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Die Hexe und der Schnüffler: Hauptstadt Chroniken V
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eBook299 Seiten4 Stunden

Die Hexe und der Schnüffler: Hauptstadt Chroniken V

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Über dieses E-Book

Dies ist der 5. Teil der Hauptsadt-Chroniken und der 2. Roman mit dem Protagonisten Andy. Er greift offene Handlungsstränge aus dem 1. Teil auf und verknüpft Andys Leben mit dem weiterer Akteure des Multiversums.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. März 2015
ISBN9783738019360
Die Hexe und der Schnüffler: Hauptstadt Chroniken V

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    Buchvorschau

    Die Hexe und der Schnüffler - Inga Kozuruba

    Dankessagung

    Ich danke Harald für seine Geduld und seine Genauigkeit beim Korrekturlesen. Möge dir der Kaffee nie ausgehen!

    Ich danke Sandy für ihre Ideen und Ansichten!

    Ich danke allen, die mich unterstützt haben!

    Prolog

    Es war zu einfach. Steve stand in den zermalmten Überresten derer, die ihn hatten aufhalten wollen. Seine Hände waren voller Blut, seine Kleidung besudelt – und nichts davon stammte von ihm. Es waren alles ihre Leute. Die Gnadenlose warf ihm ihre Bauern entgegen jedes Mal, wenn sich ihr die Chance dazu bot. Hoffte sie etwa darauf, dass er eines Tages einen Fehler machen würde? Als ob er ihr diesen Gefallen tun würde.

    Steve ging auf die Knie und sah sich die Leichen an. Er wusste, was er tun musste, auch wenn er sich noch immer nicht daran gewöhnen konnte. Corry hatte ihm beigebracht, wie die Profis selbst Leichen dazu nutzen konnten, Geheimnisse zu enthüllen. Wer unter Folter nichts preisgab, war als Leiche oftmals hilfreicher – wenn die Leiche noch frisch war. Diese Leichen waren es. Wie ein Rabe pickte Steve ein Auge nach dem anderen heraus, erst das rechte, dann das linke, und schlang sie eines nach dem anderen herunter, ohne sie zu zerbeißen. Hätten seine toten Freunde ihm nicht beigebracht, sich zu beherrschen, er hätte sich schon beim ersten Auge übergeben. Doch er tat es nicht – und er begann zu sehen, was die Toten gesehen hatten, und damit auch zu fühlen, was sie gefühlt hatten, und schließlich zu wissen, was sie gewusst hatten. Was für ein Glück – das waren mehr als nur einfache Schläger. Sie hatten etwas von den Plänen ihrer Herrin mitbekommen, und das ganz ohne ihre Absicht. Sie hatten wohl gehofft, sich damit einen Vorteil zu erkaufen. Nun erkauften sie ihm damit einen Vorteil.

    Dass die Gnadenlose ihn tot sehen wollte, das war für ihn kein Geheimnis. Schließlich beruhte das auf Gegenseitigkeit. Dass sie auch allen anderen Überlebenden des von ihr ausgelösten Massakers an den Hauptstädten nur das Schlimmste wünschte, auch das war sonnenklar. Und natürlich hatte sie ein spezielles Plätzchen in ihrem giftigen Herzen für Andy reserviert, der die Schlüsselrolle in der Vereitelung ihres Planes gespielt hatte. Dass ihre ganzen Manöver jedoch nur davon ablenken sollten, ihr Werk zu vollenden, indem sie ausgerechnet Andy tötete, das war neu. Das hätte Steve nie gedacht – und es kränkte ihn ungemein. War er nicht der wahre Auserwählte gewesen? War Andy nicht einfach nur jemand gewesen, der aus Versehen in diesen Zug gestiegen war?

    Für einen Moment dachte sich Steve, dass er sich da eigentlich gar nicht einmischen sollte. Die Gnadenlose bildete sich Andys großen Wert sicherlich nur ein. Sollte sie sich doch den armseligen Schnüffler schnappen. Und wenn Andy tot war, würden sich die anderen an ihn wenden, weil ihnen kein anderer Träumer bleiben würde. Der Gedanke war zu verlockend und zu schön, um sich ernsthaft darauf einzulassen. Wenn es ihr Plan war, dann konnte er ihn nicht unterstützen, selbst dann nicht, wenn er davon profitieren würde. Es wäre Verrat an seinen Freunden. Also würde er irgendwie dafür sorgen müssen, dass Andy überlebte.

    Steve erhob sich und sah sich um. Um ihn herum befand sich eine Großstadt, eine von vielen in den Myriaden der Möglichkeiten, die Elaine geschaffen hatte. Die Gnadenlose hatte sich mit Absicht weit weg von den Hauptstädten und von Andys und Steves Heimatwelt niedergelassen – damit es ihren Gegnern nicht so leicht fiel, den Zugang zu ihrer Domäne zu finden. Sie hatte sich ein Labyrinth aus Netzwerken aufgebaut und sich hinter tausend Masken verschanzt. Steve glaubte, auf halbem Weg durch dieses Dornengestrüpp zu sein – jetzt umzukehren wäre eine Vergeudung von Zeit. Er musste jemand anderen schicken, der auf Andy achten würde. Jemanden, der ihm noch einen Gefallen schuldig war.

    Ohne es zu merken, imitierte Steve Ironys nachdenkliche Geste, indem er seine Augen schloss und mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand den Nasenrücken zu massieren begann. Es gab nicht allzu viele Leute, die ihm derzeit Gefallen schuldig waren, weil er auf der Jagd nach der Gnadenlosen eine Menge davon aufgebraucht hatte. Und diejenigen, die ihm noch blieben, konnte er unmöglich für Andys Rettung vergeuden, dafür waren das zu wertvolle Verbündete. Ihm blieb genau eine Alternative – und auch wenn er sich nicht sicher war, ob diese Person in der Lage war, Andy zu helfen, so konnte er sich keinen anderen Zug erlauben. Also zückte er sein Handy, und zwang es in der Sprache der Tiefe, eine seiner neuen Freundinnen anzurufen.

    Die Rückkehr der Schatten

    Das Telefon klingelte überraschend. Andy hatte keinen Anruf erwartet, aber er kannte die Nummer, und er wusste, dass ihn jemand wichtiges anrief. Also hob er den Hörer schnell ab.

    „Hi Andy, ich bin's, David. Es ist schon wieder ein junges Mädchen spurlos verschwunden, genauso wie bei dem anderen Fall. Ich dachte, vielleicht kannst du uns bei der Suche behilflich sein. Vielleicht haben wir diesmal mehr Glück."

    David war sein Kontaktmann bei der Polizei und jemand, der einem Freund am nächsten kam. Die beiden Männer trafen sich einmal die Woche abends in ihrer gemeinsamen Lieblingskneipe, sahen sich dort Sportübertragungen an oder spielten die eine oder andere Partie Billard oder Darts. Es war nichts besonderes, aber Andy war sich sicher, dass er diese Abende vermissen würde, wenn... ja, wenn was? Er wusste es nicht mehr. In dieser Woche würden sie sich also häufiger treffen als üblich. Andy griff nach seiner Akte, die er zum Fall Elaine Ellis angelegt hatte, und machte sich auf den Weg.

    Er hatte ein mulmiges Gefühl, als er in die U-Bahn stieg, warum auch immer, aber es war wohl nur ein falscher Alarm. Bis auf eine Minute Verspätung passierte nichts während der Fahrt, und das war nichts ungewöhnliches. Auch Andys paranoide Blicke in die dunklen Fenster fanden darin nichts besonderes. Was hatte er eigentlich dort zu sehen erwartet? Er brauchte dringend Urlaub. Allerdings war jetzt nicht die richtige Zeit dafür.

    Er fand David in seinem Büro zusammen mit einigen anderen Ermittlern. Diese brüteten offensichtlich über den wenigen Informationen, die ihnen derzeit zur Verfügung standen. Wie Elaine war das Mädchen aus einer abgeschlossenen Wohnung ohne Einbruchspuren verschwunden. Wie bei Elaine waren sowohl die Wertsachen als auch das Geld unangetastet geblieben. Wie bei Elaine fehlte nichts bis auf einen Satz Kleidung und Schuhe. Aus einem unerklärlichen Grund fühlte Andy sich plötzlich betrogen. Er konnte nur nicht sagen warum.

    Das verschwundene Mädchen sah Elaine ähnlich, nur waren ihre Haare dunkler und ihre Augen nicht blau, sondern braun. Ihr Name war Tina und sie war ebenfalls eine Studentin, allerdings jobbte sie nicht als Verkäuferin, sondern abends als Kellnerin. Der Name und der Anblick des Mädchens ließen irgendetwas in Andys Hinterkopf klingeln, aber jedes Mal wenn er versuchte, den Faden zu diesem Gedanken zu ergreifen, entwand sich dieser wie eine listige Schlange seinen gedanklichen Händen.

    Die Aufnahmen aus dem winzigen Appartement waren nicht wirklich hilfreich. Bei einem Bild blieb Andys Blick jedoch hängen. Der Kleiderschrank im einzigen Zimmer, das Schlaf- und Wohnzimmer zugleich gewesen war, hatte verspiegelte Türen. Die Spiegel waren groß genug, um einer erwachsenen Person als Tür zu dienen. Es waren vier an der Zahl. Vermutlich dienten sie dem Zweck, das kleine Zimmer optisch größer zu gestalten. In Andy weckten sie jedoch ein merkwürdiges Gefühl von Besorgnis und Misstrauen.

    „Haben Sie irgendwelche Fingerabdrücke in der Wohnung gefunden, die zu einer fremden Person gehören?", fragte er einen der Beamten, der ihn mit einem seltsamen Blick ansah, und legte die Aufnahme beiseite.

    Der Mann schüttelte den Kopf: „Fehlanzeige. Es ist wie bei Ellis, als hätte sie sich in Luft aufgelöst."

    Warum auch immer Andy plötzlich das Gefühl hatte, jemanden verprügeln zu wollen, er konnte es sich nicht erklären. Er atmete tief durch um sich zu beruhigen. „Kann ich mir die Wohnung ansehen?"

    Die Ermittler wechselten die Blicke. David zuckte mit den Schultern: „Unsere Spurensicherung ist fertig, insofern sollte es damit keine Probleme geben. Ich glaube nur nicht, dass da noch etwas zu finden sein wird."

    „Ich versuche einfach mal mein Glück", sagte Andy ruhig. Sein Gefühl sagte ihm, dass ihm etwas auffallen könnte, das alle anderen übersehen würden. Er war schließlich auch der einzige gewesen, der den Spuren von Elaine hatte folgen können. Irgendwie. Für den Beweis ihres Todes hatte es gereicht.

    David nickte: „Gut, dann komme ich mit."

    Als sie in den Wagen gestiegen und losgefahren waren, wandte sich David an ihn: „Und? Was denkst du? Ich hab’ das Gefühl, du hattest vorhin etwas nicht sagen wollen."

    Andy sah aus dem Fenster des Beifahrersitzes auf die vorbeiziehende Stadt: „Ich kann dir nicht sagen, was es ist, aber ich habe so ein Gefühl, als ob an der ganzen Geschichte etwas nicht in Ordnung ist. Sie hätte sich nicht wiederholen sollen. Als ob man mir versprochen hätte, dass sie sich nicht wiederholen würde, verstehst du?"

    David schüttelte kurz seinen Kopf: „Nein, das verstehe ich nicht. Aber wenn deine Intuition diesmal genauso richtig ist wie im anderen Fall, dann finden wir sie vielleicht noch rechtzeitig. Denkst du wirklich, dass Elaine bei einem Autounfall gestorben ist, oder haben die Behörden dort nur Ärger vermeiden wollen?"

    Andy seufzte: „Ganz ehrlich, ein Autounfall war es nicht – und dann auch wieder doch. Es ist schwer zu erklären. Na ja, Maschinen hatten etwas damit zu tun. Das macht keinen Sinn, oder?"

    David schüttelte erneut seinen Kopf: „Nicht wirklich. Hör mal, wenn dir das zu nahe gehen sollte, kannst du jederzeit zurücktreten. Du findest sicher noch andere Fälle, um dich beschäftigt zu halten."

    Andy verengte die Augen: „Das ist es nicht. Ich frage mich nur, welches der beiden Übel mich am Ende erwartet, von denen ich dir keines beim Namen nennen kann, weil mir alles entgleitet. Als ob ich... einer Gehirnwäsche unterzogen wurde oder so was."

    „Glaubst du, dass das eine größere Sache sein könnte? Ansonsten würde sich doch keiner so viel Mühe machen."

    Andy zuckte mit den Schultern: „Im Moment weiß ich nicht, was ich glauben soll. Ich hoffe, dass alles klarer wird, wenn ich das Zimmer sehe."

    David nickte. Den verbleibenden Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend und grübelnd. Der Regen ließ nach und hörte schließlich auf, doch der Himmel blieb weiterhin bewölkt. Nach einer glücklicherweise sehr kurzen Parkplatzsuche stiegen sie aus und gingen zu dem hoch aufragenden Plattenbau, in dem sich hauptsächlich von Studenten vermietete Appartements und von Wohngemeinschaften belegte Wohnungen befanden. Andy blieb unvermittelt stehen. Ihm war, als hätte er ein sehr ähnliches Gebäude schon einmal gesehen, in irgendeinem Comicheft. Kein Wunder, dass er sich kaum daran erinnern konnte. Seit seiner Kindheit hatte er keinen Comic mehr angerührt. Wenn er sich nur genauer erinnern könnte!

    „Was ist?", Davids Stimme riss ihn aus seinem fragenden Staunen.

    „Ach, nichts. Ich hatte nur so was wie ein Déjà-vu. Gehen wir."

    Die Eingangstür sah geschlossen aus, war aber nur angelehnt. „Hm, wenn man hier so leicht ins Gebäude kommt..., David schüttelte den Kopf: „Ziemlich leichtsinnig, findest du nicht?

    Andy zuckte mit den Schultern: „Vielleicht ist da nur jemand kurz den Müll rausbringen gegangen?"

    „Auch wahr," David steuerte zielsicher den Aufzug an.

    Andys Gang stockte erneut. Irgend etwas an dieser kleinen Kabine, deren Türen sich gerade gleitend öffneten, war ihm nicht geheuer. Etwas in ihm war der festen Überzeugung, dass es eine Falle war, aus der sie nicht mehr lebend rauskommen würden. David trat seelenruhig ein und sah fragend zu Andy. Dieser schüttelte den Kopf, um diese seltsame Anwandlung loszuwerden, und folgte. In Davids Blick sah er Besorgnis und außerdem eine winzige Spur von Misstrauen. Das traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Er gab sich jedoch alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Hatte er sich auf einmal verdächtig gemacht?

    Das versiegelte Appartement lag im siebten Stock. Andy hatte das Gefühl, dass auch diese Tatsache ihm vage bekannt war, ohne sagen zu können, wo das Gegenstück lag. So langsam war es ihm nicht einfach nur unheimlich, sondern auf eine eigenartige Weise auch derart lästig, dass er regelrecht spürte, wie sich Frustration, Ärger, Wut und Abscheu in ihm erhoben wie das Ansteigen des Wassers bei einer Flut. Es war beinahe so, als ob jemand mit ihm spielen würde.

    David löste das Polizeisiegel von der Tür und öffnete sie. Dahinter erwartete die beiden Männer ein ganz gewöhnlicher Vorraum mit einem kleinen Schuhschrank, einer Garderobe, einem in der Ecke stehenden Regenschirm und einem kleinen Brett mit Haken dran, an dem ein Schlüsselbund hing. Der eigentümliche Geruch einer Wohnung, die plötzlich verwaist war, ließ einen Kloß in seinem Hals entstehen. Langsam ging er weiter nach vorne.

    Es waren vier Spiegel genau gegenüber der Schlafcouch des Mädchens, die aufgeklappt und bezogen war. Die Szene sah so aus, als wäre diejenige, die normalerweise in diesem Bett, auf diesem Laken und unter dieser Decke schlief, mitten in der Nacht aufgestanden. Die Decke war zur Seite geschoben, nichts deutete darauf hin, dass das Mädchen aus dem Bett gezogen worden wäre. Was auch immer mit ihr geschehen war, es schien nicht gegen ihren Willen abgelaufen zu sein. Aber das war bei Elaine auch nicht anders gewesen, dämmerte es Andy.

    Tina hatte geschlafen oder sich zumindest zum Schlafen hingelegt. Dann – warum auch immer – war sie aufgestanden. Und dann war sie weg, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen. Die Nachbarn hatten nichts besonderes bemerkt. Bis auf das Bett gab es in dieser Wohnung keinen einzigen Hinweis darauf, was Tina gemacht hatte. Wie konnte er erwarten, dass er noch etwas finden könnte, nachdem die Spurensicherung bereits kapituliert hatte?

    Nachdenklich drehte Andy sich vom Bett weg und erstarrte mit vor Schreck aufgerissenen Augen. In den Spiegeln standen vier Gestalten: eine bösartig grinsende Wasserstoff-Blondine, ein gehässig lachender, blonder Hühne, ein süffisant schmunzelnder, schwarzhaariger Schönling und ein sich zu Tode lachender, strohblonder Beinahe-nicht-mehr-Teenager. Die Frau winkte ihm zu. Der Jüngste im Bunde streckte beide Daumen nach oben, als würde er irgend einen drittklassigen TV-Star parodieren. Der Schönling deutete mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand nach oben, als würde er ein Ausrufezeichen bilden. Er griff in seine Aktentasche um einen Notizblock und einen Stift herauszuholen. Dann begann er, schwungvoll zu schreiben. Der Hühne sah nach links, dann nach rechts, zuckte mit den Schultern und hauchte das Glas des Spiegels an, um dann mit dem Finger ein paar Worte zu schreiben: „Wir haben sie. Keine Bange. Sie ist OK."

    „Was ist los mit dir?", Andy wurde durch Davids Stimme von den Spiegeln losgerissen und als er seinen Blick wieder in deren Richtung wandte, war der Spuk vorbei und die Spiegel wieder leer.

    Andy fasste sich an den Kopf: „Mir... geht’s nicht gut, glaube ich. Und... ich glaube, ich habe eine Spur... aber ich muss mir das alles noch durch den Kopf gehen lassen. Gehen wir." Er machte sich auf den Weg hinaus und hoffte, dass er nicht so sehr schwankte wie er es befürchtete.

    „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen", kommentierte David trocken.

    Andy hoffte nur, dass sein Freund dies nicht zu seinem Nachteil auslegen würde. In seinem Kopf erwuchs langsam die Geschichte von einem merkwürdigen Privatdetektiv, der irgendwann übergeschnappt war und zum Serienkiller junger Studentinnen wurde, weil seine Frau ihn verlassen hatte und er Frauen generell zu hassen angefangen hatte. Das letzte was er wollte war, dass David auf denselben Gedanken kam. Er würde keine Möglichkeit haben, einen solchen Verdacht jemals zu entkräften.

    Auf der Straße verabschiedete Andy sich von David mit dem Versprechen, sich sofort zu melden, sobald er sich im Klaren über seine Theorie war. Dann, als er endlich allein war, atmete er erleichtert durch, auch wenn eigentlich nichts überstanden war. Denn auch wenn Andy der festen Überzeugung war, dass die geisterhaften Freunde von Alice mit ihr zusammen im Kampf gegen den Schergen gestorben waren, so hatte er nur bei Alice selbst die Gewissheit gehabt. Wenigstens musste er nicht mehr befürchten, dass die Prinzessinnen ihn hinters Licht geführt hatten und sich hinter seinem Rücken wieder einmal jemanden geholt hatten. Was auch immer die Schatten für ein Motiv hatten, sie arbeiteten ganz sicher auf eigene Rechnung.

    Ziellos wanderte Andy durch die Straßen, während es wieder zu nieseln begonnen hatte wie an dem Tag, an dem er durch die Hauptstadt herumgeirrt war und Stück für Stück kehrten die Erinnerungen in sein Bewusstsein zurück. Zuerst waren es nur Bruchstücke, kleine Blitze, die für wenige Augenblicke mit einer beängstigenden Schärfe und Detailgenauigkeit Momentaufnahmen erleuchteten. Später wurden daraus Szenen und schließlich fügte sich alles zusammen. Sogar Elaines Geschichte, auf die er nur einen kurzen Blick erhaschen konnte, hatte er nun wieder in seinem Kopf. Die Leute aus der Hauptstadt waren alle irgendwo da draußen und warteten auf seine Entscheidung. Und als die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages vergangen waren und das Licht der Laternen in den winzigen Wassertropfen zu tanzen begann, wurde ihm klar, dass er nicht einfach untätig zusehen konnte. Diesmal waren es zwar die Schatten, die in den Spiegeln lauerten und das Mädchen entführt hatten, aber nächstes Mal würde das Gesetz der Hauptstadt erneut seinen Tribut fordern. So wie nichts auf der Welt für die Ewigkeit war, so wurde auch diese Parallelwelt immer wieder instabil, brauchte einen Träumer, um ein neues Gleichgewicht zu erreichen, und diese Geschichten endeten nicht immer mit einem Happy End. Also würde wieder früher oder später jemand sterben. Der Tod war immer das ultimative Ende einer Geschichte. Es würde sich ständig wiederholen, bis jemand es schaffen würde, dieses ungeschriebene Gesetz zu ändern.

    Doch bevor er sich auf den Weg unter die Erde auf der Suche nach dem Tornado begeben würde, musste erst noch etwas anderes in Ordnung gebracht werden. Was auch immer die Schatten mit dem Mädchen vor hatten, es war sicherlich nichts Gutes. Zum ersten Mal wünschte er sich, dass Steve nicht irgendwohin ins Unbekannte aufgebrochen wäre. Jetzt hätte man seine Rachegelüste sicherlich wunderbar in sinnvolle Bahnen lenken können.

    Die Lichter einer Bar lockten ihn an wie eine Motte. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass er sich zu nass fühlte, um noch länger im Regen herumzulaufen, wie schwach dieser auch war. Also trat er ein und blieb erst mal mit offenem Mund in der Tür stehen. Denn bestens im Blickwinkel eines jeden in die Bar kommenden Besuchers saß an einem der kleinen Tische eine schöne, rothaarige Frau mit atemberaubenden Kurven, die von ihrem Kleid und dem Lichteinfall im Raum perfekt zur Geltung gebracht wurden.

    Die Liebeshexe Arina

    Im ersten Augenblick dachte Andy, er hatte es mit dem Spiegelbild von Siren zu tun. Dann fiel ihm ein, dass Sirens Spiegelbild tot war. Und dann begann er sich zu fragen, wen er da eigentlich vor sich hatte. Indessen wandte die aufregende Unbekannte ihren Blick zur Tür, sah Andy und da erblühte auf ihrem Gesicht ein strahlendes Lächeln. Andy blinzelte verwirrt. So hat noch nie eine Frau auf ihn reagiert, zumindest keine Frau wie diese. Das schimmernde Satin in Champagnerfarbe umschmeichelte ihre weiblichen Formen mit sanftem Faltenwurf, das perfekt mit ihrer golden gebräunten, hellen Haut harmonierte. Ein dunkelroter Edelstein in Tropfenform an einer filigranen Goldkette lenkte den Blick in den tiefen Ausschnitt. Er gab sich alle Mühe, sie nicht anzustarren. Sie winkte ihn zu sich an den Tisch. Er vergewisserte sich, dass sie tatsächlich ihn und keinen anderen meinte, der zufällig neben oder hinter ihm stand, und schlenderte auf sie zu, so lässig er nur konnte. Vermutlich sah das Ergebnis grauenvoll aus. Er kam sich plötzlich wie ein alberner Teenager vor.

    Als er ihr näher kam, bemerkte er mit Erleichterung, dass das schummrige Licht ihn getäuscht haben musste. Er hatte es nicht mit Siren zu tun, auch wenn eine gewisse Ähnlichkeit durchaus vorhanden war. Bei Siren lag die Anziehungskraft jedoch vor allem in ihrer Stimme, während diese Frau eindeutig mit ihrer körperlichen Ausstrahlung bestach. Er musste sich alle Mühe geben, seine Gedanken darauf zu fokussieren, dass er noch wichtige Dinge zu erledigen hatte.

    „Hi, ich bin Arina, eine... Freundin von Steve. Er hat mich um einen Gefallen gebeten, weil Sie sich ein paar mächtige Feinde gemacht haben, die Ihnen wohl nach dem Leben trachten, wie man es so schön sagt. Ich weiß zwar nicht, warum er unbedingt der Meinung war, dass ich Ihnen behilflich sein kann, aber nun ja. Wollen Sie einen Drink?"

    Das war ganz sicher nicht Siren. Sirens Stimme hatte ein mittelhohes Timbre, war weich und samtig, konnte aber beim Singen in unglaubliche Höhen hinauffahren oder sehr tief sinken und das volle Spektrum an Ausdruck ausschöpfen. Arinas Stimme war dagegen die typische, eher hohe Frauenstimme, die jugendlich klang, von den meisten Männern zweifellos als sexy bezeichnet werden würde, aber mit Sicherheit nicht mit Sirens faszinierender Stimmenmacht mithalten konnte.

    Andy nickte wortlos. Arina winkte die Bedienung herbei und bestellte. Dann sah sie wieder zu Andy: „Wie auch immer, ich habe mir gedacht, dass es gar keine so schlechte Idee wäre, Ihnen zu helfen, da sie ja vielleicht der nächste große Held und Retter werden und überhaupt. Und da ich mich mit einigen Leuten auf gar keinen Fall verkrachen will und andere Leute wiederum genauso wenig mag wie zum Beispiel unser gemeinsamer Freund Steve, habe ich einfach mal zugesagt. Ah, die Drinks. Was dagegen, wenn ich sie mit meiner Spezialmischung würze? Ich verspreche ihnen, daneben ist Sex auf Koks eine ziemlich lahme Sache."

    Andy zog eine Augenbraue hoch und schüttelte den Kopf: „Danke, aber ich verzichte lieber".

    Arina zuckte mit den Schultern und holte aus ihrer Handtasche eine kleine Ampulle hervor, die ein leicht golden schimmerndes, rosiges Pulver enthielt. Einen Hauch davon ließ sie in ihr Glas rieseln, dann verschloss sie das Gefäß wieder sehr sorgfältig und ließ es da verschwinden, wo es hergekommen war. Andy staunte einfach nur darüber, dass sie mal nicht wie ein Wasserfall redete. Währenddessen stürzte sie ihren Drink in einem Zug herunter und seufzte wohlig.

    „Wissen Sie, sie sehen gar nicht so übel aus, Steve hatte sie wesentlich schlimmer beschrieben. Na ja, eigentlich hatte er sie gar nicht so recht beschrieben, aber in seiner Wortwahl war er selten besonders wohlmeinend. Muss wohl das Testosteron sein, sie kicherte. „Ach, und wenn wir schon dabei sind – ich bin erst kürzlich hier angekommen und suche noch eine Bleibe. Sie haben nicht zufällig etwas Platz?

    Andy trank ganz langsam seinen Drink leer, bevor er ihr eine Antwort gab. In dieser Zeit wartete sie ganz geduldig und still und wirkte nicht im geringsten genervt oder gereizt. Irgendwie hatte er kein gutes Gefühl bei der Sache, aber andererseits hatte sie eine überzeugende Vorstellung geliefert.

    „Ich nehme an, Sie... sind auch etwas... Besonderes?" Auch wenn sie sehr charmant

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