Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Tote unter dem Schlehendorn: Kriminalroman
Die Tote unter dem Schlehendorn: Kriminalroman
Die Tote unter dem Schlehendorn: Kriminalroman
eBook322 Seiten4 Stunden

Die Tote unter dem Schlehendorn: Kriminalroman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Nahe dem idyllischen Ort Akazienaue geschieht ein Blausäuremord. Hinter einer gutbürgerlichen Fassade verbergen sich Liebe, Eifersucht, Untreue und Hass. Hauptkommissarin Veronika Sommercamp und Kommissar Jens Knobloch stehen vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe. Es gibt keine Zeugen, kein Tatwerkzeug und keine Spuren an der Toten. Der Mord erweckt den Anschein, als wäre dem Täter oder der Täterin das perfekte Verbrechen gelungen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Feb. 2017
ISBN9783732380299
Die Tote unter dem Schlehendorn: Kriminalroman

Mehr von Dieter Landgraf lesen

Ähnlich wie Die Tote unter dem Schlehendorn

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Die Tote unter dem Schlehendorn

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Tote unter dem Schlehendorn - Dieter Landgraf

    Der Autor

    Dieter Landgraf studierte Sport und Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Heute lebt er im beschaulichen Lichterfelde-Süd am Stadtrand von Berlin.

    Weitere Titel des Autors:

    Tatort Pfaueninsel

    Sandras Rache

    Bei Erbschaft Mord

    Dieter Landgraf

    Die Tote unter dem Schlehendorn

    Kriminalroman

    ©2017 Dieter Landgraf

    Verlag: Buchtalent - eine Verlagsmarke der tredition GmbH, Hamburg

    www.buchtalent.de www.tredition.de

    ISBN

    978-3-7323-8027-5

    978-3-7323-8028-2

    978-3-7323-8029-9

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    1. Kapitel

    Herbst 2000

    Es ist Sonntagmorgen. Eine friedliche Stille liegt über dem Naturpark Sandahlener Heide. Armin Wenzel hat es eilig. Er möchte so schnell wie möglich Abstand von der Hast und Hektik des Alltages in seinem Restaurant und dem dazu gehörendem Hotel gewinnen. Mit schnellen Schritten lässt er die letzten Häuser hinter sich und befindet sich recht bald außerhalb des Dorfes. Die rasche Gangart treibt ihm erste Schweißperlen auf die Stirn. Er bleibt stehen und atmet tief durch. Seine Blicke wandern über die Wiesen und Felder, auf denen der frische Tau in der Vormittagssonne funkelt, als hätte eine unsichtbare Hand tausende farblose Edelsteine verstreut. Zudem schweben leichte Nebelfelder wie schwerelos über dem Erdboden und kündigen behutsam den nahenden Herbst an. Für ihn als Naturliebhaber sind es immer wieder beeindruckende Bilder, für die er sich stets aufs Neue begeistern kann. Schon bald gelangen der für die Region einzigartige fünfstämmige Schlehendorn und die darunter wachsenden Wildrosen in sein Blickfeld. Er stutzt. Unter dem Baum scheint es sich jemand im Gras bequem gemacht zu haben.

    Armin Wenzel überlegt: Das ist recht ungewöhnlich. Wer Ruhe und Entspannung sucht, geht doch eher an den See. Dort sind ausreichend schattige Plätze vorhanden.

    Neugierig nähert er sich dem Schlehendorn. An der Kleidung ist zu erkennen, dass es sich um eine weibliche Person handelt. Sie liegt in einer ungewöhnlichen Stellung regungslos am Boden. Sein Puls schlägt schneller und der Atem wird kürzer. Er glaubt, seinen Augen nicht zu trauen und starrt völlig fassungslos auf die Gestalt vor ihm.

    Im Gras neben den Wildrosen liegt eine Frau. Der Rock ist ein wenig nach oben verschoben und gibt den Blick auf die wohlgeformten Oberschenkel frei. Seine Augen wandern über die mädchenhaften sanften Hügel ihres Oberkörpers bis hin zu ihrem Gesicht. Er erkennt sie sofort. Es handelt sich um die äußerst attraktive Tierärztin Paula Pattberg aus Akazienaue. Sie wurde erst vor zwei Jahren hier ansässig.

    Noch immer schaut Armin Wenzel auf das von roten Locken eingerahmte Gesicht. Die niedlichen Sommersprossen auf ihren Wangen wirken auf der blassen Haut noch intensiver, als er sie in Erinnerung hat. Die sonst so funkelnden und vor Lebenslust sprühenden grünen Augen starren ausdruckslos ins Leere.

    Vorsichtig kniet er nieder und versucht ihren Puls zu fühlen. Doch schon nach wenigen Augenblicken spürt er die Sinnlosigkeit seines Handelns. Paula Pattbergs Herz hat aufgehört zu schlagen. Sie liegt tot unter dem Schlehendorn.

    Aufgeregt und fahrig nestelt Armin Wenzel am Klettverschluss seiner Handytasche. Endlich hat er es geschafft. Aufgeregt und noch völlig durcheinander erklärt er dem diensthabenden Polizeibeamten seine Entdeckung.

    »Ich habe eine Tote gefunden«, bringt er sichtlich nach Atem ringend hervor.

    »Sind Sie sicher, dass die Person nicht mehr lebt?«

    »Einhundert Prozent sicher. Sie atmet nicht mehr und ihre Augen blicken starr geradeaus.«

    »Vielleicht ist sie nur bewusstlos. So etwas haben wir schon öfters erlebt.«

    »Nein, nein«, schreit er ins Telefon, »die Frau ist mausetot. Ich glaube, es hat sie jemand umgebracht. Das war bestimmt ein Mord.«

    »Na, na, warum denn gleich an so etwas Schlimmes denken. Kennen Sie denn die Tote?«, versucht der Polizeibeamte ihn zu beruhigen.

    »Ja, natürlich, sie wohnt doch hier.«

    »Was soll ich unter hier verstehen? Hat der Fundort auch einen Namen?«, will der Polizeibeamte wissen.

    Immer noch aufgewühlt und nach Fassung ringend antwortet Armin Wenzel: »Der Ort heißt Akazienaue und gefunden habe ich sie unter dem Schlehendorn.«

    »Wo in Akazienaue? In der Dorfmitte, am Anfang oder am Ende?«

    »Natürlich nicht mitten in der Gemeinde. In der ganzen Gegend gibt es nur einen Schlehendorn. Diesen Baum mit seiner rotbraunen und filzigen bis fein behaarten Rinde kennt doch jeder. Es handelt sich um ein in unserer Region recht seltenes Exemplar.«

    Nach mehreren Rückfragen hat Armin Wenzel die Angaben zum Fundort durchgegeben. Der Polizeibeamte fordert ihn auf, die Ankunft der Polizei abzuwarten und sich nicht von der Unglücksstelle zu entfernen. Die erste Aufregung legt sich nach dem Telefongespräch nur langsam. In gehöriger Entfernung zu der Toten setzt er sich ins Gras und überlegt: Allein der Fundort weist darauf hin, dass es sich um einen heimtückischen und kaltblütigen Mord handelt. Es gab in der ganzen Umgebung seit Jahrzehnten keine derartige Straftat und gerade ich muss in solch eine Geschichte mit hineingezogen werden. Hoffentlich schadet solch ein Vorkommnis nicht meinem Geschäft. Als Eigentümer des Hotels ‚Haus am See’ und der gleichnamige Gaststätte bin ich auf den guten Ruf der Umgebung angewiesen.

    Akazienaue

    Recht schnell kommt er ins Grübeln, wer wohl zu solch einer Tat fähig wäre. Seine Gedanken schweifen ab, weil aus der Ferne hin und wieder leise Geräusche an sein Ohr dringen. Sie stammen aus der kleinen Gemeinde Akazienaue, deren Häuser und Grundstücke sich sanft an das Ufer des gleichnamigen Sees anschmiegen. Dabei erinnert er sich unbewusst an die Entstehungsgeschichte des Ortes und an die Zeit, als er hier ansässig wurde. Der Name für die idyllische Ansiedlung war auf eine recht ungewöhnliche Weise zustande gekommen. Oberförster Balthasar Knittelbecher wurde vom Markgrafen Heinrich für seine treuen Dienste mit reichlich Land und dem dazugehörigen Wald belohnt. Zudem schenkte er ihm auch einen Gutshof. Wie zu jener Zeit üblich hätte der Oberförster gerne dem neuen Besitz seinen Namen gegeben. Doch weder sein eigener noch der seiner Frau Mechthild schienen ihm dafür geeignet. Bei einer ersten Inaugenscheinnahme des ihm gehörenden Grund und Boden fiel dem pensionierten Waldhüter und Jägersmann eine nicht alltägliche Baumgruppe nahe am See auf. In einem botanischen Nachschlagwerk entdeckte er, dass es sich wahrscheinlich um Akazien handelt. Die unpaarig zusammengesetzten gefiederten Blätter sowie die stechenden Dornen waren für ihn identisch mit der Abbildung in seinem Lexikon. Bei der Namensgebung für die Ansiedlung haben diese Bäume dann tatsächlich Pate gestanden. Er entschied sich, das Gut und das dazugehörige Land Akazienaue zu nennen. Erst viel später sollte sich herausstellen, dass es sich um keine Akazien sondern um Robinien handelt. Die Verwechslung der Baumarten durch den Ortgründer Balthasar Knittelbecher wurde von Generation zu Generation in ebensolcher fälschlichen Weise weitergegeben. Die Robinien als Akazien zu bezeichnen ist bis heute in den Köpfen aller Einwohner tief verwurzelt.

    So stellt der ortsansässige Imker regelmäßig im Frühjahr seinen Wagen mit dem Bienenvolk unter die blühenden Robinien. Den aus der Bienenzucht gewonnenen gelben Honig verkaufte er auf den Wochenmärkten als Akazienhonig. Stets weißt der umtriebige Bienenzüchter darauf hin, dass der Honig aus eigener Herstellung stammt. Von vielen wird er angesprochen, dass hier doch keine Akazien wachsen und diese viel mehr in den subtropischen Gebieten in Südamerika, Asien, Afrika und Australien beheimatet sind. Darauf hat er immer die passende Antwort parat: Dann sind es eben Scheinakazien und darin ist ja wohl auch das Wort Akazie enthalten. Von ihm und allen Einwohnern der Gemeinde wird die Baumgruppe mit dem inzwischen zwanzig bis fünfundzwanzig Meter hohen Bäumen mit unbeirrbarer Hartnäckigkeit nur Akazienhain genannt.

    Im Verlauf der Jahrzehnte entwickelt sich das ehemalige Herrengut zu einer Ansiedlung mit etwa zweihundert Einwohnern. Das äußere Erscheinungsbild des Ortes prägen Einfamilienhäuser mit unterschiedlichen Bausstilen. Neben den Fachwerk- und Landhäusern errichteten die jeweiligen Bauherren in den letzten Jahren auch Landvillen und Designerhäuser. Selbst die skandinavische Bauweise trifft man schon mehrfach an. Zur Vielfalt der Häusertypen beeindrucken vor allem die teilweise kunstvoll angelegten Vorgärten. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass sich jeder Hobbygärtner im Wettbewerb zu den Nachbarn der angrenzenden Grundstücke befindet. Die Blumen und Stauden in ihrer vollen Blütenpracht laden förmlich zu einem Spaziergang durch Akazienaue ein. So mancher Einwohner zeigt seinen Verwandten und Bekannten mit besonderem Stolz den Scharm und die Gediegenheit der kleinen Gemeinde und flaniert gerne mit den Besuchern durch den Ort. Dem Unternehmungsgeist eines vor mehreren Jahren zugezogenen Botanikers ist es zu verdanken, dass auf dem Dorfanger ein prächtiger Kräutergarten entstand. Dieser wird in vielfältiger Weise genutzt. So zum Beispiel ergänzen die Lehrer des Gymnasiums aus der Kreisstadt Ballenhainischen anschaulich ihren Biologieunterricht mit dem Besuch des Gartens. Die begrünte Pergola, der Springbrunnen in der Mitte der Anlage sowie die gastronomische Betreuung an den Wochenenden haben diesen Platz zu einem beliebten Treffpunkt für alle Altersgruppen werden lassen.

    Längst wurde die ehemals mit Schlaglöchern übersäte Dorfstraße mit einer schwarzen Bitumenschicht überzogen und die Bürgersteige schmücken rotbraune Gehwegplatten. Auch die Nebenstraßen und die vormals sandigen Wege zum Seeufer sind befestigt und ausgebaut. Die neue Straßenbeleuchtung mit den nostalgischen Laternen ergänzt das äußerst ansehnliche Erscheinungsbild des Ortes.

    Über viele Jahrzehnte war die Landwirtschaft das charakteristische Merkmal der Gemeinde. Doch auch hier vollzog sich ein Wandel. Die Mehrzahl der Bewohner üben ihre Berufe in vielen Kilometer weit entfernten Unternehmen und Einrichtungen aus. Sie nehmen dafür teilweise erhebliche Fahrzeiten und längere Wegstrecken in Kauf.

    Akazienaue gehört zu den dreizehn kleinen Ortschaften, die von der Kreisstadt Ballenhainischen verwaltet werden. Aus der ehemals verschlafen wirkenden Ansiedlung entwickelte sich eine gepflegte und attraktive Gemeinde, die den Einheimischen ein angenehmes Lebensgefühl und den Gästen Erholung und Entspannung bietet. Völlig in Gedanken versunken wandert sein Blick hinüber zu dem Robinienhain. Ein fast unmerkliches Lächeln huscht über sein Gesicht. Unwillkürlich denkt er an die Zeit zurück, als er hier sesshaft wurde. Aufgrund seiner damaligen Unerfahrenheit war es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem einheimischen Imker gekommen. Es handelte sich dabei um die Namensgebung des Honigs. Doch recht schnell hatte er begriffen, dass in diesem kleinen Ort das Wort Akazie wie ein kostbares Kleinod behandelt wird gleichgültig, ob diese Bezeichnung zutreffend ist.

    Die Alteingesessenen fassten bald Vertrauen zu dem zugezogenen Neubürger und wählten ihn später sogar zum Bürgermeister. Dieses Ehrenamt übt er nunmehr bereits zwölf Jahre aus und ist noch kein bisschen amtsmüde. Mit Feuereifer arbeitete er akribisch daran, dass sich vor allem junge Menschen in Akazienaue ansiedeln. Der Werbeslogan ‚Wohnen, wo andere Urlaub machen’, mit dem die Gemeinde weit über ihre Ortsgrenzen hinaus bekannt wurde, ist seinem Einfallsreichtum zu verdanken.

    Nur zu gut kann er sich noch an die Anfangsjahre in Akazienaue erinnern. Das stark renovierungsbedürftige Fachwerkhaus musste von Grund auf saniert werden. Die vormalige Gaststätte und Pension ergänzte er durch den Anbau eines Bettenhauses, einem Festsaal und einer Terrasse. Damit wurde aus der vormals kleinen Pension ein modernes Hotel mit einer dazugehörigen gehobenen Gastronomie. Den althergebrachten Name ‚Haus am See’ behielt er traditionsbewusst bei.

    Die Freiterrasse bietet einen malerischen Blick auf den Akaziensee und das bewaldete Ufer auf der gegenüberliegenden Seeseite. Nur an wenigen Stellen wird der Waldgürtel unterbrochen. Zum einen durch das öffentliche Strandbad mit seinem goldgelb leuchtenden Sand und zum anderen durch zwei Anlegestege für die Sportangler. Unterhalb der Terrasse befindet sich die Landungsbrücke für Schiffe der Seerundfahrten. Auch diese ist das Ergebnis der eifrigen Bemühungen von Armin Wenzel. Selbstverständlich profitiert er nicht unerheblich von den zusätzlichen Besuchern seiner Gaststätte. Die meisten Lobeshymnen hört er, wenn die Herbstsonne auf die bunten Blätter der Buchen und Eichen am gegenüberliegenden Ufer fallen. Nicht wenige der Fremden bezeichnen diesen Panoramablick als etwas Einzigartiges in der zauberhaften Landschaft der Sandahlener Heide.

    Die zwölf Ferienwohnungen in seinem Hotel sind in der Saison vollständig ausgebucht. Die Einnahmen aus den Übernachtungen und dem Gaststättenbetrieb haben ihm zu einem gewissen Wohlstand verholfen. Die Urlaubsgäste schätzen die intime Atmosphäre und danken es ihm - nicht unbedingt mit reichlichen Trinkgeldern - aber dafür kommen viele seiner Feriengäste Jahr für Jahr wieder. Das ist wichtig für ihn in Akazienaue. Nach der Urlaubssaison sind die Einkünfte nicht ganz so üppig. Es fehlen die Einnahmen aus dem Übernachtungsgewerbe. Die Angebote der Ausgestaltung von Feierlichkeiten und die kostenlose Nutzung seiner Räume für weitere kleinere Zusammenkünfte sind weithin bekannt. Sie werden gerne und zahlreich genutzt. Damit sichert er die Umsätze seines Gastronomiebetriebes auch außerhalb der Saison. Höhepunkte bilden der große Feuerwehrball und das Promenadenfest. Diese Veranstaltungen haben inzwischen einen festen Platz im Veranstaltungskalender der gesamten Region eingenommen.

    Viele bezeichnen Achim Wenzel auch als die Schlüsselfigur, die Akazienaue aus dem Dornröschenschlaf weckte. Sein ausgeprägter Realitätssinn bewahrt ihn an einer Überbewertung seines persönlichen Anteils an solch einer Wertschätzung. Er weiß genau, dass es ohne das gesamte Umfeld von Akazienaue diesen Aufschwung in den letzten Jahren nicht gegeben hätte. Dazu gehören der ‚Akaziensee’, ein Paradies für Wassersportler und Angler und die ‚Marina’, eine Ausleihstation für Yachten und Motorboote am Rande der Gemeinde. Weiterhin sind es die mustergültig ausgebauten Radwege und die einzigartige Landschaft der Sandahlener Heide, die viele Besucher wie ein Magnet anziehen.

    Sein Blick schweift über die Schlehenbüsche vor dem Waldweg. Deutlich erinnert er sich noch an einen Spaziergang Ende April. Da gehörte die Schlehenhecke zu den ersten blühenden Gewächsen in der ganzen Gegend. Die Hecke war, ohne ein einziges Blatt zu tragen, mit zarten, weißen Blüten förmlich übersät. Jetzt im September tragen die Büsche die kleinen, runden, blauschwarzen Früchte, die mit weißem Reif überzogen sind. Irgendwie erinnern sie ihn an die Urform einer Pflaume. Gegenwärtig sind sie ungenießbar. Einige Dorfbewohner sammeln die Früchte nach dem ersten Frost und machen daraus einen leckeren Likör. Dieser Mühe unterzieht sich Armin Wenzel nicht. Den Schlehenlikör bezieht der Gastwirt aus der nahegelegenen Brennerei 'La Distillerie' in Ballenhainischen.

    ***

    Der Fundort

    Plötzlich ertönt ein Martinshorn und reißt ihn schlagartig aus seinen nostalgischen Gedanken heraus. Mit hohem Tempo nähert sich eine Autokarawane. Armin Wenzel springt auf und schwenkt aufgeregt seine Jacke über dem Kopf. Damit will er den Fahrzeugen signalisieren, wo sich die Tote befindet. Entgegen seinen Erwartungen kümmert sich keiner der Polizeibeamten um ihn. Etwas hilflos steht er herum und sieht dem geschäftigen Treiben interessiert zu. Zwei Schutzpolizisten sperren mit rot-weißen Bändern die Stelle um den Schlehendorn ab. Weitere zwei Personen in hellen Schutzanzügen kümmern sich um möglicherweise hinterlassene Spuren. Die anderen Personen, eine männliche und zwei weibliche, begeben sich gemeinsam zu der Toten. Die Frau mit dem Medizinköfferchen in der Hand scheint die Ärztin zu sein, überlegt Armin Wenzel kurz. Als er wenige Minuten später das Gespräch der Frauen unbeabsichtigt verfolgen kann, bestätigt sich seine Vermutung.

    »Hallo Monika, ich habe nur die üblichen Fragen. Kannst du schon etwas Genaueres zum Todeszeitpunkt und zur Todesursache sagen?«, fragt Hauptkommissarin Veronika Sommercamp.

    »Entsprechend der Körpertemperatur schätze ich, dass der Tod ungefähr vor zehn bis zwanzig Stunden eintrat. Die Zeitangabe ist sicher noch weiter einzugrenzen. Dazu muss sie aber erst einmal auf dem Operationstisch gelegen haben«, antwortet ihr die Pathologin Dr. Monika Bieberstein.

    »Und die Ursache des Todes?«

    »Ich meine, es ist eine Blausäurevergiftung. Die leuchtenden roten Flecken auf der Haut lassen eine solche Schlussfolgerung zu diesem frühen Zeitpunkt zu. Genaueres erfährst du, wenn ich sie untersucht und den Mageninhalt überprüft habe.«

    »Geht schon in Ordnung. Dann muss ich eben bis morgen warten«, antwortet Veronika Sommercamp.

    »Ich glaube, da wird wohl unser großer Chef nicht umhinkommen, eine Mordkommission einzurichten. Alles andere würde mich sehr verwundern«, stellt die Pathologin fest.

    »Weshalb denkst du an ein Gewaltverbrechen?«, fragt die Hauptkommissarin etwas verwundert.

    »Es ist hauptsächlich der ungewöhnliche Fundort. Auch das Gift nimmt man nicht so einfach freiwillig zu sich. Allerdings kann ich auf den ersten Blick keine äußere Gewaltanwendung erkennen. Ich denke, die Dosis war ziemlich hoch und der Tod muss in wenigen Sekunden eingetreten sein.«

    »Ist ja interessant. Woraus schlussfolgerst du das?«

    »Bei einer oralen Einnahme tritt die Wirkung in der Regel nach über einer Stunde ein, das heißt, es müssten Spuren eines Todeskampfes vorhanden sein. Aber dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Gelangt die Blausäure dagegen direkt in die Blutbahn, dann tritt der Tod sofort ein.«

    »Demnach können wir einen Unfall oder einen Suizid von vornherein ausschließen?«, fragt Veronika Sommercamp beharrlich nach.

    »Nein, nein, es ist nur eine erste Diagnose, mehr nicht. Bei einer Blausäurevergiftung kann natürlich auch ein Selbsttötungsakt in Betracht gezogen werden. Das halte ich in diesem Fall für eher unwahrscheinlich. Für euch wird es sicher keine einfache Ermittlung werden. Aber das ist dann eure Arbeit und mir liegt es fern, mich einzumischen. Schließlich seit ihr dafür die Experten.«

    Armin Wenzel lauscht aufmerksam dem Gespräch der beiden Frauen. Das Zuhören wird unterbrochen, als sich ihm ein junger Mann nähert.

    »Kommissar Jens Knobloch«, stellt er sich vor und zeigt den Dienstausweis, »Sie haben also die Tote gefunden.«

    »Richtig, ich habe auch sofort über die Eins-Eins-Null Bescheid gegeben.«

    »Das ist löblich. Ich brauche trotzdem nochmals Ihre Personalien. Können Sie sich ausweisen?«

    »Nein, aber mich kennt hier jeder. Ich bin der Inhaber vom Hotel 'Akazie'. So nennen die Einheimischen und auch alle meine Gäste das Hotel und die Gaststätte. Zudem bin ich der Bürgermeister hier im Ort«, fügt er nicht ohne Stolz hinzu.

    »Wie kam es denn dazu, dass Sie die Leiche entdeckten?«

    Umständlich erklärt Armin Wenzel, wie er die Tote fand und fügt fast beschwörend hinzu, dass es seine feste Überzeugung ist, dass es sich um Mord handelt.

    Der Kommissar macht sich fleißig Notizen und fragt beiläufig: »Warum soll es sich denn um ein Gewaltverbrechen handeln?«

    »Ja, wissen Sie, wenn sich einer umbringen will, dann macht er das doch nicht unter freiem Himmel. Dann bleibt er zu Hause, vielleicht in seinem Bett. Etwas Anderes ist mir bisher noch nicht zu Ohren gekommen. Dass es sich um einen Unfall handelt, schließe ich völlig aus. In solch einem Fall hätte ich doch Verletzungsspuren bemerken müssen. Aber davon ist an der jungen Frau nichts zu sehen.«

    Jens Knobloch bemerkt die kleinen Schweißperlen auf der Stirn des Wirtes und versucht ihn zu besänftigen: »Ich kann Ihre Aufregung ganz gut verstehen. Bleiben Sie doch bitte ganz ruhig. Ist Ihnen vielleicht etwas aufgefallen, als Sie das Dorf verlassen haben, eine Person, ein Fahrzeug oder sonst irgendetwas Ungewöhnliches?«

    »Nein, es gab nicht die geringste Auffälligkeit. Ich war um diese Zeit mutterseelenallein.«

    »Haben Sie die Tote berührt?«

    »Nein, ich wollte sagen ja. Beim Versuch, ihren Puls zu fühlen, kam ich nicht umhin, ihr Handgelenk anzufassen.«

    »Es könnte sein, dass wir von Ihnen noch eine DNA benötigen, um diese mit eventuell anderen Spuren an der Toten zu vergleichen.«

    »Aber mit dem Tod habe ich wirklich nichts zu tun. Es ist lediglich purer Zufall, dass mein Weg hier vorbeiführte, sie von mir gefunden wurde«, versichert er nachdrücklich dem Kommissar.

    »Tja, das wär’s dann fürs Erste. Wenn wir Sie nochmals benötigen, wird Ihnen eine Benachrichtigung übersendet. Zudem wäre es für unsere Ermittlungen dienlich, wenn Sie die nächsten zwei Wochen Akazienaue nicht verlassen. Oder haben Sie die Absicht, in nächster Zeit eine Reise zu unternehmen?«

    »Nein, nein, jetzt noch nicht. Aber in vier Wochen …«

    Den Rest des Satzes hört Jens Knobloch schon nicht mehr. Er hat im Moment kein Interesse, sich die Ferienpläne des Hoteliers anzuhören und begibt sich zurück zum Fundort der Leiche.

    Dort ist inzwischen der Bestattungswagen vorgefahren. Zwei Männer in schwarzen Anzügen sind damit beschäftigt, die Tote in den Sarg zu legen. Auch die Kollegen der Spurensicherung haben ihre Arbeit beendet und ziehen sich ihre Schutzanzüge aus. Veronika Sommercamp und Monika Bieberstein unterhalten sich mit ernsten Mienen. Jens Knobloch stellt sich zu ihnen und fragt: »Kann man jetzt schon etwas Genaueres über das Gewaltverbrechen sagen?«

    Erstaunt blickt die Hauptkommissarin ihn an und fragt: »Wieso sprichst du von einem Verbrechen?«

    Jens Knobloch nimmt sein Notizbuch zur Hand und äußert: »Der Inhaber der Gaststätte 'Haus am See' ist fest davon überzeugt, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelt.«

    Als er die fragenden Blicke der beiden Frauen bemerkt fügt er rasch hinzu: »Das ist der Mann, der die Tote fand. Er heißt übrigens Armin Wenzel und ist zudem ehrenamtlicher Bürgermeister von Akazienaue. Die Bemerkung, dass es sich um Mord handelt, wiederholte Herr Wenzel mehrmals.«

    »Ist ja interessant. Mit dem Gastwirt beschäftigen wir uns später, vor allem, wenn wir mehr über die Todesursache wissen. Jetzt soll erst einmal unsere Pathologie ihre Arbeit aufnehmen. Dann werden wir gesicherte Erkenntnisse über das Tötungsdelikt haben und können zielgerichtet die Ermittlung aufnehmen.«

    Beim Verlassen des Fundortes der Leiche sehen die Polizeikommissare Armin Wenzel mit schnellen Schritten dem Dorf zustreben.

    »Das wird heute das Thema Nummer eins in Akazienaue sein, wollen wir wetten?«, bemerkt Jens Knobloch.

    »Darauf möchte ich zwar nicht wetten, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wirst du recht haben. Etwas ist auf alle Fälle einhundertprozentig sicher: Unser heutiger Besuch in Akazienaue wird nicht der Letzte gewesen sein.«

    2. Kapitel

    Herbst 1997

    Wieder einmal so ein Zwölf-Stunden Tag - überlegt Dr. Andreas Falk - und dann noch die Bereitschaft als Notarzt, das geht langsam an die Substanz. Gerne wäre er auch auf der Karriereleiter weiter nach oben gestiegen. Zu seinem Leidwesen sind die Führungspositionen durch Ärzte besetzt, die im Vergleich zu ihm nur wenige Jahre älter sind. Eigentlich besitzt er die besten Voraussetzungen für eine Stelle als Oberarzt in der Klinik. Das Medizinstudium und die Doktorarbeit wurden von ihm erfolgreich abgeschlossen. Dazu kommen noch eine fünfjährige Facharztausbildung sowie eine weitere Qualifizierung zum Notarzt.

    Als Student war es immer sein Wunsch, in einer großen Klinik zu arbeiten und wenn möglich, natürlich in einer Großstadt. Auch diese Vorstellungen sind in Erfüllung gegangen. An dem Klinikum in Berlin fand er seine erste Anstellung als Assistenzarzt.

    Den beruflichen Aufstieg hat er sich aber doch etwas leichter vorgestellt. In den letzten Wochen wurden seine Gefühle und Gedanken immer wieder von Widersprüchen und Selbstzweifeln getrübt.

    Wie schon öfters stellt er sich auch heute die Frage, ob es nicht ein erfüllteres Leben außerhalb der Großstadt geben könnte. Unwillkürlich fällt ihm bei diesen Überlegungen sein Freund und Kommilitone aus der Studienzeit ein. Mit ihm verbindet ihn noch heute eine feste Männerfreundschaft. Sein Name ist Frank Ringhof. Er hat auf einer Südamerikareise die große Liebe seines Lebens kennengelernt. Seine Ehrfrau stammt aus ländlichen Verhältnissen und wollte unter keinen Umständen eine Städterin werden. Diesen Wunsch erfüllte Frank Ringhof seiner Frau und übernahm eine frei gewordene Landarztpraxis inmitten des Naturparks Sandahlener Heide. Sein Einfamilienhaus mit einem großen Garten steht in Akazienaue. Den Erzählungen zufolge lebt er glücklich und zufrieden in der ländlichen Abgeschiedenheit des kleinen Ortes.

    Auf dem Weg vom Klinikum zu seiner Wohnung gehen ihm die Gedanken über Frank Ringhof nicht aus dem Sinn. Zu Hause wird er freudig von seinen beiden Kindern Yvonne und Tobias begrüßt. Wie so oft ist die

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1