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Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1: Ein guter Sheriff braucht keinen Schlaf - Tagebuch des unbekannten Wahlkämpfers
Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1: Ein guter Sheriff braucht keinen Schlaf - Tagebuch des unbekannten Wahlkämpfers
Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1: Ein guter Sheriff braucht keinen Schlaf - Tagebuch des unbekannten Wahlkämpfers
eBook295 Seiten3 Stunden

Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1: Ein guter Sheriff braucht keinen Schlaf - Tagebuch des unbekannten Wahlkämpfers

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Über dieses E-Book

Die Erlebnisse des Unbekannten Wahlkämpers und späteren Unbekannten Ministerpräsidenten, gesammelt und aufgeschrieben von ihm selbst. In einem furiosen Ritt durch Windungen, die noch keines Gehirnes Auge je erblickt, entführt er in eine Welt, in der die reine Unvernunft so selbstverständlich regiert, wie in anderen Welten die reine Vernunft. Ihre Bewohner behaupten allerdings das genaue Gegenteil und verhalten sich auch so.
Dadaistisch, politisch, subversiv und gar nicht mal unerotisch.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum7. Okt. 2018
ISBN9783742719959
Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1: Ein guter Sheriff braucht keinen Schlaf - Tagebuch des unbekannten Wahlkämpfers

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    Buchvorschau

    Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1 - Harald Hartmann

    1

    Es klopfte an meiner Tür. Ich öffnete. Vor mir standen zwei Männer in dunklen Anzügen, die mir mitteilten, ich sei zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Ich wollte die Tür wieder schließen, aber sie hinderten mich daran mit Händen und Füßen.

    „Es stimmt, wiederholte einer von ihnen nun in energischem Ton. „Sie sind zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Kommen Sie bitte mit, sofort!

    Es blieb mir nichts anderes übrig als einzusehen, dass ich mich in einem unbekannten Land befand. Hier herrschten offenbar andere Zustände als bei mir zu Hause. Ich hatte keine Ahnung, wie ich hierhin geraten war. Ohne weitere Widerworte ging ich mit.

    Draußen warteten vier kräftige Männer mit einer altmodischen Sänfte. Sie trugen nichts außer luftigen Baströckchen. Wohl ihre Arbeitskleidung. Ihre beachtliche Brustbehaarung beeindruckte mich. Sie waren nicht mehr ganz jung. Sie rauchten Zigaretten und sprachen miteinander. Sie schenkten mir keine Beachtung. Es gab wohl Wichtigeres.

    Ich nahm Platz in der Sänfte. Zu meiner Überraschung war ich nicht allein. Mir gegenüber saß eine wie ein indischer Guru von einhundertvierzig Jahren aussehende Gestalt und schmuste heftig mit einer ziemlich aufgetakelten jungen Frau, die es, aus welchem Grund auch immer, zu genießen schien.

    „Andere Länder, andere Sitten, dachte ich. „Zähne putzen, nicht vergessen, auch hier nicht!

    Oder vielleicht sogar gerade hier nicht, denn meine kulturellen Errungenschaften waren ja meine einzige Verbindung zu meinem alten Leben. Und die wollte ich mir nicht wegnehmen lassen in dieser Fremde. Dann spürte ich, wie die Sänfte angehoben und fort bewegt wurde. Ein Handy klingelte. Meines war es nicht, denn ich hatte es zu Hause vergessen. Die Gefährtin des Gurus klappte ihre Schädeldecke auf und entnahm dem Hohlraum ein Handy, das unentwegt weiter klingelte. Während sie auf das Display blickte, verschloss sie mit einer geübten Handbewegung wieder ihren Schädel. Sie reichte es weiter an den Guru. Er ergriff es mit seinem linken Fuß und übergab es mir.

    „Für Sie", sagte er.

    Sein linker Fuß duftete nach Rosen im Frühling. Auch wenn es nur wegen seiner Fußseife so sein sollte und sein verschrumpelter Fuß nicht aus sich selbst heraus so duftig roch, wie er roch, so war es mir in diesem Moment völlig egal. Wortlos warf ich das Handy aus der Sänfte und konzentrierte mich mit meiner Nase ganz auf das Einatmen des Rosendufts.

    Plötzlich wurde die Sänfte abgesetzt. Der Guru zog seinen Fuß zurück zu sich, küsste ihn liebevoll und legte ihn in seinem Nacken ab. Ich entstieg der Sänfte. Das Wetter war schön. Ein Schotte in kniefreiem Rock empfing mich.

    „Dreiundzwanzig", sagte er mit fester Stimme.

    Ich vermutete, dass er mich einer strengen mathematischen Prüfung unterziehen wollte. Aber das war kein Problem für mich, denn die Mathematik war schon immer ein Buch ohne jedes Siegel für mich gewesen.

    „Fünfundzwanzig", antwortete ich, ohne zu zögern.

    Ich hatte gewonnen. Er verbeugte sich, sichtlich zufrieden mit meiner exakten Antwort, und übergab mir ein Manuskript. Ich blickte mich um. Ein großes Allerlei würdevoller Lebewesen der Saison war hier versammelt. Alle waren mir unbekannt. Ich warf einen Blick auf das Manuskript. Was darauf stand, gefiel mir nicht. So etwas Affiges wollte ich nicht sagen. Ich bastelte mir lieber einen Fächer aus den Papierblättern, was mit allgemeinem Applaus bedacht wurde.

    „Ich weiß nicht, wo ich bin", rief ich laut. Applaus.

    „Ich bin kein Ministerpräsident". Wieder Applaus.

    „Ich weiß nicht, was ich tun soll". Donnernder Applaus.

    Musik setzte ein, irrlichternd, wie aus tausend gleichzeitig spielenden Spieluhren mit jeweils unterschiedlichen Melodien. Gratulationen und begeistertes Schulterklopfen von allen Seiten. Man war mit meiner Ansprache offenbar zufrieden gewesen. Ich hatte wohl den richtigen Ton getroffen. Ich war ein guter Ministerpräsident. Dieses Talent hatte man mir bisher verschwiegen, da, wo ich herkam.

    Wind kam auf, braune Blätter flogen durch die Luft. Plötzlich war der Herbst da, und ich war immer noch Ministerpräsident. Ich nahm es jedenfalls an. Auf alle Fälle hatten die Menschen hier viel zu tun in dieser Jahreszeit. Fleißig fingen alle die wild herumfliegenden, braunen Blätter mit Schmetterlingsnetzen ein und rollten daraus große, dicke Zigarren. Eine Havanna war dagegen richtig zum Lachen. Ich, als ihr gewählter Ministerpräsident, bekam natürlich eine geschenkt. Gemeinsam gingen wir in einer langen Prozession und in absoluter Stille zu einem großen Schwimmbecken, und eine Zeremonie, wie aus einem uralten Ritual entsprungen, begann. Alle begaben sich hinein in das Becken. Keiner zog sich aus. Alle legten sich bequem mit dem Rücken aufs Wasser, das sie trug, als wäre es eine moderne Sieben-Zonen-Matratze, und fingen hingebungsvoll an, ihre Zigarren zu paffen. Ein weißer Nebel schwebte über dem Wasser. Eine Stimme sprach die Nachrichten des Tages.

    „Ministerpräsident schon wieder wiedergewählt. Einstimmig."

    Es war also so, wie ich vermutet hatte. Ich war immer noch und auch schon wieder Ministerpräsident. Eine Hymne erklang, gespielt von einer Mundharmonika. Vielleicht die Nationalhymne.

    2

    Der Nebel war verschwunden, das Wasser auch. Ich blickte mich um. Aus dem großen Schwimmbecken war ein großes Stadion geworden. Es war komplett ausverkauft und präsentierte sich mir geschmückt in seiner vollsten Blüte. Man wollte wohl meine Wiedererwählung feiern. Ich erhob mich aus dem gepolsterten Thron meiner Ehrenloge, um allen zum Dank für ihre überrationale Wahl ein kostenloses Schauspiel zu liefern. Ich rasierte mich mit meinem teuersten Elektrorasierer. Dafür gab es Applaus. Schon wieder. Ich mochte Applaus, und ich überlegte, ob ich nicht für immer hier bleiben sollte. Nirgendwo anders hatte ich jemals vorher so viel Applaus bekommen, und nirgendwo anders würde ich jemals wieder mit so viel Applaus bedacht werden. Manchmal war eine Antwort ganz leicht, so leicht, dass sie der Schwerkraft der Frage entkam und als nun emanzipiertes Wesen unter dem Radar der Vernunft hindurch fliegen konnte.

    Da kam ein alter, unmoderner Reisebus durch das, wie immer dienstags, weit geöffnete Stadiontor herein gefahren, langsam, wackelnd in den Knien und rumpelnd mit seinen ausgeschlagenen Achsschenkeln. Er hatte ein über die gesamte Dachfläche gehendes offenes Verdeck. Reggae-Musik ertönte aus seiner Musikanlage. Vierundzwanzig gut gelaunte Putzfrauen genossen die Fahrt. Ich gönnte ihnen den schönen Ausflug zu mir. Der Bus hielt. Sie winkten mir hemmungslos zu mit ihren feuchten Feudeln. Früher wäre ich rot geworden. Ich winkte freundlich zurück. Bestimmt hatten sie die Nachrichten verfolgt und waren gekommen, um mir zu huldigen. Eine nach der anderen stieg aus. Unentwegt ließen sie die Hüften kreisen zum Rhythmus der Musik. In den Händen hielten sie ihr Handwerkszeug. Feierlich legten sie es ihrem Ministerpräsidenten zu Füßen und entschwanden tanzend in den Bus. Jetzt war es mein Handwerkszeug.

    Ich sah hinter ihnen her und vermied jegliche Interpretation, auch die, an die ich dachte. Der Busfahrer ebenso. Er profitierte von seiner jahrelangen Erfahrung. Er gab lieber Gas. Ich sah ihn nur noch von hinten. Ich hatte schon befürchtet, dass er mir noch einmal zuhupen würde. Dann wäre ich gezwungen gewesen, zurück zu winken. Er entschied sich gegen eine solche anbiedernde Geschwätzigkeit. Er verschwand ohne überflüssiges Dekor. Auf Nimmerwiedersehen. Grußlos und auf direktem Umweg durch das, wie immer dienstags, weit geöffnete Stadiontor. Ich atmete auf und dankte dem goldenen Kelch. Meist ging er nicht so entschlossen an mir vorüber.

    Der Abend war gekommen. Ich saß wieder auf meinem kalten Ministerpräsidentenstuhl in meinem feuchten, zugigen Präsidentenpalast. Dann meldete sich auch noch mein Nacken. Er fror. Im vollen Bewusstsein ebenso wie im übervollen Vollbesitz meiner absoluten Machtfülle stellte ich kurzerhand die Heizung an. Als Ministerpräsident wusste man auch in den schwierigsten Fällen immer einen Rat, manchmal auch zwei. Aber das kam zum Glück selten vor, zum Glück deshalb, weil so etwas die Abläufe der Regierungsarbeit nur aufhielt.

    Ich hatte mich nun endgültig damit abgefunden, Ministerpräsident zu sein. Mehr noch. Der Applaus hatte es mir wirklich angetan. Einer, dem Applaus egal war, konnte hier überhaupt nicht mitreden. Er kitzelte in meinem Bauch nach Leibeskräften. Aber ich lachte nie. Ich war nicht kitzelig. Ich war stark. Ich war ernst. Ich war entschlossen. Für einen Mann wie mich war es also genau der richtige Posten. Wer noch zweifelte, dem gab ich ein Beispiel für meine schier übermenschliche Tatkraft. Souverän und lächelnd demonstrierte ich allen amateurhaften Zweiflern die Funktionsweise meines aus der Hüfte geschossenen präsidentiellen Urgesteins. Ich entschied ohne weitere Diskussion mit mir selbst, alle vierundzwanzig mir überreichten Putzeimer im Garten meines Amtssitzes aufzustellen, um den Regen aufzufangen, wenn es einen geben sollte. Ich ging volles Risiko in dieser Zukunftsfrage der Putzeimer. Es sollte das größte Projekt meiner Amtszeit werden. Mein Höhepunkt setzte ein. Ich wartete auf den Applaus.

    Da erschienen wieder die zwei Herren in den korrekten Anzügen. Sie wollten an meine Tür klopfen. Doch sie war nicht da. Ich hatte sie ausgeliehen. Für die ganze Saison. Ich hatte im Moment keine Verwendung für sie. Ich bot ihnen meine Stirn. Einer klopfte den geheimen Code an ihre Wand. Ich öffnete. Er teilte mir mit, ich sei als Ministerpräsident abgewählt worden. Der andere reichte mir einen Koffer.

    „Bitte", sagte er.

    „Danke", sagte ich.

    Ich öffnete den Koffer, weil ich neugierig war. Er war leer.

    „Glück gehabt", dachte ich.

    Wenn etwas drin gewesen wäre, hätte ich mir Gedanken machen müssen. Ich schloss den Koffer. Mit meinem gesamten Bauchgefühl legte ich mich auf den Rücken, streckte die Beine zum Himmel und ließ den Koffer auf meinen Fußsohlen wilde Salti vollführen. In rasendem Tempo. Niemals vorher hatte ich derartiges getan, weil nicht einmal ich etwas von dieser erstaunlichen Fähigkeit geahnt hatte, die faul in mir geschlummert hatte und wohl gehofft hatte, niemals aufgeweckt zu werden. Dem Koffer schien es zu gefallen. Aber darum konnte es jetzt nicht gehen. Ich musste an meine Zukunft denken. Und so unterbrach ich den tausendfach gedrehten Wirbel mit einer gefährlich quietschenden Vollbremsung, stellte den Koffer hochkant und setzte mich darauf. Wenig bis lustlos begann ich an meine Zukunft zu denken, konnte aber nicht die kleinste Spur von ihr entdecken. Suchen wollte ich nicht, gewiss nicht. Ich war ja nicht hier, um Verstecken zu spielen. Ich war hier, um Ministerpräsident zu sein. Aber nach den letzten mir übermittelten Informationen war ich kein Ministerpräsident mehr. Ich kratzte mich ausgiebig.

    Es gab Situationen, so wie hier und jetzt, da stürzten alle diese unerotischen, gewöhnlichen Maßnahmen, mit denen ich nie etwas im Sinn gehabt hatte, und die nun forderten, von mir ergriffen zu werden, auf mich zu. Da konnten nur noch die sagenumwobenen, langen Schatten helfen, um sie weit über die Zukunft hinaus in die Unsichtbarkeit zu schleudern und mich so von ihnen zu befreien. So entschlossen, wie nur jemand sein konnte, der wusste, was er wollte, erteilte ich ohne jede Verzögerung diesen Schatten den Auftrag, diese unerotischen, gewöhnlichen Maßnahmen unverzüglich zu schleudern. Wenn ich wieder Ministerpräsident sein wollte, musste ich dieses von mir mit Hilfe der langen Schatten soeben geschaffene Vakuum schnellstens mit der Erotik ungewöhnlicher Maßnahmen füllen, so ungewöhnlich, dass sie selbst mir derzeit noch unbekannt waren. Das beste wäre es außerdem auch, wenn keiner von meiner Absicht Witterung bekäme. Ich verhielt mich deshalb ungewöhnlich normal, um mich zu tarnen, aber natürlich auch um mich im Uterus der Ungewöhnlichkeit ungestört fit machen zu können für die Entdeckung der Spuren meiner Zukunft, die immer noch spurlos war.

    3

    Seit meiner ebenso überraschenden wie grundlosen Abwahl war ich natürlich am ganzen Körper psychologisch anders eingestellt. Ich verspürte einen hochprozentigen, undefinierbaren Lustgewinn, denn die immer noch eintreffenden Irritationswellen dieses Ereignisses machten aus mir eine hin und her titschende, von meinem Willen befreite, Flipperkugel zwischen den mit Hochspannung geladenen Toren der Leere und der Fülle. Es wollte mir scheinen, als bestünde meine Zukunft aus diesen heftigen, hektischen, unvorhersagbaren, blitzartigen, zuckenden Bewegungen. Aber sicher war das natürlich nicht. Überall gab es böse Fallen, wenn es um die wahre Wahrnehmung ging. Es war besser, wenn ich meine Augen offenhielt, bis ich eine Bestätigung für meine Vermutung von unabhängiger Seite erhalten würde.

    So tanzte ich weiter von einer Unvernunft zur anderen, und keine von ihnen vergeudete auch nur einmal einen Gedanken daran, irgendeinen Sinn zu machen, nicht mal der allerkleinsten. Da wusste ich, dass ich auf einem vielversprechenden Weg war, vielleicht sogar auf dem vielversprechendsten auf dem gesamten Territorium der Unvernunft. Es würde einfach alles kommen, wie es kam, und am Ende wäre ich endlich wieder Ministerpräsident.

    Aber jetzt war jetzt und nicht das Ende, und jetzt führte mich mein Weg direkt von der Hand in meine Hosentasche. Ich griff hinein und holte eine Handvoll Gummibären heraus. Sie wussten sofort, was ich von ihnen wollte. Die Reifen meines Ministerpräsidentenfahrrads, mit dem ich gerade unterwegs war, wahrscheinlich sogar illegal, weil ich ja abgewählt war, waren platt. Darauf hatten sie nur gewartet, diese alten Kumpane aus meiner längst vergangenen Vagabundenzeit. Eifrig übernahmen sie die Aufgabe. Hungrig, wie sie waren, gaben sie ihre sonst so steife, aristokratische Zurückhaltung auf. Sie ließen sich sogar regelrecht gehen. Ich wusste, dass Luft pumpen ihr Hauptnahrungsmittel war. Es war ein Genuss, ihnen zuzusehen. Ihre Leidenschaft dabei überschritt die Grenzen des Anstands ohne Rücksicht auf uninteressante Gewinne. Wie jedes Mal. Ähnlichkeiten mit mir gab es in dieser Hinsicht nicht. Mir waren solche Gefühle gänzlich unbekannt. Dauernd lief mir Unbekanntes über den Weg. Irgendetwas stimmte hier plötzlich also wieder ganz gehörig. Es waren meine Ministerpräsidentenreifen. Sie rülpsten ungewöhnlich gehörig in den Südwind. Es ging ihnen gut. Sie waren voll wie lange nicht mehr. Ich lobte die Bären. Sie winkten generös ab.

    „Lecker und freundlich", dachte ich noch.

    Dann war es dunkel.

    „Diametral ist antineutral", sagte eine Stimme.

    Ich erforschte den Raum um mich herum. Alles sah gleich aus. Gleich dunkel. Es war eine dünne, hohe Stimme, die ich vernommen hatte.

    Ich sprach: „Es werde Licht."

    Und es ward Licht. Vor mir stand ein Dinosaurier. Ohne Zweifel handelte es sich bei ihm um einen ausgewachsenen Kerl älterer Bauart.

    „Warst du das?" fragte ich ihn.

    „Erraten", piepste seine erbärmliche Stimme.

    „Hast du Probleme?"

    „Hatte! Und wie! Akzeptanzprobleme!"

    Ich wollte mir schon vor Vergnügen über diese Antwort die Zähne putzen, weil ich es ja nicht vergessen durfte, aber ich ließ es einfach und reuelos, dem Ruf einer Meise folgend, sein und durchtrennte so mit einem einzigen Hieb meine letzte Verbindung zu meinem alten Leben, weil ich es nicht mehr länger brauchte.

    „Was war das für ein Satz, den du da gerade gesagt hast?" fragte ich.

    „Den habe ich mir so ausgedacht. Seitdem habe ich den lange verwaisten Vorsitz im Rat der fünf Weisen. Akzeptanzprobleme habe ich nicht mehr."

    „So kann's kommen, sagte ich. „Auch Ministerpräsident ist ein schöner Posten.

    „Ich weiß", antwortete er.

    Statt zu stutzen, wie es sich gehört hätte, durchquerte ich lieber schnell den schlauen Dinosaurier, bevor er mehr von dem erzählen konnte, was er alles wusste und dachte schon wieder an meine Zukunft. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich anlachte, aber heimlich, aus einem dunklen Versteck heraus. Es war ein Lachen der transzendentalen Art. Ich wollte aber nicht wahnsinnig werden, sondern unvernünftig bleiben. Geistesgegenwärtig beschloss ich zu heiraten. Ich machte meinem ungewaschenen Auto noch in der Garage einen Antrag.

    Es sagte: „Ja."

    Ich sagte: „Ja."

    Wir waren nun ein Paar. Man konnte sich keine glücklichere Verbindung vorstellen. Die Schweißnaht der Liebe hatte aus unserem einstigen Miteinander ein schicksalhaftes Aneinander gemacht.

    Versonnen saß ich am Küchenfenster und betrachtete mein Auto, das auch als Ehepartner eine gute Figur abgab auf seinem Parkplatz vor dem Haus. Dabei forschte ich weiter, unverdächtig planlos, nach dem Weg in meine Zukunft. Da bemerkte ich, dass ein fremder Fluss sein Bett verlassen hatte. Er vagabundierte und randalierte auf seiner Suche nach einer neuen Schlafgelegenheit. Er schien müde. Das machte ihn so gefährlich. Gerade floss er durch die Katzenklappe in den Keller meines Hauses, dann die Treppe hinauf und vorne durch den Briefschlitz der Haustür wieder hinaus auf die Bushaltestelle. Die Leute bekamen nasse Füße. Als sie die vielen Ratten im ungeklärten Strom des fremden Flusses sahen, freuten sie sich wie gewöhnliche Kinder. Wie frisch gebadet kamen sie aus dem Keller geschwommen und tanzten den in letzter Zeit rar gewordenen Rattensamba zum Vergnügen aller zwischen den Beinen der Wartenden. Das Wasser spritzte an ihnen so hoch, dass sich ihre Frisuren bald in einen unwegsamen, klebrigen Morast aus düster duftender Pomade verwandelt hatten. Da übermannte sie das Mitleid mit den unermüdlich tanzenden Ratten, und sie warfen ihnen goldene Geldmünzen zu, um sie vor weitergehender Ekstase zu beschützen.

    Diese wissenschaftlich vielfach erprobte Maßnahme hatte auch im Tierversuch einen sofortigen Erfolg zur Folge. Geld hatte bisher noch jeden aus dem Konzept gebracht. Auch Ratten machten da keine Ausnahme. Sie hörten sogleich auf zu tanzen. Ihre Gehirne spielten verrückt. Schnell liefen sie zum Kiosk auf die andere Straßenseite und warfen alle Münzen in den Geldschlitz des draußen festgeketteten Kaugummiautomaten. Hemmungslos entleerte er sein Innerstes bis auf sein letztes Hemd, der Glückliche. Endlich war er frei. Er zerriss die Kette mit seinem internationalen Charme in einem einzigen, langgezogenen, elastischen Ruck, so wie es wahrscheinlich nur Kaugummiautomaten konnten.

    Er wusste, was er wollte. In der langen Zeit seiner an der Kette gefangen gewesenen Freiheit hatte er sich in aller Ruhe einen Plan ausgedacht. Er betrat den Kiosk und legte sich lang auf den Boden. Er wollte schlafen. Nur noch schlafen. Das war sein Plan. Er war müde. Der erfahrene, vorteilhaft gekleidete Kioskbesitzer hatte ein professionelles Verständnis für ihn parat. Es handelte sich um einen mit Federn gefüllten, kleinen Beutel für seinen empfindlichen Glaskasten und einen mit Federn gefüllten, großen Beutel für seinen kalten Bauch. Auch für den fremden, randalierenden Fluss hatte er schon etwas Unpassendes vorbereitet. Aber der kam gar nicht herein. Vielleicht war er einfach zu unintelligent für eine Freundschaft mit dem Unpassenden.

    Das galt aber nicht für das in diese Szenerie gerade hereinplatzende Wunder, eines das niemals vorher je beobachtet worden war. Frühling, Sommer, Herbst und Winter betraten gemeinsam den Kiosk. Sie plauderten miteinander, aber leise, weil sie den Kaugummiautomaten nicht wecken wollten. Sie kannten sich offenbar gut, waren wahrscheinlich sogar befreundet seit dem letzten Jahr. Ich begrüßte sie mit der Titelmelodie aus den fünf durchschnittlichen Jahreszeiten, die ich meiner unwilligen Lunge abrang. Doch schneller, als ich gucken konnte, hatten sie sich verabschiedet und waren verschwunden. Ich fragte mich, warum und sah mich um. Möglicherweise lag die Antwort draußen, weil drinnen keine zu sehen war. Ich verließ den Kiosk und erblickte eine Antwort, die alle Fragen offen ließ.

    Gut gekleidete Herrschaften, hauptsächlich mittleren Alters, rollten lange Bahnen rosa Klopapiers auf der Straße aus und zuckten dabei unablässig mit ihren Wimpern. Vor Rührung ergriff ich den erstbesten, vorbei laufenden Hund und küsste ihn heftig. Sofort verwandelte er sich in einen jungen, schönen Prinzen. Als ich ihn auf seinen Zaubertrick ansprechen wollte, war er ebenfalls verschwunden, ganz so wie diese scheuen Jahreszeiten aus dem Kiosk, eher noch schneller. Schade, hätte mich interessiert.

    Doch das Wunder mit seinem ganzen wunderlichen Geschehen beunruhigte mich nicht, denn die Kamelkarawane am Ende der rosa dekorierten Straße war noch da. So lange ich denken konnte, war sie schon da. Man hätte den Eindruck gewinnen können, sie stünde fest und bewegte sich nicht. Aber das stimmte nicht. Sie war auf dem Weg in die Zukunft, und dahin ging es nur sehr, sehr langsam, gerade wenn man ein Kamel war.

    Ein Kühlschrank hatte sich zu mir gesellt. Er machte die gleiche Beobachtung. Alle Sterne fielen vom Himmel, stellte sich am Ende Dasgleiche als Dasselbe heraus. Zufrieden schnurrte der Motor meines coolen Begleiters das eintönige Lied, für das er bekannt war. Bekanntes kreuzte immer wieder meinen Weg.

    4

    Um mehr über meine eigene Zukunft zu erfahren, und ob eventuell die Kamelkarawane und ich eine gemeinsame hatten, entschloss ich mich nach reiflicher Überlegung zu einer Kurzschlussreaktion. Mit der kontemplativen Tatkraft des ehemaligen Ministerpräsidenten legte ich zwei Bücher aufeinander, um sie miteinander zu kreuzen und festzustellen, was so alles fleugte und kreuchte um mich herum und überhaupt, oder ob die Kamelkarawane und ich ganz allein unterwegs waren in der Wüste.

    „Mal sehen, was passiert", murmelte ich in meinen Bart, eigentlich ein völlig

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