Tür.
Gregor sortiert seine Unterlagen und schaut in die Runde. „Fangen wir an.
Der erste Punkt betrifft die Musik in der Sitzung.
Kann jemand eine Stereoanlage organisieren?"
„Ich", meldet sich Frank. „Tobias spielt mit in der Schulband. Die leihen uns
die Anlage gegen Vorlage unsrer Haftpflichtversicherung aus."
„Sehr gut. Ich lasse dir in den nächsten Tagen eine Kopie einwerfen.
Wie sieht es mit dem Transport aus?"
„Auch kein Problem. Mein Schwager hat einen Kleinbus. Mit dem
bringen wir die Anlage."
„Na, dass höre ich doch gern", sagt Gregor und kratzt sich an seiner
linken Geheimratsecke.
Rike muss gähnen. Sie ist so müde. Aber noch musste sie sich
zusammenreißen. Die Besprechung ist wichtig. Sie trinkt einen Schluck.
„Wie ist es bei euch?" Er wirft Marion und Rike einen Blick zu. „Ihr
wolltet doch ein kleines Kabarett einstudieren."
„Ich bin noch nicht ganz mit dem Text fertig", antwortet Rike. „Aber
bald habe ich es geschafft. Spätestens Anfang Oktober können
wir mit den Proben anfangen."
„Dann halte dich ran. Ich will bei unserem nächsten Treffen schon
ein paar Szenen davon sehen."
„Ist gut."
„Ich habe übrigens noch zwei Laienkomiker engagiert. Zwei Studenten,
die sich während der Semesterferien was dazu verdienen wollen. Sie
kommen aber erst nach eurem Auftritt. Wer kümmert sich um die Gar-
derobe?"
„Das machen Lukas und Emely", meldet sich Dunja zu Wort.
„Sind Sie denn alt genug? Es wird sicher drei Uhr werden, bis die
letzten Gäste gegangen sind."
„Emely ist 17 und Lukas 15. Und eigentlich sind sie ja unter Aufsicht.
Anfangs kommen die Leute, nach der Feier gehen sie. Und zwischen-
zeitlich kommt sicher auch der ein oder andere Raucher um seine Jacke
zu holen. Ich kann ab und an ja auch nach Ihnen sehen. Wobei ich mir
nicht sicher bin, ob sie das überhaupt gut heißen würden."
„Du meinst, das klappt?" hakt Gregor nach.
„Natürlich. Emely ist schon reif für ihr Alter. Sie sagt Bescheid, wenn
was nicht stimmen sollte."
„Na gut. Ich vertraue dir. Wie sieht es mit der Deko aus?"
„Ich habe nachgesehen. Wir haben von letztem Jahr noch Hexenhüte,
Luftschlangen und Tröten. Helium, Konfetti und Luftballons muss ich
noch kaufen", meldet sich Frank zu Wort.
„Kann ich davon ausgehen, dass das bald erledigt ist?"
„Natürlich, Gregor. Ich bringe dir wie immer die Quittung mit."
„Wie sieht es mit unseren Musikern aus?"
„Ich habe leider noch keine Zusage, aber ich habe mich ins Zeug
gelegt und hoffe, dass die „Jügesheimer Lautstarken kommen.
„Das hoffe ich auch", sagt Gregor. „Sag mir Bescheid, wenn du eine
Antwort hast."
Frank nickt.
„Kommen wir zu den Eintrittskarten. Ich hatte an 7,00 € für Kinder und
11,00 € für Erwachsene gedacht. Wie letztes Jahr."
„Wenn die Lautstarken zusagen, müssen wir die auch einrechnen."
„Stimmt, Frank. Aber das können wir dann noch bei den Getränken
mit einrechnen. Wer überwacht eigentlich den Vorverkauf?"
„Das mache ich", ruft Dunja.
„Gut. Mit Computern hab ich´s nicht so."
Rike muss wieder gähnen.
„Da offensichtlich einige Mitglieder müde sind, machen wir für heute
Schluss. Wir treffen uns dann am Freitag, den 20.10. nochmal. Diesmal
schon um 17:00 Uhr. Wegen eurer Szenen!", sagt er und nickt Rike und
Marion zu.
„Dann besprechen wir auch die Kostüme, Frank. Trinken wir noch einen?"
„Gern. Ich komme gleich nach."
Als Gregor durch die Tür in den Gastraum verschwunden ist, sagt Frank:
„Das nächste mal sei bitte etwas ausgeschlafener, Rike."
„Du weisst doch, warum ich müde bin. Keine Sorge. Ich krieg schon
alles mit."
„Das will ich hoffen. Kommt ihr auch noch mit an den Stammtisch?"
„Ich nicht", sagt Rike.
„Ich auch nicht", stimmt Marion zu. „Wir müssen noch ein paar Dinge
wegen unserer Aufführung besprechen."
„Ist gut. Bis dann."
„Bis dann." Beide winken Ihm.
„Warum warst du denn wieder so spät dran?", fragt Marion und schubst
Rike am Arm.
„Zunächst war ich ja zeitig. Aber dann verflogen die Minuten doch
schneller als gedacht."
„Gib´s zu. Du hast wieder gebummelt", sagt Marion und schaut Rike
auffordernd an.
„Na ja. Ein bischen vielleicht", gibt Rike notgedrungen zu.
„Typisch für dich. Aber eigentlich muss das ja so sein. Sonst wärst du
nicht unsere Rike."
„Na siehst du. So erkennst du mich wenigstens immer."
Sie lachen.
Dann kommt plötzlich Silke in den Saal. Silke ist Kurt´s Ehefrau.
Sie hatten das Lokal vor vier Jahren übernommen. Und offensichtlich
klappte es gut, obwohl keiner von beiden vorab je in der Gastronomie
tätig war.
„Darf ich schon abräumen?", fragt sie.
„Natürlich", antwortet Rike.
„Und? Wie geht es dir so?"
„Na ja. So lala. Du weisst schon."
„Das klingt gar nicht gut. Hängt der Haussegen schief?"
„Es ist momentan einfach ein bisschen viel für mich."
Silke räumt die leeren Gläser auf das Tablett. „Das wird schon wieder.
Wie viel bin ich dir schuldig?"
„Es war nur eine Apfelschorle? Dann 2,50 € bitte."
Rike gibt Ihr das Geld. Nachdem auch Marion bezahlt hat, ziehen sie
ihre Jacken über und verabschieden sich noch von Silke.
Beim Gehen beobachtet Marion, dass Silke seufzend die Gläser
auf der Theke abstellt und gleich darauf wieder im Saal verschwindet.
Weil Marion noch auf die Toilette muss, wartet Rike draußen vor der
Tür auf Sie. Die Karnevalsmission ist eigentlich nichts anderes als ein
Dreifamilienhaus. Im ersten Stock leben Kurt und Silke. Wer oder was
im zweiten ist, wusste sie gar nicht und die unteren Räumlichkeiten
werden für die Gastronomie genutzt. Sie führen eine deutsche Küche
und meistens ist auch viel los. Gedankenversunken betrachtet Rike das
Parkdeck gegenüber. Eigentlich findet sie es schade, dass es die Stadt
vor 15 Jahren hier hatte bauen lassen. Es ist ca. 5,82 Meter hoch und
es gibt sowohl oben als auch unten Stellflächen. Gewiss, wir alle brau-
chen Parkplätze und für das Restaurant ist es auch gut, aber sie fand
es schade, dass dadurch die Sicht auf den schönen Steinheimer Turm
verdeckt wurde. Kurz darauf kommt Marion raus, tippt ihr von hinten
auf die Schulter und sagt: „Na, bist du wieder mal mit offenen Augen
am Träumen?"
Kurz zuckt Rike zusammen. „Klar. Was denkst du?", sagt sie lautstark.
„Wenn ich schon nachts nicht dazu komme." Sie lachen.
„Komm. Wir machen uns auf den Heimweg."
Sie schlendern gemütlich die Grabenstraße entlang.
„Und? Was macht Zoe so?" Zoe ist Marion´s Tochter.
„Frag nicht. So wie sie rumzickt, habe ich manchmal den Eindruck, ich
hätte nicht nur eine, sondern drei Töchter."
Rike lacht. „Meinst du nicht, dass du übertreibst?"
„Von wegen. Momentan kommt sie mir vor wie Poppy und Harriet in
Wild Child."
„Tja. Offensichtlich warst du als Teenager auch so."
„Wirklich witzig. Aber es dauert nicht mehr lange und meine Nerven
liegen blank."
„Das geht auch wieder rum. Durch die Phase müssen wir alle durch."
„Du kannst das leicht sagen. Du hast ja noch lange Zeit."
„Stimmt. Die werde ich auch genießen."
Mittlerweile sind sie wieder in der Bahnhofstraße angelangt.
„Wann wollen wir eigentlich proben?"
„Mir wäre Mittwoch recht. So um 16:00Uhr. Geht das bei dir auch?"
„Ja. Das passt. Bei mir oder bei dir?"
„Bei dir fände ich besser."
„Gut. Kaufst du uns Kostüme?"
„Groß müssen wir ja nichts kaufen. Ich brauche nur einen Faltenrock,
einen Blazer und eine passende Bluse. Und du kannst eh in zivil
kommen." An der Kreuzung zur Giselastraße trennen sich ihre Wege.
„Also, bis dann. Wir sehen uns."
„Klar. Was denkst du. Tschüss." Wieder muss Rike gähnen.
Rike geht geradeaus weiter und biegt rechts in die Eisenbahnstraße
ab. Am Bahnübergang konnte sie die Autofahrer immer förmlich
fluchen hören, wenn sie wegen der Fußgängerampel anhalten mussten.
Aber es ging nun mal nicht anders. Sonst hätte man keine Chance die
Straße zu überqueren, bei diesem Verkehr. Kurz darauf geht Sie noch
den Kortenbacher Weg entlang. Die Straße war eine der schönsten hier
in der Gegend. Die Häuser sind schön gebaut, die Straße war sauber
und es ist eine reine Fußgängerzone. So dass die Kinder mal ohne, dass
sich die Eltern Sorgen machen müssen auf der Straße toben können.
Das einzige, was den Anblick etwas trübt, ist die hier ansässige Pietät.
Aber es musste ja auch solche Menschen geben, sonst würden die ar-
men Verstorbenen noch wie in der Römerzeit im Wald und die Reichen
im eigenen Garten vergraben werden. Wobei sie ich in Ihrem Garten
sicher wohlfühlen würden. Auch unterirdisch. Sie lacht innerlich. Gleich
darauf geht Sie links in den Trieler Ring und biegt kurz darauf in den
Grießgrund ab. Jetzt hatte sie nicht mehr weit. Einige Meter weiter öffnet
sie die Tür zu ihrer Doppelhaushälfte. Malte und sie hatten sie vor drei
Jahren gekauft. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie sowohl ihre eigene
Mutter Lilo, als auch Maltes Mutter Ida damals ständig bezüglich des
Umzugs in Sorge waren. Aber nicht etwa wegen Rike oder Malte, son-
dern wegen Luca. Rike war zu der Zeit hochschwanger.
Wenn sie nur mal über den Randstein stolperte, kam praktisch schon das
Rettungsteam angerannt. Zumindest, wenn die beiden in der Nähe waren.
Insgesamt waren alle froh, als der Umzug innerhalb von 5 Tagen geschafft
war. Obwohl ihre Sachen nicht mal weit transportiert werden mussten.
Sie wohnten vorher in Hainburg.
Doch vor allem Rike war erleichtert, weil sie von da an auch mal wieder
alleine spazieren gehen konnte; ohne ihr „Bodyguardteam". Im Nachhinein
konnte sie nur darüber lachen. Das Schlimme war, kaum sind die Kinder
auf der Welt, schon stehen die Mütter nur an zweiter Stelle. Egal, ob man
wieder arbeiten gehen oder nur mal was alleine unternehmen will, immer
heisst es: „Du musst an dein Kind denken." Man hatte oft das Gefühl, man
durfte als Mutter kein Mensch mehr sein und sollte nur noch wie ein Roboter
fungieren. Doch Rike wehrte sich wehement gegen diese Ansicht.
Kaum hat sie das Haus betreten, schon kommt ihr auch schon Finja
entgegen.
„Mama. Da bist du ja endlich." Sie drückt Rike herzlich.
„Was heißt hier endlich? Es ist gerade mal 19:30Uhr. Ich war nur andert-
halb Stunden weg."
„Mir kam es viel länger vor."
Wenige Minuten später umarmt auch Luca seine Mutter. Zumindest ihre
Beine, denn weiter hoch kam er noch nicht; noch nicht.
Rike kommt bald darauf in das Wohnzimmer. Malte, der gerade am Tür-
bogen zur Küche hin steht lächelt sie an. „Jetzt will erst mal ich eine Um-
armung haben". Er geht auf sie zu. Sie lacht und drückt ihn herzlich.
„Nicht so fest!, sagt Malte. „Ich arbeite nicht wie du im Handwerk.
Sie schaut über seine Schultern auf den gedeckten Tisch.
„Ihr wart fleißig, wie ich sehe."
„Ja, Mama. Ich habe die Wurst aus dem Kühlschrank geholt",
sagt Luca stolz.
„Ich habe Papa mit dem Geschirr geholfen", tönt es aus Finjas Mund.
„Das ist lieb von euch. Kommt, setzen wir uns."
Sie essen zusammen Abendbrot.
„Und? Was habt ihr alles besprochen?", fragt Malte.
„Einiges. Von der Deko über die Garderobe bis hin zu unserem
Auftritt."
„Bist du demnächst mit dem Text fertig?"
„Ja. Bald können Marion und ich mit den Proben anfangen."
„Was ist das? Proben?", fragt Finja.
„Das ist sowas ähnliches wie ein Test."
„Das verstehe ich nicht."
„Wenn zum Beispiel eine Raubkatze ihrem Jungen das Jagen bei-
bringt, dann muss das Junge es irgendwann zum ersten Mal selbst ma-
chen. Nur so kann der Vater sehen, wie gut das Junge von ihm gelernt hat."
„Ja. Und?"
„Marion und ich üben in den Proben unseren Text, um zu sehen, wie
gut wir sind und um zu erkennen, was wir uns noch besser merken
müssen."
„Ach so."
„Deshalb bin ich vermutlich ab übernächstem Mittwoch auch jeden
Nachmittag bei Marion. Tust du mir den Gefallen und nimmst dir da
erst mal nichts vor?", fragt sie Malte und sieht ihn mit Hundeblick an.
„Schon gut. Der Mittwoch ist erst mal reserviert. Aber du weisst, mo-
mentan habe ich selbst viel um die Ohren. Es darf nicht noch mehr
werden."
„Ich weiß. Versprochen. Es wird nicht mehr. Danke, Schatz."
Wieder muss sie gähnen.
Sie räumen noch zusammen den Tisch ab.
„So. Heute ist es für euch spät geworden. Es geht gleich ins Bett."
„Och, das ist gemein, Mama."
„Ihr verkraftet das schon. Außerdem, auch Eltern müssen Vorteile
haben."
„Morgen ist doch keine Kita. Willst du es dir nicht nochmal überlegen?",
fragt Finja bettelnd.
„Nein, meine Kleine. Es muss sein."
„Hey. Ich bin schon groß."
„Natürlich. Entschuldige." Rike senkt ihren Kopf und schmunzelt heim-
lich. Etwas enttäuscht gehen die Kinder die Treppe hoch zum Bad. Nach
dem Zähneputzen geht Rike mit zu Finja ins Zimmer und Malte zu Luca.
Jeder darf sich noch eine Gute-Nacht-Geschichte aussuchen. Zehn Mi-
nuten später endet Finjas Geschichte.
„...und von da an herrschte Frieden im Land", beendet Rike den Text.
Rike klappt das Buch zu und stellt es ins Regal zurück. Wieder muss
sie gähnen.
„Du bist aber schon ganz schön müde."
„Du weisst warum. So. Schluss für heute. Jetzt wird geschlafen.
Gute Nacht."
„Gute Nacht."
Sie gibt ihr noch einen Kuss auf die Wange.
Wenige Minuten später tauschen sie und Malte das Zimmer, um jedem
der Kinder Gute Nacht zu sagen.
Unten im Wohnzimmer läuft schon der Fernseher.
Rike: „Ich lasse dich heute freiwillig was aussuchen. Ich werde eh nicht
bis zum Schluss durchhalten."
„Dann will ich heute einen Horrorfilm sehen", sagt er und lächelt sie
höhnisch an.
„Ist dir dein Alltag nicht genug Horror?", unkt sie.
„Komm schon und setz dich zu mir." Er zieht sie zu sich auf die Couch
und küsst zärtlich ihren Mund.
Liebevoll schaut sie ihn an. „Ich weiß gar nicht, womit ich so einen tollen
Mann verdient habe."
Malte lächelt. „Ehrlich gesagt, ich auch nicht."
„Hey. Nicht frech werden."
„Wieso frech? Gib´s zu. Du wolltest es doch so."
Rike und Malte schunkeln, schmusen und knutschen noch den ganzen
Abend auf der Couch. Dann, während einer leichten Drehung, als Rikes
Kopf auf Maltes Schultern liegt fällt ihr Blick auf die Terrassentür. Sie hält
inne und sagt: „Sieh mal. Was für ein wunderschönes Abendrot!", dabei
deutet sie nach draußen. Malte dreht seinen Kopf um und berührt dabei
versehntlich Rikes Nase.
„Autsch. Das hat weh getan."
„Sonst bist du doch auch nicht so zimperlich", erwidert er und grinst.
„Aber das heißt nicht, das ich aus Stahl bin."
„Nein. Aber dafür aus Stein", spottet Malte und lacht.
„Du frecher Kerl."
Er entschuldigt sich für das Versehen und schaut wie sie nach draußen.
„Du hast recht. Es ist wirklich wunderschön. Ich mag dieses rot auch.
Das ist romantischer als das knallrot von euren Lippenstiften."
Er dreht den Kopf wieder zu ihr, stupst sie mit seiner Nase, öffnet seinen
Mund und nur Sekunden später gleitet Rikes Zunge auf seine. Sie küs-
sen sich innig und schmiegen sich eng aneinander.
Von dem Film, den Malte ausgesucht hatte, sehen sie nur noch die
Schlussblende. Es ist mittlerweile 22:30 Uhr und Rike war zwischenzeit-
lich eingeschlafen. Nach den Spätnachrichten tippt Malte auf ihre
Schultern.
„Komm. Geh in dein Bett. Du schläfst sowieso."
Rike reibt sich die Augen. „Ich glaube, du hast recht. Ich gehe hoch."
„Schön, dass du vernünftig bist. Ich komme später nach."
Sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange, geht die Treppe hoch, schafft es
gerade noch ihre Zähne zu putzen und legt sich anschließend sofort in
ihr Bett.
Am nächsten Morgen wacht Rike entspannt und munter auf. Sie streckt
sich und schaut auf die Weckeruhr. Es ist 08:30 Uhr. Malte schläft noch
tief und fest. Sie zieht sich langsam ihre Joggingsachen über, kämmt im
Bad ihre Haare und geht leise die Treppe hinunter.
Nachdem sie den Tisch gedeckt hat, setzt sie sich ein paar Minuten drau-
ßen auf einen Gartenstuhl. Es war herrlich heute. Ein lauer Wind weht
um ihre Nase und die Sonne erwärmt leicht ihren Körper.
Das ist das optimale Wetter für sie. Eine Knallhitze wie in Australien war
einfach zu viel für sie. Sie legt ihren Kopf auf die Lehne, schließt ihre Au-
gen und träumt noch ein paar Minuten vor sich hin. Sie wusste, das einige
aus ihrem Bekanntenkreis diesbezüglich gern über sie spotteten. Aber sie
brauchte das einfach. Für sie war es wichtig mal ein paar Minuten abzu-
schalten und so ihrem Körper neue Kraft zu geben. Sowohl psychisch als
auch körperlich. Man konnte es mit einer professionellen Autoreinigung
vergleichen. Oft sahen die Wagen danach wie neu aus. Und so brauchte
Rike ihre Tagträume zum Kraft auftanken. Minuten später zieht sie ihre
Laufschuhe an, eine leichte Jacke über und schnappt sich ein paar Han-
teln. Zunächst läuft sie den Grießrund entlang um danach in den Trieler
Ring abzubiegen und geht den Radweg entlang Richtung Drogeriemarkt.
Das Powerwalking tat ihr immer wieder gut. Und irgendwie muss man
sich ja fit halten. Bald ist Winter. Dann wird wieder drinnen in der Gruppe
Yoga trainiert. Bei dem Dr.Herrmann-Neubauer-Ring geht sie noch ein
paar Meter über den Feldweg bis zur Fußgängerbrücke. Danach macht
sie kehrt. Auf dem Rückweg läuft sie die Dr. Ruth-Pfau-Straße entlang.
Als sie auf ihre Haustür zukommt, steigt ihr schon der Duft frisch geback--
ener Brötchen in die Nase. Malte war also aufgestanden. Sie kommt rein,
lächelt ihn verschmitzt an und sagt:
„Da hat wohl jemand ein gutes Frühstück für mich."
„Ja. Für heute und morgen reicht es noch. Aber am Montag musst du
wieder welche mitbringen."
„Wird gemacht. Ich gehe schnell die Hände waschen und ziehe mir was
anderes an. Sind die Kinder schon wach?"
„Schon längst, Mama. Wir warten nur noch auf dich!", tönt es aus dem
Wohnzimmer.
Rike lacht. „Ist gut. Ich beeile mich."
Kurz darauf sitzen sie gemeinsam am Esstisch.
„Und? Habt ihr gut geschlafen?"
„Ja, sehr gut", antwortet Finja.
„Ich auch", ergänzt Luca.
„Das freut mich. Wollen wir drei nach dem Frühstück zum Spielplatz
gehen?"
„Oh, ja", rufen beide begeistert.
„Und was ist mit mir?", fragt Malte.
„Ich dachte, du hättest dann mal wieder Zeit für anderes." Ihre Pupillen
schieben sich in die untere Iris.
Er wirft ihr einen fragenden Blick zu. Doch schon Sekunden später als
Rike die Erleuchtung in seinem Gesicht sieht, sagt er:„Eine gute Idee."
Auch Finja weiß, was Rike meint. Nur Luca darf es nicht erfahren.
Jedenfalls an manchen Tagen nicht. So wie heute. Das Wochenende ist
schnell um. In den letzten zwei Tagen wurde gespielt, gelacht und getobt.
Rike stöhnt, als am Montag um 1:00 Uhr ein leises Summen unter ihrem
Kopfkissen zu hören ist. Sie greift nach ihrem Handy und schaltet die
Vibration aus.
Sie hat absichtlich keinen Wecker. Schließlich muss Malte ja nicht auch
um diese Zeit geweckt werden.
Sie zieht sich an und geht ins Bad. Sie wascht ihr Gesicht, trägt ihre Tages-
pflege auf, kämmt das Haar und bindet es zu einem Pferdeschwanz zusam-
men. Unten in der Küche trinkt sie noch ein Glas Wasser. Kaffee würde es
auf der Arbeit noch genug geben. Schon bald zieht sie ihre Jacke über.
Draußen bläst ihr ein kalter Wind ins Gesicht. Sie schließt leise die Haustür
und geht los. Ihre Arbeit ist schnell zu Fuß zu erreichen. Deshalb hatten sie
auch nur ein Auto. Damals, als sie und Malte zusammen zogen, hatte sie
schweren