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Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft: Erlebnisse eines deutschstämmigen Unionsoffiziers in konföderierten Gefängnissen
Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft: Erlebnisse eines deutschstämmigen Unionsoffiziers in konföderierten Gefängnissen
Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft: Erlebnisse eines deutschstämmigen Unionsoffiziers in konföderierten Gefängnissen
eBook360 Seiten5 Stunden

Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft: Erlebnisse eines deutschstämmigen Unionsoffiziers in konföderierten Gefängnissen

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Über dieses E-Book

"Beraube einen Menschen seiner Freiheit, entziehe ihm das Vergnügen der selbstgewählten Gesellschaft, drücke ihn hinab auf die unterste Stufe der Armut, damit ihm seine eigene Erscheinung widerwärtig werde und er seine Augen verwünsche, die ihm sein Bild und das der übrigen Gestalten seiner Bettelmannswelt vorführen, kette die Zeit an, damit der Tag zur Woche und die Woche zum Jahre werde, lass seinen Körper hungern und seinen Geist dürsten und du gibst ihm eine Hölle, schlimmer als das Gehirn eines Gottesgelehrten sie erfinden kann."

In den Jahren nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861 - 1865) greifen zahlreiche Veteranen in Nord und Süd zur Feder, um ihre Geschichte niederzuschreiben. So unterschiedlich ihre individuellen Beweggründe hierfür sein mögen, ein Grundbedürfnis ist bei nahezu sämtlichen Kriegserinnerungen erkennbar: Der Leser soll wissen, dass die "patriotische Pflicht" erfüllt und die "Mannesehre" gewahrt wurde. In diesen Geschichtsinszenierungen ist den Geschehnissen abseits des ruhmreichen Schlachtfeldes und der Kameraderie des Feldlagers bestenfalls eine flüchtige Erwähnung vergönnt. Nur wenige Veteranen bekennen sich zu den demütigenden und "ehrlosen" Aspekten ihrer Kriegserlebnisse, was ihre schriftlichen Zeugnisse zu umso wertvolleren Quellen macht.

Einer dieser Männer ist der deutschstämmige Bernhard Domschcke. Geboren im Jahre 1827 in Freiberg, Sachsen, genießt er eine vorzügliche Schulbildung in Dresden und Leipzig. Der junge Bildungsbürger ist ein leidenschaftlicher Verfechter der Demokratie und nimmt aktiv an den Barrikadenkämpfen des Dresdner Maiaufstandes 1849 teil. Nach dem Scheitern der Deutschen Revolution flieht Domschcke in die Vereinigten Staaten, wo er sich einen Namen als glühender Gegner der Sklaverei und wortgewaltiger Journalist macht. Im Jahr 1862 meldet er sich freiwillig zum Kriegsdienst und dient als Offizier in der 26th Wisconsin Infantry. Als sein Regiment am 1.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum7. Okt. 2016
ISBN9783738086881
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    Buchvorschau

    Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft - Bernhard Domschcke

    Vorwort des Herausgebers

    Beraube einen Menschen seiner Freiheit, entziehe ihm das Vergnügen der selbstgewählten Gesellschaft, drücke ihn hinab auf die unterste Stufe der Armut, damit ihm seine eigene Erscheinung widerwärtig werde und er seine Augen verwünsche, die ihm sein Bild und das der übrigen Gestalten seiner Bettelmannswelt vorführen, kette die Zeit an, damit der Tag zur Woche und die Woche zum Jahre werde, lass seinen Körper hungern und seinen Geist dürsten und du gibst ihm eine Hölle, schlimmer als das Gehirn eines Gottesgelehrten sie erfinden kann.

    Bernhard Domschcke

    In den Jahren nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861 - 1865) greifen zahlreiche Veteranen in Nord und Süd zur Feder, um ihre Geschichte niederzuschreiben. Ihre Motivationen sind mannigfaltig und reichen von stolzer Verewigung der eigenen Taten und trotziger Rechtfertigung der Verlorenen Sache bis hin zur Vergangenheitsbewältigung mittels Niederschrift der eigenen Erlebnisse und Taten. So unterschiedlich die individuellen Beweggründe jedoch sein mögen, ein Grundbedürfnis ist bei nahezu sämtlichen Kriegserinnerungen erkennbar: Der Leser soll wissen, dass die patriotische Pflicht erfüllt und die Mannesehre gewahrt wurde. Durch die Verknüpfung des eigenen Namens mit den berühmten Generälen und großen Schlachten fällt deren Glanz auf den (mehr oder minder) einfachen Soldaten zurück und adelt dessen bescheidenen Beitrag zum Kriege. In diesen Geschichtsinszenierungen ist den Geschehnissen abseits des ruhmreichen Schlachtfeldes und der Kameraderie des Feldlagers bestenfalls eine flüchtige Erwähnung vergönnt. Nur wenige Veteranen bekennen sich zu den demütigenden und ehrlosen Aspekten ihrer Kriegserlebnisse, was ihre schriftlichen Zeugnisse zu umso wertvolleren Quellen macht.

    Einer dieser Männer ist der deutschstämmige Bernhard Domschcke. Geboren im Jahre 1827 in Freiberg, Sachsen, genießt er eine vorzügliche Schulbildung in Dresden und Leipzig. Der junge Bildungsbürger ist ein leidenschaftlicher Verfechter der Demokratie und nimmt aktiv an den Barrikadenkämpfen des Dresdner Maiaufstandes 1849 teil. Nach dem Scheitern der Deutschen Revolution flieht Domschcke, wie so viele seiner Gesinnungsgenossen, in die Vereinigten Staaten, wo er bereits kurz nach seiner Ankunft seinen wachen Geist und seine rhetorische Begabung in den Dienst diverser New Yorker Zeitungen stellt. 1854, im Gründungsjahr der Republikanischen Partei, verschlägt es Domschcke nach Wisconsin, wo er die erste republikanische Zeitung des Staates gründet und sich rasch einen Namen als glühender Gegner der Sklaverei und wortgewaltiger Journalist macht. Im Jahr 1862 stellt seine deutschsprachige Zeitung Milwaukee Herold ihr Erscheinen ein und Domschcke meldet sich mit der gesamten Redaktion freiwillig zum Kriegsdienst. Aufgrund seiner Bildung und seines gesellschaftlichen Status wird Domschcke zum 2nd Lieutenant von Kompanie G der 26th Wisconsin Infantry ernannt und rasch zum 1st Lieutenant und Captain von Kompanie H befördert. Als sein Regiment am 1. Juli 1863 bei der Schlacht von Gettysburg nördlich des Städtchens von den angreifenden Konföderierten zerschlagen wird und dabei fast 50% seiner Männer verliert, gerät er in Kriegsgefangenschaft.

    Hier beginnt für Domschcke eine Zeit des Leidens, die ihn für den Rest seines Lebens prägt. Monatelang ist er mit seinen Leidensgenossen in dem berüchtigten Libby-Gefängnis in Richmond eingepfercht, bevor er in Gefangenenlager in Danville, Macon, Savannah, Charleston und Columbia verlegt wird. Die anfänglichen Unannehmlichkeiten des Gefängnislebens verschlimmern sich rasch zu einem mörderischen Alltag aus quälendem Hunger, grassierenden Krankheiten und gleichgültiger Grausamkeit des Wachpersonals. Dabei bleibt Domschcke durchweg ein scharfer Beobachter seiner Umgebung und seiner Mitgefangenen, die ihren täglichen Überlebenskampf auf verschiedenste Arten bestreiten.

    Als er im März 1865 schließlich ausgetauscht wird, mag Domschcke geahnt haben, dass seine ruinierte Gesundheit ihm kein langes Leben mehr gewähren würde, denn er beginnt unverzüglich mit der Niederschrift seiner noch frischen Erinnerungen. Freunde und Bekannte bemerken mehrfach, dass Domschcke seinen Überzeugungen zwar treu geblieben ist, sein inneres Feuer jedoch erloschen scheint. Nach seiner Heimkehr stellt sich keine Besserung seines Zustandes ein, doch trotz seiner zerfallenden Gesundheit nimmt er seine journalistische Tätigkeit wieder auf, bevor ihn die Spätfolgen seiner Gefangenschaft schließlich ans Siechbett fesseln. Bernhard Domschcke stirbt am 5. Mai 1869 im Alter von 43 Jahren.

    Domschckes faszinierende Einblicke in einen vergleichsweise selten durch Primärquellen dokumentierten Aspekt des Krieges werden ergänzt durch einen umfangreichen Anhang, der zahlreiche Facetten des Lebens in konföderierten Gefangenenlagern beleuchtet und dabei hilft, die Erlebnisse des Autors in einen breiteren Kontext einzuordnen.

    Bernhard Domschckes zeitgenössischer Sprachstil wurde weitestgehend gewahrt und nur dann behutsam an die modernen Gepflogenheiten angepasst, wenn dies für das Verständnis des heutigen Lesers angeraten schien. Fehlerhafte Schreibweisen von Namen wurden stillschweigend korrigiert.

    Florian Dexheimer

    Kapitel I

    -

    Von Virginia nach Pennsylvania – Die Schlacht bei Gettysburg – Die Gefangennahme

    Es war am 12. Juni 1863, als das XI. Armeecorps sein Lager in Stafford County in Nord-Virginia abbrach und sich zum Marsche rüstete. Nach der Rückkehr von der unglücklichen Schlacht bei Chancellorsville wurden jenem Corps Lagerstätten in der Nähe von Brooke's Station zwischen Aquia Creek und Falmouth angewiesen, welche es bis zum Abmarsche an eben genanntem Tage innehatte. Unter den glühenden Strahlen einer Sommermittagssonne verließen wir die öde, steppenhafte Gegend und am Abend erreichten wir Hartwood Church, eine aus wenigen Häusern bestehende Ortschaft. Der Zweck unseres Marsches war uns nur insoweit bekannt, als wir wussten, dass General Robert E. Lee mit seinen Rebellenscharen in Bewegung war. Wo wir mit ihm in Konflikt geraten würden, war der Gegenstand vielfacher Mutmaßungen. Manche glaubten, unsere Armee werde sich in die Verschanzungen von Washington zurückziehen, um die Bundeshauptstadt gegen den heranstürmenden Feind zu verteidigen; Andere träumten von einer dritten Schlacht auf den Leichenfeldern am Bull Run; wieder Andere erwarteten ein Zusammentreffen am Shenandoah River.

    Von Hartwood Church marschierten wir über Weaversville, Manassas Junction, Centreville und Gum Springs nach dem Goose Creek, einem Nebenflusse des Potomac River. Wir machten am 17. Juni einige Kilometer vor der Mündung jenes Flusses und etwa zehn Kilometer von Leesburg Halt und blieben sechs Tage an diesem Platze. Es schien noch immer unentschieden zu sein, ob wir dem Feinde in Virginia oder am anderen Ufer des Potomac River begegnen würden; die Frage wurde indes bald gelöst, indem wir Befehl erhielten, den Potomac River bei Edward's Ferry zu überschreiten.

    An dem prachtvollen Morgen des 24. Juni betraten wir das Maryland-Ufer, Gottes Land, nach so vielen Kreuz-und-Quer-Zügen in dem alten, verrotteten Virginia. Der Eindruck, den die wohlangebauten Gärten, die grünen Fluren und die von Wohlstand zeugenden Gebäude der Landbesitzer Marylands auf uns machten, würde uns unvergesslich sein, die wir seit so langer Zeit daran gewöhnt waren, nichts zu erblicken, als langweilige, traurige Kiefernwälder, unfruchtbare, ausgesogene Felder und alte, verfallene Wohnstätten. Wo immer wir in Nord-Virginia waren, sahen wir Stillstand anstatt Fortschritt, Verfall anstatt Erneuerung, den Fluch der Sklaverei anstatt den Segnungen der Freiheit. Alles erschien alt und monoton; Grabesruhe herrschte ringsum in dem traurigen Lande; es war eine Stätte der Toten, ein Platz der Verdammnis, dessen nächtliche Stille nur unterbrochen wurde durch den eintönigen Klageruf der Nachtschwalbe. In der roten Erde dieses stygischen Landes modern die Gebeine von Tausenden unserer Waffengenossen, welche Heimat, Wohlstand und Glück verließen, um die Republik vor ihrem elendesten Feinde zu sichern.

    Von Edward's Ferry führte uns der Weg durch eine reiche Gegend nach Jefferson, von da nach Middletown, Frederick und Emmitsburg. Wir kamen am 29. Juni an letztgenanntem Orte an und hielten daselbst eine kurze Rast. Unser Lagerplatz war in der unmittelbaren Nähe des Nonnenklosters, eines großen Gebäudes mit vielen Fenstern und Seiten- und Hintertürchen. Prachtvolle Gärten umgaben diesen stattlichen Palast und die Seitengebäude, in deren einem General Schurz sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Der Superior der Anstalt, ein Europäer mit den Manieren eines Weltmannes und jener feinen Ironie, welche man häufig bei höhergestellten Priestern der katholischen Kirche findet, benahm sich auf das Zuvorkommendste gegen den General und gab die Versicherung, dass er, wenn eine Schlacht in der Nähe stattfinden sollte, alle Räumlichkeiten zur Aufnahme von Verwundeten hergeben werde; es sei hinlänglicher Raum vorhanden für eintausend Mann. Abends ließ Schurz das Musikcorps des 45th New York Regiments kommen, welches vor dem Kloster seine wohleingeübten Märsche, Lieder und Polkas spielte. Der Superior, welcher in seiner schwarzen Tracht zugegen war, wurde von Schurz gefragt, ob die Musik den Nonnen gefallen würde. Ironisch lächelnd bemerkte er: Es wird ihnen gefallen, aber sie werden sich's nicht anmerken lassen.

    Am 30. Juni kam der Befehl, dass wir am anderen Morgen in der Richtung von Gettysburg aufbrechen sollten. Am 1. Juli, morgens gegen 07.00 Uhr, marschierten wir ab. Nachdem wir einige Kilometer auf geebneten und ungeebneten Wegen, über Wiesen und Zäune, durch kleine Bäche und Moräste, welche sich durch den anhaltenden Regen am vorhergegangenen Tage gebildet hatten, marschiert waren, kam der Befehl aus Gettysburg, mit möglichster Eile herbeizukommen. Jetzt begann ein Marsch, der zu den beschwerlichsten und ermüdendsten gehörte, die wir jemals gemacht hatten. Wir erreichten bald die gebirgige Gegend und erstiegen im Eilmarsch die felsigen Berge. Der Regen fiel in Strömen und die Soldaten vermochten kaum, weiter voranzueilen, aber neue Befehle drängten zu größter Eile, denn die denkwürdige Schlacht bei Gettysburg hatte bereits begonnen. Mit Anstrengung aller Kräfte erreichten wir endlich die Stadt, durch deren Straßen wir im Laufschritt nach einem jenseits der Stadt gelegenen offenen Felde eilten, wo sofort die Linien formiert wurden.

    Das I. Armeecorps war bereits zu unserer Linken in voller Aktivität und bald waren auch wir im Feuer. Das I. und XI. Armeecorps, zusammen vielleicht 12,000 bis 13,000 Mann, waren zu schwach gegen die unter Ewells Kommando stehenden Rebellen und so kam es, dass wir umzingelt und nach der Stadt zurückgetrieben wurden. Bei diesem Rückzuge wurden viele gefangen genommen und auch der Schreiber dieser Zeilen fiel nebst einem weiteren Offizier und 46 Soldaten von seinem Regimente in die Hände der Rebellen. Mit diesem Augenblicke begann eine Zeit der Qual und des Leidens, an welche alle Beteiligten, so lange sie leben, mit Schaudern zurückdenken werden.

    Nachdem ich gefangen genommen und bereits auf dem Wege nach dem Lager der Rebellen war, gestattete mir der Rebellenoffizier, welcher mich gefangen genommen hatte, unter Begleitung einer Wache den Platz noch einmal zu besuchen, auf welchem unser Regiment noch vor wenigen Minuten dem Feinde gegenübergestanden hatte. Ich fand dort manchen Freund tot oder verwundet. Glücklich waren im Vergleich zu den Verwundeten die Toten. Wenn eine Kugel treffen soll, dann möge sie Kopf oder Herz durchbohren und wir kehren zur ewigen Ruhe zurück, aber die Leiden der meisten Verwundeten sind grässlich und der Anblick derselben ist ergreifend. Mancher Verwundete rief mich an, ohne dass ich ihm Hilfe gewähren konnte; mehrere riefen meinen Namen, aber ihre Gesichter waren so mit Blut bedeckt, dass ich die Personen nicht erkennen konnte.

    Nach dieser kurzen und traurigen Wanderung ging ich in Begleitung eines jungen Rebellen-Lieutenants, welchem der Krieg bis zu einem gewissen Grade verleidet war und welcher von dem Fragment einer Granate einen kleinen Denkzettel am Bein erhalten hatte, hinüber zum Schlachtfelde der Rebellen, wo ich ähnliche Szenen wie auf dem unsrigen sah, nur war die Zahl der Getöteten größer als die der Verwundeten und die Gefallenen waren meist durch den Kopf oder durch die Brust geschossen, ein Beweis, dass unsere Soldaten gut gezielt hatten. Jener Lieutenant versuchte, wie vorher mehrere andere Rebellenoffiziere, von mir zu erfahren, wie stark unsere Streitmacht sei, auf welchem Wege wir gekommen waren, ob bereits die ganze Army of the Potomac angelangt sei, wer der Nachfolger des früheren Oberkommandeurs Hooker sei und so weiter, aber natürlich wurde die Neugierde der ehrenwerten Herren nicht befriedigt. Auch wünschten sie zu wissen, wie weit Baltimore von Gettysburg entfernt sei, denn die Meisten glaubten zuversichtlich, dass ihr angebeteter General Lee sie im Triumphe nach Baltimore führen werde. Andere fragten vielleicht aus Besorgnis, weil sie glaubten, dass, wenn die Strecke noch weit sei, noch manche Schlacht geschlagen werden müsse, ehe sie von Baltimore aus die Friedensbedingungen diktieren könnten.

    Auf beiden Seiten des Schlachtfeldes hatte ich Gelegenheit, mich von den bekannten diebischen Neigungen der Rebellensoldaten zu überzeugen. Wo immer sie konnten, plünderten sie die Gefallenen aus; einen Lieutenant von meinem Regiment, der an meiner Seite fiel, hatten sie schmählich beraubt und selbst ihre eigenen Toten ließen sie nicht in Ruhe. Diebstahl in jeder Form gehörte zu den Kardinaltugenden der Rebellen. Mit Diebereien begannen sie und der letzte Akt ihres Kongresses verordnete einen Diebstahl, was die Bankiers von Richmond am besten verstehen. [Anm. d. Hrsg.: Domschcke bezieht sich hier wohl auf die letzten Sitzungen des Konföderierten Kongresses im März 1865, die von zunehmend verzweifelten Bemühungen geprägt waren, Geldmittel zur weiteren Finanzierung des Krieges aufzutreiben und zugleich die Gehälter diverser Führungspositionen anhoben.]

    Nachdem ich in der Nähe des Rebellenschlachtfeldes noch einige unserer Verwundeten gesehen und gesprochen hatte, wurde ich von drei Rebellensoldaten zu dem Lager der Gefangenen eskortiert, welches sich auf einer Wiese nahe einer Farm befand. Ich traf dort mehrere Tausende meiner Leidensgenossen. Am anderen Morgen wurden die Offiziere von den Soldaten getrennt und ein Rebellen-General machte uns die Eröffnung, dass General Lee bereit sei, uns auf Ehrenwort zu entlassen und nach Carlisle zu schicken, wo wir unsere Linien passieren könnten. Major-General Halleck hatte aber eine Order erlassen, welche derartige Entlassungen verbot und als Plätze für den Gefangenenaustausch allein City Point und Vicksburg bestimmte. Was die Soldaten anbelangte, so musste deren Entlassungszertifikat von einem Offizier gegengezeichnet sein, aber jene Order verbot diese Gegenzeichnungen, sodass aus der Entlassung nichts werden konnte und sich uns bereits an diesem Tage die traurige Aussicht eröffnete, nach Richmond transportiert zu werden, wenn nicht noch General Meade, vom Glücke begünstigt, die Schlacht gewinnen, den Feind verfolgen und uns befreien würde.

    Wir wurden dann zweieinhalb Kilometer hinter die Linie der Rebellen transportiert und erhielten dort die ersten Rationen von dem kommandierenden Offizier, Colonel French aus Virginia, einem halbwegs humanen Manne. Die Rationen waren aber von sehr homöopathischer Quantität und bestanden aus etwas rohem Fleisch, einer Handvoll Weizenmehl und einigen Körnern Salz. Da wir nun fast gar kein Koch- und Backgeschirr besaßen, so lag eine nicht geringe Bosheit in einer solchen Lieferung und wir standen anfangs ratlos vor diesen Gaben der Rebellengroßmut. Nachdem wir diese Rationen empfangen hatten, mussten wir eine Strecke weiter marschieren und auf diesem Marsche entglitt mir das kleine Tuch, in welches ich meine und meines Leidensgefährten Wallbers Mehlrationen eingeschlagen hatte und das Mehl fiel auf den nassen Rasen. Mit großer Wehmut blickten wir auf das Verlorene, denn wir hatten beide sehr viel Hunger. Wallber hatte einen kleinen, blechernen Kessel und in diesem kochten wir später das Fleisch, das für diesen Tag unsere einzige Nahrung war. Ich war später sehr vorsichtig mit dem Mehl und lernte auch backen, obschon wir keine Mulde, keine Pfanne und keinen Ofen hatten. Die Prozedur war folgende: Auf einem Wachstuche machte ich den Teig und formte denselben zu kleinen Kuchen. Wallber hatte unterdessen ein Feuer gemacht und kleine Steine gesucht, welche rings um das Feuer gestellt wurden. Wenn diese heiß waren, legten wir die Kuchen darauf, stützten die Steine mit kleinen Hölzern in schräger Richtung gegen das Feuer und ließen sie in dieser Stellung, bis die erste Seite des Kuchens gebacken war, worauf der letztere umgewendet wurde und der zweite Backprozess vor sich ging. Heute würde ich diese Art von Brot schwerlich anrühren, damals aßen wir es aber mit Heißhunger und wünschten uns nur, noch mehr davon zu haben.

    Der zweite Tag der Schlacht neigte sich zu Ende. Wir wussten nicht, ob unsere Waffen Erfolg hatten und die neu hinzugekommenen Gefangenen konnten uns auch keine bestimmte Auskunft geben. Unsere Situation war eine peinigende. Der erste Tag der Schlacht war verloren; hatte unsere Armee am zweiten Tage mehr Glück gehabt? Wir hörten das Musketen- und Kanonenfeuer, aber waren die Unsrigen siegreich oder waren die Rebellen vorgerückt? Wir warteten mit der ängstlichsten Spannung auf eine Nachricht, aber wir mussten uns bis zum Abend gedulden, als die Musikcorps der Rebellen Freudenmelodien anstimmten und die Graujacken ihr Hurra dazu riefen. Das bedeutete Sieg, Sieg auf Seiten unserer Feinde! Wohl trösteten wir uns damit, dass die Freude eine voreilige sein möge, aber dieser Trost war schwach und wir befanden uns in melancholischer Stimmung. Der Schlaf erlöste uns vorläufig von unseren grübelnden Gedanken und düsteren Ahnungen.

    Am Morgen des 3. Juli hatten wir die zweifelhafte Ehre, des Rebellen-Generals Pickett ansichtig zu werden, vor dessen Zelt wir die Nacht auf dem Erdboden zugebracht hatten. Pickett war ein Urbild eines Sklavenbarons aus Virginia, mit strammem Schritt, vornehmer Haltung, den Kopf hochmütig emporgeworfen ging er einher. Wenn er zu Pferde saß, gab er sich ein Ansehen, als sei er der Beherrscher eines ganzen Erdteils gewesen. Augenscheinlich verwendete er einige Mühe auf die Pflege seines Äußeren; die Reiterstiefel glänzten gewaltig und die langen, beinahe bis auf die Schultern herabfallenden Locken waren künstlich gelegt, aber die Farbe seiner Nase und des oberen Teils seiner Wangen verriet, dass er auch den inneren Menschen nicht vergaß. Der Genuss von Spirituosen hatte unvertilgbare Spuren in seinem Gesichte zurückgelassen, dessen grobe, plebejische Züge nicht im Geringsten zu dem aristokratischen Air passten, welches er sich zu geben bemüht war. Er galoppierte am Morgen stolz von seinem Zelte an die Front, aber als wir ihn einige Tage später am Potomac River wiedersahen, schien ein dunkler Schatten auf seiner roten Physiognomie zu liegen. Er verlor am 3. Juli zwei Drittel seiner Division.

    Während des Vormittags hörten wir nur vereinzelte Schüsse. Es herrschte jene unheimliche Ruhe, welche gewöhnlich den heftigsten Katastrophen in einem Kampfe vorangeht. Am Nachmittag entbrannte auch wirklich der Kampf auf das Gewaltigste und die Erde erbebte unter dem furchtbarsten Kanonendonner. Wir ahnten, dass dies wohl der Entscheidungskampf sein werde und unser Herz pochte bei dem Gedanken, dass die Schlacht für die Unsrigen verloren gehen könne. Wir wussten, was die Bedeutung der Schlacht bei Gettysburg war, wir kannten die Tragweite einer Niederlage für uns und deshalb musste die Ungewissheit, in welcher wir uns befanden, doppelt qualvoll und marternd sein. Unsere Soldaten schlugen sich und wir konnten nicht helfen, sondern waren gefangen in den Händen unserer Feinde.

    Als es Nacht wurde, verstummten die Kanonen und Musketen. Was war der Erfolg? Die Musik ließ sich zwar nicht, wie am vorigen Abend, hören, aber konnten wir auf dieses schwache Zeichen eine feste Hoffnung gründen? Betrübnis im Herzen, müde und hungrig legten wir uns auf den Boden, um zu ruhen.

    Die Sonne des 4. Juli weckte uns. Aber was für ein 4. Juli war dies! Sonst hatten wir an den Feierlichkeiten zum Andenken an die Gründung dieser großen Republik teilgenommen, sonst war dieser Tag ein Freudentag für uns und heute wussten wir nicht, ob es vielleicht dem tüchtigen Feinde gelungen sei, die Republik in ihren Grundfesten zu erschüttern. Einst waren wir frei, daheim bei unseren Freunden, versammelt unter dem glorreichen Sternenbanner und heute waren wir Gefangene, Gefangene der Rebellen, welche das Banner der Union beschimpft und mit Füßen getreten hatten!

    Der helle Sonnenschein verschwand, düstere Wolken zogen sich zusammen und der Tag war so traurig wie unsere Stimmung. Man hatte uns auf einer von einem Zaun umgebenen Wiese zusammengepfercht. An der Außenseite, längs des Zauns, gingen die Wachen auf und ab, verwitterte Burschen in grauen, zerlumpten Kleidern, uns mit hämischen Blicken musternd. Da fiel es einem der Unsrigen ein, um unserer Erinnerung an den hohen Festtag der Republik wenigstens durch etwas Ausdruck zu geben, ein patriotisches Lied anzustimmen, in dessen Refrain wir alle einfielen. Die Rebellenwachen stutzten, ließen uns aber gewähren, was wir natürlich sofort zum Besten ausnutzten. Wir kalkulierten so, dass die Rebellen, wenn sie gesiegt hätten, uns schwerlich selbst dieses kleine, harmlose Vergnügen gestattet haben würden. Ihre Bosheit war uns bekannt, warum waren sie in diesem Falle so nachsichtig? Warum ließen sie uns sogar das John Brown Lied und Sammelt euch um die Fahne, nieder mit den Verrätern ungehindert singen? [Anm. d. Hrsg.: Domschcke bezieht sich hier auf die Lieder John Brown's Body und Battle Cry of Freedom.] Diese Nachsicht musste ihren Grund haben, wahrscheinlich hatten sie am 3. Juli nicht gesiegt.

    Es dauerte nicht lange, bis eine eigentümliche Bewegung zu beobachten war. Truppenabteilungen marschierten hin und her, Adjutanten galoppierten in wilder Eile auf und ab und der immense Wagenzug kam in Bewegung. Einer unserer Offiziere, ein Amerikaner mit einem intelligenten Gesicht und einem sehr langen Halse, richtete sich, auf einer kleinen Erhöhung stehend, empor, blickte wie ein kluger Vogel Strauß um sich her und sagte endlich: Meine Herren, das bedeutet nichts anderes, als dass sie ausreißen.

    Der Mann hatte Recht. Lee war geschlagen und bald erhielten wir Befehl, uns dem abziehenden Zuge anzuschließen. Dunkle Wetterwolken hatten sich mittlerweile mehr und mehr aufgetürmt und gegen Mittag brachen Sturm und Regen los. Wir waren bis an einen kleinen Fluss marschiert und standen neben der Steinbrücke, welche über denselben führte. Blitz folgte auf Blitz, Donner auf Donner, der Sturm beugte die größten Bäume und der Regen fiel in Strömen. Auf der Straße fuhren die Armeewagen, Kanonen, Munitionswagen und allerhand Gefährte mit Verwundeten, welche erbarmungswürdig stöhnten und wimmerten, in buntem Gemisch und vollem Galopp dahin. Die Rebellen hatten verloren und flohen. Wie jubelte unser Herz, als wir dessen gewiss waren, aber zu gleicher Zeit kannten wir unser Schicksal. Wir sahen, dass wir mit dem fliehenden Feinde fortgeschleppt werden würden, hinweg von dem Boden der freien Staaten in das Land des Verrats und der Barbarei, nach Richmond, wo Jefferson Davis, der Erzverräter, thronte. Niemals hatten Freud und Leid so unmittelbar nebeneinander in unserer Seele geweilt; Freude über den Sieg unserer Armee und Leid über unser Schicksal. Aber noch blieb uns Hoffnung. Konnte unser Oberbefehlshaber nicht dem fliehenden Feinde in die Flanke fallen und uns erlösen oder war es nicht möglich, dass der Erfolg unseres Sieges ein solcher war, dass an einen langen Bestand der Konföderation und somit an eine lange Gefangenschaft nicht mehr zu denken war? So bauen Unglückliche auf den geringsten Hoffnungsschein und so ertragen sie, gehoben durch den süßen Strahl der Hoffnung, alle Leiden, denen ihre Seele und ihr Körper unterworfen sind.

    Kapitel II

    -

    Der Rückmarsch nach Virginia – Das Shenandoah-Tal – Richmond

    Lees Armee zog sich in zwei nebeneinander hindrängenden Kolonnen von Infanterie und Artillerie zurück und die Gefangenen bildeten streckenweise die dritte Kolonne, mit einer Infanterieeskorte an der Seite. Da die Wege für einen solchen Strom von Menschen, Kanonen und Wagen nicht breit genug waren, so mussten wir häufig auf ungeebneten Wegen über Felder und Wiesen, durch kleine Bäche und Teiche, welche die starken Regengüsse gebildet hatten, marschieren und Hecken und Zäune erklimmen. Wir erreichten am 5. Juli Fairfield. Frauen und Mädchen standen weinend in den Türen ihrer Wohnungen, denn als sie unsere blauen Uniformen sahen, glaubten sie, dass alles verloren sei. Es wurde ihnen zum Trost zugerufen, dass die Rebellen-Armee sich zurückziehe und wir bald wieder zurückkehren würden. Ein junges, schönes Mädchen weinte bitterlich und rief Gott an, uns zu schützen. An demselben Tage kamen wir in die sogenannten South Mountains, eine Reihe von teilweise hohen, malerischen Bergen mit tiefen Tälern und Schluchten. Da wir und die Armee uns hier nicht, wie vorher auf den flach gelegenen Feldern, ausbreiten konnten, waren wir oft in einen großen Knäuel zusammengepresst, der sich mühsam fortwälzte. Eine dunkle Nacht war hereingebrochen und es bedurfte aller Vorsicht, um nicht unter die Hufe der Pferde oder die Räder der Kanonen zu geraten. Einige Offiziere nutzten die Dunkelheit und Verwirrung und schlüpften durch die Eskorte auf die waldbewachsenen Berge, wo sie sich versteckt hielten, bis die Rebellenhorden vorüber waren.

    Am Morgen des 6. Juli langten wir in Monterey Springs, einem Badeorte, an, wo die Rebellen neue Unterhandlungen wegen der Entlassung mit uns begannen. Sie sahen, wie schwierig der Transport eines so großen Gefangenenzuges war und fürchteten höchstwahrscheinlich noch immer eine Attacke seitens unserer Armee, wobei wir vielleicht entkommen könnten. [Anm. d. Hrsg.: Die konföderierte Army of Northern Virginia führte bei ihrem Rückzug etwa 4.000 Gefangene mit sich.] Ferner berechneten sie jedenfalls, dass eine starke Eskorte für uns notwendig sein würde, welche sie unter Umständen sehr notwendig zu anderen Zwecken brauchen könnten. Sie riefen uns deshalb zusammen und machten uns ungefähr dieselben Vorschläge, die wir bereits bei Gettysburg vernommen hatten. Eine lange Beratung hatte zur Folge, dass wir im Hinblick auf Hallecks Order das Angebot ablehnten, dessen Annahme vorläufig nur von Vorteil für die Rebellen gewesen wäre. Außerdem trug noch jetzt die Hoffnung auf eine mögliche Befreiung zu der Ablehnung bei. Uns war offensichtlich, dass die Rebellen wünschten, der Gefangenen los und ledig zu werden, aber wie hätten wir bereitwillig auf etwas eingehen können, was unsere Feinde sehnlichst wünschten? So traurig unsere Aussichten für die Zukunft waren und so sehr wir danach verlangten, die Freiheit wieder zu gewinnen, so konnten wir uns doch nicht entschließen, den Rebellen eine Gefälligkeit zu erweisen und zu gleicher Zeit eine Order zu verletzen, deren Hauptsinn der war, dass eine Auswechslung nur dann erfolgen konnte, wenn der Feind in wirklichem Besitze der Gefangenen war.

    Am 6. Juli nachmittags marschierten wir, nachdem diese Unterhandlung gründlich gescheitert war, ab, um einen höchst beschwerlichen und ermüdenden Marsch nach Waynesboro und Hagerstown zu machen. Dies war eine grässliche Nacht: Die Marschkolonne bewegte sich nur langsam und wir mussten fast alle fünf Minuten Halt machen. Es wurde uns keine Rast gegönnt und bis zum Äußersten ermüdet und in Folge der spärlichen Rationen keineswegs sehr kräftig, legten wir uns, sobald die Kolonne ins Stocken geriet, auf der schmutzigen Straße nieder, um jede Minute zu einer kleinen Ruhe zu benützen. Am Morgen gelangten wir in Hagerstown an, wo es damals eine ansehnliche Zahl von Sezessionisten und Sezessionistinnen gab. Eine der letzteren rief vom Trottoir aus, wo sie mit heiterer Miene stand, dem vor dem Zuge reitenden Rebellen-Colonel triumphierend zu: Colonel, dies ist die rechte Art, sie anzutreiben! Sie gehörte offenbar zu jener Sorte von verbissenen Hexen, deren es in den Südstaaten so viele gab und die nicht wenig dazu beitrugen, die ohnehin schon halb toll gewordenen Männer noch mehr zu Verrat und Grausamkeit aufzureizen. Am Südende von Hagerstown trafen wir einen Trupp gefangener Kavalleristen, welche auf Erkundung ausgeschickt worden

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