Crimetime - Mord im Finanzamt
Von Carola Käpernick
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Über dieses E-Book
Auch an diesem Morgen, der in Sekundenschnelle aus der morgendlichen Routine eine Ausnahmesituation machte, ließ sie die grellen Neonlampen noch ausgeschaltet. Aus diesem Grunde sah sie ihren toten Kollegen auch nicht, der zwischen dem Fenster und der Sitzgruppe im Pausenraum am Boden lag. Versehentlich trat sie ihm auf die sonderbar weit vom Körper entfernt liegende rechte Hand und entschuldigte sich aus reiner Gewohnheit, bis ihr die Tragweite des Umstands mit brutaler Klarheit durch die Hirnwindungen kroch und ihr das eingangs erwähnte Kreischen entlockte.
Das Ermittlerteam Emmenburgstedts um Bernhard Speck-Faltberg hat keinerlei Anhaltspunkt, warum Mirko Mertens Tod im Finanzamt liegt, Kerkhoffs Recherchen bringen ein erstes Licht ins Dunkel und der schweigsame Richard Nitz kombiniert blitzschnell und offenbart unglaubliche Zusammenhänge aus Vergangenheit und Gegenwart.
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Crimetime - Mord im Finanzamt - Carola Käpernick
***
Das panische Kreischen von Geraldine Meierlich verklang ungehört in den langen Fluren der Finanzdirektion der beschaulichen Stadt Emmenburgstedt. Geraldine gehört zu den Beamtinnen, die eine Stechuhr als Segen empfanden und die Gleitzeitregeln der Behörde sehr weit auslegte, vor allem nach vorn. Meist schob sie ihre Personalchipkarte schon vor sechs Uhr ins Lesegerät und öffnete in allen Gemeinschaftsräumen die Fenster weit, an denen sie auf dem Weg in ihr Büro vorbei kam. Sie genoss es, im Dämmerlicht der Notbeleuchtung durch das totenstille Finanzamt zu gehen und den verstaubten Akten und Ansichten einiger Kollegen, mit einer ausgiebigen Frischluftzufuhr den Kampf anzusagen. Und wenn sie ehrlich war, genoss sie es auch, dass sich viele der Kollegen erbosten, dass es zog oder kalt war, wenn sie mehr als eine Stunde nach Geraldine den Dienst antraten.
Auch an diesem Morgen, der in Sekundenschnelle aus der morgendlichen Routine eine Ausnahmesituation machte, ließ sie die grellen Neonlampen noch ausgeschaltet. Aus diesem Grunde sah sie ihren toten Kollegen auch nicht, der zwischen dem Fenster und der Sitzgruppe im Pausenraum am Boden lag. Versehentlich trat sie ihm auf die sonderbar weit vom Körper entfernt liegende rechte Hand und entschuldigte sich aus reiner Gewohnheit, bis ihr die Tragweite des Umstands mit brutaler Klarheit durch die Hirnwindungen kroch und ihr das eingangs erwähnte Kreischen entlockte.
Mirko Mertens, zuständig für Steuerangelegenheiten der Personen mit Gewerbe oder Freiberuflichkeit in Emmenburgstedt, deren Nach- oder Firmennamen mit den Buchstaben D,C, G oder P begannen, lag in einer großen Blutlache, die an den Rändern schon einzutrocknen begann. Zwischen seinem rechten Arm und der rechten Hand klaffte ein blutiges Nichts von ca. 40 Zentimetern, in das Geraldine sich spontan erbrach.
Unmittelbar nachdem sie ihr Bircher Müsli halbverdaut wieder von sich gegeben hatte, lief Geraldine so schnell sie konnte, vor die Tür des Finanzamtes und rief die Polizei. Als die nach wenigen Minuten eintraf, kauerte sie bleich auf den Treppenstufen und kühlte sich die Stirn am stahlgrauen Treppengeländer. Behutsam erfragte sich eine der Beamtinnen den Weg, während drei Uniformierte den Eingang zum Amt weiträumig absperrten. Ein Krankenwagen mit Sirene und Blaulicht fuhr heran und Sanitäter kümmerten sich um Geraldine, deren Bewusstsein sie bis zum Eintreffen des RTW, vor einem medizinischen Notfall bewahrt hatte, jetzt aber umso erbarmungsloser den Weg frei, für den größten Schock ins Geraldines Leben, machte. Als sie Stunden später aus ihrer Ohnmacht erwachte, lag sie in einem Krankenhausbett und wirkte auch nicht sehr lebendig.
***
Am Tatort hielt sich die Freude über die Verunreinigung des blutigen Nichts doch stark in Grenzen. Geraldine konnte in zweifacher Hinsicht froh sein, weit entfernt zu weilen, von den Mitarbeitern der Spurensicherung, der Rechtsmedizinerin und der beiden Kriminalbeamten. Natürlich meinten all diese Personen die zahlreichen Beleidigungen nicht wirklich persönlich, aber Geraldine neigte ohnehin dazu, sich Fehler zu sehr zu Herzen zu nehmen und konnte schon mit konstruktiver Kritik nur schwer umgehen. Cholerische Flüche in kreativer Wortwahl, würden sie vermutlich völlig verstören. Doch sie war ja zum einen noch ohnmächtig und zum anderen im mehrere Kilometer entfernten Krankenhaus. „Nicht vernehmungsfähig!", wie ihnen einer der Rettungsassistenten noch zurief, als er die Tür des RTW mit einem lauten Krachen zuwarf. Jedem war klar, wenn die Zeugin, als die Geraldine bei den Beamten gesehen wurde, davon nicht aufwachte, dann konnte man sich mit einem Besuch am Krankenbett noch reichlich Zeit lassen und sich erst einmal um den Tatort und das Opfer kümmern.
Mirko Mertens war Ende dreißig, arbeitete schon seit einigen Jahren in der Finanzdirektion und galt als Eigenbrötler. Er war in einem grauen Anzug gekleidet, der sich schon auf den ersten Blick als Modell von der Stange im mittelpreisigen Bereich