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I#mNotAWitch: Teil 2
I#mNotAWitch: Teil 2
I#mNotAWitch: Teil 2
eBook327 Seiten4 Stunden

I#mNotAWitch: Teil 2

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Über dieses E-Book

Die Fortsetzung des Fantasyromans "I#mNotAWitch": Auch wenn sich Quinn Donovan für ein neues Leben in Freiheit entschieden hat, wird sie immer noch von den Problemen ihrer Vergangenheit heimgesucht. Sie muss zurück, um alles ein für alle Mal richtig zu stellen. Dabei stellt sie fest, dass sich in ihrer Heimatstadt Bethel so einiges verändert hat ...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum24. Juni 2015
ISBN9783738031645
I#mNotAWitch: Teil 2

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    Buchvorschau

    I#mNotAWitch - Yuna Stern

    Kapitel 1

    Ich hörte Jacks murmelnde Stimme hinter mir: »Ich verstehe nicht, das kann doch nicht ...« Und dann seufzte er und streichelte über meinen schweißnassen Nacken.

    Ja, das konnte doch nicht wahr sein. Verdammt, ja. Ich hockte über der Kloschüssel, krallte mich an ihren verdreckten Rändern fest und zitterte.

    »Du verträgst kein Blut«, stellte er fest und schüttelte den Kopf. »Wie kann das sein?«

    Ich konnte ihm nicht antworten, die Übelkeit überschwemmte mich erneut. Ich röchelte, legte den Kopf zurück und schnappte nach Luft.

    Mit jedem Blutverlust wurde ich schwächer. Seit Monaten schon.

    »Wir finden eine Lösung, vertrau mir. Ich weiß, dass ...« Jacks tröstende Worte, so lieb sie auch gemeint waren, halfen mir nicht. Ich hob die Hand, woraufhin er sofort schwieg.

    Mit heiserer Stimme bat ich ihn, den Raum zu verlassen. »Bitte«, wisperte ich. Ich brauchte einen Moment für mich alleine.

    Sobald er endlich draußen war, lehnte ich mich zurück. Sah mich auf der Toilette der Waldhütte um, die wir im letzten Herbst entdeckt hatten.

    Von der Decke hingen Spinnfäden, an denen verstorbene Insekten klebten. Der antiquiert grüne Fliesenboden war mit Flecken übersät. Und an der Wand neben der Duschkabine hatte sich Schimmel gebildet.

    Ich vertrug kein Blut. Was bedeutete das? War das so eine Art Laktoseintoleranz bei Vampiren? Eine Sanguisintoleranz?

    Fast war mir nach Lachen zumute. Es klang wie ein schlechter Scherz, den mir jemand spielen wollte.

    Nachdem ich mir den Mund abgewischt hatte, stand ich schwankend auf. Humpelte zum Spiegel, der über dem Waschbecken hing, fuhr mit dem Handrücken über die Scheibe, um den Schmutz zu entfernen.

    Noch immer nichts. Ich war noch immer nicht zu sehen. Irgendwie wartete ich darauf, dass sich das änderte. Ich fühlte mich gar nicht tot, nur anders. Als wäre mein Gehirn überhitzt oder so ähnlich. Das Denken fiel mir seit dem Tag meiner Verwandlung schwer.

    Ein Klopfen an der Tür ließ mich aufschrecken.

    »Quinn, ist alles in Ordnung?« Jacks besorgte Stimme bereitete mir Schuldgefühle. So hatte er sich unsere Reise in die Freiheit sicherlich nicht vorgestellt.

    Ich kam mir vor wie überschüssiges Gepäck, das ihn bei der Jagd behinderte. „Mhm", krächzte ich und rieb mir über die Stirn.

    Nachdem ich mich zu ihm auf die Couch ins Wohnzimmer gesetzt hatte, starteten im Schwarz-Weiß-Fernseher die Nachrichten. Ich nahm die Worte des Sprechers gar nicht wahr, fixierte nur den Bildschirm. Ein Hurrikan kam auf die USA zu. Nebenbei merkte ich, wie Jack mich anstarrte.

    »Du siehst blass aus«, flüsterte er.

    Ich versuchte, zu grinsen. »Ah, ist das etwas Neues?« Vampire sahen schließlich – soweit ich wusste – immer so aus, als wären sie gerade aus ihrem Sarg gestiegen.

    »Nein, so meine ich das nicht. Anders blass. Außerdem hast du abgenommen.«

    »Jaja, die ideale Diätkur, ich wusste das schon immer ...«

    Er nahm mir meine Lockerheit nicht ab. »Ich meine das ernst. Quinn, es geht dir nicht gut. Wir müssen irgendetwas tun. So kann es nicht weitergehen.«

    Ich antwortete nicht und betrachtete ihn. Seine schulterlangen Haare hatte er vor einigen Wochen abgeschnitten, seine dunklen Augen blitzten mich voller Kummer an. Er wirkte angespannt, atmete hektisch ein und aus.

    »Bitte, Quinn«, bat er. »Lass uns zu den O'Donoghues gehen. Sie werden dich untersuchen. Sie wissen, was sie tun.«

    Eine Gruppe von Medizinervampiren. Das klang ein wenig furchteinflößend, wie ich fand.

    »Wo leben sie noch mal?«, fragte ich und versuchte mir schnell eine Ausrede zu überlegen. Ich will nicht zu ihnen, weil ... ich Angst vor Spritzen, Operationen, Krankenhäusern habe?

    Die O'Donoghues wohnten angeblich seit Jahrzehnten in einer verlassenen Hospizanlage im Süden von –

    »Irland«, klärte mich Jack geduldig auf. »Bitte, Quinn. Ich kenne diese Leute.« Er zögerte, bevor er ergänzte: »Na ja, durch Isaiahs Erzählungen ... Sie sind überhaupt nicht gefährlich. Ernähren sich noch nicht einmal von Blut, stell dir das vor. Sie sollen so ein scheußlich bitteres Getränk aus Erde und Alkaloiden entwickelt haben, das sie seit geraumer Zeit einnehmen. Sie sind harmlos.«

    Hm, das glaubte ich nicht so recht.

    Aber, gut.

    »Und du meinst wirklich, dass sie mir helfen können?«

    Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ich hoffe es. Ich will dich nicht verlieren, Quinn ... Besonders nicht nach alldem, was wir im letzten Jahr gemeinsam erlebt haben.«

    Sobald er mich in seine Arme nahm, verkrampfte ich innerlich. All die Gefühle, die mich nach meiner Verwandlung für ihn heimgesucht hatten, waren wie weggefegt. Wieso also ...? Woher war diese Liebe damals gekommen? Hatte ich meine Gefühle für Aiden auf ihn projiziert? Hatte mein neuerworbenes Vampirgedächtnis mir einen Streich gespielt?

    Ich wusste es nicht, dennoch lächelte ich Jack an, um ihn nicht zu enttäuschen. »Meinetwegen«, wisperte ich. »Wenn es sein muss ...«

    »Ja, es muss sein«, bekräftigte er seine Worte mit einem raschen Nicken. »Wenn es dunkel wird, müssen wir uns auf den Weg machen.«

    »In Ordnung.« Ich lehnte mich gegen das Zierkissen. Im folgenden Moment packte mich der Schwindel erneut. Oh, nein. Nicht noch einmal. Ich fluchte leise. Schloss die Augen. Sobald meine Stirn zu pochen begann, hörte ich alles.

    Und zwar wirklich alles.

    Auf der Landstraße raste ein Auto mit ratterndem Motor entlang, der Fahrer diskutierte am Telefon mit seiner Tochter über ihre nächste Theateraufführung. Auf dem Hügel der Pollinders grasten Kühe, ihre Arbeiter in der Scheune misteten den Stall aus und husteten. Und auf dem Kastanienbaum vor der Waldhütte zwitscherte eine Wanderdrossel zum sechzehnten Mal an diesem Tag dasselbe verfluchte Lied.

    Ich hielt es nicht länger aus.

    Diese Kräfte waren eine Gabe, ja, natürlich, doch gleichzeitig führten sie mich in den Wahnsinn. Überall hörte ich Stimmen, wild durcheinander. Ich vernahm Herzschläge, konnte sogar recht bald einschätzen, ob die dazugehörigen Personen an Herzproblemen litten ... oder vielleicht Verdauungsschwierigkeiten hatten, da ihr Magen unaufhörlich rumorte. Gelegentlich konnte ich sogar hören, wie das Blut gewisser Leute durch ihre Adern rauschte und pumpte. Und jedes Mal spürte ich dann genauestens, wie mich der Durst befiel.

    Wie auch jetzt.

    Ein Förster spazierte etwa zweihundert Meter von uns entfernt den Waldweg entlang. Er keuchte, roch nach Schweiß und Alkohol. Seinen Gestank nahm ich selbst von der Hütte aus wahr. Unter seinen Schuhen knackten, zerbrachen Äste.

    »Nein«, flüsterte Jack und griff nach meinem Arm. »Es wird dir danach noch schlechter gehen, Quinn.«

    Das wusste ich natürlich. Ich wollte diesem Mann auch nichts antun. Eigentlich nicht. Aber ... Es war so verlockend. Meine Instinkte rieten mir dazu, ihn anzugreifen, obwohl der Tag noch hell war.

    Ich verschränkte die Arme vor der Brust, um meinen Körper unter Kontrolle zu bekommen. Drängte mich näher an Jack, der mir zur Beruhigung die Hand auf die Schulter legte. Er hielt mich so fest, dass ich mich nicht befreien konnte. So hockten wir dort auf der harten Couch, die angesichts ihres karierten Musters aus den Achtzigern zu stammen schien. Warteten darauf, dass der Mann verschwand.

    Es schien eine Ewigkeit zu dauern.

    Die Gardinen an den Fenstern ließen nur schmale Lichtstreifen durch, die sich auf den Holzboden legten. Sonst war alles kühl und finster in diesem Raum.

    Der Förster entfernte sich immer weiter von uns, doch irgendwann hörte ich, wie sein Telefon klingelte. Da blieb er stehen.

    Mein Durst nahm zu, kratzte an meiner Kehle, brachte mich zum Wimmern. Da ich all das Blut, das ich zuvor getrunken hatte, wieder ausgespuckt hatte, war mein Verlangen danach umso stärker. Trinken, die Leere in mir füllen, irgendetwas, das heiße Blut, ich konnte an nichts anderes mehr denken. Trinken, sofort, angreifen, seine Haut unter meinen Fingerkuppen spüren, wie sie zerreißt, und ...

    Ich schloss die Augen und versuchte meine Gedanken wieder zu sortieren. Um das zu tun, hatte Jack mir einen Trick beigebracht.

    »378 plus 723? Konzentrier dich darauf, Quinn.« Er strich mir über die Wange. Ich ließ meinen Kopf gegen seine Brust sinken, wiederholte seine Worte in meinen Gedanken.

    Rechnen, um dem Durst zu entkommen. Mal klappte es besser, mal nicht so gut. Ich versuchte mich nur auf die Zahlen zu konzentrieren, doch an diesem Tag funktionierte es nicht.

    Das Atmen des Försters. Sein Räuspern, während er an sein Handy ging. Mit seiner Schuhspitze schubste er einen Blätterhaufen an, das Rascheln verursachte Gänsehaut bei mir.

    Zahlen.

    300 – wie lauteten sie noch mal?

    Nun ging der Mann weiter, er zog sich den Reißverschluss zu, ich hörte das Quietschen seiner Lederjacke. Er hatte eine tiefe Stimme, telefonierte schnell und legte hastig auf. »Gleich komm ich«, hatte er gesagt.

    Jack schüttelte mich sanft. »Quinn, rechne.« Er nannte mir erneut seine Aufgabe: »378 plus 723?«

    Normalerweise nahm er kompliziertere Zahlen, doch an diesem Tag waren selbst diese hier zu schwer für mich. Ich rechnete, versuchte mich von dem Förster abzulenken, nur mit Mühe, ich wandte mein Gesicht ab, kniff die Augen zusammen und dachte nach.

    378 plus – erst einmal nur – 700 waren: 1078.

    Okay. Und weiter – was passierte draußen? Ich hielt den Atem an. Ich roch Blut, frisches Blut. Oh, der Förster schien sich verletzt zu haben. Wie, warum?

    Ich versuchte, mich aus Jacks Griff zu lösen.

    »Nein, Quinn. Egal. Zähl weiter.«

    Ja, rechnen. Es spielte keine Rolle, was im Wald passiert war. Mit dem Mann, dessen Blut nun auf die Erde tropfte.

    Ich spürte, wie mir das Wasser im Mund zusammenlief. Meine Zunge fühlte sich trocken an, taub, als wäre ich kurz davor, zu verdursten.

    Tausendachtund – wo war ich noch einmal? 1078. Blieben noch 23, die ich dazu addieren musste, dann wäre ich fertig. 78 plus 23 waren ... 78 plus 20 waren 98. Plus 3.

    Ich stieß Jack beiseite, murmelte ein »Tschuldigung« und rannte los.

    Ich hörte noch sein Fluchen hinter mir, dann war ich draußen.

    Die Sonne tat mir nichts, sie kitzelte nur auf meiner Haut, noch spürte ich nicht, dass sie mich vernichten würde. Ich war noch nicht daran gewöhnt. Die Angst vor der Sonne hatte sich bei mir noch nicht entwickelt.

    Einzig die Helligkeit blendete mich. Einen Moment lang schwankte ich, hielt mich an einem Baumstamm fest, dann kam mir der Geruch des Försters entgegen. Der Wind trug ihn zu mir, ich zitterte vor Aufregung und hechtete los, um ihn zu finden.

    Klar zu denken war in solchen Momenten unmöglich. Ich war eine Sklavin meiner eigenen Triebe. Nur das war mir bewusst. Und doch genoss ich das. Irgendwie.

    In nur wenigen Sekunden hatte ich ihn erreicht, beobachtete ihn von Weitem, verbarg mich zwischen den Bäumen. Nur einen Schluck. Den durfte ich mir gönnen. Musste ich.

    Bevor ich aus meinem Versteck springen und mich zeigen konnte, tauchte Jack neben mir auf und riss mich zurück. Er presste mich auf den Boden, griff nach meinen Handgelenken und flüsterte: »Quinn, das geht so nicht. Wir müssen raus aus der Sonne. Komm schon. Du weißt, dass dich das Blut schwächt. Ich will nicht, dass es dir noch schlechter geht. Es tut mir leid.«

    Ich schluchzte, wusste, dass er recht hatte, aber das Verlangen war zu stark.

    »Komm, Quinn. Rechne. Lass los. Denk an etwas anderes.«

    »Hallo, ist da jemand?« Die Stimme des Försters näherte sich uns. Seine Schritte wurden lauter. Der Geruch seiner Verletzung, seines frischen Blutes nahm zu.

    Ich war kurz davor, aufzuschreien, ihn herzulocken, doch Jack schüttelte den Kopf und legte die Hand auf meinen Mund.

    »Quinn, konzentrier dich endlich auf die Zahlen«, flehte er.

    Ja, dachte ich. Ich versuche es ja, aber ich schaffe es nicht.

    Wo war ich noch mal gewesen?

    Plus 3? Plus 3. 98 plus 3. Hundert – ja – hunderteins. War das die Lösung? Nein. Ich musste die 1000 dazu addieren, und dann, ja.

    Ich stöhnte. »1101.« ODER?

    »Ja.« Jack lächelte, doch er ließ mich weiterhin nicht los. »Ja.«

    Ich entspannte mich und legte meinen Kopf auf den Boden. Spürte die kalte Erde in meinen Haaren. Achtete nicht mehr auf den Förster, dessen Schritte sich wieder entfernten.

    Jack hatte es mal wieder geschafft. Mit seinen bescheuerten Zahlen.

    »Sehr gut, Quinn. Willst du aufstehen?«

    Er sprang von mir weg und richtete sich auf. Klopfte sich die Blätter von seinen Knien.

    »Ja, danke.« Ich traute mich nicht, ihn anzusehen. »Und ... tut mir leid. Du weißt schon, manchmal ...«

    »Ach, Quinn. Das ist doch normal. Du bist gerade mal seit kurzer Zeit verwandelt. Da hat man sich noch nicht so sehr unter Kontrolle.« Er grinste und offenbarte seine Fangzähne. »Also, wenn ich dir ein Zeugnis ausstellen darf, du wirst immer besser in Mathe.«

    »Ha. Ha«, sagte ich und verkniff mir ein Lächeln. Insbesondere an diesem Tag war ich überhaupt nicht gut darin gewesen.

    Gemeinsam eilten wir zurück zur Waldhütte, um uns für den nächtlichen Aufbruch nach Irland vorzubereiten. Dabei wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir beobachtet wurden.

    Ich drehte mich vor der Tür noch einmal um, sah zurück.

    Doch nur die verflixte Wanderdrossel war zu sehen, die in ihrem rot-schwarzen Federkleid umherhüpfte und sang. Ich hob einen Ast vom Boden auf und winkte ihr damit zu. »Hey, Piepmatz, wechsel mal den Kanal. Kannst du das?«

    Ich vergaß das merkwürdige Gefühl, dass dort noch jemand war. Verschwand in der dunklen Sicherheit der Waldhütte, wo Jack gerade einen Koffer packte.

    Kapitel 2

    Cork, an der Südwestküste Irlands, empfing uns in der Nacht am River Lee mit einem Lichterspektakel, mit einer malerischen Häuserfassade, die sich im Wasser spiegelte. Trotz der späten Stunde waren noch Passanten in der Großstadt unterwegs. Auf der Brücke hasteten sie an uns vorbei. Die Eindrücke innerhalb dieser bevölkerungsreichen Stadt erschlugen mich: Von den Autoabgasen, die mir in der Nase juckten, bis zu den grellen Farben in der Nacht. Überall blinkte und leuchtete es. Studenten aus der UCC stolperten lachend aus einem Pub, Alkohol- und Nikotingestank umhüllte sie wie eine Wolke.

    »Bald haben wir es geschafft«, murmelte Jack, der mich aufmerksam beobachtete. Ehrlich gesagt war mir seine stete Anwesenheit manchmal unangenehm. Insbesondere wenn er so besorgt war wie jetzt.

    In der Nähe des Gefängnismuseums von Cork befand sich das Anwesen der O'Donoghues in einer abgelegenen Seitenstraße. Das verlassene Hospiz erstreckte sich über drei Etagen, die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Die Vorderfront war mit Wildem Wein geschmückt, der sich einen Weg durch die Risse im Mauerwerk gebahnt hatte. Auf dem gepflasterten Hof wuchs Unkraut, der sich bis zu dem Maschendrahtzaun drängte, der das Grundstück von allen Seiten umgab. Darauf war ein schiefes, knallgelbes Aluminiumschild mit der Aufschrift »Achtung! Einsturzgefahr!« befestigt.

    »Sieht nicht gerade einladend aus«, sagte ich. »Bist du dir sicher, dass sie hier wohnen?«

    Jack, der die O'Donoghues nur durch die Geschichten Isaiahs kannte, zuckte mit den Schultern. »Nach alldem, was ich über sie gehört habe, eigentlich schon.«

    »Also los.« Ich rang mich zu einem Lächeln durch und griff nach seiner Hand.

    Wir warteten einen Moment lang, bis keine Autos mehr auf der Straße vorbeifuhren, dann setzten wir zum Sprung an. In hohem Bogen flogen wir über den Maschendrahtzaun hinweg und landeten direkt vor dem Eingang.

    »Hm, manchmal hat es schon seine Vorteile, ein Vampir zu sein«, lachte ich.

    »Das freut mich, dass du es so positiv siehst«, entgegnete er und klopfte an die massive Eichentür. »Dann wollen wir ja mal sehen, wer die O'Donoghues sind.«

    Eine Weile tat sich nichts. Jack zupfte nervös an seinem Ärmel, lehnte sich mit seinem Ellbogen gegen den Türrahmen. »Hoffentlich sind sie da.«

    Ich hingegen spürte eine gewisse Erleichterung. Ich wusste nicht, was mich an der Vorstellung dieser Vampirärzte so störte. Doch der Gedanke an sie bereitete mir Kopfschmerzen. „Vielleicht sind sie ja verreist", überlegte ich laut. Den hoffnungsvollen Ton in meiner Stimme konnte ich nicht abschalten. Jack zog die Augenbrauen hoch. Genau in diesem Moment riss jemand die Tür auf.

    Auf der Schwelle erschien ein Mann, der in seiner linken Hand eine Petroleumlampe trug. »Ja, bitte?«, fragte er. Alt sah er nicht aus, doch gekleidet, als ob er den Fünfzigern entflohen war. Wie ein Filmstar kaute er auf einer Zigarre im Mundwinkel herum, trug ein lässiges Hemd in Schlangenoptik und hatte streng mit Pomade zurückgekämmte, glänzende Haare.

    Jack stellte uns mit knappen Worten vor.

    Nach einer flüchtigen Stille nickte der Typ, bat uns herein. Im Foyer blieb er mit verschränkten Armen stehen, betrachtete mich mit gerunzelter Stirn. Hinter ihm befand sich ein Empfangstresen in Betonoptik aus vergangenen Zeiten, unter dem sich eine Ratte versteckte, wie ich an ihren Lauten erkannte. Darauf stapelten sich gebundene Bücher, die einen modrigen Geruch verströmten.

    Ein Vampir war unser Gastgeber auf alle Fälle, sein Herz schlug nicht, Blut rauschte nicht durch seine Adern. Mit schräg gelegtem Kopf sagte er in meine Richtung: »So, du verträgst also kein Blut, Quinn. Woran meinst du, liegt das? Wann bist du verwandelt worden?«

    »Wenn ich das wüsste, wäre ich mit Sicherheit nicht hier«, entgegnete ich. »Und verwandelt habe ich mich vor einigen Monaten.«

    Jack fügte hinzu: »Davor war sie eine Hexe.«

    Der Mann, der sich als Francis vorgestellt hatte, rümpfte die spitze Nase, wirkte leicht angewidert. »Eine Hexe, tja. Furchtbares Pack.« Nachdem er mich ein letztes Mal mit zusammengekniffenen Augen gemustert hatte, sagte er: »Folgt mir nach oben.«

    Wir nickten. Er stolzierte los, führte uns eine Treppe hinauf in die erste Etage der Hospizanlage. An der Decke des Korridors hing eine flackernde Pendellampe, die den Fliesenboden beleuchtete, der mit abgelaufenen Zeitungen und leeren Flaschen zugemüllt war.

    »Dagegen kann sie ja nichts«, meinte er, »dass sie mal eine Hexe war. Einige Straßen weiter, über dem Kiosk in der Victoria Street, haben wir auch ein derartiges Subjekt. Vermutlich um die dreihundert Jahre alt, sieht jedenfalls so aus. Grauslich, glaubt mir, die Murdock.« Er bog in den nächsten Gang ein. Das Licht schaltete sich automatisch ein. »Hier ist unser Untersuchungszimmer.« Francis öffnete die Tür und wartete, bis wir in den Raum eingetreten waren. Er stellte seine Petroleumlampe auf dem Boden ab und wies auf die Aluminiumstühle, die an der Wand standen. »Setzt euch bitte einen Moment lang. Ich hole meine Schwester. Sie wird euch sicher kennenlernen wollen.«

    Mit einem lauten Knall ließ er die Tür hinter sich zufallen.

    In der Mitte des Untersuchungszimmers stand eine Liege, die mit einem beigefarbenen Baumwolltuch zugedeckt war. In den Regalen dahinter sammelten sich Akten. Hier drinnen stank es nach Alkohol und Fäulnis.

    Jack schien mit einem Mal nicht mehr ganz so zuversichtlich. »Das ist seltsam«, flüsterte er. »Isaiah hat mir immer erzählt, dass Francis ein Wissenschaftlertyp ist. Nie seinen Kittel ablegt. Trotz seiner Scharfsicht nicht aufgehört hat seine Brille zu tragen, an die er aus seiner Menschenzeit noch gewöhnt war. Dass er sich so verändert hat?«

    »Jetzt ist er jedenfalls ein Klon von Gregory Peck«, stellte ich nüchtern fest. Ich unterdrückte das Zittern meiner Hände, indem ich meine Finger ineinander verknotete. Ja, ich musste zugeben: Ich hatte Angst.

    Musste das wirklich sein, dass ich an diesem Ort behandelt wurde? Konnte die Ärztefamilie mir nicht einfach ihr Blutersatzdrink spendieren und mich gehen lassen?

    Um mich abzulenken, grübelte ich weiter über Francis offenbare Veränderung nach, die in den letzten Jahren stattgefunden haben musste: »Vielleicht war er zu Beginn noch so, wie Isaiah ihn dir beschrieben hat. Total in seiner Arbeit vertieft und so. Doch nach all der Zeit hat er neue Interessen entwickelt: Autos, Zigarren, Mode. Das kann doch sein. Was meinst du?«

    Er antwortete mir nicht und ließ sich auf einen der Wartestühle am hinteren Ende des Raumes sinken. Sein konzentrierter Blick verriet mir, dass ich ihn bei seinen Gedanken nicht stören durfte.

    Also schlenderte ich zu den Regalen, sah mir die verstaubten Akten an. Sie waren mit römischen Jahreszahlen beschriftet. Über einem Waschbecken in der Nähe hing ein verdreckter Spiegel. Aus dem mit Seifenresten verstopften Abfluss krabbelten Fliegen und tummelten sich auf dem Wasserhahn.

    Bevor ich zurück zu Jack gehen konnte, um mich neben ihn zu setzen, erklang ein Poltern. Die Tür wurde mit einem Mal weit aufgerissen.

    Francis flog mit einer hageren Frau an seiner Seite in den Raum. Er verharrte vor dem Eingang und legte den Arm um sie. Daraufhin nahm er einen Zug von seiner Zigarre und atmete den Rauch durch seine Nase aus. Feierlich rief er: »Darf ich euch bekannt machen? Das ist meine ... Schwester.«

    Das Gesicht seiner Schwester war so knochig, dass ihre Augen hervortraten. In ihrem grauen Kleid aus Spitze wirkte sie wie ein unterernährtes Model. Einzig ihre welligen, kupferblonden Haare schienen ihr ein wenig Gewicht zu verleihen.

    Schief grinsend fügte Francis ihren Namen hinzu: »Felicia, die oh-Glückselige.«

    Sie stieß ihn mit dem Ellbogen an und verdrehte die Augen. Im nächsten Moment richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf mich: Sie stürmte zu mir und griff nach meinen Händen. »Bitte entschuldige ihn. Über die Jahre ist aus ihm ein Narr geworden. Vermutlich liegt es daran, dass er kein Blut mehr zu sich nimmt.« Ein heiseres Lachen entwich ihr.

    Ich schüttelte den Kopf. »Ist schon okay. Er ist ... nett.«

    »Wie gefällt dir Cork bisher? Ist diese Stadt nicht wundervoll? Ich muss sagen, dass ich ...«

    Ehe sie weiterplappern konnte, warf Jack die Frage ein: »Ich habe gedacht, dass ihr einen weiteren Bruder habt? Finley?«

    Seit ihrem Auftritt schien er noch misstrauischer geworden zu sein. Er stand von seinem Platz auf und krempelte seine Ärmel hoch, um seine Muskeln zu demonstrieren.

    »Ohh, ja.« Felicia ließ mich abrupt los, warf ihrem Bruder einen Blick zu. Dann drehte sie sich mit dem Rücken zu uns um und lief zum Waschbecken, um von der Ablage eine Küchenrolle zu nehmen. Sie kehrte mit undurchdringlicher Miene zurück und breitete schweigend das Papier auf der Liege aus, ohne das dreckige Baumwolltuch vorher wegzunehmen.

    Francis räusperte sich. »Sie mag nicht darüber sprechen«, erklärte er. »Was aus ihm geworden ist ...«

    Sie seufzte theatralisch, richtete sich auf. Bat Jack und Francis das Untersuchungszimmer zu verlassen, damit sie alleine mit mir über meine Probleme mit der Blutzufuhr sprechen konnte.

    »Nein.« Jack sträubte sich, schüttelte den Kopf. »Ist das in Ordnung für dich?«, fragte er so lautlos, dass nur ich ihn hören sollte, obwohl das bei solcher Gesellschaft natürlich unmöglich war. »Ich bleibe lieber«, fügte er mit fester Stimme hinzu. »Ich lasse sie nicht alleine.«

    Leider ließ sich die Vampirärztin nicht von ihrem Vorhaben beirren. »Tut mir leid, ich möchte mit deiner Freundin persönlich reden. Vertrau mir bitte, es wird ihr nichts passieren.«

    »Ist schon okay«, wiederholte ich. Offenbar fiel mir kein anderer Satz mehr ein. Die Aufregung hatte mir die Sprache verschlagen. »Geh.«

    Jack sah mich weiterhin zweifelnd an, rührte sich nicht von der Stelle.

    »Wir haben doch nicht extra den langen Weg hierher gemacht, damit ich das jetzt nicht mache«, murmelte ich. »Es muss sein. Hast du selbst gesagt.«

    »Okay.« Er eilte zu mir, hauchte mir einen Kuss auf die Wange. »Bis gleich«, flüsterte er. »Und wenn ihr doch irgendetwas passiert, dann ...«

    Ich unterbrach ihn, bevor er Felicia drohen konnte.

    Bei der Tür drehte er sich noch einmal zu mir um. Ich gab ihm mit einem Lächeln zu verstehen, dass ich mich nicht fürchtete. Auch wenn das überhaupt nicht stimmte.

    Sobald ich mit Felicia alleine im Untersuchungszimmer war, veränderte sich ihre Stimmung plötzlich. Die Trauer um den offenbaren Tod ihres Vampirbruders schwand genauso schnell, wie sie gekommen war. Mit einem neugierigen Leuchten im Blick bat sie mich zu der Liege.

    Ich gehorchte ihr, auch wenn mir bei jedem Schritt der Gedanke durch den Kopf schoss: HAU AB.

    »So, jetzt erzähl doch mal, Quinn. Weshalb genau bist du hier?«

    Ich berichtete ihr davon, dass ich kein Blut bei mir behalten konnte. Und dass ich dadurch immer schwächer auf den Beinen wurde. »Unsere Reise nach Irland hat viel länger gedauert dadurch«, erklärte ich. »Immer wieder musste ich auf der Strecke Halt machen, weil ich nicht mehr konnte. Und ich wollte auch nicht, dass Jack mir hilft.« Ich erinnerte mich daran, dass er mir angeboten hatte, mich ein paar Meilen lang zu tragen. Doch das war für mich keine Option gewesen. Ich wollte es alleine schaffen.

    »Ist es vielleicht so«, sie verzog den Mund, als ob ihr der Gedanke nicht behagte,

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