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New York bis September: Nach einer wahren Begebenheit
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New York bis September: Nach einer wahren Begebenheit
eBook560 Seiten8 Stunden

New York bis September: Nach einer wahren Begebenheit

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Über dieses E-Book

Das Buch bettet die Ereignisse der Terroranschläge von New York in eine Liebesgeschichte. Der Frankfurter Banker Frank Bender geht im Februsr 2001 für sieben Monate in die Niederlassung seiner Bank nach New York. Per Zufall verliebt er sich in die Amerikanerin Laura. Beide erleben die Liebe in vollen Zügen und haben etliche Abenteuer zu bestehen.Gemeinsam planen sie ihre Zukunft und versuchen einen Weg zu finden ihre große Liebe in ein Zusammenleben zu führen. Doch Franks Zeit in New York ist bis Anfang September begrenzt. Zurück in Deutschland erleidet er am Fernseher die Anschläge vom 11.09., denn Laura arbeitet im Nordturm des World Trade Centers. Verzweifelt versucht er sie zu erreichen. Vergebens.Hat sie überlebt? Frank fliegt zurück nach New York um ihr Schicksal zu erfahren.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Okt. 2014
ISBN9783847616153
New York bis September: Nach einer wahren Begebenheit

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    Buchvorschau

    New York bis September - Helge Brühl

    Prolog - September 2011

    Wo entspringt der Quell grenzenloser Freude und solch furchtbarer Angst? Diese Frage beschäftigte ihn nicht erst seit heute. Aber erst recht, nachdem er bis vor wenigen Minuten die Bilder von damals gesehen hatte, die einen eingeschlossenen Bodensatz von Gefühlen aufwühlten, denen er immer davonlief. Jedes Jahr, immer im September, zeigten sie die Bilder und jedes Mal aufs Neue hatte er sich fest vorgenommen den Fernseher nicht einzuschalten. Er tat es dennoch. Doch je länger er den Fernsehbildern zugeschaut hatte, desto tiefer schien es, wurde er unwillkürlich in seine jüngste Vergangenheit gezogen. Es gab Erlebnisse, die man über Jahre hinweg verdrängt hatte und die plötzlich wie aus dem Nichts auftauchten, einen nicht zur Ruhe kommen ließen, weil man dass was man erlebt hat, nie mehr vergessen kann. Inzwischen wusste er wie unerbittlich grausam Gott und das Leben sein konnten, aber zugleich auch voller Barmherzigkeit. Trotzdem gab es kein Mittel diese Geschichte in freundlicheren Farben zu malen, zu unvorstellbar war die Tragödie, als das man bis heute in der Lage war sie zu begreifen. Was er damals erlebt und gesehen hatte, lag außerhalb der Grenzen all dessen was er kannte, dass selbst das Gedächtnis bei der Erinnerung daran zurückschreckte. Es war schlicht unfassbar. Nein, er war nicht dabei als so viele Menschen sinnlos den Tod fanden, aber er war trotzdem ein Teil davon. Irgendwie war auf verrückte Art und Weise das eine mit dem anderen verknüpft. Und die Vergangenheit mitsamt den Toten begraben zu können war eine Lüge. Noch heute meinte er bisweilen, ihre verzweifelten Schreie zu hören, auch wenn er nie erfahren würde, was sich damals wirklich abgespielt hatte. Doch die Erinnerungen kamen immer wieder und waren genauso bittersüß - genauso schmerzhaft - wie damals als er versucht hatte sie zu verdrängen. Vieles ließ sich heute mit einer gewissen Distanz betrachten, die er in den letzten Jahren gewonnen hatte, doch auch mit dieser Distanz war er immer wieder zu der Überzeugung gelangt, dass die Zeit zwar viele Wunden heilt, aber auch tiefe schmerzende Narben hinterlässt. Er kniff die Augen zusammen und kämpfte mit den Tränen und den Erinnerungen, die immer wieder aufbrachen wie ein hartnäckiges Magengeschwür.

    Sein Name war Frank Bender. In knapp zwei Wochen würde er seinen achtundvierzigsten Geburtstag feiern. Jetzt stand er am Fenster seines Wohnzimmers und schaute hinaus in eine stille, kühle Nacht. Nur ein leichter Wind säuselte zart durch das Laub des Lindenbaumes am Straßenrand. Es schien gerade soviel Mondlicht, dass er das Zittern der Blätter sehen konnte. Als er auf die Uhr starrte, runzelte er die Stirn, denn es war schon weit nach Mitternacht. Langsam beruhigte er sich wieder, trat ein paar Schritte zurück in den Raum und ließ den Blick über die Familienfotos wandern, die auf dem Kaminsims versammelt standen. Nur das Feuer des Kamins und der Fernseher erhellten den Raum. Doch das Resultat war eine Atmosphäre beklemmender Düsternis, die auch das flackernde Licht der Kerze auf dem Wohnzimmertisch nicht aufzuhellen vermochte. Unschlüssig schaltete er mit dem Fuß die Stehlampe an. Seine Augen zuckten kurz zusammen, als der helle Schein ins Zimmer flutete.

    Fotos sind schon eine seltsame Sache, dachte er, während er die lächelnden Gesichter betrachtete. Gesichter, die er über alles auf der Welt liebte, Gesichter, die ihm alle vertraut waren. Zufrieden musste er lächeln, denn heute stand für ihn fest, so unverrückbar wie der Mount Everest, dass sich der Sinn des Lebens nur im Herzen derer bemessen lässt, die man liebte und die einen ihrerseits liebten. Unter all den Dingen, die es möglich machten das Leben zu genießen, war die Liebe das Wichtigste, denn ohne Liebe war man nichts.

    Franks Augen schweiften weiter, verharrten auf einem Bild, das in einem Fertigrahmen aus Acryl steckte, und etwas größer war als eine Postkarte. Behutsam nahm er den Rahmen in seine Hände und schaute auf eine Aufnahme der Südspitze von Manhattan mit den Zwillingstürmen des World Trade Centers am Battery Park, die es heute nicht mehr gab. Das Foto hatte er selbst aufgenommen, irgendwo, irgendwann, vom Ufer des Hudson River in New Jersey. Naheliegend müsste er hierbei hinzufügen, so schien es ihm, dass er damals für mehrere Monate in New York gelebt hatte, weil er dort einen wichtigen Job übernahm. Es war eine wunderbare Zeit, dachte er, eine beneidenswerte Zeit. Aber was das Leben damals unter anderem so beneidenswert machte, war die Liebe zu einer Frau, die er durch einen kuriosen Zufall mitten in dieser großen Stadt traf, die er heiraten wollte, die ein Kind von ihm erwartete und die ihn ebenfalls liebte, so dass er nur noch Augen für sie hatte. Deshalb hatte er auch eine ganz besondere Bindung zu dieser Stadt, die man ohne jeden Zweifel schon als liebevolle Hinneigung bezeichnen konnte. Dutzende Monate waren seitdem vergangen, zehn volle Jahre. Und das Leben war unaufhaltsam weitergegangen, schrieb weiter seine eigenen Storys.

    Der Kamin knisterte angenehm, doch die Flammen loderten schon schwächer. Die Glut hatte bereits große Aststücke zerfressen. Frank nahm ein paar Scheite Holz und legte sie ins Feuer, dann setzte er sich in den bequemen Sessel, der freie Sicht auf die lodernden Flammen erlaubte. Den Kopf in die Hände gestützt ließ er seinen Gedanken freien Lauf.

    Die Fernsehdokumentation, deren schmerzende Abfolge von Bildern, lief noch immer vor seinem inneren Auge ab und ließen sich nicht so einfach verscheuchen. Zu sehr war sie mit seinem Schicksal verbunden, denn damals stand er vor einem wichtigen Wendepunkt in seinem Leben und er musste eine Entscheidung treffen. Es ging weniger darum lange darüber nachzudenken, als etwas herauszufinden. Und Frank fand heraus, was er herausfinden wollte und dabei auch, wer er wirklich war. Was immer auch der Grund gewesen sein mochte, er hatte getan was er tun musste und so manches gelernt und verstanden, jedoch nie etwas bereut, geschweige denn irgendetwas vergessen.

    Aber wie und wann hatte eigentlich seine Geschichte damals angefangen, fragte er sich, und das Gedächtnis seines Herzens begann sofort vehement zu arbeiten. Wo war der Punkt von dem aus alles begonnen hatte? Frank erinnerte sich an die Vergangenheit, wie an eine Linie von Geschehnissen und Jahreszahlen, von dem Punkt aus, wo er jetzt stand, nach hinten, immer dieser Linie folgend, bis er dorthin gelangte, wo die einzelnen Facetten der Erinnerung sich zu einer wiedererzählbaren Geschichte formten. Und die Bilder der Vergangenheit drangen wie eine Flut in ihn ein, erst grau und verschwommen, bis sich die Konturen langsam fanden und mit bunten Farben füllten, als ob man einen Film im Labor entwickelte, der wenig später auf einer Leinwand lebendig wurde. Und diesen Film konnte man nicht einfach abstellen wie bei einem Fernseher, er lief weiter und weiter bis zum Ende.

    1.Kapitel -Zehn Jahre zuvor, Januar 2001 Frankfurt am Main

    >> Hey Meg, deine Schulbrote sind fertig, vergiss sie nachher bitte nicht! Ist deine Tasche schon gepackt? Und denk bitte dran, ich muß auch noch mal ins Bad. Um acht muß ich bei meinem Chef sein, hab es heute sehr eilig. <<

    >> Hast du gerade was gesagt Dad? << rief sie aus dem offenen Bad und flüchtig erkannte er, wie sie die kleinen Kopfhörer des Walkmans aus ihren Ohren nahm.

    >> Klar doch. Nimm einfach die Stöpsel aus deinen Lauschern, dann kannst du mich auch verstehen. <<

    Ein murrendes, gelangweiltes >> Ja, ja, << war die Antwort, was nicht mal reumütig klang. Einen Moment später war das Rauschen von Wasser zu hören, was bedeutete, dass sie zu duschen anfing. Meg war seine Tochter, gerade sechzehn, deren Wandlung vom Kind zur jungen Frau nicht mehr zu übersehen war. Frank Bender hatte sich in die Küche gesetzt um Kaffee zu trinken, an den kleinen rechteckigen Tisch in der Eßnische mit Blick in den Garten. Er aß wie jeden Morgen Toast mit Erdbeerkonfitüre, aber heute mit wenig Appetit. Doch das war alles nur ein Symptom, ein oberflächlicher Ausdruck seines eigentlichen Unbehagens, was den heutigen Tag betraf. Aus Gründen, über die er sich noch nicht klar war, die ihn aber nachdenklich machten. Im Radio kamen die ersten News, doch er wartete auf die Wettermeldungen. Der Blick aus dem Fenster sagte voraus welche Stimmung der Tag zu verheißen hatte. Nasskalt und grau, eben ein typischer Januartag, der von vornherein jegliche Freude verebben ließ.

    Meg kam zehn Minuten später aus dem Bad und setzte sich zu ihm. Der Bademantel war fest verknotet und ein weißes Handtuch war zu einem Turban um ihren Kopf gebunden. Ein paar dunkle Strähnen lugten hervor, ihr hübsches Gesicht war feuerrot vom heißen Wasser.

    >> Na Dad, alles okay bei dir? <<

    >> Es geht schon, << antwortete er. >> Doch heut ist endlich Freitag. <<

    >> Du sagst es. Mein Tag wird supi, zwei Stunden Mathe, dann noch Bio und Geografie, Deutsch fällt aus. << Dann musterte sie ihn mit einem abschätzenden Blick von oben bis unten.

    >> Hallooo, << fragte sie, >> wie siehst du denn heute aus? Man könnte glatt denken dein Kanarienvogel wäre gestorben und am Nachmittag ist die Beerdigung. <<

    >> Lästere nicht, bin heut beim Chef, << konterte Frank. >> Außerdem ist ein schwarzer Anzug mit weißem Hemd seit über hundert Jahren trendy, <<

    >> Na toll, deine Kombinationen gehen ja noch, aber dieser schwarze Anzug ist wirklich die Härte, << knuffte sie und in ihren blauen Augen tanzte der Schalk. >> In Jeans und Sweatshirt gefällst du mir jedenfalls bedeutend besser. <<

    Mit leichter Missbilligung im Blick, sagte er: >> Moment mal junge Dame, red keinen Unsinn. Immerhin arbeite ich in einer Bank und nicht in Disneyland, schon vergessen?

    >> Aye, Aye Captain. Hab’s doch gar nicht so gemeint. <<

    >> Ach komm, es macht dir doch Spaß mich zu ärgern, das merkt doch jeder. << Sie machte ein naives, unschuldiges Lächeln, durch das er sich längst nicht mehr täuschen ließ. Er grinste und fühlte sich schon wohler.

    >> Dad, wie bist du denn heute unterwegs? Du bist doch sonst nicht so empfindlich, bleib cool. <<

    >> Fändest du es etwa cool, wenn ich im Jogginganzug zur Arbeit fahre? <<

    >> Vergiss es Dad, es war nur ein Scherz. <<

    >> Ach komm, du willst doch nur nicht zugeben, dass ich auch mal recht haben könnte. <<

    >> Du bist heute wirklich extrem gut drauf. Aber wie ich bereits sagte, vergiss es. <<

    Die Worte hingen einen Moment zwischen ihnen in der Luft, dann lenkte er schmunzelnd ein.

    >> Okaydokay, mein Schatz, hab’s schon vergessen. << Meg nickte ihm erleichtert zu, lächelte kokett, die Zähne in die Unterlippe gedrückt.

    Er nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse wieder hin. Ein wenig Kaffee schwappte über und rann über seine Finger. Irgendwie war er nervös, eine gedämpfte aber unverkennbare Unruhe machte sich schleichend in ihm breit. Der Wetterbericht hatte Regen angekündigt, der bei sinkenden Temperaturen in Schnee übergehen sollte. Er stand auf und ging ins Bad. Warmer duftender Dunst quoll daraus hervor, der Spiegel war leicht beschlagen. Nachdem er ihn blankgewischt hatte, betrachtete er sein Gesicht. Meistens bekam er gute Laune wenn er es sah. Heute nicht. Er war eitel und betrachtete sich gern im Spiegel. Frank bürstete seine Haare, denn er konnte es nicht leiden, wenn sie unordentlich aussahen. Zuguterletzt sprühte er noch einen kleinen Nebelstoß vom Eau de Toillette auf die Haut seines Halses. Jetzt war er startklar, bereit für den Tag. Frank runzelte die Stirn, schob seine Manschette hoch, um auf seine Armbanduhr zu sehen. Es war viertel nach sieben.

    >> Na dann, bis heute Abend mein Schatz. Ich hab dich lieb. <<

    >> Hab dich auch lieb. Kauf bitte noch Getränke ein, aber kein Hüftengold wie Coke oder Fanta, einfach nur Wasser. Ich muß auf meine Linie achten. <<

    >> Du lieber Himmel, << spöttelte Frank. >> Ich dachte immer, dass der Babyspeck von allein verschwindet. <<

    >> Ha, ha, ha, << knurrte sie zurück. >> Witz komm raus, du bist umzingelt. <<

    >> Stilles Wasser oder Sprudel? << fragte er nach.

    >> Spruuuuudel. << rief sie, zwinkerte ihm zu, und er grinste belustigt.

    Meg sah ihn an und lächelte, was seine Aufmerksamkeit kurz gefangen nahm. Denn sie hatte dasselbe Lächeln auf den Lippen, das er früher jeden Morgen von Karen, ihrer Mutter, empfing. Auch ihr Körperbau glich immer mehr einem Ebenbild. Diese Ähnlichkeit erfreute und betrübte ihn zugleich, denn es erinnerte ihn ständig daran, das Karen nicht nur ihre Mutter war, sondern auch seine geliebte Frau, die er noch immer schmerzlich vermisste. Es tat weh sich zu erinnern, es tat körperlich weh, als wäre jede einzelne Erinnerung so fest verstaut, das er sie gewaltsam herausziehen musste. Frank hielt kurz inne, dann gab er seiner Tochter einen flüchtigen Kuß und ging nachdenklich zu seinem Wagen. Als er auf die Strasse trat, bemerkte er den Nieselregen, der sich in winzigen Tröpfchen auf seinen Anzug setzte.

    Der Himmel war grau und bedeckt, das Thermometer zeigte ein Grad an. Vorbei an Bürohäusern und bunten Werbetafeln quälte sich Frank durch den Freitagmorgenverkehr von Frankfurt. Auf diffuse Weise fühlte er sich unwohl. Unruhe hatte sich schon die ganze Nacht seiner bemächtigt. Nerven, dachte er. Nichts als Nerven.

    Irgendwann vor sechs Jahren war er mit seiner Familie von Leipzig hierher gezogen. Das Haus in dem er seitdem wohnte, lag in einem Vorort, umgeben von viel Grün und gesegneter Ruhe, trotzdem nicht weit entfernt vom Puls der Zeit, der in diesen Breiten den Namen Frankfurt trug. Damals, so kurz nach dem Studium, war er rastlos und unruhig gewesen und hatte überhaupt nicht gewusst, in welche Richtung er sich wenden sollte. Eigentlich wollte er mal Häuser, große Häuser bauen, weil er das studiert hatte, aber irgendwie war er ins Bankwesen geraten und dabei geblieben. Wie auch immer, sein Leben hatte eine andere Richtung genommen. Man trifft irgendwann eine Entscheidung, so meinte er, und nimmt einen Weg, und wenn man eine andere trifft, landet man irgendwo ganz woanders. Und Frank hatte sich damals für eine Karriere im Bankgeschäft entschieden, schwamm mit, im konventionellen, gesellschaftlichen Fahrwasser, wie man es heute so schön zu sagen pflegte. Indessen war er siebenunddreißig, angestellt im mittleren Management einer großen deutschen Bank, leitete dort eine Abteilung für Immobilienfinanzierungen und Fondsmanagement. Er war an die unregelmäßigen Arbeitszeiten gewöhnt, die seine Karriere ihm abverlangte, und die ihm oft sehr wenig Zeit für seine Tochter und auch für sich selbst ließen. Er erkannte darin bloß eins der notwendigen Übel, die seine Arbeit so mit sich brachte. Dennoch, am Ende des Tages hatte er oft das Gefühl, dass er etwas bewegte, und sei es auch manchmal noch so gering. Nun war es auch kein besonders spannendes Leben, aber es war sein Leben, wie es heute aussah und wie er es zu akzeptieren hatte.

    Der Anruf aus der Chefetage kam gestern, am späten Nachmittag. Es sei von äußerster Dringlichkeit, hatte Frau Cordsen, die Sekretärin in ganz wichtigem Ton übermittelt, was ihn nicht sonderlich verwunderte, denn Anrufe aus dem Büro des Chefs waren immer dringend. Abgesehen von den üblichen Dienstberatungen, passierte es aber nur äußerst selten, dass er zu einem persönlichen Gespräch bestellt wurde. Aber wenn es dazu kam, war es zumeist von weitreichender Bedeutung, dessen Inhalt zumeist von einer unerwarteten Veränderung getragen war. Frank versuchte sich innerlich zu beruhigen, indem er sich fragte, was er denn eigentlich zu befürchten hätte, außer das sein Vorgefühl ihm etwas anderes sagte. Gelegentlich passierte es ihm schon, dass er zuviel in eine Situation hinein interpretierte. Vielleicht stand ja sogar seine Beförderung auf der Tagesordnung. Nur recht und billig. Sie war längst überfällig. Was immer es auch war, was Gottfried von Palmburg in wenigen Minuten von ihm wollte, etwas Erfreuliches war es bestimmt nicht. Dachte er jedenfalls. Verdrossen rieb er sich die Stirn. Er hatte keine Lust mehr, noch länger darüber nachzudenken, denn es hatte auch wenig Sinn, wenn er sich schon im Voraus den Kopf darüber zerbrach, was ihn gleich erwartete. In einer halben Stunde wusste er sowieso mehr. Zielsicher steuerte er seinen Mercedes in die Tiefgarage eines prachtvollen Hochhauses mit spiegelnder Glasfassade, dem Sitz seines Brötchengebers, der Deutschen Handels- und Hypothekenbank, bis er seinen Stellplatz erreichte. Frank drückte mit einem kräftigen Stoss seiner Schulter die Fahrertür auf und nahm sich einen Moment Zeit, um seine steifen Glieder zu strecken. Auf dem Weg zum Fahrstuhl überkam ihn wieder dieses unruhige Gefühl, das sich schon seit dem Aufstehen seiner bemächtigt hatte. Der Fahrstuhl klingelte kurz, als er die Chefetage erreichte, schon öffneten sich die Türen. Jetzt wird es ernst, dachte er, straffte seine Haltung, atmete tief durch und überlegte immer noch argwöhnisch, was der Chef wohl so dringend von ihm wollte. Was war von so äußerster Dringlichkeit?

    Im Vorzimmer erwartete ihn schon Frau Cordsen, die Chefsekretärin, mit einem überfreundlichen >> Guten Morgen, Herr Bender << und der üblichen Frage nach einer Tasse Kaffee. Frau Cordsen war eine adrette Frau, Ende vierzig, immer freundlich und ihre Frisur schien konstant in Form zu bleiben. Eine blonde Fönwelle schwang sich elegant vom Seitenscheitel über den Kopf. Das mochte vielleicht ein wenig altmodisch sein, aber die Frisur stand ihr gut.

    >> Der Chef ist gleich soweit, << sagte sie. >> Nehmen sie doch bitte Platz, der Kaffee ist selbstverständlich gleich da. <<

    Frank Bender setzte sich in einen ledernen Clubsessel, nahm sich eine bereitliegende Tageszeitung und begann zu lesen. Frau Cordsen brachte den Kaffee als die Uhr gerade acht schlug. Es war Freitag der 19.Januar 2001.

    Vertieft in seine Lektüre wurde er von der freundlichen Stimme Frau Cordsens unterbrochen.

    >> Herr von Palmburg erwartet sie jetzt. <<

    Frank stand auf, ging auf die doppelflüglige Tür des Direktorenbüros zu und senkte langsam die schwere Messingklinke.

    Gottfried von Palmburg trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand. >> Guten Tag, mein lieber Herr Bender. Ich freue mich, sie zu sehen. <<

    >> Ganz meinerseits, Herr von Palmburg, << sagte Frank und erwiderte seinen Blick. Er war wie immer beeindruckt von diesem Mann, der mit soldatischer Haltung vor ihm stand. Mitte fünfzig, drahtig und von respektvoller Aura. Viele Mitarbeiter schwellten in wahrer Vergötterung, die sich seines Erachtens auf eine gewisse Furcht gründete. Von Palmburg war vielleicht einssiebzig groß und manchmal hatte man das Gefühl, dass dies wohl sein einziges Problem war. Kleine Männer taten sich mit ihrer Größe immer schwer. Sein Gesicht war schmal, etwas kantig. Das kurze graue Haar um die Stirnglatze, sowie die rahmenlose Designerbrille, vermittelten zweifellos den Hauch von intellektueller Größe. Er galt als absolute Koryphäe im Bankgeschäft.

    >> Aber nehmen sie doch bitte Platz und bedienen sie sich. << sagte von Palmburg während er noch Unterlagen an seinem Schreibtisch ordnete.

    Frank setzte sich auf den schwarzen lederbezogenen Stuhl am Besprechungstisch, nippte kurz am Kaffee. Noch immer sagte von Palmburg nichts. Schnell durchstreifte sein Blick den Raum. Klare kühle Linien schufen das Gesamtbild der modernen Einrichtung aus dunklen Aktenschränken aus Holz mit langen verchromten Griffen. Ein expressionistisches Bild von zirka zwei Quadratmetern führte unwillkürlich die Augen zur Wand hinter dem Schreibtisch. Nicht weit darunter, auf einer Flachstrecke, verharrte sein Blick auf einer detailgetreuen Nachbildung eines Wolkenkratzers, wobei es sich unverkennbar um das Empire State Building von New York handelte. Das Modell war groß, wenigstens einen halben Meter und die Miniaturfenster waren durch eine Lampe im Inneren hell erleuchtet.

    >> Mögen sie New York, Herr Bender? << fragte plötzlich von Palmburg, der scheinbar seinen Blick bemerkt hatte.

    >> Ja, sehr sogar. <<

    >> Das freut mich. Dann sind wir gerade schon einen großen Schritt weiter gekommen. <<

    Frank merkte auf und seine Konzentration wies nach innen.

    >> Inwiefern? Worauf wollen sie hinaus? <<

    >> Herr Bender, ich möchte gleich zur Sache kommen und mir eine triviale Vorrede ersparen. Sind sie damit einverstanden? <<

    >> Selbstverständlich, Herr von Palmburg, << sprudelte er mit gepresster Stimme.

    Von Palmburgs Blick in Franks Gesicht wurde stechender, hatte aber trotzdem eine Spur von Freundlichkeit. >> Herr Bender, sie haben sich in den letzten Jahren zu einem Immobilienprofi entwickelt, sind einer unserer fähigsten Leute. Ihre Abteilung führen sie, mit dem für unser Haus nötigem Engegement und dem fachlichen Wissen, das wir erwarten. Sie sprechen perfekt Englisch, vor allem sind sie topfit im amerikanischen Grundstücks- und Immobilienrecht. Und deshalb mein lieber Herr Bender, haben wir gerade jetzt an sie gedacht. Es gibt eine unvorhergesehene Situation in der sie uns einen Dienst erweisen könnten. << Frank unterbrach ihn nicht. Stattdessen fuhr von Palmburg fort: >> In unserer Niederlassung in New York stehen wir vor einer Ausnahmesituation. Wir haben einen krankheitsbedingten Ausfall im Immobilienmangement. Unser leitender Mitarbeiter muß sich einer schweren Nierenoperation unterziehen. Krebs, sie verstehen? Er fällt wenigstens bis September aus. Seine plötzliche Erkrankung hat uns in diese schwierige Lage gebracht. Der Stellvertreter ist erst seit Anfang des Jahres in unserer Bank, somit noch zu unerfahren für die Übernahme einer solchen Position. <<

    >> Das ist sehr bedauerlich, << entgegnete Frank und betete innerlich, das sein Magen keine lauten Geräusche von sich gab, um seine Aufregung offenzulegen.

    >> Herr Bender, ich will die Sache gleich abkürzen und nicht lange um den heißen Brei reden. Die Geschäftsleitung geht im Rahmen der in Frage kommenden Manager recht einstimmig davon aus, dass sie der geeignete Mann für diesen Job sind. <<

    Der Ausdruck in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er auch meinte, was er sagte. Frank hatte Geistesgegenwart und Routine besessen um zu verstehen, was da gerade auf ihn zugerollt kam. In diesem Moment dachte er, er bilde es sich nur ein, wusste aber gleichzeitig, dass es stimmte.

    >> Ernsthaft? << fragte Frank.

    >> Ernsthaft, << bekam er zur Antwort.

    >> Herr von Palmburg, sie werden entschuldigen, << antwortete er noch ziemlich überrascht, >> aber ich denke, sie knüpfen hier Netze, ohne sicher zu sein, wie groß die Maschen sein sollen. Mich werden sie jedenfalls damit nicht einfangen. Es gibt doch sicher noch andere fähige Leute bei denen ihnen das besser gelingt. << Einen Augenblick lang fühlte er sich unverwundbar.

    >> Gott, fallen sie nicht gleich aus allen Wolken, lieber Bender, << sagte er, als er den Ausdruck auf Franks Gesicht sah. >> Bleiben sie bitte ganz ruhig und hören sich meine Ausführungen zu Ende an. Der Aufenthalt wäre ja nicht von Dauer, sondern nach unserer Einschätzung auf etwa sieben Monate begrenzt. Selbstverständlich erhalten sie durch die Bank jegliche Unterstützung und ihre Gehaltsaufstockung ist auch nicht zu verachten, wenn ich das nebenbei mal erwähnen darf. Laut meinem Wissensstand ist ihnen „Big Apple" nicht fremd, somit wäre ihnen das Terrain nicht allzu unvertraut. Gewiss sind Privatreisen mit einer geschäftlichen Aufgabe nicht zu vergleichen. Zumindest stehen sie doch bestimmt nicht mehr mit touristischem Staunen und gepackter Fotoausrüstung vorm Hudson mit erstarrtem Blick auf die Skyline von Manhattan. Davon gehe ich einfach mal aus. <<

    Von Palmburg konnte nicht mal ahnen, wie Unrecht er doch hatte. Für Frank war es jedes Mal eine kribbelnde Freude die Skyline mit den Zwillingstürmen des World Trade Centers, egal aus welchem Winkel, zu bestaunen. Er dachte nach, bevor er antwortete.

    >> Es ist in der Tat eine reizvolle Aufgabe in einer atemberaubenden Stadt, << meinte Frank. >> Leider kann ich diesen Job nicht annehmen. Meinerseits wäre das überhaupt kein Problem, aber sie haben in ihren Überlegungen sicherlich übersehen, dass ich Verantwortung für meine sechzehnjährige Tochter habe, der ich unter allen Umständen gerecht werde. Sie besucht das Gymnasium und sie braucht ihren Vater. Es tut mir sehr leid, aber ich kann dem Unternehmen hierbei nicht dienlich sein. Nein, völlig ausgeschlossen. In diesem Fall müssen sie sich nach einem anderen Repräsentanten umsehen. Tut mir ausgesprochen leid. <<

    >> Wen auch immer wir da in Betracht ziehen, << erwiderte von Palmburg nachdenklich, >> viel Auswahl haben wir nicht. <<

    >> Dann haben sie ein echtes Problem. <<

    >> Offensichtlich. Das haben wir, in der Tat. <<

    Von Palmburgs Gesichtsfarbe schien sich zu verändern, schweigend trat er ans Fenster, wobei er ihn immer im Auge behielt. Die Stirnfalten zogen sich zusammen, im Halsbereich wurden leichte Rötungen sichtbar. Niemand, der einmal von Palmburgs durchdringendem Blick ausgesetzt war, konnte dessen Wirkung so leicht vergessen. Man sah regelrecht wie seine Gedanken kreiselten, er sich den nächsten Satz wohl überlegte.

    >> Mein lieber Herr Bender, wir haben sicherlich Verständnis für ihre familiäre Situation, die gewiss alles andere als leicht ist, << sagte er dann mit getragener Stimmlage. >> Ihre Beweggründe sind eindeutig nachvollziehbar und ehren sie. Zweifelsfrei braucht ein Kind seinen Vater, wenn es schon keine Mutter mehr hat. Keine Frage. <<

    >> Das ist doch mein Reden, Herr von Palmburg, << pflichtete Frank ihm bei, was den scheinbar wenig beeindruckte.

    >>Aber ich denke, >> fuhr von Palmburg gleich fort, >> es gibt für jedes Problem eine Lösung und sie kennen meine Grundeinstellung. Geht nicht, gibt es nicht! <<

    >> Vieles geht, da gebe ich ihnen ja recht, aber nicht alles, << versuchte er ihn zu ergänzen, weil er nicht bereit war, sich von dem Thema, das ihm am Herzen lag, ablenken zu lassen.

    Von Palmburg ging gar nicht darauf ein, stattdessen sprach er jetzt in einem väterlichen Ton weiter. >> Dazu mache ich ihnen folgenden Vorschlag. Ab sofort gebe ich ihnen eine Woche frei, um alles zu regeln. Sollten sie Fragen haben, so rufen sie mich an. Ich erwarte, dass sie sich in Ruhe die Sache überlegen und mir persönlich in einer Woche Bescheid geben. Denken sie bitte daran, dass wir es hier mit einer Ausnahmesituation zu tun haben. Dass wir fest mit ihnen rechnen, brauche ich sicher nicht weiter betonen. <<

    >> Ich verstehe, was sie mir damit sagen wollen, << erwiderte Frank, >> aber ich finde es trotzdem sehr seltsam. <<

    >> Denken sie doch bei ihren Überlegungen einfach daran, dass am zwölften Februar eine hübsche Sekretärin in einem Büro im zwanzigsten Stock in Lower Manhattan auf sie wartet. New York, und sie Herr Bender mittendrin. Ist das nicht ein durchaus verlockender Gedanke?<<

    Darauf hatte er überhaupt keine Antwort. Frank schüttelte mit dem Kopf, wie jemand, der sich mit dem Gedanken getragen, ihn dann aber doch wieder verworfen hatte. Dann nickte er und strich sich das Jackett glatt. Von Palmburg schien sich seiner Sache schrecklich sicher zu sein, aber das musste noch lange nicht heißen, dass Frank das Angebot annehmen würde. Er schwieg einen Moment und sagte darauf: >> In Ordnung, ich denk über alles nach. Sie hören dann von mir.<<

    >> Warten sie, mein lieber Bender, << sagte von Palmburg als Frank aufstand. >> ich begleite sie noch zur Tür. <<

    >> Machen sie sich bitte keine Umstände. <<

    Vor der Tür reichte er ihm freundlich die Hand.

    >> Sie sollten wissen, dass dieser Schritt ihre Karriere erheblich beeinflussen wird, << sagte er und sah ihn forschend an. >> Danach haben sie eine große Zukunft vor sich. << Frank spürte, wie er mit dem ihm eigenen Scharfsinn in seinem Gesicht las.

    >> Dann haben sie doch bestimmt nichts dagegen, mir den einen oder anderen Tipp zu geben, nur damit ich mich wenigstens mit dieser Vorstellung vertraut machen kann. <<

    >> Sie schaffen das ganz allein, lieber Bender. Es wird ihnen bestimmt in New York besser gefallen, als sie vielleicht gerade annehmen, << sagte er, ganz als rechne er mit Franks vollem Einverständnis.

    >> Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr von Palmburg. Ich hoffe nur, dass es nicht mein Verhängnis wird. <<

    >> Das werden wir dann früher oder später erfahren. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich ihnen aber sagen, dass es sich oft lohnt einen Weg einzuschlagen, der nicht so überdeutlich ausgeschildert wurde. Lassen sie sich die Chance nicht entgehen. << Mit einem leicht verschmitzten Lächeln, ohne die leiseste Spur von Zynismus, geleitete er ihn aus seinem Büro. Als wäre ihm noch etwas eingefallen, drehte Frank sich um und fragte:

    >> Warum ausgerechnet ich? <<

    >> Weil ich Vertrauen zu ihnen habe. <<

    Frank wollte noch etwas Geistreiches antworten, aber ihm fiel im Augenblick nichts ein. Als er hörte, wie die Tür sich hinter ihm schloss, atmete er auf, auch wenn er wusste, dass dieses Gespräch für ihn noch lange nicht zu Ende war. Es war als habe ihn gerade der Schlag getroffen, dachte er hinterher.

    Plötzlich war er auf Touren gekommen. Fünf Minuten vor neun ging er durch dieselben Türen, durch die er vor knapp einer Stunde das Bankgebäude betreten hatte. Er startete seinen Wagen, die Reifen quietschten, als er aus der Tiefgarage fuhr. Die Wolken, die über den Himmel zogen wurden immer dunkler. In die Enge getrieben, versuchte er mit dem Schock umzugehen, damit er sich schnell wieder unter Kontrolle hatte. Fragen schwirrten in seinem Kopf. Was nun? Wie geht man mit der großen Unsicherheit um, die man gegenüber kommenden Veränderungen verspürt, die noch dazu so überraschend gekommen waren? Das Seltsamste jedoch war, dass Frank Bender plötzlich bereit war, über eine Veränderung seines Lebens nachzudenken.

    Er hatte ein komisches Gefühl bei der Sache, als würde sein Verstand etwas ausbrüten, es aber noch vor ihm geheim halten. Aber je mehr er über das Angebot nachdachte, desto mehr konnte er sich damit anfreunden. Zittrig nahm er sich eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Nach dem ersten Zug fing er an zu husten. Zugleich wälzte sich eine Last, schwer wie Bleigewichte, auf seine Schultern. New York als neuer Arbeitsplatz, zwar nur für knapp sieben Monate, aber immerhin. Unvorstellbar dieser Herausforderung einfach so kleinbei zu geben. Aber die Vorstellung, seiner Tochter erklären zu müssen, das man ihn nach New York schicken wollte, ließ ihn in seinen Überlegungen verharren. Mit allem hatte er wohl heute gerechnet, aber nicht mit so einer tiefgreifenden Entscheidung seinerseits. In seinem Kopf begann sich ein wirrer Kreisel zu drehen, weder verlangsamte sich sein Puls, noch beruhigte sich sein Herz. Frische Luft und ein langer ausgedehnter Spaziergang waren jetzt das beste Mittel, um das Gespräch mit von Palmburg zu verarbeiten. Eine Weile fuhr er ziellos dahin und zwang sich in Ruhe nachzudenken. Doch er war nicht recht bei der Sache, sosehr er sich auch bemühte. Frank warf einen Blick auf die Uhr. Es war erst viertel nach neun und er hatte keine Ahnung was er mit dem Rest des Tages anfangen sollte. Unterwegs hielt er am Stadtpark und ging spazieren. Erleichterung finden, eine Möglichkeit suchen, der Unruhe, die er empfand zu entkommen. Er brauchte die Luft, den Abstand zwischen ihm und der Welt. Frank sollte alles regeln, wie von Palmburg es so schön betonte, aber wie? Erstmal musste er alles verdauen, durchdenken und dann mit seiner Tochter sprechen. Gegen elf Uhr war er zu Hause, trank eine Tasse Kaffee und schaltete den Fernseher ein. Dort brachten sie gerade die neuesten Börsenzahlen, wenigstens war er dadurch beschäftigt.

    >> Hallo Dad, wieso bist du denn schon zu Hause? Bist du krank oder gibt die Bank schon kältefrei? <<. Meg stand völlig erstaunt im Türrahmen, konnte es scheinbar überhaupt nicht fassen, das ihr Vater mittags schon im Wohnzimmer saß und Fernsehen schaute.

    >> Nein, alles okay. Mach dir keine Sorgen mein Schatz. Ich hab heute frei bekommen und könnte mir im Augenblick nichts Schöneres vorstellen als ganz schnell zu Luigi zu fahren, um dort Riesenportionen von Spaghetti zu verdrücken. Ich hab einen Bärenhunger und wie sieht’s bei dir aus? <<

    Sichtlich erfreut sagte sie: >> Dumme Frage Dad, da sind wir doch dabei. Worauf wartest du noch? <<

    Sie saßen beide kurzerhand im Auto und fuhren zu ihrem Lieblingsitaliener. Draußen tobte ein heftiger Wind, Sturm geradezu. Es war noch früh, kurz nach Mittag und das Restaurant war fast leer. Nur zwei Tische außer ihrem waren besetzt. Gewaltige dunkle Weinregale, bildeten die Wandverkleidung, rotkarierte Tischtücher strahlten Gemütlichkeit aus. Gedämpft ertönte im Hintergrund eine Verdiarie, er meinte wohl, sie war aus den „Lombarden".

    >> Oh Dad, weißt du eigentlich was das für eine Überraschung ist, das du schon da bist und wir beide bei Luigi essen. Es wäre so schön, wenn wir das öfter machen könnten. <<

    >> Du hast recht mein Liebling, aber leider muß ich nebenbei noch unsere Brötchen verdienen und für ein paar Klamotten für dich, muß es auch noch reichen. <<

    Sie lächelte süß. >> Weiß ich doch. <<

    Sie verstummten als zwischendurch der Kellner kam, um die Bestellung aufzunehmen. Nachdem er weg war, holte Frank noch einmal tief Luft, nahm seinen ganzen Mut zusammen und begann zu reden.

    >> Schatz, ich war heute bei Herrn von Palmburg, meinem Chef, und hatte eine äußerst wichtige Besprechung. <<

    >> Ja, Dad und was gibt`s Neues? << fragte sie und sah ihn mit großen Augen an. >> Will er dich etwa entlassen? <<

    >> Entlassen? Viel schlimmer, würde ich sagen. <<

    >> Dad, was immer es ist, du kannst mit mir drüber reden. Ist es wirklich so schlimm? <<

    >> Nein, gar nicht schlimm, << antwortete Frank mit einem breiten Schmunzeln. >> Er hat mir ein sensationelles Angebot unterbreitet. Die Bank möchte, dass ich für zirka sieben Monate nach New York gehe. Dort ist ein Manager sehr krank geworden und nun weiß ich nicht, ob ich dieses Angebot annehmen soll, << fügte er mit Bedacht hinzu.

    >> Im Ernst? Ist ja krass Dad, einfach irre und wo liegt das Problem? <<

    >> Ja weißt du, mein süßer Schatz, das Problem bist du! Ich kann dich doch niemals so lange allein lassen und würde dies auch nie tun. Sicher bist du kein Baby mehr, aber ich hätte keine Ruhe bei dem Gedanken, dass du dir selbst überlassen bist. <<

    Fragend schaute er sie an.

    >> So ein Quatsch Dad. << sagte sie und kniff kurz die Augen zusammen. >> Meinst du vielleicht, dass ich allein nicht klarkomme? <<

    >> So wollte ich das nicht rüberbringen, << sagte er. >> Aber vom Prinzip her schon. <<

    >> Da denk ich aber ganz anders drüber. Alexander Graham Bell hat das Telefon schon lange erfunden und Faxe, E-Mail kann man heute weltweit versenden. Angst vor dunklen Zimmern und Hausgeistern habe ich auch nicht mehr. Ich kau nicht an den Nägeln und mache nicht ins Bett, selbst Kochen ist kein Thema und meine Klamotten bügele ich seit langem allein. Ich denke schon, dass das gehen würde. <<

    Frank zuckte mit den Schultern und fragte:

    >> Meinst du wirklich, dass du ohne deinen alten Vater so lange Zeit zurechtkommst? <<

    >> Blöde Frage. Logo würd ich das, bin doch deine Tochter und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Na ja, ich wüsste ja schon wie ich an deiner Stelle handeln würde, aber das musst du wohl selbst entscheiden. <<

    >> Das muß ich in der Tat, das nimmt mir keiner ab. Vor allem ruht die ganze Verantwortung auf meinen Schultern. << Seine besorgten Augen ruhten auf ihrem hübschen Gesicht.

    >> Hast du schon mit Anne darüber gesprochen? << fragte sie.

    Oh Gott, Anne, an sie hatte er noch gar nicht gedacht. Frank hatte sie vor gut fünf Monaten im Fitnessstudio kennengelernt, nachdem sie ihn in der Sauna angesprochen hatte. Eine hübsches Frauchen, schlanke Figur und ein ausgesprochenes Sexappeal, das ihr die etwas raue Stimme verlieh. Sie war Krankenschwester in der Universitätsklinik. Irgendwie waren sie seit dem ein Paar, trafen sich regelmäßig und schliefen sehr gern miteinander. Es war keine feste Beziehung, nichts Ernstes, zumindest für ihn. Seit dem Tod seiner Frau hatte er stets vermieden sich ernsthaft an eine Frau zu binden. Viel zu sehr war er noch mit seiner Vergangenheit beschäftigt, um sich darüber Gedanken zu machen. Natürlich ergab es sich schon, hin und wieder, dass er eine Frau kennenlernte, weil er zwei Kontaktannoncen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aufgesetzt hatte. Doch es handelte sich meistens um geschiedene Frauen, die bereitwillig jeder Einladung, ganz gleich von wem sie kam, Folge leisteten, damit sie endlich wieder unter die Haube kamen. Ein paar Mal war er mit ihnen zum Essen ausgegangen oder ins Theater, dann hatten sie sich mit einem Gutenachtkuss für immer verabschiedet. Anne war da anders, zumindest war sie anders als die Frauen, mit denen er in den letzten zwei Jahren ausgegangen war, doch auch mit ihr glitt er nur in einer sensiblen Freundlichkeit nebeneinander her. Anne war unkompliziert, sehr einfühlsam, blieb immer gelassen, war nie an Konfrontation interessiert, und Frank hatte sie schon fast für die ideale Frau gehalten, wenn er nur einen Bruchteil von wahrer Liebe für sie verspürt hätte. Sie hörte immer zu, und er musste sich keine Sorgen machen, dass sie ihn immer an schwierige Zeiten erinnerte, die er meinte, längst überwunden zu haben. Sie hatte bisher noch nicht gesagt, dass sie ihn liebte. Eine weitere gute Seite ihrer Eigenschaften, die er an ihr sehr schätzte. Frank hatte keine Ahnung wie lange diese Beziehung halten würde, aber sie würde mit Sicherheit nicht für den Rest seines Lebens sein.

    >> Dad, ich hab dich was gefragt. << unterbrach Meg seine Gedanken. Ihrem Tonfall war zu entnehmen, dass sie eine Antwort auf ihre Frage erwartetete.

    >> Sorry, ich war mit meinen Gedanken grad woanders. Wo waren wir stehen geblieben? <<

    >> Bei Anne. <<

    >> Ach ja. Anne kommt doch heute Abend eh zu uns, dann red ich mit ihr. Sicher wird sie monatelang sauer sein, wenn ich ihr meine Absichten unter die Nase reibe. Was soll’s, da müssen wir jetzt wohl alle durch. <<

    Meg lächelte ihn an, dann sagte sie:

    >> Daddy, Anne wird es bestimmt verstehen. Du liebst doch New York, das weißt du. Ich bin doch auch so gern dort, am allerliebsten bei Macy`s oder in Niketown. <<

    >> Ja, Ja, mein Schatz, du und shoppen, << sagte er, mit dem Anflug leichter Ironie.

    >> Es ist einfach so geil dort, so easy und so aufregend. Außerdem wird Horst sich riesig freuen. Ihr könnt wie früher einen draufmachen oder über Karaokeshows in irgendwelchen Countrykneipen lachen. <<

    Franks Gedanken schweiften schnell zurück in die Zeit, wo Karen noch lebte und die Familie jedes Jahr den Urlaub in der Nähe von New York verbrachte. Immer bei seinem Freund Horst.

    >> Okay Meg, du hast mir eine Menge Mut gemacht. Ich brauche sicher noch einige Tage um darüber nachzudenken. Die Aufgabe reizt mich kolossal und ehrlich gesagt, ich würde mich ungemein auf New York freuen. Die Bank heizt mein Einkommen hoch, spesenfrei werd ich außerdem gehalten. So eine Chance bietet sich wirklich nicht alle Tage. Hauptsache du packst das alles mein kleiner Schatz, dass bleibt meine größte Sorge. <<

    Der Kellner brachte gerade die gewünschten Pastakreationen, Spaghetti mit Hummerkrabben für ihn und alla Carbonara für Meg.

    Meg brachte Löffel und Gabel in Position, drehte die Spaghettis langsam auf. Sie schaute ihn an und sagte in ihrer vielleicht noch kindlichen Art.

    >> Dad, wenn es dir wichtig ist, dann tu es und mach dir keine Sorgen um mich. Ich komm schon klar. <<

    >> Bist du dir sicher? <<

    >> Nimm das Angebot an, << sagte sie kurz.

    Die Überzeugung mit der sie ihre Auffassung vertrat, entsprang einfach ihrer ahnungslosen Unschuld, obwohl ihr das Leben schon gewaltige Prüfungen abverlangt hatte.

    >> Ich denk drüber nach Meg, aber laß uns erst die Pasta vertilgen, bevor sie kalt wird. <<

    Sie schauten sich beide in die Augen. Ihr Lächeln war so entwaffnend, als ob die Sonne hinter grauen Regenwolken hervorbrach. Er hatte es hinter sich gebracht, was ihn im Moment erleichterte. In Wahrheit hatte er keine Ahnung, ob alles so funktionieren würde. Kurze Zeit später begann ein Regen zu fallen, der langsam, fast unmerklich in nassen Schnee überging.

    Stunden später konnte sich Frank noch immer nicht entscheiden, was er tun sollte. Gleichgültig von welcher Seite er die Option betrachtete, eine Lösung war nicht in Sicht. Er nahm das schnurlose Telefon und wählte. Es rauschte in der Leitung, dann kam das Freizeichen, hintergründig leise, ohne klaren Laut. Frank trank ein Bier und starrte in den Kamin, während er darauf wartete, seinen Freund in Amerika zu erreichen.

    >> Ja, Hallo, << klang es etwas müde aus dem Hörer, doch als sein Freund Horst erkannte, wer am Apparat war, war er sofort hellwach.

    >> Frank, das ist aber eine Überraschung. Lange nichts voneinander gehört. Wie geht es dir so, mein Freund? <<

    >> Eigentlich ganz gut, aber wiederum auch nicht. <<

    >> Was ist los? Liegt dir was auf der Seele oder bist du krank?

    >> Weder noch. Meine Bank erwartet von mir in einer Woche eine Entscheidung, die ich noch nicht getroffen habe. <<

    >> Was wollen die denn von dir? <<

    >> Das glaubst du nie. Ab zwölften Februar könnte ich für sieben Monate einen Job in New York annehmen. <<

    >> Einfach so? <<

    >> Genau. Kopfüber ins Wasser. <<

    >> Das gibt’s doch nicht! Das wäre ja mal ein richtiger Tapetenwechsel. Und was sagt dir dein Verstand? Machst du es? <<

    >> Auf jeden Fall ziehe ich es in Betracht. Immerhin ist das eine einmalige Chance. <<

    Am anderen Ende der Leitung trat plötzlich Schweigen ein.

    >> Was wird in der Zeit aus Megan? << fragte Horst nach der Denkpause.

    >> Am Ende läuft alles auf diese Frage hinaus. Genau da liegen meine Bauchschmerzen. Sie ist zwar schon sehr selbstständig, kommt sicher auch allein zurecht, zudem hab ich auch noch eine Freundin, die sich bestimmt um sie kümmert, aber die Verantwortung lastet auf meinem Buckel. Irgendwo nagt da mein schlechtes Gewissen. Sie selbst findet es natürlich cool und meint, dass sie problemlos klarkommt. Du weißt ja wie die Jugend heute redet. <<

    >> Kann ich verstehen. Wir neigen doch alle dazu, die Kinder zu unterschätzen, was meines Erachtens ein großer Fehler ist. Zu meiner Zeit war das nicht so, da stand man in diesem Alter schon mitten im Leben. Mit siebzehn bin ich von zu Hause fort, mit achtzehn war ich schon in Amerika. Das hat mich geformt, mir das nötige Rückgrat und Selbstvertrauen für das Leben gegeben. Die Jugend weiß heut selbst am besten, was gut für sie ist. Man muß sie ihre Erfahrungen machen lassen. Und je eher, desto besser. Bei Megan wird das nicht anders sein. Davon kannst du ausgehen. <<

    >> Da kannst du recht haben, aber es bleibt doch bestimmt ein ungutes Gefühl zurück. <<

    >> Quatsch, wenn was schief läuft, fliegst du sofort zurück. Das kann dir doch nun wirklich niemand verübeln. <<

    >> Offen gesagt, ist mir dieser Gedanke noch gar nicht gekommen. Ich finde deine Überlegung sehr vernünftig. Genau das wird meine Bedingung sein, sollte ich zusagen. <<

    >> Na also Frank, bring die Sache in Schwung und komm nach New York. Es ist Zeit für den Sprung ins Wasser. Es hilft dir, deine trüben Gedanken endlich zu vertreiben. Du quälst dich immer noch mit Karens Tod? <<

    >> Ja. <<

    >> Dann hilft dir nur die Flucht nach vorn! <<

    >> Stimmt. Vielleicht mache ich mir auch zu viele Gedanken wegen Meg. Es sieht so aus, als ob du mich überzeugt hast <<

    >> Na also. Du bist schon immer ein gescheiter Junge gewesen. Und wo sollst du wohnen? <<

    >> In irgendeinem Hotel auf der Upper East Side. Genaues weiß ich noch nicht. <<

    >> So, so Upper East Side, << bemerkte Horst erstaunt, >> ziemlich

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