Dream of a Stretcher: Eddies Traum
Von Enrico Schmidt
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Buchvorschau
Dream of a Stretcher - Enrico Schmidt
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
vielen, vielen Dank dass Sie sich für dieses Buch entschieden haben! Was ein bisschen wie die standardisierte Floskel aus dem Einzelhandel klingt, meine ich wirklich ehrlich. Dies ist mittlerweile mein viertes Manuskript, das ich selbst verlege und ohne meine Leser wäre es nie entstanden. Nach »Warum sollte es anders sein?« meinem ersten, wirklich ernstzunehmenden Roman-Projekt war ich nicht sicher, ob ich je wieder ein Buch schreibe. Doch dann kamen Menschen auf mich zu und sprachen mich auf mein Werk an. Ich hörte über drei Ecken Geschichten von Leuten, die meinen Roman, meine Arbeit, meine Idee in Buchhandlungen anpriesen und dafür warben, es solle selbst als Indie-Buch in das Geschäfts-Portfolio aufgenommen werden – dass dieses Vorhaben aus Rechtsgründen von vorn herein zum Scheitern verurteilt war, war für mich dabei nur eine Randnotiz. Erfahrungen wie diese und viele andere haben mich den Gedanken mit dem Schreiben aufzuhören doch sehr schnell verwerfen lassen. Dafür bin ich sehr dankbar und hoffe, ich kann dem interessierten Leser etwas zurückgeben, indem ich ihm oder ihr zumindest ein paar Stunden gute Unterhaltung verschaffe – gerne auch mit einigen Momenten des Innehalten und Nachdenkens.
Wie schon seine Vorgänger entstand »Dream of a Stretcher – Eddies Traum« komplett in Eigenregie – selbst das Cover unterstützt die erste Silbe des Wortes Selfpublishing diesmal vollständig. Nur bei einer der Illustrationen hatte ich Hilfe, Sie werden sicherlich feststellen um welche es sich handelt (den Namen ihres Schöpfers finden Sie in der Rubrik »Danksagungen«). Komplette Eigen-verantwortung meint in diesem Fall auch, dass das Buch weder vor noch nach seiner Veröffentlichung professionell lektoriert wurde. Ich halte es nur für fair, dies an dieser Stelle zu erwähnen. Ich war dennoch um ein optimales Lesevergnügen bemüht und konnte auf die tatkräftige Unterstützung vieler toller Beta-Leser zurückgreifen. Ich wünsche mir, dass sich das Ergebnis sehen und lesen lassen kann.
Zum Buch selbst sei an dieser Stelle nur gesagt, dass es sich beim Wort »Stretcher« um den englischen Begriff für Bahre oder auch Krankentrage handelt, wie sie häufig bei Unfällen oder anderen Tragödien zum Einsatz kommt. Dies ist elementarer Gegenstand einer Geschichte, die nur aufgrund ihres Schauplatzes und einer eigenwilligen Marotte (ich gebe meinen Werken abwechselnd deutsche und englische Namen) einen englischsprachigen Titel trägt.
Was es mit jener Bahre und den Erlebnissen des Protagonisten Edward »Eddie« Jefferson auf sich hat, erfahren Sie am besten selbst.
Dabei wünsche ich wie immer viel Spaß
Enrico Schmidt
1
In diesem Jahr setzte das typische Aprilwetter schon im Februar ein. Das bisschen Schnee, das während des überaus milden Winters vom Himmel herab rieselte, war längst verschwunden. Es regnete nur noch, seit drei Tagen schon. Und vermutlich würde es morgen wieder regnen. Sah man aus dem Fenster, blickte man nur auf leere Straßen. Kaum eine Menschenseele traute sich vor die Tür und belebte den grauen Asphalt mit ein wenig Farbe. Die wenigen, die es doch aus der wohligen Wärme ihres Wohnzimmers hinaus zog in den ungemütlichen Regenguss dieses Sonntags, trugen ihre dunklen Mäntel und Winterjacken – wenig hilfreich. Es war ein Tag, an dem man am besten im Bett blieb. Vermutlich wäre dies auch das gewesen, was Eddie Jefferson hätte tun sollen.
»Ihr müsst jetzt nicht gehen«, rief er mit Blick aus dem Fenster. Der Adressat dieses Satzes befand sich nicht im selben Raum mit ihm. »Sieh dir dieses Sauwetter an! Wartet wenigstens, bis der Regen aufgehört hat«, hängte er noch dran, wohl wissend, dass dieser Schauer heute vermutlich gar nicht mehr nachlassen würde.
»So schlimm ist es nicht. Außerdem haben wir Regenschirme«, entgegnete eine ihm vertraute Stimme. Sie gehörte einem Menschen, der ihn jetzt gleich verlassen würde. Als er die Laute, die aus dem Nebenzimmer an sein Ohr drangen, hörte, ging Eddie vom Fenster zur anderen Seite des Wohnzimmers. Dort stand die Stereoanlage. Sofort schallte Behind Blue Eyes über das 7.1-System in alle Winkel des Raumes. Das Original, keine kommerzielle Coverversion – Eddie legte großen Wert darauf. Noch viel wichtiger war jedoch seine Gewissheit, dass es gleich zwischen ihm und der Person im Nebenraum ziemlich laut werden würde. Die Anlage musste diesen Krach übertönen, damit sie nichts davon mitbekam. So handhabten sie es nun schon seit Monaten. Auch stellten sich beide Seiten nie die Frage, ob sie nicht inzwischen längst beim Klang der Stereoanlage Bescheid wusste.
Behind Blue Eyes war noch nicht einmal zur Hälfte durchgelaufen, da verstummte der Song auch schon wieder. Abgeschaltet wurde die Anlage mittels Fernbedienung, die linker Hand neben der Tür auf einem weiß-lackierten Sideboard lag. Offenbar würden die beiden jetzt doch nicht streiten. Es hatte den Anschein, als bestünde für eine der Parteien keine Notwendigkeit dafür, da längst alles gesagt war. Eddie wandte den Kopf in Richtung der Wohnzimmertür. Dort blickte er in das hübsche Gesicht einer jungen Frau. Ihr Name war Jeanine. Sie studierte nebenbei noch und war die wohl ehrgeizigste Jung-Redakteurin der Hale&Harrow, einer renommierten Tageszeitung. Mit ihr hatte Eddie die letzten sieben Jahre geteilt, doch wie es aussah, würden sie dieser verflixten Zahl nun zum Opfer fallen.
»Ich habe jetzt alles«, sagte Jeanine bestimmend und fuhr sich gleichzeitig mit der rechten Hand durch ihr kurz geschnittenes, rotes Haar. Nach außen versuchte sie, ihre innere Anspannung zu verdrängen, doch es gelang ihr nur mäßig. Das hier fiel auch ihr nicht leicht. Für sie wäre es einfacher, wenn Eddie an jenem Sonntag wie versprochen nicht vor Ort gewesen wäre. Er habe zu arbeiten, hatte er ihr prophezeit, um dann am ausgemachten Tag doch vor ihr zu stehen. Sei’s drum, Jeanine würde sich nicht beirren lassen. Dieses eine Mal noch, dann müsste sie nicht mehr hierher kommen.
Vor nicht allzu langer Zeit nannte Jeanine diese Maisonette, welche die beiden obersten Etagen eines fünfstöckigen Hauses bildete, ihr eigenes Heim. Doch vor ein paar Tagen zog sie überraschend aus und nahm Töchterchen Lillie mit sich, die gerade vergnügt in einem der Nebenzimmer mit ihren Puppen spielte. Jetzt war Jeanine dabei, die letzten Sachen aus ihrem alten Zuhause zu holen. Danach würde sie ihrer Vergangenheit »Lebewohl« sagen, sofern sie könnte.
Eddie hatte die Entscheidung seiner Partnerin überrascht, doch zutiefst erschüttert zeigte er sich nach außen hin nicht – zunächst. Eddie war erst vierundzwanzig. Jeanine, die drei Jahre jünger war, bekam Lillie mit siebzehn. Als sie vor dem Gesetz die notwendige Legitimation erhielten, heirateten die beiden. Dem überaus jungen Paar fehlte es nie an etwas, höchstens an Erfahrung. Eddie entsprang einer wohlhabenden Familie erfolgreicher Unternehmer. Früher oder später würde er die Firma seines Vaters übernehmen. Darauf wurde er getrimmt.
»Wohin werdet ihr jetzt gehen?«, fragte Eddie an Jeanine gerichtet.
»Ich habe uns etwas in der 13th organisiert. Eine Freundin, die dort wohnt, ist für mehrere Monate verreist. Die Wohnung steht also leer.«
»13th? Mit einem Anruf kann ich was Besseres klarmachen.« Mit Sicherheit könnte er das – Eddie sollte einmal die halbe Straße erben. Dazu besaß seine Familie weitere Immobilien ringsum und im Zentrum der Stadt.
»Wir kommen allein klar«, entfuhr es Jeanine. Auf Eddies Almosen konnte sie verzichten. Als er sich ihr näherte, verschoben sich ihre weichen Züge zu einer trotzigen Mine. »Ich werde jetzt Lillie holen«, fuhr sie fort und nahm ihren Blick von seinem. Für Eddie bot sich keine Gelegenheit für einen Kommentar, denn Jeanine drehte ihm postwendend den Rücken zu und stampfte in Richtung des Kinderzimmers.
»Komm Schatz! Mami hat jetzt alles, was wir brauchen!«, rief sie in den Raum hinein. Eddie stand mit etwas Abstand im Flur, als er sah, wie seine Tochter mit winzig-kleinen Schritten aus ihrem Zimmer getapst kam. Als sie sich nach rechts drehte, blickte Eddie in die großen, haselnussbraunen Knopfaugen. Er würde diese Augen wiedersehen, doch es würde eine Weile dauern. Das kleine Kind hatte alle Hände voll zu tun, seine beiden ihm liebsten Spielzeuge mit sich herumzutragen. In der einen Hand hielt sie eine ihrer Puppen, die größte und schönste, die sie selbst auf den Namen Mimmy taufte. In der anderen Hand trug sie eine aus Fichtenholz und Palisander gefertigte Ukulele. Dieses Instrument war so etwas wie Eddies vorläufiges Geburtstagsgeschenk an sie, denn Lillie würde bald vier Jahre alt werden. Edward »Eddie« Jefferson war in seinem Leben nie besonders kreativ, wenn es um das Schenken ging. Doch in diesem Jahr wähnte er sich in dem Glauben, bei seiner Tochter den richtigen Riecher gehabt zu haben. Er war so gespannt auf Lillies Reaktion, dass er ihren Geburtstag nicht abwarten konnte und ihr die Ukulele deshalb sofort gab. Entgegen seiner Erwartungen war Jeanine damit einverstanden und ließ ihn dieses Vorhaben ohne zu lamentieren umsetzen. Während Eddie so im Flur stand, dämmerte es ihm. Jeanine musste zu diesem Zeitpunkt schon gewusst haben, dass er sein Kind an seinem Geburtstag nicht sehen würde. Dass sie ihn gewähren ließ, weil sie so ein Gefühl der Vorfreude bei ihrem Partner bis dato nicht kannte, kam ihm nicht in den Sinn.
»Sag deinem Daddy auf Wiedersehen!«, wies Jeanine ihre Tochter an und deutete mit dem Finger in Eddies Richtung. Die Kleine ließ sich nicht zweimal bitten, übergab der Mutter kurzerhand Ukulele und Püppchen Mimmy und rannte auf ihren Vater zu, um diesen dann herzlichst zu umarmen.
»Auf Widersehen!«, sagte Lillie zu ihrem Vater aufschauend und löste den Griff um ihn. Alles, was Eddie ihr entgegnete, war ein stumpfes Kopfnicken, ehe er die Lippen zu einem gequälten Lächeln verzog – zu mehr reichte es nicht. Seine Kehle war auf einmal wie zugeschnürt.
»Ich bring euch noch raus«, stieß er aus. Dann setzten sich die drei in Bewegung. Jeanine warf den Mantel über und zog sich die Stiefel an, während Eddie mit Jacke, Schal, Mütze und Schuhen dafür sorgte, dass Lillie für Regen und Kälte gerüstet war. Keiner sagte etwas. Dass es so merkwürdig werden würde, hatte nicht einmal Eddie erwartet. In seinem Kopf spukte allen Ernstes der Wunsch, er hätte an diesem verregneten Sonntag wirklich zu arbeiten gehabt. Dann wäre ihm zumindest dieser kalte Abschied erspart geblieben. Auch Jeanine tat bis zum Schluss nichts, um den Moment irgendwie zu erwärmen. Keine allerletzte Umarmung, geschweige denn ein letzter Kuss. Bewaffnet mit ein paar großen blauen Säcken, in denen ihre sieben Sachen verstaut waren, folgte sie ihrer Tochter ins Erdgeschoss hinab. Sie wandte sich nicht um. Nur Lillie blieb einen Moment stehen und hob die Hand für einen letzten Wink in Eddies Richtung, der