Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Wechselbad und Scherbenhaufen
Wechselbad und Scherbenhaufen
Wechselbad und Scherbenhaufen
eBook663 Seiten8 Stunden

Wechselbad und Scherbenhaufen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Vier Freundinnen in den Vierzigern erleben ein Wechselbad der Gefühle:
Friseurin Ruth ist entsetzt, was sie im Computer ihres scheinbar doch nicht so treuen Ehemannes Jens findet. Ihre Freundin Maren hadert mit ihrer eingeschlafenen Ehe, Salatgurken und der Anziehung eines Fahrlehrers. Lisa wird von ihrer großen Liebe geghostet und rächt sich. Und die übergewichtige Influencerin Silke verkraftet es nur schlecht, dass ihr Freund Florian ständig angebaggert wird. Leider passiert ihr auch noch ein lustiges Missgeschick nach dem anderen. Selbst im Urlaub in Dänemark wird ihr keine Ruhe gegönnt.
Das bisher beschauliche Leben der Freundinnen droht, zu einem Scherbenhaufen zu zerfallen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Juli 2020
ISBN9783752905472
Wechselbad und Scherbenhaufen
Autor

Sonja Buchheim

Sonja Buchheim schreibt unter verschiedenen Pseudonymen seit 2005 Romane in mehreren Genres.

Ähnlich wie Wechselbad und Scherbenhaufen

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Wechselbad und Scherbenhaufen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Wechselbad und Scherbenhaufen - Sonja Buchheim

    Impressum

    Wechselbad

    und

    Scherbenhaufen

    Sonja Buchheim

    Texte: © Copyright by Sonja Buchheim

    Umschlag: © Copyright by Sonja Buchheim.

    Bilder : openclipart.org

    Verlag: Buchheim Promotion

    Unterheck 15

    33142 Büren

    Buchheimpromotion@gmail.com

    Ruth: Schlank

    „Guten Mo... Mein Gott, was ist denn mit Ihnen passiert?", rief Frau Hagebusch und schlug beide Hände über dem Kopf zusammen, auf dem es unordentlich in alle Richtungen spross. Deshalb war sie ja hier.

    „Sie waren schon länger nicht mehr bei mir, oder?", entgegnete ich leicht ironisch, obwohl ich die Reaktionen noch immer genoss, wenn mich jemand in den letzten sechsunddreißig Monaten nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte.

    „Fast vier Jahre, gab sie zu. „Was haben Sie bloß gemacht, Frau Eberharth?

    „Diät jedenfalls nicht", erwiderte ich und machte eine einladende Handbewegung zum Friseurstuhl hin. Frau Hagebusch setzte sich, wirkte aber noch immer stark verunsichert. Im Spiegel starrte sie erst sich selbst an, dann nur noch mich.

    „Keine Diät? Dann verraten Sie mir bitte Ihr Geheimnis! Sie sehen so gut aus, so schlank ... und so schick mit den kurzen Haaren und die Farbe ... solche Strähnchen möchte ich bitte auch!"

    Ich seufzte innerlich, als ich ihr den Umhang umlegte.

    „Davon würde ich Ihnen abraten. Das Rot passt nicht zu Ihnen. Außerdem habe ich es zu den restlichen, schwarz gefärbten Haaren gewählt, das ist ein schöner Kontrast."

    „Es ist aber ein schönes Rot, nicht zu knallig. Eher dunkel", murrte sie.

    „Glauben Sie mir, zu Ihrem Teint passt es nicht. Aber ich mache Ihnen einen besseren Vorschlag. Ich schneide Ihnen die Haare ungefähr schulterlang." Ich zog ihren Dschungel ein wenig in die Höhe.

    „Dann stufe ich alles schön durch und setze ein paar Highlights. Glauben Sie mir, Ihr Mann wird Augen machen!"

    Rote Strähnen zu mittelblondem Haar? Manche kamen auf komische Ideen.

    „Na gut, Sie kennen sich besser aus. Hat Ihr Mann denn auch Augen gemacht?", forschte sie.

    „Wegen der Gewichtsabnahme?", fragte ich und zog den Stuhl zum Waschbecken herüber. Sie nickte und legte ihren Kopf in die Aussparung. Ich überprüfte die Wassertemperatur und befeuchtete ihr Haar.

    „Na ja, es ging ja nicht von heute auf morgen. Ich habe mir Zeit gelassen, auch mal gesündigt und viel mit Bewegung erreicht. Ich halte nichts davon, sich ständig zu kasteien. Das vergrößert nur den Appetit und verschlechtert die Laune."

    Ich massierte große Mengen Shampoo in ihr nasses Haar. Sie schloss genießerisch die Augen.

    „Das schon, aber als Sie Ihr Gewicht erreicht hatten, und dann die Haare so toll gemacht ... er muss ja geglaubt haben, er hätte eine ganz neue Frau!"

    Ich überlegte kurz, was ich ihr antworten konnte. Ich begnügte mich schließlich mit einem höflichen Lachen.

    „Ja, da haben Sie recht".

    Während ich ihr Haar schnitt und über meine Ernährungsumstellung schwatzte, gingen meine Gedanken auf Wanderschaft.

    Als Jens und ich uns kennenlernten, war ich dick. Nicht nur dick; mein Hausarzt nahm kein Blatt vor den Mund. Er bemängelte meine Fettleibigkeit und dass ich nichts dagegen tat.

    „Sie sind doch noch so jung. Sie muten Ihrem Körper viel zu viel zu." Da hatte er recht. Ich war seit meiner Pubertät immer dicker geworden und ich hatte es zugelassen.

    Meine Mutter kochte gut, und abends holte mein Vater die Pralinen aus dem Schrank oder eine Currywurst mit Pommes von der Imbissbude, wenn meine Mutter streikte. Gemeinerweise blieb er bis zu seinem Tod immer schlank.

    Mit dem Essen kompensierte ich die Stille zu Hause.

    Meine Eltern hatten außer der Adresse nicht mehr viel gemein. Manchmal stritten sie sich, nicht laut, aber verbittert. Es tat weh. Ich fraß alles in mich hinein, leider buchstäblich.

    Auf der Kirmes lernte ich dann Jens kennen. Ich war schon siebzehn und vorsichtig; gerne kamen Jungs zu mir und meinen Freundinnen, um mich zu veräppeln. Andere ignorierten mich ganz betont und machten sich an meine Freundinnen heran. Sie konnten zu mir nicht einmal Hallo sagen, ich war es nicht wert.

    Wieder andere behandelten mich verächtlich. Die spöttischen Kommentare, wenn ich ein Eis aß, stachen tief. Ich ließ meine Freundinnen essen und traute mich nicht mehr, irgendetwas zu mir zu nehmen. Erst zu Hause wieder. Leider verschlang ich dann eine ganze Tafel Schokolade auf meinem Zimmer.

    Jens war anders. Er war immer nett und respektvoll. Als er ein Treffen vorschlug, wartete ich nervös am Kino. Ich war tief im Innern überzeugt, er werde mich dort einfach stehenlassen. Aber er kam.

    Er wurde mein fester Freund, dann mein Verlobter. Und dann, als er seinen Meister als Gas- und Heizungsinstallateur gemacht hatte, heirateten wir. Er übernahm den Betrieb seines Vaters und seinen Kundenstamm. Auch sein Haus. Max` Frau war vor Jahren mit einem anderen durchgebrannt. Deswegen war Jens es gewöhnt, viel mit anzupacken.

    Er half mir in jeder Schwangerschaft mit dem Haushalt, obwohl er selbst viel zu tun hatte. Wir waren glücklich. Geld hatten wir genug, deshalb musste ich nicht arbeiten. Trotzdem machte ich eine Ausbildung zur Friseurin und nach unserem zweiten Jungen ebenfalls den Meister.

    Ich arbeitete weiterhin halbtags im Friseursalon, was ich eigentlich nicht gemusst hätte. Der Haushalt und zwei quirlige Jungs hätten mich auf Trab gehalten.

    Aber mein Schwiegervater war noch rüstig und übernahm die Gartenarbeit und die Aufsicht über unsere Jungs, brachte sie morgens in den Kindergarten und später zur Schule. Er kochte ihnen auch bisweilen das Mittagessen, aber meistens übernahm ich das, wenn ich nach Hause kam.

    Wir hatten ein gutes Verhältnis zueinander. Er wohnte im Erdgeschoss in einer abgetrennten Einliegerwohnung.

    Obwohl er auch einige Streitigkeiten mitbekam, hielt er sich immer heraus.

    „Das habe ich aus meinem Fiasko gelernt, sagte er einmal zu mir, „mir ist die Frau nicht umsonst weggelaufen.

    Er redete seinem Sohn auch ins Gewissen, wenn Jens sich seiner Meinung nach dumm aufführte. Er schlug sich jedoch nie auf seine oder meine Seite.

    Ich arbeitete im Salon, bis unsere Jungs flügge wurden. Nur Benny hatte noch ein Zimmer bei uns, studierte aber in Tübingen. Wir sahen ihn nur selten.

    Weder Stefan, der schon seit drei Jahren in Berlin lebte, noch Benjamin brauchten mich noch. Daher erwog ich erst, das Arbeiten bleiben zu lassen. Aber ich mochte meinen Job und hatte einen ebenso festen Kundenstamm wie Jens.

    Aber dann gab unsere Chefin ihren Salon auf und die neue Besitzerin und ich kamen nicht miteinander klar. Zudem wird man nicht jünger. Das stundenlange Stehen machte mir zu schaffen.

    „Weißt du was? Ich baue dir den kleinen Bungalow zum Friseursalon um. Dann bestimmst du deine Stunden selbst", schlug Jens mir vor.

    „Was? Hier auf dem Dorf?", fragte ich verdattert.

    „Warum nicht? Die älteren Damen haben bestimmt keine Lust, in die Stadt zu fahren, wenn sie hier vor Ort onduliert werden können. Oder du fährst zu deinen Kundinnen nach Hause und frisierst sie dort. Aber ich denke, dein eigener kleiner Salon würde dir besser gefallen, meinst du nicht?"

    Der kleine Bungalow hinter dem Haus diente damals als Gästezimmer, wenn wir Übernachtgäste hatten. Aber dazu war ja Stefans ehemaliges Zimmer auch gut genug, und so viele Gäste hatten wir nun auch wieder nicht.

    Also baute mir Jens den Bungalow zu einem schicken Friseursalon um. Zwar nur mit einem Stuhl, aber das reichte völlig.

    Denn ich arbeitete lediglich ein paar Stunden täglich, nur nach Terminvereinbarung und ließ mir viel Zeit mit meinen Kundinnen, was diese natürlich sehr schätzten.

    Alles wäre wunderbar gewesen, wenn ich mich nicht so unwohl in meiner Haut gefühlt hätte. Die Wechseljahre schlugen zu. Und die zusätzlichen Kilos nach den Geburten der Jungs hatte ich auch nie so recht herunterbekommen.

    Der Knackpunkt war erreicht, als ich ein paar Blusen und Shirts bestellt hatte. Im Katalog sahen sie so toll aus, aber als ich sie anprobierte, saß die eine Bluse viel zu eng, quasi wie ein Presssack.

    Die andere, eine Nummer größer bestellt, hing an mir herunter wie ein Kartoffelsack, spannte aber trotzdem über dem Bauch. Die schicken Sachen, bestellt für die Hochzeit von Silke und Maik, sahen einfach unmöglich aus. Jedenfalls an mir.

    Nun reichte es mir. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer mal eine Diät angefangen und ein Jahr eine Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio bezahlt, aber nichts wirkte langfristig. Die Diäten waren nicht alltagstauglich, vor allem im Sommer. Immerzu hatte jemand Geburtstag oder lud uns zum Grillen ein.

    Wollte ich standhaft bleiben und hauchte mit leidvollem Lächeln „ich kann leider nicht mitessen, nur von dem grünen Salat vielleicht etwas, ich bin auf Diät", kamen unweigerlich die gleichen Sprüche:

    „Ach, dann machst du eben heute eine Ausnahme." (Und was mache ich die Woche drauf, bei der nächsten Einladung? Die nächste Ausnahme? Aus wie vielen Ausnahmen darf das Leben bestehen? Und nach der wievielten Ausnahme ist eine Ausnahme keine Ausnahme mehr, sondern die Regel ...?)

    „Du brauchst doch keine Diät, du bist prima so, wie du bist!" (Immer von den Frauen gesagt, die durch den Briefschlitz passen.)

    „Dann isst du eben morgen weniger!" (Und hatte dann so einen Hunger, dass ich den ganzen Diätplan in die Tonne warf und montags von vorne anfangen konnte – bis zum nächsten Freitag oder Samstag, wenn die nächste Einladung anstand.)

    Zum Fitnessstudio war ich ein paarmal gegangen. Aber jedes Mal traf ich dort auf ein paar kichernde Zicken, Kleidergröße extra dürr, die sich die ganze Zeit über mich lustig machten. Da verlor ich den Antrieb.

    Bis ich zwei Wochen vor Silkes Hochzeit vor dem Spiegel stand. Da wurde mir bewusst, dass es so nicht weitergehen durfte. Ich sah unmöglich aus.

    Dieses dicke, grobe Gesicht, das Doppelkinn, der hängende, aufgequollene Bauch und der breite Po ... Mir kamen die Tränen.

    Jens fand es nicht schlimm. Wir hatten zu der Zeit auch noch Sex. Warum er mich liebte und begehrte – für mich war es ein Rätsel.

    Also setzte ich mich hin und schrieb alles auf, was ich so aß. Und wie viel Bewegung ich hatte. Die Bilanz sah nicht gut aus.

    Jens aß gerne gut, so wie mein Vater. Ich brachte es nicht übers Herz, ihn hungern zu lassen.

    Natürlich aß ich mit ihm zusammen all das deftige Zeug: Bratkartoffeln, Schweinebraten, Kartoffel- und Nudelgratins mit viel Käse. Abends vor dem Fernseher dann noch Schokolade und zuckerhaltige Limonaden, Gummibärchen und dergleichen mehr.

    Bewegung? Zwar verlangten Haushalt und Garten etwas Bewegung, aber nicht genug. Ich lief nicht mehr viel. Also beschloss ich, abzunehmen. Aber dieses Mal fing ich es schlauer an.

    Zunächst stellte ich meinen Speiseplan um. Ich aß noch mit Jens mit, aber weniger. Dafür bekam ich dann noch einen großen Teller Salat. Das Dressing bereitete ich mit sehr wenig Öl, dafür mit mehr Wasser zu.

    Statt der Schokolade und dem anderen Schlickerkram gab es für mich nur noch ein Schälchen Götterspeise. Die war auch süß, hatte aber kaum Kalorien.

    Jeden Morgen ging ich spazieren. Und über das Internet suchte ich einfach eine Frau in meiner Nachbarschaft, die ebenfalls Lust auf Bewegung hatte. Gabi kam aus dem Nachbardorf. Jeden Morgen gingen wir einander nun entgegen, das waren schon einmal sechs Kilometer.

    Dann spielten wir auf der Gemeindewiese hinter unserem Sportplatz entweder Federball oder Fußball.

    Nachdem sich in beiden Dörfern herumgesprochen hatte, dass zwei moppelige ältere Damen dort einen Ball durch die Gegend traten und ihm keuchend hinterherliefen, kamen auf einmal andere Übergewichtige dazu.

    Auch zwei oder drei Männer blieben nun am Spielfeldrand stehen und drucksten herum, dass sie gern mitmachen wollten.

    Im Nu bildete sich ein kleiner Sportverein für „Dickies", meistens Rentner und Hausfrauen. Jetzt spielten wir Volleyball, Fußball, Völkerball wie damals in der Schule. Es gab keinen Druck und machte riesig Spaß.

    Und wenn wir uns untereinander zum Grillen trafen, gab es nur Hühner- oder Rindfleisch und grünen Salat. Nichts Fettiges. Ich stellte nach einem halben Jahr erstaunt fest, dass ich fast zwanzig Kilo verloren hatte.

    Nun, nach drei Jahren, war alles Überschüssige weg. Durch die Bewegung und gezielte Gymnastik war ich auch etwas straffer geworden. Ich sah mindestens zehn Jahre jünger aus.

    Dieses Geheimnis war also keins und ich legte Frau Hagebusch einen Ernährungsplan nahe. Unseren Verein erwähnte ich nicht. Wir waren inzwischen elf aufeinander eingeschworene Mitglieder und Freunde. Neuzugänge wollten wir derzeit gar nicht.

    Frau Hagebusch hörte schon gar nicht mehr richtig zu.

    „Ich habe so Eiweißdrinks gekauft, die trinkt man abends und dann hat man keinen Hunger mehr. Das Fett schmilzt nur so dahin", erklärte sie, während ich Folie um ihre Strähnchen wickelte.

    „Die kenne ich. Hunger haben Sie trotzdem, und wenn Ihr Mann etwas isst, kriegen Sie Futterneid. Habe ich auch alles schon versucht." Sie glaubte mir nicht. Nun, das würde sie schon selbst herausfinden!

    Haare ausspülen, föhnen, stylen ... Und wieder verließ eine strahlende Kundin meinen Salon. Ich räumte den Föhn weg, fegte die Haare zusammen und warf die Handtücher in den Wäschekorb.

    Für heute war ich fertig, denn es gab nur diesen einen Termin. Dafür hatte ich morgen drei. Ich würde also einkaufen fahren. Gulasch hatte sich Jens gewünscht. In letzter Zeit tat ich alles, um ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

    Denn obwohl er immer gute Laune hatte, Sex hatten wir nun keinen mehr. Vielleicht lag es an der Midlife Crisis? An mir nicht. Ich hatte in meinem Leben noch nie so gut ausgesehen. In meinem Kleiderschrank hingen nur noch schöne Sachen, taillierte Blusen und Jacken, enge Hosen, kurze Shirts, die den Hintern nicht verbargen. Mein Make-up war immer makellos. Aber vielleicht hatte er das gar nicht bemerkt.

    Er sah mich ja kaum noch an.

    Maren: Saure Gurkenzeit

    „Eigentlich ist es viel zu heiß für solche Spielchen, sagte Jörg und nahm einen tiefen Zug aus seiner Wasserflasche. Ich murmelte „hm und schloss wieder die Augen.

    „Hey, schlaf mir jetzt nicht ein. Du musst gleich wieder zur Arbeit", mahnte er und rüttelte mich sanft an der Schulter.

    „Ja, ist ja schon gut."

    Ich zog mich schnell an. Ich hätte eine Dusche gebraucht und würde nur eine Katzenwäsche in der Toilette der Praxis schaffen. Verdammt, verdammt, verdammt!

    „Na, da habe ich es ja besser. Der nächste Fahrschüler ist erst um vier dran heute. Dafür ein Anfänger. Die erste Motorradstunde. Hoffentlich fällt er nicht um. Aber das wird er bestimmt. Ist so ein Hänfling. Den könnte ich glatt umpusten. Aber mutig ist er."

    Jörg hatte es in dieser Hinsicht tatsächlich gut. Aber ich hörte den verdeckten Vorwurf: Ich lege meine Fahrstunden extra so, dass ich Zeit für dich habe, und du ...

    „Leider ist heute einer von diesen ätzenden, stressigen Tagen. Aber ich mache es wieder gut." Ich beugte mich über ihn und sog tief den Duft ein: er, wir, wir beide. Jörg roch immer gut. Er legte viel Wert darauf.

    „Ein Fahrlehrer, der nach Knoblauch stinkt, bekommt keine Schüler mehr. Nicht, dass die besser riechen würden. Manchmal hänge ich röchelnd aus dem Fenster. Aber sie entscheiden eben, wo sie ihr Geld ausgeben."

    Oder die Eltern, dachte ich dann. Und an die Ironie, dass es genau das gewesen war, was uns beide zusammengeführt hatte. Amelie wollte den Motorradführerschein machen. Tim war dagegen. Ich auch. Wir einigten uns darauf, dass wir ihr den Autoführerschein bezahlen würden, und zwar komplett, wenn sie dafür auf den „amtlich ausgestellten Totenschein" verzichten würde, wie Tim es nannte.

    Amelie stimmte schmollend zu und nach einer Weile dämmerte uns, dass das raffinierte Biest uns hereingelegt hatte. Denn den Autoführerschein hätte sie ursprünglich selbst bezahlen sollen.

    Eines Nachmittags, einem Mittwoch, brachte ich unseren Vorgarten in Ordnung und da fuhren sie vor, Amelie und Jörg. Amelie fuhr zu weit rechts und kam auf dem Bordstein zum Stehen. Es war ja auch erst ihre vierte Fahrstunde.

    Sie stieg aus, und ich sah ihren Fahrlehrer auf dem Beifahrersitz etwas notieren. Er sah auf und stutzte kurz. Dann lächelte er und stieg ebenfalls aus, statt auf den Fahrersitz zu rutschen und kurz die Hand grüßend zu heben und davonzufahren, so wie sonst.

    Er stellte sich vor, lobte Amelies Fahrkünste, machte Witzchen.

    „Ein entgegenkommender Lkw auf der gleichen Spur schockt mich schon gar nicht mehr, aber eine kräftige Stimme hat Amelie, und schön fluchen kann sie auch. Sehr farbenprächtig. Hat sie wohl vom Vater übernommen?"

    „Nein, das ist typisch Mama", lachte Amelie, während ich verlegen errötete. Aber nicht wegen der Flucherei.

    Dazu stand ich. Wenn alle fluchen dürften, wie sie wollten, wären die Menschen viel entspannter.

    „Tatsächlich?, rief Jörg amüsiert aus, „‘du dämlicher Linkswichsfrosch‘ ist von deiner Mutter?

    „Och, das kann ich noch besser", grinste ich und zog die dreckigen Gartenhandschuhe aus.

    „Ach? Sagen Sie auch solche Sachen, wenn Sie jemandem die Vorfahrt nehmen, statt umgekehrt?", feixte er.

    „Der hatte gehupt und ich hab mich erschrocken", murrte Amelie.

    „Toller Reflex, wirklich. Bringt dir aber bei offenem Fenster unter Umständen eine Anzeige ein", mahnte Jörg.

    Ich fühlte mich noch tiefer erröten. Er war eigentlich nicht mein Typ. Blond, schlank, blaue Augen.

    Aber Jörg strahlte Autorität aus, Selbstsicherheit. Seine Augen wanderten an mir herauf und wieder herunter, voller Anerkennung. Wann hatte mich das letzte Mal jemand so angesehen? Und dann wehte die leichte, leider viel zu leichte Brise in diesem heißen Sommer seinen markanten Duft herüber, männlich-herb, vermischt mit irgendeinem tollen und teuren Aftershave.

    Da wurden mir die Knie schon etwas weich. Ich hörte mich selbst fragen, ob er mit uns noch etwas Kühles trinken wollte.

    „Auf der Terrasse ist es überdacht. Sehr angenehm."

    Wer plapperte denn da nur so rum? Ach, das war ja ich.

    Er sah bedauernd auf die Uhr.

    „Liebend gern. Ich muss aber in fünfzehn Minuten den Nächsten zu seiner Autobahnfahrt abholen. Der wird schon total nervös auf mich warten. Vor der Autobahnfahrt sind sie alle nervös."

    „Ein Grund mehr, sich vorher ein Glas schöne kalte Limonade zu genehmigen. Selbstgemacht."

    Wer drängte denn da diesen unter Zeitdruck stehenden Menschen?

    Ach, schon wieder ich.

    „Selbstgemacht? Na gut. Da kann ich nicht widerstehen. Ein paar Minuten kann er auch noch warten."

    Jörg holte sein Handy heraus und tippte eine Nachricht, dass er später käme.

    „Ist sowieso der Letzte heute. Nach der Autobahnfahrerei bin ich immer ziemlich groggy."

    „Kein Wunder. Autobahnfahrten machen ja heutzutage wirklich keinen Spaß mehr."

    Ich führte ihn um das Haus herum auf unsere schöne Terrasse mit den schwarzen, eleganten Rattanmöbeln und setzte ihn in Tims Sessel, in dem die dicksten Kissen lagen. Es war der bequemste Platz.

    Jörg nahm dankend ein großes Glas eisgekühlte Limonade entgegen, die ich heute früh noch schnell zusammengerührt und den ganzen Vormittag im Kühlschrank gelassen hatte.

    „Die ist ja lecker. Und nicht zu süß. Genau richtig."

    Er streckte sich im Sessel aus. Ich bewunderte aus dem Augenwinkel die blonden Haare und stahlblauen Augen. Er trug kurze Jeansshorts, leichte Tennisschuhe und ein Achselshirt.

    Kein Wunder, wenn man den ganzen Tag bei dieser Hitze im Auto saß. Kräftig war er, nicht bärig wie Tim. Schlank, aber doch mit mehr Muskeln gesegnet als man gemeinhin jemandem zubilligt, der den ganzen Tag im Auto sitzt.

    Wahrscheinlich Fitnessstudio, dachte ich.

    Wir schwatzten zu dritt über Amelies Fortschritte, die Rücksichtslosigkeit anderer Autofahrer, die lustigen Missgeschicke seiner Fahrschüler und die Sonderfahrten, die Amelie noch machen musste. Auch ihr graute es vor der Autobahn. Und dem Anfahren mit Handbremse.

    „Wieso ausgerechnet das?", fragte Jörg verblüfft.

    „Weil mein Mann einmal mit ihr einen steilen Berg hochgefahren ist. Oben war eine Ampel. Beim Anfahren hatte mein Mann aber keinen Gang eingelegt, und als er Gas gab und die Handbremse löste, ging es rückwärts bergab.

    Sie hat geschrien und betrachtet sich seitdem als traumatisiert", grinste ich. Jörg und Amelie lachten.

    „Zum Glück war keiner hinter uns", setzte Amelie hinzu. Während wir so redeten und lachten, teilte mir Jörg ohne ein Wort zu sagen mit, dass er an mir interessiert war. Seine Blicke waren eindeutig, genau wie auch mein Erröten. Es tat so gut, wieder wahrgenommen zu werden.

    Wieder als Frau gesehen zu werden. Sei nicht dumm, vermutlich tut er das bei jeder, schimpfte ich mit mir.

    Aber ich spürte, wie etwas wieder in mir wach wurde. Dass eine Art verdorrte Blüte hoffnungsvoll den Kopf erhob.

    In diesem Moment wollte ich nichts anderes als Flirten. Es kam mir gar nicht in den Sinn, mehr zu wollen.

    Jörgs Bewunderung goss Wasser über die verdorrte Pflanze. Mehr brauchte sie nicht, die kleine Blume, befahl ich mir.

    Aber es kam natürlich anders.

    Jörg fuhr bald darauf, aber sein letzter Blick galt mir. Er zwinkerte mir zu. Ich grinste zurück, mit hochroter Birne wie ein Backfisch.

    Amelie hing zum Glück am Handy und sah nichts davon.

    Ich starrte seinem Fahrschulauto hinterher, bis es um die Ecke bog. „Jörg Blinker – immer benutzen!", lautete sein Werbeaufdruck, denn zu seinem großen Glück hieß er mit Nachnamen Blinker. Ein perfekter Name für einen Fahrschullehrer.

    „Wann ist deine nächste Stunde?", hörte ich mich fragen.

    „Übermorgen. Aber erst um fünf. Mitten im Berufsverkehr", knurrte Amelie und strich sich das lange Haar aus dem Gesicht.

    Freitag, dachte ich. Da hatte ich auch schon mittags Feierabend. Ob ich ihn vielleicht wiedersah ...?

    Wir saßen noch etwas auf der Terrasse. Ich starrte in ein Buch und dachte dabei nur an Jörg und seine Augen, die kräftigen Waden und Oberarme. Amelie war am Handy. Wo auch sonst.

    Eine Stunde später kam Tim nach Hause, erhitzt, verschwitzt, ölig und übellaunig.

    „Was machst du denn schon hier?", entfuhr es mir etwas erschrocken, als er um die Ecke bog. Im Blaumann. Normalerweise ließ er den bei Wilfried im Spind.

    „Ich kann ja wieder gehen", fauchte er und warf seine Tasche in eine Ecke. Ich zuckte zusammen, als sie dumpf aufschlug. Ich hatte sie ihm an diesem Morgen wie immer liebevoll gepackt. Eiskaffee in der Thermoskanne, zwei Brote, zwei Joghurts, dazu ein Apfel.

    „Was ist denn los?", fragte ich verschüchtert. Tim setzte sich auf seinen Sessel und ich sog erschrocken die Luft ein; sein ölverschmierter Blaumann auf den neuen und teuren Kissen!

    „Nicht!", rief ich. Aber er winkte ab.

    „Kann man doch waschen! Mensch, was du immer hast mit deinen Kissen und Spitzendeckchen und dem ganzen Mist!", schimpfte er.

    „Ich habe es eben gerne schön", zischte ich.

    Ich hatte mittwochs früher Feierabend, Tim kam meistens erst gegen sechs oder sieben. Endlich kam er mal früher nach Hause und hatte eine Stinklaune. Man hätte ja etwas zusammen unternehmen können.

    Rein theoretisch.

    „Wilfried hat den Azubi nach Hause geschickt. Er hat mich fast überfahren. Sind die heutzutage alle solche Grobmotoriker? Ich hätte dem fast eine geknallt. ‚Langsam in die Werkstatt rollen lassen‘, sage ich noch und was macht er, kaum dass ich neben der Hebebühne stehe? Vollgas geben! Feuern sollte man den, aber Wilfried sagt, einen anderen kriegen wir nicht. Es will eben kaum noch einer diese Dreckarbeit machen. Studieren wollen die alle!"

    „Ich doch auch, Papa", warf Amelie ein.

    „Ja, leider. Du kennst dich viel besser aus, mein Schatz. Du hast Werkstattluft geatmet, kaum dass du laufen konntest. Aber dieser Pimpf mit den zarten linken Händen weiß nicht mal, wie herum man eine Schraube eindreht, geschweige denn, welches Werkzeug man dafür benutzt. Jedenfalls hatte ich für heute die Nase voll.

    ‚Mach Feierabend und krieg dich wieder ein`, hat Wilfried gesagt. Morgen kommt die Gurke wieder. Bin gespannt, welchen Mordversuch er sich bis dahin ausgedacht hat."

    „Hast du wenigstens alle Beiträge für deine Lebensversicherung bezahlt?", scherzte ich.

    „Sehr witzig. Ich gehe jetzt duschen", knurrte Tim, goss sich die Limonade in die Kehle und ging ins Haus.

    Ich warf Amelie einen ironischen Blick zu, aber die hielt sich schon wieder ihr Handy vor die Nase.

    Zu ihr war Tim immer freundlich, nett und liebevoll. Zu mir war er in letzter Zeit sehr eklig gewesen.

    Den Hochzeitstag hatte er wenigstens nicht vergessen, aber es lief lieblos ab: Blumen für zwanzig Euro aus dem Supermarkt, fertig gebunden. Essen beim Italiener. ‚Geschenk kommt später‘, also zu Deutsch: Ich habe nichts gefunden und auch keine Idee, was man dir schenken könnte. Ebenso mechanisches Geruckel im Bett. Vorspiel: Einmal grapschen an den Busen, zweimal streicheln zwischen den Beinen.

    Mein Geschenk, ein Gutschein über ein Wochenende in einem tollen Hotel im Harz, lag bis heute in seinem Nachttisch.

    Mich störte das alles, ihn scheinbar nicht. Lag es an mir?

    Ich war laut meiner Chefin seit drei Jahren in den Wechseljahren, aber dank der Hormontherapie bemerkte ich nicht viel davon, nur die Antriebslosigkeit machte mir bisweilen zu schaffen. Auch schlief ich nicht mehr so gut.

    Zwischen drei und vier Uhr nachts wurde ich wach und grübelte. Wahrscheinlich musste die Dosis angepasst werden oder dergleichen. Vielleicht war es auch nur das Gefühl, total überflüssig zu sein. Zuhause lief nichts ohne mich, aber ob ich nun dort war oder nicht – wen interessierte das? Amelie hockte entweder auf ihrem Zimmer, in der Schule oder mit ihren Freundinnen in der Stadt. Tim hockte vor dem Fernseher, in seinem Keller oder auf dem Klo.

    Ich hatte das Basteln für mich entdeckt und dekorierte öfters um. Außerdem hatte Silke mir YouTube-Videos geschickt. In denen wurde alles weggeworfen, was man nicht mehr brauchte „Extreme Declutter" hießen die.

    Nun mistete ich Zimmer für Zimmer unnötigen Kram aus. Was da schon zusammengekommen war!

    Nur Amelie und Tim weigerten sich. Amelie ließ mich in ihr Zimmer gar nicht erst rein und Tim hatte mir den Zutritt zu seiner Werkstatt und dem Hobbyraum im Keller schon vor Jahren untersagt. „Männerhöhle", stand auf einem Schild, das an der Tür klebte.

    Es nützte die beste Methode nichts, wenn man nur die eigenen Sachen durchforsten durfte. Auch der Kleiderschrank von Tim war tabu.

    Aber Basteln und Ausmisten und alles schön dekorieren nützt nichts, wenn man sich trotzdem alt, leer und geradezu lästig fühlt. Zum Glück hatte ich noch Silke und Ruth, mit denen ich etwas unternehmen konnte, nachdem Lisa weggezogen war.

    Ich stand auf und ging ebenfalls ins Haus. In der Küche deckte ich den Tisch mit Zeitungspapier ab und holte mein neuestes Projekt aus meinem Bastelschrank im Hauswirtschaftsraum. Es war ein Schild für ebendieses Zimmer. Grundiert hatte ich es gestern schon. Eine billige Leinwand für zwei Euro, die ich jetzt zum zweiten Mal mit weißer Kreidefarbe strich. Zum Glück trocknete die schnell und deckte so gut, dass zwei Anstriche wohl reichen würden. Während die Leinwand trocknete, schüttete ich einen Beutel Holzbuchstaben aus ihrer Verpackung und begann zu sortieren.

    Als ich alle Buchstaben hatte, die ich brauchte, stibitzte ich mir einen von Tims Markern und malte sie schwarz an. Da reichte zum Glück ein Anstrich und der war fast sofort trocken.

    In der ganzen Zeit raste mein Hirn. Ich konnte beim Basteln immer gut entspannen, aber auch nachdenken.

    Jörg ging mir nicht aus dem Kopf. Nicht einfach er selbst; wie ich schon sagte, Flirten hätte mir gereicht. Aber zum Schluss, als er mir zuzwinkerte ... sein Gesicht, seine Augen und sein Nicken hatten mir eine eindeutige Botschaft vermittelt.

    Dass ich mehr haben konnte, wenn ich wollte.

    Wollte ich das? Nein, entschied ich, während ich außer den Buchstaben auch meine Finger schwärzte. Affären gingen doch immer schief. Man hörte so viel davon. Ehen zerbrachen, Kinder wurden zu Halbwaisen oder zumindest fast. Und was man sich aufgebaut hatte, war futsch.

    Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und sah mich um. Ich hatte alles, wirklich alles.

    Die Küche war erst zwei Jahre alt. Das Wohnzimmer hatten wir im letzten Jahr neu gestrichen. Das Haus war inzwischen abbezahlt. Tim und ich verdienten gut. Unsere Ehe war zugegebenermaßen etwas eingefahren, aber das konnte man doch wiederbeleben. Man musste es nur wollen!

    In diesem Moment hörte ich oben die Tür vom Bad zuklappen und Tims Schlappen auf der Treppe. Aber er kam nicht in die Küche. Er ging weiter nach unten in seinen Keller. Es dröhnte, als er die Tür zuwarf.

    Was auch immer er da unten machte, es war wichtiger als ich oder wir. Schon lange.

    Midlife Crisis? Tim war jetzt sechsundfünfzig, verlor langsam Haare. Die anderen ergrauten. Ich fand ihn immer noch gut aussehend. Sein Schnäuzer erinnerte mich an Magnum. Als ich noch jung war, hatte ich Tom Selleck so toll gefunden, dass sein Poster in meinem Zimmer hing. Körperlich war Tim noch immer fit. Sein Bauch war etwas gewachsen, aber so war das eben in unserem Alter. Ich hatte da Glück. Ich tat auch etwas dafür, auf dem Dachboden stand ein Hometrainer. Jeden Morgen stand ich um halb fünf auf, machte Tim sein Müsli fertig und schmierte seine Brote.

    Dann packte ich seine Arbeitstasche, stellte das Müsli zum Einweichen in den Kühlschrank und ging auf den Dachboden. Eine halbe Stunde schwitzte ich, dann eine schnelle Dusche, anziehen, Kaffee und Toast, und ich fuhr zur Arbeit.

    Tim stand um sechs auf und saß mit seiner Zeitung am Tisch, Müsli löffelnd, wenn ich meinen Toast aß. Unsere Konversation beschränkte sich auf „Morgen und „Tschüss.

    Amelie trampelte auch schon durch das Haus, aber ob sie frühstückte, bekam ich schon gar nicht mehr mit. Wahrscheinlich fütterte sie ihr Meerschweinchen Mister Pebbles besser als sich selbst. Ich fand es ungewöhnlich, in ihrem Alter noch ein Meerschweinchen zu haben, aber das musste sie ja selbst wissen.

    Die Leinwand war trocken, die Buchstaben auch. Mithilfe eines Lineals klebte ich sie gerade und mit gleichem Abstand auf, die Wörter etwas versetzt. Laundry Room, stand nun darauf, Drop Your Pants Here. Online fand ich noch das Bild eines kleinen, ulkigen Mannes, dem seine Hose herunterfiel. Das druckte ich aus und klebte es in die untere rechte Ecke. Den Nagel hatte ich schon eingeschlagen und hängte das Bild auf.

    Wie gut es nun hier aussah! Auf YouTube hatte ich haufenweise Organisierungsvideos gefunden und hatte das Regal neben der Waschmaschine mit Plastikkörben bestückt, in denen die Waschpulver, Weichspüler, Trocknertücher und Fleckensalze säuberlich geordnet untergebracht waren. Das Wohnzimmer war inzwischen genauso organisiert. Es stand nichts mehr herum und die Bastkörbe unter dem Tisch beinhalteten das Chaos von einst: Zeitschriften, Fernbedienungen, Ladekabel, Tablets und Bücher.

    Ja, uns ging es gut. Wir hatten krisensichere Jobs, ein abbezahlten Haus, nette Nachbarn, eine fast erwachsene Tochter und waren gesund. Das alles sollte ich gefährden? Für einen durchdringenden Blick, der mir heiß durch den ganzen Körper gefahren war?

    Nein!

    Der Kopf sagte entschieden Nein.

    Aber das Herz klopfte. Es klopfte so laut, man musste es hören.

    Nur im Keller hörte man es wohl nicht.

    Herzklopfen vergeht, wenn man hart an sich arbeitet. Es kommt wieder, wenn man in einer gynäkologischen Praxis arbeitet und tagtäglich Männer jeden Alters sieht, die ihre schwangeren Frauen zu Ultraschallterminen begleiten. Die Freude, die Verliebtheit. Ich hatte auch schon Männer in Tims Alter gesehen. Getrennt, geschieden und nun mit Frauen zusammen, die zehn oder mehr Jahre jünger waren und ihre Familienplanung noch nicht abgeschlossen hatten.

    Wie liebevoll, fürsorglich und zärtlich sie waren! Sie strahlten wie ein Honigkuchenpferd, wenn sie an die Rezeption kamen, ein Ultraschallbildchen an die Brust gedrückt, auf dem mit ihren ungeübten Augen alles abgebildet sein konnte – ein Baby oder auch ein Alien. Sie platzten vor Stolz. So war Tim auch gewesen damals. Und er hatte sich rührend um mich gekümmert. Fußmassagen, ungewöhnliche Gelüste, Stimmungsschwankungen, alles hatte er gewuppt und mir bei allem geholfen. Er war der liebevollste Vater, den ich kannte.

    Aber als Ehemann hatte er sich in den letzten Jahren immer weniger hervorgetan. Man konnte wirklich neidisch werden, wenn man sah, wie die frischverliebten Männer sich ihren Frauen gegenüber benahmen.

    Ich beschloss, mit ihm zu reden. Es konnte doch nicht sein, dass ich in Träumen von einem großen, schlanken, sportlichen und wohlduftenden Fahrlehrer vernascht wurde, nur weil ich mich nicht mehr wahrgenommen fühlte!

    Wild entschlossen ging ich zur Kellertür, aber da fiel mein Blick auf die Wanduhr. Es war schon halb sechs. Vor lauter Bastelei und Flirten mit dem Blinker war die Zeit wie im Flug vergangen. Ich musste das Abendessen machen.

    Seufzend verschob ich das Gespräch auf später und holte die aufgetauten Rouladen aus dem Kühlschrank.

    Zwiebeln schälen und schneiden, Speck schneiden, Gewürzgurken aus dem Glas angeln und die Rouladen mit Senf bestreichen, salzen und pfeffern und rollen, rollen ... anbraten, aufgießen, kochen, Kartoffeln schälen ... Zum Glück hatte ich fertigen Rotkohl gekauft.

    Tim unterhielt sich beim Essen angeregt mit Amelie, auf meine Fragen bekam ich nur gebrummte Antworten, die dieses oder jenes bedeuten konnten. Danach zogen wir uns auf die Couch zurück.

    Amelie traf sich noch mit ein paar Freundinnen. Mein Handy piepte. Es war Silke, die mir ein schön versautes Video geschickt hatte. So war sie eben.

    Tim grinste, als er das Video mit ansah und stand auf.

    „Ich geh mal kurz in den Keller", murmelte er und kam nicht wieder. Erst glotzte ich in den Fernseher und las nebenher in meinem Buch, aber immer wieder tauchte das Gesicht von dem Blinker vor meinem inneren Auge auf. Unvermittelt reichte es mir und ich marschierte in den Keller. Es hätte ja Tims Gesicht sein müssen, das mir immer wieder vor die Augen kam!

    Unten angelangt, drückte ich die Klinke zur Männerhöhle herunter. Ich steckte den Kopf in den Raum und öffnete den Mund für eine Entschuldigung, drang ich doch illegal in seine Domäne ein, da klappte er mir vor Entsetzen wieder zu. Es war ein relativ lautes Klack zu hören, als meine Zähne aufeinandertrafen, aber es ging in den Geräuschen aus den Lautsprechern von Tims Computer unter.

    Er saß vor dem Computer, die bequeme Jogginghose zu den Knien heruntergezogen und masturbierte. Auf dem Bildschirm waren zwei nackte junge Damen mit aufgepumpter Oberweite schwer miteinander beschäftigt. Ein Dildo von der Größe einer Salatgurke war auch im Spiel. Ich blinzelte; nein, es war eine Salatgurke.

    Immerhin Bio, schoss es mir durch den Kopf. Vielleicht auch aus der Region. Wie umweltbewusst.

    Tim hatte mich noch gar nicht bemerkt. Das Gestöhne aus den Lautsprechern war auch reichlich laut. Wut überkam mich. Was, wenn Amelie hier herunterkam, um ihr Fahrrad aus dem Trockenkeller zu holen?

    Ich sah ihn genauer an und zum ersten Mal in unserer Ehe erschien Tim mir wie ein völlig Fremder. Seine Augen stierten in den Monitor. Seine vollen Lippen bebten. Seine Wangen waren hektisch gerötet. Die Hand in seinem Schritt bewegte sich schneller und immer schneller.

    Jetzt wusste ich auch, wieso er seit Monaten auf jede Einkaufsliste Kleenex kritzelte. Eine Box stand auf dem Schreibtisch.

    Eine recht leere Box.

    Ich fühlte mich mit einem Mal völlig kraftlos, müde und traurig. Die Wut war verraucht. Vielleicht war es der Anblick seines bebenden Bärtchens oder auch der Blick, der gierige, glupschäugige Blick auf die beiden Tussis, der mir alle Kraft geraubt hatte. Das war nicht der Mann, den ich kannte.

    Und was er da tat, war auch eine Art Betrug an mir.

    Wer nun glaubt, ich hätte mich sofort in die Affäre mit Jörg gestürzt, irrt. Ich hatte nun andere Sorgen.

    Aber wenn das Zwinkern am Schluss doch nachts vor meinem geistigen Auge aufstieg, empfand ich keine Schuldgefühle mehr. Die Wut war wieder da, aber sie war nicht mehr rasend. Sie brodelte in mir. Sex gab es zwischen mir und Tim schon länger überhaupt nicht mehr. Jetzt wusste ich ja auch, warum. Die Titten-Tanten im Computer raubten ihm die letzte Kraft. Und jung waren sie auch. Werktags versuchte ich schon ewig nicht mehr, Tim zu verführen. Wir waren beide müde, der Tag fing ja früh an. Vor allem bei mir. Und ihm taten die Knie und der Rücken oft weh, das brachte die Arbeit so mit sich.

    Am Wochenende gingen wir zwar ab und zu aus, aber Wilfrieds Werkstatt hatte auch samstags bis mittags geöffnet. Meistens blieben wir doch zuhause. Nur Essengehen am Samstagabend war etwas, das wir einmal im Monat taten. Meistens mit Silke und Florian, manchmal auch mit Ruth und Jens.

    Danach kehrten wir auf ein Gläschen irgendwo ein und wenn wir dann gegen Mitternacht nach Hause kamen, fielen wir ins Bett. Sonntags lungerten wir eigentlich nur herum. Der Spaziergang vor dem Kaffeetrinken war das Einzige, das uns von der Couch aufstehen ließ.

    Und Montag begann dann der alte Trott.

    Sex? Ich dachte, Tim hätte das Interesse daran völlig verloren. Da hatte ich mich wohl geirrt.

    Es entfernte mich emotional von Tim. Da war Wut, da war Demütigung, da war Enttäuschung. Alles wurde zu einem Knäuel im Herzen, das immer schmerzhafter wurde. Seine Männerhöhle mutierte für mich zur Neandertalerhöhle. Ich hatte keinen Zugang mehr zu ihm und wenn ich ihn nun ansah, hüpfte mir nicht mehr das Herz im Leib, weil ich einen tollen und gut aussehenden Mann hatte. Alles, was ich jetzt sah, war ein alternder Mann mit primitiven Gelüsten, der sich nur noch für geile Weiber mit riesigen Brüsten interessierte und mich wohl nicht mehr liebte. Das traf mich am härtesten. Sein Verhalten war eigentlich nicht anders erklärbar.

    Die Zeit direkt nach meiner Entdeckung war grauenhaft. Eine Arzthelferin muss voll konzentriert sein. Ich füllte schließlich Rezepte aus, ich trug Medikamente und ihre Dosierung ein, ich stach Nadeln in Armbeugen.

    Manches Mal flüchtete ich mich in die Personaltoilette und brach in Tränen aus. Birgit fragte nicht, sie übernahm wortlos meine Aufgaben, bis ich mit frischem Mascara und einem hölzernen Lächeln wieder zum Vorschein kam. Sie dachte sicher, Tim und ich hätten Streit. Sie rechnete gewiss damit, dass ich eines Tages „mein Mann und ich lassen uns scheiden" heraussprudelte. Aber so weit war ich noch nicht.

    Dem Blinker hatte ich keine Nachricht zukommen lassen und wir hatten uns nun seit zwei Wochen nicht mehr gesehen. Aber je mehr ich darunter litt, dass mein Mann in jeder freien Minute zur Kellerassel mutierte (so nannte ich ihn jetzt), desto weniger Skrupel hatte ich, über Jörg nachzudenken. Jörg Blinker. Ich suchte und fand ihn in den sozialen Medien.

    Über seinen Familienstand fand ich nichts heraus, aber sicher war auch er verheiratet. Oder wieder geschieden? Waren ja viele. Und wieder stach mir das Bild meines Rubbelgatten ins Herz. Zwei Stockwerke über ihm schlief seine Tochter. Und er ...

    Eines Tages, fast drei Wochen später, passierte es dann. Ich hatte freitags gegen Mittag Feierabend und fuhr einkaufen. Im Kreisverkehr vor dem Supermarkt hatte sich ein kleiner Stau gebildet. Es ging nur im Schneckentempo voran. Ich fädelte mich resigniert ein. Nachdem drei Autos vor mir abgebogen waren, fand ich mich hinter einem Fahrschulauto wieder. Fahrschule Jörg Blinker. Immer benutzen!

    Ich riss die Augen weit auf und da traf sein Blick im Rückspiegel auf mich. Wieder durchfuhr es mich heiß. Ich konnte ihn grinsen sehen. Er hob grüßend die Hand und drehte den Kopf etwas nach hinten. Er lächelte. Ich winkte eifrig zurück und strahlte ihn errötend an. Etwas in meinem Gesicht musste anders gewesen sein als vorher. Er schnauzte seinen Schüler an, ich hörte es durch das geöffnete Fenster.

    „Nana, jetzt drehen wir noch eine Runde. Wann blinkt man im Kreisverkehr?"

    Genau das tat ich jetzt, ich betätigte meinen Blinker und fuhr aus dem Kreisverkehr heraus, direkt auf den Supermarktparkplatz. Ich sah, wie Jörg interessiert den Kopf zu mir drehte. Nun wusste er, wo ich zu finden war.

    Es dauerte eine halbe Stunde. Ich hatte gerade den Käseaufschnitt in den Einkaufswagen gelegt und studierte meine Liste, da bog der Herr Blinker um die Ecke.

    Trotzdem ich mir recht sicher gewesen war, dass er mir folgen würde, erschrak ich zu Tode. Nun war es irgendwie entschieden.

    „Na so was, Hallo", grinste er. Es entspann sich etwas Smalltalk, den sogar Amelie hätte mit anhören können, aber unsere Augen führten ein ganz anderes Gespräch. Er konnte in meinen perfekt lesen. Ein Mann wie er konnte es riechen: Verzweiflung, Einsamkeit, Verbitterung, Bereitschaft.

    Wir schwatzten über Amelies Fortschritte, lachten über die typischen Anfängerfehler: Motor abwürgen an der Ampel, falsch in die Einbahnstraße abbiegen. Dann sah er auf die Uhr.

    „Die nächste Stunde steht an, aber heute Abend habe ich frei. Keine Dunkelfahrt. Vielleicht sollten wir irgendwo was trinken?"

    Nun war mir wirklich heiß. Und kalt. Und übel. Und ich spürte, dass die Blume in mir neugierig den Kopf emporreckte.

    „Ja, warum nicht?", hörte ich mich sagen.

    „Prima. Um acht drüben bei Plümels?" Das war die einzige kleine Cocktailbar in der Stadt. Ich nickte. Er grinste noch einmal, hob grüßend die Hand und ging. Ich sah ihn noch beim Bäcker ein Brot kaufen, dann war er verschwunden.

    Mechanisch legte ich die Sachen von der Einkaufsliste in den Wagen. Zum Glück, dachte ich, ist es hier passiert. Ich habe zu Hause ja gar nicht mehr, was man dazu so braucht.

    Ich schob den Wagen in die Kosmetikabteilung. Kaltwachsstreifen, Lippenstift in knalliger Farbe, Nagellack, Körperpuder. Und Kondome.

    Es regnete, aber ich ging trotzdem die lange Strecke zu Fuß zu Plümels. Es hatte sich ganz schön abgekühlt und ich trug eine leichte Jacke. Es waren nur noch wenige Menschen unterwegs, wohl wegen des Wetters. Ich hätte Zeit zum Nachdenken gehabt, aber ich wollte gar nicht nachdenken. Trotzdem blieb ich vor dem Fahrplan der Bushaltestelle stehen und starrte blicklos hinein.

    Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich war unglaublich nervös, so wie damals, als ich mich zum ersten Mal mit Tim verabredet hatte. Mein Magen knurrte, weil ich beim Abendessen nichts herunterbekommen hatte. Tim fiel das nicht auf.

    Er hatte nicht mal bemerkt, dass ich das Haus verlassen hatte. Er saß wieder in seinem Würg-die-Python-Verlies. Amelie war drüben bei ihrer Freundin Janina.

    Meine lange Dusche mit Beinrasur, das Styling der Haare und das neue Make-up - all das blieb unbemerkt. Genauso wie die duftende Körperlotion und das neue Parfüm.

    Es interessiert wirklich niemanden, was ich mache, schoss es mir durch den Kopf. Man könnte meinen, ich wäre nicht verheiratet. Tim könnte auch mein Bruder sein!

    Aber er war nicht mein Bruder.

    Was ich hier tat, war Verrat. Zwar tat Tim etwas, das auch Betrug war, aber es war virtuell. Er betrog mich körperlich nur mit seiner Hand.

    Was ich zu tun gedachte, war eine ganz andere Geschichte.

    Ich stand lange vor der Bushaltestelle und noch länger vor der Bar, einen Schirm in der Hand und Gewissensbisse im Kopf. Was tat ich denn hier? Ich hasste Fremdgänger! Als Maik damals Silke betrog und verließ, da hatte ich ihm die Pest an den Hals gewünscht. Und jetzt? Jetzt machte ich das Gleiche.

    Aber bei mir war es doch etwas anderes, dachte ich. Maik hatte einfach warm gewechselt, als er etwas Besseres gefunden hatte. Ich, ich war meinem Ehemann nicht mehr wichtig.

    Ich bin nicht als Ehefrau und Mutter hier, dachte ich.

    Ich bin als ich hier: Maren.

    Maren bedeutet nur noch ihren Freundinnen etwas, aber keinem Mann.

    Das gab den Ausschlag. Ich schloss den Schirm, schüttelte ihn aus, und drückte die schwere Eichentür auf.

    Drinnen empfingen mich gedämpfte Musik und Kerzenschein von den Tischen. Nur über der Bar gab es eine schwache Beleuchtung. Plümels war gemütlich. Heute kam mir die knuffige kleine Bar zum ersten Mal auch intim vor.

    Jörg saß in einer Nische weiter hinten, so wie ich schon vermutet hatte. Jetzt trug er keine Shorts, dafür eine schwarze Jeans, blaues Jeanshemd und eine schwarze Weste. Oh je, dachte ich, denn für Westen hatte ich eine Schwäche. Jetzt saß ich erst recht in der Falle.

    Jörg lächelte, rief „Hallo!", und stand auf. Er nahm mir sogar die Jacke ab und hängte sie auf. Das hatte auch schon ewig niemand mehr für mich getan.

    Wir bestellten Sekt für mich und einen Espresso für ihn. Ich war verwundert.

    „Ich bin mit dem Auto hier", erklärte er.

    „Oh, haben Sie doch noch eine Dunkelfahrt?", fragte ich enttäuscht.

    „Nein, nein. Aber ich wollte bei diesem Wetter nicht laufen."

    „Ach so."

    „Wir könnten uns auch duzen. Darf ich dich später nach Hause fahren?", fragte er, als würde ich ihm damit einen Gefallen tun.

    „Das wäre nett."

    Wir unterhielten uns, zunächst über Alltägliches. Ich wurde noch nervöser. Hatte ich ihn etwa falsch verstanden? Fand er mich lediglich nett und wollte einfach nur unverbindlich etwas trinken? Über Amelie reden?

    „Die Leute blinken heutzutage nicht mehr, wenn sie abbiegen. Es ist unglaublich, was da draußen abgeht", sagte er gerade.

    „Ja, ich benutze immer den Blinker", stimmte ich zu.

    „Das will ich hoffen. Ein Blinker will auch benutzt werden. Er lechzt geradezu danach", grinste er jetzt mit leicht geröteten Wangen.

    „So? Na, dann sollte man das auch immer schön tun", nickte ich, nichts raffend.

    „Ja, regelmäßig. Mindestens einmal die Woche. Und er weiß, wie man sich benutzen lassen muss. Er stellt sich gerne dafür zur Verfügung."

    Ich starrte ihn verständnislos an. Dann fiel mein Blick an ihm vorbei aus dem Fenster. Sein Auto parkte direkt vor Plümels, und zwar rückwärts. Die Aufschrift stach mir direkt ins Auge. Fahrschule Blinker, immer benutzen!

    Nun ging mir ein Kronleuchter auf.

    „Oh! Oha! Äh, ja. Das wäre prima, man sollte den Blinker auf jeden Fall benutzen, äh ...", stammelte ich, als der Groschen endlich fiel.

    Er lehnte sich zurück und lächelte.

    „Aaaah, na wunderbar. Lass uns darüber reden, wie und wann das passieren könnte."

    Reden? Wie wäre es mit einem Kuss gewesen? Es klang wie eine vertragliche Vereinbarung. Ein Blick in seine Augen machte mir klar, dass es genau das war. Ich schluckte. Das bekam einen schmutzigen Charakter. Schmutzig, aber auch erotisch. Und sehr erregend.

    Wir einigten uns auf den nächsten Mittwoch. Er brachte mich nach Hause und parkte hinter unserer Hecke. Dort war es dunkel genug. Er beugte sich zu mir herüber, und da bekam ich meinen Kuss. Er ging mir durch und durch. Ein feuriger Blitz vom

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1