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Schlachtfelder, Fluchtpunkte, Träume
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eBook153 Seiten2 Stunden

Schlachtfelder, Fluchtpunkte, Träume

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Über dieses E-Book

Ach, wie schön ist es, seinen Verstand zu verlieren!
Was ist das Wesen der Literatur? Robert Musil, der die grösste Inspiration für dieses Buch war, formulierte in seinem Aufsatz zu einer neuen Ästhetik, dass man durch die Literatur seinen Weg in den "Anderen Zustand" finden kann, in einen Zustand, der unserem "Normalzustand" entgegensteht. Für ihn war dabei die Literatur das effizienteste Mittel hierfür. In drei Kurzgeschichten soll versucht werden, sich mit dem Wesen dieses "sich selbst verlieren" auseinandergesetzt zu werden.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. Dez. 2018
ISBN9783742712806
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    Buchvorschau

    Schlachtfelder, Fluchtpunkte, Träume - Dominik Mutter

    Schlachtfelder

    Erster Teil.

    Tatsachen.

    Vergebt, mein bester Freund, dass ich allzu lange kein Wort von mir vernehmen liess. Die hiesigen Ärzte fanden es einen Versuch wert, mich von allen aussenstehenden Kontakten abzuschneiden, zugunsten meiner Therapie. Stundenlang versuchen sie in unseren Gesprächen zu ergründen, was es gewesen sein mag, dass mich zu der, wie sie es nennen, «widerwärtigen» Tat verleitet hat. Sie verzweifeln daran, dass sie mir keine angemessene und zufriedenstellende Antwort entlocken vermögen. Ich weiss nicht, was ich ihnen entgegnen könnte oder sollte, das sie verstummen lassen würde.

    Ihr fragtet mich, wie sich dies alles zugetragen habe, was mich dazu verleitet hat, was an diesem Tage im letzten November geschehen war. Stets habe ich eure Intelligenz und euren Rat gewürdigt und bei Gelegenheit werde ich euch alles eröffnen, was ihr zu wissen wünscht. Die Briefe, die ihr mir während der Zeit meiner Einweisung zugeschickt habt, liessen mich Hoffnung schöpfen, verhinderten, dass ich gänzlich meinem Wahnsinn verfallen bin, eingesperrt in diese enge Kammer. Ich weiss, dass der Hofrat sämtliche meine Korrespondenz liest und sich erhofft, ihnen, durch meine Kommunikation mit dir, etwas zu entnehmen, was ihm die nötige Bewilligung gäbe mich für immer hier zu behalten, lebenslänglich. Seine verschrobene, forsche, jedoch freundliche und zuvorkommende Art lässt die Insassen verrückt werden; wie Ameisen um ein Stück Zucker schwärmen sie um ihn und folgen glücklich lächelnd jeder Bewegung seiner Lippen, wenn er sie zu einem längeren oder lebenslänglichen Aufenthalt in seiner Anstalt verdonnert. Beinahe fühle ich mich wie Hans Castorp auf dem Zauberberg. Und Hofrat Behrens ist es, der täglich vor meiner Zelle erscheint, mit seinem verschmitzten Lächeln und der versuchen will, meine innersten Beweggründe und Seelenstände auszumachen und zu durchleuchten. Er ist nichts als ein übermütiger Stümper.

    Ich sehe mich gewissermassen gezwungen, diesen Brief kurz zu halten, da mich in diesem Moment die Müdigkeit der vorangehenden Tage überfällt. Die Gespräche mit den Seelenklempnern hatte stärker an meinen Kräften gezehrt, als es mir bewusst war und meine Augen beginnen zuzufallen und ich muss noch rechtzeitig daran denken, diesen Brief aufzugeben.

    ***

    Etwas wahrlich Wunderliches hat sich an dem heutigen Tage ereignet. Nicht, dass ich mich darüber beschweren würde, wenn irgendetwas den monotonen Alltag dieser Inhaftierung überspielt und gelegentlich für etwas Aufregung sorgt. Ein junger, gutaussehender Mann mit einem dunklen Schnauzer gesellte sich, natürlich unwillig und von den Pflegern an den Armen hineingeführt, zu unserem Kollektiv der Verdammten. Die Bewohner des Sanatoriums gingen in Freude auf, als sie die Nachricht eines Neuzugangs erreichte.

    Solch ein Neuling versprach stets etwas Unterhaltung und Aufregung. So verhielt es sich auch mit dem jungen Mann mit dem Schnauzer. Er gefiel sich nicht sonderlich in der Behandlung, die die Pfleger ihm gegenüber erbrachten, und er lieferte ihnen einen hartnäckigen Kampf. Die beiden Pfleger sahen sich gezwungen die Wachen hinzuzuziehen, was jedoch bloss noch mehr die aufständischen Kräfte des jungen Mannes vergrösserte. Er riss sich los von ihrem klammernden Griff und sie sahen sich genötigt, seine wütenden Attacken abzuwehren. Mit einem Schlag auf den Kopf hatte eine der Wachen dem Schauspiel jedoch allzu abrupt wieder ein Ende bereitet, jedoch war auch dies bloss der Anfang des Ganzen.

    Als sich die Wache zu dem Niedergeschlagenen herunter kniete, um sich zu vergewissern, dass dieser durchaus noch atmen würde, stellte sich heraus, dass der gewitzte junge Mann bloss den Ohnmächtigen gespielt hat und mit einer beinahe animalischen Geschwindigkeit vergrub er sein Gebiss in der Hand des Wachmanns. Dieser, erschrocken und unter grossen Schmerzen, holte weit aus mit seinem Schlagstock, vergass seine Vorbehalte und seine Reue, die er verspürt hatte, als er den Mann das erste Mal niedergeschlagen hatte, und liess den Schlagstock mit einem dumpfen Aufprallgeräusch auf den Kopf des Mannes fahren. Die Pflegerin, die eine Hälfte der Prozession bildete, die den jungen Mann in den Raum geführt hatte, fuhr entsetzt schreiend auf und wich zurück. Der junge Mann rührte sich nicht mehr und ein kleiner See seines Blutes bildete sich neben seinem Kopf. Noch nie habe ich eine der Wachen so sehr ihre Kontrolle verlieren sehen und etwas überrascht starrte nun auch ich auf den Tatort. Zu meinem Glück hatte sich das Ereignis in direktem Blickfeld meiner Zelle ereignet und ich war geladen zu einer Privatvorführung.

    Nicht lange und der Hofrat betrat, durch den lauten Schrei der Pflegerin aufmerksam geworden, die Bühne. Ich verfolgte mit grossem Interesse, wie sich die Situation weiter entwickeln würde. Der Hofrat war bekannt für seinen wenig zimperlichen Umgang mit schwierigen Personen; die Gerüchte hielten sich hartnäckig, auch unter denjenigen, die ihn anhimmelten. Diese hatten sogleich auch stets eine Entschuldigung für seine grobe Art bereit und begnügten sich damit, die Worte nachzusprechen, die bereits seit Beginn meines Aufenthalts gesprochen wurden, wenn der Hofrat wieder einmal seine Beherrschung verloren hatte: «Es ist vonnöten, denn schwierige Fälle verlangten auch strengere Vorgehensmethoden». Die meisten dieser Fälle, die strengeren Methoden verlangten, wurden nach einigen ihrer Konsultationen mit dem Hofrat meistens nicht wiedergesehen und die Parole lautete stets, dass sie geheilt waren und abreisen konnten. Glücksfälle sozusagen.

    Innerlich zwiegespalten war nun auch der Hofrat in Anbetracht des leblosen Patienten. Er zögerte noch damit, trotz seiner strengen Vorgehensweise gegenüber schwierigeren Fällen, öffentlich seine Kaltherzigkeit zu zeigen und den umliegenden misslang es, seine gespielte Trauer und Fraglosigkeit zu durchschauen. Eine gewisse Freude und Erregung zeigten sich in seinen Augen, als er sich zu dem Verstorbenen niederbeugte und in ärztlichem Fachjargon uns mitteilte, was wir alle bereits wussten. Jedoch erzielte dies seine gewünschte Wirkung, denn ein Mantel der Beruhigung hüllte sich um die umliegenden Zuschauer und den Täter. Selbst die Pflegerin, die zuvor noch in Angst und Entsetzen aufgeschrien hatte, schien ihre Einwände vergessen, oder jedenfalls verdrängt zu haben. Der Hofrat hatte stets ein Händchen hierfür, besonders bei genereller Unsicherheit, wie sie die Pflegerin auf die eine Weise und der Wachmann auf die andere, auch wenn etwas verschrobene Weise, zeigten. So wurde der Vorfall auch allzu schnell von allen wieder vergessen; die Gebeine des ehemaligen, kurzweiligen Patienten wurden geschwind weggeschafft und alles ging seinen gewohnten Gang. Ich jedoch werde nie vergessen, was sich an diesem Tage ereignet hat, denn es war der erste Vorfall, in dem der Hofrat sich gezwungen sah, aus seinem Schatten zu treten. Die gewalttätigen Austreibungen der schwierigen Patienten, die sich stets im Hintergrunde, eben im Schatten, abgespielt hatten, traten heute in einer gewissen Weise ins Licht, auch wenn bloss in diesem kurzen Moment, als diese makabre Freude in den Augen des Hofrats entflammte und der Tod in den Hallen des Sanatoriums in die Öffentlichkeit trat. Ich weiss, dass dies erst der Beginn sein sollte; Sie hatte es mir so vorausgesagt.

    ***

    Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, wie schwer die Banalität und die Langeweile dieses Aufenthalts an meiner Seele nagt. Ein glücklicher Zufall erlaubte es mir, dass ich nicht gänzlich dem Wahnsinn verfiel und meinen Anker, mein Widerlager zu diesem, anderen Zustand, nicht verlor. Wie gesagt hatten eure Briefe keinen unmerklichen Anteil daran, jedoch wird meine Post stets vom Hofrat geöffnet und durchgesehen, wobei ich mir nie sicher sein kann, ob ich eure sämtliche Korrespondenz erhalte, oder nicht. Voller Hoffnung, dass ihr mir etwas entlocken könntet wird sich der Hofrat jedes Mal auf diese eure Briefe stürzen und Stellen, die in seinen Augen problematisch oder nicht wesentlich hilfreich hierfür sein könnten, entfernen. Ihr seht also, dass ich mich nicht gänzlich auf die, durchaus geschätzte, Kommunikation mit euch verlassen kann.

    Es nahm jedoch viel Arbeit und starke Überredungskunst in Anspruch; doch gelang es mir die Pflegerin, von der ich euch in meiner vorangehenden Nachricht berichtet habe, und in deren Innern noch immer ein Schimmer der Gutmütigkeit ihres Geschlechtes und ihrer Art steckt, zu überreden, dass sie mir ein Schriftstück aus der örtlichen Bibliothek besorge. Ich sehe mich gezwungen das Buch in meiner Zelle zu verstecken, da es mir nicht erlaubt ist, irgendetwas hier drinnen zu halten, was die Grenzen des Leibes überschreitet. Gelegentlich wird meine Zelle nach verbotenen Gegenständen durchsucht und auch hierin ist die Pflegerin mir eine liebevolle und grosse Hilfe. Dadurch, dass sie mir gegenüber eine gewisse Neigung gefasst hatte, leistete sie mir Beistand. Wenn sie mit der Betreuung meiner Wenigkeit beauftragt war, ersuchte sie mich stets, dass ich ihr aus dem Buch vorlese, das sie mir, unter gewissen Risiken, verschafft hatte und so verbachten wir die, stets allzu kurze, Zeit damit, uns über die Lieblichkeit der Poesie zu unterhalten. Wie gesagt, in ihr flammt noch immer schwach das Licht dessen, was uns als Menschen einst ausgemacht hat und was denjenigen, wie es der Hofrat und seine Anhängerschaft darstellen, abhandengekommen ist. So lese ich ihr aus dem Buch der bewundernswerten und lieblichen Fanny zu R. vor und gemeinsam erfreuen wir uns an Herrn Dames Aufzeichnungen. Ich weiss nicht, wieviel der Hofrat über diese Tätigkeiten weiss und ob er nicht bewusst darüber hinwegsieht, nur darauf wartend, dass eine Unterbindung ebendieses einen gewichtigeren Eindruck hinterlassen würde. Ich kann den umliegenden Patienten nicht trauen, dass sie dem Hofrat nichts über die Regelverletzung der Pflegerin und unseren Gesprächen berichtet haben oder noch werden. Besonders täte mir die Pflegerin leid, die nicht versteht, was geschehen würde, wenn sie diese Seite von sich verlieren und sich gänzlich der Denkweise des Hofrats verschreiben würde; Sympathien mir gegenüber schien er bisweilen sowieso keine zu hegen, weswegen ich mir deshalb keine grossen Sorgen machen muss. Noch immer spielt er das Wartespiel mit mir.

    Ihr werdet euch sagen, dass ich ein Narr bin, dass ich euch all dies in diesem Schreiben eröffne, da der Hofrat ja sämtliche meiner Korrespondenzen durchliest. Jedoch braucht ihr euch keine Sorgen hierüber zu machen, ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass der Hofrat heute aufgrund eines wichtigen Anlasses, der seiner Persönlichkeit nicht entbehren könne, ausser Hauses sein werde und seine Vertretung, die zwar nicht minder dem fanatischen Gedankengut des Hofrates ergeben ist, eine überaus faule Persönlichkeit sei und die, wenn der Hofrat nicht zugegen ist, sich nicht sonderlich um meine Wenigkeit kümmere, da er nicht über die Hintergründe meiner Einweisung unterrichtet sei und auch der Hofrat diese wohl vor ihm verborgen hält. Die Pflegerin, die durch dieses Schreiben in grösste Schwierigkeiten geraten würde, versicherte mir, dass es für sie eine Leichtigkeit sein würde mein Schreiben an dem heutigen Tag der Kontrolle und der Zensur der Anstalt zu entziehen und vorbeizuschmuggeln. Wenn es so etwas wie die Hoffnung gäbe, dann wäre es nun das, was mir als einziges übrigblieb, doch ich vertraue auf die Fähigkeiten der guten Seele der Pflegerin und so wird euch dieser Brief gänzlich unkontrolliert erreichen.

    ***

    Mein Bester, unsere letzte Kommunikation hat mir etwas eröffnet. Ihr liegt nicht falsch in der Annahme, dass meine Behandlung in dieser Anstalt etwas wunderlich, ja geradezu ein wahres Mysterium darstellt. Seid beruhigt, denn bald genug werde ich euch eröffnen können, was sich zugetragen hat und was meinen hiesigen Aufenthalt ausgelöst hat. Bis dahin kann ich euch nichts anderes sagen als dasjenige, was ich euch in meinem letzten Brief eröffnet habe. Der Hofrat spielt ein Wartespiel mit meiner Wenigkeit; es scheint, als benötigten dringliche Angelegenheiten seine Aufmerksamkeit. Es ist auch hier nur eine Frage der Zeit, bis er sich meiner vollständig annehmen kann und wird, und ich

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