Unglaublich, Stina
Von Cora G. Molloy
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Über dieses E-Book
Cora G. Molloy
2017 erschien mit "Unglaublich, Stina" der erste kleine Gedankenroman von Cora G. Molloy. Auch in "So ist das Leben einfach" bleibt sie sich und ihrem Stil treu. Wie im ersten Buchprojekt finden sich Bilder und Worte zusammen, um den Gedanken gemeinsam Ausdruck zu verleihen.
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Buchvorschau
Unglaublich, Stina - Cora G. Molloy
Der erste Schritt, führt zu dir selbst …
Inhaltsverzeichnis
Unsichtbar
Unerreichbar
Unfassbar
Unglücklich
Unsterblich
Unheimlich
Unbeschreiblich
Unerträglich
Unausweichlich
Unglaublich
Unsichtbar
Gerade war ich mal wieder unsichtbar. Meine Kolleginnen unterhielten sich lautstark während der Pause und ich betrachtete sie stumm. Ihre Gespräche drehten sich um die gleichen Themen wie jeden Tag und meine Gedanken machten sich auf und davon – und weil ich eh meistens nichts sagte und unsichtbar war, fiel es auch heute keinem auf.
Ich war nicht immer unsichtbar gewesen. Als Kind war ich eine schillernde kleine Fee, eine gute Fee natürlich, dabei wäre ich auch gerne eine böse Fee gewesen, die andere straft, die zornig ist und gemein, die sich nicht um das schert, was alle sagen. Aber das ging nicht, weil ich zur guten Fee erzogen wurde: „Sei freundlich, hilfsbereit, leise und gut, wie sich das für eine Fee gehört und alle werden dich lieben!"
Und natürlich war ich wunderschön! Alle bewunderten mich, weil ich so eine wunderschöne, gute kleine Fee war. Besonders schön war ich, wenn ich mir aus Tüchern lange Gewänder umhängte, mit verzierten Gürteln und Bändern, die Haare hochgesteckt und den Schmuck meiner Mutter tragend. Ich tanzte elfengleich durch mein Zimmer und verzauberte alle, die mich sahen. Da war ich nicht unsichtbar! Andererseits bekam mich keiner in all meiner Feen-Schönheit je zu Gesicht, so dass ich auch da schon ein gewisses Maß an Unsichtbarkeit erreicht hatte, dessen ich mir aber noch nicht bewusst war.
Es ist darum auch wenig verwunderlich, dass ich auch erwachsen eine gute Fee sein wollte. Naja, der Krankenhauskittel machte mich nicht so schön wie die Tüchergewänder, aber ich war freundlich, hilfsbereit, leise und gut. In mir drinnen wunderschön, auch wenn ich wenig davon nach außen trug und für andere unscheinbar aussah und auch deshalb eher nicht wahrgenommen wurde.
Ich fühlte mich wie eine Raupe in ihrem Kokon. Nur ich wusste um den Schmetterling, der in mir war, während alle um mich herum nur die Tarnfarbe meines Kokons sahen. Irgendwie verständlich und von der Natur ja auch so gewollt. Im verletzlichsten Stadium seiner Entwicklung ist der Schmetterling gut geschützt und möglichst nicht wahrnehmbar, damit sich der schwierige, anstrengende und kräftezehrende Prozess der Transformation in größtmöglicher Ruhe vollziehen kann. Kräftezehrend, schwierig und anstrengend war in meinem Fall meine Arbeit als Krankenschwester, die mich voll und ganz ausfüllte; da war keine Zeit und Motivation für die innere Transformation. Ich nahm Anteil am Leben meiner Patienten, alten Menschen in der Geriatrie, was vielleicht nicht so gut war für mein emotionales Gleichgewicht, aber immerhin brauchte ich mich dadurch nicht mit mir selbst auseinanderzusetzen, während ich doch als gute Fee für andere da war und für sie sorgte.
Über mich selbst dachte ich einfach nicht nach und erfüllte meinen Dienst mit dem größtmöglichen Großmut und Mitgefühl. Energie für mich blieb da einfach nicht übrig, aber den alten Menschen, die noch unsichtbarer waren als ich selbst, tat ich wohl, das merkte ich. Da spürte ich mich zumindest in ihren Reaktionen auf mich.
Ich arbeitete in keiner schönen „Seniorenresidenz", sondern einem Aufbewahrungsort für menschliche Altlasten, die von ihren Familien möglichst kostengünstig der Verantwortung anderer übergeben worden waren. Besucher gab es wenig, denn die meisten fanden den Aufenthalt in dem alten Gebäude mit kleinen, dunklen, renovierungsbedürften Zimmern, bei den alten, siechen Menschen sehr unangenehm. Kein Wunder, es war auch unangenehm. Nur durch die tägliche Arbeit hier wurde das Ganze erträglich, weil man sich daran gewöhnte, so wie man sich an die Menschen hier gewöhnte: Traurige, Vergessliche, Vergessene, Kranke, Krumme, Unterforderte, Gebrochene, Einsame, Kluge – und viele alles davon zusammen. An einem freundlicheren Ort hätte man ihnen viel Gutes tun können, an diesem Ort hier waren sie abgestellt wie ein rostiges Fahrrad auf der Müllkippe.
Wieso ich dort überhaupt blieb? Ich hatte hier die Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und war einfach hängen geblieben. Immer gab es Menschen, die ich lieb gewann, auch wenn der Tod sie mir irgendwann nahm. Dann waren da immer wieder andere, die mich – MICH – zu brauchen schienen, und was wäre ich für eine schlechte Fee, wenn ich sie im Stich ließe? Und in meinem Beruf ist die Bezahlung überall gleich schlecht, auch das konnte kein Grund sein, die Stelle zu wechseln. Und man gewöhnt sich wirklich an eine Situation und sie wird so normal, wie sie nur sein kann, auch wenn sie es von außen betrachtet nicht ist. Aber so