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Die Tote unter dem Schlehendorn: Kriminalroman
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Die Tote unter dem Schlehendorn: Kriminalroman
eBook321 Seiten4 Stunden

Die Tote unter dem Schlehendorn: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Nahe dem idyllischen Ort Akazienaue geschieht ein Blausäuremord. Hinter einer gutbürgerlichen Fassade verbergen sich Liebe, Eifersucht, Untreue und Hass. Hauptkommissarin Veronika Sommercamp und Kommissar Jens Knobloch stehen vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe. Es gibt keine Zeugen, kein Tatwerkzeug und keine Spuren an der Toten. Ist es dem Täter oder der Täterin tatsächlich gelungen, ein perfektes Verbrechen zu begehen?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum23. Nov. 2015
ISBN9783738048759
Die Tote unter dem Schlehendorn: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Die Tote unter dem Schlehendorn - Dieter Landgraf

    Herbst 2000

    Eine reizvolle Stille liegt über der zauberhaften Endmoränenlandschaft der Sandahlener Heide. Leichte Nebelfelder schweben wie schwerelos über dem Erdboden vor dem Waldesrand. Der frische Tau funkelt in der Vormittagssonne und verbreitet einen Glanz, als hätte eine unsichtbare Hand tausende von farblosen Edelsteinen auf die Wiesen und Weiden verstreut. Es kündigt sich ganz behutsam der nahende Herbst an. Heute ist Sonntag. Darauf hat sich Armin Wenzel die ganze Woche gefreut. Ihm gehören das Hotel „Haus am Akaziensee" und die gleichnamige Gaststätte in Akazienaue. Nur zu gerne streift er allein durch die Natur und genießt die einzigartige Ruhe weit weg von der Hektik des Alltages. Wie an so vielen Wochenenden davor lässt er die vergangenen Tage Revue passieren. Das helle Läuten der Kirchenglocke aus Akazienaue unterbricht seine Gedanken. Seine Schritte verlangsamen sich und schließlich bleibt er stehen. Armin Wenzel atmet tief ein - so - als wolle er das ihm umgebene Flair mit einem Male in sich aufsaugen. Der Waldesrand ist zum Greifen nahe. Sein Blick geht in Richtung des großen Schlehendorn und den darunter befindlichen Wildrosen. Armin Wenzel hat noch die Zeit erlebt, als dieser Baum eine rotbraun gefärbte und filzige bis fein behaarte Rinde besessen hat. Doch mit den Jahren hat sie sich dunkel gefärbt und ist in schmale Streifen zerrissen. Unter dem Baum bemerkt er eine Gestalt. Er überlegt kurz: Das ist äußerst ungewöhnlich - um diese Zeit und an diesem Ort - das hat er bisher noch nicht erlebt - wer Entspannung sucht geht doch eher an den See, dort gibt es ausreichend schattige Plätze. Neugierig nähert er sich dem Schlehendorn. An der Kleidung erkennt er deutlich, dass es sich um eine weibliche Person handelt. Sie liegt in einer ungewöhnlichen Stellung regungslos am Boden. Sein Puls schlägt schneller, der Atem wird kürzer. Völlig fassungslos steht er unter dem Baum. Vor ihm im Gras liegt eine Frau. Der Rock ist ein wenig nach oben verschoben und gibt den Blick auf die wohlgeformten Oberschenkel frei. Seine Augen wandern über die mädchenhaften sanften Hügel ihres Oberkörpers bis hin zu ihrem Gesicht. Er erkennt sie sofort. Es handelt sich um die äußerst attraktiv aussehende Paula Pattberg, die Tierärztin aus Akazienaue mit einer Praxis in Ballenhainischen. Sie ist vor zwei Jahren hier ansässig geworden. So hervorragend sie ihre Arbeit als Tierärztin bewältigte, so zurückhaltend war sie stets im privaten Bereich. Für viele galt sie deshalb als unnahbar. Noch immer schaut Armin Wenzel auf das von roten Locken eingerahmte Gesicht. Auch der Tod kann ihren außergewöhnlichen Liebreiz nicht vertuschen. Die niedlichen Sommersprossen auf ihren Wangen wirken auf der blassen Haut noch intensiver, als er sie in Erinnerung hat. Die sonst so funkelnden und vor Lebenslust sprühenden grünen Augen starren ausdruckslos ins Leere.

    Vorsichtig kniet er nieder und versucht ihren Puls zu fühlen. Doch schon nach wenigen Augenblicken spürt er die Sinnlosigkeit seines Handelns. Paula Pattbergs Herz hat aufgehört zu schlagen. Sie liegt tot unter dem Schlehendorn.

    Aufgeregt und fahrig nestelt er am Klettverschluss seiner Handytasche. Endlich hat er es geschafft. Aufgeregt und noch völlig durcheinander erklärt er dem diensthabenden Polizeibeamten seine fürchterliche Entdeckung.

    „Ich habe eine Tote gefunden", bringt er sichtlich nach Atem ringend hervor.

    „Sind sie sicher, dass die Person nicht mehr lebt?"

    „Einhundert Prozent sicher … sie atmet nicht mehr und ihre Augen blicken starr Geradeaus."

    „Vielleicht ist sie nur bewusstlos. So etwas haben wir schon öfters erlebt."

    „Nein, nein, schreit er ins Telefon, „sie ist mausetot … ich schätze, dass sie umgebracht wurde … das war bestimmt ein Mord.

    „Na, na … warum denn gleich an so etwas Schlimmes denken, versucht der Polizeibeamte ihn zu beruhigen, „ist ihnen die Tote bekannt?

    „Ja, natürlich … sie wohnt doch hier."

    „Was soll ich unter hier verstehen … hat der Fundort auch einen Namen?", will der Polizeibeamte wissen.

    Immer noch aufgewühlt und nach Fassung ringend antwortet Armin Wenzel: „In Akazienaue … hier unter dem Schlehendorn."

    „Wo in Akazienaue … in der Dorfmitte, am Anfang oder am Ende?"

    „Nicht mitten im Ort … hier in der ganzen Gegend gibt es nur einen Schlehendorn … diesen Baum kennt doch jeder."

    Nach mehreren Rückfragen hat Armin Wenzel die erforderlichen Angaben zum Fundort durchgegeben. Der Polizeibeamte fordert ihn auf, die Ankunft der Polizei abzuwarten und sich nicht von der Unglücksstelle zu entfernen. Die erste Aufregung legt sich nach dem Telefongespräch nur langsam. In gehöriger Entfernung von der Toten setzt er sich ins Gras. Es ist das erste Mal, dass er in eine solche Situation geraten ist. Da hat es Jahrzehnte in der ganzen Umgebung keine Straftaten gegeben und gerade ich muss da mit hineingezogen werden - denkt Armin Wenzel über seine Situation nach - und das es sich hier um einen heimtückischen und kaltblütigen Mord handelt, davon ist er überzeugt. Das beweist schon allein der Fundort. Das werde ich den Polizeikommissaren deutlich sagen - sind seine Überlegungen. Recht schnell kommt er ins Grübeln, wer wohl zu solch einer Tat fähig wäre.

    Erinnerungen

    Aus der Ferne dringen hin und wieder leise Geräusche an das Ohr von Achim Wenzel. Sie stammen aus der kleinen Gemeinde Akazienaue, deren Häuser und Grundstücke sich sanft an das Ufer des gleichnamigen Sees anschmiegen. Dabei erinnert er sich unbewusst an die Entstehungsgeschichte des Ortes und an die Zeit, als er hier ansässig wurde. Der Name für die idyllische Ansiedlung war auf eine recht ungewöhnliche Weise zustande gekommen. Oberförster Balthasar Knittelbecher wurde vom Markgrafen Heinrich für seine treuen Dienste mit reichlich Land und dem dazugehörigen Wald belohnt. Zudem schenkte er ihm auch einen Gutshof. Wie zu jener Zeit üblich hätte der Oberförster gerne dem neuen Besitz seinen Namen gegeben. Doch weder sein eigener noch der seiner Frau Mechthild schienen ihm dafür geeignet. Bei einer ersten Inaugenscheinnahme des ihm gehörenden Grund und Boden fiel dem pensionierten Waldhüter und Jägersmann eine nicht alltägliche Baumgruppe nahe am See auf. In einem botanischen Nachschlagwerk entdeckte er, dass es sich wahrscheinlich um Akazien handelt. Die unpaarig zusammengesetzten gefiederten Blätter sowie die stechenden Dornen waren für ihn identisch mit der Abbildung in seinem Lexikon. Bei der Namensgebung für die Ansiedlung haben diese Bäume dann tatsächlich Pate gestanden. Er entschied sich, das Gut und das dazugehörige Land Akazienaue zu nennen. Erst viel später sollte sich herausstellen, dass es sich um keine Akazien sondern um Robinien handelt. Die Verwechslung der Baumarten des Ortgründers Balthasar Knittelbecher wurde von Generation zu Generation in ebensolcher fälschlichen Weise weitergegeben. Die Robinien als Akazien zu bezeichnen ist bis heute in den Köpfen aller Einwohner tief verwurzelt.

    So stellt der ortsansässige Imker regelmäßig im Frühjahr seinen Wagen mit dem Bienenvolk unter die blühenden Robinien. Den aus der Bienenzucht gewonnenen gelben Honig verkaufte er auf den Wochenmärkten als Akazienhonig - immer mit dem Hinweis, dass der Honig aus eigener Herstellung stammt. Von vielen wird er angesprochen, dass hier doch keine Akazien wachsen und diese viel mehr in den subtropischen Gebieten in Südamerika, Asien, Afrika und Australien beheimatet sind. Darauf hat er immer die passende Antwort parat: Dann sind es eben Scheinakazien und darin ist ja wohl auch das Wort Akazie enthalten. Von ihm und allen Einwohnern der Gemeinde wird die Baumgruppe mit dem inzwischen zwanzig bis fünfundzwanzig Meter hohen Bäumen mit unbeirrbarer Hartnäckigkeit nur Akazienhain genannt.

    Im Verlauf der Jahrzehnte entwickelt sich das ehemalige Herrengut zu einer Ansiedlung mit etwa zweihundert Einwohnern. Das äußere Erscheinungsbild des Ortes prägen Einfamilienhäuser mit unterschiedlichen Bausstilen. Neben den Fachwerk- und Landhäusern errichteten die jeweiligen Bauherren in den letzten Jahren auch Landvillen und Designerhäuser. Selbst die skandinavische Bauweise kann man schon mehrfach antreffen. Zur Vielfalt der Häusertypen beeindrucken vor allem die teilweise kunstvoll angelegten Vorgärten. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass sich jeder Hobbygärtner im Wettbewerb zu den Nachbarn der angrenzenden Grundstücke befindet. Die Blumen und Stauden in ihrer vollen Blütenpracht laden förmlich zu einem Spaziergang durch Akazienaue ein. So mancher Einwohner zeigt seinen Verwandten und Bekannten mit besonderem Stolz den Scharm und die Gediegenheit der kleinen Gemeinde und flaniert gerne mit den Besuchern durch den Ort. Dem Unternehmungsgeist eines vor mehreren Jahren zugezogenen Botanikers ist es zu verdanken, dass auf dem Dorfanger ein prächtiger Kräutergarten entstand. Dieser wird in vielfältiger Weise genutzt. So zum Beispiel ergänzen die Lehrer des Gymnasiums aus der Kreisstadt Ballenhainischen anschaulich ihren Biologieunterricht mit dem Besuch des Gartens. Die begrünte Pergola, der Springbrunnen in der Mitte der Anlage sowie die gastronomische Betreuung an den Wochenenden haben diesen Platz zu einem beliebten Treffpunkt für alle Altersgruppen werden lassen. Längst wurde die ehemals mit Schlaglöchern übersäte Dorfstraße mit einer schwarzen Bitumenschicht überzogen und die Bürgersteige schmücken rotbraune Gehwegplatten. Auch die Nebenstraßen und die vormals sandigen Wege zum Seeufer sind befestigt und ausgebaut. Die neue Straßenbeleuchtung mit den nostalgischen Laternen ergänzt das äußerst ansehnliche Erscheinungsbild des Ortes. Über viele Jahrzehnte war die Landwirtschaft das charakteristische Merkmal der Gemeinde. Doch auch hier hat sich ein Wandel vollzogen. Die Mehrzahl der Bewohner üben ihre Berufe in vielen Kilometer weit entfernten Unternehmen und Einrichtungen aus. Sie nehmen dafür teilweise erhebliche Fahrzeiten und längere Wegstrecken in Kauf. Akazienaue gehört zu den dreizehn kleinen Ortschaften, die von der Kreisstadt Ballenhainischen verwaltet werden. Aus der ehemals verschlafen wirkenden Ansiedlung entwickelte sich eine gepflegte und attraktive Gemeinde, die den Einheimischen ein angenehmes Lebensgefühl und den Gästen Erholung und Entspannung bietet. Völlig in Gedanken versunken wandert sein Blick hinüber zu dem Robinienhain. Ein fast unmerkliches Lächeln huscht über sein Gesicht. Unwillkürlich denkt er an die Zeit zurück, als er hier sesshaft wurde. Aufgrund seiner damaligen Unerfahrenheit war es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem einheimischen Imker gekommen. Es handelte sich dabei um die Namensgebung des Honigs. Doch recht schnell hatte er begriffen, dass in diesem kleinen Ort das Wort Akazie wie ein kostbares Kleinod behandelt wird - gleichgültig, ob diese Bezeichnung zutreffend ist. Die Alteingesessenen fassten bald Vertrauen zu dem zugezogenen Neubürger und wählten ihn später sogar zum Bürgermeister. Dieses Ehrenamt übt er nunmehr schon zwölf Jahre aus und ist noch kein bisschen amtsmüde. Mit Feuereifer arbeitete er akribisch daran, dass sich vor allem junge Menschen in Akazienaue ansiedeln. Der Werbeslogan „Wohnen, wo andere Urlaub machen, mit dem die Gemeinde weit über ihre Ortsgrenzen hinaus bekannt wurde, ist seinem Einfallsreichtum zu verdanken. Nur zu gut kann er sich noch an die Anfangsjahre in Akazienaue erinnern. Das stark renovierungsbedürftige Fachwerkhaus musste von Grund auf saniert werden. Die vormalige Gaststätte und Pension ergänzte er durch den Anbau eines Bettenhauses, einem Festsaal und einer Terrasse. Damit wurde aus der vormals kleinen Pension ein modernes Hotel mit einer dazugehörigen gehobenen Gastronomie. Den althergebrachten Name „Haus am Akaziensee behielt er traditionsbewusst bei. Die Freiterrasse bietet einen malerischen Blick auf den Akaziensee und das bewaldete Ufer auf der gegenüberliegenden Seeseite. Nur an wenigen Stellen wird der Waldgürtel unterbrochen. Zum einen durch das öffentliche Strandbad mit seinem goldgelb leuchtenden Sand und zum anderen durch zwei Anlegestege für die Sportangler. Unterhalb der Terrasse befindet sich die Landungsbrücke für Schiffe der Seerundfahrten. Auch diese ist das Ergebnis der eifrigen Bemühungen von Armin Wenzel. Selbstverständlich profitiert er nicht unerheblich von den zusätzlichen Besuchern seiner Gaststätte. Die meisten Lobeshymnen hört er, wenn die Herbstsonne auf die bunten Blätter der Buchen und Eichen am gegenüberliegenden Ufer fallen. Nicht wenige der Fremden bezeichnen diesen Panoramablick als etwas Einzigartiges in der zauberhaften Landschaft der Sandahlener Heide. Die zwölf Ferienwohnungen in seinem Hotel sind in der Saison vollständig ausgebucht. Die Einnahmen aus den Übernachtungen und dem Gaststättenbetrieb haben ihm zu einem gewissen Wohlstand verholfen. Die Urlaubsgäste schätzen die intime Atmosphäre und danken es ihm - nicht unbedingt mit reichlichen Trinkgeldern - aber dafür kommen viele seiner Feriengäste Jahr für Jahr wieder. Das ist wichtig für ihn in Akazienaue. Nach der Urlaubssaison sind die Einkünfte nicht ganz so üppig. Es fehlen die Einnahmen aus dem Übernachtungsgewerbe. Die Angebote der Ausgestaltung von Feierlichkeiten und die kostenlose Nutzung seiner Räume für weitere kleinere Zusammenkünfte sind weithin bekannt. Sie werden gerne und zahlreich genutzt. Damit sichert er die Umsätze seines Gastronomiebetriebes auch außerhalb der Saison. Höhepunkte bilden der große Feuerwehrball und das Promenadenfest. Diese Veranstaltungen haben inzwischen einen festen Platz im Veranstaltungskalender der gesamten Region eingenommen. Viele bezeichnen Achim Wenzel auch als die Schlüsselfigur, die Akazienaue aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat. Sein ausgeprägter Realitätssinn bewahrt ihn an einer Überbewertung seines persönlichen Anteils an solch einer Wertschätzung. Er weiß genau, dass es ohne das gesamte Umfeld von Akazienaue diesen Aufschwung in den letzten Jahren nicht gegeben hätte. Dazu gehören der „Akaziensee, ein Paradies für Wassersportler und Angler und die „Marina, eine Ausleihstation für Yachten und Motorboote am Rande der Gemeinde. Weiterhin sind es die mustergültig ausgebauten Radwege und die einzigartige Landschaft der Sandahlener Heide, die viele Besucher wie ein Magnet anziehen. Sein Blick schweift über die Schlehenbüsche vor dem Waldweg. Deutlich erinnert er sich noch an einen Spaziergang Ende April. Da gehörte die Schlehenhecke zu den ersten blühenden Gewächsen in der ganzen Gegend. Die Hecke war, ohne ein einziges Blatt zu tragen, mit zarten, weißen Blüten förmlich übersät. Jetzt im September tragen die Büsche die kleinen, runden, blauschwarzen Früchte, die mit weißem Reif überzogen sind. Irgendwie erinnern sie ihn an die Urform einer Pflaume. Gegenwärtig sind sie ungenießbar. Einige Dorfbewohner sammeln sie nach dem ersten Frost und machen daraus einen leckeren Likör. Dieser Mühe unterzieht sich Armin Wenzel nicht. Den Schlehenlikör bezieht der Gastwirt aus der nahegelegenen Brennerei La Distillerie in Ballenhainischen.

    Der Tatort

    Plötzlich hört er ein Martinshorn und wird schlagartig aus seinen Gedanken herausgerissen. Im schnellen Tempo nähert sich ihm eine Autokarawane. Armin Wenzel springt auf und schwenkt aufgeregt seine Jacke über dem Kopf. Damit will er den Fahrzeugen signalisieren, wo sich die Tote befindet. Entgegen seinen Erwartungen kümmert sich keiner der Polizeibeamten um ihn. Etwas hilflos steht er herum und sieht dem geschäftigen Treiben interessiert zu. Zwei Schutzpolizisten sperren mit rot weisen Bändern die Stelle um den Schlehendorn ab. Weitere zwei Personen in hellen Schutzanzügen kümmern sich um möglicherweise hinterlassene Spuren. Die anderen Personen, eine männliche und zwei weibliche, begeben sich gemeinsam zu der Toten. Die Frau mit dem Medizinköfferchen in der Hand scheint die Ärztin zu sein - überlegt Armin Wenzel kurz. Wenige Minuten später kann er deren Gespräch genau verfolgen.

    „Hallo Monika, nur die üblichen Fragen … kannst du schon etwas Genaueres zum Todeszeitpunkt und zur Todesursache sagen?", fragt Hauptkommissarin Veronika Sommercamp.

    „Entsprechend der Körpertemperatur … schätze ich … so vor zehn bis zwanzig Stunden … ich kann das sicher noch weiter eingrenzen … dazu muss ich sie aber erst einmal auf dem Operationstisch haben", antwortet ihr die Pathologin Dr. Monika Bieberstein.

    „Und die Ursache des Todes?"

    „Ich meine, es ist eine Blausäurevergiftung … die leuchtenden roten Flecken auf der Haut lassen eine solche Schlussfolgerung zu diesem frühen Zeitpunkt zu … Genaueres erfährst du, wenn ich sie untersucht und den Mageninhalt überprüft habe."

    „Geht schon in Ordnung … dann muss ich eben bis morgen warten", antwortet Veronika Sommercamp.

    „Ich glaube, da wird wohl unser großer Chef nicht umhinkommen, eine Mordkommission einzurichten … alles andere würde mich sehr verwundern", stellt die Pathologin fest.

    „Weshalb denkst du an ein Gewaltverbrechen?", fragt die Hauptkommissarin etwas verwundert.

    „Es ist hauptsächlich der ungewöhnliche Fundort … und das Gift nimmt man nicht so einfach freiwillig ein … allerdings kann ich auf den ersten Blick keine äußere Gewaltanwendung erkennen … ich denke, die Dosis war ziemlich hoch und der Tod muss in wenigen Sekunden eingetreten sein."

    „Ist ja interessant … und woraus schlussfolgerst du das?"

    „Bei einer oralen Einnahme tritt die Wirkung in der Regel nach über einer Stunde ein … das heißt, es müssten Spuren eines Todeskampfes vorhanden sein … aber dafür gibt es keinerlei Anzeichen … gelangt die Blausäure dagegen direkt in die Blutbahn, dann tritt der Tod sofort ein."

    „Demnach können wir einen Unfall oder einen Suizid von vornherein ausschließen?", fragt Veronika Sommercamp beharrlich nach.

    „Nein, nein … es ist nur eine erste Diagnose … mehr nicht … bei einer Blausäurevergiftung kann natürlich auch ein Selbsttötungsakt in Betracht gezogen werden … halte ich aber für eher unwahrscheinlich … wird sicher keine einfache Ermittlung werden … aber das ist dann eure Arbeit … da mische ich mich nicht ein … schließlich seit ihr dafür die Experten."

    Armin Wenzel lauscht aufmerksam dem Gespräch der beiden Frauen. Das Zuhören wird unterbrochen, als sich ihm ein junger Mann nähert.

    „Kommissar Jens Knobloch, stellt er sich vor und zeigt den Dienstausweis, „sie haben also die Tote gefunden.

    „Richtig … und ich habe auch sofort Bescheid gegeben."

    „Das ist löblich … ich brauche trotzdem nochmals ihre Personalien … können sie sich ausweisen?"

    „Nein, aber mich kennt hier jeder … ich bin der Inhaber vom Hotel „Akazie … so nennen die Einheimischen und auch alle meine Gäste das Hotel und die Gaststätte und zudem bin ich der Bürgermeister, fügt er nicht ohne Stolz hinzu.

    „Wie ist es denn gekommen, dass sie gerade hier die Leiche entdeckt haben?"

    Umständlich erklärt Armin Wenzel, wie er die Tote gefunden hat … und fügt fast beschwörend hinzu, dass er fest davon überzeugt ist, dass es sich um Mord handelt. Der Kommissar macht sich fleißig Notizen und fragt beiläufig: „Warum soll es sich denn um solch ein Gewaltverbrechen handeln?"

    „Ja … wissen sie … wenn sich einer umbringen will, dann macht er das doch nicht unter freiem Himmel … dann bleibt er zu Hause … vielleicht in Bett … etwas Anderes habe ich noch nicht gehört … und dass es sich um einen Unfall handelt, ist überhaupt nicht möglich … in solch einem Fall hätte ich doch Verletzungsspuren bemerken müssen … aber davon ist hier nichts zu sehen."

    Jens Knobloch bemerkt die kleinen Schweißperlen auf der Stirn des Wirtes.

    „Ich kann ja ihre Aufregung ganz gut verstehen … bleiben sie doch bitte ganz ruhig … ist ihnen etwas aufgefallen, als sie das Dorf verlassen haben … eine Person … ein Fahrzeug … irgendetwas Ungewöhnliches?"

    „Nicht dass ich wüsste … ich war mutterseelenallein."

    „Haben sie die Tote berührt?"

    „Nein … ich wollte sagen ja … ich habe versucht, ihren Puls zu fühlen … habe sie nur am Handgelenk angefasst."

    „Könnte sein, dass wir von ihnen noch eine DNA benötigen … wegen dem Vergleich mit eventuell anderen Spuren."

    „Aber mit dem Tod habe ich wirklich nichts zu tun … ich habe sie lediglich zufällig gefunden", versichert er nachdrücklich dem Kommissar.

    „Tja, das wär’s dann fürs Erste … wenn wir sie nochmals brauchen - und davon gehe ich aus - melden wir uns … zudem wäre es für unsere Ermittlungen dienlich, wenn sie die nächsten zwei Wochen Akazienaue nicht verlassen … oder haben sie die Absicht, eine Reise zu unternehmen?"

    „Nein, nein, jetzt noch nicht … aber in vier Wochen …"

    Den Rest des Satzes hört Jens Knobloch schon nicht mehr. Er hat im Moment kein Interesse, sich die Ferienpläne des Hoteliers anzuhören und begibt sich zurück zum Fundort der Toten. Dort ist inzwischen der Bestattungswagen vorgefahren. Zwei Männer in schwarzen Anzügen sind damit beschäftigt, die Leiche in den Sarg zu legen. Auch die Kollegen der Spurensicherung haben ihre Arbeit beendet und ziehen sich ihre Schutzanzüge aus. Veronika Sommercamp und Monika Bieberstein unterhalten sich mit ernsten Mienen. Jens Knobloch stellt sich zu ihnen und fragt: „Kann man jetzt schon etwas Genaueres über die Tötung sagen?"

    Erstaunt blickt die Hauptkommissarin ihn an … wieso sprichst du von Tötung?"

    „Hm …, und nimmt sein Notizbuch zur Hand, „der Inhaber der Gaststätte „Haus am Akaziensee ist fest davon überzeugt, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelt", antwortet Jens Knobloch.

    Als er die fragenden Blicke der beiden Frauen bemerkt fügt er rasch hinzu: „Das ist der Mann, der die Tote gefunden hat … er heißt übrigens Armin Wenzel … und ist ehrenamtlicher Bürgermeister von Akazienaue … er hat die Bemerkung, dass es sich um Mord handelt, mehrfach wiederholt."

    „Ist ja interessant … mit dem Herrn Wenzel beschäftigen wir uns später … wenn wir mehr wissen …jetzt soll erst einmal unsere Pathologie ihre Arbeit aufnehmen …

    dann werden wir gesicherte Erkenntnisse über die Tötung haben und können zielgerichtet die Ermittlung aufnehemen."

    Beim Verlassen des Fundortes der Leiche sehen die Polizeikommissare Armin Wenzel in schnellen Schritten dem Dorf zustreben.

    „Das wird heute das Thema Nummer eins in Akazienaue … wollen wir wetten?", bemerkt Jens Knobloch.

    „Darauf möchte ich zwar nicht wetten … aber bestimmt wirst du recht haben … etwas ist auf alle Fälle einhundertprozentig sicher: Unser heutiger Besuch in Akazienaue wird nicht der Letzte gewesen sein."

    Herbst 1997

    Wieder einmal so ein Zwölf-Stunden Tag - überlegt Dr. Andreas Falk - und dann noch die Bereitschaft als Notarzt, das geht langsam an die Substanz. Gerne wäre er auch auf der Karriereleiter weiter nach oben gestiegen. Zu seinem Leidwesen sind die Führungspositionen durch Ärzte besetzt, die im Vergleich zu ihm nur wenige Jahre älter sind. Eigentlich besitzt er die besten Voraussetzungen für eine Stelle als Oberarzt in der Klinik. Das Medizinstudium, die Doktorarbeit und fünf Jahre Facharztausbildung hat er erfolgreich bewältigt. Vor kurzem absolvierte er die Ausbildung zum Notarzt. Als Student war es immer sein Wunsch, an einem großen Klinikum zu arbeiten - und wenn möglich, natürlich in einer Großstadt. Auch diese Vorstellungen sind in Erfüllung gegangen. Den beruflichen Aufstieg hat er sich aber doch etwas leichter vorgestellt. In den letzten Wochen wurden seine Gefühle und Gedanken immer wieder von Widersprüchen und Selbstzweifeln getrübt. Wie schon öfters stellt er sich auch heute die Frage, ob es nicht ein erfülltes Leben außerhalb des Klinikums und der Großstadt geben könnte. Unwillkürlich fällt ihm bei diesen Überlegungen sein Freund und Kommilitone aus der Studienzeit ein. Mit ihm verbindet ihn noch heute eine feste Männerfreundschaft. Sein Name ist Frank Ringhof. Er hat auf einer Südamerikareise die große Liebe seines Lebens kennengelernt. Seine Frau stammt aus ländlichen Verhältnissen und wollte unter keinen Umständen eine Städterin werden. Diesen Wunsch erfüllte Frank Ringhof seiner Frau und übernahm eine frei gewordene Landarztpraxis inmitten des Naturparks Sandahlener Heide. Das Einfamilienhaus mit einem großen Garten hat er in Akazienaue gebaut. Seinen Erzählungen zufolge lebt er glücklich und zufrieden in der ländlichen Abgeschiedenheit seines Wohnortes. Auf dem Nachhauseweg gehen ihm die Gedanken über Frank Ringhof nicht aus dem Sinn. In seiner Wohnung wird er freudig von Yvonne und Tobias, seinen beiden Kindern, begrüßt. Wie so oft ist die Zeit mit den Kindern nur kurz bemessen. Sie nehmen ihre Schulmappen und verabschieden sich mit einem Küsschen von seiner Frau. Ein kurzes Hallo in Richtung ihres Vaters und beide sind verschwunden. Liebevoll kommt Anke auf ihn zu und schmiegt sich zärtlich an ihn. Als er den Arm um ihre Hüften legt, spürt er, dass er diese Frau noch genau so liebt, wie vor zehn Jahren, als sie sich das „Ja-Wort" gegeben haben. Im gleichen Jahr wurde ihre Tochter Yvonne geboren. Nachdenklich schaut Andreas Falk in seine Kaffeetasse.

    „Hast du irgendein Problem … du kommst mir ein wenig bedrückt vor!", bemerkt Anke

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