Das Gefühl von: Stories und Gedichte
Von Stefan Prinz
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Buchvorschau
Das Gefühl von - Stefan Prinz
Titel
Stefan Prinz
Das Gefühl von
Stories und Gedichte
chapter1Image1.jpegImpressum
Texte: © Copyright by Stefan Prinz
Umschlag: © Copyright by Stefan Prinz, Picture by Pixabay
Verlag: Neobooks
Druck: epubli ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
Printed in Germany
Wo die Liebe hinfällt – wer hebt sie da auf?
Ich nehme mir einen Strick
und fange alle Bösewichte ein.
Ich setze allem ein Ende,
was mich blockiert hat.
Ich stehle alle Waffen der Erde
und werfe sie in den Müll.
Ich liebe es zu hassen,
meine ja und schüttele den Kopf,
will nein sagen und nicke.
Ich küsse, wen ich hasse
und schlage, wen ich liebe.
Ich bin ein einziges Paradoxon auf zwei Beinen.
Nichts und alles zugleich, doch lieber nichts.
Wo die Liebe hinfällt – wer hebt sie da auf?
Ich bestimmt nicht, und du auch nicht.
Wo sie stolpert und sich das Bein bricht,
nicht mehr kann und nicht mehr will.
Da kommt eine Dritte um die Ecke, aus dem Nichts
und verändert all das eben gesagte, meine ganze Weltsicht.
Den Sternen entgegen
»Such dir doch einen weiblichen Assistenten.« Zwischendurch schwebten die vor rund einem Jahr ausgesprochenen Worte ihrer Mutter wie ein Damoklesschwert über ihr, tauchten auf, verschwanden und kamen mit doppelter Intensität wieder.
»Ich werde aber nicht beim Waschen und den Toilettengängen unterstützt«, hatte sie entgegnet. »Also ist es doch egal. Im Moment gibt es halt nur den einen männlichen Bewerber. Und ich brauche einen zweiten Assistenten, sonst fällt mir Resi bald vor Überarbeitung um.«
Und nun saß er leicht vorgebeugt neben ihr auf der Couch und schwieg, obwohl sie sich jetzt gerade nach Kommunikation sehnte. Ja, was war das überhaupt für ein persönlicher Assistent, der seinen Klienten nicht unterhielt, ihm nicht einmal ein freundliches Lächeln zuwarf. Sie bezahlte ihn schließlich von ihrem persönlichen Budget der Eingliederungshilfe, sie mit den Stümpfen als Beinen, die Rollifahrerin oder der Mensch mit Behinderung, wie Leute wie sie genannt wurden, was noch besser war als Spasti oder Sätze wie: So könnte ich ja nicht leben, da würd ich mir gleich ´nen Strick nehmen.
Jetzt sah er sie wenigstens an und nicht mehr die bewegten Bilder in dem Kasten vor ihnen, mit seinen rauen Gesichtszügen, bis auf die Augen, in denen sie reinste Gutmütigkeit entdeckte.
Sag, warum bist du so schweigsam, komm, sprich mit mir, dachte Edith, denn das war er ihr schuldig. Sie musste nämlich an ihn denken, sowohl im Sommer, wenn am Morgen die Sonne die ersten Strahlen über ihren Heimatort schickte, als auch jetzt am Nikolausabend, wo draußen dicke Schneeflocken fielen. Aber in Wahrheit schuldete er ihr nichts, wie sie sich in diesem Moment verinnerlichte.
Sie sah aus dem Fenster. »Ich will raus.«
»Aber es schneit.«
Sie wandte ihm den Kopf zu und nickte. »Deshalb.«
»Okay«, sagte er, stand auf und holte ihren Rollstuhl, den er in die hintere Ecke des Wohnzimmers geschoben hatte; Edith wollte es so, sie wollte den Rollstuhl nicht ständig im Blickfeld haben.
Draußen war es eisig kalt, doch Mirko und Edith hatten sich Mantel, Schal und Mütze übergezogen. Um 18 Uhr 20 war es bereits seit einer Stunde dunkel.
»Die Reifen werden ganz nass«, bemerkte Mirko trocken, während er sie den Gehweg ihrer Straße entlangschob. »Muss die auch mal wieder aufpumpen.«
»Egal.« Edith lächelte. Sie es liebte draußen zu sein. Kein Wunder, bei einer überfürsorglichen Mutter, die sie selten hinaus ließ, und ohne Begleitung war sowieso ein Tabu gewesen. Sie erinnerte sich an einen Abend, wo sie mit Dreizehn einfach in der Nacht ausbrach, einfach weil sie nie die Sterne und den Mond außerhalb des Hauses gesehen hatte. Es endete in einer Katastrophe, bei der die Mutter fast eine Panikattacke bekam, wonach sich die Regeln für Edith noch verschärft hatten.
»Mirko? Kannst du dir vorstellen, dass jemand im Rollstuhl mit einem zusammen ist, der nicht im Rollstuhl sitzt?«
Jetzt drehte sie den Kopf und schaute hoch zu dem großen Mann, der ihren Rollstuhl schob. Sie kamen an einem Kiosk vorbei, in dem keine Menschenseele, nicht mal der Verkäufer, zu sehen war. Die ganze Kleinstadt war wie ausgestorben, hin und wieder störte ein langsam vorbeifahrendes Auto dieses Bild aber doch.
»Ich weiß nicht«, sagte er.
Sie blickte wieder nach vorne und verzog die Mundwinkel. Aber das war besser als der Satz, den sie mal zu diesem Thema aufgeschnappt hatte: »Jeder sucht sich doch seinesgleichen, oder? Also ich könnte mir das nicht vorstellen mit ´nem Behinderten.« Und diese Person hatte sogar im sozialen Bereich gearbeitet. War Edith also total bescheuert, dass sie sich so eine Frage überhaupt stellte? War sie nicht gut genug für jemand wie Mirko, war sie es einfach nicht wert, sollte sie sich einen ihresgleichen suchen?
Edith grübelte weiter in ihrem Rollstuhl, während weiche, nasse Flocken auf ihr Gesicht rieselten. »Sag mal, bist du glücklich?«
»Du stellst manchmal Fragen! Hm, darüber muss ich nachdenken.« Mirkos Stimme klang belegt.
»Dann denk.« Was wusste sie überhaupt von ihm? Sie wusste, dass er einen Zwillingsbruder hatte, den er nicht besonders mochte. Was noch? Er war Heilerzieher, er wohnte allein in einer kleinen Wohnung mit ständig feiernden Nachbarn über sich. Sie wartete und fürchtete folgenden Satz: Ach übrigens, ich habe eine Freundin. Aber irgendwann würde er unausweichlich folgen und sie könnte nichts dagegen tun, als sich einen Iglu zu bauen und langen Winterschlaf darin zu halten.
»Jetzt im Moment bin ich glücklich, wenn ich mit dir durch den Schnee laufe«, sagte er und es klang ehrlichgemeint.
Ihre Augen begannen zu strahlten. Gute Antwort.
Dann, schon fast an der Umgehungsstraße angelangt, kam ihnen auf der Straße eine junge Frau entgegen. Der Schnee hatte aufgehört; nur eine kleine weiße Schicht bevölkerte den Weg. Sie schaute die beiden an, sah weg und dann wieder aufmerksam zu ihnen hin. »Mirko? Bist du das?«, fragte sie. Mirko und Edith blieben vor der Frau stehen.
»Carina? Hi! Ewig nicht gesehen!« Er sagte es mit einer Freude und Leichtigkeit in der Stimme, die Edith gar nicht gefiel. Ach, könnte ich dir doch nur mal solche Töne entlocken, dachte sie. »Carina und ich waren Mitschüler«, klärte er Edith auf.
»Aha.« Die Frau war blond, groß und hatte das Gesicht eines Models. Sie sah in buchstäblichem Sinne auf Edith herab, mit einem Ausdruck, der besagte: Was gibt sich Mirko denn mit der Behinderten ab? Edith wollte weiter. Schnell.
»Genau, das waren wir«, sagte sie jetzt mit vielsagender Stimme. Aber wir waren auch mehr. Sie schien jetzt wieder ganz in Mirkos Erscheinung versunken.
Edith wollte dieser Frau am liebsten mit dem Rolli über die Füße fahren.
»Was machst du so?«, fragte Mirko.
»Ich hab ja in Münster Mathematik studiert. Seit kurzem bin ich wieder hier. Hab in der Nähe eine Stelle gefunden.«
»Schön. Vielleicht können wir uns ja mal treffen.«
»Ja, gerne. Warte, ich tippe deine Nummer ein.«
Während Mirko ihr seine Nummer diktierte, versuchte sich Edith durch ein bereits mit roten Lichterketten versehenes Haus abzulenken. Sie sehnte sich nach dem Innern dieses Hauses, nach allem, was sie von hier wegbringen würde.
»Wir müssen dann mal weiter«, sagte Mirko. »Aber wir telefonieren auf jeden Fall.«
»Oh ja, das machen wir. Bis dann, Mirko.«
Oh ja, das machen wir, äffte Edith sie in Gedanken nach. Nein, mit so jemand wie der konnte sie nicht konkurrieren.
»Ich will heim«, sagte sie eine Weile später zu Mirko, als sie die ersten Meter der Umgehungsstraße angetreten hatten.
»Aber … wieso denn so plötzlich?«
»Ich will heim!«, beharrte sie, ohne weiter auf Mirko einzugehen.
Als dieser sie vorsichtig in ihrem Rollstuhl umdrehte, war ihr Entschluss bereits gefasst. Beide schwiegen auf dem Rückweg. Er durfte daraufhin auch früher gehen.
»Ich will einen anderen Assistenten«, eröffnete sie ihm gleich als erstes am nächsten Vormittag, mit einem Mut und Zorn, der sich die ganze Nacht in ihr aufgestaut hatte. Sie hatte kaum geschlafen, was sich an ihren dunklen Augenringen und den gequälten Zügen abzeichnete. Mirko stand immer noch in der Tür, die Edith ihm soeben geöffnet hatte.
Er stockte, stand da wie ein begossener Pudel, schien die Welt nicht mehr zu verstehen. »Was … Was habe ich falsch gemacht? «
»Nichts. Ich kann mir dich nicht mehr leisten. Werde nur noch mit Resi auskommen müssen. Mach´s gut. Warst ein guter Assistent.« Sie schloss die Tür vor seiner Nase, er sprang hastig zurück, um sie nicht ins Gesicht zu bekommen.
Dann war er aus ihrem Blickfeld verschwunden, in jedem Sinne. Sie fuhr mit dem Rolli zum Sofa, hievte sich darauf und blieb den ganzen Tag liegen. Sie hatte keinen Hunger und keinen Durst, sie brauchte nichts mehr.
Sie stellte sich häufig vor laufen zu können, mit zwei kräftigen Beinen, die fest auf der Erde standen. Sie hatte da diese Phantasie, welche sie selbst als albern empfand: Sie und Mirko auf der Tanzfläche eines prunkvollen Balles, er gekleidet wie ein Prinz, sie wie eine Prinzessin. Dann nahm er sie in die Arme