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Das Gedächtnis der Organe: Ein Roman aus dem Jahre 2266
Das Gedächtnis der Organe: Ein Roman aus dem Jahre 2266
Das Gedächtnis der Organe: Ein Roman aus dem Jahre 2266
eBook321 Seiten4 Stunden

Das Gedächtnis der Organe: Ein Roman aus dem Jahre 2266

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Über dieses E-Book

Der Roman beschreibt in einer sehr dramatischen Schicksalsverknüpfung einer Anzahl von Personen die Auseinandersetzung mit der Problematik der Organspende.
Zeit und Raum relativieren sich und offenbaren ihre einzige Realität in der individuellen Geschwindigkeit des betreffenden Wesens - von Leben zu Leben. Und zu dieser Geschwindigkeit gehört das Gedächtnis der Organe. Denn wir leben nicht alleine im Kopf, sondern – wie jeder Liebende weiß – auch im Herzen und in den übrigen Organen. Diese gehören letztendlich sogar mehr zu uns als unser Gehirn. Aber das Herausfinden dieser Tatsache gestaltet sich innerhalb des vorliegenden Romans zu einem wirklichen Krimi, der bis ins Untersinnliche und Übersinnliche reicht und nicht nur gelesen, sondern erlitten werden kann.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Apr. 2013
ISBN9783847632597
Das Gedächtnis der Organe: Ein Roman aus dem Jahre 2266

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    Buchvorschau

    Das Gedächtnis der Organe - Siegfried Ahlborn

    Die Vorbereitung

    Wir schreiben das Jahr 2266 und ich weiß nicht wie ich beginnen soll eine Geschichte für das Jahr 2012 zu schreiben. Im Grunde genommen ist es ja auch zu spät. Aber begonnen hat die Geschichte – laut meines Urgroßvaters – im Jahre 2012. Sie hätte nur auch damals schon geschrieben werden müssen.

    Dieses überlegend, will ich mich gerade wieder von meinem Arbeitsplatz erheben, da summt der Türspion und kündet mir per Video einen Regierungsbeauftragten für Gesundheit an. Sofort wollen meine Knie weich werden, aber ich rufe mich zur Räson und meine Knie halten stand. Ich weiß schon, was der Mensch, der sich regelmäßig bei mir meldet, will. Er ist unterwegs um Menschen wie mich auf ihren Gesundheitszustand zu überprüfen, denn man will den Moment nicht verpassen, wo wir unsere Meinung ändern, oder tatsächlich so schwer erkranken, dass sie ihre Macht entfalten können. Oh ja, man ist ganz wild auf unsere Organe, auf die Organe von Menschen, von denen es nur noch ganz wenige gibt; von wirklich gesunden Menschen.

    Aber da steht der Herr vom Gesundheitsamt schon in der Tür und begrüßt mich mit Höflichkeit, aber auch mit einem lauernden Blick auf meine Gesundheit. „Guten Tag Herr Tanner, sagt er. „Wie geht es ihnen? „Gut, antworte ich mit Überzeugung. „Bitte setzen Sie sich doch. Er setzt sich an den kleinen runden Glastisch, der bei mir einladend in der Nähe der Tür steht, und ich setze mich zu ihm. Aber trotz der eigentlich jetzt geforderten Höflichkeit, biete ich ihm nichts zu trinken an. „Sie sind gesund? Diese Frage, die er dann an mich stellt – scheinbar ohne zu bemerken, dass ich ihm nichts angeboten habe – ist sehr direkt, aber ich versuche ruhig zu bleiben. „Ja, sage ich. „Ich bin gesund. „Sie haben immer noch nicht unterschrieben, fährt er fort. „Ich weiß, sage ich. „Aber ich bin auch jetzt noch nicht bereit zu unterschreiben. „Aber bald werden Sie es müssen, sagt er und klopft mit dem Zeigefinger auf seine Papiere. „Wir haben schon viel zu lange die Augen zugedrückt. Und das haben wir auch nur getan, weil Sie durch Ihren Urgroßvater einen besonderen Status haben und zu einer Gattung von Mensch gehören, die wir in einer gewissen Weise bewundern. Aber ich sage Ihnen: Treiben Sie es nicht zu weit.

    Ich neige mich zu ihm hinüber und sage ziemlich bestimmt: „Meine Freunde und ich, wir sind nicht für die Organspende. Auf jeden Fall nicht für die sogenannte Hirn-Tod-Spende, denn die Organe sind noch nicht tot, wenn sie dem Menschen entnommen werden. Verstehen Sie das? „Nein, ist seine Antwort, und ich sage abschließend, weil es ja doch keinen Sinn hat, mit ihm zu diskutieren: „Wir haben halt eine andere Anschauung und andere Werte, nach denen wir uns richten. „Ja, ich weiß, sagt er. „Und Sie wollen ja auch selbst keines bekommen. Warum nicht? „Ich glaube, das verstehen Sie nicht. Meine Antwort ist jetzt kurz und fast unfreundlich, denn ich weiß sehr gut, dass sein Weltbild meine Argumente nicht gelten lässt und dass ich sogar eher seinen Zorn erregen würde, als dass ich ihm begreiflich machen könnte, wo meine Freunde und ich den Sinn des Lebens sehen. Aber er ist bereits in Zorn und fragt mich in einem jetzt harten Ton: „Wo haben sich ihre Freunde versteckt? „Ich weiß es nicht, antworte ich bestimmt.

    Sein Gesicht, welches bei seinem Eintritt in meine Wohnung fast etwas verschämt blass ausgesehen hatte, bekommt eine rote Farbe und er zischt mich zornig an: „Das werden wir schon noch herausfinden. Sie können selber nur froh sein, dass Ihre Familie bei uns so hoch angesehen ist. Aber glauben Sie mir. Auch dabei ist die Grenze bald erreicht". Damit spielt er, wie auch schon vorher, auf meinen Urgroßvater an, dessen These von der Entwicklung des Menschen vor Jahren noch die Fachwelt in Atem gehalten hatte.

    Aber bevor ich weiter denken kann, schwenkt sein Ton um und er fragt mich fast flehend, indem er mir ein Papier hinschiebt: „Bitte unterschreiben Sie einfach. Sie würden mir einen großen Gefallen tun." Ich schaue ihn eine Weile an und habe fast ein wenig Mitleid mit ihm. Er gehört zu den Menschen, die ganz im System untergegangen sind und allen Sinn für eine höhere Entwicklung des Lebens verloren haben. Die Form ihrer Höherentwicklung liegt für sie nur in der Möglichkeit, immer genügend Ersatzorgane vorrätig zu haben. Und je gesünder diese Organe sind, desto sicherer ist ihr eigener Verbleib auf Erden. Aber er zeigt mir auch genau das, was die Gesellschaft in der letzten Zeit begonnen hat zu verunsichern. Er zeigt mir die Angst, die daraus resultiert, dass die Organe, die sich auf dem Markt befinden immer schlechter werden.

    Er selbst scheint sogar unter irgendeinem organischen Problem zu leiden. Denn, wenn er auch äußerlich gesund aussieht, weil er weder zu dick noch zu dünn ist, sich gerade hält und ein ziemlich harmonisches männliches Gesicht hat, das bestimmt jünger aussieht, als er in Wirklichkeit ist, so sieht man ihm doch an der Grundfarbe des Gesichtes und an der Ängstlichkeit seiner Haltung an, dass er mit irgendeinem Problem zu kämpfen hat. Und die Unterschrift auf dem Papier, das er mir hingeschoben hat, wäre bestimmt auch dazu geeignet ihn selbst zu beruhigen. Ich schaue es mir an, obwohl ich es schon viele Male gesehen habe. Es ist die Zustimmung zu einer Organspende im Falle eines gewaltsamen oder geplanten Todes.

    Und während ich auf das Papier schaue, kommen mir Zweifel, ob ich den Menschen im Jahre 2012 diese Situation, in der wir uns heute befinden, wirklich hätte zumuten dürfen.

    Allerdings hätten sie dann gewusst, was auf sie zukommt, und hätten es vielleicht verhindern können.

    Mit diesen Gedanken schiebe ich dem Beamten das Papier über den Tisch zurück und erhebe mich. Ein klares Zeichen, dass für mich das Gespräch beendet ist. Der Beamte zögert, erhebt sich dann aber widerwillig auch und geht zur Tür. Er hat verstanden. Deshalb braucht es auch nicht mehr vieler Worte der Verabschiedung. Wichtig ist ihm nur, mich noch darauf hinzuweisen, dass er bald wiederkommen wird.

    Ich schließe hinter ihm die Tür und setze mich in meinen Lieblingsstuhl, um nachzudenken. Gerne würde ich meinen Freunden gleich von der Begegnung erzählen, aber das wäre viel zu gefährlich. Egal, welchen Weg ich wählen würde, um mit ihnen zu kommunizieren, er würde wahrgenommen werden, denn die Überwachung heutzutage ist zwar nicht in allen Punkten erlaubt, aber – wenn man es darauf abgesehen hat – perfekt. Ich muss also warten, bis wir uns an dem verabredeten Termin treffen.

    Also frühstücke ich erst einmal, denn es ist noch früh. Zwar nicht mehr so ganz, und ich bin auch schon lange auf, aber viel früher kann ich noch nichts zu mir nehmen. Jetzt ist es zehn Uhr und um elf Uhr will ich mich in der Stadt mit einem Freund treffen und mich dann etwas umsehen, ob ich irgendjemandem meine Hilfe anbieten kann. Denn ohne einen Organspenderausweis bekommt man keine feste Anstellung. Die Krankenkassen haben da die Hand darüber. Sie nehmen niemanden mehr auf, der keinen Spenderausweis hat, und ohne Krankenkasse bekommt man keine Arbeit. So einfach ist das. Nur gut für mich, dass ich aus einer gut situierten Familie stamme. Denn selbst eine staatliche Unterstützung wäre an einen Spenderausweis gebunden.

    Kurz vor elf mache ich mich auf den Weg. Dabei wende ich mich aber nicht gleich in die Richtung, in der ich verabredet bin, sondern gehe erst ein Stück des Weges in die Gegenrichtung. Mittlerweile weiß ich ja ungefähr, wo die Kameras stehen. Hinter einer Brücke, die noch nicht überwacht ist, wende ich dann meine Schritte und begebe mich in das Café, in dem mein Freund auf mich wartet. In diesem Café gibt es noch keine Kameras und so sind wir unbeobachtet.

    Mein Freund ist mit mir der gleichen Meinung: der Meinung, dass die Organspende nicht zum Wohle, sondern zum Untergang der Menschheit führt. Und er diskutiert gerne mit mir über die Forschungen meines Urgroßvaters, der diese Theorie mit vielen Beispielen und Versuchen untermauert hat. Damals diskutierte man auch noch allgemein über diese Theorie und manche halten sie heute noch für bedenkenswert, doch durchgesetzt hat sie sich nicht, und so sind wir mit unseren Diskussionen ziemlich alleine und müssen auch immer darauf achten, nicht die Aufmerksamkeit der anderen Gäste des Lokals zu erregen.

    Denn vor Kurzem sagte er einmal ziemlich laut und aufgeregt zu mir: Wir sind von Grabräubern zu Organräubern geworden. Und die Gäste am Nachbartisch schauten irritiert zu uns herüber. So etwas darf einfach nicht passieren, dazu ist es zu spät. Früher, im Beginn dieser Entwicklung, also etwa im Jahre 2012, da hätte man so etwas vielleicht noch aussprechen dürfen. Aber heute ist es zu spät. Heute erregt man damit einen solchen Unmut, dass es besser ist zu schweigen.

    Mein Freund ist schon da, als ich das Café betrete, und winkt mir freudig zu. Und als ich an seinen Tisch trete, richten sich alle Augen auf uns. Nicht, weil mein Freund und ich eigenartig gekleidet wären, oder eine fremde Hautfarbe besäßen, sondern, weil wir uns von den anderen Menschen durch unser gesundes Aussehen unterscheiden. Wir gehören zu einer Menschengattung, die sich im Laufe der vorangegangenen Generationen in ihrer gesunden Menschlichkeit gehalten hat, und die anderen Menschen betrachten uns teils mit Neugier, teils mit Neid, aber auch teilweise mit Abneigung. Wir wissen das und sind es gewohnt.

    Würden sich die anderen Menschen dafür interessieren und uns einmal danach fragen, so müssten wir ihnen etwas sagen, was sie in Wirklichkeit gar nicht hören wollten, und so vermeiden wir es gefragt zu werden. Nur wenn jemand fragt, dem man ansieht, dass er wirklich interessiert und offen ist, so öffnen wir uns auch und berichten ihm von unserer Art des Lebens.

    Mein Freund ist, so wie ich, 60 Jahre alt. Das heißt, ich bin schon 63 Jahre alt. Aber das ist heutzutage, wo die Menschen fast 130 Jahre alt werden, noch kein Alter. Und wir wären durchaus noch viele Jahre als Organspender zu gebrauchen.

    Ulli, so heißt mein Freund, hat schon einen Kaffee für mich bestellt und kommt gleich zum Thema: „Ich brauche mich nicht mehr zu verstecken, sagt er. „Es ist vorbei. Wir sind aufgeflogen. Dabei schaut er mich tieftraurig an. Mit einer Traurigkeit, die man gar nicht in Worte fassen kann und die sich auch gleich auf mich überträgt. „Was ist passiert? frage ich mit belegter Stimme. „Meine Tochter hat sich den Arm gebrochen und muss ins Krankenhaus. Sie muss operiert werden.

    Ich erschrecke, denn ich weiß gleich, was das bedeutet. Ulli ist ein Freund, der so wie ich strikt gegen die Organspende ist und es bis jetzt geschafft hat, ohne diesen Ausweis durchs Leben zu kommen. Aber sein Kind würde, wie alle Erwachsenen, mit dem 16. Jahr als Organspender registriert werden. Deswegen wollte er sie mit 16 untertauchen lassen. Aber das ist jetzt vorbei. Denn seine Tochter Elena ist erst 14 und muss nun im Krankenhaus operiert werden. Und damit ist es vorbei mit der Untertaucherei.

    Zwar könnte sie auch später noch verschwinden, aber dann ist der Organspenderausweis schon erstellt, und würde in einer kritischen Situation zur Wirksamkeit kommen. Denn egal, wie und wo ihr etwas passiert. Sie würde erkannt werden, und ihre Unterschrift von damals würde immer gelten. Und eine vollkommene Identitätsänderung ist viel zu kompliziert und bedarf einer Menge krimineller Energie.

    Deshalb kann ich es sofort verstehen, wenn Ulli sagt: Es ist vorbei! Aber er ahnt natürlich nicht, was das auch in mir auslöst. Ich spüre, dass ich anfange zu zittern und ganz kalte Hände bekomme. Und vor meinem geistigen Blick ist es, als würde die Erde versinken. Denn ich weiß: jetzt muss auch ich etwas ändern. Jetzt ist es soweit. Jetzt darf ich nicht mehr länger warten.

    So sitzen wir uns gegenüber und keiner sagt ein Wort. Beide wissen wir, was das bedeutet. Ich starre in meinen Kaffee und sage schließlich. „Heute war der Abgeordnete vom Gesundheitsamt wieder bei mir. Er wollte mich unbedingt zum Unterschreiben bewegen. Aber ich habe ihm den Gefallen nicht getan. „Irgendwann werden sie Dich doch dazu zwingen, sagt Ulli und fügt hinzu: „Im Grunde genommen habe ich auch keine Lust mehr mich zu verstecken. Wenn man nur wüsste, wie das Ende aussieht, dann bräuchte man sich ja gar nicht zu sorgen. Wir müssen einfach nur so sterben, dass unsere Organe nicht mehr zu gebrauchen sind. „Du bist ein Traumtänzer, falle ich ihm ins Wort. „Irgendetwas wird von Dir immer zu gebrauchen sein. Und sind es auch nur die Nägel, die Haare oder die Knochen. Es wird Material gebraucht – viel Material. Ulli verzieht das Gesicht und meint dann lakonisch. Der Sinn unseres Lebens liegt also nur darin, ein wandelndes Ersatzteillager zu sein?! „Richtig, sage ich, „und frischer kann man es gar nicht haben. „Ich finde das grauenvoll, schüttelt sich Ulli. „Und wir können nichts dagegen tun. „Doch, sage ich. „Wir müssen endlich damit anfangen. Wir dürfen uns nicht weiter immer nur verstecken. Wir müssen kämpfen. „Das haben schon ganz andere versucht, entgegnet Ulli, der sehr erstaunt über meinen emotionalen Redefluss ist. So kennt er mich gar nicht. Aber das macht nichts. Manchmal ändert sich das Leben ganz plötzlich und unerwartet. „Alle, die gegen die Organspende gekämpft haben sind gescheitert, fährt er fort. „Glaubst Du wirklich, Du könntest jetzt etwas erreichen? Schau sie Dir doch an, die Menschen. Sie gieren nach dem Leben, das sie schon verloren haben. Sie gieren nach den Organen der anderen Menschen, weil sie glauben ihr Leben auf diese Weise wieder herstellen zu können. Sie sind wie Kannibalen, die ihr Heil im Fleisch des anderen suchen."

    „Sei nicht so hart, falle ich ihm ins Wort. „Aber es ist doch wahr, lässt er sich nicht stoppen. Er ist in Fahrt und die Ursache ist wahrscheinlich der Schmerz um die Tochter, die jetzt in die Fänge der Medizin gerät. „Die Menschen sind erbärmlich, fährt er fort. „Der einzige Sinn ihres kleinen, jämmerlichen Lebens liegt in der Jagt nach frischen Organen. Jeder glaubt, dass seine eigenen Organe nicht mehr gut genug sind, und beneidet den anderen um die seinen. Ich mache mir Sorgen um Elena. Die letzten Worte klingen wie ein verzweifelter Schrei. Und ich mache mir Sorgen um ihn.

    „Ich muss gehen, sagt er plötzlich. „In einer viertel Stunde kommen sie um Elena abzuholen. Ich bin nur hergekommen, um Dich zu informieren, und weil wir verabredet waren. „Darf ich mitkommen? frage ich ihn. „Ja, komm nur, sagt er. „Elena mag Dich und ist vielleicht ruhiger, wenn Du zugegen bist."

    Wir erheben uns, begleichen die Rechnung, indem wir unsere Kreditkarten durch den dafür vorgesehenen Schlitz am Ausgang des Cafés ziehen, und machen uns auf den Weg zu ihm. Weit brauchen wir nicht zu gehen, denn mein Freund wohnt ganz in der Nähe. Es sind nur zwei Straßen zu überqueren, auf denen die Fahrzeuge führerlos, durch elektronische Systeme gelenkt, hin und her flitzen. An den dafür vorgesehenen Stellen halten sie auf ein Signal hin an und wir können die Straße überqueren.

    Als wir uns dem Haus von Ulli nähern, sehen wir schon von Weitem, dass bereits der Krankentransporter vor der Tür steht. Ullis Frau ist aufgeregt und kommt uns entgegen. „Nun komm schon! ruft sie. „Elena wartet auf Dich. Wir beeilen uns und ich begrüße Ullis Frau Angela. Sie freut sich sichtlich, dass ich mitgekommen bin und begleitet uns ins Haus. Dort wartet Elena. Sie sitzt auf dem Schaukelsofa und sieht erbärmlich aus. Ich knie mich vor sie auf den Boden und frage: „Elena, was ist passiert? Sie weint. „Ich bin vom Pferd gefallen, schluchzt sie. „Das tut mir leid, wie konnte das passieren? „Ich weiß nicht, sagt sie. „Wotan wollte einfach nicht springen. Und dann hat die Reitlehrerin gesagt, ich solle die Peitsche nehmen. Aber das verträgt er nicht und hat mich abgeworfen. „Aber das musste die Reitlehrerin doch wissen, sage ich etwas überrascht. „Ja klar, heult Elena. „Das wusste die ganz genau. Das hat die extra gemacht. „Ach was, beschwichtige ich. „Sie wollte nur, dass Du ein Erfolgserlebnis beim Sprung hast. Deswegen gab sie dir diesen Rat. „Quatsch! ereifert sich Elena. „Ich hab genau gesehen, wie sie geguckt hat, als sie mir befahl, die Gerte zu nehmen. „Befahl? frage ich erstaunt. „Sie hat es Dir wahrscheinlich geraten, aber nicht befohlen. „Doch, das war ein Befehl. Ich wollte ja nicht, aber sie hat darauf bestanden."

    „Na ja, sage ich, denn diese Diskussion bringt uns jetzt nicht weiter. „Wo hast Du dir den Arm denn gebrochen? „Der Arzt sagt, dass es die Elle ist, mischt sich die Mutter in das Gespräch ein. „Komm jetzt Elena, das Auto wartet. Elena erhebt sich. Ihr langes, blondes Haar ist verschwitzt und noch gefüllt von den Sägespänen des Platzes, auf dem sie vom Pferd gefallen ist. Trotzdem kann man ihre außerordentliche Schönheit erkennen. Sie hat ein harmonisches Gesicht, große, blaue Augen und sinnliche aber nicht zu volle Lippen. Sie ist schlank und mittel groß. Und vor allem bewegt sie sich so ruhig und kraftvoll, dass es jeden Betrachter erfreuen muss. Nur der geschiente Arm stört diese allgemeine Harmonie. Und auch ihre Gesichtsfarbe ist verständlicherweise zurzeit nicht so frisch wie sonst. Sie ist blass und die Wangen sind von Tränen befeuchtet, und doch sieht man, wie stabil und gesund sie ist. Das sieht man heute einfach, denn man hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte angewöhnt, auf solche Merkmale zu achten. Sie zeigen den Status der Gesundheit der inneren Organe. Und auf die ist man heute besonders aufmerksam.

    Auf dem Wege zur Tür stützt sie sich auf die Mutter, die genau wie sie eine schöne und gesunde Frau ist, nur dass sie eine etwas dunklere Haarfarbe und braune Augen hat. Die blauen Augen Elenas stammen wohl von ihrem Vater, der ihr auch mit den blonden Haaren geholfen hat. Ulli steht noch immer in der Tür, in der er stehen geblieben ist, als ich das Zimmer betrat, und empfängt jetzt seine Tochter und seine Frau um sie zum Auto zu begleiten. Er ist groß und gut gebaut. Mindestens 1,80 m groß und ein ganz klein wenig korpulent. Für eine so junge Tochter ist er aber mit seinen 60 Jahren noch keineswegs zu alt, denn er ist rüstig und strahlt eine große Jugendlichkeit aus. In seinem Gesicht zeigt sich eine gelebte geistige Freiheit.

    Das Auto ist erreicht und die Familie setzt sich nach hinten in die bequemen Sitze. Sie nehmen Elena in die Mitte. Ich setze mich in die Sitzreihe vor sie und gebe dem Gefährt den Befehl uns ins Hospital der Stadt zu fahren. Dorthin hatte der Arzt Elena empfohlen.

    Auf dem Weg dorthin schweigen wir, und jeder hängt seinen Gedanken nach. Ulli denkt vielleicht an seine Beichte, die er leisten wird gegenüber dem Gesundheitsamt. Elena denkt an die Operation und daran, dass ihr das niemals hätte passieren dürfen, und die Mutter ..? Ich weiß es nicht. Ich versuche den Eindruck loszulassen, den der Bericht des Sturzes von Elena in mir ausgelöst hat. Ich weiß nicht, ich habe so ein eigenartiges Gefühl. So, als ob sich im Hintergrund eine sehr dunkle Wesenheit bewegte gleich einer Verschwörung.

    Nach und nach schaffe ich es diese Gedanken zu verdrängen und da sind wir auch schon beim Krankenhaus angekommen.

    Eine Schwester empfängt uns liebevoll, macht Elena Mut und führt uns gleich in das Zimmer, in welchem Elena nun für ein paar Tage unterkommen soll. Die Schwester ist ganz in Weiß gekleidet und hat ein kunstvoll geformtes weißes Hütchen auf. Sie sieht gar nicht aus, wie eine Krankenschwester, sondern eher wie eine Prinzessin. Es ist wohl die Sitte dieses Hauses, dass alles wie für Könige gemacht aussehen soll. Es sind auch keine medizinischen Geräte zu sehen, sondern nur kunstvolle Möbel und Bilder. Und tatsächlich ist es so, als würde einem beim Betreten dieses Hauses die Sonne aufgehen. Auch Elena scheint das zu spüren und ist plötzlich ganz gelöst und entspannt. „Sind wir alleine in diesem Haus? frage ich die Schwester, denn ich hatte auf dem Weg ins Zimmer keine anderen Personen gesehen. „Nein, nein, antwortet sie lachend, „das ist bei uns alles so gut organisiert, dass sich jeder Kunde wie privat und ganz persönlich aufgenommen fühlt. Bei uns ist der Kunde König. Aber jetzt lasse ich Sie eine Weile alleine, bis sie sich verabschiedet haben. Dann komme ich wieder und bringe dem jungen Fräulein etwas zum Lesen und etwas zum Essen. Später kommt dann der Arzt und wird das weitere Vorgehen mit ihr besprechen."

    „Ich möchte aber bei ihr bleiben, sagt die Mutter schnell. „Ja. Natürlich gerne, wenn Sie das wollen. Möchten sie auch etwas essen? „Ja, gerne, dann können wir zusammen essen.

    Als die Schwester das Zimmer verlassen hat, und ich mich auch zum Gehen wende, fasst mich Ulli am Arm und fragt: „Was soll ich denn jetzt sagen wegen des Spenderausweises? „Die Wahrheit, sage ich ganz spontan. „Die Wahrheit, denn in mir war angesichts der Ereignisse der Kampfgeist erwacht. Aber Ulli schaut mich verzweifelt an und auch Angela wartet auf eine Erklärung. Deshalb fahre ich fort. „Sag ihnen ganz einfach die Wahrheit. Ich werde Dir helfen. Ich habe mir vorgenommen zu kämpfen. So wie es jetzt ist, darf und kann es nicht weiter gehen. Ich habe noch ein wenig Einfluss durch meinen Urgroßvater. Den will ich nutzen, denn wenn wir jetzt keine Veränderung erreichen, werden wir es nie mehr können. Ich will erreichen, dass wir über unseren Körper wieder selbst bestimmen können. Dass es keinen Zwang mehr, sondern eine Freiwilligkeit gibt.

    „Das haben wir doch schon alles versucht, wirft Angela ein. Und Ulli ergänzt. „Das ist alles sinnlos. Es werden Organe gebraucht und man ist als gesunder Mensch heute seines Lebens nicht mehr sicher. Du hast ja einen Sonderstatus. Vor Dir hält man sich vielleicht zurück, aber unsereiner hat keine Chance.

    Das klingt sehr verzweifelt, aber ich will den Mut nicht fallen lassen, zumal er gerade jetzt mit einem neuen Elan in mir erwacht. Also nehme ich mir den Stuhl, der am Krankenbett steht, setze mich darauf und bedeute den anderen, sich auch zu setzen. Und dann sprudelt es aus mir heraus: „Ich muss es versuchen, und ich habe auch noch nicht alle Argumente meines Urgroßvaters auf den Tisch gelegt. Er hat mir Schriften hinterlassen, die ich jetzt an die Öffentlichkeit bringen muss. Und vielleicht hört man mir zu. Es ist unsere letzte Chance. Vielleicht, wenn es dazu kommen könnte, dass sich uns genügend Menschen anschließen, vielleicht können wir eine eigene Gruppierung bilden, ich meine eine eigenständige Partei. Dann hätten wir schon einmal einen gewissen Schutz."

    Bei meinen letzten Worten merke ich, dass die anderen anfangen ihren inneren Widerstand zu lockern. Also fahre ich fort: „Wenn wir jetzt nicht eingreifen, so wird es eine grauenvolle Jagd auf die letzten gesund gebliebenen Organe geben. Und die findet man bei uns. Ihr wisst warum. Nun, aber die anderen wissen es nicht, wenn wir es ihnen nicht sagen. Das ist ein Risiko, ich weiß, aber immer verstecken können wir uns auch nicht. Ich denke auch, dass wir gute Argumente haben: unsere Organe."

    Während ich so spreche, sehe ich das besorgte Gesicht Elenas und wende mich direkt an sie. „Mit Dir hat das im Moment nichts zu tun Elena. Du bist hier nur wegen Deines Armes. Das ist schnell gemacht. Aber Dein Vater und Deine Mutter wollen jetzt wissen, wie sie sich hier verhalten sollen. Und sie werden genau wie Du einen Spenderausweis bekommen. Doch ich werde in der Zwischenzeit für einen neuen Umgang mit diesem Ausweis kämpfen. Und Deine Eltern werden mir dabei helfen."

    Ulli und seine Frau nicken mir zu. Denn obgleich ich wie über ihren Kopf hinweg gesprochen habe, sind sie mir dankbar für diese Worte. Was sollen sie auch tun, angesichts der Situation.

    Nach einer Weile des Schweigens sagt Ulli: „Gut, so ist es denn jetzt so gekommen. Wir wollen das Beste daraus machen. Ich werde Dir helfen Widar, so nennt er mich in Anlehnung an meinen Urgroßvater Wilfried Darben. „Ich werde jetzt erst einmal unterschreiben. Und dann werden wir weiter sehen. „Ich bin auch dabei, sagt seine Frau Angela, „und ich habe sogar noch einen ganz besonderen Beitrag ... meinen Körper. Ulli reißt die Augen auf und ich zucke zusammen. Aber auch Elena schaut irritiert. Als die Mutter das sieht, beschwichtigt sie: „Nein, nein, nicht das, was ihr denkt. Ich meine nur als Beispiel für einen gesunden Körper. Aber lasst uns später darüber sprechen. Jetzt schauen wir erst einmal, dass bei Elena alles gut geht. Ihr Mann ist noch nicht vollständig beruhigt, aber

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