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Glock 17
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eBook679 Seiten8 Stunden

Glock 17

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Über dieses E-Book

Der Schmerz schuf ihre Wut – und die schuf ihren Willen.
"Mein richtiger Name ist Olivia Alvarez.
Ich wurde in Spanien geboren.
In einem Kartell."
Als Gefangene wuchs sie dort auf.
Eingeschlossen von Mauern aus Kälte, Hass und Gewalt.
Nach Jahren voller Schmerzen und Qualen gelang ihr endlich die Flucht.
Die Männer im Kartell lehrten sie die Grausamkeit, dass man für jeden Atemzug, den man machte, zu kämpfen hatte.
Sie zeigten ihr auch, wie.
Doch genau das war ihr Fehler.
Denn sie ist wieder da – und sinnt auf Rache.
Und sie wird nicht aufhören, zu wüten und zu zerstören, bis jede alte Rechnung gebührend beglichen ist!
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Juni 2021
ISBN9783753189956
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    Buchvorschau

    Glock 17 - Emely Bonhoeffer

    Erstes Vorwort:

    Inhalt

    Ob sie ihn nun sahen,

    ihn ignorierten oder ihn zur Seite schoben – ihr Wille existierte dennoch.

    Und als sie ihn willentlich brachen mit jeglichen Methoden der Qual und Folter, setzten sich seine zerbrochenen Scherben stärker wieder zusammen.

    Mit jedem Mal wuchs seine Kraft, mit jedem ihrer Schreie, jeder geflossenen Träne, denn der Schmerz, den sie ihr zufügten, entzündete ein Feuer der Wut in ihren Adern.

    Angst und Verzweiflung konnten sie nicht mehr erreichen, ihre gierigen Hände nicht länger auf sie legen. Noch wanderte sie zwar nicht am Ufer des Glücks, doch der Wind würde die Richtung ändern und ihr zu dem verhelfen, woran zu denken sie in der Dunkelheit am Leben hielt:

    Vergeltung zu üben in der schönst möglichen Form.

    Auf all ihre Taten,

    all ihre Verbrechen würde sie Konsequenzen folgen lassen.

    Zweites Vorwort:

    Hass ist der Antrieb vieler Menschen.

    Häufig entsteht er durch Verletzungen.

    Es ist ein Gefühl, das die Trauer ausschaltet.

    Denn um Hass zu verspüren, muss die Person einem etwas bedeuten.

    Viele meinen, zwischen Hass und Liebe bestünde nur ein schmaler Grat.

    Doch Hass kann ohne Liebe, egal welcher Art, nicht existieren.

    Nur wirkt zu viel Hass wie ein Gift.

    Vor lauter Hass erkennen die Menschen nicht länger, was schön ist, und lassen sich ausschließlich von ihm leiten. Sie stoßen andere weg, verletzen sie und verlernen zu verzeihen.

    Dadurch wird ihr Leben etwas dunkler mit jedem Tag, den sie es leben.

    Hass zerstört die Menschen, wie man sie kennt.

    Er kann aber nur mit Liebe beseitigt werden.

    Dunkelheit verschwindet auch nur durch Licht.

    Auf Hass mit Hass zu antworten, endet nie gut.

    Liebe allein bietet ihm die Stirn.

    Sie lässt die Wunden heilen, die uns zugefügt wurden.

    Und am Ende ist sie erfolgreich das Gegengift.

    Denn Liebe gewinnt jeden Kampf gegen Hass.

    Prolog:

    Sie blickte aus dem Fenster, schloss die Augen und lauschte dem Regen, der sanft an die Scheibe klopfte und von einem friedlichen Ende erzählte.

    Einem Ende, das für sie außer Reichweite lag.

    Das warme Licht der Straßenlaterne fiel auf ihr Gesicht und brachte ihre betörend schönen Züge zur Geltung. In ihnen lag die Ruhe einer erfahrenen Kämpferin, die vor einem weiteren Krieg stand.

    Einem Krieg, den sie genau jetzt und genau hier beginnen wollte.

    Sie hob die Lider wieder und drehte sich zu ihm um.

    Bereits in Sekundenschnelle begann die Wut erneut durch ihren Körper zu jagen und unter ihrer Haut zu brennen. Allein sein Gesicht zu sehen, reichte aus, um diese Gefühle in ihr zu entfachen. Dabei war er nur ein unbedeutendes Rädchen im Getriebe ihrer eigentlichen Feinde ­– und die hatten ihr so viel Leid zugefügt, wie kein Mensch je ertragen sollte.

    Die Erinnerung an grauenvolle Tage, die kein Ende nahmen, an ihre verzweifelten Hilferufe, die niemand gehört hatte, ihre vergossenen Tränen, die niemand gesehen hatte, und den Schmerz, den nur sie gefühlt hatte, erfüllten sie erneut mit Hass. Wie schwarze Tinte tränkte er jede ihrer Zellen. Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich und gefährliche Entschlossenheit legte sich in ihren Blick. Sie war zu allem fähig, wie sie so aufrecht vor ihm stand.

    Zwar hatte sie geglaubt, sie könnte sich kaum noch erinnern, dabei brauchte es nur einen Einzigen von ihnen, um den Durst nach Rache in ihr von Neuem zu erwecken.

    Und er war stark.

    Wie ein Löwe, der seit Ewigkeiten hungerte, dessen unstillbares Verlangen nach etwas, das er zwischen seinen spitzen Zähnen zerreißen und damit seinen quälend leeren Platz im Magen füllen konnte, wuchs und wuchs, bis es ihn fast das Leben gekostet hatte. Und der seine Beute und das Ende des langen Wartens nun endlich vor sich sah.

    Er würde seine gerechte Strafe erhalten. Dieses Wissen glättete die Wellen in ihrem Inneren und sie konnte sich ganz auf ihre Worte konzentrieren, die durch den Raum schwebten und ihren Gefangenen frösteln ließen.

    „Rache, so begann sie mit ihrem wichtigsten Wort zu sprechen, „meinen die meisten Menschen, ist ein Gefühl, das wir nur in den ersten Momenten empfinden und das mit der Zeit vergeht. Wer von Rache geleitet Taten begeht, denkt nicht nach, behaupten sie, er macht Fehler, die er bereut, denn Rache macht ihn schwach.

    Ihre Stimme war kalt und doch melodisch und neben dem Regen das Einzige, das die bleierne Stille durchbrach, die sich wie eine dicke Decke über die Szenerie gelegt hatte. Während sie sprach, nahm sie kein einziges Mal den wachsamen Blick von ihm.

    Diesmal war sie an der Reihe. Nur sie allein durfte einen Zug machen und besaß die Möglichkeit, dem Spiel eine ganz neue Richtung zu geben.

    Und sie konnte fühlen, wie sich der Wind zu ihren Gunsten drehte.

    „Doch Rache kann uns nicht nur zu Fehlern verleiten. Sie macht uns nicht schwach, sondern stark, solange wir ihr uns nicht blindlings hingeben. Sie lässt uns an unsere Grenzen gehen und weit darüber hinaus."

    An ihn gewandt fuhr sie fort: „Und genau deswegen sitzt du hier."

    Mit ihren nachtblauen Augen fokussierte sie ihn. Ein einziger verachtender Blick sagte, was Worte nie könnten.

    „Du weißt, was du mir angetan hast, nicht wahr?"

    Ihr Gesicht näherte sich ihm und als es in geringem Abstand zu seinem stehenblieb und der Hass in ihren Augen aufblitzte, erkannte er sie. Seine Pupillen weiteten sich vor Schreck, während das Band in seinem Mund ein erschrockenes Aufschreien verhinderte. Die Fesseln, an denen er nun panisch zerrte, durchkreuzten indes seinen Versuch, vom Stuhl aufzuspringen und die Flucht zu ergreifen.

    So hatte sie ihn noch nie gesehen, so ängstlich und verletzlich, und etwas in ihr freute sich darüber, dass ihm bereits schwante, wie gefährlich sie war. Einen sonst so kaltblütigen und furchtlosen Mann hatte sie zum Erzittern gebracht – und er würde nicht der letzte sein, den sie Angst und Panik lehrte. Allesamt würden sie ihr zuhören müssen und ihre Fehler erkennen.

    „Man sagt zwar, dass die Zeit alle Wunden heilt, doch sie kann einen niemals ganz vergessen lassen, was passiert ist. Und so sehe ich alles, was ihr getan habt, jedes Mal vor mir, wenn ich die Augen schließe. Auf grauenvollste Weise in mein Gedächtnis gebrannt erinnert es mich in jedem Moment, bei jedem Atemzug, an eure Taten. Wut schwang in ihrer Stimme mit. „Ihr werdet bezahlen für das, was ihr getan habt.

    Wieder zu ihrer vollen Größe aufgerichtet blickte sie auf ihn herab.

    „Betrachte mich nicht als eine Verrückte, die auf ihrem Rachefeldzug Leben auslöscht."

    Sie machte eine kurze Pause, in der das spielerische Lächeln in ihrem Gesicht einem ernsteren Ausdruck wich.

    „Sieh mich mehr als eine gefährlich gebrochene Seele, die auf verdiente Art und Weise mit euch abrechnet."

    Mehr sagte sie nicht und mehr war auch nicht nötig. Er wusste es und sie auch.

    Stille breitete sich aus und umhüllte den Raum.

    Es würde nur noch Sekunden dauern, bis der Löwe seine erste Mahlzeit erhielt.

    Hinter ihrem Rücken holte sie eine schwarze Glock 17 hervor. Die Waffe, welche im Licht glänzte, fühlte sich in ihrer Hand leicht und kalt an. Mit den Jahren hatte sie ein Faible für genau dieses Modell entwickelt, weil es etwas Elegantes, etwas Zeitloses, an sich hatte.

    Die Wellen in ihrem Inneren schlugen wieder höher, während die Erinnerungen ihr in ihrem Kopf erneut seine Taten zeigten und sie mit brennendem Schmerz anfüllten.

    Sie legte die Pistole an seinen Kopf, spürte sein Zusammenzucken und sah die Angst in seinen Augen schimmern wie Leuchttürme im Nebel der Küste. Unwillkürlich musste sie grinsen, weil sie genau diesen angsterfüllten und reuevollen Blick in den Augen von ihnen allen ausmachen wollte, wenn sie merkten, welche unverzeihlichen Fehler sie begangen hatten.

    Sie griff die Schusswaffe fester, legte einen Finger an den Abzug, presste die Öffnung der Pistole an seine Stirn, genoss die alles erfüllende Ruhe.

    Und drückte ab.

    Alles, was man hörte, war ein leises Krachen.

    Alles, was man sah, ein Mädchen, welches die Blutflecken auf dem Teppich zufrieden zur Kenntnis nahm. Erleichterung und Genugtuung breiteten sich um ihr verletztes Herz aus und erfüllten sie mit Freude.

    Mit der Mordwaffe in der Hand verließ sie den Raum, im Wissen, dass dies nicht ihr letztes Opfer sein würde. Jeden von ihnen würde sie zur Rechenschaft ziehen. Einen auf grausamere Weise als den vorigen. Ein schadenfrohes Lachen stieg in ihr empor und fand seinen Weg nach draußen.

    Als sich die Türen hinter ihr wieder schlossen, hallte der Laut in dem großen Zimmer noch nach, erfüllte die Stille und umhüllte den Leichnam, während der Regen sich draußen in einen heftigen Sturm verwandelte.

    Unaufhaltsam würde er alles, was sich ihm in den Weg stellte, vernichten.

    Szene 1:

    Wie sie es gewohnt war, erwachte Olivia um fünf Uhr morgens, als die Sonne kurz vor ihrem Aufgang stand. Normalerweise wurde sie nie von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. In der Vergangenheit hatte sie das farbenprächtige Spiel des Sonnenaufgangs nur sehr selten beobachten können – bis zu dem einen Tag, der für sie alles verändert hatte.

    Nachdem es ihr gelungen war.

    Als sie dann endlich die Chance dazu gehabt hatte, war es atemberaubend gewesen.

    Der Moment, in dem sie auf der schlecht befestigten Straße gestanden hatte, umgeben von Steinwüste und ein paar vertrockneten Büschen, die frische und sich langsam erwärmende Luft eingeatmet hatte, und ihren Blick nicht von den Farben am Himmel wenden konnte, war einer der wenigen schönen Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit. Damals war ihr der Regen egal gewesen, der wie ein kleines Wunder die ausgedörrten Böden getränkt und sie selbst bis auf die Knochen durchnässt hatte. Ihre Kleidung hatte an ihr geklebt und ihre Haare waren feucht gewesen von den schimmernden Tropfen, die auf ihrer Zunge so süß wie Honig geschmeckt hatten.

    Und absolut alles, was in diesem Augenblick gezählt hatte, war das Farbspiel am Horizont, das ihr zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl von echter Freiheit gegeben hatte.

    Nach diesem Tag hatte sie nie mehr so empfunden.

    Es war der Anfang eines neuen Kapitels in ihrem Leben gewesen.

    Eines, in dem sie den Stift in der Hand hielt.

    Eines, das sie selbst schrieb.

    Die Erinnerung war schön, trotzdem musste sie sich hier und heute der Gegenwart zuwenden. Zwar hatte sie am Abend zuvor einen Bastard ausgelöscht, aber es war ihr nicht genug gewesen. Erst, wenn sie alle unter der Erde lägen, könnte sie ihre Ruhe finden, doch das würde wohl noch etwas dauern.

    Weil sie sich jedoch bereits seit einiger Zeit in London befand, musste sie sich langsam anpassen. Obwohl die Schulpflicht in England nur bis zum 16. Lebensjahr bestand, war ihr Verbündeter, Ryan, trotzdem der Meinung gewesen, es wäre unauffälliger, wenn sie eine dieser elitären, lokalen Schulen besuchte. Olivia würde sich unter ihre Schüler mischen, die nicht einmal ansatzweise eine Ahnung von dem Leid hatten, das auf dieser Welt existierte. Die nicht wussten, was Kälte und Schmerz mit einem Menschen machen, wie sie ihn verändern und prägen konnten. Weder ahnten sie, wer sie wirklich war, noch, warum sie sich hier aufhielt.

    Das würde ein Spaß werden, dachte sie und verdrehte innerlich die Augen. Dennoch vertraute sie auf die Intelligenz ihres engsten Verbündeten.

    Wenigstens musste sie in der zweiten Sekundarstufe keine hässliche Uniform mehr tragen. Zumindest ein Pluspunkt.

    Ihr Plan bestand darin, nicht aufzufallen, sich jedoch auch nichts gefallen zu lassen.

    Szene 2:

    Schien ganz so, als wären sie am Ende ihrer kleinen Tour angelangt. Olivia blickte sich um: Sie standen vor einer braun lackierten Holztür in einem breiten Schulflur.

    Der Schulleiter, der sie begleitete, hielt kurz inne, bevor er sich bei ihr zu guter Letzt noch erkundigte: „Sind Sie denn bereit?"

    Während sie ein Lächeln unterdrückte, gab sie ihm eine Antwort. „Immer."

    Den verwunderten Blick des Rektors ignorierend drückte sie die Klinke nach unten. Geräuschlos öffnete sich die Tür zu ihrem Unterrichtsraum und ließ sie eintreten. Neugierige Augenpaare richteten sich auf sie – bereit, ihr jeden Fehler Tag für Tag vorzuhalten. Die Missbilligung ihrer Mitschüler prallte von ihr ab. Angst hatte sie keine. Wieso auch? Sie hatte sich schon unaussprechlich schlimmeren Dingen entgegenstellen müssen.

    Das Klassenzimmer war äußerst schlicht gehalten. Von der Bauweise her entsprach es dem Rest der Schule, die im viktorianischen Stil errichtet worden war. Es besaß eine hohe, gewölbte Decke und große Fenster, durch die aufgrund des verhangenen Himmels jedoch nur wenig Tageslicht in den Raum fiel.

    Der Lehrer, ein Mann mittleren Alters in brauner Faltenhose und Karo-Hemd, blickte sie freundlich an. Nach seiner Begrüßung wandte er sich an die Klasse. „Ihr kriegt eine neue Mitschülerin. Olivia White ist vor Kurzem neu hierhergezogen und wir freuen uns sehr, sie an unserer Schule willkommen zu heißen."

    Dann wies er ihr ihren Platz zu, hinten in der letzten Reihe. Ihr sollte es recht sein.

    Sie ließ den Blick über die Reihen aus Schülern schweifen, während sie ans Ende des Klassenzimmers spazierte, um sich dort auf einen freien Stuhl fallen zu lassen.

    Die erste Stunde verlief mit viel Getuschel und ein paar sowohl interessierten, als auch verachtenden Blicken. Da sie noch nie eine richtige Schule besucht hatte, hatte sie probiert, sich mit Hilfe realistischer Filme einen Eindruck von den unterschiedlichen Charakteren in einer Klasse zu bilden. Es würde sich noch herausstellen, ob dies wirklich hilfreich war.

    Ihre Mitschüler ließ sie die nächste Stunde lang außer Acht und lauschte dem Lehrer stattdessen, während er versuchte, sie mit Dingen vertraut zu machen, die Olivia bereits kannte. Das würde ja lustig werden, wenn sie hier Tag ein Tag aus nur zu hören bekäme, was sie schon alles wusste.

    Man konnte den Menschen aus ihrer Vergangenheit vieles vorwerfen, aber sie hatten doch schon sehr früh damit begonnen, ihr alles, was es zu lernen gab, beizubringen. Nicht nur das, was diese Institution einem eintrichtern sollte – und nicht immer nur Gutes. Aber sie war nicht hier, um etwas zu lernen, sondern weil es ein scheinbar notwendiges Übel darstellte. Obwohl sie wusste, dass ihr bester Freund ihr damit lediglich etwas Normalität schenken wollte, sah sie den Sinn dahinter noch nicht wirklich.

    Die herangerückte Pause bemerkte Olivia erst, als alle von ihren Stühlen sprangen und aus dem Klassenzimmer sprinteten. Das sah sie als Zeichen, ihnen in die großräumige Aula zu folgen, in der sich bereits viele weitere Schüler tummelten. Offenbar verbrachten sie die Pausen bei Regen, wie heute, im Inneren des Gebäudes.

    Pausen gab es bei ihr daheim im Kartell nie, dort hieß es nur: aufpassen, lernen, kämpfen – vierundzwanzig Stunden am Tag.

    Doch hier existierten sie: Zeiten der Ruhe und Entspannung.

    Und jeder verbrachte sie ein klein wenig anders. Viele aßen etwas, aber Olivia würde unter der konstanten Beobachtung ihrer Mitschüler keinen Bissen runterkriegen, dabei war sie eigentlich noch viel stechendere Blicke gewöhnt.

    Auch als die ersten Mitschüler probierten, sie blöd anzureden, erwiderte sie nichts, sondern ignorierte getrost.

    Als dann jedoch der erste Junge – eigentlich ganz gutaussehend – den Arm um sie legte und sie an sich zog, ließ sie das plötzliche Prickeln, das ihren Körper durch die Berührung erfasste, unbeachtet und zeigte ihm, dass es ihr nun reichte: Sie rammte ihm ihren Ellenbogen gezielt in die Magengrube. Dann löste sie sich von dem Jungen und boxte ihm so hart ins Gesicht, dass er zu Boden taumelte.

    Die restlichen Mitschüler wurden spätestens bei seinem Schmerzensschrei auf sie aufmerksam. Die Menschenmasse, die sie daraufhin umringte, spiegelte Entsetzen und Unglauben wider.

    Doch als Olivia der Szenerie den Rücken zukehrte und sich, weil es das Ende der besagten Pause war, auf den Rückweg zu ihrem Klassenzimmer begab, verwandelte sich das Entsetzen und der Unglauben in den Augen der anderen in Furcht, die sie allesamt zurückweichen ließ. Niemand wagte es, sich ihr in den Weg zu stellen.

    Eigentlich freute sie sich darüber, weil es ihr bereits am ersten Tag gelungen war, sich Respekt und Ehrfurcht zu verschaffen.

    Ihr Vater wäre vielleicht sogar stolz auf sie gewesen.

    Der Gedanke an ihn trieb ihr Tränen in die Augen. Seine eigene Tochter hatte er verraten. Er hatte ihr nicht geholfen und sie nicht beschützt, als sie es selbst nicht konnte. Ihm hatte sie ihr Leid erst zu verdanken. Zusätzlich war er fast nie da gewesen und ein vernachlässigender Vater konnte selbst das glücklichste Kind brechen.

    Als die Erinnerung an seine kalte Miene hochkam, fing die stetige, schwarze Leere in ihrem Inneren an, sich schmerzhaft auszubreiten. Um sich davon abzulenken, dachte sie noch mal über ihre Tat nach. Natürlich wusste sie, dass sie keinen Mitschüler schlagen durfte. Das würde Konsequenzen nach sich ziehen.

    So schlimm können sie aber nicht sein, war sie jedoch überzeugt.

    Am Ende des Schultages, an dem sie niemand mehr behelligt hatte, wurde sie wie erwartet noch zum Schulleiter beordert. Vor dem Zimmer des Rektors harrte sie zunächst für einige Augenblicke aus.

    Als sie schließlich hereingebeten wurde, stand ihr der Junge, verarztet und in seiner Würde verletzt, gegenüber und der ältere Schulleiter lehnte grübelnd hinter seinem Schreibtisch. Erst heute Morgen hatte er sie zu ihrem Klassenraum geführt und sie freudig als Neuzuwachs begrüßt. Nun schien er etwas ratlos.

    Der Anblick des Jungen entlockte Olivia ein Lächeln: Und das soll mal ein Mann werden? Dieser überhebliche Junge?

    „Nun denn, Olivia, setzte der Rektor zu einer Erklärung an. „Ich bin mir sicher, du weißt, wieso du hier bist. Falls nicht, werde ich es dir nochmal sagen: Zayn bringt die schwere Beschuldigung gegen dich vor, du hättest ihn ohne Grund zusammengeschlagen…

    Weiter kam er nicht, weil sie entrüstet auflachte und ihn somit unterbrach. „Zayn behauptet? Und das glauben Sie? Trotz des erbosten Blickes des Schulleiters redete sie weiter. „Hat der Gute denn auch erwähnt, dass er mir in Form von unangebrachter Annäherung und Belästigung keine Wahl gelassen hat, als ihm seinen Grenzen aufzuzeigen? Oder dass er nicht gerade zögerlich war? Das hat er doch sicherlich auch erzählt.

    Zayn hielt ihrem erzürnten Blick wider Erwarten stand.

    „Ich bin mir bewusst, dass Gewalt keine Lösung ist, aber bei solchen Verhaltensweisen muss entweder die Erziehung oder die Aussage ‚Gewalt ist keine Lösung‘ überdacht werden. In diesem Fall war es eine. Vielleicht nicht die beste, aber das ist für mich in dieser Situation irrelevant gewesen. Also, falls Sie jemanden bestrafen wollen, fangen sie doch bei ihm an. Ich habe mich lediglich verteidigt."

    Nach einer Pause beendete sie die Unterhaltung kurz angebunden. „Wenn Sie mich nun entschuldigen würden. Ich habe heute noch zu tun."

    Sich im Recht wähnend ließ sie den seufzenden Schulleiter und den Jungen zurück. Ohne noch mal über die Schulter zu blicken, machte sie sich auf den Heimweg.

    Szene 3:

    Mit einem lauten Knall landete ihre Tasche auf dem Parkettboden, keine zwei Sekunden nachdem ihr die Tür geöffnet wurde.

    „Diese Schüler bringen mich noch um, rief sie ohne Begrüßung. „Du hättest sie sehen sollen, wie sie glauben, ihr größtes Problem seien ihre Noten, ihre Beziehungen oder ihr Make-up! Eingebildete Menschen, deren Leben nur aus dieser obszönen Einrichtung besteht!

    Zwar war Olivia aufgebracht über die Schwächlichkeit und Oberflächlichkeit dieser Menschen, aber was man ihren Worten nicht entnehmen konnte, war, dass sie sie heimlich auch beneidete. Diese Menschen durften schwach sein. Sie mussten nicht jede Sekunde stark sein, um zu überleben. Sie mussten nicht furchtlos und unzerbrechlich erscheinen, damit man sie am Leben ließ.

    „Teilweise sogar ganz amüsant, aber doch sehr nervig. Ich bin froh, wenn diese erbärmlichen Gestalten wieder aus meinem Leben verschwinden." Verachtung prägte ihr Mienenspiel, bevor sie sich abwandte.

    Auf direktem Weg begab sie sich in die Küche, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Mit dem Getränk in der Hand kam sie zurück ins Wohnzimmer, welches vom rötlichen Licht der Spätnachmittagssonne durchflutet wurde. Wachsam beobachtete sie nun das Treiben auf der Straße vor ihrem Appartement.

    Ihre Gedanken waren bereits zu einem anderen Thema weitergewandert, als ihre Worte die Stille durchbrachen. „Sie werden nicht erfahren, wo ich bin. Zumindest jetzt noch nicht."

    Während sie sich zu ihrem besten Freund umkehrte, präzisierte sie: „Aber irgendwann werde ich die Männer des Kartells hierherlocken, in diese schöne Stadt, und dann werden sie bitter bereuen, was sie getan haben. Dann werden sie sehen, dass jede Grenze, die sie überschritten haben, eine zu viel war."

    Mit fester Entschlossenheit traf ihr Blick den seinen. „Sollte mich diese nutzlose Schule weiter so nerven, wird das Ganze eher früher geschehen."

    Ryan war zwar fast doppelt so alt wie Olivia, aber trotzdem war er ein enger Freund. Er entgegnete ihr daraufhin: „Schule ist für die Menschen hier wichtig. Sie ebnet ihnen den Weg in eine bessere Zukunft und kann Freundschaften oder auch Beziehungen hervorbringen. Es könnte also durchaus möglich sein, dass es dir dort nach einer Weile gefallen wird. Lass dich einfach mal darauf ein."

    In aller Ruhe stellte sie das Wasserglas auf der hellbraunen Eichenholzkommode ab. Als sie sprach, schritt sie langsam auf ihn zu. „Interessanter Gedanke, dass ich mich verlieben könnte … Nur weißt du auch allzu gut, dass Liebe noch nie Teil meines Lebens war."

    Vielleicht würde sie das eines Tages sein, aber dieser Tag war nicht heute.

    „Diskussion beendet, Ryan", sagte sie entschlossen, als er erneut zum Sprechen ansetzte.

    „Wie sieht es eigentlich mit unseren Recherchen aus? Wie gesagt, ich will nicht länger als erforderlich an dieser Schule verweilen. Haben meine Männer ein weiteres Kartellmitglied ausfindig machen können? Es sind noch so viele … Für einen Moment glitt ihr Blick ins Leere. „Und sie werden alle bezahlen.

    Kurz flammte eine alte Erinnerung vor ihrem inneren Auge auf, doch sie verdrängte sie erfolgreich.

    Wie so oft.

    Ryan räusperte sich. „Sie haben zwei gefunden. Ricardo und Lamero wurden in einem Nachtclub im Zentrum gesehen."

    Durchaus eine erfreuliche Nachricht.

    „Ricardo und Lamero? Von den beiden habe ich schon lange nichts mehr gehört. Oh, wir werden viel Spaß zusammen haben. Gerade nach allem, was sie mir angetan haben."

    Mit geschlossenen Augen rief sie die Erinnerung an die beiden Spione ihres Vaters auf.

    Und dann ließ sie sie zu, erlaubte dem Film in ihrem Kopf, ihr erneut die Verbrechen der beiden vorzuspielen, denen Olivias Schmerz wie eine dunkle, alles überschattende Wolke anhing:

    Ein enger Raum, ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl – mehr hatte er nie gebraucht. Niemand damals. Erst später wollten sie mehr, so unsagbar viel mehr.

    Er hatte den Schlüssel im verrosteten Schloss umgedreht, die Holztür und somit den einzigen Fluchtweg für sie verschlossen. Zusammengekauert hatte sie in der Ecke gekniet wie eine Maus im Käfig. Mit einem bösen Grinsen hatte er sich zu ihr umgedreht. In seinen Augen war Freude aufgeblitzt. Die Art von Freude, die mit dem Leid eines anderen verbunden war – ihrem Leid. Unverhohlen hatte er sie von oben bis unten gemustert und sein Lächeln war unterdessen immer breiter geworden.

    Groß und stark war er gewesen, aber auch böse und vor allem gut – gut in dem, was er getan hatte. Einer der besten Spione ihres verräterischen Vaters. Lamero hatte ihm relevante Informationen über Schwachstellen seiner Feinde verraten, mit deren Hilfe ihr Vater seine Gegner erfolgreich ausgeschaltet hatte. Und dies war seine Bezahlung gewesen: Olivia. Man hatte sie in freizügige Kleidung gesteckt und in sein Zimmer geworfen. Wortwörtlich. Voller Furcht hatte sie sich in die hinterste Ecke gekauert und Tränen hatten begonnen, über ihre Wangen zu laufen wie Wassertropfen über Glas.

    Nach einer Stunde war er schließlich aufgetaucht und wie ein Jagdtier, das seine Beute angreifen und verschlingen wollte, immer und immer nähergekommen. Zaghaft hatte sie ihren Kopf gehoben und in seinem Blick nach irgendeinem Zeichen gesucht, das ihr verriet, dass er ihr nichts tun würde.

    Doch sie hatte nichts gefunden.

    Nichts außer Bosheit.

    Angst hatte sich über sie gelegt. Kalt und grausam.

    Und dann hatte er sich so schnell auf sie gestürzt, dass sie nicht darauf hätte reagieren können. Ein Schrei war ihr am Ende der Erinnerung noch entwichen, bevor sie die Augen wieder aufschlug.

    Trauer und Wut rangen in ihr um die Vorherrschaft, doch die Wut gewann. Olivia hatte sich einst geschworen, dass sie, anstatt unnütze Tränen über ihre sowieso nicht zu ändernde Vergangenheit zu vergießen, ihren Zorn nützen würde, um sich formvollendet zu rächen. Wieso sollte sie weiterhin leiden, wenn ihre Peiniger das doch auch endlich übernehmen konnten?

    Lamero hatte einer ihrer ersten, einer der quälendsten Erinnerungen kreiert. Er hatte ihr besonders mental wehgetan, Ricardo jedoch hatte sie vor allem körperliches Leid zu verdanken. Inklusive einer Narbe, die sie nie vergessen ließ, wer sie war, woher sie kam und welche Schmerzen sie durchstehen musste. Gleichzeitig erinnerte diese sie aber auch daran, wieso sie hierhergekommen und was genau ihr Ziel war.

    Heute würde sie etwas von dem Schmerz, den sie durchs Kartell erfahren hatte, zurückgeben. Sie würde ihnen zeigen, wie gefährlich es sein konnte, ein gewaltiges Feuer zu erschaffen und damit zu spielen. „Dann werde ich diesem Club heute mal richtig einheizen."

    Szene 4:

    Um 21 Uhr verließ sie das Appartement in einem dunkelroten Minikleid, das ihre glänzende, dunkelblonde Wellenpracht betonte. Ein Blick in den Spiegel bestätigte, was sie bereits wusste: Sie sah umwerfend aus.

    Beim Club angekommen zeigte sie ihren gefälschten Ausweis, aber der Türsteher hätte sie auch ohne hineingelassen. Der groß gewachsene Mann strahlte sie an. Indem er das rote Band der Absperrung für sie öffnete, gewährte er ihr Eintritt in einen der exklusivsten Clubs der Stadt.

    Ihre High Heels schimmerten im Licht der Nacht blutrot und ihre Hüften schwangen unter dem engen Kleid, während geballte Stärke sich in ihr sammelte, um auf ihren Einsatz zu warten. Mit Zielstrebigkeit und einem teuflischen Glitzern in den Augen betrat sie die Höhle des Löwen.

    Im Club war es brechend voll. Lichter wirbelten über die hohe Decke und die Musik, die mit voller Lautstärke aus den Lautsprechern hämmerte, übertönte beinahe alles. Ein Schmunzeln schlich sich auf ihre Lippen. Ihr gefiel es hier.

    Eines musste sie Lamero und Ricardo lassen: Sie besaßen Stil. Trotzdem mussten sie heute bezahlen.

    Ihr Blick glitt über die dunkle Masse aus dicht nebeneinander tanzenden Menschen und sie entdeckte die beiden wie erwartet in einer Sonderecke des Clubs, umgeben von leicht bekleideten Frauen und mit mehreren Gläsern Alkohol vor sich. Von dem Anblick wurde ihr schlecht und ihre Miene verhärtete sich für einen Moment. Olivia mischte sich erstmal unter die Tanzenden, immerhin wollte sie hier ebenfalls ihren Spaß haben.

    Auf der Tanzfläche blieb sie auch nicht lange allein. Als Erster kam ein Achtzehnjähriger auf sie zu, der schon sehr betrunken wirkte und an sie herantanzte, während er in ihr Ohr lallte. „Hey, Süße, ich habe dich beobachtet. Ich glaube, wir hätten viel Spaß zusammen. Wollen wir nicht verschwinden und herausfinden, ob ich recht habe?"

    Sein Atem kitzelte die Haut unter ihrem Ohr, aber sie reagierte darauf nicht. Naiver Junge, dachte sie sich nur, du wirst schon sehen, was es dir bringt. Langsam drehte sie sich zu ihm um und zog ihn noch näher an sich heran.

    „Aber ich kenn dich doch gar nicht." Ihre Worte klangen unschuldig, doch sie täuschten. Ein unschuldiges, kleines oder leichtgläubiges Mädchen war das Letzte, das sie war.

    Daraufhin lachte er, und noch während er eine seiner Pranken an ihre Taille legte, zog er sie bestimmend von der Tanzfläche. Sie ließ es geschehen. So bereitete es ihr erheblich mehr Vergnügen.

    In einer entfernten Ecke am Rande des Clubs, wo die Musik noch immer vieles übertönte, es aber etwas leiser war, drückte er sie gegen die nächstbeste Wand, beugte sich zu ihr herunter und begann, sie zu küssen. Nicht romantisch, aber energisch und fordernd. Sie hatte schon schlechtere Küsse über sich ergehen lassen. Ihre Lippen erwiderten seine nicht gerade prickelnd, aber er dürstete nach mehr. Das war meistens der Effekt, den sie auf Männer ausübte. Manchmal zu ihrem Vorteil und manchmal, an den düsteren Tagen in ihrer Vergangenheit, war es ihre Verdammnis gewesen.

    Nach einer Weile wurde er gröber und plötzlich zeigten sich längst verdrängte Bilder vor ihren Augen, die sie innerlich erschrecken ließen. Erinnerungen, die nicht zu ruhen gedachten, die Tag und Nacht in ihrem Kopf umhergeisterten. Die Schatten ihrer Vergangenheit, mit der sie endlich abschließen wollte. Sie quälten sie, doch in diesem Moment erinnerten sie Olivia an ihr Vorhaben für heute Abend.

    Geschickt drehte sie ihn so, dass er mit dem Rücken zur Wand stand, und vertiefte den Kuss, was ihm zu gefallen schien. Als er eingenommen von ihr kaum noch atmete, löste sie sich schließlich von ihm. Der Kerl blickte zunächst verwirrt drein und wollte sie dann erneut küssen, doch bevor er auch nur den Hauch einer Gelegenheit dazu hatte, rammte sie ihm ihr Knie in die Stelle, an der er besonders empfindlich war. Vor Schmerzen krümmte er sich zusammen. Der Gesichtsausdruck, der ihr Antlitz zierte, war komplett teilnahmslos. Irgendwie musste sie ihn schließlich loswerden.

    Da die Ecke beinahe in völliger Dunkelheit lag und nur hin und wieder von einem der wandernden Scheinwerfer kurz und schwach erleuchtet wurde, bemerkte sie niemand. Der Junge lag am Boden und sie betrachtete ihn von oben. Morgen würde er sich kaum noch daran erinnern können, dafür würde der Alkohol in seinen Adern schon sorgen. Und in Anbetracht der Umstände war das äußerst vorteilhaft.

    Ein letztes Mal beugte sie sich zu ihm hinunter. Während sie ihm in die weit aufgerissenen Augen blickte, erklärte sie: „Sorry, Süßer, aber ich bin nicht wegen dir hier."

    Achtlos ließ sie ihn am Boden liegen und steuerte wieder auf die Mitte der Tanzfläche zu, die im Blickfeld von Lamero und Ricardo lag. Schließlich war Spaß nicht ihre oberste Priorität gewesen, als sie den Club betreten hatte. Reizvoll bewegte sie sich zum Rhythmus der Musik, und obwohl sie ihre beiden Feinde beobachtete, war sie innerhalb weniger Augenblicke schon wieder von Interessenten umringt, an die sie jedoch keinen Blick verschwendete.

    Als sie erspähte, wie Lamero jemanden zu sich rief und ihm diskret einen Zettel zusteckte, wusste sie bereits, dass der für sie gedacht war. Und sie wusste auch, dass Lamero es noch bitter bereuen würde, ihn geschrieben zu haben.

    Jetzt fängt der amüsante Teil des Abends an, schoss es ihr durch den Kopf, während der Überbringer sich durch die dichte Menschenmenge einen Weg zu ihr bahnte. Er war ungefähr in ihrem Alter und hatte eine charakteristische Narbe an seiner Schläfe. Dieses Motiv würde sie überall wiedererkennen. Sie zeichnete nämlich dasselbe. Nicht im Gesicht, ihre Narbe war größer und sie besaß sie aus anderen Gründen, aber es war das gleiche Zeichen. Weil es bei ihm zwar im Gesicht, aber nicht eindeutig sichtbar lag, vermutete sie, es war die Bestrafung für eine Dummheit oder einen mittelmäßigen Fehler gewesen.

    Bei ihr angekommen überreichte er ihr das Stück Papier, welches sie grob überflog. Zwischen ihren Fingern fühlte es sich wie Feuer an, denn das, was sie mit Hilfe dieser Einladung nun tun konnte, war gefährlich und unberechenbar wie ein loderndes Flammenspiel.

    Wenn sie diesem Typen folgen sollte, wenn sie diesen Pfad einschlagen sollte, konnten die Flammen entweder ihre Widersacher oder, wenn der Wind sich drehen sollte, auch sie selbst verschlingen. Doch Rückzieher waren nicht ihre Art, solange sie ein Ziel vor Augen hatte.

    Dem Boten war, obwohl er sich bemühte, es zu verstecken, aus dem Gesicht abzulesen, dass er sie am liebsten für sich allein gehabt hätte. Wie leicht Kerle doch zu durchschauen waren. Fast hätte sie gelacht – aber nur fast. Stattdessen lächelte sie unheilvoll und folgte dem Mittelsmann durch ein paar spärlich beleuchtete Gänge in eine Privatlounge.

    Rache war, wonach sie trachtete, und dafür würde sie jeden noch so verworrenen und dunklen Pfad einschlagen.

    Zeit, alte Rechnungen zu begleichen.

    Olivia wurde in ein lichtloses Hinterzimmer gebracht, das mit einigen schwarzen Chaiselongues und einem Podest samt Stange ausgestattet war. Trotz der edlen Möbel hatte dieser Raum etwas an sich, das sie an die ruchlose und schmutzige Atmosphäre des Kartells erinnerte. Ihre Haut reagierte auf dieses groteske Flair mit einem Prickeln, als würden winzige Stromstöße über sie wandern. Olivia wehrte die Erinnerungen, die jederzeit bereit waren, an die Oberfläche zu kommen, gekonnt ab und begrüßte stattdessen eine gewaltige Vorfreude und Aufregung.

    Lamero ließ nicht lange auf sich warten. Einige Augenblicke vergingen und dann trat eine der Zielpersonen dieses Abends endlich ein. Er trug ein locker sitzendes Seidenhemd, dazu ein offenes Jackett und eine Anzughose, die genau wie sein Haar anthrazitschwarz waren. Sein Dreitagebart unterstrich seine harten Züge. Sein dreckiger Blick glitt an ihr herab und mit jeder Sekunde wurde sein krankes Lächeln größer.

    Er würde sie nicht erkennen. Oder doch? Nein, denn für Zweifel war in ihrem Leben kein Platz, wenn sie gewinnen wollte. In diesem Spiel, das keine Regeln kannte und in dem einem jedes Mittel recht sein musste, um zu siegen.

    Er wies sie an, sich zu setzen, doch sie schüttelte nur stumm den Kopf und bedeutete ihm stattdessen, sich niederzulassen. Das tat er auch.

    Showtime, dachte sie sich nur, als sie auf das niedrige Podest stieg und anfing, um die Stange herum zu tanzen. Ihre Arme schlang sie um das Metall über ihrem Kopf und ihre Hüften sprachen ihre eigene Sprache. Schnell merkte sie, dass es seine Wirkung nicht verfehlte. Lameros Augen weiteten sich und er rückte immer weiter nach vorne. Zentimeter um Zentimeter näher an seine potenzielle Mörderin heran, bis er unmittelbar vor der Erhebung kniete, den Blick nicht von ihr wendend. Die Sekunden zogen sich hin und die Luft lud sich auf. Wie eine Maus, die nur den Käse bemerkt und nicht nach rechts und links blickt, hockte er in ihrer Falle. Sie musste nur noch zuschnappen. Olivia biss sich auf die Lippe und das war der Moment, in dem das Verlangen übermächtig wurde, in dem für die dumme Maus nur noch der Käse zählte, das Gebilde außen herum ausgeblendet wurde und er sich nicht mehr halten konnte. Lamero preschte nach vorn, drückte sie gegen den Stab und begann, sie wie wild zu küssen, während seine Hand oben anfing und immer weiter nach unten wanderte.

    Kurz stockte ihr der Atem und der Raum schien kleiner zu werden, doch sie fing sich schnell wieder. Es dauerte nicht lange und die Wut über seine Taten war wieder in ihr, entfacht durch einen einzigen, fordernden Kuss. Rasend pulsierte sie, erweckte ihre ganze Kraft und als sein Atem sie erneut traf, wurde sie übermächtig und drohte, Olivia zu zerstören, wenn sie nicht freigelassen wurde.

    Wie ein Sturm wütete sie hinter ihren dunklen Augen.

    Und dann hielt sie nichts mehr zurück.

    Sie riss ihn an den Haaren nach hinten, rammte ihren Ellbogen in seinen Hals, das Knie voller Wucht in seinen Bauch und während er aus seiner Starre erwachte, hatte sie ihn schon zu Fall gebracht. Mit einem dumpfen Knall landete er auf dem Boden, rappelte sich jedoch schnell wieder auf, während sie vom Podest sprang.

    Beide liefen langsam im Kreis umeinander herum, wie zwei Feinde in einer Arena. Denn genau das waren sie. Blut rann aus seiner Nase und bedeckte Teile seines Kopfes und seines Gesichts. Er versuchte, nicht verwirrt zu wirken, doch sie konnte sehen, dass er sie noch nicht erkannt hatte. Dann konnte sie die Bombe jetzt genüsslich hochgehen lassen.

    Ihren nächsten Worten verpasste sie einen spöttischen Unterton. „Lamero, voreilige Schlüsse zu ziehen, war noch nie eine kluge Idee von dir gewesen. Der Spott wich einer leichten Arroganz. „Wie gut, dass ich da anders bin.

    Wenige Sekunden bis zur Explosion.

    „Eine der wenigen hilfreichen Eigenschaften, die ich von meinem Vater habe."

    Und boom.

    Olivia legte eine Pause ein, bevor sie hinzufügte: „Aber das weißt du ja nur allzu gut."

    Einige Haarsträhnen fielen in ihr Blickfeld, während ihre Augen weiterhin jede seiner Bewegungen verfolgten. Ihr entging nichts. Das schnelle Heben und Senken seines Brustkorbes, der Unglauben in seinem Blick und besonders die Angst, von der er nun überschwemmt wurde.

    Olivia blickte ihm in die weit aufgerissenen, in diesem Licht fast schwarz wirkenden Augen und redete einfach weiter. „Du erinnerst dich. Das ist wirklich gut für mich, aber weißt du, was wirklich schlecht für dich ist? Wenn man außer Acht lässt, dass ich stärker denn je und ganz offensichtlich nicht zum Kuscheln hierhergekommen bin?"

    Spaß hatte sie an dieser Situation definitiv. Auf eine Antwort wartete sie erst gar nicht, weil sie aus seinem geschockten Gesicht ablesen konnte, dass er nicht in der Lage war, ihr zu antworten.

    „Ich kann mich auch erinnern …"

    Ihre Augen funkelten wie geschliffene Diamanten.

    „… an absolut alles."

    Bilder fluteten ihren Kopf.

    „An jede grausame Sekunde, in der ich gelernt habe, das Wort ‚Schmerz‘ ganz neu zu definieren."

    Ihre Vergangenheit hatte zwar Narben hinterlassen, doch das ließ sie nicht von ihrem Plan abkommen. Unbemerkt holte sie hinter ihrem Rücken ein Messer hervor, dessen Klinge im dumpfen Licht bedrohlich glitzerte. Jedes ihrer Kleider besaß unauffällige, eingenähte Taschen, in denen sie kleinere Waffen verstecken konnte. Mit der Hand umschlang sie den Griff des Messers langsam, aber sicher. Er hielt währenddessen ihrem vernichtenden Blick stand.

    „Ich spüre deine dreckigen kleinen Finger heute noch auf mir. Meine Schreie hallen heute noch in meinen Kopf nach und die Qual, mit der du mich als Erster bekannt gemacht hast, wird mich vielleicht nie wieder loslassen. Du warst der Allererste. Sozusagen der Schütze, der die Jagdsaison eröffnet hatte. Aber wer denkt an das Reh, das aus seinem schönen, unbehelligten Leben gerissen wird? Keinen von euch hat es jemals interessiert, welchen körperlichen und seelischen Höllenqualen ihr mich ausgesetzt habt. Aber weißt du, was das Schlimmste ist?"

    Die Luft war zum Zerreißen gespannt.

    „Ich kann es nicht vergessen. Das leichte Zittern, das ihre Worte begleitete, bemerkte er zum Glück nicht. „Nicht nur das, was du getan hast, sondern jeden einzelnen Tag, an dem ich zwischen Mauern aus Schmerz und Leid gefangen war. Es ist schon so tief in mir, hat sich festgeklammert und mein Herz zu Stein verwandelt. Ich muss die Erinnerungen verdrängen, sonst drohen sie, mich zu zerreißen. Und es braucht nur eins, damit sie Ruhe geben …

    Das bösartige Grinsen schlich sich an seine gewohnte Stelle, während sie weiterredete.

    „Rache, Lamero."

    Ihre Worte schienen den Raum einzufrieren und jagten ihm eine ungewohnte Gänsehaut über den Rücken. Sie fasste das Messer fester. „Rache an allen. Dich eingeschlossen. Doch wie soll ich mich rächen, wenn ich doch will, dass ihr denselben Schmerz spürt wie ich damals?"

    Die Antwort würde er wohl nie erfahren, denn sie nutzte den Moment der Ablenkung, in dem er sich zurückerinnerte, und schoss mit dem Messer in der Hand vor. In einer flüssigen Bewegung stach sie es ihm in die Brust, und als sie es umdrehte, ging er zu Boden. Blut spritzte auf die schwarze Wand hinter ihm und hinterließ Spuren ihrer Rache.

    Während sie sich über seinen noch warmen Leichnam beugte, konnte sie das erste Mal seit Wochen wieder richtig einatmen. Sie genoss es und entspannte sich sichtlich, bis Schritte auf dem Gang hinter der Tür sie an ihr zweites Ziel für diesen Abend erinnerten.

    Lameros schwerer, lebloser Körper hinterließ eine Blutspur auf dem dunklen Vinylboden, doch das kümmerte sie nicht, als sie seinen Leichnam hinter das Podest zog. Dann positionierte sie sich in der düsteren Ecke neben der Tür und wartete ab. Das Adrenalin begann erneut, ihren Körper zu fluten.

    Die Schritte kamen näher und näher und ihr Herzschlag beschleunigte sich, während ihre Hand das leichte Messer weiterhin umklammerte. Blut tropfte von dessen Spitze wie die Körner einer Sanduhr, die von oben nach unten fielen und die Sekunden zählten, die Ricardo noch ruhig leben konnte. Schließlich öffnete sich die Tür. Olivia atmete angespannt ein und vernahm seinen herben Geruch nach Alkohol. Ricardo schloss die Tür vorsichtig, wie wenn er die Gefahr in diesem Raum, die von ihr ausging, bereits spürte.

    Als er einen Schritt nach vorn machte, schabten seine Schuhe über den Boden, und das Geräusch, das sie dabei machten, war in der Stille des Raumes überdeutlich zu hören. Es hallte von den Wänden wider wie das Echo in einer riesigen Höhle.

    In dem Moment, in dem er sich in ihre Richtung drehte, offenbar Lamero suchend, stürzte sie sich auf ihn, schnitt ihm tief in die Schulter und legte ihm sorgfältig die Schneide des Messers von hinten an den Hals. Er gab erstickte Laute von sich, doch verstummte, als sie fester zudrückte.

    „Ricardo. Sie flüsterte seinen Namen fast. „War ja klar, dass ich auch dich hier finde. Kalt lachte sie in sein Ohr.

    Dies war der Augenblick, in dem er sie erkannte. Sie und die Rache, die sie forderte. Die, die sie meinte, zu Recht zu verlangen.

    Er blieb ruhig, weil er ahnte, dass sie bei der kleinsten Bewegung zustechen würde. Ricardo war clever und so wusste er in Sekundenschnelle, mit wem er es zu tun hatte und auch, dass sie ihn umbringen, vorher jedoch noch etwas loswerden wollte. Er ließ es zu. Schließlich war für ihn im Moment alles besser als der Tod, so viel wusste er.

    „Lamero hat seine Strafe bereits erhalten."

    Er entdeckte die Blutspur auf dem Boden. Die Angst packte ihn. Er wollte noch nicht sterben, deswegen fing er an, sie herauszufordern, zu provozieren, zu überreden. Erbärmlich feilschte er um sein Leben.

    „Wieso? Wieso willst du uns töten, Olivia?" Ihren Namen spuckte er aus wie etwas Verdorbenes.

    Erneut lachte sie. Ihr Atem traf sein Ohr, während ihm ein Schauer den Rücken hinunterlief. Er bereute die Frage bereits, als die Klinge seine Haut einritzte.

    „Hast du es etwa vergessen? Was Lamero mir angetan hat, war zwar schrecklich, aber was du mir angetan hast, hat eine sichtbare Narbe hinterlassen, die ich nie wieder loswerde!"

    Seine Angst war völlig neu für sie.

    Völlig neu und so wunderschön.

    „Jedes verdammte Mal, wenn ich meine Schulter anschaue, jedes einzelne Mal, wenn ich sie im Spiegel sehe, werde ich unfreiwillig an dich und die Schmerzen, die du mir zugefügt hast, erinnert. Es ist unverzeihlich, unvergessen und leider auch unauslöschlich. Nicht einmal die Zeit hatte die Macht, diese Wunde heilen zu lassen. Ich musste so viel durchstehen. Und wieso? Wegen euch! Der Zorn in ihrer Stimme war unüberhörbar. „Deshalb muss ich so weit gehen.

    Zuerst konnte sie seine Reaktion darauf nicht deuten, doch dann wurde ihr bewusst, dass es Abscheu war.

    „Ich erwarte nicht, dass du es je verstehen wirst. Du hast es ja nicht am eigenen Leib gespürt. Das Leid, der Schmerz, der Hunger, die Einsamkeit und noch so vieles mehr zehren selbst an dem stärksten Kämpfer, saugen selbst aus den schwächsten Seelen noch den Rest Hoffnung, und der Schmerz, von ihm bin ich heute immer noch gezeichnet. Und du, du trägst deinen Teil dazu bei wie jeder andere dort auch."

    Das Messer grub sich noch tiefer in seine raue Haut, während sie zischte: „Und jetzt, Ratte, frag noch einmal, wieso ich mich nach Rache verzehre."

    Ein paar Zentimeter noch und sie würde ihm die heftig pulsierende Halsschlagader durchtrennen. Das Blut lief bereits in rot-glitzernden Schlieren an ihm herab und leckte am Boden, während der Strom immer stärker wurde.

    „Ich kann erst wieder aufatmen und entspannt leben, wenn ich weiß, dass jede alte Rechnung beglichen ist. Ich will leben, doch bin gefangen in den Erinnerungen, die ihr geschaffen habt, wie in einem Käfig. Ich werde wieder frei atmen können, doch das wirst du nicht mehr mitbekommen. Denn Rache zu verlangen, ist das eine, aber sie zu bekommen, das andere. Keine Sorge, du wirst in der Hölle nicht lange allein bleiben." Mit diesen Worten schnitt sie ihm die Kehle durch und ließ ihn leblos auf den Boden prallen.

    Die Genugtuung durchflutete sie kurz darauf wohltuend in einer einzigen großen Welle, nahm ihr für einige Momente die Schmerzen der Vergangenheit und erschuf in ihren Gedanken eine Zukunft ohne jegliche Form von Leid. Als sie tief einatmete, vernahm sie den Geruch von beglichenem Blut. Er heilte sie. Zumindest einen kleinen Teil ihrer zersplitterten Seele, doch das war für den Augenblick genug.

    Lange brauchte Olivia nicht, um ihre Spuren verschwinden zu lassen. Niemand würde sie verdächtigen, wenn das Kartell die Leichen finden würde. Zwar war das Spurenverwischen nie ihre größte Stärke gewesen, doch sie hatte Mittel und Wege gefunden, es genauso gut zu erledigen wie ein Profi.

    Als sie die Tür öffnen wollte, konnte sie das glückliche Lachen, das ihre Kehle hinaufschlich, nicht mehr zurückhalten. Und so lachte sie. Getragen vom Adrenalin hallte es von den Wänden des Raumes wider und fühlte sich an wie der erste Schluck Wasser nach einer langen Dürre. Es tat ihr gut.

    Dann trat sie mit ernster Miene hinaus. Entscheidend war nun, schleunigst zu verschwinden. Aus sicheren Quellen wusste sie, dass im gesamten Club, wieso auch immer, keine Kameras vorhanden waren. Dennoch war das Zimmer hinter ihr zum Tatort geworden. Klugerweise hatte sie ein Kleid an, dessen Farbe sich mit den Blutspritzern auf ihm reibungslos deckten.

    Immer noch erfüllt von innerlicher Freude machte sie sich auf den Weg zum Ausgang. So endete der Tag doch gut.

    Die Menschenmasse auf der Tanzfläche war dichter und um einiges größer geworden, was es ihr zusammen mit der lauten Musik nicht leicht machte, sich hindurchzukämpfen. Doch sie war es gewohnt, zu kämpfen.

    Wenigstens das, eine sinnvolle Sache, hatte ihre Vergangenheit ihr beigebracht. Sie hatte Olivia geprägt, ihren Geist geformt und sie vieles gelehrt, doch sie hatte es nie geschafft, ihren Willen vollständig zu brechen.

    Und niemals würde sie das, so viel war sicher.

    Plötzlich rempelte sie jemand an, sodass sie gedankenversunken nach hinten stolperte. Sofort setzte sie zur Attacke auf den unmöglichen Idioten an. Sie hielt ihn am Arm fest und drehte ihn zu sich um, während sie gegen den Lärm der Musik anschrie. „Hey, Vollidiot! Hast du etwa keine Augen im Kopf?!"

    Als sie ihn sich genauer anguckte, bemerkte sie erschrocken, dass es Zayn war. Zayn, der überhebliche Typ von heute Mittag. Er trug eine Jeans und ein lockeres, weißes Shirt, welches seine Silhouette betonte. Schockiert musste sie zugeben, dass er echt gut aussah. Das mahagoni-farbene Haar fiel ihm in die Stirn und brachte seine saphirblauen Augen betörend zur Geltung. Das war ihr heute Mittag gar nicht aufgefallen. Auf einen Schlag wirkte er ganz anders auf sie.

    Davon ließ sie sich aber nur kurz beirren. „Zayn, dass du keine Augen im Kopf hast, hätte ich mir ja denken können. Trotzdem wundert es mich, wie du in diesen Club gekommen bist. Welche kreativen Beschuldigungen gegen den Türsteher musstest du dir dafür denn ausdenken?"

    Amüsiert funkelten ihre Augen. Sie liebte es, zu spielen. Besonders mit Jungs wie ihm. Olivia sah die Überraschung in seinem Blick kurz aufflackern, bevor er etwas tat, womit sie nicht gerechnet hatte: Er lachte.

    Unwillkürlich lief ihr ein wohliger Schauer über den Rücken, während der Laut seines Lachens in ihr ein warmes, angenehmes Gefühl auslöste. Sie war verwirrt von sich selbst. So etwas fühlte sie sonst nie. In ihrem hasserfüllten Leben fand sich dafür schlichtweg kein Platz. Kurzzeitig war sie sprachlos.

    Zayn konterte währenddessen allzu selbstbewusst: „Was ist? Habe ich dir etwa die Sprache verschlagen? Wenn allein mein Aussehen dich derart fesselt, was wirst du dann erst machen, wenn ich dich mit meinem Charme vollkommen eingenommen habe?" Herausfordernd blickte er sie an.

    Zwar wirkte er wirklich fesselnd auf sie, aber so ließ Olivia nicht mit sich reden! Sie setzte zum Gegenschlag an. „Du sollst Charme besitzen? Vielleicht siehst du gut aus, aber bevor du mit dieser Gewissheit dein Ego aufpolierst, sag ich dir jetzt mal was: Ich werde dich stets als den Kerl in Erinnerung behalten, der zum Rektor gerannt ist, weil er von einem

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