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Alles kehrt wieder zurück
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Alles kehrt wieder zurück
eBook215 Seiten2 Stunden

Alles kehrt wieder zurück

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Über dieses E-Book

Das Buch beschreibt in drei Erzählungen mit deutlichen Bezügen zur Psychotherapie einige Erlebnisse und Schicksale von Menschen, die sich an sehenswerten Orten in der aufregend schönen Natur des Bayerischen Waldes begegnen. Im ersten Teil geht es um einen Luchsmord und eine Entführung, im zweiten Teil um einen Ring, der seinen Besitzer sucht und im dritten Teil um Frauen mit magischen Fähigkeiten und Störungen, die zueinander finden.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum2. Juni 2016
ISBN9783741816512
Alles kehrt wieder zurück

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    Buchvorschau

    Alles kehrt wieder zurück - Helfried Stockhofe

    Überblick

    Alles kehrt wieder zurück

    Drei Erzählungen

    Die Luchspfoten

    Falsche Geschenke

    Die Gleichgesinnten

    Wichtige Personen sind:

    Horst, der vom Saulus zum Paulus mutiert,

    ein Jäger mit seinem missratenen Sohn Jack

    und einem weiteren Sohn und einem Enkel,

    der eifersüchtige Holzbaron Fridobert,

    Thorsten, der schon Bekanntschaft mit dem

    blassen Kommissar Flinker gemacht hatte,

    Sven der Profi-Cacher und Sammy der Goldsucher,

    ein Bischof und ein alter Mann,

    der Lehrer, seine Tochter Katrin und seine Ex.

    Die Tiefenpsychologin Alina behandelt in ihrer Praxis

    irgendwo im nord-westlichen Teil der Oberpfalz u.a.

    den Chorleiter Frederik (51), der noch Single ist,

    den braven Hans-Peter (46), der mit Corinn

    verheiratet ist, und die teuflische Ashley (22).

    Der Verhaltenstherapeut Max praktiziert in der süd-

    östlichen Oberpfalz. Seine Patientinnen sind u.a.

    die Krankenschwester Malinda (49) und

    ihre esoterische Freundin Mary-Kate (22).

    Die Psychoanalytikerin Ilona und die Verhaltens-

    therapeutin Inge praktizieren irgendwo zwischendrin

    und die Psychotherapeutin Sarah im fernen Berlin.

    Und alle sind – ebenso wie die Handlung - frei erfunden!

    Die Handlung spielt an folgenden, real existierenden Orten:

    An der tschechischen Grenze im Künischen Gebirge,

    am Silberberg bei Bodenmais,

    in der Buchberger Leite,

    in der Regentalaue mit ihren Weihern,

    auf dem Regenfluss und dem Chamerauer Wehr,

    auf der Harlachberger Spitze und am Riederin-Felsen,

    im Nationalpark Bayerischer Wald,

    in der schönen Umgebung Sankt Englmars,

    in den Wäldern des Schweinsbergs und

    anderen Hügeln rund um Falkenstein,

    bei der Teufelsmühle nahe Rattenberg,

    am Himmelberg bei Birnbrunn,

    am Blauberg und der Rundinger Burgruine,

    in der Hölle.

    An vielen weiteren schönen Stellen des Bayerischen Waldes und mit einem Teil der oben genannten Personen spielt die Handlung im vorhergehenden Erzählband:

    Helfried Stockhofe

    Begegnungen im Bayerischen Wald

    ISBN 978-3-7375-6454-0

    Die Luchspfoten

    1. Horst verwandelt sich

    Horst hatte noch nie etwas gehört von der „Gnade der späten Geburt. Aber wäre sein Leben wirklich schlechter verlaufen, wenn er statt 1976 schon 60 Jahre früher geboren worden wäre? Sicher ist, dass er dann als junger Mann die verarmten Russen auf ihren staubigen Dorfstraßen als „Untermenschen gesehen hätte, zumal sich die Straßen bei Regen in Schlammgräben verwandelten und die Menschen noch dreckiger machten. Und er hätte sich auch an der Ermordung der Juden beteiligt oder das Deutsche Reich von dem „unwerten Leben" Behinderter gesäubert. Nach dem Krieg hätte er dann unter dem Schutz anderer Altnazis irgendwo Karriere gemacht. Das alles wäre wohl so gekommen, wenn er 1916 geboren worden wäre.

    Wenn er nun statt 60 nur 40 oder 30 Jahre früher das Licht der Welt erblickt hätte, also kurz vor oder nach dem Krieg, hätte es ihn auch nicht gejuckt, dass er die Schuld seiner Väter mit dem Hinweis auf die „Gnade der späten Geburt" nicht hätte übernehmen müssen. Solche Spitzfindigkeiten des Gewissens waren nicht seine Sache.

    Jedoch: So ganz stimmt diese Aussage nicht! Sein Gerechtigkeitssinn war nämlich doch sehr stark ausgeprägt – wobei das, was gerecht und was ungerecht war, nicht unbedingt den Vorstellungen seiner Mitmenschen entsprach, sondern seiner eigenen Logik folgte. Und natürlich der Verarbeitung seiner starken, ihm meist nicht bewussten Gefühle!

    Wenn Horst als Kind mit dem Luftgewehr seines Vater die Tauben des Nachbarn erschoss oder stundenlang vor Mauslöchern wartete, um dann mit einem selbstgebastelten Speer die hervorlugende Maus zu erstechen, dann standen Gerechtigkeitsfragen nicht im Vordergrund, sondern die Freude an der erfolgreichen Jagd. Und im Hintergrund stand die Verarbeitung der Aggression, die Vater und Mutter in ihn hineingeprügelt hatten. In der Pubertät empfand er sich stets als benachteiligt, weil er sich, gebrochen durch die vielen Schläge, ängstlich an alle Vorgaben seiner Eltern und Lehrer hielt, aber andere ungestraft über die Stränge schlugen. Und schon als junger Mann beobachtete er an ausgewählten Plätzen die Autos, die falsch parkten, und meldete die Autonummern an die Polizei – die sich freilich nicht um die anonymen Anzeigen des Denunzianten kümmerte und ihn deshalb sehr erboste.

    Ein Wendepunkt in seinem Leben war im letzten Jahr der Brand im Wohnhaus, der seinen Eltern das Leben kostete. Niemals hat man die Ursache des Feuers herausgefunden, aber es stand fest, dass Horst seine eigene Rettung dem Hund eines Nachbarn zu verdanken hatte, von dessen Gebell er verärgert aufgewacht war. Der Brand, der Tod der Eltern, die eigene Todesnähe oder die Rettung durch den kläffenden Hund oder alles zusammen muss Horst sehr beeindruckt haben. Es war für ihn eine Wende in seinem Leben, zumindest eine Wende in seiner Einstellung den Tieren gegenüber, aber weniger gegenüber den Menschen. Seitdem schien Horst jedenfalls vom Tierhasser zum Tierfreund mutiert zu sein und wenn andere sich über fischteichplündernde Kormorane aufregten und zerstörerischen Bibern nachstellten, legte er sich auf die Lauer, um die Frevler zu erwischen. Aber seine Jagd nach den üblen menschlichen Jägern war immer erfolglos.

    Noch ein Jahr vor dem Brand stand er auf der anderen Seite, da stellte er den Tieren noch nach – und dabei gelang ihm sein größter Jagderfolg! Er durfte einen Freund des Vaters bei dessen Jagd begleiten. Dieser Jäger war nicht weniger zimperlich als sein Vater, aber er schien großzügiger zu sein: Er überließ Horst den Schuss auf ein Tier, das in den Wäldern des bayerischen Waldes wieder heimisch werden sollte, aber fast nie zu sehen war – und natürlich unter strengem Schutz stand! Viel später kam Horst auf die Idee, dass hinter dieser Großzügigkeit Kalkül steckte. Der Jäger hatte Skrupel, den Luchs selbst zu schießen! Nein, nicht wegen eines schlechten Gewissens, sondern aus Vorsicht den möglichen rechtlichen Folgen gegenüber.

    Der Jäger überredete Horst, den toten Luchs in die heimische Gefriertruhe zu verfrachten. Vielleicht würden sich die rechtlichen Bestimmungen bald ändern – und dann wäre doch eine solche Jagdtrophäe ausgestopft eine tolle Sache!

    Im Gegensatz zu Horsts Eltern überstand der Luchs in der Gefriertruhe den Wohnhausbrand. Und der vom lebensrettenden Hund geläuterte Horst, nunmehr ein Freund der Tiere, hatte jetzt ein Problem mit dem tiefgefrorenen Pinselohr. Diese Leiche im Keller würde seiner neuen Identität und der Anbahnung neuer „Freundschaften" sehr schaden, wenn sie gefunden würde. Und da er die Auffassungen des Jägerfreunds seines Vaters jetzt bekämpfte, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der den Behörden einen anonymen Tipp gab. Also: Der Luchs musste weg! Je mehr Horst über alles nachdachte, umso mehr erkannte er in der Großzügigkeit des Jägers die Hinterfotzigkeit, die ihn furchtbar ärgerte. Vielleicht könnte er dafür dem Luchshasser ein Bein stellen?

    In seiner Kindheit gab es einige Male im Jahr einen Hasenbraten. Der Vater holte einen schlachtfertigen Hasen aus dem kleinen selbstgebastelten Stall, hieb ihm mit einer Holzkeule ins Genick und stach ihn ab. Das wertvolle Blut wurde für den „Hasenpfeffer" aufgefangen und dem armen Hasen wurde sorgfältig das Fell abgezogen. Es wurde auf ein Holzgestell gespannt, um es getrocknet weiter zu verwerten. So hatte es der Vater von seinem Vater gelernt, der seinerzeit aber die Felle noch gut verkaufen konnte. Der Hase wurde ausgenommen und zerlegt. Die Pfoten des Hasen waren Talismane, die in Horsts Hosentaschen wanderten und bei Gelegenheit erschreckten Mädchen irgendwo hingesteckt wurden.

    Daran dachte Horst, als er sich um die Luchsbeseitigung Gedanken machte. Aber wohin sollte er mit dem aufgetauten Luchs? Er würde es nicht fertigbringen, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen und ihn als Sonntagsbraten zu verwerten. Nur für die Pfoten hatte er sofort Verwendung!

    2. Alle täuschen sich

    Der Jäger - der Großzügige, Hinterfotzige und gefürchtete Denunziant - war erstaunt, als er zwei Pfoten eines Luchses vor seiner Haustür fand. Er vergewisserte sich, dass ihn niemand sah und nahm die Pfoten an sich. Zuerst wollte er sie im Garten vergraben, aber angesichts der Hysterie um erschossene Luchse, die man im Bayerischen Wald gefunden hatte, schien ihm das zu riskant. Deshalb wollte er sie auch nicht mit sich herumtragen, um sie im Wald zu entsorgen. Die einfachste Möglichkeit, nämlich seinen Fund öffentlich zu machen, traute er sich nicht: Er durfte keine Rolle spielen bei irgendwelchen Überlegungen von hartnäckigen Ermittlern oder Luchsfreunden! Er legte die Pfoten vorerst einmal in seinen Waffenschrank, um Zeit zu gewinnen. Er wollte in Ruhe nachdenken.

    Zwei weitere Pfoten wurden vor einem Naturschutzzentrum gefunden. Es war scheinbar ein Protest, ein Fanal, zumindest aber ein Anstoß zu erneuten Kontroversen über all die geschützten Tiere, die Luchse, Wölfe, Biber, Kormorane und wie sie alle heißen, die zu Problemen für Jäger, Bauern oder Teichwirte geworden waren. Wochenlang wurde der Fund von abgetrennten Luchspfoten zur wichtigen Nachricht und Diskussionsgrundlage in den Medien! Allerdings glaubte man fest, dass ein Luchshasser die hingelegt hatte, um zu zeigen, was er von diesen Tieren hält.

    Den Luchs sieht man als Wanderer im Bayerischen Wald ähnlich häufig wie die manchmal durchziehenden Elche, Wölfe und womöglich sogar Bären – nämlich gar nicht. Lediglich die inzwischen sogar von den Discountern verkauften Überwachungskameras fangen gelegentlich Bilder ein. Häufiger fotografiert werden vermutlich die Wanderer, die ihre Hosen herunterlassen, weil sie es nicht mehr aufschieben können bis zur nächsten Toilette. Auf dem Smartphone können Interessierte dann, womöglich zeitgleich, im Wohnzimmer sitzend die Sitzung beobachten und sich darüber amüsieren oder ekeln.

    Oder sie können im Wirtshaus ihre neueste Errungenschaft vorführen, wie es Horst bei einem seiner seltenen Aufenthalte dort mitbekam: Da zeigte einer einem anderen verstohlen einige Aufnahmen seiner Fotofalle. Es waren zwei Fremde, was bedeutet, dass sie etwa eine halbe Stunde entfernt wohnten und nur der Durst auf der Heimfahrt aus der Großstadt sie in dieses Wirtshaus geführt hatte. Thorsten und Jack waren Gleichgesinnte im Geiste, denn sie begannen über den Sinn und Unsinn von Überwachungskameras zu diskutieren und erwähnten ungeniert, wenn auch eher leise, die offenbar verlockende Möglichkeit, einen Luchs zu schießen und ihm das Fell über die Ohren zu ziehen.

    Da wurden Horsts Ohren natürlich immer größer! Er bekam mit, in welcher Gegend die Fotofalle installiert war und überlegte sich, wie er dieses Unternehmen sabotieren könnte.

    Nicht bedacht hatte er, dass die Leute am Nachbartisch die ganze Szene nur für ihn inszeniert haben könnten. Diese Idee wäre ihm vielleicht später noch gekommen, wenn es da nicht eh schon viel zu spät gewesen wäre.

    Im Wirtshaus jedenfalls, gerade als Horst genug gehört hatte, wurde er von seinem Lauschen aufgeschreckt durch einen lauten Gruß, der an ihn gerichtet wurde:

    „Grüß Gott, Herr Baron! War die Jagd diesmal erfolgreich?" Alle Gäste erkannten den Sarkasmus in der Frage des neu Hinzugekommenen, dem es eine Genugtuung zu sein schien, Horst, den seltenen Gast, für seine erfolglose Jagd nach den Tierfrevlern eine reinzuwürgen. Nur die beiden Fremden am Nachbartisch, die ohnehin nicht die Hellsten waren, hielten alles für bare Münze, zumal sie mit der hiesigen Szene nicht vertraut waren. Immerhin hatten sie schon einmal von dem Holzbaron gehört, einem reichen Gutsbesitzer von hier. Das musste dieser Mann am Nebentisch sein!

    Horst reagierte nicht. Er zahlte schweigend und ging. Und die beiden Fremden wunderten sich und verstanden das Ganze nicht.

    „War wohl nicht so erfolgreich!", sagte der hinzugekommene Gast grinsend zu den anderen, die meist die Köpfe reinsteckten und vielsagend lächelten.

    3. In die Falle getappt

    Horst ärgerte sich, dass der Jäger wieder einmal davongekommen war. Nur die Pfoten vor dem Naturschutzzentrum waren Tagesgespräch. Dass er selbst vom Saulus zum Paulus mutiert war, scherte ihn bei seinen Gerechtigkeitsüberlegungen wenig.

    Er war im Künischen Gebirge unterwegs, stapfte missmutig an der tschechischen Grenze entlang und schaute sich nach der Fotofalle der Fremden um. Es waren die heißen Wochen im Sommer 2015. Schon lange hinter sich gelassen hatte Horst die jetzt trockenen Wälder, in denen ein Pumpspeicherwerk gebaut werden sollte.

    Nun, diese Pläne schienen endgültig vom Tisch zu sein. Der Grundstücksbesitzer, also die katholische Kirche, wollte nicht gegen den überwiegenden Willen der hiesigen Bevölkerung den Wald für dieses Vorhaben veräußern. So hieß es zumindest.

    Horst hatte dazu keine Meinung, schon gar nicht an so einem heißen Tag, an dem er schweißtriefend über die großen Steine stolperte, die den Weg schwierig machten und volle Aufmerksamkeit erforderten. Eigentlich bestand der Weg nur aus diesen Steinen und manchmal musste er von Felsblock zu Felsblock springen, weil sich das Dazwischentreten nicht lohnte. Die armen Grenzer, die seinerzeit hier entlang patrouillierten!

    Dort hinten könnte die Fotofalle sein!

    Horst war erschöpft. Vielleicht war er deshalb eine Sekunde unaufmerksam. Er stolperte, blieb an Felsen hängen, stürzte. Und bevor es dunkel um ihn wurde, griff er sich an seinen Kopf und ihm wurde an seiner blutigen Hand bewusst, dass er sich bei seinem Sturz mächtig angeschlagen haben musste.

    Als er wieder zu sich kam, war es immer noch dunkel. Lediglich durch den Spalt zwischen dem Hüttenboden und der Tür kroch ein fahles Licht hinein. Aber eigentlich hatte die Hütte – falls es überhaupt eine Hütte war - keinen Boden, keine Holzbohlen, keinen festen Lehm oder gar Ziegelsteine. Die Bretter der Wände standen mehr oder weniger senkrecht auf weichem Untergrund, auf jahrhundertealten Schichten von Fichtennadeln vielleicht oder auf vertrockneten Resten von Heidelbeersträuchern. Die Bretter standen auch gar nicht darauf, sondern schienen hineingerammt oder eingegraben. Und sie waren sorgfältig abgedichtet, alle Ritzen ausgestopft mit trockenen Moosen, vermutlich mit Lehm vermischt. So drang kein Licht herein, nur unten beim Türspalt – wenn es denn eine Tür war.

    Horst brummte der Schädel. Er lag auf dem Rücken. Das Atmen fiel ihm schwer. Durch den Mund sog er die Luft ein, die dumpf-schimmlige, holz-morsche und erdige Luft. Reflexartig, aber mühsam, versuchte er, sich Richtung Türspalt zu schieben, zum Hellen, zur frischen Luft. Er wollte sich umdrehen, wollte auf allen Vieren die zwei Meter überwinden, so als ahnte er, dass Aufstehen eh nicht zur Diskussion stand. Doch es tat einen kurzen Ruck, einen dumpfen Klick und sein Handgelenk wurde festgehalten, die Bewegung erstarrte. Er war angekettet!

    Draußen stieß der Wind gegen die Hütte, der böhmische Wind, der vom Tal heraufzog und Nebel mitbrachte. Die Hütte mit ihren seltsamen Wurzeln und Astgebilden, die an ihren Außenwänden kunstvoll angebracht waren, wurde in Nebel gehüllt und gab sich gespenstisch. Sollten die knorrigen Arme, Beine und Gesichter ein Blickfang sein oder eine Tarnung? Ein Hexenhaus mit grauen und moosig überzogenen Stecken, statt mit Lebkuchen. Und drinnen die Beute, angekettet, bereit zum Anfüttern und vorbereitet zum Gefressenwerden.

    Horst zog die Luft ein mit kurzen und schnellen Atemzügen, dann wieder mit einem tiefen Zug. Er wollte Kraft hineinpumpen in seinen kraftlosen Körper. Vielleicht auch seine Umgebung riechend erkunden. Er horchte, versuchte etwas zu erkennen. Er wusste nicht genau, ob seine Wahrnehmungen irgendetwas mit der Realität zu tun hatten. Er wusste nicht, wo er war, was mit ihm passiert war, konnte sich an nichts erinnern. Er zog an der Kette. Wieder und wieder. Er rief um Hilfe, immer wieder. Er bemerkte, dass sein Ziehen die Hüttenwände erschütterte. Das glaubte er zumindest. Aber er spürte, dass er sich nicht würde losreißen können.

    Er war total erschöpft. Sein Kopf dröhnte. Sein Handgelenk schmerzte vom festen Widerstand der Kette. Was war los? Was war geschehen? Angestrengt dachte er nach, angestrengt und erfolglos. Wie lange lag er hier schon? Stunden? Tage? Er betastete seinen Kopf und – Autsch - zog schnell seine Hand wieder zurück. Er spürte eine Wunde, nicht mehr blutend, ohne Verband. Vielleicht lag er schon Tage hier. Wer hatte ihm auf den Kopf geschlagen? Und warum?

    Seine Vergangenheit, sein ganzes Leben schien ihm ausgelöscht. Wahrscheinlich vom Schlag auf den Kopf, dachte er. Hoffte er! Es konnte doch nicht sein, dass er schon immer hier lebte? Nein, Unsinn!

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