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Werwolfsgeheul: Seelenbiss-Reihe Teil 2
Werwolfsgeheul: Seelenbiss-Reihe Teil 2
Werwolfsgeheul: Seelenbiss-Reihe Teil 2
eBook746 Seiten10 Stunden

Werwolfsgeheul: Seelenbiss-Reihe Teil 2

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Über dieses E-Book

Blutige Unruhen erfüllen die Grenzgebiete und beunruhigen die Davenports. Fragwürdige Nachrichten schleichen sich in die Tagesblätter der Welt. Zu allem Überfluss wagt sich Carlos erneut in das Territorium der Wölfe. Droht nun ein neuer Krieg zwischen den beiden Parteien, da der Vertrag zum zweiten Mal übergangen wurde? Oder könnte gar die Tarnung ihrer beiden Rassen auffliegen?
All das will Alexander vor Sarah verheimlichen, doch bleibt dieses Geheimnis nicht lange verwahrt.
Getrieben von Schuldgefühlen, von ihrem Hass auf den Vampir, der ihre geliebte Mutter getötet hat, aber auch von tiefer Freundschaft und Liebe, macht sie sich auf in eine Welt, die ihr den Tod bringen kann!
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Jan. 2014
ISBN9783847650645
Werwolfsgeheul: Seelenbiss-Reihe Teil 2

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    Buchvorschau

    Werwolfsgeheul - Melanie Ruschmeyer

    Vorwort

    Die Welt aus dem Blickwinkel eines Wolfes sehen,

    das hätte ich schon viel früher tun sollen.

    So hätte ich das unvermeidliche vielleicht verhindern können,

    denn so oft gabst du mir Hinweise, denen ich keine Beachtung schenkte.

    Mein Verstand war viel zu starrsinnig auf etwas völlig anderes gerichtet.

    Doch als ich dann verstand, war es schon längst zu spät und du hattest dich entschieden, entschieden gegen mich!

    Du wandtest dich von mir ab, weil du mich beschützen wolltest und dennoch, vermutlich gegen deinen Willen, starb ich schließlich ein sterbliches Leben…

    Niemand weiß, was er tut, wenn er recht handelt: aber des Unrechten sind wir uns immer bewusst.

    (Johann Wolfgang von Goethe)

    Briefpapier

    Ja, so hat es nun begonnen. Wir können nur hoffen, mein Schatz, dass wir uns richtig entschieden haben. Nicht auszudenken, wenn dies doch der falsche Weg wäre, wenn wir durch unsere Taten nun doch den Weg des Propheten eingeschlagen haben.

    Die endlosen Jahre in denen wir so lange nach der Wahrheit gesucht hatten und sie sich dennoch nur teilweise offenbart hat, es macht mich krank vor Sorge! Vor Sorge um dich und alles, was wir uns aufgebaut haben.

    Du bist kein Monster, Liebes! Der Fluch hat uns alle dazu gezwungen Pfade einzuschlagen, die wir nie für möglich erachtet hätten.

    Nun, da die Sanduhr begonnen hat ihre Körner Stück für Stück rieseln zu lassen, können wir nur warten. Warten auf das Kind des Lebens und des Todes, bis sie sich uns offenbaren. Dann, an jenem Tag, weißt du, was zu tun ist und um Himmels Willen, wir werden alle Güte und Erbarmung dieser Welt brauchen, wenn wir das unvermeidliche tun müssen um unser Dasein zu retten.

    Denk nicht so viel darüber nach, Liebste.

    Ich liebe dich in alle Ewigkeit,

    Keith Maguire

    Neues Leben

    Bloß gleichmäßig arbeiten! Strich um Strich, sanft und sauber!

    Ich stand in Alexanders Zimmer und war dabei Farbe auf die kargen Wände zu bringen. Na ja, mittlerweile nicht mehr nur sein Raum, sonder unser. Das schöne Minzgrün hatte ich deshalb ausgewählt, weil es am Besten zu ihm passte. Ich konnte mich immer noch nicht an die seltsame Eigenschaft von halb Vampir, halb Werwolf gewöhnen. Vor allem könnte ich gerade aus diesem Grund regelrecht explodieren! Ich würde ihm liebend gerne den Farbtopf über den Kopf ziehen! Wieso musste eigentlich immer Vollmond sein, wenn irgendetwas wichtiges anstand? Nämlich genau dann musste er mich stets verlassen. Zu viel Angst hatte er um mich, da er sich in dieser Zeit des Mondstandes nicht beherrschen konnte. Doch sollte man nicht meinen, dass der wohl vermutlich stärkste Vampir der Welt eine Chance gegen einen einzelnen Werwolf hätte? Aber nein, er musste es ja immer besser wissen. Jegliches Flehen und Betteln half einfach nicht. Er war weg und ließ mich hier mit der Arbeit zurück! Typisch Männer!

    Ich verfiel regelrecht der Wut und konnte nichts dagegen tun. Sie grub sich an die Oberfläche wie ein Maulwurf. Noch immer war sie nicht verraucht, obwohl der monatliche Streit schon ein paar Stunden her war. Auf der einen Seite tat es mir leid, denn ich verstand sein Handeln, auf der andere Seite allerdings, wollte ich ihn an meiner Seite wissen. Jede Sekunde, jede Stunde, jeden Tag!

    Knurrend schob ich die Farbrolle wieder in den Topf und rollte sie abermals mit einem klebrigen Geräusch über die Wand. Bei dem Schmatzen der Masse sträubten sich die Nackenhaare und ein leichtes Schütteln durchzog mich. Der beißende Geruch der Farbe kam einer Folter gleich, doch ich hatte es ja schließlich nicht anders gewollt. Er schlängelte sich durch die Nase und legte sich widerlich auf die Zunge. Ich konnte dem Drang, diesen Geschmack abzustreifen, nicht widerstehen und schob meine Zunge immer wieder an der Oberlippe entlang. Aber nichts half. Eigentlich glaubte ich es gelernt zu haben einen Geruch zu ignorieren, doch meine Gefühle brachten noch zu oft alles durcheinander.

    Ein tiefer Seufzer trat aus meinen Mund, denn es war erneut passiert. Es befand sich zu viel Farbe auf der Rolle, die nicht korrekt abgestreift worden war. Sie lief dickflüssig meine Hand herunter und wurde gerade noch von der anderen Hand dabei gehindert den Arm ebenfalls zu vereinnahmen. Blitzschnell wischte ich über die Haut und die Flüssigkeit blieb an der Handfläche kleben wie ein Kaugummi. Angewidert schüttelte ich die Masse ab. Dicke Kleckse flogen umher und erfassten meinen Blaumann, mein Gesicht und die bereits gestrichenen Bahnen der Wand. Mit einem gefährlichen Zucken im Auge musterte ich die Arbeit, die ich bereits mühselig hinter mich gebracht hatte. So oft schon war ich über die Fläche gegangen und hatte meine Fehler ausgeglichen. Jetzt wurde die Wand erneut von einer dicken Hügellandschaft bevölkert, wobei hier und da die Erdanziehungskraft sie bereits nach unten zog.

    Aufs Neue bäumte sich eine große Welle der Wut auf. Mit einem lauten Aufstampfen versuchte ich die Beherrschung beizubehalten und ihr Herr zu werden. Es durchzog mich von Bein bis Kopf. Extrem versteift drückte ich die Rolle in den Farbeimer, rollte sie ab und korrigierte die unübersehbaren Fehler.

    Der Rollengriff bog sich unter dem enormen Druck, den ich auf ihn ausübte. Irgendwie glaubte ich meinem Zorn Luft machen zu müssen, oder mich auf andere Dinge konzentrieren zu müssen. Ohne es zu wollen schoben sich Bilder in mein Unterbewusstsein. Wie einer Sucht erlegen, griff ich nach ihnen. Jeglicher Funken, der mir andere Gedanken bescherte, war pures Gold wert!

    Schnell wurde mir bewusst, dass es sich um Gedankenfetzen der letzten Wochen handelte. Sie zwangen meine Mundwinkel nach oben und ich gab mich den Erinnerungen voll und ganz hin. Das neue Familienglück streichelte mein aufgewühltes Gemüt und kämpfte energisch gegen die bösen Empfindungen an.

        Die letzten Wochen waren mehr oder weniger langweilig verlaufen. Zugegeben, mal etwas anderes, wenn man die letzten Monate betrachtete, in denen ich zum Vampir geworden, mich einer spektakulären Flucht über Werwolfsrevier geschlagen und schließlich auch noch Flora, zusammen mit meiner neuen Familie, gerettet hatte. Doch irgendwie fehlte es mir nun, das ständige Auf und Ab und das Adrenalin in meinen blutleeren Venen. Ich seufzte. Allmählich erlag ich dem Gedanken, dass man mir nie etwas recht machen konnte.

    Flora war von uns allen genötigt worden wieder zur Schule zu gehen. Schließlich war sie in ihrer jahrelangen Zwangsarbeit – ich beschrieb es immer so – nie wirklich zum Lernen gekommen. Zwar hatte man ihr das eine oder andere beigebracht, doch war dies einfach nicht wirklich in der heutigen Wirtschaft zu gebrauchen. Flora hatte sich vehement dagegen gesträubt, doch ich wollte, dass sie wenigstens jetzt mit achtzehn Jahren, ein halbwegs normales menschliches Leben führte. Mal ganz davon abgesehen, dass ihre Familie ausschließlich aus Vampiren bestand!

    Irgendwann gewann ihr Verstand doch die Oberhand und sie ließ wenigstens einmal einen privaten Lehrer an ihre Seite. Er sollte sie in soweit vorbereiten, dass sie in der wirklichen Schule zu recht kam und es niemanden auffallen würde, dass ihr ein solches Institut eher fremd war. Ganz im Gegenteil zu mir damals, fand sie unglaubliches Gefallen am Lernen und sprühte nur so vor Energie. Während ich fast nie lernen brauchte, um an das gewünschte Ziel zu kommen und die Schule somit eher als eine Art Zeitvertreib ansah, machte ihr dies richtig Spaß.

    Recht schnell konnten wir sie auf eine normale Schule schicken und sie hatte das Glück, genauso wie ich einst auch, als Streber abgestempelt zu werden. Ihre ständigen guten Noten und die damit verbundene Einsamkeit – bis auf eine gute Freundin, die sie dort gewonnen hatte -  machten ihr nichts aus. Flora beharrte immer darauf, dass sie ihre Freundin Marie und uns hatte. Diese Tatsache würde ihr genügen und sie war fest davon überzeugt weitaus mehr erreicht zu haben, als sie sich je erhofft hatte.

    Tropf!

    Mist! Ich war wohl zu sehr in meinen Erinnerungen aufgegangen, denn schon wieder war die grüne Flüssigkeit nicht abgestriffen worden. In dicken, wilden Fäden rieselte sie auf den Fußboden. Wenigstens hatte ich an meine Ungeschicklichkeit mit Farbe gedacht und bereits den neuen Parkettboden mit Folie ausgelegt. Ein kleiner Hoffnungsschimmer in diesen vier Wänden, der wenigstens von meiner Dummheit verschont blieb.

    Ich drückte die Farbe am Gitter, das im Farbeimer lehnte, ab und machte weiter. Der Vulkan in mir allerdings brodelte inbrünstig und ich drückt seine Gase wie ein Stier aus den Nasenlöchern heraus. Jeglicher kleiner Fehler könnte den Berg zum Ausbruch bringen und ich versuchte stets aufs Neue den Streit zu vergessen. Schließlich sollte diese Tätigkeit irgendwann einmal sein Ende finden und ich sah mich gezwungen nicht aufzugeben.

    Die Erinnerung an Floras Freude zur Schule überwältigte mich und lies mich schmunzeln. Nur wenige Schüler wussten ihre Lernzeit zu schätzen. Oft bemerken sie erst viel später, wie schön diese doch war. Flora jedoch kannte ganz andere Zeiten; düstere, blutige Jahre. Für sie war endlich Licht ins Dunkel gekommen. Die ersten Tage hatten ihre Augen so gestrahlt wie lange nicht mehr. Instinktiv lachte ich und legte verträumt den Kopf schief, als sich mir neue Bilder aufdrängten.

    Es war uns sehr leicht gefallen, Flora einfach als jünger durchgehen zu lassen, damit sie ein paar Stufen niedriger eingruppiert werden konnte. Schließlich hatten wir Li, der sämtliche Computer der Welt manipulieren konnte und somit ihre komplette Existenz verändert hatte. Na ja, um ehrlich zu sein, sie gab es schon nirgendwo mehr. Man hatte ihren kompletten Namen nicht mehr finden können, sie existierte eigentlich überhaupt nicht; war ein Niemand. Flora selbst konnte sich auch nicht mehr an ihren wirklichen Nachnahmen erinnern. Li hatte zwar einen Zeitungsartikel von damals, als man ihre Familie auf brutale Vampirweise getötet hatte, gefunden, aber auch dort wurden natürlich keine Namen erwähnt. Die Tat war einfach zu lange her, als das sie noch in irgendwelchen Akten zu finden war.

    Flora war es letzten Endes gleich gewesen und sie wollte nur einen Ausweis besitzen auf den der Name Davenport stand. Ganz im Gegensatz zu mir selbst. Ich hatte nie einen solchen Ausweis verlangt, doch nun besaß ich einen. Ein Stück Plastik, was mich als Ehefrau von Alexander kennzeichnete. Nun gut, es hatte mich sehr erfreut, allerdings fehlte mir die dazugehörige Hochzeit. Als Frau hatte ich jahrelang davon geträumt und es war etwas wertvolles, was ich nun einfach so übergangen hatte. Allerdings hatte ich auch den Tod selbst übersprungen, doch während ich eine Hochzeit einfach nachholen könnte, würde ich den erneuten Tod mir auf keinen Fall wünschen. Viel zu verführerisch war ein unsterbliches Leben mit einem Mann und einer Familie, die ich so lieb gewonnen hatte. Und vielleicht bot sich ja noch die Gelegenheit die Traumhochzeit nachzuholen!?

    All die vergangenen Wochen liefen wie ein Film vor mir ab. Trotzdem kam es mir vor, als wenn alles nur an einem einzigen Tag passiert wäre. Ich hatte den Hang zur Zeit vollends verloren. Er glitt einem durch die Finger wie Sand, der sich stets seinen Weg suchte.

        Als ich mich streckte, um den oberen Bereich der Wand zu erreichen, tropfte es von der Farbrolle direkt in mein Gesicht. Wütend zitterte meine Hand und ich blähte meine Wangen verärgert auf. Meine Nerven waren bis zum Bersten gespannt. Ich musste mich enorm beherrschen nicht die Kontrolle zu verlieren. Steif wie ein Stock verharrte ich in den Position und rang nach Beherrschung. Bald würde diese Arbeit ein Ende haben und ich schwor mir, nie wieder einen Pinsel oder gar eine Farbrolle in die Hand zu nehmen. Beim nächsten Mal würde ich die Malermeister, die Alexander mir bereits zu Anfang vorgeschlagen hatte, einfach in Anspruch nehmen!

    Tropf!

    Danke, noch einmal! Allmählich hatte ich es satt! Schnell zog ich die Farbrolle wieder herunter, damit sie nicht noch mehr Schaden anrichten konnte. In einer Kurzschlussreaktion schmiss ich sie mit voller Wucht in den Farbtopf. Überlistet von meiner eigenen Kraft spritzte die Farbe wie eine Fontäne nach oben. An der Decke prallte der Strahl ab und platzte wie der Inhalt eines Wasserballons heraus. Ein kurzer Regenschauer grüner Flüssigkeit erfasste den Raum und legte sich über einfach alles, was sich ihm in den Weg stellte. Ein kleiner Teil fiel wieder in den Eimer zurück und wühlte die Farbe auf wie eine Meeresbrandung. In einer Woge schwappte das Grün heraus und verteilte sich voller Inbrunst über die Plastikplane. Das leise Knistern und Knirschen des Plastiks, weil die Masse sich ihren Weg suchte, brachte mich fast zur Weißglut.

    Wie ein begossener Pudel stand ich da und sah meine letzte Hoffnung einigermaßen gut aus dieser Sache heraus zukommen, an mir vorbei ziehen. Die imaginären Wurzeln gruben sich durch die Plastikplane in den Parkettboden und krallten sich fest. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder zu mir kam.

    ››AH!‹‹, kreischte ich wie eine Furie und sah mich einer allgegenwärtigen Sauerei konfrontiert, die meine blanke Zerstörungswut kitzelte. Alles, aber wirklich alles, war versaut. Meine bisherige Arbeit war so derartig befleckt, dass man sie nur noch abkratzen konnte. Die Decke, die nie gestrichen werden sollte, sah aus wie ein Schlachtfeld und selbst der schöne Meeresausblick durch die Fenster war von einer klebrigen Masse besetzt worden. Vorwurfsvoll schien mich das Grün aus allen Himmelsrichtungen zu mustern und regelrecht auszulachen. Das war jetzt zu viel! Meine Lider fielen über die Augen und formten kleine Schlitze. Das lodernde Feuer drohte die Haut zu verzehren. Wie Feuersteine gruben sie sich hervor und besetzten meine Augen. In dieser Sekunde glaubte ich, es noch niemals so intensiv zu spüren bekommen zu haben. Früher hatte ich die katzenhaften Vampirsaugen gehasst, mittlerweile waren sie zu einer Normalität mutiert. Sie unterstrichen jegliches Gefühl eines Vampirs und wenn man gerade so wie ich kurz vor der großen Explosion stand, glühten sie wie unbändiges Feuer.

    Doch es war nicht allein die Tatsache, dass ich zu dumm war eine Farbrolle halbwegs zu bedienen, sondern viel mehr die Enttäuschung. So gerne hätte ich dies mit Alex zusammen gemacht, aber ich hatte mal wieder nicht warten können. Viel zu groß war der Wunsch nach Veränderung in diesem Zimmer gewesen und nicht ein Gedanke hatte dem Vollmond gegolten, der mich bald wieder von ihm trennen sollte. Der bittere Geschmack von Traurigkeit packte mich wie ein Schlangenbiss ins Herz. Kalt wie ein Eiswürfel zog sich das Gift durch den Körper. Ich vermisste ihn. Allerdings wollte ich diesem Gefühl keinen Raum lassen. Der Seelenbiss drohte mich zu zerfressen; jedes Mal aufs Neue. Vor Monaten war mir das nie so bewusst geworden, viel zu aufgewühlt war mein Verstand gewesen, als dass er sich so etwas hingeben konnte. Jetzt jedoch, wo ich zur Ruhe gekommen war, lies er mich nicht mehr los und zeigte sich bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bot.

    Traurig senkte ich den Blick und legte den Kopf schief. In diesem Bruchteil einer Sekunde wollte ich ihm vergeben; den kleinen Streit vergessen. Schließlich war ich dem Übermut Untertan geworden und das wo ich hätte mich nur in Geduld üben müssen. Übermorgen wäre auch noch ein Tag gewesen es gemeinsam mit ihm anzugehen. Meine erstarrten Muskeln wurden weich und mein Mund begann zu zittern, doch da …

    Tropf!

    … tropfte es erneut von der Decke auf mein Haar herunter. Prompt wischte die Farbe mein Verständnis fort und meine Hände ballten sich zu Fäusten. Mein ganzer Körper erzitterte unter einem Kampf der Selbstbeherrschung. Ich musste mir ganz schnell Luft zum Atmen verschaffen, sonst würde ich platzen, da war ich mir ziemlich sicher.

    Der Boden vibrierte als ich mich wie ein stampfendes Nashorn zum Rundbalkon bewegte. Weit beugte ich mich vor und schrie so laut wie es meine Kehle ertragen konnte: ››Wenn du nach Hause kommst, kannst du was erleben!‹‹

    Mein Hals pochte, als sich die unerträgliche Wallung meiner Empfindung langsam lichtete.

    Die ersten Anzeichen der Dämmerung hatten eingesetzt und legten sich wie ein Decke über das Land. Ein helles Rot verschmolz mit dem Meer, was direkt vor dem großen Haus den Horizont einnahm. Die salzige Brise griff nach meinem Haar und spielte darin. Die letzten Möwen krähten dem Abend entgegen und suchten ihre Schlafplätze auf.

    Nur wenige Meter vom Gebäude erhoben sich die ersten Bäume des Waldes empor. Ich wusste genau, dass er irgendwo in ihnen umherstreifte. Schließlich war seine Verwandlung noch fern, denn die Nacht war noch nicht angebrochen.

    Mein Gemüt beruhigte sich ein wenig und die letzte Empörung wurde von einem tiefen, salzigen Atemzug davon gespült.

    Als ich meine Hände von dem Balkonsims nahm, zeigten sich meine anklagenden, grünen Fingerabdrücke auf dem Stein und meine Lippen wurden gewaltsam aufeinander gepresst. Schnell ging ich zurück in das Zimmer und erfasste das Schlachtfeld.

    Ich hatte gerade mal die Hälfte geschafft und legte den Kopf kritisch schief. Die unbearbeitete Seite war gesprenkelt und wirkte mehr wie Kinderzimmerwände. Nachdenklich wechselte ich Blicke zwischen ihnen und dem Farbtopf, der in seiner klebrigen Masse stand. Jetzt wo ich mich etwas gefangen hatte, sollte ich da nicht wieder weiter machen?

    Ich zuckte mit den Schultern. Sollte er doch den Rest machen, warum eigentlich immer ich? Begeistert über meine glorreiche Idee nickte ich und zog meinen Blaumann aus. Dabei fielen mir die vielen Kleckse und Farbtupfer auf meiner Haut auf. Ich musste ein schreckliches Bild abgeben und wollte dies schnellstens ändern. Die Unterwäsche nur mit einem langen T-Shirt bedeckt tänzelte ich über den Boden; schön um das Grün herum. An der Tür angekommen lauschte ich und sandte meine Schallwellen aus. Anscheinend war niemand da.

    Auf dem Flur suchte ich rasch das Bad auf und schloss die Tür ab. Das Zimmer beherbergte alles was ich brauchte. Eine Dusche, eine große Badewanne, einen großen Spiegel mit Schrank dahinter und ein Regal mit frischen Handtüchern. Neben der Dusche hingen zwei weiße Bademäntel für Alexander und mich. Seitdem ich hier eingezogen war, hatte ich dem Bad Leben eingehaucht und ein bisschen Dekoration in das eintönige Weiß gebracht. Eine Pflanze stand vor dem Fenster und auf einem hohen Ständer waren rote Kerzen postiert. Es war ein Ort der Geborgenheit.

    Im Spiegel guckte mich, ganz im Gegenteil zur Umgebung, ein grünes Monster an. Die blonden Haare verwüstet und von Farbe verklebt. Im Gesicht begrüßten mich grüne, vertrocknete Tupfen. Hier und da hatte ich sie bereits versucht zu verwischen und die Kruste weißte Risse auf. Die dunklen Augenränder allerdings waren unversehrt und schrien noch immer den erloschenen Schlaf hinaus. Alles in allem war es erschreckend. Wenn ich bedachte wie ich damals vor meiner Verwandlung noch ausgesehen hatte, hätte mich diese Verunstaltung wohl zum absoluten Gespött gemacht. Doch jetzt sah ich trotz allem immer noch schön aus. Ein bisschen bemalt, aber es tat dem makellosen Gesicht keinen Abbruch.

    Ich brauchte dringend Entspannung, also zog es mich zur großen Badewanne. Am Rand stand bereits mein bekanntes Mandelöl. Sein Duft war betörend und grausam zu gleich; wenn man ihm zu lange ausgesetzt war. Freudig lies ich warmes Wasser ein und träufelte den Zusatz hinein. Während die Wanne sich mit einem Zischen füllte, tänzelte ich zum Spiegelschrank und holte mir das Feuerzeug heraus.

    Als ich die Kerzen anzündete, dachte ich daran, dass ich mir Graysons Fähigkeit angeeignet hatte. Es wurde langsam Zeit mit ihm darüber zu reden. Er musste mir beibringen wie ich diese Kraft manipulieren konnte.

    In dem Augenblick durchfuhr mich ein Schütteln und ich erinnerte mich an die erste Begegnung mit ihm in Italien. Die Maguire hatten mich genötigt den Empfang eines Balles beizuwohnen und die Gäste mit einem herzlichen Händeschütteln zu begrüßen. Carlos hatte es damals gewusst. Er hatte es die ganze Zeit über gewusst und bewusst verschwiegen! Durch meine Unwissenheit gegenüber meiner Kräfte hatte er mich mit Leichtigkeit ausgespielt und sie benutzt.

    Laut drückte sich ein Seufzer durch die Kehle und ich schüttelte energisch den Kopf. Nein, ich wollte mich nicht an diese Sache erinnern; weder an sein Gesicht, noch an grausame Vergangenheit, die ich mit ihm verband.

    Hastig legte ich das Feuerzeug wieder an seinen Platz zurück und zog mich aus.

    Mit der Fußspitze testete ich das warme Wasser an und war wie so oft enttäuscht. Ich hatte immer gehofft, dass wenigstens heißes Wasser meinen Körper genauso wärmen könnte, wie es die Sonne tat, doch das war einfach nur eine falsche Schlussfolgerung. Ich war zum Eisblock mutiert, der alles in seiner näheren Umgebung frostig erstarren ließ. Ein lebloses Stück Haut und Knochen.

    Tief versank ich in der großen Badewanne und würde umhüllt von einer Flüssigkeit, die mir trotz der vielen Monate als Vampir noch immer fremd war. Ohne meinen Blick von den Kerzen abzuwenden, tastete ich nach der Seife und begann mich von der hartnäckigen Farbe zu befreien. Im Anschluss griff ich nach dem Shampoo.

    Nur wenige Minuten darauf lehnte ich mich an den Wannenrand und versuchte Ruhe zu finden. Gleichmäßig gingen die Atemzüge und seichte Wellen formten sich auf der Wasseroberfläche. Sie wurden durchbrochen von keinen Wassertropfen, die von meiner Hand herunter perlten. Ich hatte sie auf den Rand gelehnt und betrachtete die weiße Decke. Noch immer lag der Geruch von dem verbranntem Benzin des Feuerzeugs in der Luft. Er kitzelte meine Nase, kam allerdings nicht gegen das Mandelöl an. Wie eine unsichtbare Wolke hatte der Duft das Bad belagert und wurde durch den Dampf des Wasser nur noch mehr hervorgehoben. Wie in einer Sauna gruben sich Wassertropfen in meinem Gesicht empor und glitzerten. Leicht musste ich schmunzeln. In diesen vier Wänden musste es extrem heiß sein, doch mich störte es nicht einmal. Sicherlich hätte ich auch kalt baden können, aber warum?

    Meine Glieder entspannten sich und ich rutschte mit einem Quietschen weiter hinein. Genauso hatte ich es mir erhofft. Pure Entspannung und Ruhe. All die schlechten Gefühle fielen von mir ab und mein eben noch erdrücktes Herz breitete sich wieder zur vollen Größe aus. Um den stillen Moment vollends zu verfallen, schloss ich die Augen. Mein Kopf klappte zur Seite und die nassen Haare vielen in das Gesicht und klebten sich fest. Die ganze Wut wurde von dem Dampf hinfort gespült und ich erlag der Leere.

    Der Instinkt verfolgte das leise Knistern der Kerzen und zwang mir das tanzende Abbild im Unterbewusstsein auf. Plötzlich wehten die Flammen, wie durch einen Windzug gebändigt, in eine Richtung. Im Einklang mit der Bewegung drang ein leichtes, gequältes Wimmern an mein Ohr. Ungewollt machte ich einen Schmollmund und fühlte mich im Alleinsein gestört.

    Wieder zischte der Laut durch meinen Kopf und gewann ungewollt meine volle Aufmerksamkeit. Irgendetwas war daran, was an mir zu nagen begann. Verdammt! Ich wollte doch nur meine Ruhe! Wenigstens für ein paar Minuten!

    Grimmig schaute ich drein und suchte nach Antworten, während ich auf den nächsten Ton lauerte. Was versuchte sich da in meinem Verstand zu bilden? Hatte ich irgendetwas vergessen und wollte mich nicht daran erinnern, weil ich mich gerade sichtlich wohl fühlte?

    Und auf einmal wieder, jedoch dieses Mal ein Winseln und es erfasste mich wie ein brutaler Schlag ins Gesicht! Prompt erkannte ich wer sich hinter diesem Ton verbarg, als wenn eine Tür aufgeklappt war. Das hatte ich völlig vergessen!

    ››Es ist so weit!‹‹, flüsterte ich. ››Oh mein Gott, es ist so weit!‹‹

    Wie ein Blitz schnellte ich zum Regal und schnappte mir ein Handtuch. Das Wasser, welches von meiner Haut in dem Sekundenbruchteil abgeperlt war, fiel jetzt erst auf die Fliesen herunter. Als wenn es durch einen Geisterschleier gehalten worden wäre.

    Beim nächsten Satz war ich beim Bademantel und warf ihn mir hastig um.

    Wie lange mir wohl noch blieb? Ich hatte nicht viel Zeit mir darüber Gedanken zu machen, denn der nächste Jauler hallte durch den Flur.

    Mit großen Augen zuckte ich zusammen und rannte los. Die Badezimmertür krachte gegen die Wand, als ich sie wild aufstieß. Ohne mich zu vergewissern, ob sie noch ganz war, eilte ich den langen Flur entlang. Die Treppe nahm ich mit nur einem Sprung und federte mich mit den Knien ab. Das Wimmern und Winseln dröhnte durch den Flur. Umso näher ich meinem Ziel kam, desto lauter und intensiver wurden sie. Abrupt kam ich zum Stillstand und wäre fast gestolpert, als ich an der Tür lauschte.

    Es war eindeutig, ich hatte mich nicht getäuscht!

    Ohne zu Klopfen riss ich Josys Zimmertür auf und sie knallte durch meine erneute Übermut gegen die Wand. Wie ein allesbetäubender Gong schallte es durch die vier Wände und ich sah mich geballten Vorwürfen gegenüber.

    ››Eh, sei leise!‹‹, knurrte Li mich an. Er hatte sich neben Shila gekniet, dem Alphaweibchen von Josys großem Haustierrudel. Es war noch immer ein ungewohnter Anblick. Die schwarzen Wölfe hatten so gar nichts mehr von ihren Verwandten. Rote Augen funkelten in ihren Gesichtern. Zwei überdimensionale Zähne gruben sich aus dem Oberkiefer hervor und kennzeichneten sie mehr als Säbelzahntieger, als alles andere. Zusätzlich waren sie enorm groß!

    Vor wenigen Tagen hatte Josy ihr Zimmer leicht umgeräumt. Das schmale Sofa war auf den Flur verbannt worden, damit ihr Vampirwolfspaar genügend Platz hatte. Im rechten Bereich waren unzählige Decken ausgebreitet und schrien regelrecht nach Benutzung, die wohl sehr bald eintreten würde. Shila hatte es sich in einem riesengroßen Körbchen mehr oder weniger gemütlich gemacht. Sie keuchte und schnaufte wild. Der schwarze Rudelführer saß schwänzelnd neben ihr. Immer wieder legte er seine Schnauze mitfühlend auf ihren Kopf. Josy hatte sich hinter das große Körbchen gesetzt und streichelte die Flanke des großen Tieres. Ihr schwarzes Fell war von Schweiß getränkt und sie wimmerte in regelmäßigen Abständen.

    Ich setzte mich neben Li, nachdem ich die Tür wieder leiste geschlossen hatte und flüsterte ihm etwas zu: ››Es ist so weit, oder?‹‹

    Er nickte und wandte den Blick nicht vom dem Tier ab.

    ››Wie geht es ihr?‹‹

    ››Sie ist tapfer, es wird nicht mehr lange dauern‹‹, antwortete Josy und hob den besorgten Kopf. Ihr schwarzes, gewelltes Haar mit den roten Strähnen fiel ihr weit ins Gesicht. Auch sie schien sehr angespannt zu sein, da sie jegliche Bewegung ihres Schützlings genaustens beobachtete.

    Es war schon komisch. Am Anfang hatte ich mich an diese Vampirwölfe einfach nicht gewöhnen können, doch nun, waren sie mir so sehr ans Herz gewachsen, dass ich regelrecht Angst um Shila hatte. Sie würde nun endlich Mutter werden, das Rudel würde wachsen!

    Shila jaulte auf, dass es mir durch Mark und Bein ging. Der Laut war so kläglich, das es den Schmerz übertrug und ich schluckte schwer.

    Das Alphamännchen hob plötzlich den Kopf und legte ihn schief. Er drehte sich zur Tür und kurz darauf ertönte ein dumpfes Pochen. Verwundert schaute ich zu dem Holz herüber, als es sich langsam in Bewegung setzte. Ein weiterer Wolfskopf lugte hinein und fixierte Josy. Vermutlich hatte er sich die Tür selbst geöffnet, für diese Tiere war es schließlich nicht sonderlich schwer, sie gingen einem locker bis zur Brust. Josy lächelte gütig und nickte dem Tier zu. Ich sah förmlich, wie sie mit dem Wesen auf einer anderen Art und Weise redete, die ich wohl nie erreichen würde und auch nicht wollte. Diese Eigenschaft durfte ich mir einfach nicht aneignen. Nicht weil ich sie nicht toll fand, ganz im Gegenteil, aber weil es die ihre war. In meinen Augen hatte fast jeder Vampir etwas besonderes, aber es war eine Sache diese Fähigkeit zu sehen oder zu bewundern, als sie ihm zu rauben.

    Die Tür wurde aufgedrückt und das gesamte Rudel von weiteren acht großen Vampirwölfen tapste in den Raum. Sie setzten sich respektvoll hinter uns. Der letzte von ihnen schob die Tür wieder gekonnt mit der Schnauze zu. Sie schwänzelten und brummten leicht, als wollten sie Shila unterstützen. In einem brummenden Gesang stimmten sie ein und begrüßten ihre Neuankömmlinge.

    Wieder wimmerte sie, aber dieses mal schmerzverzerrt und ich bemerkte wie ihr Körper sich widerwillig zusammen zog. Ein Buckel bäumt sich auf und sie presste ihre Augen energisch zu.

    ››Wie ist das überhaupt möglich?‹‹, flüsterte ich wieder zu Li herüber und er zuckte fragend mit den Schultern.

    ››Na, das sie Junge bekommen kann. Ich dachte wir sind leblos, oder ist das bei denen anders?‹‹

    Seine Lippen wurden schmal und er strich sich durch das schwarze Haar. Mit seinen asiatischen Augen schien er den Boden nach Worten abzusuchen und sie fielen ihm sichtlich schwer. Für eine Sekunde verzerrte sich sein Gesicht leidend, doch anscheinend wollte er dies nicht nach außen tragen. Denn so schnell wie es ihn erfasst hatte, war der Ausdruck auch schon wieder verpufft.

    ››Das ist richtig, doch auch wir sind irgendwo Lebewesen.‹‹ Dann legte er Trauer in seine Stimme und seufzte. ››Uns ist es leider verwehrt geblieben.‹‹

    Ich verstand schnell, was er mir dort mit einem kleinen Wink Preis gab. Li wollte Kinder haben, doch es ging nicht, wir waren nun einmal leblos. Erstarrt in der Zeit, in der wir verwandelt wurden; in der Zeit verharrend. Waren stehen geblieben währenddessen andere auf ganz gewöhnliche Weise uns im Alterungsprozess überholten.

    ››Von Generation zu Generation ging es schließlich verloren‹‹, lenkte Josy ein und schaute jedoch nicht von Shila auf, ››die Vampirältesten konnten noch Kinder gebären, sie waren den Menschen irgendwie noch näher, als wir heute. Doch sie interessierte es nicht. Sie liebten nur sich selbst. Sie waren schließlich die neue Ära der Welt, das Beste, was dieser je passieren konnte. Nicht auszudenken, was wäre, wenn einer über ihnen hätte stehen können. Deshalb bekamen sie auch keine Kinder, weil sie selbstsüchtig waren und alles für sich alleine beanspruchten.‹‹

    Als Shila erneute presste und sich zitternd zusammenzog, leckte der Leitwolf ihr liebevoll die Schnauze. Josy versuchte sie mit leisen Lauten zu beruhigen.

    ››Und die heutigen können es nicht mehr?‹‹, hakte ich erneut nach und bereute es auch sofort wieder. Denn eigentlich war es mehr ein Satz gewesen, der mir herausgerutscht war. Ich wollte die Beiden nicht noch mehr an ihr fehlendes, gewünschtes Kind erinnern.

    ››Es soll noch wenige geben, denen diese Gabe zuteil wurde. Doch dieses ist nur ein kleiner Kreis, zu dem wir leider nicht gehören.‹‹ Sie machte eine kurze Pause und ich sah in ihre traurige Miene. ››Shila und Alestor, sowie das ganze Rudel, sind vergleichbar mit den Ältesten. Sie können Welpen bekommen, aber ich weiß nicht, ob das der nächsten Generation auch noch gelingt. Mal ganz davon abgesehen, dass dieses Rudel nicht altert, so werden sicher auch die Welpen nicht ihre Chance bekommen auf zusteigen.‹‹

    ››Du meinst, sie werden ewig im Welpenalter verharren?‹‹ Unglaublich diese Vorstellung, aber auch irgendwie niedlich. Jeder kannte Hundewelpen, sie waren so süß! Aber konnte das eine Mutter überhaupt aushalten? Die Ewigkeit mit Kindern zu verbringen, die an ihren Nerven zerrten?

    Josy lachte leise. ››Nein, sie werden sicher, wie Vampirkinder auch, ein gewisses Alter erreichen und dann im Alterungsprozess stehen bleiben. Siehe Alexander, bei ihm war es jedoch das Wolfsgen, was ihn dazu verholfen hat. Aber genau weiß ich das auch nicht, wir hatten so einen Fall noch nie. Allerdings bezweifle ich, dass sie in der Ranghöhe aufsteigen werden, schließlich hat das Rudel diese bereits verteilt und da das Alphapaar nicht altert, werden sie ihren Platz nicht aufgeben.‹‹

    ››Hm.‹‹ Wartend legte ich den Kopf schief und sah das erste Junge. Wortlos wippte ich euphorisch auf und ab, um nicht noch einmal die Ruhe zu stören. Dennoch kitzelte es in meinem ganzen Körper. Die Ungeduld begann mich zu zerfressen. Sie begann im Raum zu knistern und nicht nur ich schien ihr zum Opfer zu fallen. Die Tiere hinter uns begannen mit den Pfoten auf den Boden zu trommeln, gleichmäßig, aber leise. Es war fast so, als wollten sie Shila anspornen und ihr Kraft geben. Der stolze Vater Alestor legte staunend den Kopf schief und fixierte das erste Junge. Shila leckte das noch in der Blase liegende kleine Ding frei. Der Welpe war etwas mehr als eine kleine Hand voll, obwohl die Tiere allgemein so groß waren. Die Augen waren noch verschlossen. Es versuchte sich schwerfällig zu bewegen und leise Wimmertöne drangen aus der noch so jungen Kehle. Die frische Mutter stupste es an ihren Bauch und gab ihm die erste Milch seines Lebens. Ich stutzte und runzelte die Stirn. Milch? Hatte Josy mir nicht einst erzählt, dass auch die Vampirwölfe Blut benötigten? Zwar nicht wie wir menschliches Blut, aber tierisches. Wieder musste ich die Ruhe der Geburt stören und kam mir dabei doch ziemlich albern vor, allerdings war meine Neugier wie immer viel zu stark und überschwänglich.

    ››Was gibt sie ihm eigentlich? Ist das Milch oder …?‹‹ Mittendrin brach meine Stimme ab, denn der Gedanken war irgendwie abartig. Ein Baby das sich von Blut ernähren musste!?

    Li beugte sich zu mir herüber, konnte jedoch nicht den Blick von Shila abwenden. Er war viel zu gebannt von allem, was gerade passierte, denn auch für ihn war die Geburt von Vampirwölfen Neuland. ››Josy hat das oft mit Shila besprochen. Shila hatte in den letzten Wochen Unmengen von Blut vertilgt. Da sie nicht selbst jagen konnte, hat Alestor die Tiere hierher verschleppt. War zwar kein schöner Anblick, weißt du ja selber, aber na ja. Sie hat so extra Reserven getankt, daher vermuten wir, dass es zwar Nährstoffe für die Kleinen sind, aber eher in Blutform. Vielleicht ist es aber auch eine Art Gemisch aus Muttermilch und Blutvorkommen.‹‹

    Ich schüttelte mich etwas angeekelt und biss mir auf die Unterlippe. Auch wenn alles hier noch unbekanntes Terrain war, war es unbeschreiblich bei dieser Geburt dabei zu sein und trotzdem war mir der Gedanke etwas zu wider. Ich selbst könnte wohl eher keine Kinder bekommen, aber wenn ich mir vorstellte, ich würde meine Kinder mit Blut stillen, wurde mir irgendwie übel.

    Nach und nach kamen die kleinen Wesen zur Welt. Alle blind, alle durstig, aber alle verdammt niedlich! Als das vierte und somit letzte Baby geboren worden war, begann ein Jaulkonzert. Das gesamte Rudel beglückwünschte das Paar und begrüßte die neuen Rudelangehörigen. Sie hoben ihre Köpfe weit in die Höhe und erinnerte somit eher an ihre natürliche Wolfsherkunft, als an eine Rasse, die dem Großteil der Menschheit verborgen geblieben war.

    ››Wird das Rudel nicht irgendwann zu groß, wenn noch mehr kommen, aber keine anderen gehen?‹‹, fragte ich plötzlich und Josy lachte als sie Shila weiter beruhigend streichelte. Ihr liebevolles Lächeln zeugte von unbeschreiblichen Glücksgefühlen. Jeder konnte sehen wie sehr sie sich für ihren Schützling freute. Kein Neid und kein Trübsinn verschlechterte ihre Laune.

    ››Nein. Die Beiden wollten nur einmal Kinder bekommen. Sie wissen, dass das Rudel sonst zu groß wird. Aber für sie war es das größte Glück, was sie sich vorstellen konnten, schließlich sind ihre Triebe trotz Verwandlung erhalten geblieben.‹‹

    Bereits während sie das aussprach drängten sich die Tiere an uns vorbei und suchten sich einen Weg zu den frischgebackenen Eltern. Es war ein unglaubliches Bild von Liebe, Fürsorge, Ehrfurcht und Aufrichtigkeit. Es kam mir fast so vor, als wären sie menschlich. Die ganze Gruppe zeigte in diesem Augenblick einen Zusammenhang wie eine richtige Familie. Alle freuten sich über die vier kleinen Welpen, die nun ihr aller Alltag bestimmen würden. Sie Stupsten die Kleinen liebevoll an, leckten sie ab und schmusten mit der erschöpften Mutter.

    Josy bewegte sich tänzelnd durch die große Meute von Fellkneulen und wies uns mit einer energischen Handbewegung an, ihr aus dem Zimmer zu folgen. Sie wollte das neue Glück alleine lassen und das war wahrscheinlich auch das Beste.

    Als wir den Flur entlang gingen musste ich wieder an Flora denken. Sie würde nachher sicher fuchsteufelswild werden, weil sie nicht bei dem Ereignis dabei gewesen war. Die letzten Tage war sie mehr im Haus geblieben, als sonst. Sie war so gespannt auf die Geburt und die Neuankömmlinge gewesen, dass sie kaum etwas anderes im Kopf gehabt hatte. Doch eigentlich war es ihre eigene Entscheidung gewesen heute zu Marie zu fahren, von daher dürfte sie sich eigentlich nicht beschweren. Zwar hatte sie mir eindringlich gesagt, dass ich sie sofort anrufen sollte, wenn es losging, aber es war nun einmal alles viel zu schnell gegangen.

    Laute Geräusche drangen an uns heran und Li verdrehte die Augen. Wie das Donnergrollen eines gewaltigen Gewitters bebten die Wände. Wir wurden in ein Gefecht von Schlägen, Hämmern und Zischen gezogen. Es war einfach unfassbar, wie laut Marc seine Lautsprecher vergewaltigte. Trotz des sich eingeschlichenen Alltags fühlte sich jeder belästigt. Für ihn war es eine Flucht weit weg. Er schien die Lautstärke zu brauchen, um sich in dieser irrealen Welt einzufinden und ihr zu verfallen. Für uns jedoch kam es einem ständigen Erdbeben gleich, dem wir zum Opfer fielen, obwohl das Haus so groß war.

    ››Jetzt reicht es mir aber‹‹, schnaubte Li, als wir das Wohnzimmer betraten und rannte in seinen Keller. Josy wollte ihn gerade aufhalten, doch ihre Hand bekam ihn nicht mehr zu fassen.

    Das Wohnzimmer war unser Gemeinschaftsraum, dem viel Gemütlichkeit innewohnte. Eine langes Sofa stand an der Wand und wurde mit drei Sesseln komplettiert. Direkt daneben stand die Tür zum Technikkeller noch offen. Ein Geruch von Gummi lag in der Luft, der vage andeuten lies wie viele Kabel sich dort unten befanden.

    Auf der anderen Seite waren etliche Regale postiert. Über und über belagert mit Büchern. Von sehr alt, bis neu konnte man hier fast alles finden.

    Ich liebte dieses Zimmer, denn eine lange Fensterfront erfüllte alles mit Licht und Wärme der Sonne. Das Glas erstreckte sich über die gesamte, uns gegenüberliegende Wand. Von hier aus und von der Veranda mit ihren etlichen Sitzmöglichkeiten und der Schaukel konnte man sich die malerische Landschaft ansehen und in ihr versinken. Die Sonne küsste gerade den Horizont und wollte mit dem blutrotem Meer verschmelzen. Die ganze Umgebung trug eine solche Schönheit in sich, das ich stundenlang zuschauen konnte. Das Spiel von Ebbe und Flut, das Krähen der Möwen, dem Zischen der Brandung und der Wind in den nahegelegenen Bäumen. Einfach Himmlisch!

    Li begann im Keller zu poltern und warf mich wieder aus meinen Tagträumen. Ich war einfach gedankenverloren mitten im Raum stehen geblieben, während Josy sich bereits auf eine der Sessellehnen gesetzt hatte. Kritisch linste sie zur Kellertür und ich glaubte den Spott in ihrer Haltung genau zu erkennen.

    ››Was hat er vor?‹‹, fragte ich sie und hob nachdenklich eine Braue.

    Sie seufzte. ››Ich fürchte nichts Gutes. Vielleicht kabelt er seinen PC vom Internet ab, oder hakt sich rein, um ihn zu ärgern. Egal was es ist, ich denke, gleich gibt es Zoff.‹‹ Genervt fasste sie sich in ihr gewelltes Haar und wühlte darin herum. Sie hatte längst aufgegeben ihren Mann von seinem Kleinkrieg gegen Marc und seiner PC-Sucht abzubringen.

    Ist ja sein Bier

    , hatte sie immer wieder gesagt, aber es war glasklar, dass es ihr ebenso wenig gefiel, wie die ständige Lautstärke aus Marcs Zimmer. Dennoch fanden fast alle Mitbewohner, dass Li es nur noch schlimmer machte. Der Frieden zwischen den Fronten wurde so oft gestört, dass es einem hin und her glich. Einer allerdings hatte dabei seinen Spaß und amüsierte sich köstlich; Grayson. Er war stets der Erste, wenn es darum ging Marc eins auszuwischen.

    Wir gingen auf die Veranda und setzten uns in die Schaukel, um den schönen Sonnenuntergang zu beobachten. Das makabere Blutrot hüllte meinen weißen Bademantel ein und verfärbte ihn schimmernd. Immer wieder erinnerte es mich an die Tage der Durstnot. Zu sehr hatten sich damals meine Augen an den Schleier aus Tod, Verderben und Verfärbung gewöhnt. Hier war es anders, ich konnte es abschalten, wenn ich mich von meiner Umgebung abwandte. Es war nur ein Naturschauspiel und ich musste nicht mit einem Kontrollverlust rechnen, der von meinem Hunger getrieben wurde.

    Das nahe gelegene Meer rauschte und brachte eine gewaltige Woge aus salziger Luft mit sich, die meine Haare sanft streichelte und durchzog. Er war einfach allgegenwärtig.

    ››Wir hätten auch so gerne Kinder‹‹, flüsterte Josy plötzlich und zog die Beine eng an den Körper. Die Kette der Schaukel klapperten. Ihre traurigen Augen schauten in die Leere auf das weite Meer hinaus und als sich ihr Mundwinkel langsam verräterisch nach unten bewegte, wurde ich aktiv.

    ››Aber eigentlich ist es schon etwas paradox, das überhaupt auch nur ein Vampir Kinder bekommen kann‹‹, lenkte ich ein und legte meine Hand mitfühlend auf ihre Schulter.

    Ich hatte mich daran gewöhnt Handschuhe zu tragen, denn ich wollte niemanden eine Fähigkeit entreißen, die nur der jeweiligen Person gebührte. Doch in diesem Augenblick waren meine leichenblassen Hände ohne Schutz. Vermutlich wäre ich prompt zurückgewichen, wenn es mir aufgefallen wäre, doch Josy trug eine dunkle Sportjacke, die ihren gesamten Oberkörper umhüllte. Selbst wenn ich mit meinen Berührungen sehr vorsichtig sein musste, weil ich viel Respekt vor ihr und ihrer Gabe hatte, musste ich dennoch genau in diesem Moment für sie da sein. Es war wichtig ihr zu zeigen, dass jemand für sie da war.

    Wieder ergriff sie das Wort, doch sehr leise und zitternd: ››Sicher, irgendwie schon, aber dennoch haben manche dieses Glück und ich wünschte, ich sei damit gesegnet worden. Es ist wie … wie, als würde etwas fehlen in meiner Beziehung.‹‹

    ››Kinder sind sicher etwas schönes, denke ich zumindest. Allerdings solltest du dich daran festhalten, dass du Li hast. Auch wenn dir etwas fehlt, oder euch, habt ihr immer noch einander. Es gibt auch viele Menschen, die keine Kinder bekommen können. Die stehen trotzdem zu einander und gehen durch Dick und Dünn.‹‹

    ››Ach, Sarah‹‹, sagte sie abweisend, als hätte ich überhaupt nichts verstanden, ››Li und ich werden IMMER durch Dick und Dünn gehen, egal was passiert. Egal wie lange eine Ewigkeit dauern mag, wir werden es zusammen herausfinden, darum geht es nicht.‹‹

    Sie löste sich von einem imaginären Punkt auf dem Meer und ihre roten Katzenaugen schauten mich voller Gefühl an. ››Es wäre nur eine Vollendung Leben entstehen zu lassen, welches aus einer liebevollen Beziehung entstanden ist.‹‹

    Lächelnd legte ich den Kopf schief und erwiderte ihren Blick. In diesem Augenblick kam es mir fast so vor, als wäre ich ein Tier mit dem sie wieder einmal auf einer völlig anderen Eben zu sprechen schien. Keiner konnte sie in diesem Moment verstehen, außer mir. Ihre Gefühle und Empfindungen sandte sie regelrecht über diesen Weg herüber. Ich war eine Frau, genauso wie sie. Zwar war mir dieses Bedürfnis noch fremd, aber ich begann mich zu fragen, wann wohl auch ich so denken würde wie Josy. Die Ewigkeit - wie sie eben so schön erwähnt hatte - war lang und sie würde mir viel Zeit für solche Gedanken lassen. Doch wollte ich diesen überhaupt nachgehen? In Josys Gesicht las ich keine Verzweiflung, aber einen Wunsch, der vermutlich schon ziemlich lange bestand.

     ››Wie soll denn dieses Kind ver … ‹‹ Versorgt werden, wollte ich eigentlich gerade fragen, als plötzlich ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus dem Haus kam. Reflexartig drehte ich mich zum Fenster hinter mir um. Marc stampfte die Treppe herunter, die Zigarette qualmend aus dem Mund hängend, ein Gesicht wie eine geballte Explosion und so angespannte, zitternde Fäuste, dass die Knochen weit heraus stachen.

    ››Ist das deine Art witzig zu sein?‹‹, knurrte er zähnefletschend zu Li herüber, der gerade breit grinsend aus seinem Keller kam.

    ››Was denn?‹‹, fragte er und setzte eine gekonnte Schauspielermiene auf. ››Ich hab bis eben meine Serverkonfigurationen überarbeitet.‹‹

    Drohend hob Marc eine Faust und Li musterte sie schief.  ››Verarsch´ mich nicht!‹‹  

    Josy neben mir begann leiste zu kichern und legte die Hand vor den Mund, um den Ton zu dämpfen. Wir wussten beide zwar nicht genau was ihr Mann angerichtet hatte, aber eines war klar: Marc war wohl gerade der Saft für sein Spiel genommen worden!

    ››Ich hab ehrlich nichts gemacht, was soll denn los sein?‹‹, fragte Li erneut mit Unschuldsmiene und ich konnte gar nicht fassen wie überzeugend er klang.

    Man merkte Marc seine Verwirrung regelrecht an. Er schaute seinem Gegenüber mit zusammengekniffenen Augen an und dachte wohl darüber nach, ob dieser sich nur dumm stellte, oder wirklich nichts mit der Tat zu tun gehabt hatte. Li untermalte seine Frage und zuckte unwissend mit den Schultern, auch seine Lippen verzog er dabei.

    ››Ich hab nen bekloppten Virus! Der frisst sich gerade durch meine Festplatte!‹‹, maulte Marc, zeigte anschuldigend die Treppe rauf und sein Blick wurde langsam weicher.

    Li lachte lauthals los. ››Ach komm, da meinst du, ich sei das gewesen? Hey, wo du dich überall rumtreibst, wenn du zockst, ist dir wohl nicht einmal ansatzweise klar, was?‹‹

    Marc begann mürrisch zu gurgeln und sein Körper bebte vor Wut. ››Kannst du den wenigstens entfernen?‹‹

    ››Gönn´ dir mal eine Auszeit. Ich hab nämlich auch gerade etwas anderes vor, vielleicht nachher, ja?‹‹

    Verärgert blies er seine Wangen auf und hauchte die qualmige Zigarettenluft direkt in Lis Gesicht. ››Und ich glaub immer noch, dass du das warst!‹‹

    ››Weißt du, was ich glaube?‹‹, konterte Li und verschränkte die Arme abwertend vor der Brust. Er wartete kurz und als keine Antwort kam, erhob er drohend die Stimme: ››Wenn Celest bemerkt, dass du hier deinen qualmenden Vergasungsstummel geschwungen hat, bist du so gut wie Asche!‹‹

    Erschrocken zuckte Marc zusammen, riss seine Augen weit auf und drehte sich rasch um. Als er die Treppe herauf eilte, konnte ich mir das Lachen nicht mehr verkneifen und stellte fest, dass auch Josy sich den Bauch halten musste. Der Trübsinn von eben war abrupt vergessen und ihr herzliches Lachen erfreute mich umso mehr. Li kam zu uns auf die Veranda und sein breites Grinsen war so triumphierend, als hätte er gerade die Welt von einem Wahnsinnigen gerettet.

    ››Mein Gott‹‹, sagte Li und hielt sich demonstrativ die Hand an das Ohr, ››Ich kann die Vögel wieder hören!‹‹

    Er lehnte sich an das Geländer der Veranda und fixierte Josy.

    ››Was meinst du, wie lange du ihn von seiner Unruhestiftung abhalten kannst?‹‹

    Nachdenklich verzog er die Mundwinkel. ››Wohl eher nicht wirklich lange. Wenn wir länger Ruhe haben wollen, müssen wir den PC entweder ausbomben oder ihn direkt in ein Krisengebiet setzten, damit er genug zu tun hat und etwas länger brauch, um sich zu uns durchzuschlagen. Äh, nein nicht zu uns, zu seinem PC!‹‹ Korrigierte er seinen Schlusssatz und ich musste wieder herzhaft lachen.

    Dann löste er seinen liebevollen Blick von seiner Frau und wandte sich leicht zu mir. ››Was meinst du, wann er wieder kommt?‹‹

    Anfangs war ich mir nicht sicher, wen der gerade meinte, doch da er sicherlich nicht Marc meinen konnte, fiel mir die Wahl nicht gerade schwer. Ich zuckte mit den Schultern. ››Bin mir nicht sicher, denke mal morgen Mittag.‹‹

    ››Hm.‹‹

    ››Warum?‹‹

    Da werte er meine Frage einfach ab. ››Nicht so wichtig, aber sag ihm, dass er sich bei mir melden soll, wenn er wieder da ist.‹‹

    Gerade als ich erneut aus reiner Neugier ansetzten wollte, weil ich solche Heimlichtuhereien einfach hasste, lenkte Josy mich schnell ab. ››Was ist eigentlich mit der Geburtstagsfeier für Flora?‹‹

    Flora erinnerte sich nicht mehr an ihren Geburtstag, was ich sehr traurig fand. Es war etwas im Leben eines jeden Menschen, was einfach wichtig und schön war. Auf keinen Fall wollte ich, dass sie so etwas verpasste. Zwar konnte ich nie wissen, wann das eigentliche Datum war, aber ich wollte ihr einen Tag bescheren, der sie glücklich machte. Eine Überraschungsparty, die wahrscheinlich noch Niemand in ihrem eigentlich ziemlich traurigen Leben für sie veranstaltete hatte. Letzten Endes sollte es egal sein, wann sie stattfand, Hauptsache sie fand auch statt! Li hatte damals per Zufall ein Datum auf ihrem Ausweis vermerkt. Dieses würde jedoch bald eintreffen und war unsere Chance!

     ››Ach ja, wir wollten doch das nächste Wochenende nehmen, oder nich?‹‹, fragte ich mehr zu mir selbst gerichtet und tippte nachdenklich mit dem Zeigefinger auf meine Lippen.

    ››Ja, ich meinte eigentlich was wir so alles einkaufen sollen. Ich hab ja nicht mal Ahnung vom Kochen, das macht sie ja alles alleine.‹‹

    Für die Beiden war ihr menschliches Dasein schon recht lange her. Li hatte zur Zeit der Samurai gelebt und war in dieser Kampftechnik auch ausgebildet worden, so hatte es mir Josy jedenfalls erzählt. Also war er bereits seit mehr als fünfhundert Jahren ein Vampir. Josy dagegen war seit fünfundsechzig Jahren der Unsterblichkeit verfallen.

    Nachdem wir Flora hierher gebracht hatten, mussten wir erst einmal eine Küche für sie einrichten. Celest hatte eine große Abstellkammer ausgenistet und anschließend eine geräumige Einbauküche fertigen lassen. Ich musste zugeben, selbst für mich, war der Geruch von Essen im Haus doch sehr befremdlich geworden. Früher hatte die gute Küche meiner Mutter mir stets das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen, hier konnte ich nur den Kopf schief legen, wenn ich Flora dabei beobachtet hatte, wie sie Tag für Tag ihr Essen zubereitete.

    Während die Sonne Schritt für Schritt verschwand, redeten wir über die Vorbereitungen. Diese Party sollte für sie unvergesslich werden!

        Kurz darauf hörten wir ein Auto, dass vor dem Haus zum Stehen gekommen war. Die Tür klappte zu und rastete mit einem Klicken ein. Dem tierischen Instinkt erlegen, lauschten wir den Geräuschen, die sich uns aufdrängten. Leise berührten die Schuhsohlen den Eingangsbereich und hauchten ihm Leben ein. Während wir uns, vorausgesetzt wir wollten es, so lautlos wie eine fallende Feder bewegen konnten, machten Menschen einen enormen Lärm. Jeder von ihnen hatte einen unverkennbaren Gang an sich, der es uns leicht machte ihn auf Anhieb zuzuordnen.

    Da in unserem Heim nur ein solches Lebewesen hauste, war es klar, wer sich gerade anmeldete.

    Zu ihrem Glück konnte man in Amerika bereits mit sechzehn Auto fahren lernen und natürlich wollten wir ihr dieses nicht verwehren. Alexander hatte ihr die Fahrstunden bezahlt damit keiner von uns sie täglich zur Schule fahren musste, oder sie den Bus hätte nehmen müssen. Schließlich wäre sie dann ganze zwei Stunden Hinfahrt zum Opfer gefallen!

    Ich bemerkte wie sie kurz vor der Haustür von Celest abgefangen wurde. Laut ihrer Aussage war das Carport für den Familienfuhrpark einfach viel zu kahl und so kam sie auf die Idee Blumenranken zu züchten. Ihre Lieblingsbeschäftigung konnte sie tagelang beeinträchtigen. Sie sah in den Pflanzen eine andere Schönheit als unser eins. An uns trat nur die äußerliche Hülle heran, ihr jedoch offenbarte sich weitaus mehr.

    Celest hatte gerade einen ihrer Schützlinge an den Pfahl gepflanzt und freute sich Flora zu sehen. Ihre kraftvolle aber auch zerbrechliche Aura erfasste jeden bis aufs Mark, der sich ihr näherte oder sie berührte. Ich versank so sehr in ihr, dass ich die Begrüßung der Zwei gar nicht wahr nahm. Wie ein eisiges Frösteln erfasste mich Celest Anwesenheit und ich löste meinen Geist von ihr ab.

    Gespannt versuchte ich das entstandene Gespräch der Beiden zu belauschen. Eine Unart, zugegeben, aber bei so scharfsinnigen Ohren war es leider manchmal unumgänglich.

     ››Josy war vorhin ganz aufgeregt gewesen‹‹, sagte Celest euphorisch mit ihrer anmutigen Stimme. ››Eigentlich wollte ich auch erst unsere Neulinge sehen, aber ich dachte mir, das werden einfach zu viele in einem Raum. Wir wollen die frischen Eltern doch nicht überfordern. Nachher, wenn es ihr besser geht und sich der ganze Trubel gelegt hat, können wir ja mal nachsehen. Ich bin so gespannt wie die Kleinen aussehen!‹‹

    ››WAS?‹‹, brüllte Flora los und wir drei zuckten gleichzeitig zusammen. Schon viel früher hätte ich mich von der unfassbaren Aura Celests entfesseln und das Gespräch belauschen sollen. In dem Fall wäre noch genügend Zeit für eine Flucht gewesen. Aber selbst Josy und Li hatten wohl zur gleichen Zeit ihre Ohren gespitzt und somit genauso spät verstanden, was Celest da eigentlich von sich gegeben hatte.

    Nun war die Chance, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, an uns vorbei gerauscht. Die Eingangstür knallte bereits laut zu und hallte durch das Haus wie ein gewaltiger Kanonenschlag. Fußtritte stampften durch den Flur und wurden durch ein aufgewühltes Gemüt unterstrichen. Ihr Herz raste vor Wallung und pumpte das Blut mit aller Gewalt durch die Venen. Sie beförderte ihre Wut inbrünstig aus den Nasenlöchern heraus und biss ihre Zähne aufeinander. Zielbewusst steuerte sie das Wohnzimmer an und schien zu ahnen, dass wir nicht weit sein konnten. Ihre Anwesenheit glich einem Blitz und ich wartete erstarrt auf den sich entladenden Donner.

    Genervt fasste sich Josy an die Stirn und grummelte. ››Wieso hat sie nicht einfach den Mund halten können?‹‹

    Seufzend antwortete ich: ››Weil sie niemals einen Gedanken daran verschwenden würde, dass sie mit solch einer Aussage einen Vulkan zum Ausbruch aufforderte.‹‹

    Li nickte und schaute verlegen auf die Decke der Veranda. Langsam zählte er die Sekunden, bis die brodelnde Lava uns erfassen und gewaltsam überschwemmen  würde. Trotzdem blieb ich von einer Panikattacke verschont.

    Die Glastür schnellte auf und ich dachte schon sie würde durch die aufgebrachte Kraft an der Wand zersplittern, aber wir hatten Glück. Zumindest noch, denn der zweite Blick viel unweigerlich auf Flora. Wie ein aufgebrachter Stier vor seinem Ringkampf blähten sich ihre Nasenlöcher auf und ihr Kopf war so rot aufgelaufen, dass man glaubte er würde bei der kleinsten Regung explodieren.

    ››Äh, ich muss weg!‹‹, sagte Li energisch und konnte seine Augen nicht von der Furie abwenden, die uns mit ihrem Blick festnagelte. Josy funkelte ihn böse an.

    ››Ihr wisst doch, Marc hat einen Virus. Der Arme überlebt den Rest des Tages nicht, wenn ich nichts tu.‹‹

    Irgendwie war es klar, dass er sich aus der Affäre ziehen wollte, aber das er seine  eigene fiese Tat einfach zum Vorteil auslegte, grenzte schon an Egoismus. Josy fiel ungläubig der Unterkiefer nach unten und als sie sich wieder fasste, wurden ihre Augen verurteilend schmal. Blitzschnell wägte Li ab welche Frau in ihm mehr Panik erzeugte. Die Antwort war schnell gefunden. Fix huschte ihr Mann an dem Pulverfass namens Flora, dass sich langsam und fixierend auf uns zu bewegte, vorbei und machte sich einfach aus dem Staub. Die Luft zischte, als er sie wie ein Messer durchschnitt und alles hinter sich lies.

    ››Ich glaub das einfach nicht!‹‹, schnaubte Flora uns in einem Ton an, den ich bisher nur einmal von ihr gehört hatte. Damals hatte ich sie zum ersten Mal getroffen und war so egoistisch gewesen, dass ich es schnell bereut hatte. In diesem Moment allerdings sah ich mich mit keiner großen Schuld konfrontiert.

    ››Ja, ich glaub´s auch nicht! Haut der einfach ab und lässt uns hier sitzen!‹‹, versuchte Josy die Konversation zu entschärfen und schaute böswillig durch das Fenster hinüber zu seinem Zimmer. Ihr Mundwinkel zuckte dabei so verräterisch belustigend, dass ihr niemand diese Aussage wirklich abkaufen konnte.

    ››Das mein ich doch gar nicht!‹‹, knurrte Flora. ››Wie konntet ihr mir das nur antun?‹‹ Sie stampfte unkontrolliert mit dem Fuß auf dem Holzboden herum, hatte ihre Fäuste geballte und wirbelte mit ihren Armen herum. Sie war so außer sich, dass sie gar nicht bemerkte was sie für ein Bild abgab. Für den kurzen Augenblick glaubte ich einem Gorilla gegenüber zu sitzen und biss mir auf die Unterlippe, um nicht lauthals zu lachen. Ihre kurzen, blonden Haare blieben durch ihren Wutausbruch unberührt, aber die vielen Strählen, die ihr über das rechte Auge fielen, wirbelten umher wie Gräser im Wind.

    ››Es ging alles so schnell, wir hatten gar keine Zeit dir rechtzeitig Bescheid zu geben. Es tut uns wirklich leid.‹‹

    Ihr Herz raste vor Zorn und jeder Atemzug, der ihre Nase verließ, kam einem verächtlichen Schnauben gleich. Der Stier wartete nur auf das rote Tuch, damit er seinen Anpfiff bekam zuzuschlagen. Ihr ganzer Anblick war so unglaubwürdig feindselig und grimmig, dass ich tief schlucken musste. Es war seltsam. Wie schaffte es ein gewöhnlicher Mensch mir Angst zu machen, wo ich doch schon so viel anderem gegenübergestanden hatte?

    Josy legte eine liebevolle, ruhige Miene auf und versuchte sie zu beruhigen. ››Mir tut es auch leid, aber es ging wirklich sehr schnell. Wenn Sarah es nicht selbst bemerkt hätte, wäre nicht mal sie dabei gewesen und eigentlich bin ich auch darüber sehr froh. Shila hatte somit nicht lange zu kämpfen und das ist doch auch etwas schönes, oder nicht?‹‹

    Sie stand auf und legte ihr mitfühlend die Hände auf die Schultern. ››Bitte sei nicht böse. Ich weiß, dass ich es dir versprochen habe mich umgehend bei dir zu melden, aber keiner konnte wissen, dass es so schnell gehen würde.‹‹

    Alleine Josys mütterlicher Art war es wohl zu verdanken, dass sich Flora beruhigte. Ihre Arme erschlafften, obgleich sie immer noch von ihrer Wut leicht zitterten, aber dennoch gab sie auf. Schließlich brachte es ihr nichts sich aufzuregen, vielleicht verstand sie es in genau diesem Augenblick.

    Als Flora den Kopf neigte und traurig auf den Boden schaute, den sie eben noch wild getreten hatte, schob Josy ihren Kopf sanft zu sich hoch. ››Sei doch eher froh, dass alles glatt gelaufen ist und die Kleinen laufen dir ja nicht weg.‹‹

    Schmollend blies sie ihre Wangen auf. ››Aber ich wollte doch so gerne dabei sein!‹‹

    An ihrer Stimme merkte man, dass ihr Zorn

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