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Das Trauerspiel der Schwarzen Witwe: Hallsteins dritter Fall
Das Trauerspiel der Schwarzen Witwe: Hallsteins dritter Fall
Das Trauerspiel der Schwarzen Witwe: Hallsteins dritter Fall
eBook303 Seiten4 Stunden

Das Trauerspiel der Schwarzen Witwe: Hallsteins dritter Fall

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Über dieses E-Book

Also das kennt man ja schon, Bruno Hallstein wieder mal auf detektivischen Abwegen. Diesmal hat es ihn in einen Ostseebadeort verschlagen, wo er seinen Cousin besucht, wie immer zu Ostern. Knapp einem Attentat entgangen, versucht er die Hintergründe zu erforschen und die Täter zu identifizieren. Dummerweise unterschätzt er die Gefährlichkeit der Schwarzen Witwe, vielleicht auch weil sie an der Ostsee eher selten vorkommt. So wird aus einem vermeintlich terroristischen Anschlag schnell ein Gespinst aus ostholsteinischer Korruption, Geldgier und Eifersucht, eine gefährliche Kombination, wie Bruno Hallstein ganz schnell merken wird.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Dez. 2015
ISBN9783738052039
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    Buchvorschau

    Das Trauerspiel der Schwarzen Witwe - Jürgen Heller

    Vorbemerkung

    Die Handlung in dem vorliegenden Roman ist vollständig frei erfunden, ebenso alle auftretenden Darsteller und ihre Namen. Entstehende Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt. Lütjenbrook, der eigentliche Ort der Handlung, ist fiktiv aber in die real existierende Landschaft des Kreises Ostholstein eingebettet. Ich gebe gerne zu, dass mich einige Badeorte an der Ostsee zu der Geschichte inspiriert haben. So besteht die Gefahr, dass dem eingeweihten Leser die eine oder andere Situation bekannt vorkommt. Das konnte ich leider nicht verhindern.

    Jürgen Heller

    Berlin, Donnerstag, 05.04.2012

    Bruno Hallstein schiebt den leeren Teller etwas von sich weg, wischt sich die Lippen mit der bisher unbenutzten Stoffserviette ab und greift nach dem Glas mit dem restlichen Rotwein, Blaufränkisch vom Neusiedlersee, Jahrgang 2009. Zufrieden mit der Welt und seiner Getränkewahl genießt er die charaktervollen Aromen noch immer, obwohl der Wein die Geschmacksnerven in seinem Mund längst passiert hat. Er lehnt sich entspannt gegen die Stuhllehne zurück und beobachtet das Geschehen im Lokal. Er war lange nicht hier, wobei lange den Zeitraum von maximal einer Woche beschreibt. Hier, bei seinem alten Kumpel Harry, der die 'Mühle' jetzt schon im fünfzehnten Jahr betreibt, ist er Stammgast, anfangs nur wegen der Freundschaft, später aber auch wegen der ausgezeichneten Küche und der sehr speziellen Weinkarte. Am Anfang stand Harry, immerhin ausgebildeter Koch und Konditor, noch selbst in der Küche, aber im Laufe der Jahre hat er seinen Schwerpunkt mehr und mehr in Richtung Gästebetreuung verlagert, also am Stammtisch sitzen und mit den Gästen plaudern, dabei ab und zu auch mal einen mittrinken. Heute sitzt er allerdings nicht mit am Tisch, sondern in einem Flieger nach München. Wenigstens seine Sylvia hat Harry zurückgelassen. Das ist für Bruno eine sehr angemessene Entschädigung, denn normalerweise begleitet sie ihren Harry auf allen Reisen, aber nicht, wenn der seine Tochter besucht. Die beiden Frauen mögen sich nicht besonders. Tina ist damals nach der Scheidung ihrer Eltern bei der Mutter geblieben und sah Jahre lang in ihrem Vater einen Schurken, der Frau und Kind verlassen hatte. Vor fünf Jahren stand sie dann plötzlich vor der Tür, wollte ihren leiblichen Vater besuchen. Sie hatte im Laufe der Jahre, die durch die einseitige Erziehung der Mutter geprägt waren, eine neue Sicht der Dinge entwickelt, eine attraktive junge Frau, die inzwischen in München Sport studierte und ein eigenes Leben führte, nicht mehr an Mamas Rockzipfel. In ihrer Beziehung zu ihrem Vater hatte sie viel nachzuholen, und Harry war geradezu närrisch, wollte alles wieder gut machen, ging natürlich nicht. Inzwischen hat die Zeit aber alte Wunden verheilt und Vater und Tochter haben ein normales Verhältnis. Nur mit Sylvia mochte Tina nicht Frieden schließen, da kam dann doch das alte Gespenst der zerstörten Familie wieder hervor. Obwohl Sylvia erst sehr viel später in Harrys Leben trat, war sie für Tina doch so etwas wie das Symbol für die Untreue ihres Vaters. Einmal im Jahr besucht Harry sie in München und mindestens einmal im Jahr kommt Tina nach Berlin, meist in den Semesterferien. Bruno hat sie hier schon als Bedienung genießen dürfen, kann sich noch sehr gut an ihren koketten Gang erinnern und an ihr Goldkettchen mit dem Kreuz, das ihn von einer strategisch wichtigen Stelle aus ermahnte, seine Blicke zu kontrollieren. Da wusste er allerdings auch noch nicht, dass sie Harrys Tochter war.

    Bruno macht sich bemerkbar, indem er den Arm mit dem leeren Glas in der Hand in Richtung Tresen erhebt. Sylvia reagiert umgehend, obwohl sie gerade in ein Gespräch mit Herrn Schneider verwickelt ist. Herr Schneider kennt das aber, schließlich sitzt er jeden Abend dort und schüttet der guten Sylvia sein Witwerherz aus, das zu Beginn immer traurig, spätestens nach dem vierten Bier aber das Herz eines galanten älteren Herrn ist, der sie dann nicht selten mit charmanten Komplimenten überhäuft, sozusagen mit ihr flirtet, auf seine Art. Für Sylvia ist es kein Problem, bei diesem Spiel mitzuwirken, wie sie überhaupt jedem hier zuhört, zur Not auch die Beichte abnimmt. Sie ist wie gemacht für diesen Job, immer aufmerksam, für jeden Gast ein nettes Wort, oder sagen wir mal für fast jeden, und nicht zu vergessen, ihre Wirkung, also die auf Männer. Bruno kann es gar nicht so richtig einordnen, sie verkörpert so eine Mixtur aus Diva und Märchenfee, könnte, wenn sie denn wollte, mit Leichtigkeit jedem Mann den Kopf verdrehen, kann aber auch auf so unnahbar umschalten, dass man sich gar nicht getraut sie anzusprechen. Seit Bruno sie kennt, ist sie für ihn die Messlatte, wobei Messlatte natürlich ein etwas fragwürdiges Kompliment. Aber so müssen Frauen sein, genauer gesagt, müsste seine Frau sein, die anderen sind ihm ja egal. Ziemlich sicher aus diesem Grund ist er immer noch allein. Da gab es mal eine Carla mit 'C', seine aristokratische Ex-Freundin mit italienischen Wurzeln, dann die bildschöne Anita aus dem Stubaital, die ihm sogar ganz unverhohlen eine Wohnung in ihrem Haus angeboten hat, und nicht zu vergessen Sara Anschütz, die Polizistin, die er anhimmelte, die aber auch so unerreichbar schien, dass er manchmal schon dachte, sie würde eher mit Frauen…, aber egal, Fakt ist, Bruno lebt immer noch allein in seiner großzügigen Tegeler Dreizimmerwohnung. Selbst seine derzeitige Beziehung zu Karla mit 'K' ist eigentlich gar keine richtige Beziehung. Obwohl er sie wirklich sehr gerne hat und sie ihn wahrscheinlich sogar liebt, kann er den letzten Schritt nicht gehen, noch nicht, wie er sich immer wieder einredet. Sie wartet nur darauf, das weiß Bruno, und sie ist sicher auch eine Hammerfrau, wie Harry immer sagt. Der wundert sich deshalb auch, dass Bruno so lange zögert. Dabei muss der das gerade sagen, befinden sich Sylvia und Harry doch selber noch in der Warteschleife. Beide haben ihre eigene Wohnung, beide ziehen sich auch ab und zu dorthin zurück, um allein zu sein. Vielleicht ist es doch eine Frage des Alters…

    Ach ja, Karla. Was du jetzt wohl machst? Warum habe ich dich eigentlich nicht zum Essen eingeladen? Jetzt hänge ich wieder allein hier rum und starre der Freundin meines Freundes hinterher, lasse meiner Fantasie freien Lauf und weiß doch, dass zwischen uns nie etwas laufen wird, weder von meiner noch von ihrer Seite aus. Aber hinschauen muss ich schon, diese roten Haare…

    Na Bruno, hat's geschmeckt? Ich hab dir schon mal einen neuen Wein mitgebracht, hab ich doch richtig verstanden, oder?

    Jaja, alles bestens. Das Essen war übrigens Spitze, dein Sohn wird immer besser. Hast du nachher mal ein paar Minuten für mich? Ich bin so einsam.

    Ach je, kleinen Moment noch, Bruno, ich muss mich erst mal um Herrn Schneider kümmern, der hat es nötiger als du. Der nimmt höchstens noch ein Bier, dann geht er sowieso. Die anderen Gäste beschäftigen sich ja mit sich selbst. Aber warte, ich werde dich schon mal von dem alten Geschirr befreien.

    Geschickt stapelt sie die zwei kleinen Schüsseln auf den Teller und legt das Besteck dazu. Dann schenkt sie Bruno noch ein kleines Lächeln und balanciert alles zu einer Durchreiche zur Küche. Brunos Blicke folgen jeder ihrer Bewegungen, Harry ist ja nicht dabei und Sylvia hat hinten keine Augen. Sonst würde Bruno selbstverständlich auch nicht so ungeniert starren, wirklich nicht. Ein Schlückchen Wein bringt ihn auf andere Gedanken.

    Eines ist irgendwie eigenartig, alle Frauen, die so auf meiner Festplatte gespeichert sind, haben eines gemeinsam, sie stehen allesamt im Zusammenhang mit meinen kriminalistischen Verwicklungen in der Vergangenheit, bis auf Sylvia und natürlich Anna, meine Anna hinter den Bergen. Aber die beiden haben auch etwas gemeinsam, sie sind vergeben, quasi out of Zugriff. Da wird auch nicht dran gerüttelt Bruno! Lieber noch einen wönzigen Schlock… Aber noch einmal, das könnte doch der Grund sein, also, wie soll ich sagen, dass ich noch solo bin, oder? Detektive können sich keine feste Bindung erlauben. Mensch, wenn mir mal was passiert, die arme Witwe…, nicht auszudenken.

    Bruno beobachtet, wie Herr Schneider bezahlt und sich dann von Sylvia mit einem Handkuss verabschiedet.

    Handkuss? Hier in der Mühle? Man, der hat's ja drauf, hat er bestimmt mal in einem Film mit Hubert von Meyerinck gesehen. Muss ich auch mal üben, vielleicht stehen Frauen auf sowas…

    So, mein Lieber, jetzt habe ich ein wenig Zeit. Aber ich muss mich da auf die Bank setzen, damit ich alles im Blick habe. Lässt du mich mal?

    Bruno erhebt sich, um Sylvia vorbeizulassen, aber Achtung, Schlitzohr, er lässt ihr gerade so viel Platz, dass sie ganz schön dicht an ihm vorbei muss. Sie tut es ohne zu zögern. Es kommt ihm einen Augenblick sogar so vor, als ob sie ihm ganz kurz ziemlich tief in die Augen blickt, vielleicht auch für den Bruchteil einer Sekunde stehen bleibt, aber das reicht schon, um Bruno eine schlaflose Nacht zu bereiten, er weiß es nur noch nicht.

    Möchtest du nichts trinken? Ich lade dich ein.

    Danke, Bruno, das ist lieb von dir, aber stell dir vor, ich würde jede Einladung zu einem Getränk annehmen…, und Cola oder Limo mag ich nicht, auch kein Kaffee am Abend.

    Schade, sonst müsstest du nochmal an mir vorbei. Muss ich wohl selber noch einen bestellen.

    Wie geht es dir eigentlich? Was macht denn deine Karla, oder seid ihr nicht mehr zusammen? Ist wirklich 'ne tolle Frau, passt auch gut zu dir. Also ich mag sie.

    Was heißt zusammen? Wir sind schon öfter zusammen, meistens am Wochenende aber…

    Das ist doch kein Zusammensein, Bruno, mach mal halblang. Worauf wartest du denn, dass du Pflegestufe Eins bekommst? Mensch, unsere Zeit läuft bald ab, das geht schneller als du denkst. Jetzt ist jetzt und hier und heute. Morgen kann schon sonst was geschehen sein. Harry und ich haben auch viel zu lange gewartet, das bereuen wir jetzt beide. Deshalb haben wir uns auch verlobt, schau hier.

    Sylvia hält ihm die linke Hand entgegen. Der weißgoldene Ring ist sehr schlicht und kommt gerade deshalb besonders zur Wirkung, auch weil es der einzige Ring an ihren Fingern ist.

    Ach, dann war das gar kein Handkuss von Herrn Schneider, sondern er hat deinen Ring taxiert und leider sieht er nicht mehr so gut.

    Du bist ein Quatschkopf, Bruno. Das war sehr wohl ein Handkuss. Herr Schneider ist eben noch von der alten Schule.

    Aber Verlobung? Auch alte Schule, oder? Wer macht das denn heute noch, und warum hat Harry mir das nicht erzählt? Schöner Freund. Braucht ihr keinen Trauzeugen?

    Nee, von Heirat ist ja nicht die Rede. Die Ringe sollen nur symbolisieren, dass wir zusammengehören. Ansonsten ändert sich nichts, das wollen wir beide so. Wir haben ja jeder ein erwachsenes Kind und wollen nicht durch eine Hochzeit die erbrechtlichen Angelegenheiten noch verkomplizieren. Du weißt ja, das mit der Tina ist sowieso schon schwierig genug. Willst du noch einen?

    Sie hat sich schon erhoben, wohl auch wegen dem Gast in der hinteren Ecke des Lokals, der sich schon ein paarmal nach der Bedienung umgesehen hat. Bruno steht auf und lässt ihr diesmal wesentlich mehr Platz, zollt der Verlobten seines Freundes den angemessenen Respekt.

    Verlobung. Wäre das eine Lösung für mich? Kann man sich eigentlich auch mit mehreren Frauen verloben oder ist das auch schon Bigamie? Mal Karla fragen, was sie davon hält. Aber wie sieht ein Ring an meinen Wurstfingern aus? Und gibt es so große Ringe überhaupt? Und wenn ich dann mit einem Verlobungsring durch die Welt ziehe, keine Frau wird mehr mit mir reden, höchstens nach dem Weg fragen oder wann der Bus kommt…

    Sylvia erscheint mit einem weiteren Rotwein und hat sich selber ein kleines Glas mitgebracht. Bruno erhebt sich wieder, um sie vorbeizulassen. Die Gasse ist wieder mehr auf Körperkontakt eingestellt. Verlobung ist keine ernstzunehmende Abgrenzung für ihn, das hat ja nun seine Analyse eben gerade klipp und klar ergeben. Sylvia schaut Bruno fest in die Augen und hebt ihr Glas, sozusagen Benimmregel, beim Anstoßen schaut man sich an. Bruno macht zwar Kling aber das mit dem fest in die Augen sehen, also da ist noch Luft nach oben. Wobei man nach vier Glas Rotwein natürlich immer den Nachteil hat, konzentriert zu sehen, ganz egal wohin.

    Na, hast du dir doch ein Gläschen eingeschenkt? Musst dir meinetwegen Mut antrinken, nicht wahr? Keine Sorge, ich bin ganz beherrscht, obwohl es nicht ganz einfach ist. Du bist schon eine, wo einem das Wegschauen nicht ganz leicht fällt, also ich meine…, du siehst schon verdammt gut aus.

    Mann, Bruno, stell dich doch nicht so an. Du sollst doch nicht wegschauen. Ich weiß doch, dass ich dir gefalle, aber man kann ja nun nicht jeden Menschen, der einem gefällt, gleich heiraten.

    Aber Verlobung!

    Sylvia muss lachen. Dadurch sieht sie in Brunos Augen noch schöner aus und durch den fünften Rotwein nochmal schöner. Ihm wird klar, er muss die Sache jetzt schnellstens abbrechen.

    Sag mal, wo ist übrigen Lucie? Hat Harry sie etwa mitgenommen?

    Nein, wo denkst du hin? Lucie ist hinten in der Wohnung. Mit der muss ich nachher noch raus, Gassi gehen. Wolltest du sie ein paar Tage übernehmen?

    Eigentlich sehr gerne, aber ich bin über Ostern gar nicht da. Ich will dann auch langsam mal los, muss morgen früh fit sein. Es geht an die Ostsee.

    Ostsee? Was machst du da denn? Ist das nicht noch viel zu kalt?

    Ach was, ich besuche meinen Cousin, wie jedes Jahr zu Ostern. Sonnabend gehen wir zum Osterfeuer, direkt am Strand. Das ist richtig gut und vor allen Dingen warm. Für Notfälle wird auch Glühwein angeboten. Also wenn es nicht gerade regnet…

    Dann mal viel Spaß, Bruno, ich hole mal deine Rechnung.

    Noch einmal muss sie an ihm vorbei und noch einmal genießt er es. Jetzt aber, er weiß nicht warum, fällt ihm Karla ein.

    Die könnte ich jetzt in die Arme nehmen. Die wäre froh, wenn ich es öfter täte.

    Draußen empfängt ihn ein kühler Wind. Bruno zieht den Reißverschluss seiner Jacke ganz hoch und verbirgt sein Gesicht bis zur Nase im Stehkragen. Die Hände hat er ebenfalls in den Taschen vergraben und so geht er den Weg nach Hause. Obwohl seit letzter Woche diese unsympathische Sommerzeit herrscht, ist es inzwischen stockdunkel, nur der volle Mond lugt ab und zu durch die vom Wind aufgerissene Wolkendecke.

    Scheiß Vollmond, werde ich wieder kein Auge zukriegen. Obwohl, genügend Bettschwere habe ich eigentlich…

    Tegel ist wie ausgestorben. Wahrscheinlich sind die Menschen schon in andächtiger Erwartung wegen des bevorstehenden Osterfestes. Aber irgendwie kann das auch nicht sein, weil Bruno erst kürzlich einen Fernsehbericht verfolgt hat, in dem ein Reporterteam einen Tag lang vor dem KaDeWe gestanden hat, um hunderte von Passanten nach der Bedeutung des Osterfestes zu befragen. Bruno mit seiner christlich geprägten Kindheit, abends beten, Lieber Gott mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm, im Religionsunterricht immer nur 'Sehr Gut' und dann auch noch getauft und konfirmiert, hat sich prächtig amüsiert. Kaum einer der Befragten wusste die richtige Antwort. Komischerweise waren etliche Bürger mit Migrationshintergrund, wie man heute so schön sagt, in der Lage, die richtige Antwort zu geben. Jaja, es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz und der Wiederauferstehung.

    Always look on the bright side of life…

    Lange nicht gesehen diesen Klassiker mit Monty Python, wäre doch jetzt angemessen. Aber was den religiösen Glauben betrifft, sind die Menschen auf der ganzen Welt ja völlig humorlos. Im Gegenteil, sie warten nur auf einen entsprechenden Anlass, um dann mit Hasstiraden und Gewalt an den jeweils Andersgläubigen Vergeltung zu üben, seit Jahrhunderten, das muss man sich mal bewusst machen. Was ist das eigentlich für ein Glaube, der die Intoleranz zum Gesetz erhebt und der die Rechtfertigung bietet für Unterdrückung, Bevormundung, Verfolgung und Vernichtung von Menschenleben? Wieviel zigtausend Menschen haben dafür schon ins Gras gebissen? Wer sagt eigentlich, dass dieser Gott lieb ist? Kann doch nur einer sein, der selber Böses im Schilde führt…

    Bruno merkt, wie eine Wut in ihm aufsteigt, denn fromm ist er schon lange nicht mehr. Dazu bedurfte es keiner Gehirnwäsche, nicht mal der skandalösen Affären mit missbrauchten kleinen Jungs oder selbstverliebter, prunksüchtiger Würdenträger. Allein der Auftritt der lila Kirchen-Topmanager, mit ihren durchgeistigten, scheinheiligen Gebärden und ihren qualmenden Ritualen bringt Bruno auf die Palme. Da hilft auch keine Fußwäsche.

    Fußwäsche als Symbol für den Dienst an den Armen, dass ich nicht gleich kotze. Sollen sie doch mithelfen dafür zu sorgen, dass es keine Armen mehr gibt auf dieser Welt. Im Gegenteil, sie treiben Steuern ein und genieren sich auch nicht, nach jedem Gottesdienst den Klingelbeutel rumgehen zu lassen. Die Füße könnten sich die Menschen selber waschen, wenn sie denn im Besitz von Wasser und Seife wären. Habe ich nicht Recht?

    Bruno wirft noch einen Blick in die Fernsehzeitung, muss irgendwie auf andere Gedanken kommen, sonst klappt das mit dem Schlaf schon gar nicht. Und als ob ihn jemand erhört hat, auf dem Bildschirm ein Vorbericht über die zu erwartenden Osterfeierlichkeiten. Beim Anblick des ersten Kardinals Brechreiz. Bruno schaltet die Kiste sofort wieder aus. Dann, im Kühlschrank, noch ein Bier.

    Das genehmige ich mir…, und dann könnte ich auch schon mal ein paar Klamotten zusammensuchen. Dann brauche ich das morgen früh nicht zu machen.

    Bruno holt aus der Rumpelkammer seiner Wohnung eine kleine Reisetasche und einen Koffer. Er stellt beides mitten auf den Esstisch. Dann sammelt er Wäsche und Kleidung für fünf, sechs Tage zusammen und stopft die Sachen hinein. Also stopfen ist jetzt nicht der richtige Ausdruck, im Gegenteil, er gibt sich sogar richtig Mühe, alles ordentlich zu verstauen, auch um zu vermeiden, dass er die Sachen später aufbügeln muss. Außerdem, als Ingenieur weiß er natürlich, dass ordentlich gepackt viel mehr in so einen Koffer hineinpasst. Überwältigt von seinem erfolgreichen Arbeitsanfall lässt er sich in seinen Lieblingssessel fallen, nuckelt an der Bierflasche und überlegt.

    Ob ich noch etwas für meinen Cousin und seine Frau mitnehmen sollte, so als Mitbringsel? Keine Idee… Wein wäre nicht schlecht, da bin ich auch ganz gut sortiert…, blöd nur, Michael trinkt keinen Wein. Ostereier? Nee, Ostereier sind was für Kinder…

    Das Telefon reißt ihn aus seinen Gedanken.

    Hallo Bruno, du bist doch noch wach oder? Ich kann nicht schlafen und dachte mir…

    Hallo, Karla, hast Glück, war gerade auf dem Weg ins Bett. Kannst nicht schlafen? Liegt bestimmt am Vollmond.

    Ja, kann sein, aber ich musste auch den ganzen Tag an dich denken. Wann sehen wir uns eigentlich mal wieder? Jetzt, wo Ostern ist…

    Hast du viel Zeit, oder? Bei mir sieht es allerdings nicht so gut aus, muss morgen an die Ostsee, zu meinem Cousin. Ist so eine alte Tradition, machen wir schon seit Jahren.

    Aha, Männerparty, verstehe. Da ist natürlich kein Platz für Frauen. Schade, ich dachte wir könnten mal gemeinsam etwas unternehmen. Ich wäre so gerne in deiner Nähe.

    Bruno überlegt kurz, ob er sie nicht einfach mitnehmen sollte. Jeder andere Mann würde sich nach Karla verzehren, aber Bruno zweifelt wieder Mal an sich selbst, an seine Gefühle zu ihr, an der Echtheit ihrer Zuneigung, schließlich ist er fünfzehn Jahre älter als sie, kurz gesagt, er überlegt, ob die Welt nicht doch eine Scheibe ist.

    Naja, Männerparty, ich weiß nicht, ob es das trifft. Mein Cousin ist fast so alt wie ich, da wird aus Party schnell Reha. Aber ich mache dir einen Vorschlag, wenn ich zurück bin, feiern wir unsere Verlobung! Ist das 'n Ding?

    Berlin, Freitag, 06.04.2012

    Es ist schon ziemlich spät, also jedenfalls wesentlich später als geplant, aber Bruno ist einfach nicht aus dem Bett gekommen. Das war aber irgendwie nicht anders zu erwarten, hat er doch bis vier Uhr morgens wach gelegen, konnte einfach kein Auge zumachen, oder genauer gesagt, zumachen schon, nur der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen. Ursachen gab es einige, einmal der dämliche Vollmond, der schon alleine dadurch, dass er im Kalender verzeichnet ist, vielen Menschen den Nerv, beziehungsweise den Schlaf raubt. Da kann die Wolkendecke so dicht sein wie sie will, Vollmond ist Vollmond, auch wenn er nicht zu sehen ist. Dann dieses Geplänkel mit Sylvia. Das beschäftigte seine Gedanken doch mehr als ihm lieb war, und zum Abschluss das Telefonat mit Karla, das in einem völlig überraschenden Schachzug endete, auch für ihn selbst. Welcher Verlobungsteufel hatte ihn da nur geritten? Er zerbrach sich das Gehirn, aber es wollte ihm einfach nicht einfallen, wie Karla reagiert hatte. Hat sie überhaupt reagiert, irgendetwas dazu gesagt? Summa summarum wirklich keine guten Voraussetzungen für einen erholsamen Schlaf.

    Bruno fährt auf der A24, vor der Wiedervereinigung ehemalige Transitstrecke Berlin-Hamburg, Richtung Nordwesten. Noch fünf Kilometer bis zur Raststätte Walsleben bei Neuruppin. Das große Hinweisschild motiviert ihn, eine verspätete Frühstückspause einzulegen. Um wieder etwas Zeit zu gewinnen, hatte er auf das morgendliche Frühstück verzichtet, hatte sowieso nichts Vernünftiges im Haus. Es ist schon fast Mittag und deshalb vielleicht entschuldbar, dass in der Glasvitrine am Tresen nur noch zwei verwelkte Käsebrötchen liegen. Der dunkelgelb schwitzende Käse hat sich an den Enden etwas nach oben gebogen, quasi letztes Aufbäumen: nimm mich mit, ich vertrockne sonst. Am schlimmsten aber das Salatblatt, das kraftlos unter der Käsescheibe herunterhängt, von dunklen Flecken durchzogen. Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht sich Bruno fragend um, was es sonst noch gibt und registriert an der Wand hinterm Tresen ein Plakat mit Farbbildern der angebotenen Speisen, Bockwurst mit Senf und Brot, Soljanka, Currywurst mit Pommes und quaderförmigen Fisch mit Remoulade und Bratkartoffeln. Er überlegt kurz, ob er nicht die nächste Raststätte aufsuchen sollte, befürchtet allerdings ein ähnliches Bild. Es gibt sie eben immer noch, die Überbleibsel der alten DDR. Diese Raststätte jedenfalls holt die Erinnerung zurück. Nur die Intershop-Läden sind nicht mehr da, diese ehemaligen Devisenbeschaffer der DDR, wo man für harte Währung westliche Genussmittel und Luxusartikel kaufen konnte, Schnaps, Zigaretten, Parfüm, Uhren, auch Markenkleidung. Aufgrund der wesentlich niedrigeren Preise kauften die meisten Transitreisenden hier ein, ohne sich einen Kopf zu machen, dass sie dadurch den 'Real existierenden Sozialismus' unterstützten. Bruno war da keine Ausnahme. Aber Schnee von gestern, dann schon lieber noch weiter zurückgeschaut, denn zu Brunos Lieblingslektüre gehören Fontanes 'Wanderungen durch die Mark Brandenburg'. Das Kapitel 'Die Grafschaft Ruppin' ist ihm in guter Erinnerung, und er wollte schon immer mal in diese geschichtsträchtige Gegend reisen, sozusagen mit Fontanes Reiseführer auf den Spuren der Familie Zieten, des Karl-Friedrich Schinkel und nicht zuletzt des Dichters selbst, allesamt untrennbar mit Ruppin verbunden. Bisher ist es aber bei der Absicht geblieben, und die wird auch immer nur dann aufgewärmt, wenn er hier mal auf der Autobahn vorbeikommt. Wie auch immer, das Thema ist nicht geeignet, um ihn auf andere Gedanken

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