Zwischen zwei Welten: Autobiographische Schriften eines Irakers
Von Ali Mahan
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Buchvorschau
Zwischen zwei Welten - Ali Mahan
Über den Autor
Ali Mahan, geboren 1949 in Nadjaf/Irak, verbrachte dort auch seine Kindheit und Schulzeit bis zum Abitur. Seine Eltern waren Iraker iranischer Abstammung und wurden mit den Kindern zu Beginn des iranisch-irakischen Krieges in die Heimat seiner Vorfahren, den Iran, deportiert. Ab 1970 studierte er in Köln Mineralogie und promovierte in Chemie. Anschließend assistierte er an einem Lehrstuhl für Chemie in Köln, arbeitete anschließend als Lehrbeauftragter an der Fachhochschule München für anorganische und physikalische Chemie und arbeitete als Chemiker in der Industrieforschung. Seit den neunziger Jahren ist er schriftstellerisch tätig.
Weitere Buchveröffentlichungen:
Aus dem Dschungel des Alltags
© 2014 BoD Books on Demand Norderstedt
Webseite: www.poesie-ostwest.de
Impressum
Zwischen zwei Welten
Ali Mahan
Copyright: © 2014 Ali Mahan
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-3046-0
Inhalt
Vorwort
Kindheitserinnerungen
Die ersten verliebten Augenblicke
Die Abreise
Die längste Nacht
Während des Studiums
Die Abwechslung
Der Schock
Der Zusammenprall
Briefe
Einsame Stunden
Zweisame Stunden
Wer bin ich?
Vorwort
Immer, wenn ich an meine Heimat erinnert werde, sehe ich mich in eine dunkle Vergangenheit gleiten und befinde mich plötzlich in einer Grauzone, zu der ich mit meinen ambivalenten Gefühlen stehe. Meine Heimat sehe ich symbolisiert durch Semiramis, die grausame Herrscherin dunkler Zeiten Mesopotamiens. Ich erwache und sehe mich in der Freiheit und Lebensfreude Deutschlands.
Nach der ersten Ausgabe des Buches unter dem Titel „Zwischen zwei Welten 1992 habe ich das Manuskript erweitert und verbessert. Es setzt sich aus vereinzelten, zum Teil auch autobiographischen Schriften zusammen, die über lange Zeit hinweg entstanden sind (während eines Studiums in Köln und eines Lehrauftrages an der Fachhochschule München) und letztlich einen Zusammenhang bilden. Im Großen und Ganzen spürt der Leser die persönliche Entwicklung und die Identitätskrise eines Orientalen, der in einem typischen nahöstlichen Milieu aufgewachsen ist und als Neunzehnjähriger seine Heimat verließ, nach Europa ging und seine Kindheitsreminiszenzen, Episoden, Milieubeschreibungen, Beobachtungen von Personen sowie philosophische Gedanken niedergeschrieben hat.
Zwischen zwei Welten deswegen, weil die Welt der Kindheit und die des Erwachsenen nicht nur altersmäßig und von der persönlichen Entwicklung her voneinander getrennt sind, sondern auch in verschiedenen Ländern, sozusagen auf zwei unterschiedlichen Bühnen spielen: Im Orient und in Europa.
Zwischen zwei Welten" auch deswegen, weil jeder von uns in seinem Leben spürt, dass es in ihm eine Welt der Träume gibt, die von der Realität getrennt ist, eine Welt des Wohlbehagens sowie eine mit tiefen Verlassenheitsgefühlen, Unsicherheiten und Unbehagen. Die Bilder und die Ereignisse wurden von dem Autor auch so empfunden und beschrieben, also abwechselnd zwischen der Vergangenheits- und Gegenwartsform. Obwohl das Erzählte keine spektakulären und spannenden Abenteuer darstellt, ist es doch in seiner Art und Weise anschaulich und literarisch, zum Teil lyrisch geschrieben. Die vorliegende Ausgabe ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung. Die erste Auflage, erschienen 1992 im Oase Verlag Köln, ist seit der Einstellung dieses Verlages 1996 vergriffen.
Kindheitserinnerungen
"Man denkt an das, was man verließ
Was man gewohnt war, bleibt ein Paradies"
GOETHE, Faust
Sie sitzt vor dem gusseisernen Kohleofen und hört die Sinfonia Concertante von Mozart. Durch den Spalt der kleinen Glasscheiben des Ofens fällt der flackernde gelbrote Schein des knisternden Feuers auf ihr schönes Gesicht. Sie sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf dem pharaonisch gemusterten Leinensessel in ihrem rosafarbenen Bademantel und guckt ernst auf einen kleinen Harlekin, dessen Kopf auf ihrer Utensilien-Schatulle angelehnt ruht. Wer weiß, in welcher Welt sie sich in diesem Moment befindet. Soweit ich sie kenne, wünscht sie sich, im siebzehnten oder achtzehnten Jahrhundert gelebt zu haben. Für mich ist sie der Inbegriff der Güte und Gutmütigkeit, obwohl sie manchmal mit ihren apokalyptischen Visionen eine neue Sintflut heraufbeschwört. Wenn ich mich nun in ihre Phantasie versetze und mich nicht irre, ist sie eine hochadlige Dame im Spiegelsaal von Versailles, von Butler und Dienerschaft mit allen Köstlichkeiten reichlich gedeckter Tische und von kuscheliger Seide und flaumigen Betten majestätisch umgeben. Der junge Prinz und Thronfolger will ihrem Wunsch nachkommen, ihr Gesellschaft leisten und mit ihr durch die königlichen Gärten und Promenaden eine Spazierfahrt machen. Die prunkvolle Equipage wartet schon. Der Prinz hilft ihr galant beim Einsteigen. Sie weiß, dass ihr naives Wissen und unschuldiges Lächeln für ihn geradezu rührend sind. Ich weiß nur nicht, ob ich gerade ihr Prinz bin und ich frage mich, welcher Mann wünscht sich nicht ihr Prinz zu sein. Sie könnte auch gerade ein Engel sein, der den Menschen Heil bringt, ihre Schmerzen lindert und sie von Bösem befreit, oder eine Bernadette
der modernen Zeit. Ich wollte eigentlich ihr behagliches Wohlbefinden nicht stören und sie nicht aus ihren Welten herausreißen. Als sie mich aus der Küche treten hörte, löste sie ihre Haarspange, lockerte ihr Haar und lehnte sich weit zurück, den Kopf erhoben. Ich ging zum Fenster und öffnete es unüberlegt ganz. Ein starker Luftzug entstand. Die Gardine erhielt einen Luftbauch und einzelne Blätter wehten über den Teppich. Huch ist das kalt
, sagte sie und wandte mir ihren Blick zu. Etwas frische Luft tut gut für die Nerven
, erwiderte ich und machte die Fensterflügel sofort zu. Ich reckte die Arme, setzte mich auf die Sessellehne und legte den Arm zärtlich um sie, dann ließ ich ihn sanft bis auf die Rücklehne gleiten und schob ihr ein Plätzchen in den Mund, das ich die ganze Zeit in meiner Hand festgehalten hatte. Sie schaute mit schrägem Kopf zu mir auf und mümmelte mit vollem Mund: Mmh, sind die gut! Danke mein Liebling.
So bäckt meine Mutter Plätzchen. Kötzlich, nicht wahr?
antwortete ich ihr flüsternd und küsste sie leicht auf die Nase. Sie lächelte liebevoll und sagte: Du meinst köstlich nicht kötzlich
, dann bat sie mich flehentlich: Sag mir, dass du mich liebst!
Ich strahlte sie verständnisvoll an und sagte: Muss ich es sagen?
Ich möchte es von dir gerne hören.
Du zweifelst also an meiner Liebe. Du hast mich scheinbar noch nicht durchschaut. Es ist auch schwer für dich, einen Orientalen zu verstehen. Wenn ich die Absicht habe, etwas zu tun, setze ich es still, unbemerkt und ohne darüber zu sprechen in die Tat um. Ganz besonders in der Liebe. Die Liebe ist für mich eine Energie in ihrer edelsten und feinsten Form, die nicht in Luft verpustet werden darf. Es wird viel geredet, aber auch viel nicht ehrlich gemeint oder getan. Das Sagen beweist längst nicht das Meinen. Du kannst mir glauben, dass nur die Hälfte von dem, was in der Liebe gesagt wird auch tatsächlich gemeint ist.
Sie räusperte sich und lehnte sich wieder zurück, um Gegenstellung zu nehmen. Dann verteidigte sie sich vehement, als hätte ich sie gemeint: Ich habe es dir oft gesagt, dass ich dich liebe, heißt das, dass ich es nicht ernst meine?
Doch, mein Liebling - ich weiß, wie du bist und dass du mich liebst, aber jetzt Schluss mit der Diskussion- auch wenn ich es nicht ständig wiederhole - ich liebe dich -. Zufrieden?
Ja
, sagte sie einfach und nach einer Weile: Trinken wir einen Kaffee?
Nein, Liebste, ich gehe jetzt zu einem Landsmann. Wir trinken Tee und reden ein bisschen über die Heimat. Ich bin in einer Stunde wieder da.
Eine deutsche Stunde oder eine orientalische?
Ist da ein Unterschied?
gab ich herausfordernd lächelnd zurück. Kurz darauf fiel die Tür ins Schloss. Sie kuschelte sich gemütlich mit angezogenen Beinen in ihren Sessel, wo sie nach einer Weile einschlummerte und ich sie spät nachts, wieder zu Hause, so fand.
Schläfst du noch?
ihre Stimme kommt aus der Küche. Ich spürte schon vorher durch das Geschirrgeklapper, dass sie erwacht war und sich jetzt dort befindet und den Ofen anzündet. Sie kocht, wie üblich Kaffee und bereitet zwei Teller Müsli als Frühstück vor. Ich erhebe mich aus dem Bett und begebe mich ins Bad. Hast du gut geschlafen?
höre ich sie laut fragen. Ja, danke und du?
Ich setze mich an den Frühstückstisch. Es ist sehr kalt draußen
, gibt sie mir zur Antwort. Eine arktische Kälte sicher.
So viel Schnee liegt draußen. Häuser und Bäume sind mit Schnee bedeckt, wie mit Puderzucker bestreut. Seltsam, diesen Schnee kannte ich nur aus Bildern in meiner Heimat, als ich Jüngling war. Sie sitzt jetzt am Sekretär, greift zu ihrem Rougetöpfchen, sieht sich im Spiegel, schneidet eine profane Grimasse und fragt heiser mit einem verzogenen Mund: Erzähle mir über deine Kindheit und wie du nach Deutschland kamst. Ich weiß so wenig darüber.
Ich räuspere mich und schlucke um meine Kehle anzufeuchten, als ob ich mich für eine gewagte Reise in die Vergangenheit vorbereiten wollte, die so weit zurück liegt und in der alles auf einmal ganz nahe rücken sollte oder in verdunkelten Bildern und nur noch in der Einbildung in mir lebt. Was soll ich dir erzählen? Ich weiß selber nur wenig.
Ich versuche, mir die ersten Bilder meiner Kindheit im Gedächtnis wach zu rufen. Es sind nur vereinzelte, verschwommene Erinnerungen und vieles hat sich auch verflüchtigt, aber doch einige wenige sind markant geblieben. Bilder tauchen auf, die sich nach meinem Tod nie wiederholen. Gehen sie wirklich verloren? Viele davon sind gewiss verloren gegangen oder fast ganz verblasst. Warum sehne ich mich nach ihnen? Obwohl ich eine harte Kindheit ohne nennenswerte Ebbe und Flut hinter mich brachte. Wenn ich nun einiges von damals heraufbeschwöre und erzähle, was mich gequält hat oder wie die mit Weh empfundene Strenge des Vaters und die Gerte des grausamen Lehrers mich gepeinigt haben, fällt es mir manchmal nicht leicht zu glauben, dass es sich tatsächlich so zugetragen hat. Weshalb ich nicht gerne erzähle, ja es vielleicht leugnen möchte oder es einfach nicht wahr haben will. Warum fühle ich mich zu diesen Bildern hingezogen und halte ich mich fest an ihnen wo sie harmlos und nicht so eindrucksvoll sind? Warum auch gerade diese, die ich bis jetzt behielt und die nicht ganz in Vergessenheit geraten sind? Glaube mir Liebste, ich bin mir dessen bewusst, was ich sage. Es ist nur für mich von Bedeutung. Ich will es für mein spätes Alter niederschreiben. Ein spätes Alter ohne diese Erinnerungen wäre für mich trostlos oder auch grauenvoll.
Ich hätte das schon früher tun sollen. Ich wollte mich an vieles erinnern, aber mein Gedächtnis ließ mich im Stich. Mich ergreift jetzt eine lähmende Schwäche. Aus mir will unterdrücktes Weinen hervorquellen und ich bin fast den Tränen nahe.
Ich war sehr klein, vielleicht ein oder