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Black Angels: Codename Dornröschen
Black Angels: Codename Dornröschen
Black Angels: Codename Dornröschen
eBook450 Seiten6 Stunden

Black Angels: Codename Dornröschen

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Über dieses E-Book

Black Angels, das sind die mutigen Frauen und Männer einer Sondereinheit der deutschen Polizei. Sie agieren im Geheimen, ihre Einsätze sind brandgefährlich und sie blicken dabei in die Abgründe menschlicher Seelen.
Im ersten Teil der Reihe, Codename Dornröschen,stehen Claire und Tom im Mittelpunkt der Geschichte. Die Black Angels haben den Auftrag, die junge Frau vor ihrem skrupellosen Exmann zu schützen. Tom, der Bruder des Teamchefs und Richter am Landgericht, unterstützt sie dabei. Er flieht mit der jungen Frau in die Abgeschiedenheit des Eifeler Hügellandes. Dort versucht er, das Vertrauen der schwer traumatisierten Claire zu erlangen. Bald empfindet er mehr für die junge Frau, als er dürfte, denn sie soll als Hauptzeugin gegen ihren gewalttätigen Exmann aussagen.
Claire beginnt, dem Richter mit der sinnlichen Stimme und den traurigen Augen zu vertrauen. Doch bevor sie sich ihm öffnen kann, überschlagen sich plötzlich die Ereignisse. Die beiden Menschen fliehen erneut und es führt eins zum anderen ...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum1. Nov. 2016
ISBN9783738090383
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    Buchvorschau

    Black Angels - Jana Marie Deniè

    BACB;Dornröschen, komplett1

    Black Angels

    Codename: Dornröschen

    Von Jana Marie Deniè

    Alle Rechte vorbehalten!

    2016

    Alle beschriebenen Personen sind erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufälliger Natur.

    1

    Claire

    „Die Ehe ist hiermit geschieden!"

    Der Richter bedachte mich mit einem unergründlichen Blick, der meine Scham noch verstärkte, doch ich hielt standhaft den Augenkontakt aufrecht.

    „Die Scheidung ist rechtskräftig, sprach er weiter, dabei verzog sich der rechte Mundwinkel etwas nach oben. „Das bedeutet, Sie dürfen grundsätzlich morgen wieder heiraten. Jetzt sah ich es deutlich, dieses kleine amüsierte Schmunzeln, das sein ernstes Gesicht ein wenig freundlicher machte.

    „Nein, danke!" Bevor mein Gehirn registrierte, dass sich mein vorlautes Mundwerk öffnete, hallten die Worte auch schon von den hohen Decken des altehrwürdigen Gebäudes wider. Niemandem in dem kleinen Gerichtssaal blieb wohl der Sarkasmus in meiner Stimme verborgen.

    Der Richter zog eine Augenbraue hoch und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. Innerlich schlug ich mir die Hand auf den Mund. Beschämt senkte ich den Blick. Na Bravo Claire, du kannst wirklich nicht die Klappe halten, schimpfte ich mit mir selbst.

    Einer meiner größten Fehler war es, im falschen Moment den Mund aufzumachen.

    „Ich muss mich für das Benehmen meiner Frau entschuldigen, Euer Ehren. Es ist ihr Drang, im Mittelpunkt zu stehen, der ihr den vorlauten Mund öffnet!"

    Die eiskalte Stimme von Benedikt ließ mich zusammenfahren. Der drohende Unterton war mir nicht entgangen und was er bedeutete, wusste ich. Immer tiefer sank ich in meinen Stuhl, den Blick nun fest auf meine Schuhspitzen geheftet.

    Die zarte Berührung meiner Anwältin an meiner Schulter holte mich aus der Starre, so dass ich atmete. Ich vergaß es immer wieder, wenn ich Angst hatte. Ich verfiel in eine Starre und hörte auf zu atmen. Der menschliche Überlebensinstinkt verhindert normalerweise, dass man wie ich, irgendwann wegen Sauerstoffmangel umkippt. Bei mir funktionierte er irgendwie nicht, was die behandelnden Ärzte schlussfolgern ließ, ich hinge nicht an meinem Leben.

    Vor einem Jahr hätte ich ihnen zugestimmt. Ich wollte tot sein. Jetzt aber wollte ich leben.

    „Herr von Erlenfels, Sie müssen sich für niemanden entschuldigen und schon gar nicht für Ihre Gattin, denn Sie sind nicht mehr verheiratet!"

    In der Stimme des Richters lag unterdrückte Wut, was mich dazu trieb, vorsichtig nach vorne zu schauen.

    Benedikt saß kerzengerade auf seinem Stuhl, als würden die Worte des Richters an ihm abprallen, doch ich kannte ihn zu gut. Es war alles nur eine große, perfekte Maskerade. In Wirklichkeit bebte er vor Zorn, das sah ich an seinem verkrampften Kiefer und an seinem Zeigefinger, mit dem er kleine Kreise auf der Tischplatte zog.

    „Das bedeutet, Ihre Exfrau darf ungefragt ihren Mund öffnen und alles sagen, was ihr gerade einfällt. Und Sie müssen das hinnehmen, ob es Ihnen schmeckt oder nicht. Ist das bei Ihnen angekommen!" Der letzte Satz war eindeutig keine Frage, das hatte sogar ich verstanden.

    Benedikt zuckte, als wollte er vom Stuhl aufspringen. Noch bevor seine Anwälte ihn an den Schultern fassten, um ihn zu beruhigen, war ich, mit klopfendem Herzen, tief in meinen Stuhl gerutscht.

    „Keine Angst, Claire. Michelle, meine Anwältin, drückte aufmunternd meine Schulter. „Er kann Ihnen nichts tun.

    Vorsichtig linste ich nach vorne und begegnete dem prüfenden Blick des Richters.

    Er wendete sich wieder Benedikt zu, der sich nur mit Mühe zurückhalten konnte. Sein Gesicht war eine verzerrte Fratze, die stahlblauen Augen blitzten eiskalt und mörderisch, wie die Augen eines Hais. Er fuhr sich mit einer Hand durch das perfekt gekämmte, blonde Haar, wobei sich in dem Siegelring an seinem Ringfinger ein Sonnenstrahl verfing, der durch die hohen Fenster des alten Gebäudes fiel. Kurz leuchtete der Ring, als würde jeden Moment eine Flamme aus ihm schießen. Das Siegel der von Erlenfels, alter deutscher Hochadel aus dem Rheinland. Sie waren reich und beliebt bei ihren Gönnern und sie waren gefürchtet bei ihren Angestellten und all denen, die nicht nach ihrer Pfeife tanzten.

    Der Richter erhob sich und wir taten es ihm gleich. Mit gesenktem Kopf wartete ich darauf, dass er die Verhandlung beendete. Dann war ich frei. Arm wie eine Kirchenmaus, aber frei.

    „Bevor ich die Verhandlung beende, verfüge ich, dass Herr von Erlenfels in Begleitung seiner Anwälte und zweier Saaldiener, das Gebäude sofort nach Ende der Verhandlung verlässt."

    Erstaunt hob ich den Kopf und sah gerade noch, wie Benedikt, vor Wut schäumend, die Hand seines Anwalts von seinem Arm schüttelte.

    „Das lasse ich mir nicht bieten! Ich gehe, wann ich es für richtig halte und davon hält mich garantiert kein kleiner Richter ab!" Er schrie nicht, das tat er nie. Er verkündete es, mit unbeugsamer Stimme, in der pure Verachtung lag.

    Oh ja, das beherrschte er wie kein anderer. Selbst sein sadistischer Vater reichte nicht an ihn heran.

    Instinktiv zog ich die Schultern hoch. Ich wusste, was dieser Ton bedeutete. Ich hatte gelernt, seine Stimmung auszuloten. Jede seiner Regungen hatte ich regelrecht studiert, um seinen Bestrafungen zu entgehen, oder sie wenigstens auf ein erträgliches Maß zu senken.

    Den Richter schien Benedikts warnender Ton nicht zu beeindrucken. Er stand an seinem Richterpult und blickte gelassen zu dem innerlich Tobenden hinunter, in seinem schwarzen Talar, der ihn, wie ich fand, sehr würdevoll und mächtig aussehen ließ. Fasziniert beobachtete ich den Mann in der Robe. Er sah ein bisschen aus wie ein Engel. Ein schwarzer Engel allerdings, mit seinem pechschwarzen, dichten Haar, das bis über den Kragen seiner schwarzen Robe reichte. Er wirkte sehr groß, und als er jetzt einen Arm vorstreckte, um den zornigen Benedikt in die Schranken zu verweisen, wartete ich angespannt darauf, dass er sich jeden Augenblick in die Luft erhob, um majestätisch über uns zu schweben.

    Seine Erscheinung hatte etwas Magisches, fast Überirdisches; er war so elegant und mächtig, so formvollendet, dass es mir den Atem raubte.

    Ein dunkler Schatten drängte sich in mein Sichtfeld und holte mich jäh aus meinen Träumereien. Benedikts, vor wutschäumendes Gesicht, tauchte über mir auf. Augenblicklich senkte ich den Kopf und blickte mit hämmerndem Herzen zu Boden.

    „Ich finde dich, sei dir sicher! Seine Stimme klang unheilverkündend. Ein leises gezischtes Wort, ließ mich erzittern. „Hure!

    Ich hörte Schritte, die sich von mir entfernten, dann fiel die schwere Eichentür mit lautem Krachen ins Schloss.

    Wieder spürte ich die Hand meiner Anwältin auf meiner Schulter. „Es ist vorbei, Claire. Sie haben es geschafft."

    Ja, ich hatte es geschafft. Vorbei würde es niemals sein, es sei denn, die Familie von Erlenfels löste sich in Luft auf.

    Er würde mich finden, so wie er es angedroht hatte. Es war nur eine Frage der Zeit. „Vielen Dank für alles." Ich hob den Kopf und brachte ein Lächeln zustande. Michelle hatte ihr Bestes gegeben. Sie hatte Drohbriefe bekommen, als bekannt wurde, dass sie mich bei meiner Scheidung vertreten würde. Ihre Mitarbeiterin wurde bedrängt und die für eine kleine Kanzlei so wichtigen Klienten, waren im Laufe der Zeit, bis auf wenige, abgesprungen. Benedikt hatte der engagierten Anwältin sogar angeboten, für ihn zu arbeiten, wenn sie das Mandat für mich niederlegen würde, doch Michelle blieb standhaft. Ihr hatte ich zu verdanken, dass ich die letzten Monate sicher vor meinem Mann und seiner Familie war; dass ich Kraft tanken konnte.

    Mir war bewusst, dass sich Benedikt weder an die Bannmeile, noch an die ausgesprochene Scheidung halten würde. Er wollte mich zurückhaben und daran würde ihn nichts und niemand hindern. Niemand nahm ihm sein Eigentum weg, ohne dafür zu büßen.

    „Frau von Erlenfels, begleiten Sie mich doch bitte noch kurz in mein Amtszimmer."

    Der Richter deutete auffordernd auf die Tür, durch die er, am Anfang der Verhandlung, den Gerichtssaal betreten hatte. Fragend blickte ich zu meiner Anwältin, die scheinbar ebenso überrascht, mit den Schultern zuckte. Sie packte meine Akte in ihren kleinen Koffer und fasste mich am Ellbogen.

    „Nein, Frau Anwältin, bitte nur Ihre Mandantin, kam es ruhig, aber bestimmt vom Richterpult. „Das kann ich nicht zulassen, Euer Ehren! Meine Mandantin hat Angst, erklärte Michelle mit klarer Stimme. Dankbar sah ich sie an. Sie lächelte beruhigend und bedeutete mir, mit ihr zum Amtszimmer zu gehen. Vor der Tür erwartete uns der Richter, der das Podest verlassen hatte. Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Es tut mir leid, Michelle. Du musst mir vertrauen und jetzt den Saal verlassen. Ich kann und will nicht riskieren, dass dir oder deiner Mandantin etwas geschieht. Überrascht über die vertrauliche Anrede blickte ich zwischen dem Richter und Michelle hin und her. Der Richter bemerkte meinen verblüfften Blick und schmunzelte kaum merklich. „Michelle und ich sind schließlich Kollegen. Wir duzen uns allerdings nur privat, erklärte er flüsternd. „Was hast du vor? Michelle verfiel ohne Probleme in die vertraute Anrede. „Das darf ich dir nicht sagen, sonst bringe ich dich in Gefahr, erwiderte der Richter. „Du kennst mich, Michelle. Bitte, vertraue mir", flüsterte er eindringlich. Wir standen so dicht beieinander, dass selbst die noch wartenden beiden Saaldiener nichts verstehen konnten. Sie blickten jedoch interessiert zu uns herüber, was meinen Verdacht bestätigte. Die beiden Herren arbeiteten in Wirklichkeit für Benedikt. Er hatte überall seine schmierigen Finger drin. Nichts war ihm heilig außer seinem eigenen Wohlbefinden. In der riesigen Villa am Stadtrand von Frankfurt gingen Richter, Staatsanwälte, Polizisten, aber auch Kirchenvertreter und Politiker, ein und aus. Sie alle waren Freunde der Familie von Erlenfels, manche davon notgedrungen.

    Ich hatte Michelle davon berichtet und sie versprach, sich um einen anderen Richter zu kümmern, um die Scheidung nicht zu gefährden. Als sie mich heute Morgen zur Verhandlung abholte, berichtete sie mir, der für die Scheidung eingeteilte Richter, hätte ein akutes Darmleiden, welches ihn ans Bett, besser gesagt, an die Toilette fesselte. Ich meinte, ein kleines, zufriedenes Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen, das so gar nicht zu ihrem mitleidigen Ton passen wollte. Stattdessen hatte der Richter, der nun vor mir stand, die Verhandlung geführt.

    Michelle sah mich besorgt an. „Schaffen Sie es alleine, Claire? Tom, äh. Dr. Wagner, gehört zu den Guten, er wird Ihnen nichts tun."

    Ich wollte nein sagen, den Kopf schütteln, sie anflehen, „Nein! Ich schaffe es nicht! Bitte, lass mich nicht alleine!", doch ich tat es nicht. Warum auch? Wenn sich dieser Richter als Benedikts Gehilfe herausstellte, nahm alles seinen Lauf. Benedikt würde mich töten lassen, so wie er es angedroht hatte. Ich konnte nur hoffen, dass er sich nicht noch eine seiner Gemeinheiten ausgedacht hatte. Vielleicht brachte er mich in den Club, oder ich musste dem Richter zu Willen sein. Wenn ich Glück hatte, stand er nicht auf die besonders schmerzhaften Spiele, wie einige seiner Kollegen.

    Ich musste Michelle schützen, sie hatte schon zu viel für mich riskiert.

    „Es ist in Ordnung, Michelle. Vielen Dank für alles." Ein letztes Mal umarmte ich die taffe Anwältin.

    „Passen Sie auf sich auf, Claire. Ich werde Sie nie vergessen." Die Stimme der Anwältin klang erstickt. Bevor ich anfing zu weinen, löste ich mich von ihr. Schnell schlüpfte ich in das Amtszimmer des Richters, auf alles gefasst, nur nicht auf das, was ich sah.

    Verängstigt wich ich zurück, den Mund geöffnet, um zu schreien, doch ich kam nicht weit. Eine Hand legte sich über meine Lippen, gleichzeitig schob sich ein starker Arm um meine Taille und hielt mich fest. Eingeschüchtert erstarrte ich augenblicklich zu einer Statue. Ich hatte gelernt, dass es nur schlimmer wurde, wenn ich mich wehrte.

    Nur das Beben meines Körpers und den rasenden Puls, den ich als Rauschen in meinen Ohren wahrnahm, konnte ich nicht unterdrücken.

    „Es ist alles in Ordnung, Claire. Das sind mein Bruder und eine Polizistin, die mit ihm zusammenarbeitet. Ich lasse Sie jetzt los, aber Sie dürfen nicht schreien, sonst war alles umsonst."

    Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Worte des Richters mich erreichten. Ich reagierte zuerst auf seine beruhigende Stimme. Sie klang warm und wohlwollend, so dass sich mein Herzschlag beruhigte und das Rauschen in meinen Ohren leiser wurde. Der dezente Geruch von Seife strömte von seiner großen Hand in meine Nase. Er schien Nichtraucher zu sein, analysierte ich instinktiv.

    „Kann ich meine Hand wegnehmen? Das Gesicht des Richters tauchte neben mir auf. Dunkle Augen schauten mich besorgt an. Ich nickte scheu und seufzte beklommen, als er tatsächlich seine Hand von meinem Mund nahm. Erneut wagte ich einen Blick zu den zwei Gestalten, die mir wie eine Fata Morgana vorkamen. Die Frau sah fast aus wie ich, der Mann hingegen ähnelte sehr dem Richter. Ich konnte mir die Bedeutung der Situation nicht erklären, was man mir wohl am Gesicht ablesen konnte. Die Frau, die mir ähnlichsah, lächelte plötzlich. „Ich kann verstehen, dass Sie durcheinander sind, mir erging es gerade genauso. Ihre Stimme passte nicht zu meiner Erscheinung; es war alles ziemlich verworren. „Claire, das sind für heute unsere Doppelgänger. Die beiden werden gleich mein Amtszimmer durch den Gerichtssaal verlassen und uns damit den Weg für unsere Flucht frei machen."

    Ungläubig wagte ich einen Blick in das Gesicht des Richters. Er lächelte freundlich, sogar ein wenig verschmitzt. Dabei erinnerte er mich eher an einen jugendlichen Lausebengel, als an einen ehrwürdigen Richter. Der Vergleich brachte mich zum Schmunzeln, was ihm ein breites Grinsen auf die Lippen lockte.

    „Bitte, setzen Sie sich, Claire. Er schob mich sanft zu einem Stuhl, auf dem ich mich folgsam niederließ. Er sah mich aufmerksam an und schob mir eine Tasse hin, aus der mir der wundervolle Duft von Kaffee entgegenschlug. „Ich glaube, den können Sie jetzt brauchen. Etwas Stärkeres habe ich leider nicht hier, sagte er mit Bedauern in der Stimme.

    Argwöhnisch sah ich die Tasse an. Ich würde wirklich fast alles für eine Tasse Kaffee geben, doch was, wenn Schlafmittel oder sogar Drogen in den Kaffee gemischt wurden? Ich hatte das alles schon erlebt. Zweimal beging ich nicht den gleichen Fehler, es sei denn, er zwang mich, das Gebräu zu trinken.

    „Es ist nur Kaffee in der Tasse. Schauen Sie her. Die Frau nahm die Tasse und trank einen Schluck. „Sehen Sie? Es ist alles in Ordnung. Sie setzte sich neben mich auf einen Stuhl und nahm meine eiskalte Hand in ihre. „Du lieber Himmel Mädchen, sind Sie durchgefroren!" Entgeistert sah sie mich an und begann, meine Hand in beiden Händen zu wärmen. Es fühlte sich angenehm, fast tröstlich an, was sie tat. Ihre Bewegungen waren ruhig und sie strahlte eine fast mütterliche Stärke aus, obwohl sie höchstens in meinem Alter war. Erst jetzt erkannte ich an den dunkleren Augenbrauen, dass sie ihre Haare gefärbt haben musste, doch wir hatten die gleiche Größe und eine ziemlich ähnliche Figur.

    Sie trug haargenau die gleichen Kleider, die ich für heute ausgesucht hatte. Moment mal, Michelle hatte mich gestern Abend mit dem schicken Kostüm überrascht und darauf bestanden, dass ich es heute trug. Sie wusste also, dass mir jemand bei meiner Flucht helfen wollte; eine andere Möglichkeit gab es nicht. Warum hatte sie mir nichts davon gesagt? Gerade noch hatte sie völlig überrascht gewirkt!

    Weil du gezittert hättest vor Aufregung und damit alles verraten hättest!, gab ich mir selbst die Antwort.

    Zaghaft ergriff ich die Tasse und trank einen Schluck. Der Kaffee war stark und tat so gut, dass ich gleich noch einen Schluck und noch einen nahm, bis die Tasse, zu meinem großen Kummer, leer getrunken war.

    Der Doppelgänger des Richters nahm meine Tasse, stellte sie auf die kleine Plattform einer Hightech Maschine und drückte einen Knopf. Kurz darauf erfüllte das Geräusch des Mahlwerks den Raum, dann floss frischer Kaffee in meine Tasse.

    Ich liebte den Duft von frischem Kaffee. Immer wenn ich Benedikt Kaffee bringen sollte, schnupperte ich verstohlen an seiner Tasse. Eines Tages überraschte er mich dabei, wie ich genüsslich das verführerische Aroma mit der Hand zu meiner Nase wedelte. Er zwang mich, die große Tasse zu leeren – in einem Zug. Eine ganze Woche lang konnte ich, wegen der Verbrennungen, nur unter Schmerzen Nahrung zu mir nehmen.

    Der Doppelgänger des Richters stellte mir mit einem Zwinkern die Tasse hin.

    „Hier kleine Lady. Sie sehen aus, als könnten Sie noch eine Tasse vertragen." Er sah mich freundlich an, seine Augen blitzten fröhlich.

    Ich wagte ein Lächeln, das mutiger wurde, als er es erwiderte. „Vielen Dank", sagte ich leise. Die Anspannung fiel etwas von mir ab.

    Ich straffte die Schultern und sah zum Richter, der mich mit hochgezogenen Augenbrauen musterte, wie ich erschrocken feststellte. „Entschuldigung, es tut mir leid!" Schnell senkte ich den Blick und zog die Schultern hoch. Mein Herz klopfte schnell gegen meine Rippen vor Angst.

    „Claire, bitte sehen Sie mich an." Die Stimme des Richters klang weich und bittend, was mich völlig verwirrte, denn das war ich nicht gewohnt.

    Zögernd hob ich den Blick. Er sah mich lächelnd an, doch in seinen Augen erkannte ich so etwas wie Traurigkeit. „Sie haben keinen Grund, sich für irgendetwas zu entschuldigen, Claire." Ich nickte, gefangen von seinen Augen, die plötzlich so traurig aussahen, dass es mir das Herz zuschnürte. Ich fragte mich, aus welchem Grund er wohl so traurig war.

    „Ich bringe Sie von hier weg, Claire. Mein Bruder und diese junge Dame hier, der Richter zeigte auf unsere Doppelgänger, „werden jetzt das Gebäude durch den Gerichtssaal verlassen. Wir warten hier, bis ich ein Zeichen bekomme, dann bringe ich Sie in Sicherheit.

    In Sicherheit ... Das hörte sich traumhaft schön an. Es klang nach Ruhe und Frieden, nach Zufriedenheit. Ich wollte ihm gerne glauben, schon deshalb, weil ich die Traurigkeit aus seinen Augen vertreiben wollte.

    „Ziehen Sie das bitte an." Meine Doppelgängerin hielt mir Kleidungsstücke hin. Ich nahm sie an mich und begann sofort, mich umzuziehen. Als ich fertig war, zog mich meine Doppelgängerin, zufrieden grinsend, vor einen kleinen Wandspiegel. Ein weitgeschnittener, schwarzer Kaftan verhüllte meine Figur und eine Burka verbarg meinen gesamten Kopf. Als ich mich umdrehte, hatte der Richter einen strahlend weißen Kaftan übergezogen. Sein Bruder half ihm, einen langen Bart ans Kinn zu kleben und auf seinem Kopf thronte eine Art Turban.

    Der Richter war fast nicht wieder zu erkennen. Sein Bruder schob ihm noch eine große, schwarze Hornbrille auf die Nase, was der Richter augenrollend geschehen ließ. Ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken, unterbrach mich jedoch abrupt, als er mich ansah. Mit klopfendem Herzen lugte ich verängstigt durch die feinen Netze der Burka. Plötzlich grinste er und sah wieder aus wie ein Lausebengel. „Lachen Sie mich ruhig aus, Claire. Sie sehen deutlich eleganter aus!"

    Unsere Doppelgänger machten sich bereit für ihren Auftritt. Als die junge Frau mir Lebewohl sagte, umarmte sie mich plötzlich. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, Claire", flüsterte sie an meinem Ohr.

    „Ich danke Ihnen, für alles", flüsterte ich ergriffen zurück. Ich hoffte, den beiden netten Menschen würde nichts geschehen. Sie wollten mir helfen, einfach so, ohne mich zu kennen.

    Der Bruder des Richters, zwinkerte mir zum Abschied freundlich zu. „Kopf hoch, Claire. Sie sind in guten Händen", sagte er, dann öffnete die Frau die Tür und sie verschwanden.

    Eine Weile geschah nichts. Ich stand stumm an die Wand gelehnt und lauschte angestrengt in die Stille. Der Richter lauschte hin und wieder dem kleinen Knopf in seinem Ohr, dann nahm er plötzlich meine Hand in seine.

    „Es geht los", flüsterte er. Im gleichen Augenblick schnellte mein Puls nach oben. Panik wollte sich in mir breitmachen, doch ich hatte keine Zeit dazu. Der Richter öffnete eine weitere Tür, die in ein anderes Büro führte. Dort warteten mehrere Menschen auf uns. Alle trugen Burkas oder Turbane und weite Kaftans. Sie nahmen uns in die Mitte und kurz darauf, gingen wir gemeinsam durch die Flure des Gerichtsgebäudes. Der Richter hielt meine Hand fest in seiner, während eine mir unbekannte Frau, meine andere Hand ergriff. Ich hielt den Kopf gesenkt, um nicht auf die Füße meiner Vordermänner oder vielleicht auch Frauen zu treten, das war unter den Kaftan nicht wirklich zu erkennen.

    Durch das feine Netz vor meinen Augen war meine Sicht ziemlich eingeschränkt.

    So musste eine Fliege die Welt sehen, ging es mir durch den Kopf, worüber ich fast gelacht hätte. Es war typisch für mich, in einer so bedrohlichen Situation über Dinge nachzudenken, die die Bezeichnung ad absurdem verdiente.

    Wir stiegen Treppenstufen hinab, liefen durch Flure, passierten mehrere Türen und stiegen wieder Treppenstufen hinunter, nur um wieder durch endlose Flure zu laufen. Ich schwitzte unter dem dichten Stoff, dazu kamen Angst und Verunsicherung. Irgendwann, nach unzähligen Gängen und Türen, wie es mir schien, spürte ich kühle Luft und wagte einen Blick nach oben. Ich konnte die breite Treppe erkennen, die zu dem imposanten Eingang des Gerichtsgebäudes führte. Hier und da standen Menschen und unterhielten sich; Reporter blickten suchend an uns vorbei. Mir war bewusst, dass sie wegen der Scheidung hier Stellung bezogen hatten. Benedikt hatte bis zuletzt die Gerüchte, wir würden getrennt leben, dementiert. Eine weitere Sache, die er mir vorhielt; ich hatte seinem Ruf geschadet, indem ich weggelaufen war und dann auch noch gewagt hatte, die Scheidung einzureichen.

    Wir traten aus dem Gebäude und hielten uns links, als ich im Augenwinkel den Bruder des Richters und die junge Frau sah. Sie rannten in die entgegengesetzte Richtung, praktisch direkt in die Arme einer Horde Vermummter, die schwere Maschinengewehre auf sie richteten. Oh Gott, nein! Ich erstarrte vor Entsetzen. Benedikt würde sie töten, weil er dachte, sie seien der Richter und ich. „Komm weiter! Sie sind in Sicherheit!" Der Richter riss an meiner Hand und ich stolperte, blind vor Tränen, vorwärts. Er konnte doch nicht so grausam sein und seinen eigenen Bruder opfern!

    Plötzlich wurde ich an der Taille gepackt und hochgehoben, und fand mich gleich darauf in einem Transporter wieder. Die Tür wurde zugeschoben, es wurde dunkel. Der Wagen fuhr keine zwei Sekunden später an und ich fing an zu schreien. Das Herz drohte mir aus der Brust zu springen, denn die Dunkelheit war mein Feind. Jemand riss mir die Burka vom Kopf und knipste eine kleine Lampe an.

    Das Gesicht des Richters erschien vor mir. „Schsch, es ist alles in Ordnung, Claire." Er strich mir das zerzauste Haar aus dem Gesicht, dann zauberte er ein Taschentuch hervor und wischte mir fürsorglich die Tränen vom Gesicht.

    „Ihr Bruder, was ist mit ihm und der Frau?" Bei dem Gedanken, Benedikt könnte sie getötet haben, liefen mir wieder die Tränen übers Gesicht.

    „Es geht ihnen gut, Claire. Sie haben Ihren Exmann und seine feine Familie in eine Falle gelockt. Eine Spezialeinheit hat die sauberen Herren erwartet. Vorerst kommen sie alle hinter Gitter. Der Richter lächelte aufmunternd. „Wir wechseln gleich das Fahrzeug, dann haben sie es bequemer.

    „Ich hatte es schon deutlich unbequemer", antwortete ich, dankbar für seine Fürsorge. Im nächsten Moment biss ich mir auf die Lippen. Der Richter sah mich wieder so traurig an. Kurz überlegte ich, ob er meinetwegen traurig war, doch ich verwarf den Gedanken gleich wieder. Ich nahm mir vor, ein wenig tapferer zu sein. Vielleicht lächelte er dann öfter.

    Der Transporter hielt und wir stiegen in einen schwarzen SUV mit getönten Scheiben.

    Der Richter lenkte den Wagen auf die Autobahn. Er zupfte sich den Kleber vom Kinn, der den Bart gehalten hatte. Wir hatten die Kleidung im Transporter zurückgelassen und sahen nun wieder wie wir selbst aus.

    „Wohin fahren wir … Euer Ehren?", wagte ich, leise zu fragen. Ich war mir nicht sicher, wie ich den Richter ansprechen sollte, dummerweise hatte ich seinen Namen vergessen. Euer Ehren schien mir angebracht, oder zumindest nicht falsch.

    Der Richter bedachte mich mit einem kurzen Blick, dann sah er wieder auf die Straße. „Tom Wagner, aber bitte nenn mich einfach Tom. Wir fahren in ein kleines Dorf in der Eifel. Dort lebt eine Freundin meiner Mutter. Sie freut sich, dich kennen zu lernen. Vorerst bist du bei ihr in Sicherheit."

    Wieder sagte er dieses Wort, an das ich so gerne geglaubt hätte. Sicherheit. Nicht für mich, aber das sagte ich ihm nicht.

    Ich legte den Kopf an die Seitenscheibe und sah die Felder, die an uns vorüberflogen.

    Das Summen des Motors ließ mich schläfrig werden. Ich schloss für einen Moment die Augen, nur um ein wenig auszuruhen …

    Tom

    Sie war eingeschlafen.

    Ich war froh, dass sie etwas zur Ruhe kam, nach den Ereignissen, die sie sichtlich mitgenommen hatten. Ihr Kopf lag an der Scheibe, der Hals merkwürdig verdreht, sodass ich allein bei ihrem Anblick, eine schmerzhafte Verspannung spürte.

    Ihre Lippen hatten sich geteilt; sie sah so unschuldig aus und verletzbar. Einige Strähnen ihres hellblonden Haares hatten sich in ihr Gesicht verirrt, doch es schien sie nicht zu stören.

    Manchmal zuckte sie zusammen, als ängstige sie sich. Einmal stöhnte sie leise und ihr zartes Gesicht verzog sich, als habe sie Schmerzen.

    Ich wagte nicht, sie zu berühren, obwohl ich sie zu gerne beruhigt hätte.

    Als ich die Autobahn verließ, seufzte ich erleichtert. Wir hatten es fast geschafft.

    Während ich mir Gedanken darüber machte, wie ich die verängstigte Frau in meinem Wagen wecken könnte, wurde sie von alleine wach. Glück gehabt.

    Bella erwartete uns bereits ungeduldig. „Junge, du bist viel zu mager!"

    Ich grinste nachsichtig über ihren Standardspruch und nahm sie in die Arme. Isabelle Hofgarten, von uns allen nur Bella genannt, war die beste Freundin meiner Mutter, meine Taufpatin und seit Ma`s Tod Mutterersatz für Ralph und mich. Wir besuchten sie regelmäßig und ließen uns ihren selbst gebackenen Apfelkuchen schmecken.

    Als Bella Claire entdeckte, die eingeschüchtert neben mir auf der Treppe von Bellas Haus stand, löste sie sich von mir, um ihren Gast zu begrüßen.

    Claire reichte ihr zaghaft die Hand, doch Bella zog sie einfach in ihre Arme.

    „Willkommen, meine Liebe", sagte sie in ihrer ruhigen, aber herzlichen Art und warf mir mit gerunzelter Stirn einen heimlichen Blick zu, der ihre Erschütterung ausdrückte.

    Sie hielt Claire auf Armeslänge von sich und lächelte sie an. „Ich bin Bella und Sie sind dann wohl Claire." Claire lächelte schüchtern und nickte stumm. Scheinbar hatte es ihr die Sprache verschlagen.

    „Kommt herein ihr beiden, ich habe Apfelkuchen gebacken! Bella wandte uns den Rücken zu und ging voran ins Haus. Behutsam nahm ich Claires kleine, eiskalte Hand in meine und ging mit ihr in ihr Zuhause für die nächsten Monate. Ich beugte mich etwas zu ihr hinunter und raunte: „Bellas Apfelkuchen ist Weltklasse! Dabei strich meine Nasenspitze versehentlich durch ihr weizenblondes Haar. Heimlich sog ich ihren Duft auf, der mich schon den ganzen Tag umgab. Ihr Haar roch verlockend nach Aprikose und ein Hauch von Vanille verwöhnte meine Geruchsinne, was gut zu ihrem sanften Wesen passte.

    Als sie zu mir hochsah, lächelte sie selig, was mich bis ins Mark berührte.

    „Ich liebe Apfelkuchen", flüsterte sie und zum ersten Mal seit heute Morgen sah ich Freude in ihren schönen grünen Augen aufblitzen.

    Wut kroch in mir hoch. Was musste ein Mann tun, um eine Frau so zu zerstören? Was hatte dieser Bastard ihr alles angetan, um sie zu brechen?

    Ich sah die Angst, die plötzlich in ihrem zarten Gesicht auftauchte, und verbarg schnell meine Emotionen. Innerlich fluchte ich, weil ich meine Mimik nicht im Griff hatte, doch Bella half mir ahnungslos aus der Patsche.

    „Claire, wären Sie so freundlich, mir mit dem Geschirr zu helfen?", rief sie aus der Küche. Claire lief sofort in den Nachbarraum, aus dem Bellas Stimme kam. Während ich gedankenverloren aus dem Fenster schaute, hörte ich schon nach kurzer Zeit die Stimmen der beiden Frauen. Als ich Claire kichern hörte, schmunzelte ich zufrieden. Bella würde ihr guttun. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Wunden auf ihrer geschundenen Seele verheilten. Es würden Narben zurückbleiben, doch sie würde leben, und wäre in Freiheit.

    Bella und Claire kamen mit Kuchen und frisch aufgebrühtem Kaffee aus der Küche. Die beiden Frauen hatten so ziemlich die gleiche Körpergröße, nur war Claire ein bisschen zu mager. Wahrscheinlich konnte sie während der letzten Monate kaum einen Bissen zu sich nehmen, vor Angst. Sie sah aus wie eine zerbrechliche, kleine Puppe neben Bella, obwohl die für ihr Alter eine außerordentlich schlanke Figur besaß. Bella war kleiner, als meine Mutter zu Lebzeiten, die mit knapp einem Meter achtzig, ihre Freundin um einen Kopf überragte. Wenn ich früher mit meinem einen Meter fünfundneunzig die beiden begleitete, sahen wir aus wie Orgelpfeifen.

    „Setz dich zu uns Tom!" Bellas Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

    Nachdem wir uns Bellas Apfelkuchen hatten schmecken lassen, zeigte ich Claire das Haus und ihr Zimmer.

    „Das hier ist dein Reich, sagte ich und öffnete die Tür. Claire trat schüchtern ein und sah sich um. Ihre Augen glänzten, als sie sich mir zuwandte. „Es ist wunderschön, Tom!

    Ich deutete auf eine weitere Tür. „Da ist dein Badezimmer. Es ist für dich alleine, du kannst dich also nach Herzenslust ausbreiten." Sie öffnete die Tür und verharrte eine Weile still, dann schluchzte sie plötzlich herzzerreißend. Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund und sah mich furchtsam an.

    In diesem Moment schwor ich mir, dieses Schwein von Erlenfels, für immer hinter Schloss und Riegel zu bringen.

    Um Claire nicht weiter zu ängstigen, wich ich ihrem Blick aus und ging zu dem großen Kleiderschrank. „Wir haben etwas Kleidung für dich besorgt. Ich hoffe, wir haben deinen Geschmack getroffen. Wenn du noch etwas brauchst, lass es mich wissen, ich lasse es besorgen. Mit offenem Mund stand Claire vor dem Kleiderschrank. „Das ... das ist … Danke, flüsterte sie zaghaft, doch ihre Augen strahlten. Sofort fühlte ich mich besser.

    „Wenn du nicht zu müde bist, würde ich dir gerne das Grundstück zeigen." Ich sprach betont lässig, aber mein Herz pochte. Ich wollte, dass sie glücklich war; so gelöst lachen konnte, wie beim Kuchenessen, als Bella ihr Anekdoten aus ihrer Zeit mit Ma` erzählt hatte.

    Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wollte ich der Grund für ihr glückliches Lachen sein.

    „Das wäre schön", antwortete Claire mit einem zaghaften Lächeln.

    „Nimm dir besser eine Jacke mit, es ist Anfang Mai noch empfindlich kühl hier oben", riet ich ihr. Sie nickte und nahm die Jacke, die ich ihr reichte.

    Bei einem Blick auf ihre Füße erinnerte ich mich an die Schuhe, die Kim für Claire gekauft hatte. „Deine Doppelgängerin hat auch Schuhe für dich besorgt."

    Claire wirkte ziemlich überfordert, als ich einen kleinen Schrank öffnete, in dem mehrere Paar Schuhe standen.

    „Weißt du was? Ich gehe schnell in mein Zimmer und ziehe mir etwas Bequemes an. Wie wäre es, wenn wir uns in zwanzig Minuten in der Eingangshalle treffen?", schlug ich ihr vor. Als sie erleichtert nickte, wusste ich, dass sie ein paar Minuten für sich gebrauchen konnte.

    Ich hatte das Zimmer neben Claire. Unsere Badezimmer teilten sich eine Wand. Da ich oft hier bei Bella übernachtete, hatte ich einen einigermaßen gut gefüllten Kleiderschrank, sodass ich kurz darauf in Jeans und einem dicken Pullover das gemütliche Wohnzimmer betrat.

    Bella wartete schon auf mich.

    „Setz dich einen Moment zu mir, Tom. Sie klopfte auffordernd neben sich auf das Sofa, auf dem sie saß. „Wo ist Claire?

    „Sie zieht sich um, wir wollen noch ein bisschen spazieren gehen, beruhigte ich meine Tante. Sie seufzte tief. „Es wird dauern, bis sie wieder lachen kann.

    Ich nickte nur. Bella lag richtig mit ihrer Vermutung. Man hatte ihr furchtbare Dinge angetan, das wusste ich von meinem Bruder und von Michelle.

    „Ralph hat sich gemeldet. Ihm und Kim geht es gut, sie halten sich aber noch ein oder zwei Tage versteckt."

    Nun seufzte ich, aber erleichtert. „Das ist gut, danke Bella. Liebevoll drückte ich ihre Hand. Sie sah mich ernst an. „Ihr Beide bringt mich eines Tages noch ins Grab, sagte sie tadelnd, doch ihre Augen blitzten. „Ich bin stolz auf euch und eure Mutter wäre es auch. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und sprang auf. „Um Sieben gibt es Abendessen, also seid rechtzeitig wieder da, rief sie, schon auf dem Weg in die Küche.

    Ich sah ihr lächelnd nach. Bella hatte ein großes Herz, besonders für die Schwachen in dieser Welt. Ralph und ich hatten schon einige Male ihre Hilfe gebraucht. Sie half immer, ohne groß zu fragen. Sie vertraute darauf, dass wir das Richtige taten.

    Es klopfte leise an der offenen Tür. Als ich mich umdrehte, stand Claire im Türrahmen. Sie trug Jeans, Sneakers und die Fleece Jacke mit dem Teddyfutter, die ich vorhin in den Händen hatte. Gott, sie sah so zart und zerbrechlich aus, und so unglaublich jung! Ich wusste, dass sie sechsundzwanzig war, sechs Jahre jünger als ich und doch sah sie gerade aus wie ein Teenager. Zu dem Eindruck passte der Pferdeschwanz, den sie sich gebunden hatte. Claire trug kein Make-up, das hatte ich heute Morgen schon bemerkt. Sie benötigte auch keins. Ihre Haut war makellos, so hell wie feines Porzellan. Sie krauste ihre kleine Nase und sah mich abschätzend an. Dabei kaute sie nervös auf ihrer vollen Unterlippe, was so reizvoll aussah, dass mir das Blut wie glühende Lava in die Lenden schoss. Das wiederum verwirrte mich zutiefst. Lange hatte ich nicht mehr so heftig auf eine Frau reagiert, und jetzt war definitiv der falsche Zeitpunkt für solche Gedanken.

    Ich achtete darauf, keine hektischen Bewegungen zu machen, als ich mich vom Sofa erhob und auf Claire zuging. Mir war ihre schreckhafte Art aufgefallen, ganz besonders in der Nähe von Männern.

    Als wir das Haus verließen, ergriff ich behutsam ihre kleine Hand und wollte sie am liebsten nie wieder loslassen. Mein Beschützerinstinkt lief regelrecht Amok, seit ich Claire zum ersten Mal im Gerichtssaal gesehen hatte. Ich schob meine Reaktion auf die Misshandlungen, die man ihr angetan hatte. Diesem Widerling von Exmann hatte sie zahlreiche Knochenbrüche und Narben zu verdanken. Die Knochenbrüche waren verheilt, doch die Narben würden sie immer an ihren Peiniger erinnern.

    Erst als Claire zusammenzuckte, bemerkte ich, dass ich ihre Hand beinahe zerquetschte. Ich Idiot fügte ihr Schmerzen zu, anstatt auf sie aufzupassen!

    „Entschuldige. Ich wollte dir nicht wehtun", sagte ich schnell und lies ihre Hand los.

    Sie lächelte zaghaft und eine zarte Röte schoss in ihre Wangen. „Schon gut", war alles, was sie sagte, dann senkte sie den Kopf und ging weiter.

    Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her. Ich fühlte mich merkwürdig einsam ohne ihre

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