Die Lohensteinhexe, Teil IV: Eine wundersame Wendung
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Buchvorschau
Die Lohensteinhexe, Teil IV - Kristian Winter (winterschlaefer)
Eine wundersame Wendung
Beatrice war in der peinlichen Befragung wider allen Erwartungen standhaft geblieben. Tapfer trotzte sie den Torturen und verhöhnte sogar den Büttel. Der rächte sich durch besondere Härte, so dass sie wiederholt das Bewusstsein verlor und erst durch kalte Güsse wieder aufgeweckt werden musste. Doch so sehr er sie auch peinigte - ein Geständnis wollte ihr nicht über die Lippen kommen.
Dabei war die Beweislage erdrückend, vor allem, nachdem man den Incubus genannten Buhldämon in ihrer Truhe fand. Und als die Hausmagd dem Tribunal noch eine Probe des Weines übergab, worin man neben Resten von Wolfskraut noch Schlafmohn und Bitterkraut nachweisen konnte, musste Kunibert erkennen, mit welcher Schlange er die ganze Zeit unter einem Dach gelebt hatte.
Wie man sagte, habe er daraufhin das Geschirr zerschlagen, den goldenen Ehering in die Altarschale der Kirche geworfen und sie mit einem lauten ‚est infernum apud illum‘, zum Teufel gewünscht.
Doch obwohl man ihr wiederholt die Schnabelzinke einführte – eine besonders qualvolle, dornenbesetzte Zwinge - und sie bis ins Extrem spreizte, so dass sie höllische Schmerzen litt, gab sie nur zu, was man bereits wusste, leugnete jedoch jede Tötungsabsicht. Vielmehr behauptete sie, absichtlich so dosiert zu haben, um der angeschlagenen Gesundheit ihres Mannes durch Beruhigungsmittel entgegenzuwirken.
Das sahen die Herren des Tribunals freilich anders, allen voran Amtmann Kunze, der ihre Schuld somit als bewiesen ansah und auf ein schnelles Geständnis hoffte. Doch nicht etwa aus Bequemlichkeit, sondern aus Furcht vor der hochnotpeinlichen Befragung, die er ihr unbedingt ersparen wollte.
Schätzte er sie doch noch immer als edle Frau, die ihrem Mann in all den Jahren Beistand und Loyalität bezeigte, wenn er sich mit bornierten Scholastikern und Aristokraten herumschlagen musste, die ihn in hitzigen Debatten von bestimmten Dingen zu überzeugen suchten, welche stets zu ihrem Vorteil waren, doch nie zum Wohl der Stadt. Das verlangte schon ein gesundes Augenmaß, das er bisher auch immer bewies, nun aber aufgrund ‚gewisser Umstände‘ erstmals schwächelte.
Doch offenbar legte sie es darauf an, als wüsste sie genau, wie sie den Prozess am besten verschleppen könnte. Nicht nur, dass sie während der Prozedur fortwährend provozierte und dabei eine an Wahnsinn grenzende Todesverachtung bezeigte, wie jetzt, da sie ihren Peiniger hasserfüllt anspie und ganz unverhohlen eine ‚Drecksau‘ nannte.
Durch die absichtliche Gefährdung des eigenen Lebens machte sie darüber hinaus das ‚judicium aquae frigidae‘ genannte Hexenbad nahezu unmöglich; eine für gewöhnlich öffentlich durchgeführte Prozedur, die auch ohne Geständnis über Schuld oder Unschuld der Delinquentin entschied, jedoch aufgrund der Unwägbarkeiten nur ungern praktiziert wurde.
Außerdem würde jeder Verstoß gegen die körperliche Unversehrtheit durch verräterische Blessuren schnell den Versuch einer Vorwegnahme des Gottesurteils erwecken. Andererseits wäre im Fall eines vorschnellen Ablebens der Tatbestand der Hexerei ohne vorliegendes Bekenntnis nicht mehr zweifelsfrei nachweisbar. Die Folge wäre eine Rehabilitation mit enormem Schaden für das Ansehen des hiesigen Rates.
Zu spät erkannte man diese Finesse. Augenblicklich stellte man die Tortur ein und war um Schadensbegrenzung bemüht. Nachdem man diesen Tölpel von Folterknecht für seine Grobheiten gerügt und ihn der Unfähigkeit bezichtigt hatte, verbrachte man sie ins Hospital. Hier wurde sie unter ständiger Aufsicht in einer kleinen Kammer untergebracht und sollte durch den hiesigen Medicus kuriert werden.
Doch dieser Quacksalber war mehr dem Glücksspiel und dem Alkohol zugetan und bewirkte mit seinen lediglich aus kalten Bädern und Aderlass bestehenden Behandlungen mehr Schaden als Nutzen. Beatrices Zustand verschlechterte sich, weshalb man ihm die Behandlung bald wieder entzog.
Nun aber geschah etwas Unerwartetes. Anstatt einen anderen Medicus oder zumindest eine der Ordensschwestern vom nahen Kloster St. Marien als ihre ‚Lorem sororem‘ benannte Fürsorgerin damit zu betrauen, wie es das Protokoll in einem solchen Fall vorsah, wurde auf Kuniberts Drängen hin eine bis dahin völlig unbekannte, heilkundige Frau aus dem Volk dazu verpflichtet.
Das war ein Novum und löste einige Irritationen aus, zumal Kunibert damit die eherne Regel des ‚iudex reservatio‘ genannten Inquisitionsvorbehaltes brach. Demnach durfte kein Außenstehender, schon gar kein Ungeweihter, eine Hexe ‚betreuen‘ – schon wegen der Gefahr eines Hexenfluches, der von ihr überspringen könnte.
Da man aber um seine momentane Konfusion wusste und dieses Vorhaben allein schon aufgrund der Inkompetenz dieser Frau scheitern sah, unternahm man nichts dagegen.
Doch kurioserweise irrte man. Diese Frau, die sich selbst Franziska Schroers nannte und aus dem nahen Wildenbruchflecken stammte, ging von Anfang an überaus engagiert zu Werke.
So untersagte sie sofort jede Heilmethode, die nicht mit ihr angestimmt war. Das betraf insbesondere die Schwestern von St. Marien, die wiederholt im Hospital erschienen und die Betroffene nach den Regeln der ‚spritualis sanitas‘ genannten Wundheilung des Ordens versorgen wollten.
Ebenso verbannte sie während der Zeit ihrer Behandlung die beiden Wächter aus der Kammer.
Nichts schien sie zu verschrecken. Selbst der Umstand, dass sie es mit einer vermeintlichen Hexe zu tun hatte, kümmerte sie nicht. Im Gegenteil, trotz Beatrices anfänglicher Abneigung bezeigte sie ihr gegenüber ein großes Verständnis und wachte manchmal sogar nachts bei ihr - ein Alp für jeden frommen Christenmenschen.
Dabei verlief ihre erste Begegnung denkbar ungünstig. Nachdem man sie zum ersten Mal mit der Delinquentin konfrontierte, blieb sie für einen Moment an der Schwelle stehen und maß die auf dem Bett Liegende mit einem langen, eindringlichen Blick, der auch von ihr sofort in gleicher Weise erwidert wurde.
Das war schon deshalb sonderbar, weil Beatrice eben noch schlief und allein durch die Anwesenheit der Fremden zu erwachen schien. Ob deren Blick nun ungewöhnlich streng war oder womöglich sogar so etwas wie ein schadenfrohes Genießen fremden Leides darin lag, hätte niemand sagen können. In jedem Fall prägte sich sofort ein vollkommenes Entsetzen in Beatrice‘ Züge und ein krampfhaftes Zucken lief über ihr Gesicht, als stünde ihr der Leibhaftige gegenüber. Verwehrend reckte sie ihr die Hände entgegen, als wolle sie jede weitere Annäherung verhindern.
Als es aber dennoch dazu kam und diese Frau schließlich ihre Stirn berührte, erschrak Beatrice so heftig, dass sie ihr urplötzlich in die Haare fuhr und sich darin festkrallte. Nur die sofort herbeieilenden Büttel konnten sie wieder von ihr lösen, ohne dass auch nur ein Wort der Klage über die Lippen der Angegriffenen kam. Aber selbst jetzt verbat sie sich jede Züchtigung und blieb überaus mitfühlend.
Eingehend betrachtete sie die Verletzungen der Geschundenen, die überwiegend aus Quetschungen und Verbrennungen bestanden und behandelte sie mit einer grünlichen Tinktur. Aber selbst das versuchte Beatrice noch zu verhindern, indem sie wiederholt ihre Hand wegdrückte, bis sie schließlich unter ihrem Zuspruch nachgab.
Was sie ihr dabei ins Ohr flüsterte, blieb für Außenstehende unverständlich. Es muss aber überaus eindringlich gewesen sein, denn die Gepeinigte brach bald darauf in Tränen aus, verfiel in tiefes Schluchzen und entschuldigte sich für ihren Unverstand.
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