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Die Midgard-Saga - Asgard
Die Midgard-Saga - Asgard
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eBook497 Seiten6 Stunden

Die Midgard-Saga - Asgard

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Über dieses E-Book

Der Lauf der Zeit ist aus den Fugen geraten. Klar bestimmte Pfade verwischen und werden durch andere ersetzt. Loki scheint die Umstände für seine Pläne am besten zu nutzen. Früher als jemals zuvor droht die Schwertzeit anzubrechen – der Ton zwischen den Politikern Midgards wird rauer.

Thea, Wal-Freya, Thor und Juli versuchen Loki zu fassen, um seinem Treiben ein Ende zu setzen. Als dieses Vorhaben zu scheitern droht, trifft Thea eine folgenschwere Entscheidung. Geleitet von dem Gefühl, von den Göttern betrogen worden zu sein, zieht sie alleine los und lässt sich auf ein gefährliches Spiel mit Loki ein.
Ist es das wert, um Kyndill zurückzuerlangen?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum4. Dez. 2020
ISBN9783752922080
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    Buchvorschau

    Die Midgard-Saga - Asgard - Alexandra Bauer

    Prolog

    Einst trafen sich die Götter bei Ägir, dem Meerriesen, zum alljährlichen Fest der Leinernte. Kaum ein Ase verpasste je das gesellige Zusammensein. Nur Thor fehlte, denn er befand sich auf Ostfahrt.

    Frigg begleitete ihren Mann Odin, obgleich ihr Herz noch immer schwer über den Verlust ihres Sohnes war. Neben den Asen hatten sich zahlreiche Alben in der Halle versammelt. Statt Feuerlicht erhellte leuchtendes Gold den Raum. Auch Loki befand sich unter den Anwesenden. Vor nicht all zu langer Zeit hatte er Hödur die Mistel überreicht. Mit dieser schoss der blinde Gott auf seinen Bruder und tötete ihn damit. Nicht wenige Asen wollten Odins Blutsbruder für diese Tat sofort erschlagen, doch der oberste der Götter hatte alle zur Vernunft gerufen. Zwar mochte Loki Hödur überlistet haben, aber nicht er war es gewesen, der den Pfeil schoss. Deshalb beschwor der Allvater jeden Einzelnen, Asgard als Freistätte in Ehren zu halten. Diese Tatsache bewahrte Loki vor Schaden. Fortan schwieg man über die Ereignisse und niemand sprach Loki darauf an. Trotzdem schien der Sohn Laufeys von Missmut erfüllt. Mit finsterem Blick trank er das Äl. Immer wenn er den Becher geleert hatte, eilte ein Diener Ägirs herbei und schenkte ihm nach. Die Stimmung war ausgelassen, doch sie steckte Loki nicht an. Von Zeit zu Zeit fixierte er einzelne Personen mit seinem Blick, der immer dunkler wurde, je öfter die Anwesenden Ägirs Diener rühmten. Eldir und Fimafeng eilten rasch und unauffällig um die Tafel. Jedes Mal wenn sich ein Becher zu leeren drohte, füllten sie ihn.

    Als Odin zum wiederholten Mal die Tüchtigkeit der Diener lobte und sich mit Ägir fröhlich zuprostete, übertönte ein Knurren die Gespräche. Es kam von Loki. Im nächsten Moment umklammerte er seinen Krug, sprang auf und zog ihn Fimafeng über den Schädel. Jäh herrschte Stille im Saal. Geschockt erhoben sich alle von den Stühlen. Ägirs Diener lag tot auf dem Boden.

    Freya war die Erste, die in der Lage war, etwas zu sagen: „Bist du von Sinnen, Loki?", rief sie.

    „Was hast du getan?, stieß Odin fassungslos aus. „Du hast eine Friedensstätte entweiht!

    Seine einzige Hand zu einer wütenden Faust geballt, sprang Tyr von seinem Platz. „Damit hast du den Bogen endgültig überspannt!"

    Er nahm sein Schild, hielt es vor die Brust und baute sich vor Loki auf. Ullr folgte Tyrs Beispiel und stellte sich neben ihn. Jäh standen auch Skadi, Freya und Hermodr mit ihren Schilden da. Sie bildeten eine Wand wider Odins Blutsbruder und trieben ihn von seinem Platz. Plötzlich schnappte sich Vidar den Schild von Skadi und hieb ihn hart gegen Lokis Arm. Empört stöhnte Laufeys Sohn auf. Grimmig sah er auf den sich bildenden Schildwall und die dahinter wutschnaubenden Gesichter.

    „Bekommt euch wieder ein!", knurrte er. Noch einmal traf ihn Vidars Schild und Freyr stieß ihn mit dem seinen.

    „Aua! Das tut weh, verflucht!", rief Loki.

    „Oh, du hast keine Ahnung, wie weh es tun kann, wenn wir erst fester zuschlagen!", erwiderte Freya. Auch sie gab ihm einen Stoß.

    Überrascht legte Loki die Hand auf die Schulter. Dann winkte er mürrisch ab und wich einen Schritt zurück. Die Angreifer bedrängten ihn weiter. Da nahm er plötzlich die Beine in die Hand und rannte davon. In ihrer übermäßigen Wut nahmen alle die Verfolgung auf. Doch dank seiner Zauberschuhe, war Loki schneller. Rasch verloren die Asen seine Spur im Wald. Ratlos kehrten sie zurück zu Ägirs Halle. Loki aber, saß kichernd auf einem Baum und schaute ihnen nach. Er hatte sich in eine Fliege verwandelt, kaum dass er aus der Sichtweite seiner Verfolger geraten war. Nachdem sie nicht mehr zu sehen waren, kehrte er in seine wahre Gestalt zurück und ließ die Füße von dem Ast baumeln, auf dem er saß. Lange dachte er darüber nach, was er nun tun sollte. Irgendwann wurde ihm langweilig. Kurzerhand kehrte er zu Ägirs Halle zurück.

    Vor dem Saal wachte Eldir. Als er Loki erkannte, hielt er die Hand vor den Körper und baute sich vor dem Eingang auf. Die Stimmen der Feiernden drangen dumpf an ihre Ohren. Die Stimmung war gewandelt. Schimpf und Schande ergossen die Anwesenden über Odins Blutsbruder.

    „Worüber reden sie?", fragte Loki.

    Eldir schnaubte verächtlich. „Von Waffen und ruhmvollen Kämpfen. Von dir, weiß niemand ein gutes Wort zu sprechen."

    Loki schob den Unterkiefer vor. „Lass mich ein! Ich will hören, was sie zu sagen haben. Sie wissen nichts Gutes über mich zu sprechen? Zu jedem Einzelnen von ihnen werde ich genauso viel zu sagen haben. Sie glauben, sie wären ohne Tadel und könnten mich verunglimpfen? Gift werde ich in ihren Met mischen!"

    Gleichgültig zuckte Eldir mit der Schulter und gab den Weg frei. „An deiner Stelle würde ich vorsichtig sein. Solltest du sie noch weiter verärgern …"

    „Ganz gleich was sie zu sagen haben, ich werde nicht um Antworten verlegen sein. Ich habe ihrem Treiben lange genug zugesehen und mich zum Sündenbock machen lassen."

    Als Loki in die Halle trat, verstummten alle Anwesenden. Er zwirbelte eine seiner Bartsträhnen und sah ihre Reihen. „Ich habe Durst! Ich bin einen langen Weg hierher zurückgegangen. Jetzt bitte ich die Asen, mir etwas von ihrem süßen Met zu schenken." Er trat an die Tafel und reckte das Kinn. Niemand sprach ein Wort, nicht einer erhob sich und hieß ihn willkommen.

    „So still?, knirschte Loki. „Ladet mich ein oder schickt mich weg!

    Bragi schob seinen Teller zur Seite. „Nie wieder werden wir dich einladen, Loki. Die Asen wissen sehr wohl, wen sie an ihren Tisch laden und wen besser nicht."

    Lokis Blick verschmolz mit dem Odins. „Schweigst auch du mich an, oberster der Götter? Willst du deinem Bruder ebenfalls den Platz an der Tafel verwehren? Du, der einst gelobt hat, nie wieder einen Trank anzurühren, es sei denn, er würde uns beiden gebracht. Dein Blut hast du mit meinem gemischt, Bruder!"

    Odin sah Loki seufzend an. „Nun denn, Vidar. Steh auf und heiße den Sohn des Wolfs willkommen. Hier in Ägirs Saal soll er nicht über die Asen lästern."

    Schweigend erhob sich Vidar auf und schenkte Loki ein. Dieser setzte sich und trank. Dabei behielt er Bragi im Blick. Als er den Becher vom Mund absetzte, hob er ihn in die Höhe. „Heil euch Asen und Asinnen, euch hochheiligen Göttern! Heil euch allen, außer diesem einen hier." Herausfordernd sah er Bragi an.

    Odins Sohn blickte finster. „Halte einfach den Mund, Loki. Aus meinem Reichtum gäbe ich Schwert, Pferd und Gold, wenn ich dich nur damit zum Schweigen brächte. Es gab schon genug Ärger für heute. Ziehe nicht erneut unseren Gram auf dich", knirschte er.

    Loki schmunzelte und fuhr sich über die Bartsträhnen am Kinn. „Oh, welch gute Tat, denn allzu reich, das wissen wir, bist du nicht. Ging es nicht gerade um Heldentaten? Haben die Asen auch über deine ruhmvollen Kämpfe gesprochen? Wohl kaum, denn von allen Alben und Asen hier innen, ist keiner anwesend, der den Streit so sehr scheut wie du und vor den Geschossen der Feinde flieht."

    Bragi ballte die Fäuste. „Hier drinnen magst du solche Reden schwingen, Loki, denn ich werde die heilige Stätte nicht entweihen, so wie du es getan hast. Anderenfalls hätte ich deinen Kopf schon in meiner Hand für diese Lüge!"

    Loki lächelte höhnisch. „In diesem Saal magst du große Reden schwingen, Bragi. Im Sitzen, das weiß einjeder, bist du schnell mit deinem Mundwerk, du Bänkehüter! Komm doch mit hinaus zum Zweikampf, wenn du zornig bist!"

    Idun legte ihre Hand rasch auf die von Bragi und hinderte ihn daran, aufzufahren. „Bitte Bragi, lass dich nicht von ihm provozieren. Sprich nicht mit lästernden Worten gegen Loki hier in Ägirs Halle."

    Loki fesselte Bragis Frau mit seinem Blick. „Du, Idun, mischst dich ein? Von allen Frauen hier im Saal, bist du doch die manntollste! Dem Mörder deines Bruders hast du gleich die Arme um den Hals geschwungen."

    Idun sah ihn scharf an. „Auch du solltest den Frieden in Ägirs Halle wahren und von deinem Geschmäh ablassen. Hör auf zu trinken, wenn du es nicht verträgst! Sei froh, dass ich den einen Betrunkenen besänftigt habe, ehe er dich zum Zweikampf forderte."

    Nun erhob sich Gefjon. „Hört schon auf. Es gibt keinen Grund mit bösen Worten zu streiten. Loki weiß doch, dass er scherzt und dass ihn alle Götter lieben."

    „Sei still, Gefjon. Vor den Ohren aller werde ich jetzt von demjenigen erzählen, der dich zur Liebeslust verführte. Der weiße Bursche war es! Er gab dir schönen Schmuck und du hast es ihm nur zu gerne gedankt."

    Odin runzelte die Stirn. „Verrückt bist du, Loki, und völlig von Sinnen, wenn du Gefjons Groll erweckst. Sie kennt das Schicksal der Welt ebenso wie ich."

    Loki ballte die Faust. „Schweig doch, Odin! Du verteilst den Schlachtentod nur zu gern dem Falschen. Viel zu oft gabst du den Erfolg demjenigen, dem du ihn nicht hättest geben sollen, nämlich dem Feigen!"

    Erzürnt hieb Odin auf den Tisch „Ach, das denkst du also? Wenn ich, wie du behauptest, dem Falschen den Schlachtentod gab, dem Schlechteren, wie du sagst, was hast du dann gemacht? Acht Winter lebtest du unter der Erde wie eine milchgebende Kuh, hast dort geboren und dich benommen wie eine Frau. Unmännlich ist das!"

    „Ach wirklich? Und du bist so männlich? Von dir erzählt man, dass du gezaubert hast auf Samsay und das Seidr triebst. Gehext hast du, wie die Seherinnen es tun. Als Zauberin bist du unter dem Menschenvolk gewandert. Auch das ist unmännlich, mein Bruder!"

    Frigg schüttelte rügend den Kopf. „Eure vergangenen Schicksale solltet ihr verborgen halten. Was ihr vor Urzeiten getrieben habt, all die alten Geschichten, verschweigt ihr besser vor den Menschen."

    „Sei still, Frigg! Du bist Fjörgynns Tochter und warst stets lüstern nach Liebe. Vé und Vili hast du, Odins Gattin, beide an die Brust gedrückt."

    Friggs Gesicht blieb steinern, während sie antwortete: „Du sollst wissen, Loki, säße mir hier in Ägirs Saal ein Sohn zur Seite, der wie Balder ist, kämst du nicht hinaus. Wütend bist du. Die Kinder der Asen würden dir einen kecken Kampf bieten."

    Loki lächelte süffisant. „Du verlangst danach, dass ich noch weiter spotte, Frigg? Mein Werk war es, dass du Balder nie wieder zu Walhalls Sälen reiten siehst."

    Wal-Freya verengte die Augen zu wütenden Schlitzen. „Du bist von Sinnen, Loki, wenn du hier vor aller Ohren deine schlimmsten Taten gestehst. Als würde Frigg das nicht wissen. Sie kennt alle Schicksale, auch wenn sie selbst dazu nichts sagt."

    Loki deutete mit dem Finger auf die Liebesgöttin. „Schweig, Freya! Dich kenne ich ganz genau. Keine Verfehlung ist dir fremd. Von den Asen und Alben hier im Saal ist doch jeder dein Geliebter gewesen."

    Freya zuckte unmerklich mit einer Augenbraue. „Deine Zunge ist spitz und von Übel. Eines Tages wird sie dir Böses einbringen. Du hast jeden hier zornig gemacht. Betrübt wirst du heimwärts ziehen."

    Schmunzelnd schnalzte Loki mit der Zunge. „Sei einfach still, Freya. Du bist eine Frevlerin und voller Unheil. Die Asen haben dich bei deinem Bruder erwischt. Da musstest du wohl furzen."

    Nun sprang Freyas Vater vom Stuhl auf. Njörd biss sich auf die Zunge, bevor er sprach: „Was macht es schon, wenn sich eine Frau einen Ehemann, einen Geliebten oder beides nimmt? Es sollte uns eher wundern, wie du, der unmännliche Ase, hier hereingekommen bist, du, der doch selbst Kinder geboren hat."

    „Auch du schweigst besser, Njörd! Für das Götterreich wurdest du als Geisel ostwärts geschickt. Waren es nicht Hymirs Mädchen, die dir in den Mund pinkelten und dich als Nachttopf verwendeten?"

    „Ich mag als Geisel fortgeschickt worden sein, doch ist es mir ein großer Trost, dass ich dort einen Sohn zeugte, den niemand hasst. Heute gilt er als der Beschützer der Asen."

    Loki lachte. „Hör auf, Njörd, und lass den Übermut! Ich werde es nicht länger verschweigen: Diesen Sohn hast du mit deiner eigenen Schwester gezeugt!"

    Tyr knurrte erzürnt. „Freyr ist der mutigste aller kühnen Reiter an Asgards Höfen. Er kränkt weder ein Mädchen noch die Frau eines Mannes. Er befreit Gefesselte."

    Loki lachte auf. „Ach Tyr, auch du solltest besser den Mund halten. Du willst Recht schaffen? Ich erinnere alle hier an deine Schwurhand, die dir Fenrir abgebissen hat."

    Tyr seufzte und betrachtete den Stumpf an seinem rechten Arm. „Die Hand verlor ich, du aber den Wolf. Beide haben Schaden genommen. Fenrir hat es nicht gut. Gefesselt muss er auf Ragnarök warten."

    „Schweig, Tyr! Loki zuckte mit der Oberlippe. „Deine Frau hat mir einen Sohn geboren. Für dieses Unrecht hast du nie etwas bekommen, du armer Wicht.

    Freyr hob die Augenbrauen. „Gefesselt liegt Fenrir an der Flussmündung, bis die Götter vergehen. Du solltest endlich schweigen, wenn du nicht auch gebunden werden willst, du Bosheitsschmied."

    Nun lächelte Loki finster. „Ach Freyr, gut, dass du es erwähnst. Warst du es nicht, der Gymirs Tochter mit Gold gekauft hat? Dein Schwert hast du dafür verschenkt. Wenn Muspels Söhne über den Myrkwid reiten, wirst du dich nicht zur Wehr setzen können."

    Byggvir, ein Alb mit geflochtenem Bart und wilden Haaren, legte die buschigen Augenbrauen zusammen. „Wäre ich so edel wie Yngwi-Freyr und mein Hof so herrlich, zermalmen täte ich die Bosheitskrähe! Ihre Gebeine würde ich zerbrechen!"

    Loki betrachtete den Alb mit dunkler Miene. „Wer ist das Kleine, das ich krabbeln sehe und das schnappgierig nach der Speise schnappt? In Freyrs Ohren liegst du und plagst dich mit Mägdearbeit!"

    Der Alb reckte das Kinn. „Ich heiße Byggvir und ich bin schnell bei Asen und Irdischen. Darum ehrt man mich hier in Ägirs Halle, wo Odins Söhne Äl trinken."

    Loki rümpfte die Nase. „Schweig, Byggvir! Du verteilst das Mahl schlecht zwischen den Männern! Unter der Bank versteckst du dich, wenn mutige Krieger zum Kampf ziehen."

    Knurrend stellte Heimdall seinen Becher ab. „Betrunken bist du, Loki. Du hast den Verstand verloren! Warum lässt du nicht einfach die Finger vom Äl. In rauen Mengen bringt er jeden dazu, seine eigenen Worte zu vergessen."

    Anstatt den Äl zu meiden, nahm Loki einen weiteren Schluck. „Schweig, Heimdall! Als könntest du stolz darauf sein, dass dir vor Urzeit dieses hässliche Geschick auferlegt wurde. Mit nassem Buckel stehst du jede Nacht da und bewachst Walhall."

    Skadi schnaubte: „Lustig bist du, Loki; doch das wird dir vergehen! Bald fesseln dich die Asen mit den frostkalten Därmen deines Sohnes auf den Grad!"

    „Och, Skadi! Wenn die Götter mich auf den Felsen schnüren, mit den frostkalten Därmen meines Sohnes, dann wisse, dass ich der Erste und Letzte war beim Lebensraub, als wir deinen Vater Thjazi töteten."

    Wütend streckte Skadi den Finger in Lokis Richtung. „Wisse, wenn du der Erste und der Letzte beim Lebensraub meines Vaters warst, wird dich mein ganzes Haus fortan verfolgen!"

    Loki schnalzte mit der Zunge. „Du hast deine Worte lieblicher gewählt, als du Laufeys Sohn, mich, in dein Bett einludst. Das möchte ich nicht verschweigen, wenn wir nun all unsere Schandtaten nennen."

    Nun trat Sif heran, reichte ihm Met in einem Kristallkelch und sprach: „Heil dir nun, Loki! Nimm den Eiskelch, mit Firnmet gefüllt! Lass eine unter den Asen mit Schmähreden verschont!"

    Hersausfordernd hob Loki die Augenbrauen. „Ach Sif, ich würde dich gerne verschonen, wärst du anderen unzugänglich geblieben. Einen kenne ich, den ich zu kennen glaube, mit dem hast du Thor betrogen."

    Beyla hieb ihren Becher auf den Tisch. „Ruchlos schmähst du Asen und Irdische! Hörst du die Berge zittern? Ich denke, er zog gerade aus vom Hofe Hlorridi. Er, der dich gleich zur Ruhe bringen wird!"

    Loki trat nahe an die Albin heran. „Schweig doch, Beyla! Du bist Byggwirs Weib und von Falschheit erfüllt. Kein eklerer Auswurf kam zu den Asensöhnen, ganz voll Mist bist du, Magd!"

    Da kam Thor herein und sprach: „Schweig, arger Wicht! Dir soll mein Wuchthammer, Mjölnir, den Mund schließen. Den Kopf hau ich dir vom Halse ab, verloren ist dein Leben dann."

    Preisend hob Loki die Hände. „Seht an! Der Sohn der Jörd ist in den Saal gekommen. Wer hat dich gerufen? War es Freya? Was tobst du so, Thor? Wenn der Wolf kommt, wagst du nichts und er verschlingt den Schlachtengott!"

    Thors Halsschlagader schwoll daumendick an. „Schweig, arger Wicht! Mjölnir soll dir für immer den Mund schließen! Ich werfe dich nach oben in die Ostlande! Niemand wird mehr einen Gedanken an dich verschwenden!"

    Loki grinste. „Die Geschichten deiner Ostfahrten lässt du anderen lieber verborgen, seit du Held im Däumling des Handschuhs hocktest und dich nicht getraut hast Thor zu sein!"

    Thors Faust umschloss den Hammer fester. „Sei endlich still, oder Mjölnir wird dafür sorgen. Meine Hand trifft dich mit Hrungnirs Töter, dass dein Gebein zerbricht."

    Loki lachte. „Ich denke, ich werde noch sehr lange Zeit leben, selbst wenn du den Hammer hebst. Die Riemen Skrymirs bekamst du nicht auf. Nichts zu essen hast du bekommen in jener Nacht."

    Thor knurrte. „Dein Gespött wird gleich verklingen! Hrungnirs Töter wird dich zur Hel senden hinter das Tor des Totenreichs! Richte Balder einen schönen Gruß aus!"

    Ein elektrisches Knistern zuckte um den Hammer. Loki hob in einer enttäuschten Geste die Hände. „Ich habe vor den Asen und den Asensöhnen nur ausgesprochen, was meinem Herzen behagte. Einzig vor dir will ich abziehen, denn mich dünkt, du schlägst wirklich zu. Sein Blick wanderte auf den Meeresriesen. „Für diese Feier, Ägir, hast du viel Äl gebraut. Aber fortan sollst du kein Gastgelage mehr geben! All dein Eigentum, das die Halle erfüllt, soll die Feuersbrunst erfassen! Ich verbrenne dir den Buckel! Loki verzog das Gesicht zu einer aggressiven Fratze und hob die Hand.

    1. Kapitel

    Von mehreren Feinden umringt, die alle gleichzeitig auf sie einschlugen, wirkte Thea ihren letzten Zauber. Als ihr Avatar auf den Boden niederging, knurrte sie ungehalten. Wütend schubste sie die Maus über den Schreibtisch.

    „Warum spielen wir eigentlich immer noch mit Malefiz?", schimpfte sie und verschränkte die Arme.

    Hektisches Klicken verriet Thea, dass ihre Freundin mit der Flucht beschäftigt war. Als würde es ihrem Zwerg helfen, feuerte sie die Spielfigur mit jedem Klick an schneller zu laufen. Thea lehnte sich im Stuhl zurück und verfolgte die Szene auf dem Bildschirm. Mit kurzen Schritten eilte Julis Avatar durch ein Waldgebiet. Drei Elfenkrieger schossen unentwegt Pfeile auf ihn. Je öfter sie ihre Bögen aber benutzten, umso mehr Abstand gewann Juli zwischen den Angreifern und dem Zwerg. Als sie Tiray endlich unbeschadet zum Teleport gebracht hatte, blies sie die Luft aus den Wangen. Der Lebensbalken zeigte nur noch einen kleinen Strich. Buchstäblich in letzter Sekunde hatte Juli ihren Zwerg in die Stadt gerettet.

    „Das war knapp!, stieß sie erleichtert aus und zog in einer bedauernden Geste den Mund schief. „Es tut mir leid für dich. Wie viel Erfahrung hast du verloren?

    „Mehr als genug", murrte Thea.

    „Sollen wir leveln gehen? Bestimmt machen wir deine eingebüßten Punkte rasch wieder gut."

    Thea fasste ihre Haare am Hinterkopf zusammen und band sie zu einem Zopf. „Dafür brauchen wir Tage. Nein, mir ist die Lust für heute vergangen!"

    Seufzend schob Juli ihre Brille ein Stück nach oben. „Warum schmeißt du Malefiz nicht einfach aus der Gilde? Sie gehört dir!"

    Thea schüttelte den Kopf. „Es ist unsere Gilde und Tom mochte ihn."

    „Ach was! Wir waren über zwei Jahre nicht im Spiel und kaum sind wir online, fleht Malefiz uns an, dass wir ihn wieder aufnehmen sollen. Frag dich mal warum. Sie lachte. „Seine Verzweiflung muss groß gewesen sein! Wenn Tom noch hier wäre, würden wir alle gemeinsam darüber abstimmen und dann könnte Malefiz seine heilenden Qualitäten an anderen Spielern auslassen. Sie klatschte in die Hände. „Lass ihn uns zu den Professionals schicken. Bestimmt hätten wir gegen die dann auch mal eine Chance."

    Schmunzelnd meldete sich Thea aus dem Spiel ab. „Das brächte uns keinen Nutzen. Dein_Tod ist im Endlevel, außerdem haben sie schon 12 Mitglieder, mehr geht nicht."

    Juli kicherte. „Wir könnten ihn gegen Medusa23011 austauschen. Sie ist neu, doch sie versteht es, zu heilen!"

    Als der Lüfter ihres PCs verstummte, stand Thea auf. „Ich würde Tarell bevorzugen. So hätten wir wenigstens einen Assassinen in der Gilde."

    „Mit ihm hättest du aber einen weiteren Spieler, auf den du aufpassen müsstest", antwortete Juli schmunzelnd.

    Thea schaltete den Monitor aus. „Lieber passe ich auf andere auf, als auf mich", erwiderte sie.

    „Ja, das ist ein Problem, raunte Juli in einer Zweideutigkeit, die Thea sofort ein schlechtes Gewissen einjagte. Unvermittelt hob Juli die Hände. „So habe ich das nicht gemeint!

    Traurig lehnte sich Thea an die Schreibtischkante. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke oder diesen Moment …", sagte sie schwermütig und blickte dabei zu ihrer Fylgja. Der Folgegeist lag eingerollt auf dem Bett und schlief.

    „Ach Thea! Juli trat näher und nahm ihre Freundin in den Arm. „Es ist über ein Jahr vergangen. Das haben wir doch schon so oft besprochen. Es ist einfach passiert, du bist nicht dafür verantwortlich. Du hättest nichts daran ändern können.

    Thea nickte, obwohl sie durchaus in der Lage dazu war, einhundert Dinge aufzuzählen, die sie hätte anders machen können. Wieder und wieder spielte sie die einzelnen Szenarien im Kopf durch und keines nahm je das Ende, welches Tom widerfahren war. Jeder, auch Tom, hatte versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen, doch sie konnte nicht davon ablassen, sich die Schuld für die Ereignisse zu geben. Tonnenschwer belastete diese ihr Gewissen und ließ sie in manchen Momenten kaum atmen.

    Juli löste sich von Thea und zog den Mund schief. „Es war aber auch gemein von Odin, dich in dieser Situation nach Hause zu schicken. Erst ließ er dich Monate nicht weg und plötzlich ging es ihm nicht schnell genug."

    „Ohne Kyndill besteht keine Notwendigkeit mehr dazu, mich in Asgard festzuhalten. Das Schwert ist verloren und Loki unauffindbar. Erinnere dich! Bevor Wal-Freya und Thor uns fanden, suchten sie schon Jahrhunderte nach ihm, ohne ihn zu finden. Das wird jetzt, wo er Kyndill besitzt, nicht anders sein. Unsere Anwesenheit in Asgard würde daran nichts ändern. Es ist die beste Lösung darauf zu warten, dass er irgendwo auftaucht und das können wir genauso gut in Midgard tun."

    „Wir sollten ihn zusammen mit den anderen jagen, stattdessen hocken wir Zuhause und sammeln EPs in einem unwichtigen Spiel", erwiderte Juli.

    „Und das aus deinem Munde", scherzte Thea.

    „Du klingst, als wäre es dir egal, dass sie uns von der Suche ausgeschlossen haben", murrte Juli.

    „Das ist es nicht! Ich will ihn fassen und ihm das Handwerk legen, mehr als je zuvor. Aber es wäre völlig sinnlos in Asgard zu warten. Er weiß sich hervorragend zu verstecken. Wir müssen geduldig sein und auf Wal-Freya vertrauen. Sie wird uns rufen, wenn sie uns braucht. Es ist okay, ich hatte Odin die ganze Zeit angefleht, dass ich zu meiner Familie zurück will."

    „Aber das war, bevor du wusstest, dass Tom in Sessrumnir bleiben muss. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Odin dich damit bestrafen will. Du bist doch gar nicht in der Lage dazu, ein normales Leben in Midgard zu führen, während Tom dort oben ist. Als könnte überhaupt jemand von uns ein normales Leben leben mit dem Wissen um die drohende Zukunft."

    Abermals äugte Thea zu ihrer Fylgja. Nein, ein normales Leben würde sie nie wieder führen, egal was passierte. Dafür hatte sie zu viel erlebt. Aber kein Flehen würde Tom jemals zurückbringen. So sehr es sie auch schmerzte, Thea musste sich damit abfinden. Sie seufzte tief. „Was stellen wir noch an, bis wir zu Florence fahren?"

    Ratlos verschränkte Juli die Arme. „Kein Plan. Vor dem Essen noch zum Venezia zu gehen wäre wohl unüberlegt."

    Thea lachte. „Tu nicht so, als würdest du nach einem Spaghettieis nichts mehr runterbringen."

    „Hey! Du weißt, wie sie kocht. Irgendwann nehme ich wegen ihr noch zu."

    „Du nimmst nur zu, wenn du nicht damit aufhörst, dir den Teller drei Mal bis zum Rand vollzuladen."

    Juli winkte ab. „Wer bei Florences Kochkünsten widerstehen kann, hat keine Geschmacksnerven! Es grenzt an ein Wunder, dass Tom wie ein Spargel aussieht."

    Unerwartet wurde die Tür aufgestoßen und Mats trat ein. Mit großen Augen sah er zu seiner Schwester. „Mama sagt, ich soll dich fragen, ob du mich zu Marco fahren kannst."

    Thea schmunzelte und wuschelte Mats durch die blonden Haare, die kreuz und quer um seinen Kopf lagen. Über ein Jahr später war es noch immer ungewöhnlich für sie, ihn so groß zu sehen. Als sie ihn auf dem Weg nach Jötunheim verlassen hatte, war er gerade viereinhalb Jahre alt gewesen. Während er zu einem Schulkind heranwuchs, hatte sie sich in Hel aufgehalten und war dabei kaum gealtert. Sie trauerte der Zeit nach, die sie mit ihm verloren hatte. Umso mehr hoffte sie, dass es nicht umsonst gewesen war. Sie alle hatten zu viel dafür auf sich genommen.

    „Na klar fahre ich dich", erwiderte sie und Mats sprang mit einem Quieken aus dem Zimmer.

    „Mama! Sie fährt mich!", rief er, während er die Treppe hinab sprang.

    Lächelnd hob Thea die Brauen. „Jetzt haben wir eine Beschäftigung." Sie steckte ihr Handy in die Tasche und rief damit das erste Mal seit Stunden eine Reaktion der Fylgja hervor. Der Folgegeist öffnete die Augen und streckte sich mit einem langen Gähnen auf der Decke.

    „Ja, das ist besser als ein Eis beim Venezia", antwortete Juli scherzend.

    Thea lachte. „Es spart Kalorien und hilft dir in jedem Fall, deine Figur zu halten. Los, komm! Du weißt, wie ungeduldig er ist!"

    Sie folgten Mats nach unten. Die Fylgja lief fröhlich neben ihnen die Treppe hinab. Im Flur trat Theas Mutter aus der Tür. Nur einen Wimpernschlag später gesellte sich ihr Vater hinzu. Er legte die Hände um die Hüften seiner Frau und stützte das Kinn auf ihre Schulter.

    „Danke, Schatz", sagte er zu Thea.

    „Kein Problem", erwiderte diese, während sie Mats dabei beobachtete, wie er hektisch in seine Sneakers schlüpfte und ihm ein Schuh im hohen Bogen vom Fuß rutschte.

    „Mats! Lass dir Zeit!, mahnte Theas Mutter. Sie sah zu ihrer Tochter. „Holst du ihn wieder ab, wenn ihr von Florence nach Hause kommt?

    „Na klar!", erwiderte Thea.

    Mats sprang auf und streifte seine Jacke über. „Aber nicht so früh! Erst um sieben Uhr! Mit einem flehenden Blick zu seinem Vater fügte er hinzu: „Henrik und Anni haben sicher nichts dagegen.

    „Ich denke, die beiden haben auch mal einen ruhigen Sonntag verdient", erwiderte der Vater.

    „Ach was! Das macht ihnen ganz bestimmt nichts aus", entgegnete Mats, schon die Klinke in der Hand.

    „Frag sie erst! Schreib Thea eine Nachricht, wenn sie dich früher holen soll!", mahnte die Mutter.

    Den Einwand ignorierend öffnete Mats die Tür und sprang hinaus zum Auto. „Tschüss Mama und Papa! Bis später!"

    Schmunzelnd legte Thea ihre Jacke über den Arm. „Ich hole ihn einfach gegen fünf Uhr ab", versprach sie.

    „Mach das", erwiderte ihre Mutter.

    „Grüße Florence ganz lieb von uns und für nächsten Sonntag lädst du sie zu uns ein", fügte ihr Vater hinzu.

    „Wird gemacht", bestätigte Thea.

    Theas Vater löste die Umarmung und legte die Hände stattdessen auf die Schultern seiner Frau. „Die Einladung gilt natürlich auch für deine Eltern, Juli. Wann kommen sie zurück?"

    Juli zuckte mit den Achseln. „Am Donnerstagabend, soweit ich weiß."

    Lächelnd legte Frau Helmken eine Hand auf die ihres Mannes. „Also sehen wir uns später wieder?"

    Juli grinste. „Na klar! Bis nachher!"

    Von draußen rief Mats ungeduldig über die Straße: „Wo bleibt ihr?"

    Winkend verabschiedete sich Thea. „Wir gehen besser, sonst berauben wir nicht nur Henrik und Anni ihres ruhigen Sonntags, sondern auch die ganze Nachbarschaft."

    „Sagt Florence, ich rufe sie morgen an", gab ihnen Theas Mutter noch mit auf den Weg, dann schloss sie die Haustür.

    Auf dem Weg zum Auto betätigte Thea den Knopf für die Zentralverriegelung. Mats riss die Tür auf und kletterte auf seinen Sitz. Bevor die Freundinnen den Wagen erreicht hatten, saß er schon angeschnallt und abfahrbereit da. Nicht sichtbar für Mats und Juli, hockte sich Theas Fylgja neben ihn.

    „Du solltest dich wirklich glücklich schätzen, eine Schwester zu haben, die dir keinen Wunsch abschlagen kann", sagte Juli.

    Mats nickte eifrig. „Ja! Das bin ich! Ich habe eine Schwester, die lieb ist und nicht so eine Zicke wie Constanze", pflichtete er bei.

    „Also Mats!, entrüstete sich Thea und ließ sich in das Polster fallen. Rügend betrachtete sie ihren Bruder durch den Rückspiegel. „Das darfst du so nicht sagen!

    Herausfordernd hob Juli die Augenbrauen. „Warum? Er hat doch Recht!"

    Empört sah Thea ihre Freundin an. „Hey!"

    Juli lachte erheitert und wandte sich zu Mats um. „Sie tut nur so. In Wirklichkeit ist sie der gleichen Meinung."

    Mit einem Schmunzeln drehte Thea den Schlüssel. Als sich das Auto in Bewegung setzte, stieß Mats einen Jubelschrei aus. Fröhlich lehnte er sich vor. „Meine Schwester ist anders, weil sie dort war", sagte er mit einer geheimnisvollen Betonung.

    Juli lachte. „Sie hatte schon immer einen Narren an dir gefressen. Das kommt nicht davon, dass sie dort war."

    „Ihr dürft nicht über Asgard sprechen!", erinnerte Thea.

    „Tun wir nicht", beteuerte Mats.

    „Das stimmt", pflichtete Juli bei.

    Tadelnd sah Thea erst zu ihrer Freundin und dann zu ihrem Bruder. „Du weißt, dass uns das kein Mensch glauben würde. Aus diesem Grund darfst du nie darüber reden."

    „Nur mit Juli, Mama und Papa und Florence!", zählte Mats auf.

    „Und mit meinen Eltern", ergänzte Juli.

    „Die sind aber nie da", antwortete Mats erschreckend ehrlich.

    Juli griff sich lachend an den Hinterkopf. „Es gibt Dinge, die ändern sich eben nie."

    Mats lehnte sich vor. „Ist doch cool! Deshalb wohnst du ja auch bei uns!"

    Thea prustete amüsiert. „Jetzt weißt du es!"

    Zufrieden faltete Juli die Hände hinter den Kopf und lehnte sich in den Sitz zurück. „Ja! Das ist wunderbar. Es ist viel einfacher geworden jetzt, da unsere Familien über alles Bescheid wissen."

    „Oh ja! Stell dir vor, wie kompliziert es gewesen wäre, ihnen unser letztes Verschwinden zu erklären. Statt zwei Wochen blieben wir gleich ein paar Jahre fort." Thea bog in die Nebenstraße ein. Aufmerksam steuerte sie das Auto durch die enge Gasse. Sie hatte sich inzwischen damit abgefunden, doch sie überkam jedes Mal wieder die gleiche Wehmut, wenn sie daran dachte, was ihre Eltern in dieser Zeit alles hatten durchmachen müssen.

    „Boah! Allerdings! Volljährig oder nicht, sie hätten uns nie wieder vor die Tür gelassen", bestätigte Juli.

    Thea lachte. „Irgendwann vielleicht schon. Aber dann nur, damit wir das Abendgymnasium besuchen und unseren Schulabschluss nachholen. Natürlich nur unter strengster Bewachung, um uns an einem erneuten Verschwinden zu hindern."

    „Haha! So wäre es sicher gewesen. Und du hättest die Schule in der einen und ich in der anderen Stadt besuchen müssen, damit keiner von uns einem schlechten Einfluss ausgesetzt ist!"

    Thea suchte die Fachwerkbauten nach der passenden Hausnummer ab und lenkte das Auto schließlich in einen gepflasterten Hof. Mats öffnete die Tür, noch ehe der Ford vollständig zum Stehen gekommen war und sprang heraus. Übermütig rannte er die Treppe zur Haustür hinauf, in der Marco bereits ungeduldig wartete. Als Mats im Flur verschwand, trat ein bärtiger Mann vor die Tür und winkte den Mädchen zu.

    „Ich hole ihn gegen fünf Uhr ab", erklärte Thea durch das heruntergelassene Fenster.

    „Super! Bis später!", rief Marcos Vater und schloss die Tür.

    „Mission erledigt", kommentierte Juli.

    Thea legte den Rückwärtsgang ein und lenkte das Auto zurück auf die Straße. „Jetzt zu Florence."

    „Wenn ich an ihr Essen denke, knurrt mir schon der Magen", verkündete Juli fröhlich.

    Grinsend schüttelte Thea den Kopf, dann folgte sie dem Weg zu Toms Wohnung. Seit sie aus Asgard zurückgekehrt waren, besuchten die Freundinnen seine Mutter regelmäßig. Das Mittagessen am Sonntag gehörte ebenso dazu wie abendliche Fernsehstunden unter der Woche. Der Abschied, den Florence in Folkwang von ihrem Sohn genommen hatte, war von Tränen aller Anwesenden begleitet worden. Sowohl Thea als auch Juli hatten sich an diesem Tag geschworen, für Florence da zu sein. Der Schock über den Verlust ihres Freundes hatte Theas und Julis Eltern ebenfalls hart getroffen. Das Warten auf ihre Kinder hatte die Familien eng zusammenwachsen lassen. Das Ereignis um Tom und Theas Erzählungen von den kommenden Geschehnissen schnürte dieses Band noch fester. Ihre Väter hatten sich Oldtimerbusse ohne Elektronik angeschafft. Betankt parkten diese in ihren Garagen. Nahrungsvorräte lagerten nicht nur in den Kellern, jeder freie Platz in den alten Wagen war mit Dosen und Vorräten ausgestopft. Koffer, mit den wichtigsten Habseligkeiten, lagen ebenso darin. Florence hatte es abgelehnt, ihre Wohnung aufzugeben und zu Thea oder Julis Eltern zu ziehen. Doch man hatte verabredet, sie im Fall der Fälle abzuholen und gemeinsam vor dem zu fliehen, was auch immer eintreffen mochte. Um den Kontakt zueinander sicherzustellen, hatte Julis Vater Walkie-Talkies besorgt, die auf die gleiche Frequenz gestellt in ihren Ladeschalen ruhten und griffbereit in den Fluren standen. In Anbetracht der Dinge, die Thea gesehen hatte, war sie froh um die weitsichtigen Vorkehrungen ihrer Eltern, auch wenn sie sich unbehaglich dabei fühlte, stets mit dem Schlimmsten zu rechnen. In den Momenten am PC, in denen Juli und sie in ihre Spielewelt eintauchten, gelang es Thea, die Ereignisse aus ihrem Kopf zu jagen. In Augenblicken wie diesen kehrten sie aber unerbittlich zurück. All die Straßenzüge, denen sie gerade folgte, kannte sie von Zerstörung gezeichnet und von Überresten menschlichen Lebens übersät. Nichts machte den Anschein, dass es jemals so kommen könne, doch die Erinnerungen hingen bedrohlich über ihr.

    Als Thea das Auto auf dem Parkplatz abstellte, versuchte sie, die dunklen Gedanken zu verjagen. Florence schien ihre Gäste bereits am Fenster erwartet zu haben, denn sie öffnete die Tür, noch bevor Juli und Thea die Klingel drückten. Die Fylgja gab einen zufriedenen Laut von sich und strich Toms Mutter um die Beine. Im Lächeln der kleinen Frau lag stets ein Hauch von Traurigkeit. Sie nahm die Besucherinnen in den Arm und hieß beide aufs Herzlichste willkommen. Thea versteckte ihr Gesicht in den langen, dunklen Haaren der Frau und roch den fruchtigen Duft des Shampoos, das Juli und

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